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Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - Familiennachzug eines Asylsuchenden zu deutschem Ehegatten

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VG München, Urteil v. 26.10.2017 – M 24 K 17.2899 Titel:

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - Familiennachzug eines Asylsuchenden zu deutschem Ehegatten

Normenketten:

AufenthG § 5, § 28, § 10, § 54, § 99 AufenthV § 39

AsylG § 13, § 55 GFK Art. 31 Leitsätze:

1. § 39 Nr. 4 AufentV enthält eine Ausnahme von der Pflicht zum Durchlaufen eines Visumsverfahrens für Asylbewerber, denen nach § 10 Abs. 1 AufenthG ausnahmsweise ein Aufenthaltstitel erteilt werden darf.

(Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

2. Vorsätzliche schwere Straftaten iSv § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sind solche, die in § 100a Abs. 2 StPO legal definiert sind. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

3. Wer den Asylantrag unverzüglich nach seiner Einreise stellt, macht sich nicht strafbar und verwirklicht hierdurch auch keinen Ausweisungsgrund. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Familiennachzug zum deutschem Ehegatten, Ehe, Wirksame Stellvertreterehe, Asylbewerber, Titelerteilungssperre (vorliegend verneint), Allgemeine

Erteilungsvoraussetzungen, Privilegierung nach § 39 Nr. 4 AufenthV, Befreiung von der Einhaltung des Visumsverfahrens, Aufenthaltserlaubnis, pakistanischer Staatsangehöriger, Familiennachzug,

Asylsuchender, Ehegatte, Wiederholungsgefahr, Ausweisungsinteresse, Ausweisungsgrund Fundstelle:

BeckRS 2017, 151493  

Tenor

I. Der Bescheid vom 23. Mai 2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, zum Antrag vom 21. Februar 2017 dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand 1

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zum deutschen Ehegatten.

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Der Kläger (geb. ... in ... im Distrikt G...) ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 16. Juli 2013 in das Bundesgebiet ein, ohne im Besitz eines Nationalpasses zu sein und meldete sich als Asylsuchender.

Am ... Juli 2013 beantragte er Asyl. Am 19. September 2016 wurde der Kläger durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemäß § 25 AsylG angehört. Bei seiner Anhörung trug der Kläger vor, dass er seinen Pass auf der Flucht im Ausland verloren habe. Der Kläger erwähnte in der Anhörung vor dem BAMF nicht, dass er zu diesem Zeitpunkt wieder im Besitz eines neue Nationalpasses war. Hiernach wurde er jedoch auch nicht explizit gefragt. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2016, zugegangen am 25.

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Oktober 2016, lehnte das BAMF den Asylantrag des Klägers als einfach unbegründet ab. Über die hiergegen am .... November 2016 erhobene Klage (M 23 K 16.34034) wurde bislang nicht entschieden.

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Der Kläger ist Inhaber eines neuen Nationalpasses, ausgestellt am 31. Mai 2016. Diesen legte er bei einem Notariat in ... am 20. Juli 2016 zum Nachweis seiner Identität für die Abfassung einer Urkunde bezüglich einer beabsichtigten Stellvertretereheschließung vor.

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Am ... Oktober 2016 erfolgte die Eheschließung des Klägers mit der deutschen Staatsangehörigen Frau A.

I. in der Form der Stellvertretereheschließung in ... Hierüber erfolgte in Deutschland die Vorlage der Heiratsurkunde mit Apostille / Überbeglaubigung und Übersetzung.

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Bei seiner Vorsprache bei der Beklagten am 27. Oktober 2016 händigte der Kläger der Beklagten seinen Nationalpass aus.

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Der Kläger beantragte am 21. Februar 2017 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum deutschen Ehegatten. Im Zuge der Antragsstellung legte er Verdienstbescheinigungen zu seiner ihm gestatteten Erwerbstätigkeit sowie den Steuerbescheid der Ehegatten für das Jahr 2016 und den seiner Ehefrau für das Jahr 2015 vor. Der Kläger legte einen unbefristeten Arbeitsvertrag sowie die Gestattung der privaten Wohnsitznahme des Klägers vom 9. Dezember 2016 bei seiner Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung in ... vor.

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Nach Anhörung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 2017 den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 21. Februar 2017 ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, § 39 Nr. 4 AufenthV i.V.m. § 10 Abs. 1 AufenthG stelle keinesfalls eine Ausnahmeregelung zu § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG dar. Aufgrund der fehlenden Einreise mit dem erforderlichen Visum zum Familiennachzug werde die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Der im Hinblick auf § 10 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 39 Nr. 4 AufenthV erforderliche strikte Rechtsanspruch sei nicht erfüllt, da § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wegen der Einreise des Klägers ohne das erforderliche Visum nicht erfüllt sei. Maßgeblich sei gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG der Aufenthaltszweck. Vorliegend bedürfe es eines nationalen Visums für den

längerfristigen Aufenthalt wegen Ehe. Unerheblich sei dabei, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Einreise seine Ehefrau noch nicht gekannt habe. Laut Einschätzung des Standesamtes ... habe eine wirksame Eheschließung stattgefunden. Es widerspreche vehement den zuwanderungspolitischen Grundsätzen der Bundesrepublik Deutschland, dass ein Asylbewerber das Asylverfahren in dem Sinne ausnutze, um während seines Aufenthalts unter den Voraussetzungen des Asylgesetzes anderweitige Bleibegründe zu schaffen. Die Regelung des § 10 Abs. 1 AufenthG solle deshalb verhindern, dass ein Asylbewerber während der Durchführung seines Asylverfahrens einen Aufenthaltstitel zu einem anderen Zweck im Bundesgebiet erlangen könne. Es solle dadurch ferner vermieden werden, im Wege eines unbegründeten Asylbegehrens einen längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu erlangen. Auf die Begründung des Ablehnungsbescheides wird im Übrigen verwiesen.

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Mit Eingang beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 26. Juni 2017 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage erheben und - mit in der mündlichen Verhandlung am 26. Oktober 2017 präzisiertem Antrag - beantragen,

dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Antrag vom 21. Februar 2017 zu erteilen.

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Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt, § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG stehe der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung (Ehe) nicht entgegen, weil der Kläger gemäß § 39 Nr. 4 AufenthV von dem Erfordernis der Einhaltung des Visumsverfahrens für die begehrte Aufenthaltserlaubnis befreit sei. Auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. September 2008 - 10 C 08.428 - juris Rn. 15 ff. - werde verwiesen. Auf die Klagebegründung wird im Übrigen Bezug genommen.

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Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

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In der Klageerwiderung führt die Beklagte aus, das Visumsverfahren nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sei vorliegend eine einzuhaltende allgemeine Erteilungsvoraussetzung. Da es vorliegend nicht eingehalten sei, liege auch kein strikter Rechtsanspruch gemäß § 10 Abs. 1 AufenthG vor. Die Privilegierung nach § 39 Nr. 4 AufenthV käme nicht zum Tragen, da ein Ausweisungsinteresse vorliege. Das Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sei gegeben. Es läge ein nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften vor. Der Kläger habe spätestens am 20. Juli 2016 einen gültigen Nationalpass besessen. Er habe somit gegen die allgemeine Mitwirkungspflicht im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 AsylG (Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts) und gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG (Verpflichtung, den Asylbehörden den Pass vorzulegen, auszuhändigen, zu überlassen) verstoßen. Zwar sei nach § 15 AsylG kein Zeitrahmen für die Passvorlage vorgesehen. In der Anhörung vor dem BAMF habe er jedoch seinen Passbesitz verleugnet durch die Angabe des Passverlustes in der Türkei bei erfolgtem expliziten Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht. Außerdem habe er falsche Angaben zum Namen und zum Geburtsort gemacht. Es liege zwar nur eine geringfügige Abweichung vor - nämlich Verdrehung von Vor- und Zunamen - und der Angabe eines unterschiedlichen Geburtsortes (im Pass ist G... als Geburtsort angegeben), aber er habe die Angaben der Personalien auch in der Anhörung nicht richtig gestellt. Zudem sei der Kläger vorsätzlich ohne Identitätsdokumente in die Länder, die auf dem Weg vor seiner Einreise in das Bundesgebiet gelegen hätten, eingereist. Es handele sich dabei insbesondere um die Länder der Europäischen Union des Schengen-Gebietes, in denen die gleichen Einreisebestimmungen gälten wie im Bundesgebiet. Es sei anzunehmen, dass die illegale Einreise und der illegale Aufenthalt auch in den besagten Ländern einen Straftatbestand darstellten. Die vorsätzliche illegale Einreise in das Bundesgebiet bzw. der vorsätzliche Aufenthalt ohne gültigen Pass im Bundesgebiet stellten eine schwere Straftat dar (vgl.

§ 95 Abs. 1 Nrn. 1, 3 AufenthG).

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Das Gericht hat die Gerichtsakte M 23 K 16.34034 über die Klage des Klägers gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Vollzugs des Asylgesetzes zum Verfahren beigezogen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegende Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte sowie die

Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe 13

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

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1. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug als ausländischer Ehegatte eines Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) i.V.m. § 5 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 39 Nr. 4 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 AufenthG.

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1.1. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 28 Abs.

1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 AufenthG vorliegen. Zwischen den Beteiligten ist ferner unstreitig, dass der deutsche Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat und dass eine wirksam geschlossene Ehe vorliegt aufgrund der Stellvertretereheschließung in ... Die Beklagte stützt sich insoweit auf das sachnahe Standesamt ... Dem erkennenden Gericht drängen sich keine Zweifel auf (vgl. zur Stellvertreterehe, sog.

„Handschuhehe“, LSG Berlin-Brandenburg, B.v. 27.9.2007 - L 32 B 1558/07 AS ER - juris Rn. 13 f.;

Kammergericht Berlin, B.v. 22.4.2004 - 1 W 173/03 - juris; Art. 11, 13 EGBGB).

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1.2. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG i.V.m. § 39 Nr. 4 AufenthV sind vorliegend gegeben. Die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 1 AufenthG greift nicht ein.

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1.2.1. Die in § 5 Abs. 2 AufenthG normierte allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung der Einhaltung des Visumsverfahrens ist aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 39 Nr. 4 AufenthV vorliegend keine erforderliche allgemeine Erteilungsvoraussetzung. Es liegt vielmehr eine gesetzliche Befreiung aufgrund des § 39 Nr. 4 AufenthV vor.

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1.2.1.1. § 39 Nr. 4 AufenthV enthält eine Ausnahme von der Pflicht zum Durchlaufen eines

Visumsverfahrens für Asylbewerber, denen nach § 10 Abs. 1 AufenthG ausnahmsweise ein Aufenthaltstitel erteilt werden darf (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2015 - 10 C 15.1470 - juris Rn. 6; B.v. 21.7.2015 - 10 CS 15.859, 10 C 15.860, 10 C 15.981 - juris Rn. 48 ff.; VGH BW, B.v. 5.9.2012 - 11 S 1639/12 - juris Rn. 6).

Vorliegend war ein Visum nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, § 99 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 39 Nr. 4 AufenthV entbehrlich. Der Kläger kann die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nach der Regelung in § 39 Nr. 4 AufenthG im Bundesgebiet einholen, wenn dessen

tatbestandliche Voraussetzungen vorliegen. Der Verordnungsgeber hat die Privilegierung des § 39 Nr. 4 AufenthV als Ergänzung zur Privilegierung des § 10 Abs. 1 und 2 AufenthG verstanden (vgl. die

Verordnungsbegründung in BR-Drs. 731/04 zu § 39 AufenthV, S. 181 - 183).

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1.2.1.2. Die Voraussetzungen des § 39 Nr. 4 AufenthV liegen vor.

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1.2.1.2.1. Der Kläger ist im Besitz der Aufenthaltsgestattung nach § 55 Asylgesetz (AsylG), denn sein Asylverfahren ist bislang nicht abgeschlossen. Obgleich das BAMF mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 über den Asylantrag des Klägers einfach unbegründet abschlägig vor der Beantragung der Erteilung der streitgegenständlichen Aufenthaltserlaubnis am 21. Februar 2017 entschieden hat (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, in dem die Aufenthaltsgestattung nach

§ 55 AsylG vorliegen muss, BayVGH, B.v. 21.7.2015 - 10 CS 15.859 u.a. - juris Rn. 50), ist damit das Asylverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen.

21

1.2.1.2.2. Die weitere Voraussetzung des § 39 Nr. 4 AufenthV, dass die Voraussetzungen des (vorliegend einschlägigen) § 10 Abs. 1 AufenthG vorliegen, also dass keine Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 1 AufenthG besteht, ist gegeben.

22

Die Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 AufenthG greift nicht ein in Fällen, in denen ein gesetzlicher Anspruch besteht. Ein gesetzlicher Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht dann, wenn sich der Anspruch unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Voraussetzung hierfür ist die Erfüllung aller zwingenden oder regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen, weil nur dann der Gesetzgeber selbst die Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (BVerwG, U.v. 12.7.2016 - 1 C 23/15 - juris Rn. 21; U.v.

17.12.2015 - 1 C 31/14; BayVGH, B.v. 28.9.2015 - 10 C 15.1470 - juris Rn. 9).

23

Im vorliegenden Fall sind alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum deutschen Ehegatten gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 AufenthG erfüllt, sodass ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 10 Abs. 1 AufenthG vorliegt. Da § 39 Nr. 4 AufenthV bei Erfüllung seiner tatbestandlichen Voraussetzungen die regelhafte allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 AufenthG abbedingt, ist § 5 Abs. 2 AufenthG auch nicht Teil der für das Vorliegen eines Anspruchs nach § 10 Abs. 1 AufenthG zu erfüllenden regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen.

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Neben den besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 AufenthG, die vorliegend unstreitig erfüllt sind (s. oben), liegen auch alle allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG vor.

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1.2.1.2.2.1. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Lebensunterhalt des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert ist, obschon nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine regelhafte

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Soll-Abweichung eingreift. Der Kläger hat seine Passpflicht nach § 3 AufenthG im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt erfüllt (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Unstreitig liegen auch die regelhaften Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nrn. 1a und 3 AufenthG vor.

26

1.2.1.2.2.2. Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht kein Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

27

Auf die Rechtsprechung zum Vorliegen des Ausweisungsinteresses im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nach der Neufassung zum 1. Januar 2015 des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wie auch des VGH Baden-Württemberg wird verwiesen (BayVGH, B.v. 29.8.2016 - 10 AS 16.1602 - juris Rn. 22; VGH BW, U.v.

19.4.2017 - 11 S 1967/16 - juris Rn. 28 ff., insbesondere Rn. 32). Unter Heranziehung dieser

Rechtsprechung wäre die für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erforderliche Wiederholungsgefahr hinsichtlich der als Rechtsverstöße benannten Handlungen bereits nicht gegeben.

28

Dessen ungeachtet liegt auch kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor, das die Beklagte für das Bestehen eines Ausweisungsinteresses im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG

heranzieht. Ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG liegt vor, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche bzw.

behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen hat oder aber außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

29

Vorsätzliche schwere Straftat(en) im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sind solche, die in § 100a Abs. 2 StPO legal definiert sind (vgl. Beck Online Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 8/2017, § 54 AufenthG Rn. 122; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kom., 2016, § 54 AufentG Rn. 86). Aus dem Bereich des Aufenthaltsgesetzes sind dies das Einschleusen von Ausländern nach § 96 Abs. 2 AufenthG oder das Einschleusen mit Todesfolge und gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen nach § 97 AufenthG (§ 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 StPO). Bei den in § 95 Abs. 1 Nrn. 1, 3 AufenthG aufgeführten Straftaten, die die Beklagte als einschlägig heranzieht, handelt es sich bereits nicht um vorsätzliche schwere Straftaten im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO und damit auch nicht um vorsätzliche schwere Straftaten im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG.

30

Im Übrigen ist eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nrn. 1, 3 AufenthG nach § 95 Abs. 5 AufenthG nicht gegeben, wenn Art. 31 Abs. 1 GFK vorliegt. Der unerlaubte Aufenthalt nach illegaler Einreise im Falle eines Asylantrages ist sowohl nach internationalem Recht (Art. 31 GFK), als auch nach nationalem Recht (§ 13 Abs. 3 Satz 2 AsylG) nur dann mit Strafe bedroht, wenn die Antragstellung nicht unverzüglich erfolgt. Wer den Asylantrag unverzüglich nach seiner Einreise stellt, wie vorliegend geschehen (vgl. §§ 13, 18 AsylG zur Anbringung des Asylgesuchs und § 14 AsylG, Art. 6 Abs. 3 RL 2013/32/EU – AsylVerfRL - zur mündlichen Asylantragstellung), macht sich nicht strafbar und verwirklicht hierdurch auch keinen Ausweisungsgrund (vgl. VG Darmstadt, U.v. 2.5.2013 - 5 K 1633/11.DA - juris Rn. 23).

31

Mithin stellt ohne Zweifel die Einreise und der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet angesichts seiner unverzüglichen Anbringung seines Asylbegehrens keinen Rechtsverstoß im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG dar.

32

Für einen Verstoß des Klägers gegen gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen ist nichts ersichtlich. Der Kläger hat sich weder strafbar gemacht noch wurden ihm gegenüber behördliche Entscheidungen oder Verfügungen erlassen, gegen die er verstoßen haben müsste.

33

Hinsichtlich der von der Beklagten herangezogenen Verstöße gegen die Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG durch die Nichtvorlage des neu ausgestellten Nationalpasses sowie des Unerwähntlassens dessen

Innehabens gegenüber dem BAMF in seiner Anhörung liegt allenfalls ein vereinzelter und geringfügiger

(6)

Verstoß gegen Rechtsvorschriften vor, der nicht geeignet ist, das Bestehen eines Ausweisungsinteresses als entgegenstehende allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu begründen. Hinsichtlich des nicht erfolgten Hinweises des Klägers in seiner Anhörung beim BAMF über die Verdrehung seines Vor- und Zunamens bei der Datenaufnahme durch das BAMF liegt schon kein

Rechtsverstoß vor, zumal der Kläger seinen Vor- und Zunamen samt detaillierter Angabe seines Geburtsorts (Ort und Distrikt) bei der Asylantragstellung korrekt angegeben hat.

34

Mithin ist im Ergebnis festzustellen, dass sämtliche einschlägigen allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG sowie die besonderen

Erteilungsvoraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 AufenthG vorliegen. Somit liegt ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 1 AufenthG vor, sodass die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 1 AufenthG vorliegend nicht greift und damit auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 39 Nr. 4 AufenthV gegeben sind und somit auch das Visumsverfahren als

Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 AufenthG vorliegend nicht einschlägig ist.

35

Damit besteht beim Kläger ein Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis, die er am 21. Februar 2017 beantragt hat. Dementsprechend war die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger diese zu erteilen.

36

2. Als Unterliegende hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).

37

3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).

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