• Keine Ergebnisse gefunden

Auch in Österreich sind Freiheitsrechte Teil der

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Auch in Österreich sind Freiheitsrechte Teil der"

Copied!
8
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Voraussetzung der Demokratie

A

uch in Österreich sind Freiheitsrechte Teil der Grundrechte, die jedem und jeder österreichi- schen Staatsbürger*in zustehen. Zu den Grund- rechten zählen neben den Freiheitsrechten auch Gleichheitsrechte wie etwa das Diskriminierungs- verbot, Verfahrensgrundrechte wie das Recht auf ein faires Verfahren und soziale Grundrechte, die neben Gleichheit und Freiheit auch die

Sicherung der Lebensgrundlagen garan- tieren sollen. In Österreich sind soziale Grundrechte allerdings nur ansatzweise verwirklicht, zum Beispiel im Bereich der Kinderrechte als Anspruch auf Schutz

und Fürsorge. Darüber hinaus gibt es in Österreich nationale Minderheitenrechte, unter anderem für die slowenische und die kroatische Volksgruppe in Kärnten bzw. im Burgenland.

In ihrer historischen Entwicklung waren Freiheits- rechte meist nur für die Staatsbürger*innen vorge- sehen und nicht für alle Menschen, die in Österreich lebten. In der Zwischenzeit sind aber zumindest europäische Unionsbürger*innen den österreichi- schen Staatsbürger*innen bis auf wenige Ausnah- men, etwa im Wahlrecht, gleichgestellt. Auch wenn

sich in Österreich nicht jeder Mensch auf die in der Verfassung verankerten Frei- heitsrechte berufen kann – so dürfen etwa

Ausländer*innen zwar an Demonstrati- onen teilnehmen, sie aber nicht leiten – gelten doch die Menschenrechte für alle, unabhän- gig von ihrer Staatsbürgerschaft. In Europa ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) der wichtigste internationale Vertrag, der 1964 in die österreichische Verfassung übernommen wurde.

Die Freiheitsrechte stellen die ältesten und in der Bevölkerung bekanntesten Grundrechte dar. Sie gewährleisten, dass Bürger*innen frei von willkürlichen Übergriffen des Staates und daher als Gesellschaft selbstbestimmt leben können. Damit bilden sie eine wesentliche Voraussetzung für die Demokratie. Von der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ in der Französischen Revo- lution über die „Bill of Rights“ bei der Gründung der USA bis zur Verabschiedung der Europäischen Menschenrechtskonvention nach dem Zweiten Weltkrieg: Stets ging es darum, dem/der einzelnen Bürger*in Abwehrrechte gegen die Staatsgewalt zu sichern.

„Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“

O

bwohl die Freiheitsrechte zu den wohl wich- tigsten Rechten überhaupt gehören, sind wir uns ihres Umfangs meist gar nicht bewusst. In einer 2020 durchgeführten Umfrage wurde die Meinungsäußerungsfreiheit mit 48% zwar am häu- figsten genannt, gefolgt von der Glaubens-, Gewis- sens- und Religionsfreiheit mit 31%. Davon abge- sehen wissen die Österreicher*innen aber wenig

über ihre Freiheitsrechte Bescheid.1 Das mag unter anderem daran liegen, dass diese Rechte auf ver- schiedene Gesetzestexte verteilt sind und es etwa im Gegensatz zur US-amerikanischen Verfassung oder zum deutschen Grundgesetz kein Einzeldo- kument gibt, in dem die Grundrechte nachgelesen werden können. Als 1920 in Österreich eine neue Verfassung beschlossen wurde, konnte man sich Freiheits-

rechte Teil vielfältiger Grundrechte

(2)

nämlich auf keinen Grundrechtskatalog einigen, vor allem weil in Hinblick auf soziale Grundrechte – etwa in Form eines Rechts auf Arbeit als Voraus- setzung einer selbständigen Existenzsicherung – kein Konsens unter den Parteien erzielt wurde.

Deshalb übernahm man das aus der Monarchie stammende „Staatsgrundgesetz über die allge- meinen Rechte der Staatsbürger“ (StGG, RGBl.

Nr. 142/1867). Darin fanden sich bereits die wich- tigsten Freiheitsrechte, die – teilweise mit Unter- brechungen durch Austrofaschismus (1933–1938) und Nationalsozialismus (1938–1945) – bis heute gelten.

Freiheitsrechte

die Freizügigkeit der Person (Artikel 4 StGG), das heißt die freie Wahl des Wohn- und Aufenthaltsortes innerhalb des Staats- gebiets

die Eigentumsfreiheit (Artikel 5 StGG) als sogenannte „Unverletzlichkeit des Eigen- tums“, die Enteignungen nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen erlaubt

die Erwerbsfreiheit (Artikel 6 StGG), also die Freiheit, nach Belieben jede selbstän- dige oder un selbständige Tätigkeit auszu- üben. Das um fasst auch die Freizügigkeit des Vermögens und die Freiheit des Lie- genschaftsverkehrs, also innerhalb des Staatsgebiets Grundbesitz zu erwerben und darüber zu verfügen.

das Verbot der Sklaverei und Leibeigen- schaft als „Aufhebung des Unterthänig- keits- und Hörigkeitsverbands“ (Artikel 7 StGG)

die Unverletzlichkeit des Hausrechts (Arti- kel 9 StGG), also ein Schutzrecht gegen Übergriffe der Staatsgewalt, sodass etwa keine willkürli che Hausdurchsuchung durchgeführt werden darf

das Briefgeheimnis (Artikel 10 StGG), das den Briefverkehr zwischen Absender*in

und Adressat*in vor Öffnung und Unter- schlagung durch die Behörden schützt. Es wurde später (1974) durch das Fernmelde- geheimnis (Artikel 10a StGG) ergänzt.

das Petitionsrecht (Artikel 11 StGG), also das Recht, eine Bittschrift oder eine Be schwerde an öffentliche Stellen zu rich- ten, von diesen angehört zu werden und in der Folge keinerlei Benachteiligungen befürchten zu müssen

Vereins- und Versammlungsfreiheit (Arti- kel 12 StGG) umfasst das Recht, sich zu gemeinsamen Zwecken und Zielen zusam- menzuschließen und diese gemeinsam anzustreben (Vereinsfreiheit), sowie das Recht, sich ungehindert privat oder in der Öffentlichkeit zu versammeln, insbeson- dere im Rahmen von Demonstrationen (Versammlungsfreiheit)

Freiheit der Meinungsäußerung (Artikel 13 StGG), das heißt, „durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Mei- nung“ frei äußern und auch die Meinung anderer empfangen zu dürfen, womit auch ein staatliches Zensurverbot inkludiert ist;

die Glaubens-, Gewissens- und Religions- freiheit (Artikel 14 StGG), also die Freiheit, Entscheidungen und Handlungen frei von äußerem Zwang durchführen zu können, sowie das Recht, die persönliche indi- viduelle Glaubensüberzeugung in Form einer Religion oder Weltanschauung auszu- üben wie auch die Freiheit, keiner Reli- gionsgemeinschaft anzugehören. Hieran schließt sich die Freiheit der öffentlichen Religions ausübung für Mitglieder gesetz- lich anerkannter Kirchen und Religions- gesellschaften (Artikel 15 StGG) und die Freiheit der häuslichen Religionsausübung für Anhänger*innen eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses (Arti- kel 16 StGG).

(3)

die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre (Artikel  17  StGG), wozu auch die Unterrichts- und Privatschulfreiheit zählt.

Später (1982) wurde das Recht um die Frei- heit der Kunst (Artikel 17a StGG) ergänzt.

die Freiheit der Berufswahl und Berufsaus- bildung (Artikel 18 StGG), also den Beruf frei wählen und entscheiden zu können, wie und wo man sich dafür ausbilden lässt.

Dieses Recht wandte sich damals vor allem gegen ständische oder zünftische Bin- dungen.

E

s waren nicht nur, aber vor allem internatio nale Verträge – wie die Europäische Menschen- rechtskonvention (EMRK), die seit 1964 in Öster- reich in Verfassungsrang steht, oder die Grund- rechtecharta der Europäischen Union (GRC), die nach einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) seit 2012 als Teil der österreichischen Verfassung zu berücksichtigen ist –, die weitere Freiheitsrechte normierten beziehungsweise den Anstoß zur Konkretisierung und Aktualisierung älterer Rechte gaben. Dazu zählen beispielsweise:

Weitere Freiheitsrechte

das Recht auf Leben (Artikel 2 EMRK und Artikel 2 GRC), wozu auch die bereits in Artikel 85 des Bundes-Verfassungsge- setzes (B-VG) grundgelegte Abschaffung der Todesstrafe gehört

das Verbot der Folter (Artikel 3 EMRK und Artikel 4 GRC)

das Recht auf persönliche Freiheit (Artikel 5 EMRK und Artikel 6 GRC), das auch be reits – und sogar strenger – 1988 in einem eigenen österreichischen Bundes- Verfassungsgesetz normiert wurde

das Verbot des Freiheitsentzugs wegen Schulden (Artikel 1 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK)

das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8 EMRK und Artikel 7 GRC)

das Grundrecht auf Datenschutz (Artikel 8 GRC), das in Österreich seit 1999 auch in einem eigenen Datenschutzgesetz veran- kert ist

das Recht auf Gründung und freie Betä- tigung politischer Parteien (Paragraph 1 Parteiengesetz 2012)

das Recht auf Wehrdienstverweigerung auf Grundlage der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 9a Absatz 4 B-VG, Paragraph 1 Zivildienstgesetz 1986) das Recht auf Bildung (Artikel 2 des 1.

Zusatzprotokolls zur EMRK, Artikel 14 GRC).

Menschenrechtskonvention und EU-Grundrechtecharta

Wie sich am Inhalt dieser mehr als 150 Jahre alten Freiheitsrechte bereits ablesen lässt, han- delt es sich um Abwehrrechte der Bürger*innen gegen die Staatsgewalt. Freiheitsrechte wurden über Jahrhunderte gegen Ungerechtigkeiten und Unterdrückung erkämpft und letztlich in der Verfassung verankert. Ihre Aufgabe ist, jede*n Staatsbürger*in vor willkürlichen Eingriffen des Staates zu sichern, sodass wir als Gesell- schaft in größtmöglicher Freiheit leben können.

Im Lauf der Zeit kamen immer weitere Rechte hinzu, weshalb sich die Anzahl der österreichi- schen Grundrechte im letzten Jahrhundert etwa verdoppelte.

(4)

F

reiheitsrechte sind nicht nur eine historische Errungenschaft, sondern in unser aller Alltag von zentraler Bedeutung. Wenn wir heute in der Öffentlichkeit frei unsere Meinung äußern können, wenn wir unsere Ausbildung und unseren Beruf frei wählen können, wenn unsere Daten geschützt werden müssen, dann ist das darin begründet, dass wir uns diese Grundrechte als Gesellschaft erarbeitet bzw. erkämpft haben. Die Gewährlei- stung dieser Rechte haben wir dem Staat über- tragen. Er ist damit beauftragt, uns zu schützen, insbesondere vor ihm selbst. Jenes Schutz- und Sicherheitsversprechen war ideengeschichtlich betrachtet sogar das zentrale Motiv

der Staatenbildung, wie die englischen Staatstheoretiker Thomas Hobbes und John Locke schon 1651 im Leviathan be- ziehungsweise 1690 in den Two Treatises

of Government darlegten. „Doch Sicherheit stand und steht nie alleine, sie erfüllt einen Zweck. Die- ser Zweck ist die Freiheit, wohl verstanden nicht als bloße Abwesenheit von Zwang, sondern als Aufruf zur selbstbestimmten Zwecksetzung eines Jeden in der Gemeinschaft“, erinnert der Politik- wissenschafter Matthias Lemke.2 Freiheit ist da- her weder als Egoismus und Rücksichtslosigkeit noch als Möglichkeit zu verstehen, jederzeit alles tun zu können, was gerade beliebt – das wäre bloß

das Recht des Stärkeren –, sondern Freiheit ist an das Funktionieren der Gesellschaft gebunden. In den Freiheitsrechten kommt stets auch die Ver- antwortung gegenüber den Mitmenschen zum Tragen, was der Philiosoph Georg Wilhelm Fried- rich Hegel 1820 in den Grundlinien der Philosophie des Rechts als verwirklichte Freiheit im sittlichen Staat verstand: Ich bin frei in der Gesellschaft, nicht frei von der Gesellschaft.

Aus diesem Grund gelten die Freiheitsrechte auch nicht absolut, sondern können eingeschränkt wer-

den, wenn es für die Sicherheit der Ge- sellschaft erforderlich ist. Nur ganz we- nige Grundrechte wie beispielsweise das Folterverbot dürfen vom Staat niemals eingeschränkt werden. Die Polizei darf unter keinen Umständen foltern, auch wenn dies noch so wichtig erscheinen mag, etwa bei Entführungen oder Terrordrohungen. Die meis- ten anderen Grundrechte, darunter fast sämtliche Freiheitsrechte, dürfen eingeschränkt werden. So kennt die EMRK zu jedem im ersten Absatz darge- legten Freiheitsrecht noch einen zweiten Absatz, der die Möglichkeit einer solchen Einschränkung erläutert: „Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetz- lich vorgesehen und in einer demokratischen Ge-

INFORMATIONSQUELLEN ZU ÖSTERREICHISCHEN GRUNDRECHTEN

Die Hinweise auf verschiedene Fundstellen und Rechtsquellen der genannten Freiheitsrechte machen darauf aufmerksam, dass ihre Lektüre nicht einfach ist. Während zum Beispiel das deutsche Grund- gesetz die Grund- und Freiheitsrechte gesammelt an den Beginn der Verfassung stellt und sie jede*r ohne große Mühe nachlesen kann, fehlt solch eine Zusammenfassung in Österreich. Hier muss man über ein Dutzend Rechtsquellen durchforsten, um alle Grundrechte zu finden.

Erst anlässlich des hundertjährigen Verfassungsjubiläums nahm der Rechtswissenschafter Konrad Lachmayer die Aufgabe auf sich, eine Website einzurichten, um dort die vollständige Aufzählung der österreichischen Grundrechte anzubieten.

Auf https://grundrechte.at findet sich nun eine durch Erklärvideos unterstützte Aufbereitung sämtlicher Grundrechte, die sich für die Politische Bildung als wichtige Quelle erweist

• Das Österreichische Parlament veröffentlicht demnächst (Frühling 2021) eine Grundrechtsbroschüre, die auf der Website des Parlaments www.parlament.gv.at kostenlos angefordert werden kann

Grenzen der Freiheit

Selbst- bestimmung

und Verant- wortung

(5)

sellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

Wenn es eine gesetzliche Grundlage und einen schwerwiegenden Grund gibt und überdies die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist – es also kein ge- linderes Mittel als die Einschränkung gibt –, müs- sen die Freiheitsrechte nicht mehr gewährleistet werden. Das zeigte sich zuletzt sehr anschaulich in der Coronakrise.

Freiheitsrechte in Zeiten der Pandemie

D

ie Coronapandemie stellte nicht nur eine Ge- sundheitskrise dar, sondern hatte auch für die Freiheitsrechte einschneidende Folgen.3 Wie in den meisten anderen Staaten der Welt griff auch die österreichische Politik zum Schutz der Gesundheit erheblich in die Grundrechte ein:4 Auf- grund der Ausgangsbeschränkungen war die Frei- zügigkeit der Person (Artikel 4 StGG) beschnitten, aufgrund der staatlich verordneten Schließung von Geschäften und Gastronomiebetrieben war die Erwerbsfreiheit (Artikel 6 StGG) eingeschränkt, aufgrund des Verbots von Zusammenkünften war die Freiheit der öffentlichen Religionsausübung für Mitglieder gesetzlich anerkannter Kirchen und Re- ligionsgesellschaften (Artikel 15 StGG)

nicht mehr gewährleistet, aufgrund der Schulschließungen bzw. des verordne- ten Distanzlernens war das Recht auf Bildung (Artikel 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, Artikel 14 GRC) nicht mehr

vollumfänglich gegeben. Darüber hinaus waren die in einer Demokratie so wichtigen politischen Freiheitsrechte massiv eingeschränkt, allen voran die Versammlungsfreiheit durch Untersagung von Demonstrationen, aber auch das Wahlrecht durch die Verschiebung der ursprünglich für März 2020 angesetzten Gemeinderatswahlen in der Steier- mark und in Vorarlberg.

All diese Einschränkungen der Freiheitsrechte sind gemäß EMRK und auch auf der Grundla- ge österreichischer Gesetze möglich. Der Grat zwischen Missbrauch und Notwendigkeit ist al- lerdings oft schmal, wie wir aus der Geschichte leidvoll wissen. Deshalb müssen Bürger*innen besonders achtsam sein, wenn der Staat jene Freiheitsrechte, die ihm in oft mühsamen demo-

kratischen Kämpfen abgerungen wurden, nicht mehr gewährleistet. Stets ist zu bedenken und zu beurteilen: Auch massive Eingriffe – wie wir sie im Lockdown erlebt haben – können gerechtfertigt und rechtens sein; sie müssen aber eine gesetz- liche Basis haben, verhältnismäßig sein und das gelindere Mittel darstellen.

In Österreich zeigte sich im Lauf der Coronakrise, dass einige Einschränkungen, die die Bundesre- gierung in Verordnungen dekretiert hatte, keine gesetzliche Grundlage hatten: Im Juli 2020 hob der VfGH das im März und April vom Gesundheits- minister verordnete allgemeine Betretungsverbot

von öffentlichen Orten auf, „weil die Gren- zen überschritten wurden, die dem zu- ständigen Bundesminister durch § 2 CO- VID-19-Maßnahmengesetz gesetzt sind [...] Dieses Gesetz bietet keine Grundlage dafür, eine Verpflichtung zu schaffen, an einem be- stimmten Ort, insbesondere in der eigenen Woh- nung, zu bleiben.“5 Diese Freiheitsbeschränkun- gen waren also gesetzwidrig, auch wenn sie zum Schutz der Gesundheit in der Pandemiebekämp- fung wohl sinnvoll waren.

Ähnlich war es mit der Versammlungsfreiheit (Artikel 12 StGG): In der ersten Akutphase der Coronakrise war die Gewährleistung der Versamm- lungsfreiheit nicht gegeben. Zwischen 16. März und 30. April 2020 waren angezeigte Versamm- lungen als Verstoß gegen das COVID-19-Maßnah- mengesetz untersagt worden. Dass ein generel- les Versammlungsverbot weder verhältnismäßig noch das gelindere Mittel war, zeigte sich vor allem im Vergleich mit anderen Staaten. Das deut- sche Bundesverfassungsgericht hatte in einem Einschrän-

kungen im Sinn des Gemeinwohls

(6)

Eilverfahren die Unzulässigkeit eines pauschal begründeten Versammlungsverbots entschieden, und Demonstrierende in Israel belegten, dass man sich sehr wohl „coronakonform“ mit Mundschutz und Abstand versammeln kann; es ist ja gerade die Aufgabe der Polizei, in Zusammenarbeit mit den Veranstalter*innen für die Einhaltung von Ab- standsregeln zu sorgen.

Die Versammlungsfreiheit ist – wie je- des andere Freiheitsrecht – ein Grund- recht, das der Staat seinen Bürger*innen zu gewährleisten hat, nicht etwas, das

er bloß gewährt. Der Unterschied ist wesentlich, wie der Rechtswissenschafter Lutz Friedrich ver- deutlicht: „Grundrechtliche Freiheit wird dem Ein- zelnen nicht derart gönnerhaft vom Staat gewährt, sondern durch den Staat gewährleistet. Das ist weniger terminologische Petitesse als vielmehr sprachlicher Ausdruck einer historischen Errun- genschaft, derer sich die Rechtsordnung nicht einmal im größten Notstand begeben kann, ohne

sich selbst aufzugeben: Nicht der Bürger ist um des Staates willen da, sondern der Staat für den Bürger. Dieser entscheidet selbst, ob, wann und wie er von seiner Freiheit Gebrauch macht. Einem allgemeinen Ordnungsvorbehalt ist er dabei aus- drücklich nicht unterworfen.“6

Jenes Wissen um die Freiheitsrechte, den staatli chen Auftrag ihrer Gewähr- leistung und um die Durchsetzung, falls der Staat seiner Aufgabe nicht nach-

kommt, bedarf der Politischen Bildung.

Freiheitsrechte sind als „normativ festgeschriebe- ne Geschichte und zivilisatorische Errungenschaft zu lesen“; es geht dabei letztlich um die „praktische Überführung des Wissens in die Lebens realität des 21. Jahrhunderts“, so Lachmayer und Rothmann zur Einordnung ihrer empirischen Untersuchung zum Grundrechtswissen in Österreich.7 Die Corona krise bietet sich wie kaum ein anderes Ereignis unserer Tage als Übungsmaterial für die Politische Bildung im Bereich der Freiheitsrechte an.

Freiheitsschutz durch den Verfassungsgerichtshof

W

enn der Staat Freiheitsrechte verletzt, kön- nen Gerichte angerufen werden. Sie prü- fen den Sachverhalt, stellen gegebenenfalls eine Grundrechtsverletzung fest und schaffen Abhilfe.

Dadurch bewerkstelligen sie oft über den konkreten Anlassfall hinaus, dass der Staat künftig für eine bessere Gewähr- leistung der Freiheitsrechte sorgt. Auch wenn – wie zuletzt in der Corona krise gesehen – bereits die Landesverwal-

tungsgerichte wichtige Instanzen des Freiheits- schutzes sind, kommt dem Verfassungsgerichts- hof als Höchstgericht in verfassungsrechtlichen Angelegenheiten beim Grundrechtsschutz eine besondere Bedeutung zu. Damit die Freiheits- rechte für alle geschützt sind und bleiben, müssen die Bürger*innen aber auch bereit sein, ständig wieder aufs Neue für sie zu kämpfen. In einem demokratischen Rechtstaat wird dieser Kampf hauptsächlich vor Gericht ausgetragen. Den VfGH anzurufen bzw. um diese Möglichkeit zu wissen,

ist deshalb hinsichtlich der Verteidigung der De- mokratie sogar eine Bürger*innenpflicht.

In den vergangenen Monaten erreichten den VfGH im Zusammenhang mit der Coronakrise zahlreiche Fälle, in denen eine verfas- sungswidrige Einschränkung der Frei- heitsrechte beklagt wurde. So brachten

Eltern aus Tirol eine Klage gegen die Schulschließungen ein, weil das Recht auf Bildung (Artikel 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, Artikel 14 GRC) nicht gewährleistet sei.

Schulschließungen seien nicht das gelindere Mittel, und außerdem fehle eine evidenzbasierte Argumentation, wie sie so eine Maßnahme erfor- dere. Außerdem suchten zahlreiche Angehörige von Heimbewohner*innen Rechtschutz, weil alte und pflegebedürftige Menschen ohne gesetzliche Grundlage zum Schutz der Gesundheit wochen- lang eingesperrt wurden, wodurch ihnen ihr Recht auf persönliche Freiheit (Artikel 1 Bundes-Verfas- Basis

Gewalten- teilung und Rechtsstaat Wissen um Rechte als Auf- gabe Politischer

Bildung

(7)

sungsgesetz vom 29. November 1988, Artikel 5 EMRK, Artikel 6 GRC) versagt war.

Es dauert Monate, manchmal Jahre, bis der Verfas- sungsgerichtshof oder letztlich gar der

Europäische Gerichtshof für Menschen- rechte klärt, wer Recht hat. Auch wenn jene Urteilssprüche den Schüler*innen

und Heimbewohner*innen im Nachhinein persön- lich nicht mehr allzu viel nützen, weil der Moment des verhinderten Schulbesuchs und der dadurch verwehrten Bildung oder die in Isolation verbrach- te Zeit unwiederbringlich vorbei sind, stellen die Erkenntnisse des Gerichts gegenüber dem Staat

doch eine Handlungsanleitung für die Zukunft dar.

Sie konkretisieren die Richtlinien für eine grund- rechtskonforme Vorgehensweise in der nächsten Krise. Die Rechtsprüche des VfGH richten sich an die anderen Staatsorgane, insbesondere an die Mitglieder der Bundesregierung, es beim nächsten Mal besser zu machen.

Der VfGH wird daher zu Recht „Hüter der Verfassung“ und somit auch „Hüter der Demokra- tie“ genannt.8 Ihm kommt die Aufgabe zu, „verfas- sungswidrige autokratische Tendenzen hintanzu- halten [...], indem er die Machtanmaßung, die sich in Form von Rechtsakten zeigt, durch Aufhebung dieser Rechtsakte verhindert und beseitigt.“9

D

as Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit zeigte sich selten so vehement wie in der Coronakrise. Denn der Staat geriet in den unausweichlichen Zielkonflikt, sowohl die Ge- sundheit als auch die Freiheit schützen zu müs- sen. Er hatte nicht das eine oder das andere zu gewährleisten, sondern beides, weil alle Grund- rechte normativ auf der gleichen Stufe stehen, also keiner durch „Systemrelevanz“ begründeten Hierarchie unterliegen. Vom Standpunkt

des Rechts aus gesehen stellte sich beispielsweise nie die Frage, ob man denn gerade in der Pandemie an einer Demonstration teilnehmen muss. Aus

Sicht der Freiheitsrechte geht es lediglich darum, dass der Staat alles Mögliche unternimmt, um das Versammlungsrecht auch in der Krise zu gewähr- leisten, und jegliche Einschränkung nur das letzte Mittel sein darf.

Wohingegen allerdings in der Pandemie die Frei- heitsrechte nur temporär eingeschränkt wurden, stellt die Terrorismusgefahr eine viel tiefergreifen- de Problematik dar. Hier ist die stets zu leistende Suche nach dem Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit noch prekärer, weil die Abwägung nicht nur situativ sondern auf Dauer getroffen wird. Mit der Behauptung, der bestehende Rechtsrahmen genüge nicht, um den Schutz der Bürger*innen zu

Freiheit versus Sicherheit am Beispiel der Terrorgefahr

gewährleisten, werden Freiheitsrechte permanent eingeschränkt.

Anhand der Terrorismusabwehr lässt sich zudem darstellen, dass der Staat nicht nur mit dem Schutz der Bürger*innen vor dem Staat, sondern auch mit dem Schutz der Bürger*innen voreinander beauftragt ist. Eigentlich binden die Grundrechte nur den Staat, was das klassische Abwehrrecht gegen willkürliche Übergriffe kennzeich- net. Allerdings hat der Staat auch die Aufgabe, die Freiheitsrechte des*der Einzelnen gegenüber den Mitmenschen zu gewährleisten. Dies geschieht zum Beispiel dann, wenn die Polizei unterschiedliche Demonstrationen räumlich voneinander trennt, da- mit jede Gruppe das Versammlungsrecht ausüben kann. Außerdem muss der Staat das Grundrecht auf Leben, Gesundheit und Eigentum schützen, indem er ein System der Strafverfolgung schafft und betreibt, das andere Menschen, die mein Le- ben, meine Gesundheit oder mein Eigentum ver- letzen, verfolgt und bestraft. Im Bereich des Straf- rechts und vor allem der Terrorismusabwehr zeigt sich die historisch vollzogene Entwicklung vom Sicherheits- zum Präventionsstaat: Der Staat wird seiner Aufgabe nicht gerecht, indem er bloß nach erfolgter Tat straft, sondern er muss sie möglichst verhindern.

Staatsaufgabe Schutz voreinander Wegweisende

Rechtsent- scheidungen

(8)

A

us Angst vor Terrorismus erfolgten in den vergangenen zwanzig Jahren besonders tie- fe Eingriffe in die Freiheitsrechte: Im Jahr 2000 wurde das Sicherheitspolizeigesetz so geändert, dass es seither für Ermittlungen keiner konkreten Anhaltspunkte mehr bedarf, sondern es genügt, wenn in absehbarer Zukunft Straftaten zu be- fürchten sind. Es geht demnach weniger

um die Abwehr konkreter Gefahren, als um die abstrakte Gefahrenvorsorge.

Das ist in Bezug auf die Freiheitsrechte problematisch, weil oftmals nicht mehr

deutlich vorhersehbar ist, welche Handlungen Ermittlungen auslösen. 2011 wurde diese erwei- terte Gefahrenerforschung, die zuerst nur für Gruppierungen bestanden hatte, auf das Beobach- ten von Einzelpersonen ausgedehnt.10 Seit 2018 ist ein sogenanntes „Sicherheitspaket“ in Kraft, das Kritiker*innen „Überwachungspaket“ nennen.

Es beinhaltet u. a. die Lockerung des Briefgeheim- nisses und das Verbot von anonymen Wertkarten für Mobiltelefone, also die Registrierungspflicht für SIM-Karten. Weitere Gesetzesinhalte wie zum Beispiel den „Bundestrojaner“, eine staatliche Spionagesoftware, mit der Behörden die private Kommunikation abhören wollten, hat der Verfas- sungsgerichtshof mittlerweile als rechtswidrig eingestuft. Denn sie verstoßen gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie gegen das Recht auf Datenschutz. Schon 2014 hatte der VfGH der Vorratsdatenspeicherung als verdachtsunabhängige, anlasslose Massenü- berwachung wegen Grundrechtswidrigkeit einen Riegel vorgeschoben.

1 Lachmayer, Konrad/Rothmann, Robert: Grundrechtswissen in Öster- reich, in: juridikum 4/2020, S. 472–483.

2 Lemke, Matthias: Ist das noch normal?, in: Jahrbuch für öffentliche Sicherheit 2020/21, S. 91–102, hier S. 91.

3 Vgl. Ehs, Tamara: Krisendemokratie. Sieben Lektionen aus der Coro - nakrise. Wien 2020.

4 Vgl. Klaushofer, Reinhard et al.: Ausgewählte unions- und verfas- sungsrechtliche Fragen der österreichischen Maßnahmen zur Ein- dämmung der Ausbreitung des Covid-19-Virus, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 75/2020, S. 1–123.

5 VfGH-Entscheidung V 363/2020 vom 14. Juli 2020.

6 Friedrich, Lutz: Freiheit auf Bewährung? Das rechtsstaatliche Vertei- lungsprinzip in der Pandemie. Online unter https://verfassungsblog.

de/freiheit-auf-bewaehrung/, 23.03.2020 [Hervorhebung Red.].

8 Vgl. Schambeck, Herbert: Gedanken zur Verfassungsgerichtsbar keit und Gesetzgebung in Österreich, in: Funk, Bernd-Christian et al.

(Hrsg.): Der Rechtstaat vor neuen Herausforderungen. Festschrift für Ludwig Adamovich zum 70. Geburtstag. Wien 2002, S. 709.

9 Lienbacher, Georg: Autokratieresistenz der österreichischen Bundes- verfassung, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 75/2020, S. 67–97, hier S. 83.

10 Vgl. Adensamer, Angelika/Sagmeister, Maria: Die Ausweitung von Polizeibefugnissen und deren politische Dimensionen, in: juridikum 4/2016, S. 516–526.

11 Strasser, Hermann/van den Brink, Henning: Auf dem Weg in die Präventionsgesellschaft?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 46/2005, S. 3–7.

12 Vogel, Berthold: Die Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft. Hamburg

Ausweitung von Polizeikompetenzen zulasten von Freiheitsrechten

Aufgrund der Angst vor einem Terroranschlag un- ternimmt Österreich seit Jahren eine Ausweitung polizeilicher Kompetenzen zulasten der Freiheits- rechte. Dass diese Maßnahmen dauerhaft sind und im Gegensatz zu jenen in der Coronapan demie nie gelockert oder wieder zurückgenommen wer- den, ist dem Sicherheitsdispositiv geschuldet: Fin- det der Anschlag nie statt, dann deshalb

– so wird argumentiert –, weil die Ge- setze greifen und gerade deshalb auch nicht revidiert werden sollten. Findet er doch statt – wie am 2. November 2020 in Wien – werden die Gesetze ohne Grundsatzdis- kussion umgehend verschärft.

Doch gilt es im Spannungsfeld der Freiheitsrechte zu bedenken: „Sicherheit ist stets ein unerreichba- res Ideal, das Bedürfnis danach nimmt nicht line- ar, sondern exponentiell zu den unbestreitbar ge- stiegenen Sicherheitsstandards zu. Bedürfnisse, Erfordernisse, Möglichkeiten und Kompetenzen der Prävention heizen sich im Laufe des Zivilisati- onsprozesses gegenseitig auf.“11 Es ist daher die bleibende Aufgabe aller Bürger*innen, sich der argumentativen Mühsal der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit immer wieder aufs Neue auszusetzen. Denn die „Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft“12 bleibt bestehen, ja sie ist ange- sichts großer politischer Aufgaben wie allen voran der Bewältigung der Klimakrise gar existenziell.

Zielkonflikte sind in der Klimapolitik an der Tages- ordnung und bedürfen kluger Differenzierung. Sich der Freiheitsrechte bewusst zu werden, steht am Anfang dieser notwendigen politischen Debatte.

Abstrakte Gefahren-

vorsorge

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Auch die Atomkraftgegner in Deutschland sprachen sich schon in den 1970er und 1980er Jahren für eine Energiewende aus... 2 Viel mehr Bürgerinnen und Bürger in vielen Länder

Zuvor hatte es seit 1990 das

Mit der sogenannten „10-H-Abstandsregelung“, seit 2014 eine Sonderregelung in Bayern in Paragraf 82 der Bayerischen Bauordnung, ist die baurechtliche Privilegierung

Sie stellen unseren Alltag auf den Kopf: Zwar sind Viren nur nanometergroß und haben noch nicht mal einen eigenen Stoffwechsel - trotzdem versetzen sie die Menschen von Zeit zu

pflicht besagt, dass die Apotheke die Pflicht hat, jedem Kunden nach jedem Geschäftsvorfall einen Bon auszuhändigen oder – so der Kunde es ausdrücklich möchte – auf

Frau Klocke qualifi- zierte sich 2011 zur Kosmetik- fachberaterin, 2017 zur Fach- beraterin für Senioren und darf sich seit März 2019 auch Phyto-Dermazeutin nennen. »Senioren

Die Teilnehmenden werden ge- beten, ihre Tüte so zu gestalten, dass sie damit etwas Wichtiges über sich selbst und/oder ihre Lebenserfahrungen aus- sagen oder etwas zeigen können,

In Bezug auf unser Thema ließen sich diese Schwierigkeiten ebenfalls über die Lehrpläne relativ kurzfristig ein Stück weit abbauen, indem man Schwerpunkte, beispielsweise auf