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Archiv "Organallokation: Die Suche nach dem passenden Empfänger" (03.12.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 48

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3. Dezember 2010 A 2369

P O L I T I K

E

s ist früher Nachmittag im dritten Stock des Eurocenters am Rand der Universitätsstadt Leiden. In der Organvermittlungs- stelle Eurotransplant (ET) sitzen zwei Mitarbeiterinnen an ihren PCs und telefonieren mit Trans- plantationszentren. Über ihren Köp - fen schwebt ein Monitor: Er zeigt die elektronischen Spendermeldun- gen aus den Ländern des ET-Ver- bunds. Die Mitarbeiterinnen prüfen die medizinischen Daten und über- tragen sie in ein Formular. Dann be- ginnt die Suche nach möglichen Empfängern.

Dr. med. Axel Rahmel, Ärztli- cher Direktor von ET, erläutert den Prozess der Allokation an einem Beispiel vom Vortag. Von einem Spender stehen zwei Nieren zur Verfügung. Der Computer durch- sucht die Datenbank zunächst nach einem passenden, hochimmunisier- ten Empfänger. Wartepatienten mit präformierten Anti-HLA-Antikör- pern haben Vorrang vor allen ande- ren, da es für sie besonders schwer ist, ein passendes Organ zu finden.

Für diese Gruppe gibt es das Ac - ceptable-Mismatch-Programm. Bei der Vorbereitung für die Aufnahme in dieses Programm werden HLA- Merkmale und präformierte Anti- körper im ET-Referenzlabor in Lei- den intensiv untersucht.

Gibt es keinen passenden Emp- fänger aus dem Acceptable-Mis- match-Programm, erstellt das Com- puterprogramm eine Rangliste nach einem komplexen Algorithmus, der die vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien Dringlichkeit und Er- folgsaussicht berücksichtigt. In den Punktescore für die Nieren fließen im Wesentlichen fünf Faktoren ein:

Die Zahl der zwischen Spender und Empfänger übereinstimmenden Gewebemerkmale, die Wahrschein- lichkeit, für einen Wartenden ein sehr gut passendes Organ zu fin - den, die Wartezeit, die Entfernung zwischen dem Zentrum der Organ- spende und dem der Implantation und schließlich die Austauschbilanz zwischen den Nationen. „Der vor- rangige Patient hat zum Beispiel 925,35 Punkte“, erläutert Rahmel,

„der nächste hat 898, dann kommt ein Patient mit 879 Punkten. Die

Blutgruppe ist für die Allokation al- ler Organe relevant, auch die Größe des Organs, vor allem bei Lebern, Herzen und Lungen.

Nach dem deutschen Transplan- tationsgesetz (TPG) ist jedes Kran- kenhaus verpflichtet, bei Verdacht auf einen möglichen Hirntod eines Patienten dies dem jeweiligen Transplantationszentrum zu mel- den, das dann die Deutsche Stiftung Organtransplantation zu unterrich- ten hat (§ 11 [4] TPG). Das Trans- plantationszentrum hat in Zusam- menarbeit mit der Koordinierungs- stelle zu klären, ob die Vorausset- zungen für eine Organentnahme

vorliegen. Mit dem Abschluss der Hirntoddiagnostik steht der Todes- zeitpunkt fest. Hat der Verstorbene nicht zu Lebzeiten seinen Willen dokumentiert, muss mit den Ange- hörigen der mutmaßliche Wille er- mittelt werden (erweiterte Zustim- mungslösung). Erst wenn eine Ein- verständniserklärung vorliegt, dür- fen Organe entnommen werden.

Die meisten Spendermeldungen gehen am späten Nachmittag ein.

„Wenn das Pflegepersonal nachts feststellt, dass ein Patient mögli- cherweise hirntot ist, läuft im All- gemeinen morgens die Hirntod - diagnostik an. In der Regel ist diese und das Einholen des Einverständ- nisses am frühen Nachmittag ab - geschlossen, ebenso die Spender- charakterisierung. ET erhält dann häufig am späten Nachmittag die Spendermeldung, und in der Nacht kann die Entnahme erfolgen“, be- richtet Rahmel.

17.30 Uhr: Eine ET-Mitarbeite- rin in dem rund um die Uhr besetz- ten Büro ruft ein Transplantations- zentrum an: Die drei Patienten mit den höchsten Punktwerten werden alle im selben Zentrum behandelt.

Grundsätzlich werden beide Nieren parallel oder kurz nacheinander an- geboten. Akzeptieren die Ärzte das Organ, informieren sie den Patien- ten. Es folgt eine Abklärung mög - licher Kontraindikationen für eine Transplantation, zum Beispiel eine aktuelle Infektion oder eine Ver- schlechterung der Herz-Kreislauf- Situation.

19.16 Uhr: Rückruf des Trans- plantationszentrums. Die Patienten eins und drei sind nicht transplanta- bel. Für den zweiten wird die linke Niere akzeptiert.

19.32 Uhr: Die rechte Niere wird weiter angeboten.

20.01 Uhr: Rückmeldung des Transplantationszentrums: Der Spen- der sei zu alt. „Der Spender war 54 Jahre, der mögliche Empfänger wä- re 14 Jahre alt gewesen, da ist die Ablehnung nachvollziehbar“, sagt Rahmel.

20.10 Uhr: Anruf beim nächsten Transplantationszentrum.

20.52 Uhr: Dieses ruft zurück mit der Mitteilung, die Niere werde angenommen. Ein Transplantati-

Foto: mauritius-images

ORGANALLOKATION

Die Suche nach dem passenden

Empfänger

Wie Eurotransplant Organe vermittelt.

Ein Besuch im niederländischen Leiden

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A 2370 Deutsches Ärzteblatt

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3. Dezember 2010 onszentrum, dem bereits ein Reser-

veangebot unterbreitet wurde, er- hält nun eine Absage.

Um 14.53 Uhr desselben Tages:

ET wird eine Leber angeboten.

14.57 Uhr: Das zuerst kontak- tierte Transplantationszentrum hält den potenziellen Empfänger für transplantabel.

22.26: Inzwischen ist das Organ in die entsprechende Klinik trans- portiert worden. Der Transport der Organe muss schnell erfolgen, un- ter Umständen wird ein Helikopter oder ein Flugzeug benutzt. Aber die Ärzte vor Ort lehnen das Organ ab.

Sie halten die Qualität der Leber of- fenbar für schlechter als das Ent- nahmeteam.

22.29 Uhr: Ein ursprüngliches Reserveangebot, das wegen der Zu- sage des als Erstes kontaktierten

Zentrums zurückgezogen wurde, wird wiederholt. Es kommt eine Absage: Es hält die Leber, ebenso wie die Kollegen, für zu verfettet.

22.33 Uhr: Anruf beim nächsten Transplantationszentrum.

22.46 Uhr: Das Angebot wird auch hier abgelehnt. Dazu Rahmel:

„Drei unterschiedliche Transplanta-

tionszentren haben also mit der Ar- gumentation, dass die Leber zu ver- fettet sei, die Transplantation abge- lehnt. Was kommt dann? Das be- schleunigte Vermittlungsverfahren.

Nach den Richtlinien der Bundes- ärztekammer erfolgt dies immer dann, wenn mindestens drei unab- hängige Zentren ein Organ aus medizinischen Gründen abgelehnt haben. Bei der Niere sind es fünf.“

Das beschleunigte Vermittlungsver- fahren bedeutet eine bevorzugte

Allokation in der Region, in der das Organ zuletzt angeboten worden war.

23.12 Uhr: Eines der dort an - gefragten Transplantationszentren hält die Leber für geeignet. Nach circa acht Stunden ist die Vermitt- lung abgeschlossen.

Wenn auch dieses Zentrum die Leber abgelehnt hätte, wäre sie noch einmal dem Entnahmezen- trum angeboten worden. „Es hat die Leber ja für transplantabel gehal- ten“, sagt Rahmel. „Man kann also davon ausgehen, dass es die im ei- genen Zentrum entnommene Leber dann auch transplantiert hätte.

Doch auch das ist nicht immer der Fall.“ Wenn das entnehmende Zen- trum die Leber ebenfalls abgelehnt hätte, wäre sie verworfen worden.

Am Tag nach der Allokation wird jeder einzelne Schritt noch einmal genau überprüft und proto- kolliert, die Mitarbeiterinnen neh- men noch einmal Kontakt mit den Transplantationszentren auf. Erst wenn auch ihre Rückmeldung sorg- fältig dokumentiert wurde, ist der Vorgang abgeschlossen. ■

Gisela Klinkhammer Der Kardiologe

Axel Rahmel ist seit 2005 Ärztlicher Direktor bei Euro-

transplant.

Drei unterschiedliche Transplantationszentren haben also mit der Argumentation, dass die Leber zu verfettet sei, die Transplantation abgelehnt. Was kommt dann?

Dr. med. Axel Rahmel, Ärztlicher Direktor von Eurotranplant

Foto: privat

Eurotransplant (ET) ist die älteste länderüber- greifende Organaustauschorganisation weltweit.

Gegründet wurde sie im Jahr 1967 in Leiden von dem niederländischen Immunologen Jon van Rood. Dessen inzwischen bestätigte Hypo- these: Bei weitgehender HLA-Identität von Spender und Empfänger wird die Abstoßung ei- nes Transplantats unwahrscheinlicher. Wegen des hohen Polymorphismus von abstoßungs - relevanten Genen benötigt eine gewebekom - patible Vermittlung einen großen Spender-Emp- fänger-Pool.

Im September 1967, nur wenige Wochen nach Gründung von Eurotransplant, wurde die erste postmortal gespendete Niere vermittelt.

Ein Jahr darauf erschien der erste ET-Newslet- ter mit Kurznachrichten für alle beteiligten Chir - urgen, Nephrologen und Immunologen. Bereits im Januar 1968 wurde ET von 27 kooperieren- den Zentren in Belgien, Deutschland und den Niederlanden unterstützt. „Weil die Ergebnisse so gut waren, haben immer mehr Zentren frei- willig am Verbundsystem teilgenommen“, sagt der Ärztliche Direktor, Dr. med. Axel Rahmel.

Seit 1979 wurden außer Nieren auch andere Organe vermittelt, bis Ende 2010 dürften es insgesamt circa 141 000 werden. Statistisch wird jedes sechste Organ transnational verge- ben. Optimale Gewebeverträglichkeit gibt es bei 20 Prozent der Nieren.

Heute gehören zu ET außer den Nie- derlanden Belgien, Deutschland, Kroa- tien, Luxemburg, Österreich und Slo- wenien; insgesamt leben in der ET- Region 124,5 Millionen Menschen.

Es kooperieren Transplantationszentren, Gewebetypisierungslabore und alle Kran- kenhäuser, die Organ explantieren.

„In der Vergangenheit war der For- schungsanteil größer, heute steht der Service- charakter eher im Vordergrund“, erläutert ET- Generaldirektor Arie Oosterlee. Um eine im Sin- ne der Mitgliedsländer optimale Verwendung gespendeter Organe zu ermöglichen, konzen- triert sich ET auf drei Kernbereiche: die Allokati- on, die Weiterentwicklung von Allokationsalgo- rithmen sowie die Sammlung und Auswertung von Daten. Register sind unerlässlich, um den

Einfluss zahlreicher Faktoren auf Dringlichkeit und Erfolgsaussicht qualitativ und quantitativ bewerten zu können, aber auch für die Qualitäts - sicherung. In dem von der EU-Kommission ge-

förderten EFRETOS-Projekt werden dazu Daten aus Europa zusammengeführt.

Die Voraussetzungen, die ein Land erfüllen muss, um ET beizutreten,

sind umfangreich und klar defi- niert. „Wir haben Interesse dar -

an, den Verbund von ET zu er- weitern, und umgekehrt sehen vor al- lem kleinere Länder eine große Chan- ce, durch internationale Kooperation die Transplantation zu optimieren“, sagt Oosterlee. Mögliche Kandidaten gebe es in Osteuropa mit Estland, Serbien und Ungarn, aber auch mit größeren mitteleuropäischen Ländern ließen sich Kooperationen intensivie- ren. Oosterlee: „Wir würden uns wünschen, dass sich die Politik stärker um Kontakte und verbindliche Vereinbarungen mit anderen Län- dern bemüht und den Rahmen für Überwa- chungsaufgaben klarer absteckt.“

GESCHICHTE UND PERSPEKTIVEN VON EUROTRANSPLANT

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Referenzen

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