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Archiv "Neurodegenerative Erkrankungen: Gemeinsamkeiten mit Prionen" (23.03.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Heft 12

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23. März 2012 A 585

P

roliferation eines infektiösen Agens und Krankheitsüber- tragung ohne Nukleinsäure, nur durch Wechselwirkungen zwischen Proteinen: Die Prionen-Hypothese, die Prof. Dr. med. Stanley Prusiner Anfang der Achtzigerjahre aufge- stellt hatte, war damals höchst um- stritten, geradezu ketzerisch. Inzwi- schen gilt die Existenz von Prionen (proteinaceous infectious agents) als belegt. Prusiner hat 1997 den Medizinnobelpreis für seine Entde- ckungen erhalten Er arbeitet noch immer an der University of Califor- nia in San Francisco.

„Das war die erste Revolution“, sagte Prusiner bei einem Symposi- um der Ipsen-Foundation zum The- ma „Proteopathic seeds and neu - rogenerative disorders“ in Paris.

Seither gilt: Die Creutzfeld-Jakob- Krankheit (CJK), die familiäre töd- liche Insomnie, Kuru oder das erb - liche Gerstmann-Sträussler-Schein- ker-Syndrom – diese Krankheiten entstehen, wenn sich Proteine durch Änderung ihrer Sekundärstruktur von normalen in pathogene Eiweiß- moleküle umwandeln, in Nachbar- proteinen dieselbe Änderung her- vorrufen („Replikation“) und sich schließlich zu zellschädigenden Ag- gregaten zusammenlagern.

Prionenerkrankungen sind über- tragbar, innerhalb einer Spezies eher als über Speziesgrenzen hin- weg. Dennoch trat Mitte der 90er Jahre eine Variante der CJK als Zoonose auf: BSE-verseuchtes Fleisch, das Prionen (PrPSc) ent- hielt, war der Auslöser (1, 2).

Nun sei die Zeit der zweiten Re- volution gekommen, meint Prusi- ner: „Das Spektrum der bislang be- kannten Prionerkrankungen beim Menschen erweitert sich um viele, vielleicht sogar alle neurodegenera- tiven Erkrankungen des Menschen.“

Posttranslationale Konformati- onsänderungen von Eiweißmole - külen – spontan ausgelöst, durch Umwelt- oder genetische Faktoren begünstigt – führen zur Bildung un- löslicher Aggregate: Bei M. Alzhei- mer kommt das Aβ-Amyloid, ein Spaltprodukt des Amyloid-Vorläu- ferproteins (APP), in falsche Form, ebenso das Tau-Protein. Auch bei erblichen Formen der frontotempo-

ralen Demenz, wie Pick-Krankheit, und bei traumatischen Enzephalo- pathien, etwa der Dementia pugilis- tica, wirken anomal aggregierte Tau-Proteine pathogenetisch. Im histologischen Präparat sind sie als Neurofibrillenbündel sichtbar (Ab- bildung). Bei M. Parkinson und der Lewy-Körperkrankheit ist es das α-Synuklein, bei der familiären amyotrophen Lateralsklerose das durch Genmutation veränderte En- zym Superoxiddismutase 1.

Keine Alzheimer-Epidemien Neurodegenerative Erkrankungen gelten als nicht infektiös: Bislang sind keine Alzheimer- oder Parkin- son-Epidemien bekanntgeworden, enger Kontakt zwischen Patienten und Ärzten oder Pflegenden führt nicht zur Übertragung der Krank- heit. „Dennoch deuten aktuelle Un-

tersuchungsergebnisse, vor allem aus den letzten fünf Jahren, darauf hin, dass sich die für die Pathogene- se neurogenerativer Erkrankungen relevanten Proteine auf ähnliche Weise vermehren und ausbreiten wie Prionen“, so Prof. Mathias Ju- cker vom Hertie-Institut für klini- sche Hirnforschung an der Univer- sität Tübingen, bei der Einführung in die Tagung. Unter den experi-

mentellen Bedingungen des Labor- versuchs sind Amyloidosen, Tauo- und Synukleinopathien auf gesunde Tiere übertragbar.

Wie die sogenannten „seeds“

entstehen, Oligomere der entspre- chenden Proteine, die die Kaska- de von Aggregation und Ablage- rung anstoßen, erläuterte Prof. Dr.

med. Claudio Soto, Neurologe an der University of Texas Medical School in Houston, Texas, modell- haft für Amyloidosen: Ein normales Aβ-Amyloid ändert seine räumli- che Form durch Erhöhung des β-Faltblattanteils. Die Fehlfaltung macht das Molekül starrer und be- günstigt eine entsprechende Kon- formationsänderung in Nachbar- proteinen. Sie lagern sich an. Nach einer oft Jahre oder Dekaden dau- ernden Prodromalphase erreichen die Oligomere eine kritische Masse:

Neurofibrillen- bündel (grün) im Zytoplasma (blau) einer Nervenzelle von Hirngewebe eines Alzheimerpa- tienten (elektronen- mikroskopische kolorierte Aufnahme)

Foto: Thomas Deerinck/SPL/Agentur Focus

NEURODEGENERATIVE ERKRANKUNGEN

Gemeinsamkeiten mit Prionen

Neurodegenerative Erkrankungen gelten als nicht übertragbar. Neue Daten weisen darauf hin, dass die auslösenden Proteine sich ähnlich vermehren und ausbreiten wie Prionen. Das könnte weitreichende Folgen für Medizin und Forschung haben.

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23. März 2012 Diese „seeds“ beschleunigen den

Anlagerungsprozess (Elongations- phase), es bilden sich größere, un- lösliche Aggregate. Eine Kaskade, die ein lang bestehendes Gleichge- wicht zugunsten fehlgefalteter Pro- teine verschiebt. Und solche Aggre- gate sind mobil. In Tiermodellen für Synukleinopathien finde man die ersten Ablagerungen von α-Sy- nukleinen in neuronalen Axonen, vermutlich wegen einer hohen Dichte des Proteins in präsynpati- schen Membranen, berichtete Prof.

Dr. med. Virgina Lee, University of Pennsylvania School of Medicine in Philadelphia. Präformierte Synu- klein-Aggregate werden von Neu- ronen gesunder Wildtyp-Mäuse aufgenommen und antero- oder re- trograd über die Länge des Neurons transportiert. Über den synapti- schen Spalt können die Aggregate in Nachbarzellen gelangen, ähnlich wie dies im Tiermodell für Tau-Pro- teine gezeigt worden ist: Ausge- hend von Ablagerungen im entorhi- nalen Cortex breiteten sich diese bis zu Hippocampus und Neocortex aus (3). Als Mechanismen werden Protein-Protein-Wechselwirkungen zwischen Membranen von Nach- barzellen vermutet, außerdem Exo- und Endozytose. Für β-Amyloide

ging man lange davon aus, dass sie nicht aus Zellen herausgelangen.

Wie bei Prionerkrankungen also können Tau-, Amyloid- oder α-Sy- nuklein-Aggregate von der Peri- pherie aus das Gehirn befallen. Ju- cker berichtete über Experimente mit gesunden, jungen Mäusen, die im höheren Lebensalter Alzheimer- typische Veränderungen entwi- ckeln, weil sie das Gen für humanes APP23 exprimieren. Jungen Tieren wurden kleine Mengen Hirnextrakt von alten, transgenen Mäusen ins Peritoneum injiziert. Sieben Mona- te später hatten alle Tiere eine deut- liche β-Amyloidose im Gehirn, nicht aber Kontrolltiere, die Puffer- lösung oder Hirnextrakt von Wild- typ-Mäusen erhalten hatten (4).

Monozyten als Transporter Monozyten könnten als Transporter für die pathogenen Amyloide fun- gieren, sagte Jucker. Frühere Studi- en hatten ergeben, dass Hirnextrakt von Patienten, ins Gehirn transge- ner Mäuse injiziert, die Tiere er- kranken ließ.

Soto stellte auch noch unpubli- zierte Daten zur Amyloidose-Über- tragung über einen bislang kaum er- forschten Weg vor: Blut. Jungen, transgenen Mäusen, die humanes

APP und mutiertes Präsenilin 1 ex- primierten, wurde Blut von eben- falls transgenen, älteren Tieren in- fundiert oder von Wildtyp-Mäusen zur Kontrolle. Neun Monate nach zwei Infusionen fand man massi- ve β-Amyloid-Plaques im Hirn von Tieren der Verumgruppe. Anders als bei den Kontrollen trat bei die- sen Mäusen ein deutlicher Verlust des räumlichen Gedächtnisses auf.

Es gab eine Art Dosis-Wirkungs-Be- ziehung: Je mehr Bluttransfusionen, desto stärker die Plaqueentwick- lung. Den histologischen Verände- rungen in Hippo campus und fronta- lem Cortex ließ sich durch einen Blutaustausch vorbeugen.

Wie bei Prionen klappt offenbar die Anregung zur Fehlfaltung zwi- schen Molekülen umso besser, je ähnlicher sie sich sind. Vermutet wird aber auch ein „cross-seeding“:

Proteine mit einigen Unterschieden in der Aminosäuresequenz können sich wechselseitig in pathologische Form bringen. So können Aβ-Amy- loide und Prionproteine gegenseitig ihre Akkumulation fördern, wie Soto und Kollegen herausfanden (5). Auch zwischen α-Synuklein, β-Amyloid und Tau-Proteinen gibt es pathologisch relevante Interak- tionen. Mitochondrien-Dysfunktio- nen, zum Beispiel bei M. Alzhei- mer, sind möglicherweise eine Fol- ge von Aggregatbildungen (6).

„Insgesamt haben Studien der letzten Jahre ergeben, dass fehlge- faltete Proteine, die Morbus Alzhei- mer oder Parkinson zum Beispiel auslösen, normalgefaltete Proteine ebenfalls in schlechte Form brin- gen“, erläuterte Soto. Zusätzlich ge- be es Transmissionen von Zelle zu Zelle und in Laborversuchen von Tier zu Tier. „Natürlich haben wir die tierexperimentellen Studien zur Übertragung von β-Amyloiden durch Blut im Hinblick darauf ge- macht, dass Blut ein für den Men- schen wichtiger Transmissionsweg wäre“, sagte Soto im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. „Bis- lang aber haben sich fehlgefaltete β-Amyloide im Blut des Menschen nicht nachweisen lassen.“

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit1212 Welche Fragen ergeben sich

aus den neueren Daten zur Pathogenese neurodegene- rativer Erkrankungen?

Beyreuther: Wichtig ist die Frage nach dem „Kristallisationskeim“:

Wodurch wird die Eiweißpatholo- gie ausgelöst? Gibt es krank- heitsfördernde Substanzen in der Umwelt oder protektive? Die Alz- heimer-Erkrankung beginnt mit intrazellulären Ablagerungen von β-Amyloiden, im weiteren Verlauf reichern sich Neurofibrillenbündel aus Tau-Proteinen an, gefolgt von der Synukleinopathie. Wenn sich diese Prozesse wechselseitig be- einflussen, wie nun vermutet,

wird die Krankheitsentwicklung extrem komplex.

Die Erkrankungen haben of- fenbar Gemeinsamkeiten mit Prionen. Hat das Bedeutung für den Gesundheitsschutz?

Beyreuther: Nur die Tierexperi- mente weisen auf eine potenziel- le Infektiösität erkrankter Gewebe hin. Dennoch sollten möglicher- weise kontaminierte chirurgische Instrumente vor dem Kontakt mit Hirngewebe anderer Patienten speziell dekontaminiert werden.

Und wenn es Hinweise auf eine Übertragbarkeit von

Amyloidosen über den Blut- weg bei Menschen gäbe?

Beyreuther: Noch gibt es sol- che Hinweise nicht. Würde sich aber herausstellen, dass Protei- ne, die klassische neurodege- nerative Erkrankungen auslösen wie M. Alzheimer oder Parkin- son, ähnlich infektiös sind wie manche Prionen, müsste man dies eventuell bei Vorsichts- maßnahmen für Blut-, Organ- und Gewebespenden berück- sichtigen und die Sicherheits- stufen in der Forschung erhö- hen. Bei Transfusionen wäre ein gewisser Abgleich von Spender- und Empfängeralter denkbar.

3 FRAGEN AN . . .

Prof. Dr. em. Konrad Beyreuther, Universität Heidelberg

Foto: privat/NAR

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23. März 2012

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 12/2012, ZU:

NEURODEGENERATIVE ERKRANKUNGEN

Gemeinsamkeiten mit Prionen

Neurodegenerative Erkrankungen gelten als nicht übertragbar. Neue Daten weisen daraufhin, dass die auslösenden Proteine sich ähnlich vermehren und ausbreiten wie Prionen. Das könnte weitreichende Folgen für Medizin und Forschung haben.

LITERATUR

1. Collinge J: Prion diseases of humans and animals: their causes and molecular basis. Annu Rev Neurosci 2001; 24:

519–20.

2. Collinge J: The risk of prion zoonoses.

Science 2012; 335: 411–3.

3. Liu L, Drouet V, Wu JW et al.: Trans-sy- naptic spread of Tau pathology in vivo.

PLoS One 2012; 7: e3102.

4. Eisele YS, Obermüller U, Heilbronner G:

peripherally applied Aβ-containing inocu- lates induce cerebral β-amyloidosis.

Science 2010; 330: 980–2.

5. Morales R, Estrada LD, Diaz-Espinosa R et al.: Molecular cross talk between misfol- ded proteins in animal models of Alzhei- me’s and prion diseases. J Neurosci 2010; 30: 4528–35.

6. Grübler B: Alzheimer-Demenz: Die For- schung steht unter Druck. Dtsch Arztebl 2012; 109(1–2): 26–8.

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Referenzen

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