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ie Eignungsvoraussetzungen für Notärzte fallen in die Zuständig- keit der Bundesländer. Dort exi- stieren unterschiedliche Richtlinien und Vorgaben für die Weiterbildung und die Tätigkeit als Notarzt. Die Vielzahl der verschiedenen Eignungsvoraussetzun- gen führt zu teils erheblichen Unterschie- den bei der Qualifikation der Notärzte und zu Verunsicherung bei Kolleginnen und Kollegen in der Weiterbildung.Die Tätigkeit als Notarzt setzt nicht nur ein breit gefächertes notfall- und in- tensivmedizinisches Fachwissen voraus, zunehmend befindet sich der Notarzt auch in der Rolle des Logistikers, der bereits präklinisch kompetente organi- satorische Entscheidungen treffen muss. Die Umsetzung dieser Anforde- rungen wird wegen der Zuständigkeit der Länder auf unterschiedlichen We- gen beschritten. Dabei variieren die Eignungskriterien für die als Notärzte eingesetzten Kolleginnen und Kollegen zum Teil erheblich.
Ziel der ärztlichen Mitwirkung im Rettungsdienst ist eine gleichmäßige Versorgung von Notfallpatienten auf ho- hem Niveau, da der Bürger im Rahmen des Rettungsdienstes einen gesetzlich garantierten Anspruch auf eine flächen- deckende, hilfsfristorientierte und quali- fizierte notärztliche Hilfe hat (1).
Gesetzliche Grundlagen
In den Rettungsdienstgesetzen der Länder (RDG) werden die Vorausset- zungen zur Mitwirkung von Ärzten im Rettungsdienst nicht explizit genannt;
die Vorgabe beschränkt sich auf die ge- nerelle Eignung für die Mitwirkung im Rettungsdienst und einen Verweis auf die Satzungen der Landesärztekam- mern (LÄK). Diese nennen in ihren
Weiterbildungsordnungen und Richtli- nien teils erheblich unterschiedliche Anforderungen für die Qualifikation von Notärzten. Bei einigen Landesärz- tekammern gibt es infolge der Über- gangsregelungen im Rahmen der Ein- führung der durch die Bundesärzte- kammer geforderten Zusatzbezeich- nung „Notfallmedizin“ nebeneinander
mehrere gültige Bestimmungen, abhän- gig vom Beginn der klinischen Tätigkeit oder der Weiterbildung zum Notarzt.
Die Pflichtmitgliedschaft in einer Bezirksärztekammer und Landesärzte- kammer richtet sich in erster Linie nach dem Ort der ärztlichen Tätigkeit, liegt eine solche nicht vor, nach dem Haupt- wohnsitz. Für Baden-Württemberg sind beispielsweise die Bezirksärztekam- mern rechtlich unselbstständige Glie- derungen der Landesärztekammer, so- dass alle berufsausübenden Ärzte Pflichtmitglieder der Landesärztekam- mer sind (2). Die Vorgaben für den Er-
werb eines Qualifikationsnachweises, der die Teilnahme am Notarztdienst er- möglicht, werden also von der Lan- desärztekammer vorgegeben und von der Bezirksärztekammer überprüft.
Von den 17 Landesärztekammern werden fünf verschiedene Eignungs- nachweise für Ärzte vergeben, um am Rettungsdienst als Notarzt/Notärztin teilzunehmen:
>Fachkundenachweis „Rettungs- dienst“
>Fachkunde „Arzt im Rettungsdienst“
>Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“
>Zusatzbezeichnung „Rettungsme- dizin“
>„Rettungsarzt“ (ehemals Ärzte- kammer Westfalen-Lippe).
Zusätzlich zu unterschiedlichen Eig- nungsnachweisen werden die Eignungs- kriterien von den Landesärztekammern teilweise unterschiedlich geregelt.
Die Bundesärztekammer fordert in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 1997, dass zur Sicherung der Qualifikation für die Tätigkeit als Notarzt eine führbare Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“
vorgesehen werden muss, um den erfor- derlichen hohen Qualitätsstandard der notärztlichen Versorgung sicherzustellen (1). In einigen Bundesländern ist diese Forderung bereits umgesetzt. Diese er- teilen die Zusatzbezeichnung „Notfall- medizin“ zusätzlich beziehungsweise al- ternativ zum Fachkundenachweis „Ret- tungsdienst“. In der jeweils gültigen Wei- terbildungsordnung (WBO) sind die Einzelnachweise zwar nicht näher erläu- tert, werden jedoch in den zugehörigen Richtlinien zur WBO konkretisiert. Zum Erwerb des Fachkundenachweises oder der Zusatzbezeichnung ist die am Beginn der Ausbildung gültige Weiterbildungs- ordnung mit Richtlinien verbindlich.
Die Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Notarzt für die Erstversorgung akut T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 31–325. August 2002 AA2095
Notfallmedizin
Einheitlichkeit notwendig
Die Qualifikationsanforderungen für Notärzte in den
Bundesländern variieren stark. Eine einheitliche Ausbildung der Notärzte ist nicht gewährleistet.
Jochen Hinkelbein Harald Genzwürker Klaus Ellinger
Zunehmend befindet sich der Notarzt in der Rolle des Logistikers. Foto: dpa
lebensbedrohter Patienten bei Er- krankungen beziehungsweise Unfällen benötigt, müssen so umfassend und spe- zifisch sein, dass dieser bei einem breiten Spektrum von Notfällen eine wirkungs- volle präklinische Intensivtherapie ein- leiten kann. Einheitlich werden bei jeder Landesärztekammer Vorgaben für die Erfahrung in bestimmten Bereichen ge- fordert (Dauer der klinischen Tätigkeit, intensivmedizinische Tätigkeit, Einzel- nachweise, Kurse). Allerdings bestehen dabei erhebliche Unterschiede in der Anzahl und Dauer der nachzuweisen- den Tätigkeiten und Eignungskriterien.
Die meisten Landesärztekammern fordern 18 Monate klinische Tätigkeit nach Erteilung der Berufserlaubnis. Die Spannweite reicht allerdings von zwölf Monaten (LÄK Hessen und Schleswig- Holstein) bis hin zu 30 Monaten (LÄK Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen). Beispiel:
Während in Hessen die Qualifikation als Notarzt schon während des AiP (zwölf Monate) erworben werden kann und nach Erhalt der Vollapprobation erteilt wird, ist in anderen Bundeslän- dern die Vollapprobation Vorausset- zung, um die Weiterbildung zum Not- arzt überhaupt beginnen zu dürfen.
Für die geforderte Dauer der Tätig- keit auf Intensivstationen, in der An- ästhesie oder in einer Notaufnahme exi- stieren ebenfalls erhebliche Unterschie- de. In Schleswig-Holstein wird von der LÄK lediglich „praktische Erfahrung in der Intensivtherapie“ (ohne nähere De- finition) gefordert, bei der Landesärzte- kammer Berlin müssen zwölf Monate ganztägige Tätigkeit auf einer Intensiv- station nachgewiesen werden.
Prüfungen
Prüfungen nach Abschluss der Kurse, um einen adäquaten Wissensstand der Notärzte zu verifizieren, werden nur in einigen Bundesländern verlangt. Zum Erwerb der Zusatzbezeichnung „Not- fallmedizin“ wurden in Baden-Würt- temberg, in Rheinland-Pfalz und im Saarland Prüfungen eingeführt.
Die Anzahl der nachzuweisenden Notarzteinsätze unter Anleitung eines erfahrenen Notarztes variiert erheb- lich:Während in Hessen und Schleswig-
Holstein fünf lebensrettende Einsätze genügen, müssen in Berlin 100 Einsätze unter Aufsicht nachgewiesen werden.
Andere Landesärztekammern fordern zwischen 25 und 50 Einsätze zum Er- werb ausreichender praktischer Erfah- rung für die eigenständige Teilnahme am Notarztdienst. Die Anforderungen an den notärztlichen Tutor (in der Re- gel ohne nähere Angaben als „erfahre- ner Notarzt“ bezeichnet) sind dabei ebenfalls unterschiedlich: Derzeit ge- nügt in den meisten Fällen als Qualifi- kation der Fachkundenachweis „Ret- tungsdienst“, in Baden-Württemberg wird jedoch beispielsweise ab dem 1. Ja- nuar 2003 die praktische Ausbildung auf arztbesetzten Rettungsmitteln nur noch unter Aufsicht eines Arztes mit der Zusatzbezeichnung „Notfallmedi- zin“ möglich sein.
Qualifikation der Notärzte auf hohem Niveau
Die Einzelnachweise sind größtenteils identisch (25 endotracheale Intubatio- nen, 50 venöse und zentralvenöse Zu- gänge, zwei Thoraxdrainagen und ein Reanimationsstandard), bei einigen Landesärztekammern aber auch deut- lich umfangreicher (in Berlin beispiels- weise zusätzlich Beurteilung von 200 pathologischen EKGs, 30 zentralvenöse Zugänge, fünf Reanimationen, fünf Kardioversionen, zehn Defibrillatio- nen, in Sachsen-Anhalt beispielsweise zusätzlich fünf Entbindungen).
Zusätzlich zu den bereits genannten Differenzen bestehen in vielen Bun- desländern durch Einführung der von der Bundesärztekammer geforderten Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“
Übergangsregelungen zum Erwerb der Notarztqualifikation. Kriterien für die Anwendbarkeit einer Übergangsrege- lung sind bei der zuständigen Lan- desärztekammer zu erfragen. In der Re- gel sind der Beginn der Weiterbildung und der Termin des In-Kraft-Tretens der jeweiligen Weiterbildungsordnung ausschlaggebend.
Die präklinische Notfallmedizin und die ärztliche Mitwirkung im Rettungs- dienst liegen – wie auch die Ausbildung zum Notarzt – in der Gesetzgebungs- kompetenz der Bundesländer. Unter-
schiedliche Eignungskriterien in den meisten Bundesländern, Übergangsre- gelungen, geänderte rechtliche Bestim- mungen, stark variierende Ausbildungs- anforderungen und notwendige Tätig- keitsnachweise verunsichern nicht nur Kolleginnen und Kollegen in der Aus- bildung zum Notarzt, sondern erschwe- ren auch die Umsetzung eines einheitli- chen Standards in der Ausbildung von Notärzten in Deutschland.
Im Zuständigkeitsbereich einiger Landesärztekammern traten in den letzten Monaten im Zuge der Ein- führung der Zusatzbezeichnung „Not- fallmedizin“ Änderungen in Kraft, wel- che die Anforderungen an die Ausbil- dung zum Notarzt zum Teil deutlich er- höhen. Der Nachweis intensivmedizini- scher Tätigkeit kann allerdings bei den meisten Landesärztekammern durch eine Tätigkeit in der Anästhesie, einer Notaufnahme oder einer Wachstation umgangen werden. Hierbei können je- doch nicht immer ausreichende inten- sivmedizinische Kenntnisse erworben werden. Ähnlich wie bei den Mindest- anforderungen an die ausbildenden Notärzte oder die Erteilung der Weiter- bildungsbefugnisse ist hier die Definiti- on entsprechend qualifizierter Einrich- tungen denkbar.
Langfristig sollten eine bundesweit einheitliche Weiterbildung und gleiche Weiterbildungskriterien angestrebt werden, um eine Qualifikation der Notärzte auf gleichmäßig hohem Ni- veau und damit flächendeckend eine notfallmedizinische Versorgung ohne qualitative Unterschiede gewährleisten zu können.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2095–2096 [Heft 31–32]
Literatur
1. Bundesärztekammer (1997): Grundlagen und Grund- sätze zur Weiterentwicklung der Rettungsdienste und der notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. www.baek.de 2. Bezirksärztekammer Nordbaden (2001): Merkblatt zur
Kammermitgliedschaft: Pflichtmitgliedschaft – frei- willige Mitgliedschaft
Anschrift der Verfasser:
Jochen Hinkelbein, Harald Genzwürker Priv.-Doz. Dr. Klaus Ellinger
Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinikum Mannheim Theodor-Kutzer-Ufer 1–3, 68167 Mannheim T H E M E N D E R Z E I T
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A2096 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 31–325. August 2002