Haltbarkeit der Serumenzyme beim Versand
Sadegh Massarrat und Volker Herbert
Aus der Medizinischen Universitäts-Poliklinik Marburg (Kommissarischer Direktor: Professor Dr. H. Kaffarnik)
Viele Kollegen glauben, daß die Serumenzyme sehr labil sind und wegen des Aktivitätsverlustes am Ort der Blutentnahme bestimmt werden müssen. Anhand von Literatur und eigenen Untersuchungen wird gezeigt, daß die Seren für die Bestimmung der diagnostisch wichtigen Enzyme einfach verpackt versandt werden können, da kein wesentlicher Aktivitätsverlust eintritt. Durch die Möglichkeit der Me- chanisierung in den größeren Laboratorien lassen sich Fehlbestim- mungen durch falsches Pipettieren reduzieren.
Die rapide Zunahme der klinisch- chemischen Untersuchungen bei anhaltender Steigerung der Perso- nalkosten hat zwangsläufig zur Ml:!- chanisierung im Bereich des kli- nisch-chemischen Laboratoriums geführt. Die hohen Kosten der An- schaffung und Instandhaltung der Geräte sind jedoch nur bei optimaler Auslastung der Geräte sinnvoll.
Allgemein herrscht die Meinung, daß die für die Diagnostik wichtigen Serumenzyme sehr labil sind und zur Vermeidung des Aktivitätsverlu- stes am Ort der Blutentnahme be- stimmt werden müssen (1). Zweck dieser Arbeit ist es, die Kollegen aus der Praxis über die Haltbarkeit der Enzyme zu informieren.
Die katalytische Funktion des En- zymproteins findet in bestimmten Arealen des Proteins, den aktiven Zentren, statt. Für die Funktion der aktiven Zentren ist die Erhaltung ei- ner bestimmten Struktur und räumli- chen Anordnung des gesamten oder eines großen Anteils des Enzympro- tains erforderlich. Die Funktion des aktiven Zentrums kann; durch die Anwesenheit niedermolekularer Verbindungen (zum Beispiel Fremd-
stoffe, Salze) gefördert (sogenannte Aktivatoren) oder gehemmt werden (sogenannte Inhibitoren); entspre- chend können sich auch eine erheb- liche Verdünnung des Enzyms, die Änderung des pH und andere Mi- lieufaktoren auswirken. Schließlich kommt der Temperatur eine wesent- liche Bedeutung für die Stabilität des Enzymproteins und der katalyti- schen Funktion zu. Nur durch Ge- brauch von Röhrchen, die nach dem Reinigen mit üblichen Detergentien gründlich gewaschen und mehrmals mit destilliertem Wasser nachge- spült wurden, können Fremdstoffe, die auf die Aktivität des Enzyms ei- nen Einfluß haben, ausgeschaltet werden.
Da die Erythrozyten reich an einigen Enzymen wie Laktatdehydrogenase und Glutamat-Oxalazetat-Transami- nase sind und bei mehrstündigem Aufbewahren des Blutes bereits durch Mikrohämolyse diese Enzyme freigesetzt und im Serum erhöht ge- messen werden, sollte das Blut nach Möglichkeit innerhalb von ein bis zwei Stunden nach der Abnahme zentrifugiert und das Serum dann für die Messung aufbewahrt oder versandt werden.
Zur Fortbildllllg Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
Die Haltbarkeit aller in der Diagno- stik wichtigen Enzyme im Serum so- wohl im Kühlschrank als auch bei Zimmertemperatur ist mehrfach un- tersucht worden (2, 3, 4 und 5) Die Aktivitätsverluste im Serum be- tragen:
~ für Glutamat-Oxalazetat-Trans- aminase (GOT) in 48 Stunden weni- ger als 10 Prozent bei Zimmertem- peratur und weniger als 6 Prozent bei Kühlschranktemperatur,
~ für die etwas labilere Glutamat- Pyruvat-Transaminase (GPT) etwa 22 Prozent bei zweitägiger Aufbe- wahrung bei Zimmertemperatur und weniger als 7 Prozent im Kühl- schrank,
~ für die besonders stabile alkali- sche Phosphatase (AP) ändert sich die Aktivität bei Zimmertemperatur selbst bei einwöchiger Aufbewah- rung kaum,
~ für die Laktatdehydrogenase (LDH) bei Aufbewahrung über 48 Stunden bei Zimmertemperatur we- niger als 13 Prozent, im Kühlschrank weniger als 20 Prozent.
~Die Gamma-Glutamyl-Transpepti- dase (y-GT) ist ebenso wie die AP stabil und büßt in einigen Tagen bei Zimmertemperatur oder im Kühl- schrank kaum an Aktivität ein.
~ Die Alpha-Amylase ist sehr stabil, ihre Aktivität bleibt mindestens für
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 30 vom 28. Juli 1977 1909
Zur Fortbildllllg Aktuelle Medizin Serumenzyme
Tabelle 1: Verhalten der Enzymaktivität der Seren mit normal***) bis leicht erhöhten Werten durch den Versand (n
=
32)GOT (mU/ml) GPT (mU/ml) AP (mU/ml) LOH (mU/ml)
vor nach vor nach vor nach vor nach
16,2*) 16,3 14,1 13,6 37,4 39,5 173,2 167,5
± 12,4**) ±14,1 ±15,3 ±17,4 ±22,1 ±23,4 ± 69,8 ± 58,7
Änderung 0% - 4%
+
6%-
3%•) Mittelwert
••) eine Standardabweichung
•••) Normalbereiche: GOT < 12, GPT < 12, AP < 30, y-GT < 30 und LOH < 200 mU/ml
Tabelle 2: Verhalten der Aktivität der Serumenzyme mit leicht bis mäßig erhöhten Werten durch den Versand
GOT (n = 13) GPT (n = 12) AP (n = 8) y-GT (n = 32) LOH (n = 8)
vor nach vor
26,9 27,9 28,9
±13,5 ±16,3 ±16,6 Änderung
+
4%eine Woche bei Zimmertemperatur konstant.
...,. Die Kreatinphosphokinase (CPK) wird unter den jetzt üblichen Bedin- gungen im Test reaktiviert.
Bei den oben genannten Untersu- chungen wurden die Seren bei kon- stanter Temperatur über den ge- nannten Zeitraum aufbewahrt; es kann vermutet werden, daß die En- zymproteine bei variabler Tempera- tur der Umgebung und eventueller Bewegung während des Versandes eine zusätzliche Aktivitätsminde- rung erfahren. Zur Klärung dieser Frage wurden jeweils 5 bis 10 Seren am Montag oder Dienstag nach Be- stimmung der Aktivität der GOT, GPT, LOH, AP und y-GT in Behälter verpackt und durch die Post einem etwa 200 Kilometer entfernten Ort zugesandt.
Der Versand erfolgte über mehrere Wochen in den beiden warmen Mo- naten August und September letzten
nach vor nach vor nach vor nach
27,7 69,7 74 65,6 66 276 255
±22,4 ±17,7 ±19,5 ±40,3 ±39,1 ± 56 ± 42
-4%
+
6%Jahres. Die Packung wurde durch den Empfänger am Empfangstag wieder mit der Post zurückge- schickt. Die Aktivität der Enzyme wurde erneut mit der gleichen Me- thodik (Substrate und Puffer der Firma Boehringer) bestimmt.
Das Zeitintervall zwischen der 1. und 2. Bestimmung nach dem Versand betrug mindestens 2, in den meisten Fällen jedoch 3 Tage und in seltenen Fällen 4 Tage. Die Tabellen 1 und 2 zeigen die Ergebnisse dieser Unter- suchungen an 32 Seren mit vorwie- gend leicht bis mäßig erhöhten En- zymwerten. Es kommt bei den Seren mit den Normalwerten als auch bei denen mit erhöhten Werten zu kei- nem meßbaren Aktivitätsverlust Die Ergebnisse der Untersuchungen mehrerer Autoren zeigen in Überein- stimmung mit den eigenen Untersu- chungen, daß die für die Diagnostik wichtigen Enzyme nicht umgehend nach der Blutentnahme bestimmt werden müssen, sondern auch in ein
+
1% - 8%großes Laboratorium an einem an- deren Ort verschickt werden können.
Literatur
(1) ARD-Sendung Pro und Contra vom 26. 2.
1976, Stellungnahme von Prof. Häussler- (2) Schmidt, E., und Schmidt, F. W.: Untersuchun- gen über die Alterung von Enzymen in vitro, Enzymol. biol. clin. 3 (1963) 80- {3) Massarrat, S.: Studien über die in vitro-Aiterung der Transaminasen im Serum und im Gewebsex- trakt, Enzymol. biol. clin. 5 (1965) 200 - (4) Amelung, D., Hofmann, L., und Otto, L.: Unter- suchungen zur Haltbarkeit der Ferment-Aktivi- tät im Serum, Deutsch. Med. Wschr. 91 (1966) 851 - (5) Schmidt, E., und Schmidt, F. W.: Kleine Enzym-Fibel, Diagnostika Boehringer, Mannheim, 1973.
Anschrift für die Verfasser:
Professor
Dr. med. Sadegh Massarrat Medizinische Poliklinik der Philipps-Universität Emii-Mannkopf-Straße 3550 Marburg/Lahn
1910 Heft 30 vom 28. Juli 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT