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Deutscher Gewerkschaftsbund Der Paritätische Gesamtverband 23. November 2012

Hintergrund zur 8. GWB-Novelle

Seit Anfang 2011 gelten das Kartellverbot und die Missbrauchsaufsicht im Verhältnis der

gesetzlichen Krankenkassen zu den Leistungserbringern. GWB-Bestimmungen greifen seitdem insbesondere im Bereich der Selektivverträge, die einzelne Krankenkassen mit

Leistungserbringern oder Unternehmen abschließen. Mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-Novelle) beabsichtigt der

Gesetzgeber, die Anwendbarkeit des Kartellrechtes auf die gesetzlichen Krankenkassen weiter auszudehnen. Demnach sollen die kartellrechtlichen Vorschriften auf die

Wettbewerbsbeziehungen der Krankenkassen untereinander und in deren Verhältnis zu den Versicherten angewendet werden. Auch sollen zukünftig für die wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten der Krankenkassen untereinander die Zivilgerichte zuständig sein. Bisher ist für solche Streitigkeiten die Sozialgerichtsbarkeit zuständig.

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Das Kabinett hat das Gesetz am 28. März 2012 beschlossen. Der Bundesrat hat sich am 11.05.2012 gegen die geplanten Änderungen für die Krankenversicherung ausgesprochen und ist damit der Empfehlung des BR-Gesundheitsausschusses gefolgt. Am 15.06.2012 wurde der Gesetzentwurf in erster Lesung im Bundestag behandelt. Die Ausschussanhörung fand im federführenden BT-Ausschuss für Wirtschaft und Technologie statt, jedoch ohne Schwerpunkt zu den Änderungen, die die Krankenkassen betreffen. Am gleichen Tage führte der BT-

Ausschuss für Gesundheit ein sog. Fachgespräch durch, u.a. mit den jeweiligen Leitern des Bundeskartellamtes und des Bundesversicherungsamtes. Die Positionen der beiden

Bundesbehörden standen sich dabei diametral entgegen.

Für Ende September war der Abschluss im federführenden BT-Ausschuss Wirtschaft und Technologie geplant. Im Oktober sollte die zweite und dritte Lesung im BT-Plenum erfolgen. Im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes hat es eine von Versicherten- und

Arbeitgebervertretern gemeinsam getragenen Beschluss gegen die 8. GWB-Novelle gegeben.

In der Union gab es dem Vernehmen nach erhebliche Bedenken, so dass die 8.GWB-Novelle auf Ebene der Fraktionsvorsitzenden Kauder und Brüderle verhandelt wurde. Diese haben dem Änderungsgesetz inklusive der Regelungen zu den gesetzlichen Krankenkassen am 16.

Oktober plötzlich grünes Licht gegeben. Am 17. Oktober fand bereits der Abschluss des Verfahrens im federführenden Ausschuss statt. Die 2./3. Lesung erfolgte im Bundestag als kurzfristig eingefügter Zusatzordnungspunkt am 18. Oktober – nach einer 30minütigen Debatte über die gesamten Kartellrechtsänderungen.

Die 8. GWB-Novelle ist ein Einspruchsgesetz, das dem Bundesrat eine Mitsprache eröffnet. Der Bundestag kann sich über ein Votum des Bundesrats mit einfacher Mehrheit in einer erneuten Beschlussfassung mit absoluter Mehrheit hinwegsetzen. Stimmt der Bundesrat aber mit einer Zweidrittelmehrheit (46 von 69 Stimmen) für eine Streichung, müsste im Bundestag ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit erreicht werden, ansonsten wäre die beabsichtigte Reform gescheitert.

Der federführende Bundesratsauschuss für Wirtschaft hat dem Plenum mit den Stimmen der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg- Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen empfohlen, die die Krankenkassen betreffenden Änderungen in der 8. GWB-Novelle zu

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streichen. Folgten diese Länder dem Votum, wären 42 von 69 Stimmen für die Streichung. Bis zur wirksamen Zwei-Drittel-Mehrheit von 46 Stimmen fehlen demnach nur noch vier Stimmen.

Risiken des Gesetzentwurfs

Die Zusammenarbeit der Krankenkassen im Sinne einer bestmöglichen Versorgung der Versicherten wird durch die geplanten Änderungen grundlegend in Frage gestellt. Während Kooperationen der Kassen künftig eingeschränkt werden sollen, werden Kooperationen im SGB V bisher explizit gefordert. So heißt es etwas in § 4 Abs. 3 SGB V: „Im Interesse der

Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung arbeiten die Krankenkassen und ihre Verbände sowohl innerhalb einer Kassenart als auch

kassenartenübergreifend miteinander und mit allen anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens eng zusammen.“

1. Die verlässliche Gestaltung der Krankenversorgung im Sinne der Versicherten ist in Gefahr.

Da das neue Kartellrecht vor allem auf das Verhältnis der gesetzlichen Krankenkassen untereinander sowie zu ihren Mitgliedern geregelt werden soll, beziehen sich die

Änderungen vor allem auf Fusionskontrolle und Abspracheverbot. Die Zusammenarbeit der Krankenkassen im Sinne einer bestmöglichen Versorgung der Versicherten wird

grundlegend in Frage gestellt. So gibt es aus gutem Grund zahlreiche gesetzliche

Regelungen im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V), die die Krankenkassen ausdrücklich zur Zusammenarbeit verpflichten. Dazu gehören beispielsweise Arzneimittelrabattverträge. Die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit von Krankenkassen sind wegen der

Wettbewerbssituation schon jetzt nicht optimal. Künftig werden Krankenkassen vom Kartellrecht bedroht, wenn sie mit anderen Trägern der GKV zusammen arbeiten wollen.

2. Das weitestgehend durch EU-Recht harmonisierte Gesetz gegen

Wettbewerbsbeschränkungen soll auf die Krankenkassen übertragen werden. Das führt aber nicht zu mehr Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, denn gesetzliche Krankenkassen sind keine Unternehmen mit wirtschaftlichen Freiheiten. Sie dienen der Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung und sind damit Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bewertet die deutschen gesetzlichen Krankenkassen deshalb zu Recht bisher nicht als Unternehmen (EuGH, 16.03.2004, - Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01)und stellt sie somit

ausdrücklich nicht unter den Geltungsbereich des Artikels 101 und 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), in denen die Wettbewerbsregeln für Unternehmen im EU-Binnenmarkt geregelt sind..

Es besteht aber die Gefahr, dass der EuGH in der Folge der derzeit diskutierten

Gesetzesänderung seine Auffassung ändert – wenn doch selbst der deutsche Gesetzgeber im Kartellrecht die Krankenkassen normalen Unternehmen gleichstellt. Wenn der EuGH seine bisherige Rechtsprechung ändert und Krankenkassen zu Unternehmen erklärt und in die unmittelbare Nähe gewinnorientierter Wirtschaftsunternehmen gerückt werden, hätte dies –schwerwiegende Auswirkungen:

unwiderruflicher Verlust der nationalstaatlichen Regelungskompetenz an die Europäische Union, da Wettbewerbsrecht auf europäischer Ebene harmonisiert ist und die Rechtsprechung des EuGH wieder umgekehrt werden müsste

die Möglichkeit, den Versorgungsauftrag der GKV besonders zu berücksichtigen, ginge verloren, denn es müssten jeweils seitens der Bundesregierungen Ausnahme zum EU-Kartellrecht nach Art. 106 AEUV formuliert werden

nach EU-Recht müssten Mehrwertsteuer für Leistungen und Umsatzsteuer für Leistungserbringer zu Lasten der Beitragszahler erhoben werden

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die Beihilfenkontrolle des Europarechts könnte Anwendung finden. Dass würde die Finanzierung von Kassen aus Steuermitteln, wie sie in den vergangenen Jahren zugenommen hat, erheblich erschweren

Tragende Strukturprinzipien des Systems, wie Solidarität, Subsidiarität und Selbstverwaltung, werden damit in Frage gestellt.

3. Durch die Übertragung von Aufsichtskompetenzen an das Bundeskartellamt werden die Kompetenzen der Bundesländer bei der Aufsicht reduziert. Fusionen von der „Freigabe“

durch das Bundeskartellamt abhängig zu machen, bedeutet zusätzlichen Bürokratieaufbau und erschwert solche Vereinigungsprozesse erheblich. Zudem stellt es einen

grundlegenden Eingriff in die Autonomie der Selbstverwaltung und in die

Aufsichtskompetenz der zuständigen Aufsichtsbehörden dar. Im Klartext könnten

sogenannte „Rettungsfusionen“ von insolvenzgefährdeten Kassen erschwert und verzögert werden.

4. Die Neuregelung erfolgt ohne Not und bricht mit Grundsätzen des Gesundheitssystems.

Bereits heute gelten Kartellverbot und Missbrauchsaufsicht für das Verhältnis zwischen Kassen und Leistungserbringern (§ 69 Abs. 2 SGB V). Ausgenommen sind bislang jedoch alle Vereinbarungen, zu denen die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind. Auch das Hessische Landessozialgericht hatte die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf

Krankenkassen noch am 15.09.2011 ausgeschlossen.

5. Die Neuregelungen befördern eine negative Ökonomisierung des Gesundheitswesens.

Krankenkassen verfügen über den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Ihnen fehlt die Privatrechtsautonomie. Mit der Neuregelung würde der Markt für

Gesundheitsdienstleistungen nach Prinzipien des Gütermarktes neu geordnet. Das führt zu zahlreichen Verwerfungen, ist doch beispielsweise der Umsatz einer Krankenkasse - anders als bei Unternehmen - schwerlich als Kontrollmaßstab anwendbar, außerdem unterliegt die Preisfindung – anders als auf Gütermärkten – anderen Kriterien. Gleichzeitig ginge die Zuständigkeit bei Wettbewerbsstreitigkeiten von den Sozial- auf die Zivilgerichte über. Die besondere soziale Zielsetzung der GKV würde damit relativiert.

6. Die Neuregelung droht das Gesundheitssystem zu verteuern und die Stellung der Patienten zu verschlechtern. So dürften etwa der koordinierte Abschluss von Rabattverträgen ebenso erschwert oder verhindert werden wie gemeinsame Modellprojekte. Dies betrifft

insbesondere freiwillige Kooperationen, etwa bei Präventionsmaßnahmen und

Kooperationen zur einheitlichen Präventionsgestaltung, der Entwicklung übergreifender Versorgungsstrukturen und den kasseninternen Haftungsverbund und

Informationsaustausch.

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Häufig gestellte Fragen

1. Sind Krankenkassen Unternehmen?

Juristisch: Krankenkassen sind Teile der mittelbaren Staatsverwaltung in der Form der Körperschaften des öffentlichen Rechts und den Zielen des § 1 des Sozialgesetzbuch I verpflichtet: ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie die Familie zu schützen und zu fördern.

Ökonomisch: Sie können weder über ihre Einnahmen oder ihre „Kundinnen und Kunden“

(d. h. Mitglieder und deren Angehörige) noch über den Großteil ihrer Ausgaben

eigenständig bestimmen. Es besteht kein Recht zur Gewinnerzielung (und schon gar nicht zur Ausschüttung von Gewinnen), und das Recht zur Bildung von Rücklagen ist stark eingeschränkt.

2. Wird das Verhältnis der Krankenkassen zueinander durch Wettbewerb geprägt?

Juristisch: Vorhanden sind gesetzliche Gebote zur Zusammenarbeit (u.a. § 4 Abs. 3 SGB V). Darüber hinaus gibt es zahlreiche gesetzliche Regelungen, die die Krankenkassen zur Zusammenarbeit verpflichten, u.a. im GKV-Spitzenverband.

Ökonomisch: Nicht durch Wettbewerb geprägt sind sind, laut Bundesversicherungsamt, auf der Einnahmenseite 98,69 Prozent und auf der Ausgabenseite 85,4 Prozent der

Finanzmittel.

3. Ist die Kontrolle des sog. Kassenwettbewerb durch das Kartellamt auf Grundlage des GWB erforderlich?

Juristisch: Die Aufsicht über die gesetzlichen Krankenkassen liegt vor allem bei den Bundesländern und beim Bundesversicherungsamt. Im Verhältnis zu den

Leistungserbringern seit der letzten Reform beim Kartellamt.

Ökonomisch: Das GWB zielt auf Unternehmen und Unternehmensvereinigungen mit den konstitutiven Merkmalen: erwerbswirtschaftliches Prinzip, Prinzip des Privateigentums und des Autonomieprinzips. Dazu gehören Streben nach Gewinnmaximierung und

Selbstbestimmung des Wirtschaftsplans.

4. Aber das Kartellamt handelt doch auch auf Grundlage der Sozialgesetzbücher?

Juristisch: Das Kartellamt handelt vor allem auf Grundlage des GWB; Artikel 101 und 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV); Artikel 81 und 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft; Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln; Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.

Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (EG- Fusionskontrollverordnung, FKVO).

Ökonomisch: Nach § 1 SGB V ist die Krankenversicherung eine Solidargemeinschaft, die die Aufgabe hat, „die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.“ Diesem übergeordneten Ziel sind die

Krankenkassen verpflichtet. Das geplante Verbot der engen Zusammenarbeit der Krankenkassen untereinander widerspricht zudem den Zielvorgaben des

Sozialgesetzbuches, denen zufolge Krankenkassen im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit eng zusammenarbeiten sollen. Die uneingeschränkte Übernahme der Vorgaben zu Kartellverbot und Missbrauchsaufsicht rückt die dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten gesetzlichen Krankenkassen in die unmittelbare Nähe gewinnorientierter

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Wirtschaftsunternehmen: „Das Bundeskartellamt ist eine unabhängige

Wettbewerbsbehörde, deren Aufgabe der Schutz des Wettbewerbs in Deutschland ist. Der Schutz des Wettbewerbs ist eine zentrale ordnungspolitische Aufgabe in einer

marktwirtschaftlich verfassten Wirtschaftsordnung. Denn nur ein funktionierender Wettbewerb gewährleistet größtmögliche Wahlfreiheit und Produktvielfalt, damit Verbraucher ihre Bedürfnisse stets befriedigen und Unternehmen ihre Angebote stets optimieren können.“ (Homepage des Kartellamts)

5. Wird die gesundheitliche Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten berührt?

Die Zusammenarbeit der Kassen bezieht sich u.a. auf Mammographiescreening, IT, integrierte Versorgung, strukturierte Chronikerprogramme (Desease Management

Programme). Darüber soll künftig im Zweifelsfall das Bundeskartellamt, das weder über die notwendige Sachkenntnis noch über die entscheidende Erfahrung verfügt. Im Zweifel entscheidet dann ein Zivilgericht, das ebenfalls weder über die notwendige Sachkenntnis noch über die entscheidende Erfahrung verfügt. Lange Rechtsstreitigkeiten und

Versorgungsprobleme sind die Folge.

6. Besteht seitens der EU-Regelungen Gefahr?

Juristisch: Wenn nun über das Kartellrecht die Krankenkassen mit gewinnorientierten Unternehmen gleichgestellt werden, besteht die Gefahr, dass der EuGH künftig die Unternehmenseigenschaft der gesetzlichen Kassen neu bewerten und bejahen wird. Dies hätte die unmittelbare Anwendbarkeit weiterer EU-Normen zur Folge, die an den

Unternehmensbegriff anknüpfen. Gesetzliche Krankenkassen würden faktisch privatisiert.

Finanziell: Ggf. würden die Kassen der Mehrwert-, Umsatz- oder Körperschaftsteuer unterliegen.

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Anhang:

Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates auf BR-Drs. 641/1/12 vom 9.11.2012 auf Antrag der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig- Holstein und Thüringen gegen die die Krankenkassen betreffenden Teile der achten GWB- Novelle:

„Die im Gesetzesbeschluss vorgesehenen Änderungen führen zu einer deutlichen Verschlechterung der Versorgungssituation und der Rechte und Möglichkeiten der gesetzlich Krankenversicherten.

Eine Gleichsetzung der am Gemeinwohl orientierten Krankenkassen mit

privatwirtschaftlichen und gewinnorientierten Unternehmen zieht eine Unterordnung der Patienteninteressen unter die des Wettbewerbs nach sich.

Durch die Ausweitung der Zuständigkeiten des Bundeskartellamtes würde eine zusätzliche Behörde mit der Aufsicht über die Krankenkassen mit dem Ergebnis beauftragt, dass neue Bürokratie aufgebaut wird, ohne dass den Krankenkassen angemessene wettbewerbliche Handlungsspielräume eröffnet werden.

Krankenkassen sind keine Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne. Ihr Verhalten sollte daher weiterhin nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben und allein durch die zuständigen Rechtsaufsichtsbehörden beurteilt werden.

Das geplante Verbot der engen Zusammenarbeit der Krankenkassen untereinander widerspricht den Zielvorgaben des Sozialgesetzbuches, denen zufolge Krankenkassen im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit eng zusammenarbeiten sollen.

Die uneingeschränkte Übernahme der Vorgaben zu Kartellverbot und

Missbrauchsaufsicht rückt die dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten gesetzlichen Krankenkassen in die unmittelbare Nähe gewinnorientierter Wirtschaftsunternehmen.

Dagegen fallen die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Europäischen

Gerichtshofs (EuGH) nicht unter den europäischen Unternehmensbegriff und unterliegen daher auch nicht dem EU-Wettbewerbsrecht. Der EuGH begründet dies damit, dass die Krankenkassen nach Maßgabe des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht wettbewerblich und gewinnorientiert sind, sondern in Erfüllung hoheitlicher Aufgaben handeln.

Die GWB-Novelle erhöht in erheblichem Maße die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH in seiner zukünftigen Rechtsprechung die Unternehmenseigenschaft der deutschen

gesetzlichen Krankenkassen bejahen wird. Das hätte dann erhebliche Folgewirkungen in verschiedenen Bereichen, die nicht im Patienteninteresse stehen.

Dann würde das europäische Wettbewerbsrecht für das gesamte deutsche

Gesundheitswesen gelten, also auch für die Beziehungen der Krankenkassen zu Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken und so weiter. Der deutsche Gesetzgeber kann dann nur noch im Rahmen der dann geltenden europarechtlichen Vorgaben das deutsche Gesundheitssystem gestalten.

Durch den Vorrang der wettbewerbsrechtlichen Fusionskontrolle vor der

sozialrechtlichen Genehmigung einer Vereinigung von Krankenkassen durch die Aufsichtsbehörden besteht die Gefahr, dass sogenannte „Rettungsfusionen“ von insolvenzgefährdeten Kassen erschwert und verzögert werden könnten bis hin zu ihrer Verhinderung. Gleichzeitig wird damit nachdrücklich in die gesetzlich normierte

Aufgabenwahrnehmung der Länder eingegriffen, weil – mangels einer der Ministererlaubnis vergleichbaren Kompetenz der zuständigen Landes-

Aufsichtsbehörden – gegen eine ablehnende Entscheidung des Bundeskartellamtes keine Genehmigung einer Fusion zulässig ist.

Außerdem ist zu befürchten, dass Kostensteuerungsmechanismen aufgrund von Kooperationen und verbandsmäßiger Koordination, wie zum Beispiel

Arzneimittelrabattverträge, durch die geplanten kartellrechtlichen Änderungen in Frage gestellt werden.

Darüber hinaus ist für Rechtsstreitigkeiten in diesen Bereichen ein Zurückdrängen der

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Zuständigkeit der Sozialgerichte zu Gunsten der Kartellsenate der Oberlandesgerichte vorgesehen, ohne dass hierfür eine Notwendigkeit ersichtlich ist.

Die vom Deutschen Bundestag im Rahmen seiner Beratungen eingefügte Klarstellung, dass bei der Anwendung des Gesetzes zur Änderung gegen

Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) der Versorgungsauftrag der Krankenkassen zu berücksichtigen sein soll, ist nicht ausreichend, die Bedenken gegen den

Gesetzesbeschluss auszuräumen. Da die Maxime des GWB nicht die Sicherstellung einer flächendeckenden, effizienten Aufgabenerfüllung der Krankenkassen durch freiwillig gestaltete Kooperation ist, sondern der Schutz des Wettbewerbs, sind bei Inkrafttreten dieses Gesetzes Zielkonflikte zwischen Wettbewerbsrecht und Sozialrecht weiterhin unausweichlich.

Angesichts zahlreicher öffentlicher Einlassungen des Bundeskartellamtes bestehen erhebliche Zweifel, ob das Amt diesen Konflikt im Sinne der Versorgungsqualität, also zu Gunsten eines "Primats des Sozialrechtes" auflösen wird. Damit würden jedoch die Krankenkassen bei allen Kooperationen, für die kein ausdrücklicher gesetzlicher Auftrag besteht, mit einem erheblichen Prognoserisiko bezüglich der Zulässigkeit ihres Handelns belastet, welches zu einer Lähmung von Innovationskräften und zur Verhinderung von Effizienzsteigerungen bei der Versorgung von Versicherten führen wird.“

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