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Sozialpartnerschaft in Gefahr? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

40 Die Volkswirtschaft  5 / 2018

Sozialpartnerschaft in Gefahr?

Im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung verlieren die Gewerkschaften weltweit an Mitgliedern – gleichzeitig bewegen sich die Interessen auf Arbeitgeberseite immer stärker auseinander. In diesem herausfordernden Kontext hat die Internationale Arbeitsorganisation eine Initiative zur Zukunft der Arbeit lanciert.  Adrian Bless, Boris Zürcher

D

ie in Genf beheimatete Internationale Arbeitsorganisation (ILO) feiert nächs- tes Jahr ihr hundertjähriges Bestehen. Damit ist sie die älteste Organisation innerhalb des UNO-Systems. Die ILO, die 187 Mitglieds- staaten zählt, will in erster Linie auf der Basis von internationalen Normen und Standards die soziale Gerechtigkeit in der Arbeits- welt fördern: Über 180 solcher rechtlichen Instrumente geben die Spielregeln für die Arbeitsbedingungen in einer zunehmend globalisierten und sich rasch verändernden Wirtschaft vor.

Gleich lange Spiesse und Mindeststan- dards für alle Beteiligten im globalen Wett- bewerb lautet das Credo. Dazu tragen na- mentlich die acht Kernübereinkommen zur Abschaffung der Kinderarbeit, zur Beseiti- gung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, zur Beseitigung der Zwangs- arbeit, zur Vereinigungsfreiheit und zum Recht auf Kollektiv verhandlungen bei.

Die Schweiz hat diejenigen 60 Überein- kommen ratifiziert, welche für eine ent- wickelte Wirtschaft relevant sind. Ihre Se- riosität in Bezug auf die Umsetzung der Kernübereinkommen wird international an- erkannt. Sie setzt sich dafür ein, dass das rechtliche Regelwerk aktualisiert und den heutigen Bedingungen angepasst wird. Da- rüber hinaus kommt der Schweiz als Sitz- staat eine besondere Verantwortung zu.

Die ILO unterscheidet sich von ande- ren UNO-Organisationen vor allem durch ihre dreigliedrige Struktur aus Regierungs-, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern.

Dieser sogenannte tripartite Ansatz findet sich in allen Länderdelegationen und Orga-

Abstract  Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) steuert auf ihr hundertjähriges Bestehen zu und wappnet sich für die Umwälzungen in der Arbeitswelt im Kontext der rasch voranschreitenden technischen Entwicklungen. Im Jubiläumsjahr steht die Zukunft der Arbeit im Fokus – indirekt geht es aber auch um die Zukunft der Sozial­

partnerschaft. Denn diese ist womöglich durch die Zunahme von neuen Arbeits­

formen, einen Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften und eine Aufsplitterung der Arbeitgeberinteressen bedroht. Die Schweiz nimmt sich des Themas an und engagiert sich auch multilateral dafür. Es geht um nichts weniger als um die Förderung des sozialen Zusammenhalts und die Wahrung des Wohlstands.

nen, was der ILO eine hohe Legitimität ver- schafft.

ILO im digitalen Zeitalter

Entstanden ist die ILO nach dem Ersten Welt- krieg in der Hoffnung, soziale Spannungen in Zukunft zu vermeiden, indem die Staaten- gemeinschaft die Arbeitnehmenden durch internationale Regelungen besser schützt.

Sie durchlebte in der Folge zahlreiche his- torische Phasen, die bezüglich der politi- schen Herausforderungen, der konjunkturel- len Entwicklung, grundsätzlicher sozialpoli- tischer Problemlösungsphilosophien, aber auch gesellschaftlicher Wertorientierungen starken Veränderungen unterworfen waren.

Die Grundsätze des sozialen Friedens und der Solidarität sind aber auch hundert Jahre später nach wie vor gültig – wenngleich sich die Arbeitswelt verändert hat. Bestehen- de Wertschöpfungssysteme werden durch die Globalisierung und das in einem bis dato noch nicht da gewesenen Ausmass an Infor- mations- und Kommunikationstechnologien durchdrungen. Die sogenannte vierte indus- trielle Revolution mischt Wissen, Produk- te, Dienstleistungen, Wertschöpfungsketten, Jobs und Branchen auf.

Diese Herausforderungen greift die ILO in einer «Initiative zur Zukunft der Arbeit in unserem Leben und unserer Gesellschaft»

auf, welche der ILO-Generaldirektor Guy Ryder zum 100-Jahr-Jubiläum lanciert hat.

Neben den traditionellen Anliegen, wie etwa der Förderung des Rechts auf Arbeit, der Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze, der Entwicklung sozialer Sicherungs systeme

und letzten Endes der nachhaltigen Siche- rung unseres Wohlstandes, geht es in der In- itiative auch um die Frage, wie sich die So- zialpartnerschaft angesichts der absehba- ren technologischen Veränderungen und der fortschreitenden Tertiarisierung der Wirt- schaft weiterhin als relevante und gestalten- de Kraft behaupten kann.

Als kleine und offene Volkswirtschaft macht sich die Schweiz stark für die Initiati- ve. Das Engagement erfolgt nicht nur auf der Basis der gemeinsamen Werte, welche die Schweiz mit der ILO teilt, sondern auch aus dem Willen zum gemeinsamen Handeln her- aus, um das Vertrauen in die Arbeitswelt von morgen zu stärken. Deshalb kandidiert die Schweiz für die Präsidentschaft der interna- tionalen Arbeitskonferenz im Jubiläumsjahr.

Dies ist das höchste Organ der Organisation.

Raison d’Être der ILO bedroht?

Bisher hat es die Schweiz bestens verstan- den, den steten strukturellen Wandel zu ihren Gunsten zu nutzen. Es ist auch gegenwärtig davon auszugehen, dass die Digitalisierung, gleich dem bisherigen technologischen Fort- schritt, zu einem gesamtwirtschaftlichen Be- schäftigungsanstieg führen wird und dank der Spezialisierung auf hochwertige Tätigkei- ten sowohl den Werkplatz Schweiz stärkt als auch den Beschäftigten mehr Wohlstand be- schert.

Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine starke Sozialpartnerschaft, welche den Wan- del in einem offenen und konstruktiven Dia- log mitgestaltet. Damit sollen auch in Zu- kunft dank unternehmerischer Initiativen und Innovationsfreudigkeit neue Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn anderswo Arbeits- plätze verschwinden. Im Hinblick auf das ILO- Jubiläum begleitet das Departement für Wirt- schaft, Bildung und Forschung (WBF) die Sozialpartner bei der Ausarbeitung einer ge- meinsamen Erklärung zur Zukunft der Arbeit und der Sozialpartnerschaft. Dadurch soll die vertrauensvolle Zusammenarbeit auch ange- sichts einer globalisierten Wirtschaft und des technologischen Wandels weitergehen.

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INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Die Volkswirtschaft  5 / 2018 41 Die ILO hat in der Vergangenheit ihre

Anpassungsfähigkeit gegenüber globa- len Veränderungen und neuen Technolo- gien unter Beweis gestellt. Da angesichts der digitalen Änderungen atypische Be- schäftigungsformen zunehmen könnten, führt dies womöglich zu einem schleichen- den Bedeutungsverlust der Sozialpartner- schaft. Dies wiederum gefährdet den tri- partiten Ansatz – die Raison d’Être der ILO.

Die globalen Tendenzen widerspiegeln auch die Situation in der Schweiz. Auf der Arbeitnehmerseite bringen schwindende Mitgliederzahlen aufgrund gesellschaft- licher Individualisierungstendenzen die Gewerkschaften in Bedrängnis, während auf der Arbeitgeberseite eine zunehmen- de Aufsplitterung der Interessenvertre- tung der Unternehmen festzustellen ist.

Diese Tendenzen stellen ein grundsätzli-

ches Problem hinsichtlich der Repräsen- tanz der Sozialpartner und letztlich ihrer Legitimität im Prozess der Interessenkoor- dination dar.

Die erwähnte ILO-Initiative richtet sich daher nicht nur auf die Zukunft der Arbeit, sondern auch auf die Zukunft der Sozialpartnerschaft. Nur eine effiziente und funktionierende sozialpartnerschaft- liche Verständigung und Interessenko- ordination – subsidiär vom Staat beglei- tet – trägt dazu bei, Lösungen auf Stufe der Branchen und Unternehmen zu fin- den, welche der Notwendigkeit der Wirt- schaft entsprechen, die nötige Flexibili- tät garantieren und einer Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen vorbeugen. Die- ser Ansatz schafft Sicherheit und sozialen Zusammenhalt, die zur Förderung und zum Schutz von Investitionen, zur Schaffung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen und schliesslich zur Wahrung des Wohlstands unabdingbar sind.

Adrian Bless

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ressort Internationale Arbeitsfragen, Staats- sekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern

Boris Zürcher

Dr. rer. pol., Leiter der Direktion für Arbeit, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern Der Trend zur Individualisierung bringt Gewerk­

schaften in Bedrängnis. Demonstranten in Marseille.

KEYSTONE

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