• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger: Neue Richtlinien verabschiedet" (19.03.2010)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger: Neue Richtlinien verabschiedet" (19.03.2010)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 476 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 11

|

19. März 2010

SUBSTITUTIONSBEHANDLUNG OPIATABHÄNGIGER

Neue Richtlinien verabschiedet

Die Bundesärztekammer hat novellierte Richtlinien zur Substitution beschlossen.

Dabei sind Gesetzesänderungen, Forschungsergebnisse und

Anforderungen einer veränderten Versorgungslandschaft mit eingeflossen.

S

eit der erstmaligen Verab- schiedung der „Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durch- führung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger“ im Jahr 2002 haben sich die Rahmenbe- dingungen für diese Behandlungs- form in vielerlei Hinsicht geändert.

Insbesondere veränderte gesetzliche Vorgaben, neue Erkenntnisse aus der Forschung sowie Veränderungen der Versorgungslandschaft machten eine Novellierung der Richtlinien erfor- derlich. Diese liegen nun mit Be- schluss des Vorstandes der Bundes- ärztekammer (BÄK) vom 19. Febru- ar 2010 vor (siehe dazu Bekanntga- be in diesem Heft) und beinhalten folgende Änderungen:

Die bisherigen Richtlinien der BÄK formulierten als oberstes Ziel der substitutionsgestützten Behand- lung die Suchtmittelfreiheit, die im Rahmen eines umfassenden Thera- piekonzepts über die Stufen Überle- benssicherung, gesundheitliche und soziale Stabilisierung, berufliche Rehabilitation und soziale Reinte- gration erreicht werden sollte. Mit den novellierten Richtlinien wur- den nun die Ziele und Indikations- gebiete an die Vorgaben der Be-

täubungsmittel-Verschreibungsver- ordnung angepasst (§ 5 Abs. 1 BtMVV). Somit ist künftig eine substitutionsgestützte Behandlung nicht nur zur schrittweisen Wieder- herstellung der Betäubungsmittel- abstinenz, sondern auch zur Unter- stützung der Therapie einer neben der Opiatabhängigkeit bestehenden schweren Erkrankung sowie zur Verringerung der Risiken einer Opiatabhängigkeit bei Schwanger- schaft beziehungsweise nach einer Geburt möglich.

Neben der Abstinenz weitere Therapieziele zulässig

Die Ziele der Behandlung sollen sich an der individuellen Situation des Opiatabhängigen orientieren und können entsprechend sowohl der Überlebenssicherung, der Redukti- on des Gebrauchs anderer Suchtmit- tel, der gesundheitlichen Stabilisie- rung und Behandlung von Begleiter- krankungen, der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und am Arbeits- leben als auch Opiatfreiheit dienen.

Mit den genannten Änderungen berücksichtigen die novellierten Richtlinien, dass die Substitution in der Mehrzahl der Fälle eine Dauer-

behandlung schwerkranker Patien- ten bedeutet, die nicht linear auf ein Oberziel auszurichten ist.

Nach den neuen Richtlinien müssen für die Einleitung einer substitutionsgestützten Behandlung die Kriterien für eine Opiatabhän- gigkeit nach ICD (International Sta- tistical Classification of Diseases and Related Health Problems) seit mindestens einem Jahr vorliegen und auch körperliche Abhängig- keitssymptome nachweisbar sein.

Verschiedene internationale Stu- dien zeigen, dass sich der Erfolg einer Substitutionsbehandlung durch begleitende psychosoziale und reha- bilitative Maßnahmen deutlich stei- gern lässt. Entsprechend verlangt die BtMVV erforderliche psycho- soziale Behandlungs- und Betreu- ungsmaßnahmen einzubeziehen (§ 5 Abs. 2, 2. BtMVV).

In den novellierten Richtlinien wird diese Vorgabe dahingehend konkretisiert, dass sich Art und Um- fang der psychosozialen Betreuung (PSB) an der individuellen Situation des Patienten orientieren und nach den von der Drogenhilfe erarbeite- ten Standards durchgeführt werden sollen. Im Einzelfall können Arzt und Drogenhilfe allerdings auch zu dem Ergebnis kommen, dass eine PSB nicht erforderlich ist. Zudem wird in den neuen Richtlinien fest- gestellt, dass eine Substitution über- brückend und zur Abwendung ge- sundheitlicher Gefahren ausnahms- weise auch ohne PSB erfolgen kann.

Bei einer Substitution mit Diamor- phin ist die PSB in den ersten sechs Monaten hingegen obligat.

Während bislang mindestens ein- mal pro Woche ein Arzt-Patient- Kontakt erforderlich war, reicht es nun, wenn dieser – entsprechend der Vorgaben von § 5 Abs. 2, 5. BtMVV – „in der Regel“ einmal wöchentlich durchgeführt wird. Lediglich im Substitutions -

therapie – die Bundesärztekam- mer hat die Be- handlung Opiat - abhängiger mit Diamorphin in die neuen Richtlinien aufgenommen.

Foto: photothek

P O L I T I K

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 11

|

19. März 2010 A 477 Rahmen einer Take-home-Verord-

nung ist der wöchentliche Arztkon- takt weiterhin verpflichtend.

Mit den neuen Richtlinien entfal- len die bislang gültigen formalen Fristenregelungen für eine Verschrei- bung des Substitutionsmittels bis zu sieben Tagen (Take-home-Verord- nung – § 5 Abs. 8 BtMVV), da sie ei- ner wissenschaftlichen Absicherung entbehren. An ihre Stelle treten qua- litative, am individuellen Behand- lungsverlauf orientierte Kriterien.

Diese verlangen insbesondere, dass die Einstellung auf das Substitutions- mittel abgeschlossen und der Patien- ten klinisch stabil sein muss. Zudem ist eine Selbst- oder Fremdgefähr- dung so weit wie möglich auszu- schließen. Ein Konsum anderer ge- fährdender Substanzen darf nicht vorliegen und erforderliche Kontakte zum Arzt und zur PSB müssen wahr- genommen worden sein.

Von vielen Ärzten wird aus prakti- schen und therapeutischen Gründen eine Mitgabemöglichkeit von Substi- tuten aus der Praxis gewünscht. Dem stehen jedoch Regelungen des Arz- neimittelgesetzes (AMG) entgegen.

Eine Mitgabe fraktionierter Tagesdo- sen ist gemäß § 5 Abs. 6 BtMVV bis- lang nur bei einer Verschreibung von Codein oder Dihydrocodein mög- lich. Da es in der Vergangenheit im- mer wieder zu falschen Interpreta- tionen der Anwendung einer Take- home-Verordnung gekommen war, wurde in die Richtlinien-Novelle der explizite Hinweis aufgenom- men, dass eine entsprechende Ver- ordnung nicht die Vergabe von Sub- stitutionsmedikamenten aus dem Praxisbestand beinhaltet.

Die Regelung der 23. Betäu- bungsmittelrechts-Änderungsverord- nung (BtMÄndV) vom 25. März 2009 ermöglicht eine Verschrei- bung von Substitutionsmitteln für bis zu zwei Tagen pro Woche außer- halb der strengen Auflagen einer Take-home-Verordnung (§ 5 Abs. 8 BtMVV). Außerdem schafft sie ei- ne Vertretungsmöglichkeit im Ur- laubs- oder Krankheitsfall durch ei- nen Arzt ohne suchtmedizinische Qualifikation (§ 5 Abs. 3 BtMVV).

Diese Regelungen wurden eben- falls in die novellierten Richtlinien der BÄK übernommen.

Die bisherigen Richtlinien ver- langten vom substituierenden Arzt die Durchführung unangemeldeter, stichprobenartiger Kontrollen auf einen Gebrauch anderer Suchtmit- tel. Studien zeigen jedoch, dass da- durch kein Rückgang des Beige- brauchs erzielt werden kann, wes- halb nach den neuen Richtlinien die Verpflichtung zu unangemeldeten Kontrollen entfällt. Diese sind viel- mehr vom Behandlungsverlauf ab- hängig zu machen. Ein festgestell- ter Beikonsum ist bei der Dosierung des Substituts zu berücksichtigen, er soll aber immer auch zum Anlass genommen werden, nach Ursachen

für den Beikonsum zu suchen und diese anzugehen.

Bisher führte ein Wechsel des Patienten in eine stationäre Behand- lungseinrichtung oder in eine Ein- richtung des Strafvollzuges häufig dazu, dass die eingeleitete Substitu- tionsbehandlung nicht oder nicht in geeigneter Form fortgesetzt wurde.

Die novellierten Richtlinien legen daher ausdrücklich fest, dass „bei einem Wechsel in eine Kranken- hausbehandlung, Rehabilitations- maßnahme, Inhaftierung oder ande- re Form einer stationären Unter- bringung [. . .] die Kontinuität der Behandlung durch die übernehmen- de Institution sicherzustellen“ ist.

Während die bisherigen Richtli- nien lediglich Kriterien für einen Abbruch der Substitution aufgrund von Regelverstößen des Patienten festlegten, werden in der novellier- ten Fassung ergänzend auch ein ge- meinsam von Arzt und Patient ver- einbartes Behandlungsende sowie eine Beendigung bei Versagen der Therapie thematisiert.

Die mit dem „Gesetz zur dia - morphingestützten Substitutionsbe- handlung“ festgelegten Kriterien für eine Substitution mit Diamor- phin wurden in die novellierten Richtlinien der Bundesärztekam- mer integriert. Der Patient muss auf die Besonderheiten dieser Behand- lungsform hingewiesen werden, die

auch seitens des behandelnden Arz- tes zu beachten sind. Eine durch- gängige qualifizierte ärztliche Ver- sorgung ist in den Vergabeeinrich- tungen sicherzustellen.

Zur Qualifizierung von Ärzten für die Substitution mit Diamorphin hat die BÄK ein sechsstündiges Qualifikationsmodul entwickelt, das inzwischen von den Landesärzte- kammern sowohl als Zusatzmodul als auch als Teil der Zusatz-Weiter- bildung „Suchtmedizinische Grund- versorgung“ angeboten wird.

Im Unterschied zur bisherigen Kann-Regelung sind die Landes- ärztekammern durch die neuen

Richtlinien verpflichtet, eigene Be- ratungskommissionen zur Quali- tätssicherung und konsiliarischen Beratung substituierender Ärzte einzurichten.

Weitergehenden Novellierungen stehen betäubungs- und arzneimit- telrechtliche Vorgaben entgegen, die auf politischer Ebene zu disku- tieren sind. Die BÄK wird sich wei- terhin für eine Gestaltung von Rah- menbedingungen einsetzen, die ei- ne praxisorientierte wie auch wis- senschaftlich begründete Behand- lung Opiatabhängiger ermöglichen.

Von der durchgeführten Novel- lierung erhofft sie sich, dass die Be- reitschaft der Ärzteschaft zur Teil- nahme an diesem schwierigen Ver- sorgungssegment erhöht, die Über- lebensmöglichkeiten und die Ge- sundheit betroffener Opiatabhängi- ger verbessert und gleichzeitig ein hohes Maß an Betäubungsmittelsi- cherheit gewährleistet werden. ■

Dr. rer. medic. Wilfried Kunstmann Dr. med. Christoph von Ascheraden Prof. Dr. med. Frieder Hessenauer

Bundesärztekammer

Neben den Autoren haben die weiteren Mitglieder des Ausschusses Sucht und Drogen der Bundesärztekammer mitgewirkt:

Dr. med. Constanze Jacobowski, Prof. Dr. med.

Götz Mundle und Dr. med. Justina Engelbrecht

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit1110

Wechselt der Patient ins Krankenhaus, ist die Kontinuität der Behandlung sicherzustellen.

P O L I T I K

(3)

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 11/2010, ZU:

SUBSTITUTIONSBEHANDLUNG OPIATABHÄNGIGER

Neue Richtlinien verabschiedet

Die Bundesärztekammer hat novellierte Richtlinien zur Substitution beschlossen. Dabei sind Ge- setzesänderungen, Forschungsergebnisse und Anforderungen der veränderte Versorgungsland- schaft mit eingeflossen.

LITERATUR:

1. Amato L, Minozzi S, Davoli M, Vecchi S, Ferri M, Mayet S: Psychosocial combined with agonist maintenance treatments ver- sus agonist maintenance treatments alone for treatment of opioid dependence. Coch- rane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 4. Art. No.: CD004147. DOI:

10.1002/14651858.CD004147.pub3.

2. Baker JG, Rounds JB, Carson CA:) Moni- toring in methadone maintenance treat- ment. In: Int J Addict 1995; 30: 1177–85 3. Gunne LM, Grönbladh L: The Swedish me-

thadone maintenance program: a control- led study. In: Drug Alcohol Depend 1981;

7: 249–56

4. Havassy B, Hall S: Efficacy of urine moni- toring in methadone maintenance. In: Am J Psychiatry 1981; 138: 1497–500 5. Mattick RP, Breen C, Kimber J, Davoli M:

Methadone maintenance therapy versus no opioid replacement therapy for opioid dependence. Cochrane Database of Sys- tematic Reviews 2009, Issue 3. Art. No.:

CD002209. DOI:

10.1002/14651858.CD002209.pub2.

6. McLellan AT, Arndt IO, Metzger DS et al.:

The effects of psychosocial services in substance abuse treatment. In: JAMA 1993; 269: 1953–9

7. Weinmann S, Kunstmann W, Rheinberger P: Methadon-Substitution – wissenschaft- liche Studienlagen im Kontext ambulanter Rahmenbedingungen in Deutschland. In: Z ärztl Fortbild Qual Gesundheitswesen 2004; 98: 673–82

8. World Health Organization: Guidelines for the Psychosocially Assisted Pharmacologi- cal Treatment of Opioid Dependence, Ge- neva 2009

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Gemäß § 5 (8) BtMVV kann eine Ver- schreibung für die bis zu 7 Tagen benötig- te Menge des Substitutionsmittels aus- gehändigt werden und dessen eigenver- antwortliche Einnahme

Sie ist damit angezeigt, wenn behand- lungsbedürftige Befindlichkeitsstörun- gen/Regulationsstörungen des Vegetati- vums und/oder beeinflussbare Risiko- faktoren vor Eintritt

Schichtlage Transversal und koronar (ggf. sagittal oder angepasst an Fragestellung und pathologischen

Mit bindender Ent- scheidung der Europäischen Kommissi- on hat das Bundesinstitut für Arzneimit- tel und Medizinprodukte aufgrund dieser schwerwiegenden unerwünschten

etzt berücksichtigt die Leidener Datenbank mit Hil- fe einer ausgeklügelten mathematischen Formel insgesamt fünf Faktoren bei der Empfängeraus- wahl: Gewebeübereinstimmung,

Aus der ärztlichen Erfahrung sind die diagnostisch wichtigen Bildmerk- male, Details und Strukturen abgelei- tet, deren gut beurteilbare Darstellung im Röntgenbild Ziel

Mit Blick auf die hausärztliche Versorgung ist in den neuen Richtli- nien vorgesehen, daß bei einer Über- versorgung mit Internisten eine An- rechnung der einen Versorgungs- grad

Wesen der Kurortmedizin Eine Kur ist angezeigt, wenn behand- lungsbedürftige Funktions- und Regulati- onsstörungen vor oder nach Eintritt einer Erkrankung oder nach überstandener