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Heinichens Kirchenmusik Ausführungsdauer in Takt, Tempo und

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(1)

W o l f g a n g H o r n

Takt, Tempo u n d

Ausführungsdauer i n

Heinichens Kirchenmusik

Ein Beitrag nicht nur zur Aufführungspraxis*

Angesichts der Komplexität d e r P r o b l e m e u n d der Mehrdeutigkeit der gängigen Termini neigen allzu kurze T e x t e über F r a g e n der "Musikalischen Zeit" d a z u , dogmatisch oder d u n k e l z u sein. Der vorliegende T e x t b e m ü h t sich u m Kürze u n d Verständlichkeit. Er geht nicht a u s v o n d e r Idee eines S y s t e m s , s o n d e r n v o n elementaren Sachverhalten. Er ba­

siert auf der A u s w e r t u n g v o n ca. 5 6 0 Einzelsätzen

1

, die d e n G e s a m t b e s t a n d v o n Hei­

nichens im A u t o g r a p h erhaltenen W e r k e n für d e n katholischen Gottesdienst a m Dresdner Hof der J a h r e 1 7 2 1 — 1 7 2 9 a u s m a c h e n .

2

Er v e r w e n d e t Begriffe, die a u s der Interpretation einschlägiger P a s s a g e n in Heinichens Buch Der General-Baß

in der Compositiorß

ge­

w o n n e n w u r d e n .

J o h a n n David Heinichen ( 1 6 8 3 — 1 7 2 9 ) lebte v o n 1710 bis A n f a n g 1717 in Italien. 1716 w u r d e er v o n d e m in V e n e d i g w e i l e n d e n sächsischen T h r o n e r b e n als Hofkapellmeister n a c h Dresden a n d e n Hof A u g u s t s d e s Starken verpflichtet. In dieser h o h e n Position ver­

blieb er bis z u s e i n e m T o d . S e i n S c h a f f e n umfaßt einige evangelische Kirchenkantaten (es handelt sich d a b e i u m f r ü h e W e r k e ) , w e n i g e Opern, e t w a 6 5 italienische Kantaten, ei­

nige S e r e n a d e n s o w i e W e r k e für Orchester und kleinere Instrumentalbesetzungen. In d e n Jahren bis 1721 dominiert d i e weltliche Musik, w ä h r e n d v o n 1721 bis ins Todesjahr 1729 die katholische Kirchenmusik g a n z in d e n V o r d e r g r u n d tritt mit insgesamt 12 Mes­

s e n u n d 2 Requiems, zahlreichen P s a l m e n und Magnificat, T e D e u m u. a.

Es ist nicht möglich, d e n "Stil" eines Komponisten in w e n i g e n W o r t e n a n g e m e s s e n z u beschreiben (falls dies in W o r t e n überhaupt möglich ist). Dies vorausgesetzt, seien die folgenden Sätze g e w a g t .

4

Heinichens Musik ist geprägt v o n großer Klarheit u n d Einfach­

heit in den G r u n d l a g e n ihrer Gestaltung. Z u r Hervorhebung der periodisch wiederkehren­

d e n Akzente sind in der Regel m e h r e r e musikalische Mittel koordiniert: Harmoniewech­

sel, melodische u n d rhythmische Hervorhebung. Die Differenzierungsweite der Noten­

werte ist gering; im 4/4-Takt d o m i n i e r e n in der Regel Muster a u s Vierteln u n d Achteln o d e r Vierteln, Achteln u n d Sechzehnteln. Die Periodik ist durch merkliche Zäsuren stets durchhörbar gestaltet. Die Klangfortschreitungen sind v o r w i e g e n d a m Modell d e r K a d e n z orientiert; harmonische S e q u e n z e n k o m m e n vor, spielen aber keine beherrschende Rol­

le. "Alles fließt" in Heinichens Musik: "Die Natur begleitet alle seine T ö n e . "

5

Heinichen ist in s e i n e r z e i t ein a u s g e s p r o c h e n "moderner" Komponist.

Die katholische Kirchenmusik Heinichens bildet einen W e r k b e s t a n d , der historisch, gat­

tungsmäßig u n d soziologisch begrenzt ist. Sämtliche W e r k e sind binnen eines knappen Jahrzehnts entstanden, u n d e s handelt sich u m Vokalmusik für d e n katholischen Got­

tesdienst im höfischen Umfeld. Wollte m a n A u s s a g e n über diesen Bestand verallge-

(2)

148

Wolfgang Horn • Takt, T e m p o u n d Aufführungsdauer

meinern, müßte man Wege finden, diese Begrenzung zu überwinden; dies kann hier nicht geschehen.

6

Bloße Zeitgenossenschaft ist noch keine hinreichende Begründung für die Unterstellung grundsätzlich gleicher Ansichten im Bereich des Arbiträren. So verwendet Heinichen ein relativ kleines Arsenal von Taktvorzeichnungen, dafür aber sehr häufig Tempoangaben; beides unterscheidet ihn von Bach.

7

Musik begegnet uns nicht nur im Erklingen, sondern auch in schriftlich niedergelegter Form. Dieser scheinbar banale Sachverhalt eröffnet im Bereich der "musikalischen Zeit"

eine zweite Problemebene — jene Ebene, auf der Unklarheiten über die Struktur "einfa­

cher" und "zusammengesetzter" Taktarten entstehen können (denn Takte in erklingender Musik sind nach Heinichens Verständnis immer "einfach"). Die Notation kann als ein Code verstanden werden, der nur dann richtig zu entschlüsseln ist, wenn man die Regeln kennt, denen der Benutzer des Zeichensystems folgte (im Idealfall der Komponist, der zu- : gleich der Schreiber ist: also im Idealfall des Autographs), und wenn man nicht von vorn­

herein unterstellt, daß es ein epochal (oder über-epochal) verbindliches Regelsystem gab.

8

Dies ist auch die Ebene, mit der sich unsere Untersuchungen befassen und zu der sie etwas aussagen können.

9

Es gibt im Bereich der Notation Homonymien: gleiche Zeichen bedeuten Verschiede­

nes, und Synonymien: verschiedene Zeichen bedeuten Gleiches. Der Versuch, das von einem bestimmten Menschen befolgte Regelwerk zu ermitteln, dürfte demnach ein ge­

wisses Interesse beanspruchen. In einer besonders glücklichen Lage befindet man sich dann, wenn es von diesem Menschen nicht nur Notationsdokumente gibt, sondern auch . sprachlich explizite Äußerungen über die Grundsätze seiner Aufzeichnungsweise und über die Natur des Aufzuzeichnenden.

10

Johann David Heinichen ist ein solcher Mensch;

er erfüllt diese Voraussetzungen in wohl einzigartiger Weise. Heinichen erkennt in der er­

klingenden Musik nur Zweier- und Dreiertakte an; die verschiedenen Notationsformen sind auf eine dieser beiden Wurzeln reduzierbar.

11

Wer so denkt, der kommt mit wenigen Notationsformen aus.

Im vierten Kapitel des GbC, überschrieben "Von geschwinden Noten, und mancherley Tacten", gilt Heinichens Interesse insbesondere der Frage nach der Harmoniefähigkeit bestimmter Positionen in einem gegebenen Notenbild; seine Ausführungen werden im folgenden auf ihren Kern reduziert. Akkorde besetzen bestimmte Positionen auf dem (ge­

dachten) Zeitstrahl und verursachen dabei häufig Harmoniewechsel. Diese Positionen werden vom Hörer dadurch (und durch anderes) als besonders ausgezeichnete Positio­

nen wahrgenommen. Man kann sich diese Positionen zählend vergegenwärtigen und sie deshalb als "Zählzeiten" bezeichnen.

12

Solche Zählzeiten gruppieren wir nur auf zwei Weisen: zu je zweien oder zu je dreien. Daher gibt es "real" nur zwei Taktarten: den Zweier- und den Dreiertakt, deren Einheiten man als "Zweier-" und "Dreier-Akzenteinheit"

bezeichnen kann, um so auch terminologisch die Einheit des Realtakts von der Einheit des notierten Takts (dem Raum zwischen zwei Taktstrichen) zu unterscheiden.

Heinichen trennt implizit Metrum (den gleichförmigen Puls im Hintergrund, im Innern oder wie man es nennen will) und Rhythmus (die bunte und gebundene Folge von No­

tenwerten im Vordergrund oder an der Oberfläche). Mag die Trennung der Sache nach etwas gewaltsam erscheinen, so ist sie doch methodisch fruchtbar. Die beiden taktkonsti­

tuierenden, akzentisch gestuften Gruppierungsweisen sind vergleichbar dem cartesi- j sehen Koordinatensystem; sie ermöglichen es, die Vielfalt der Rhythmen im Verlauf einer Stimme auf eines der beiden metrischen Grundmuster, den Zweier- oder den Dreiertakt, zu beziehen. Heinichen ist in seiner Zeit ein ausgesprochen moderner Theoretiker.

13

Zur Kennzeichnung der (nach Heinichen) metrisch wesentlichen Strukturmomente einer j

Taktart verwenden wir eine formalisierte Schreibweise. Vor dem Kürzel "AE" (Akzentein- j

(3)

W o l f g a n g Horn » T a k t , T e m p o u n d Aufführungsdauer

149 heit') stehen entweder die Z a h l e n 2 oder 3 für "Zweier-" oder "Dreier-Akzenteinheit". Die Anzahl der in einer "Notationseinheit" vereinigten Akzenteinheiten erscheint als Faktor zu Beginn der Angabe. Die Z a h l e n 1 oder 2 nach d e m Kürzel A E meinen "einschichtige"

oder "zweischichtige" Taktart. Dies besagt, daß auch der erste Unterteilungswert der Zählzeit noch einen eigenen A k k o r d (eine eigene Harmonie) erhalten kann. Dies gilt ins­

besondere für mäßige u n d langsame Bewegung der Zählzeiten. Schließlich wird nach ei­

nem Bindestrich z u m Abschluß der A n g a b e diejenige Notenform genannt, die in der Auf­

zeichnung die Zählzeit repräsentiert. Der "ordinaire" 4/4-Takt in mäßigem T e m p o wäre eindeutig u n d unverwechselbar bezeichnet mit der Formel: "2x2AE2-4tel". Die Formel gibt also Auskunft über die Beschaffenheit eines notierten Taktes, oder auch: über die

"reale" Struktur der Notationseinheit.

Mit d e n Taktarten verbindet Heinichen, wie andere Autoren seiner Zeit, Vorstellungen v o n einem Normaltempo der betreffenden Taktart.

1 4

Im 4/4-Takt notierte Stücke sind mit d e m "ordinairen langsamen Tact" (GbC, S. 268) zu schlagen

1 5

; handelt es sich jedoch u m ein Semiallabreve, s o gilt eine "geschwinde Mensur" (GbC, S. 2 8 6 u. ö.). Da das

"echte Semiallabreve" eine lediglich notationstechnische Reduktionsform des "echten Al- labreve" darstellt, m u ß a u c h diesem eine "geschwinde Mensur" zukommen. "Sehr ge­

schwind" geht der Taktschlag da, "wo nebst dem vorgezeichneten C oder c ein darunter gesetztes allegro oder presto vorhanden" (GbC, S. 268). Die Tripeltakte mit der Zahl 8 im Nenner gelten als "die zur Geschwindigkeit mehr geneigten Tripel"; sie können gelegent­

lich ein T e m p o annehmen, welches "der 3/4 und 6/4 Tact nicht wohl zu haben pflegen"

(GbC, S. 297). M a n kann die Linie absteigend bis z u m 3/2-Takt verlängern.

1 6

W i e präzise und unverrückbar diese Vorstellungen v o n Normaltempi sind und wie fest die Beziehun­

gen zwischen d e n Normaltempi verschiedener Taktarten sind, sagt Heinichen nicht.

17

In Tabelle 1 sind nur diejenigen Taktarten angeführt, die in Heinichens Kirchenmusik ei­

ne nennenswerte Rolle spielen.

1 8

Der 2/4-Takt ist als Akzent-Einheit d e s C-Takts omni- präsent, kommt als Aufzeichnungsform aber (ganz im Gegensatz zu d e n italienischen Kantaten) in der Kirchenmusik fast nie vor. Die Zeichen C und <j sind mehrdeutig; mit ih­

nen können alle Arten v o n Zweiertakten notiert werden, doch ist das undurchstrichene C sehr viel häufiger. M a n kann sich vorläufig über die geraden Taktarten verständigen, in­

d e m man sagt: d a s "echte Allabreve" ist zunächst ein "Stil" (Merkmale sind etwa: Fugen, Imitationen, Synkopationen, sangliche Stimmführung usw., vgl. GbC, S. 333), die ihm zu­

kommende Notation ist ein 2/2-Takt

1 9

mit schnellen Halben, das "Semiallabreve" ist ein 4/4-Takt (aus zwei gleichwertigen 2/4-Hälften bestehend) mit schnellen Vierteln, der "or­

dinaire Tact" ist ein zusammengesetzter 4/4-Takt in mäßigem Tempo.

Tabelle 1: Die wichtigsten Notationsformen in Heinichens Kirchenmusik

Z w e i e r t a k t e : D r e i e r t a k t e :

1x2AE1-Ha1be 2x2AE1-4te1 2 x 2 A E 2 - 4 t e l

C , $ c , t C , $

E c h t e s A l l a b r e v e S e m i a l l a b r e v e

O r d i n a i r e r e g a l e r T a c t

1x3AE1-Halbe 3 / 2

1 x 3 A E 1 - 4 t e l 3 / 4 1 x 3 A E 1 - 8 t e l 3 / 8 2 x 3 A E 1 - 4 t e l 6 / 4

Drei Zeichenklassen sind hier zu berücksichtigen: die Notenformen, die Taktvorzeichen

und die Tempoangaben. Eine Klasse allein gibt noch nicht die nötigen Informationen,

denn: "man muß vielmahls nicht s o wohl die geschriebene Noten, o b sie geschwind oder

(4)

150

Wolfgang Horn • Takt, T e m p o u n d Aufführungsdauer

l a n g s a m scheinen; als vielmehr das T e m p o ansehen, o b nehmlich dieses aus sonst ge­

s c h w i n d e n Noten langsame, oder a u s sonst langsamen geschwinde Noten mache" ( A n w i 1711, S. 183). Letzteres geschieht im "echten Allabreve", d a s a n s e i n e m weißen Noten­

bild stets leicht erkennbar ist; dazu gehören 3 3 Sätze d e s untersuchten Repertoires.

2 0

! D a v o n sind achtzehn Sätze mit 0, fünfzehn Sätze mit C bezeichnet. Z e h n der mit 0 be­

zeichneten Sätze weisen die Angabe "Allabreve" auf, fünf sind unbezeichnet, und je ein Satz ist mit "Allabreve. Adagio" (M 5a, 13), "Allabreve. Andante" (D-41)

2 1

und "Presto" be­

zeichnet (M 1,19). V o n d e n mit C notierten Sätzen weisen 4 d e n Zusatz "Allabreve" auf, die restlichen elf sind unbezeichnet.

A u ß e r in d e n Allabreve-Stücken bilden T e m p o a n g a b e n einen festen Bestandteil der Notation Heinichens. Manche Autoren beziehen diese A n g a b e n auf d e n Taktschlag bei gleichzeitigem Wechsel v o m einfachen z u m Doppeltaktschlag, also v o m Schlag auf 1 Ak­

zenteinheit z u m Schlag auf 2 Akzenteinheiten. So gibt etwa Meinrad Spieß das Beispiel einer diastematisch identischen Notenfolge in drei Formen: in G a n z e n o h n e Tempoan­

g a b e ("alla Breve"), in Halben mit der Angabe "Presto" ("alla Capeila") u n d in Vierteln mit der A n g a b e "Adagio" ("ordinari Mensur").

2 2

Er kommentiert: "folgendes Exempel weiset, d a ß q u o a d mensuram Temporis alle 3. Stuck gleich seynd". Da d a s klangliche Ergebnis \ aller drei Beispiele identisch sein soll, können sich die A n g a b e n "Presto" und "Adagio"

nicht auf d a s Abiauftempo der Zählzeiten richten. Vielmehr bezeichnet das "Adagio" j gleichsam pleonastisch die sich aus der Verdoppelung der Schlagstrecke in der "ordinari j Mensur" zwangsläufig ergebende Halbierung d e s Schlagtempos. Sowohl d a s Halbe- als a u c h d a s Viertel-Beispiel sind zu schlagen: Halbe ab — Halbe auf; g e m ä ß der Voraus- I Setzung aber dauert die Halbe im Viertel-Beispiel doppelt s o lang.

Heinichen dagegen betrachtet die "Langsamkeit" des C-Takt-Schlages als eine nicht ei­

g e n s z u bezeichnende Voraussetzung. Seine T e m p o a n g a b e n charakterisieren nicht d a s ' Verhältnis zwischen einem einfachen und einem Doppeltaktschlag, sondern modifizieren d e n bereits als langsam vorausgesetzten Doppeltaktschlag d e s C-Takts.

2 3

Sie beziehen sich primär auf das Abiauftempo der Zählzeiten; sie entsprechen daher weitgehend d e m heutigen Verständnis von Tempoangaben.

2 4

"Adagio" meint bei Heinichen in der T a t ein langsames T e m p o der Musik und kann niemals — wie im Beispiel v o n Spieß — als Äqui­

valent eines "Presto" gesetzt werden.

Tabelle 2 berücksichtigt die Sätze im "echten Allabreve" nicht; C bzw. 0 meinen hier stets 4/4-Takte (= 2 x 2/4). U m die Tabelle zu entlasten, wurden seltene Taktvorzeich­

nungen nicht aufgenommen (2/4: 2 Sätze; 2 durchstrichen: 1 Satz; 12/8: 2 Sätze; sonsti­

ge: kein Beispiel); auch wurden Tempomodifikationen (z. B. "Allegro assai") nivelliert. Et­

w a 7 5 % der berücksichtigten Sätze (402 v o n 531) besitzen eine Tempoangabe; 9 5 % der Sätze (503 von 531) sind mit einem der Taktvorzeichen C, 0, 3/2 oder 3/4 notiert mit star­

ker Dominanz des Vorzeichens C

2 5

Gelegentlich sind die Tempoangaben um "quantitative" oder vortragsbezogene Zusätze erweitert: "Allegro m a non troppo", "Adagio assai", "dolcemente", "amoroso", "amabile"

oder "cantabile". Das "singende Wesen" scheint Heinichen primär mit e i n e m langsamen T e m p o z u assoziieren, etwa: "Larghetto e cantabile". Bereits A n g a b e n aus d e m mittleren oder m ä ß i g schnellen Bereich werden zuweilen mit einem warnenden "ma" ('aber') for­

muliert: "Andante m a cantabile" oder "Cantabile m a un poco allegro".

2 6

Mit der Konjunk­

tion "o (piü tosto)" ('oder [vielmehr]') verbindet Heinichen zuweilen zwei Angaben, die

d e m n a c h eine ähnliche Bedeutung haben: "Adagio un poco ö Larghetto", "Moderato o piu

tosto un poco andante", "Sostenuto, piü tosto Larghetto".

(5)

Wolfgang Horn « Takt, Tempo und Aufführungsdauer

151

Tabelle 2 : Verbindung von Taktzeichen und Tempoangaben

C 3/2 3/4 6/4 3/8 6/8 Summe:

Largc 24

-

9 1 1 _

-

35

Larghetto 22

-

6 2 1

- -

31

Adagi o 22

-

8 1

- - -

31

Affettuoso 1

-

10

-

2

- -

13

Sostenuto 9 2 3

- - - -

14

Moderato 19 1 2 7 1

-

1 31

Andante 59 3 19 15 3

-

1 100

Vivace 29 2

-

16 1 1

-

49

Allegro 55 17

-

17

-

3 1 93

Presto 2 3

- - - - -

5

Zwischensumme 242 28 57 59 9 4 3 402

ohne Angabe 53 14 24 26 8 1 3 129

Gesamtzahl 295 42 81 85 17 5 6 531

M a n erkennt gewisse Zuordnungspräferenzen. Sätze in 3/2-Notation verbindet Hei­

nichen mit Angaben a u s d e m langsamen bis mittleren Bereich (auffällig seine Neigung, 3/2-Sätze mit "Affettuoso" zu bezeichnen); Sätze in 3/4-Notation dagegen eher mit Anga­

ben a u s d e m mittleren bis schnellen Bereich. Die Affinität der 6/4-Notation z u A n g a b e n a u s d e m gemäßigten Bereich läßt sich mit Heinichens Worten erläutern, die z u d e m zei­

gen, daß die mit einem Taktschlag Ab-Auf abzumessende Zeitstrecke v o n der Notations­

einheit bestimmt ist. Heinichen will nämlich "in gewissen Fällen eine traurige Aria o d e r dergleichen Invention lieber in einer langsamen Mensur eines Triplae compositae dirigi- ren sehen, als in Tripla simplici, d a d a s hurtige auf und niederschlagen d e s T a c t e s w e ­ nigstens euserlich (ich sage euserlich) mehr auffgewecktes, als trauriges u n d gelassenes z u zeigen scheinet" ( G b C , S. 291, Anm. m). Die c-Notation (4/4) verbindet sich vorwie­

gend mit schnellen, die C-Notation mit allen Arten v o n Angaben. Bei den Sätzen o h n e A n g a b e wird m a n zunächst a n ein T e m p o aus d e m "Normalbereich" denken, d o c h m u ß dies nicht immer zutreffen (vgl. die ersten Angaben in Tab. 4).

In Heinichens Autographen sind Korrekturen v o n Tempoangaben nicht selten. Ver­

schiedener Schriftduktus verweist häufig darauf, d a ß die Korrekturen zu einem späteren Zeitpunkt v o r g e n o m m e n wurden. Die A n n a h m e ist plausibel, daß Ausgangspunkt u n d Resultat der Korrektur in der Regel nicht allzu weit voneinander unterschieden, s o n d e r n benachbart sind. Tabelle 3 zeigt, welche T e m p o a n g a b e n für Heinichen benachbart w a ­ ren; mitgeteilt werden nur zweifelsfrei lesbare Korrekturen. Gewiß gibt es a u c h Fälle, in d e n e n ursprünglich unbezeichnete Sätze später eine Tempoangabe erhielten. Solche Fälle sind aber kaum zweifelsfrei zu erkennen; sie wurden deshalb nicht berücksichtigt (vgl. aber Tab. 4). Es läßt sich aus den Korrekturen nicht mit letzter Sicherheit entneh­

men, ob e s sich u m einen Nachbarn zur schnellen oder zur langsamen Seite hin handelt.

Bei d e n Angaben "Adagio" und "Larghetto" gewinnt m a n den Eindruck, daß e s sich u m nahezu synonyme Bezeichnungen handelt; "Moderato" dürfte eine etwas mäßigere Be­

w e g u n g anzeigen als "Andante", "Vivace" wiederum eine etwas mäßigere B e w e g u n g als

(6)

1 5 2

Wolfgang Horn » Takt, T e m p o u n d Aufführungsdauer

"Allegro". Darauf deutet bei "Moderato", d a ß der Z u s a t z "assai" o f f e n b a r in dieselbe Rich­

t u n g w e i s t w i e "e sostenuto". W e n n die "Steigerung" der M o d e r a t o - B e w e g u n g eine V e r ­ l a n g s a m u n g bedeutet, d a n n m u ß die Grundform selbst s c h o n z u m l a n g s a m e n Bereich t e n d i e r e n . Die A n g a b e "Vivace" besitzt eine Affinität z u Aliegro-Bezeichnungen mit der E i n s c h r ä n k u n g "non troppo".

E s zeigt sich auch, d a ß für Heinichen die richtige T e m p o b e z e i c h n u n g ein Anliegen war.

S e i n e Korrekturen m ö g e n vielfach

2 7

dadurch bedingt sein, d a ß der "goüt", v o n d e m im einleitenden Raisonnement d e s GbC s o viel die R e d e ist, die K o m p o s i t i o n gleichsam v o n i n n e n h e r a u s in Besitz n a h m u n d damit zugleich eine Individualisierung der B e w e ­ g u n g s c h a r a k t e r e bewirkte, die notationstechnisch nicht i m m e r leicht z u treffen war.

2 8

Die T e m p o a n g a b e n erlangten im Zeichensystem der Notation e i n e essentielle und unver­

z i c h t b a r e Funktion: sie drückten e t w a s aus, d a s d u r c h die b e s c h r ä n k t e n Kombinations­

möglichkeiten v o n Taktzeichen u n d Notenformen nicht in d e r erforderlichen Präzision a u s d r ü c k b a r war.

W i r w e r d e n im folgenden die Sätze, auf die wir uns beziehen, g e n a u bezeichnen.

2 9

In d e r T a b e l l e sind gängige A b k ü r z u n g e n verwendet; überdies b e d e u t e n : "Pr." 'Presto', "un p." 'un poco

1

, "n. tr." 'non troppo'.

Tabelle 3: Korrigierte Tempoangaben (frühere > spätere Angabe)

L a r g o

>

L a r g h . (M 3 , 9 ; 3 / 2 ) And.

>

L a r g h . (M 5 a , 8 ; C) L a r g o

>

A d a g i o (M 5 , 1 2 ; C) A n d .

>

Mod. (M 2 , 2 5 ; 3 / 2 ) L a r g h . c a n t . > u n p . And. (D- 6 1 , 5 ; 3 / 4 ) And.

>

Mod. (M 2 a , 2 0 ; 3 / 2 ) L a r g h . • c a n t . > u n p And. <D- 6 1 , 1 1 ; 3 / 4 ) A n d .

>

Mod. ( R 2 , 1 0 ; C) L a r g h .

>

L a r g o (M 3 , 5 ; C) A n d .

>

u n p . And. (M 3 , 1 6 ; C) L a r g h .

>

L a r g o (M 2 , 1 7 ; 3 / 2 ) A n d .

>

u n p . And. (D-- 5 4 ; 3 / 4 ) L a r g h .

>

And. (M 1 a , 1 8 ; C) A n d .

>

u n p . A l l . (M 2 , 1 8 ; C) L a r g h .

>

A n d . , Amabi1» (D- 2 0 , 4 ; 3 / 2 ) A n d .

>

u n p . A l l . (D--61 , 1 3 ; C) A d a g i o

>

( o . A . ) ( R 2 , 3 ; 3 / 2 ) A n d .

>

A l l . (M 5 a , 8 ; <t) A d a g i o

>

L a r g o (M 5 , 2 2 ; C) V i v .

>

u n p . V i v . > A n d .

>

Mod.

A d a g i o

>

L a r g o (D- 3 1 , 1 ; 3 / 2 ) (M 1 , 1 0 ; C)

A d a g i o

>

L a r g h . (D-- 6 1 , 1 ; C) V i v .

>

And. (M 5 , 7 ; 3 / 4 ) A d a g i o > u n p . And. (M 1 2 , 1 7 ; 9) V i v .

>

A l l . (M 1 , 7 ; C) 3 o a t .

>

( o . A . ) (M 8 , 3 ; 3 / 2 ) V i v .

>

A l l . (M 3 , 7 ; 3 / 4 ) 3 o s t .

>

u n p . And. (D-- 2 9 , 8 ; C) u n p . A l

. >

A l l . (D-- 1 7 a , 2 ; 3 / 4 ) 3 o * t .

>

And. (D-- 1 7 , 3 ; C) n . tr. A l l . > V i v . (M 1 2 , 7 ; C) Mod. a BS4 I i > Mod. • s o s t . (M 5 a , 1 8 ; 2 / 4 ) n . t r . A l 1 . > V i v . (M 1 2 , 1 2 ; C) Mod. > And. (M 1 , 1 6 ; C) A l l . , n . t r . P r . > V i v . (M 2 a , 4 ; C) Mod.

>

And. (M 5 a , 1 ; C) A l 1 .

>

( o . A . ) (D-- 1 7 , 6 ; 3 / 4 ) Mod. > And. (E-- 3 , 2 ; C) A l l .

>

Mod. (D-- 2 2 a , 4 ; C) Mod.

>

V i v . (D-- 2 2 , 5 ; C) A l l .

>

V i v . (M 1 1 , 1 1 ; C) A n d . , 4 o d . > ( o . A . (D-- 2 8 , 6 ; C) A l l .

>

A l 1 . m4 n . t r . (M 1 2 , 4 ; <*) u n p . And. > And. (M 9 , 1 6 ; C) A l l .

>

P r . (M 1 . 1 9 ; * ) u n p . And. > Mod. (D-- 3 2 , 3 ; C) A l 1 .

>

P r . (D-- 1 8 , 6 b ; C)

A l l . a s s a i > A l l . (E-- 3 , 1 ; C)

H e i n i c h e n hat u m 1725 begonnen, seine zuvor entstandenen Kirchenwerke z u kürzen.

V o n fünf Messen, zwei T e D e u m u n d e i n e m Magnificat existiert n e b e n der ursprünglichen a u c h e i n e "abbreviata"-Fassung.

3 0

Vergleicht m a n Sätze derselben S u b s t a n z in der lan­

g e n u n d der gekürzten Fassung, s o z e i g e n sich nicht selten Unterschiede in d e n T e m p o ­ a n g a b e n (Tab. 4).

3 1

Z u d e n bereits o b e n v e r w e n d e t e n A b k ü r z u n g e n k o m m e n hier n o c h

"Abr." für 'Allabreve', "Äff." für 'Affettuoso' u n d "gestr." für 'gestrichen' hinzu.

(7)

W o l f g a n g H o r n » T a k t , T e m p o u n d A u f f ü h r u n g s d a u e r

153

T a b e l l e 4 : U n t e r s c h i e d l i c h e T e m p o a n g a b e n in L a n g - u n d K u r z f a s s u n g e n

(O. A. ) > Äff. (D--22,2/D-22a,2; 3/2) Adagio > (o. A.) (M 3,25/M 3a,18; C ) (o. A. ) > Mod. (M 2,1/M 2a,1; C ) Adagio > Largh. (M 3,20/M 3a,19; C ) (o. A. ) > And. (M 2,23/M 2a,18; 3/2) Äff. > And. (M 2,2/M 2a,2; 3/2) (o. A. ) > Viv. (M 2,21/M 2a,17; 3/4) un p And. > (o. A. ) (M 3,18/M 3a,11; C ) (o. A. ) > All. (H 1,1/M 1a,1; C ) un p And. > Mod. (M 3,1/M 3a, 1; 3/4) (O. A. ) > All . (H 1,4/M 1a,4; 3/4) Cant i»4 un p. And. > Cant. ma And.

(O. A. ) > All . (M 1,17/M 1a,14; C ) (M 5,2/M 5a,2; 3/4) (O. A. ) > All. (M 5,14/M 5a,12; 6/8) And. > un p. All. (M 5,8/M 5a,8; C ) Largo > Äff. (M 5,8/M 5a,20; 3/2) Viv. > Mod. (D-22,5/D-22a,4; C ) Largo > Äff. (D-•17,11/0-17a ,9 ; 3/2) Viv. > All. (D-17,7b/D-17a,8b; C ) Largo > And. (M 5,1/M 5a,1; C ) Viv. > All. (D—17i13/0-17a,10b; C ) Largo > un p. And. (M 3,24/M 3a,17; 3/2) un p All. > All. (D-17,2/D-17a, 2; 3/4) Largn. > un p. And. (M 3,9/M 3a,4; 3/2) (All , geatr.) > All .(D-17,8/D-17a,5; 3/4)

Vereinzelt hat Heinichen die Notation noch stärker verändert. Einmal hat er ein 6/4-An- dante in ein 3/4-Andante umnotiert unter Beibehaltung der Notenformen (D-17,10/

D-17a,8). Die Halbierung der Taktspatien schlägt sich nicht in der Tempoangabe nieder, die unverändert bleibt. In fünf Fällen aber hat Heinichen die Notenwerte halbiert. D a s Kür­

zel "Semiabr." steht in T a b . 5 für 'Semiallabreve'. Damit wird das Resultat der U m n o - tierung bezeichnet; der Terminus steht nicht als Beischrift in d e n Noten.

3 2

T a b e l l e 5 : Unterschiedliche T a k t e i n k l e i d u n g in L a n g - u n d K u r z f a s s u n g

C-ohne Angabe ( A b r . ; M 1 , 1 1 )

>

C - A l l e g r o ( S e m i a b r . ; M 1 a , 8 ) C - A l 1 a b r e v e ( A b r . ; M 2 , 1 1 )

>

C - A l l e g r o ( S e m i a b r . ; M 2 a , 8 )

$ - P r e s t o ( A b r . ; M 1 , 1 9 )

>

$ - A l l e g r o ( S e m i a b r . ; M 1 a , 1 7 ) (f-Al l a breve ( A b r . ; M 5 , 2 1 )

>

^ - P r e s t o ( S e m i a b r . ; M 5 a , 1 9 ) 6 / 4 - V i v a c e (M 2 , 1 9 )

>

6 / 8 - o h n e Angabe (M 2 a , 1 5 )

"Semiallabreve" im engeren Sinn bedeutet bei Heinichen die Notation eines "echten Al- labreve" — und d a s meint konkret: einer nicht nur notationstechnisch, sondern a u c h stili­

stisch in bestimmter W e i s e charakterisierten Musik — in d e n nächstkleineren Notenwer­

ten: Ganze, Halbe, Viertel werden Halbe, Viertel, Achtel. Das Taktspatium bleibt unver­

ändert: es schließt nach w i e vor d e n Gegenwert von zwei Halben ein. Das "echte Alla- breve" ist in der Notation u n d entsprechend auch im Schlag eine einfache, das Semialla­

breve eine zusammengesetzte Taktart. Die umnotierten Allabreve-Sätze überträgt Hei­

nichen in ein Semiallabreve mit Tempoangaben aus d e m schnellen Bereich. Das Pen­

dant d e s Halbe-Pulses im Allabreve ist ein schneller Viertel-Puls im C-Takt, also ist d e r Halbe-Puls des Allabreve schnell.

3 3

Dies stimmt damit überein, daß Heinichen d i e T e r ­ mini "Semiallabreve" u n d "geschwinder C-Takt" häufig synonym gebraucht: "Bißhero ha­

b e n wir zu Abkürtzung der Regeln eine jedwede Arth der Composition, welche ein sehr geschwindes T e m p o hat ..., vor ein Semi-allabreve passiren lassen" (GbC, S. 346). Ein ähnliches Verhältnis ([punktierte] Viertel werden [punktierte] Achtel, Achtel werden S e c h ­ zehntel) finden wir bei der Umnotierung v o n 6/4-Vivace in 6/8-ohne Angabe; hier ist d a s

"Vivace" bereits in den Achteln des Nennerwerts impliziert.

In etlichen Quellen hat Heinichen Angaben zur Aufführungsdauer in Minuten eingetra­

gen.

3 4

Zunächst werden in konzentrierter Form sämtliche Angaben mitgeteilt, die ich in

Heinichens Autographen gefunden habe. Es handelt sich um insgesamt 56 Eintragungen

in 39 Quellen.

3 5

In Tabelle 6 steht "GD" für 'Gesamtdauer'.

3 6

(8)

1 5 4 Wolfgang Horn • Takt, T e m p o und Aufführungsdauer

Tabelle 6: Heinichens Angaben zur Aufführungsdauer

1.) M 2: M 2,11 (Gloria); "23 Min."; M 2,19 (Credo): "16 Min.";

M 2,23 (Sanctus): "6 Min."; M 2,26 (Agnus Dei): "4 M i n . "

2.) M 3: M 3,11 (Gloria): "20 Min." (gestr. "27 Min.": war ursprünglich d a s Kyrie einbezogen?); M 3,19 (Credo): "18 Min. Credo allein" (gestr.);

M 3,27 (Agnus Dei): "Summa 52 M i n . " (gestr.)

3.) M 3a (Angaben aufaddierend): M 3a,1 (Kyrie): "2 Min."; M 3a,6 (Gloria):

"11 Min." (Gloria allein: 9 Min.); M 3a,13 (Credo): "21 Min." (Credo allein: 10 Min.); M 3a,16 (Sanctus): "25 M i n . " (Sanctus allein: 4 Min.);

M 3a,20 (Agnus Dei): "nimmt 1/2 hora" (Agnus Dei allein: 5 M i n . ) 4.) M 5: M 5,23 (Agnus Dei): "3/4 St piccola" (GD)

5.) M 5a: M 5a,23 (Agnus Dei): "35 Min." (GD) 6.) M 6: M 6,17 (Agnus Dei): "35 Min." (GD)

7.) M 7: M 7,1 (Kyrie): "3 1/2 M i n . " [?]; M 7,15 (Agnus Dei): "25 Min." (GD) 8.) M 8: M 8,6 (Gloria): "12 Min."

9.) M 9: M 9,3 (Kyrie): "5 M i n . "

10.) M 12: M 12,7 (Gloria): "7 Min."; M 12,12 (Credo): "9 Min.";

M 12,16 (Sanctus): "6 Min."; M 12,19 (Agnus Dei): "6 Min."

11.) R 1: R 1,27 (Communio): "1/2 S t . " (GD)

12.) R 2 (Angaben aufaddierend): R 2,6 (Kyrie): "8 Min." (inkl. Introitus?);

R 2,12 (Sequenz): "22 Min." (Sequenz allein: 14 Min.);

R 2,15 (Offertorium): "29 Min." (Offertorium allein: 7 Min.);

R 2,18 (Sanctus): "35 Min." (Sanctus: 6 Min.); R 2,21 (Communio): "40 Min.

(Agnus Dei und C o m m u n i o zusammen: 5 M i n ; GD: 40 M i n . ) 13.) Te Deum Nr. 1: D-17,13: "29 Min." (GD)

14.) Te Deum Nr. 1a: D-17a,10b: "11 + 6 = 15 M . " (sie; G D ) 15.) Te Deum Nr. 2: D-19,8: "piccola 1/4." (GD)

16.) Magni ficat A-Dur: D-21,6b: "11 Min." (GD) 17.) Magnificat F-Dur: D-22,9b: "18 Min." (GD) 18.) Magnificat F-Dur: D-23,5b: "10 Min." (GD) 19.) Magnificat B-Dur: D-24,4b: "10 Min." (GD)

20.) 3 Lamentati ones: D-28, Lam. 111,6: "33 Min." (GD der 3 W e r k e ) 21.) Litania pro Festo S. Fr. Xaverii: D-29,6: "16 M i n . " (GD)

22.) Litania pro Festo Corporis Domini: D-31,7: "1/2 hora piccola." (GD) 23.) Dixit Dominus F-Dur: D-34,6: "7 Min." (GD)

24.) Dixit Dominus Es-Dur: D-37,1: "4 M i n . " (GD) 25.) Dixit Dominus d-Moll: D-38,1: "3 M i n . " (GD)

26.) Beatus vir F-Dur: D-42,1: "5 M i n . " (GD; korr. aus: "4 M i n . " ) 27.) Laudate pueri F-Dur: D-46,3b: "7 M i n . " (GD)

28.) In exitu Israel a-Moll: D-48,1: "5 M i n . " (GD) 29.) Credidi F-Dur: D-49,1: "3 Min." (GD)

30.) Laetatus sum C-Dur: D-51,1: "4 Min." (GD) 31.) Nisi Dominus c-Mol1: D-53,1: "5 Min." (GD) 32.) Beati omnes g-Moll: D-54,1: "5 M 1 n . " (GD)

33.) Oratorio: "Come? S'imbruna #7 ciel": D-61,15: "42 M i n . " (GD) 34.) Oratorio: "L'aride tempie": D-62,12: "50 Min." (GD)

35.) Oratorio tedesco: "Nicht das Band": D-63,13: "50 Min." (GD) 36.) Ave Regina coelorum: E-6,3: "7 Min." (GD)

37.) Ave Maris Stella: E-8,3: "3 Min." (GD)

38.) Motetto: "Quis ascendet"; E-13,5: "7 M i n . " (GD) 39.) Pastorale per la Notte di Natale: 0-13: "6 M i n . " (GD)

Die A n g a b e n stehen a m Ende v o n W e r k e n , in M e s s e n a u c h a m E n d e einzelner Ordinari- umsteiie. Die Stellung verrät d a s Motiv ihrer Niederschrift. Heinichen ging e s offensicht­

lich darum, die Dauer derjenigen Partien z u bezeichnen, die innerhalb einer Feier mit vor­

g e g e b e n e m zeitlichem R a h m e n (also vornehmlich der Liturgie v o n M e s s e u n d V e s p e r ) e n

(9)

W o l f g a n g Horn « T a k t , T e m p o u n d Aufführungsdauer

155 bloc aufgeführt wurden. Deshalb findet sich in der weltlichen Musik nirgends eine Zeit­

a n g a b e : hier k a m e s nicht auf die Minute an, die Heinichen als Maßeinheit dient. Diese Einheit ist für seine Z w e c k e genau genug, für Berechnungen des T e m p o s aber sehr grob.

3 7

W e n n wir im folgenden dennoch ein wenig rechnen, so sind zwar die Rechnungen exakt. Wir dürfen dabei aber niemals vergessen, daß die Faktoren, mit denen wir rech­

nen, unsicher oder flexibel sind. Die Berechnung beseitigt diese Unsicherheit nicht. Damit wir rechnen können, m ü s s e n wir die Werte für einen Moment fixieren. Aber gerade die Exaktheit u n d "Wahrheits-Neutralität" d e s Rechnens sorgt dafür, daß die Unsicherheit v o n d e n Faktoren in d a s Ergebnis transportiert wird.

3 8

Für die T e m p o b e s t i m m u n g scheinen zunächst diejenigen Fälle besonders aufschluß­

reich, in denen die Dauer eines in sich einheitlichen Zusammenhangs bezeichnet ist. Man wird zustimmen, d a ß die A n g a b e "4 Min." interpretiert werden muß als "3,5 — 4,5 Min.".

W e n n nun ein Z u s a m m e n h a n g v o n 95 C-Takten mit "4 Min." bezeichnet ist, so hat dies auf die Zählzeitbestimmung größere Auswirkungen als bei der Konstellation 475 C-Takte und 2 0 Min. (19,5 bis 20,5 Min.). Im ersten Fall erhielten wir für die Viertel M. M. 108, 95 oder 84, im zweiten Fall M. M. 97, 95 oder 93. Nun sind aber Zusammenhänge von län­

gerer Dauer gerade nicht homogen, sondern zusammengesetzt aus Sätzen verschiede­

ner Taktarten u n d Tempi. A n die Stelle v o n Berechnungen müßten hier dann Schlußket­

t e n treten, deren Ergebnisse in ihrer Gültigkeit abhängig wären v o n der Gültigkeit der Voraussetzungen. W i r können aber nur diejenigen Werte voraussetzen, die wir aus den Einzelsätzen mit Dauernangabe gewonnen haben, doch schlägt gerade bei diesen die Ungenauigkeit der Minutenangabe a m stärksten z u Buche. Bereits die Ausgangsgrößen w ä r e n also nicht bestimmte Werte, sondern lediglich Werte-Bereiche, und die Schwan­

kungsbreite eines zu erschließenden unbekannten Wertes wäre stets noch größer: die Unsicherheit pflanzt sich gesteigert fort.

3 9

Die Angaben z u größeren Komplexen können als eine Art "negativer Prüfstein" dienen. W e r für eine Aufführung d e s Magnificat D-22 (Beleg Nr. 17; 18 Min.) 21 Minuten braucht, hat unterwegs gegenüber Heinichen Zeit ver­

loren; allerdings läßt sich der Ort nicht lokalisieren. Andererseits: selbst wer auf 18 Mi­

nuten kommt, weiß nicht, o b er d e n einen Satz zu langsam, d e n anderen Satz zu schnell g e n o m m e n hat, w a s sich in der S u m m e kompensieren kann; ganz abgesehen davon, daß wir die Länge der Pausen zwischen d e n Einzelsätzen nicht kennen.

In zehn Fällen steht die Dauernangabe a m Ende eines einzigen (homogenen) Satzes, u n d wir werden uns auf die Betrachtung dieser Fälle beschränken

4 0

, es handelt sich u m die Belege 3 (M 3a,1), 2 4 — 2 6 , 2 8 — 3 2 und 39. In Tabelle 7 werden metronomische An­

gaben als Meßgrößen für die Anzahl v o n Zählzeiten (= akkordfähige Noten erster Ord­

nung) pro Minute verwendet; die Zahlen sind Rechengrößen o h n e Rücksicht darauf, o b sie auf einem gängigen Metronom exakt s o eingestellt werden können. Wir geben zuerst denjenigen Wert an, der sich für die volle Minute ergibt; in Klammern erscheinen die Grenzwerte für die Dauer "plus/minus 1/2 Min.". Die Beispiele sind gemäß abnehmenden Metronomwerten angeordnet, Zweiertakt steht vor Dreiertakt.

4 1

Die angegebenen Metro­

nomwerte besagen nicht, daß m a n diesen Wert zählen muß, sondern nur, daß m a n ihn

zählen kann. Beim letzten Beispiel, der Pastorale, geben wir d e n Metronomwert für das

punktierte Viertel anstelle d e s Achtels an.

4 2

All dies bliebe leer und unanschaulich ohne

Notenbeispiele, v o n denen allerdings nur ein Minimum mitgeteilt werden kann.

(10)

1 5 6 Wolfgang Horn • Takt, Tempo und Aufführungsdauer

Tabelle 7: Die zehn Belege zur Dauer von Einzelsätzen

Bsp. / Beleg

Matronofflwert der Zählzeit

Taktzeichen und Tempoangabe

Taktformel Umfang und Dauer

1/29 Halbe = 143 (122-171)

C-ohne Angabe (echtes Abr.)

1x2AE1-Halbe Credidi;

214 x 2 Zz.; 3 Min.

2/28 4tel = 127 (116-141)

f-Presto moderato 2x2AE1- 4tel In exitu Israel;

159 x 4 Zz.; 5 Min.

3/24 4tel = 110 (98-126)

C-Vivace 2X2AE1- 4tel Dixit Dominus Es-Dur;

110 x 4 Zz.; 4 Min.

4/30 4tel = 106 (94-121)

C-ohne Angabe 2X2AE2- 4tel Laetatus sum;

106 x 4 Zz.; 4 Min.

5/26 4tel = 85 (77-94)

C-Andante 2x2AE2- 4tel Beatus vir;

106 x 4 Zz.; 5 Min.

6/31 4tel = 76 (69-84)

C-Andante (und Cant. ma and. )

2X2AE2- 4tel Nisi Dominus;

95 x 4 Zz.; 5 Min.

7/25 4tel = 162 (139-194)

3/4-Vivaca 1X3AE1- 4tel Dixit Dominus d-Moll;

162 x 3 Zz.; 3 Min.

8/32 4tel = 131 (119-146)

3/4-un p. Andante 1X3AE1- 4tel Beat i omnes;

219 x 3 Zz.; 5 Min.

9/ 3 4tel = 114 (91-152)

3/4-Moderato (VI: Cant.)

1X3AE1- 4t»l Kyrie;

76 x 3 Zz.; 2 Min.

10/39 pkt.4tel = 68 (63-74)

12/8-ohne Angabe 4X3AE1- 8tel Pastorale;

102 x 12 Zz.; 6 Min.

Beispiel 1: Credidi (T. 1—12); Halbe = 143 (122—171)

Cre- di- di pro- • pter q u o d lo- c u - tus, pro- - pter q u o d !o- c u - t u s , lo- cu- t u s s u m .

I l ,i.

Ji

I i

i-J ,|

|j

JJJ|

-i

M J-rJ J

i

-1 J J| J

I

—-r^

^ - ' f 1 r ' f l x r r ' r r r r ' r r ' " r r ^ T r ' r r - l r r ' r

(stromenti colle voci)

r 1 r 1

Cre- di* d i p r c r pter q u o d lo- c u - t u s s u m , e- g o a u - t e m hu- mi* - Ii- a- Cre- di- di pro- - pter quod lo- c u - t u s sum,

C r e - di- di pro* - pter quod lo* cu- t u s s u m ,

(11)

Wolfgang Horn • Takt, T e m p o u n d Aufführungsdauer 1 5 7

Beispiel 2: In exitu Israel (T. 1—5); Viertel = 127 (116—141)

f t ~ t

. U ' J l j . J > J • * J - r J J J - M J - J - , fr c r r * f v

t

r r r — r r M r r ' * r — " p c r ' r r r p p '

I n ex* i - t u Is- O b I c o l S, O b I I c o l A I n

Presto m o d e r a t o

ra- el

i - t u Is- ra- el

j i i i ]

B c ; V I e V a 8va alta

I n ex- - i - t u Is- ra- el . . .

M r n r r r r

w

Beispiel 3: Dixit Dominus (T. 1—10); Viertel = 110 (98—126)

b j f h > i f - = i i -

j*=f=

f f -

TT]

fr 1 = *

Vivace Bc; VI e Va 8va alt*

r f f r r f . n ? i

~ = ^ Ob, VI 1.1

m

(• L

m

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mf " «7-h

I

0

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f c r r r r

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Coro: D i - x

r r i i " "

T E r ' f g r r r '

t D o - m i - n u s D o - m i - n o m e - o

^"

±L

U

i f 4 ^ r r r r L x staT ' " l r ^ r ' M r l ' 1

Beispiel 4: Laetatus s u m (T. 7—11); Viertel = 106 (94—121)

A solo: Laetatus sum i n bis quae dicta sunt m i h i , lae-ta- - - tus, lae- ta- - tus, lae- ta-tus .

T snl<v I aptatuc cum ' Ä E w

T solo: Laetatus sum . . B solo Laetatus sum, laetatus sum

y j v $ y

| i ^ I n n r m J '

(12)

1 5 8

I

W o l f g a n g H o r n • T a k t , T e m p o u n d A u f f ü h r u n g s d a u e r

B e i s p i e l 5 : B e a t u s v i r ( T . 7 — 1 2 ) ; V i e r t e l = 8 5 ( 7 7 — 9 4 )

T I s o l o : B e - a t u s v i r , b e a t u s v i r , q u i ti-met D o - m i - n u m , in m a n - d a - t i s e - j u s v o - l e t n i * m i s , v o - * let, v o * -let n i - m i s .

t ^ j

T II s o l o : B e - a t u s vir, b e a t u s v i r , q u i t i - m e t D o - m i - n u m , i n m a n - d a - t i s e - j u s v o - l e t n i - m i s , v o - - - - - let n i - m i s . Andante

i

B c

Beispiel 6 : Nisi D o m i n u s ( T . 1 1 — 1 5 ) ; V i e r t e l = 7 6 ( 6 9 — 8 4 )

S s o l o : d o - m u m , i n v a n u m l a b o r a - v e - - - - ( o d e r T s o l o ) ^

• r u n t , q u i a e - d i f i c a n t e - a m .

T a T j ,

Cantabilc m i andante Andante

O b c o n c e r t a t o

f H

-

" 1 I I I

Bc

~m t| J

_

. . J J

I N

Beispiel 7 : Dixit D o m i n u s (T. 1 0 — 1 9 ) ; V i e r t e l = 1 6 2 ( 1 3 9 — 1 9 4 )

0 1 > J r i"r 'f ä p m

T s o l o : D i - x i t D o - m i - n u s , d i - xit D o - m i - n u s D o - mi* n o m e - o , s e - d e a d e - x t r i s , a d e - x t r i s m e * o s , V i v a c e

Beispiel 8 : Beati o m n e s (T. 1 4 — 2 3 ) ; V i e r t e l = 131 ( 1 1 9 — 1 4 6 )

Un p o c o Andante

S s o l o : B e - a - ti o - m n e s , q u i t i - m e n t D o - m i - n u m , q u i a m * T s o l o : B e - a - ti o - m n e s , q u i t i - m e n t D o - m i * n u m , q u i a m -

b u - l a n t i n v i - i s b u * l a n t in v i - i s

^ n J I M ) , - j J i ] ] j . JJJ.

B c

f — t - r f r tM- 1 'rr r 'r r i ~\~^n r 1 1 r

(13)

W o l f g a n g H o r n » T a k t , T e m p o u n d A u f f ü h r u n g s d a u e r 1 5 9

Beispiel 9: K y r i e ( M 3 a , 1 ; T . 1 6 — 2 5 ) ; Viertel = 1 1 4 ( 9 1 — 1 5 2 )

Ssolo: Ky- ri- e e- lei- - son, e- lei- - . . . son e- - lei-

- 4

J

i

H J | J N i] J J J J J J

1

M o d e r i t o

— r 4 j- T t

« U « » 1

"

A solo: K

M * V

y- ri-e e* lei- mM» f F

J

m

VT^

- son, e-

I i

r

r r

V

- lei-

¥

- sc >n, e-

i r

lei-

r T i r

Bc •

_ t l n H r

1

| J T = i = J = j

Beispiel 10: Pastorale (T. 1 — 4 ) ; pkt. 4tel = 6 8 ( 6 3 — 7 4 )

Hautbois en Chalumeau I.II + Ob, VI I.II ^

iiy i tmm^< >

(Ob, VI)

Bc

Bei aller Vorsicht lassen sich d o c h einige Ergebnisse formulieren, die über d e n individuel­

len Fall hinausreichen. Heinichens "echtes Allabreve" hat, selbst w e n n m a n d e n unteren G r e n z w e r t a n n i m m t , e i n e n schnellen Ablauf der Zählzeiten; d e m e n t s p r e c h e n d passiert in diesen Stücken bei Heinichen unterhalb der Zählzeitebene nicht m e h r viel. Der Halbe- Puls d e s "echten Allabreve" ist i m Beispiel eher n o c h schneller als der Viertel-Puls im schnellen 4/4-Takt. D e m schnellen C-Bereich sind drei Beispiele zuzurechnen, d e r e n Ab- lauftempo sich a n s c h e i n e n d e t w a s unterscheidet. Beispiel 4 (Beleg 30) zeigt, d a ß eine Struktur 2x2AE2-4tel, C - o h n e A n g a b e

4 3

, nicht zwangsläufig im Normaltempo des

"langsamen e g a l e n Tacts" ablaufen m u ß . Die beiden Belege für C - A n d a n t e w e i c h e n nicht allzu weit v o n e i n a n d e r ab, unterscheiden sich aber deutlich v o n d e n schnellen Belegen, u n d zwar a u c h d a n n noch, w e n n m a n die Bereiche möglicher S c h w a n k u n g mit einbe­

zieht.

4 4

Deutlich unterschieden s i n d die W e r t e für die drei Beispiele im 3/4-Takt. M a n kann sie mit d e n 2/4-Einheiten v o n C - T a k t e n mit analoger T e m p o a n g a b e vergleichen. Eine 2 A E hat dieselbe Dauer w i e eine 3 A E , w e n n der M e t r o n o m w e r t für die Zählzeit in der 3 A E 1,5- m a l so groß ist w i e d e r j e n i g e in d e r 2 A E . Der W e r t 110 für d a s Viertel im C-Vivace a u s Beispiel 3 stünde im (Sub-)Sesquialtera-Verhältnis mit d e m W e r t 165 im 3/4-Vivace; der W e r t in Beispiel 7 lautet 162. Der W e r t 85 für d a s Viertel im C - A n d a n t e a u s Beispiel 4 w ä ­ re im Verhältnis 2 : 3 proportioniert mit d e m W e r t 127,5 im 3/4-Andante; der Wert in Bei­

spiel 7 (3/4-un p o c o Andante) lautet 131. Der W e r t 7 6 für d a s Viertel im C-Andan- te/Cantabile, m a A n d a n t e a u s Beispiel 5 w ä r e im Verhältnis 2:3 proportioniert mit d e m W e r t 114 im 3/4-Andante; der W e r t in Beispiel 9 lautet 114 (3/4-Moderato, bei d e n VI:

Cantabile). Aber die W e r t e , mit d e n e n hier gerechnet w u r d e , sind bekanntlich keine gesi­

cherten Größen. Nimmt m a n die Grenzwerte hinzu, k ö n n e n die Proportionen beträchtlich

v o m Sesquialtera-Verhältnis abweichen. Bei d e n Beispielen 5 u n d 9 stimmen überdies

d i e T e m p o a n g a b e n nicht überein. Immerhin läßt sich w o h l die allgemeine T e n d e n z bele-

(14)

1 6 0

Wolfgang Horn • J a k t , T e m p o und Aufführungsdauer

g e n , d a ß die Zählzeiten in Dreiertakten e t w a s schneller ablaufen sollen a l s in gleicharti­

g e n Zweiertakten.

4 5

Der 12/8-Takt k o m m t in Heinichens G e s a m t w e r k v e r s c h w i n d e n d sei- ! t e n v o r ; insofern ist der Beleg für die Pastorale (Beispiel 10) vielleicht ein w i l l k o m m e n e s

!

V e r g l e i c h s d a t u m für die Aufführung v o n W e r k e n dieses T y p s bei a n d e r e n Komponisten.

M a n k ö n n t e seine B e w e g u n g eher mit d e m zweischichtigen C-Takt-Beispiel 6 vergleichen als mit d e n Beispielen für d e n Dreiertakt.

Die Pastorale ist d a s einzige der b e s p r o c h e n e n W e r k e , d a s a u c h h e u t e n o c h musiziert wird. E s gibt nicht allein z w e i A u s g a b e n , s o n d e r n a u c h z w e i Platteneinspielungen.

4 6

Dies zeigt e i n m a l mehr, w i e sehr die "Verwendbarkeit" d a s N a c h l e b e n v o n S t ü c k e n bestimmt:

mit instrumentaler Weihnachtsmusik läßt sich heute o f f e n k u n d i g m e h r a n f a n g e n als mit S V e s p e r p s a l m e n , m ö g e n sie a u c h noch s o s c h ö n sein. Die A u f n a h m e mit d e n Berliner j Philharmonikern unter Wilhelm Brückner-Rüggeberg dauert 5'45", diejenige mit d e n w e ­ sentlich schlanker besetzten Virtuosi Saxoniae unter L u d w i g Güttier dauert 4'50"; Hei­

n i c h e n s A n g a b e lautet "6 Min.". D e n n o c h ist d a s recht beschwingte, a b e r keineswegs z u s c h n e l l e T e m p o Güttiers wesentlich näher a n d e m v o n Heinichen g e m e i n t e n Z e i t m a ß als d i e ältere A u f n a h m e , die auf d e n ersten Blick Heinichens Z e i t a n g a b e gut erreicht, in W a h r h e i t aber viel z u langsam ist. Dieses Paradox löst sich bei e i n e m Blick in d a s Auto- g r a p h auf. Heinichens Stück besteht in der a u t o g r a p h e n Partitur w i e a u c h d e n Original­

s t i m m e n a u s z w e i z u wiederholenden Teilen, d e r e n erster 15 u n d d e r e n zweiter 36 T a k t e [ u m f a ß t . Beide A u f n a h m e n wiederholen nur d e n ersten, nicht a b e r d e n z w e i t e n Teil; sie j s p i e l e n a l s o nur 6 6 T a k t e (anstelle v o n 102 Takten). In der A u s g a b e v o n Richard Fricke f e h l e n b e i m Doppelstrich in der Mitte die W i e d e r h o l u n g s z e i c h e n für d e n z w e i t e n Teil.

Fricke schlägt d e n M e t r o n o m w e r t Achtel = 138 (pkt. Viertel = 46) vor. Berechnet m a n nun a u s d e r G e s a m t d a u e r der beiden Einspielungen d e n W e r t für die pkt. Viertel, s o ergibt s i c h f ü r Güttier pkt. 4tel = 55, für Brückner-Rüggeberg gar nur 4 6 (dies entspricht exakt Frickes Vorschlag). Versucht man, d e n Metronomwert v o n Güttiers Einspielung a u s d e m l e b e n d i g e n Verlauf a b z u n e h m e n , so ergibt sich häufig ein e t w a s schnellerer Wert in der G e g e n d v o n pkt. Viertel = 6 0 und höher. Die im Verhältnis z u m "lebendigen" W e r t e t w a s ; z u l a n g e Aufführungsdauer entsteht durch Ritardandi u n d A u s h a l t e n v o n Phrasenschlüs- ] s e n , d u r c h "Agogik". D a aber a u c h Heinichen mit diesen Dingen g e r e c h n e t haben dürfte, bleibt nur d a s Fazit, d a ß der 12/8-Takt dieser Pastorale wesentlich schneller m u s i z i e r t ; w e r d e n sollte, als Musiker heute z u glauben geneigt sind (die e i n e n mehr, die a n d e r e n : weniger).

N a c h d i e s e m Exkurs über d a s singuläre Beispiel kehren wir z u d e n Fällen zurück, die : a l l g e m e i n e r e n Aufschluß geben. E s ließe sich f o l g e n d e Faustregel für d a s L e s e n der T e m p o i n f o r m a t i o n e n in Heinichens Notation formulieren: m a n b e s t i m m e z u n ä c h s t an- i h a n d musikalisch-struktureller Kriterien

4 7

diejenige Notenform, d i e d i e Zählzeit repräsen­

tiert, u n d beziehe darauf d a n n die T e m p o a n g a b e . Bei unbezeichneten S ä t z e n i m Z w e i e r ­ takt ist e s ratsam, die Strukturen 2x2AE2-4tel u n d 2x2AE1-4tel ("Semiallabreve") z u un- j t e r s c h e i d e n ; bei Sätzen im Dreiertakt w i r d m a n beachten, d a ß die i m N e n n e r s t e h e n d e j N o t e e i n e n g e w i s s e n Einfluß auf die Vorstellung v o m "Normaltempo" hat.

4 8

M a n hätte j d a s Verfahren der T e m p o f i n d u n g s o als einen technischen V o r g a n g erklärt, d a b e i a b e r verschleiert, d a ß d a s eigentliche Problem gerade im Beziehen der T e m p o a n g a b e auf die Zählzeit liegt. D e n n selbst w e n n m a n sich auf musikalisch-strukturelle Faktoren be­

s c h r ä n k t

4 9

, sind zahlreiche weitere Faktoren d e n k b a r — die Instrumentierung, d e r G r a d d e r m e l o d i s c h e n Diminution, der Charakter der Thematik, der D e k l a m a t i o n s r h y t h m u s

5 0

!

— , die bei verschiedenen Stücken z u verschiedenen D e u t u n g e n e t w a d e r A n g a b e "Alle-

gro" f ü h r e n können, a u c h w e n n diesen Stücken dieselbe Taktformel (etwa 2x2AE2-4tel)

z u k o m m t . Doch handelt e s sich hier nur u m F e i n a b s t i m m u n g e n innerhalb eines b e r e i t s ;

(15)

W o l f g a n g Horn « T a k t , T e m p o u n d Aufführungsdauer

161 festgelegten Bereiches. Die Tempoangabe gibt gleichsam die Richtung vor und die jewei-

| lige Werkstruktur bestimmt die Route, die nicht immer die Direttissima sein muß. Man kann die Taktformel um neue Parameter erweitern, gerät dabei jedoch immer mehr v o m Allgemeinen ins Spezielle: die "Taktformel" wird allmählich "Werkformel". Daß ein Stück im "Zweiertakt" steht, ist dann nur noch eine Bestimmung neben zahlreichen anderen; es begründet noch keine spezielle Gemeinsamkeit — etwa hinsichtlich des Tempos — zwi­

schen diesem Stück und anderen Stücken im Zweiertakt. Das Tempo wird zum Tempo dieses individuellen Stückes; zu seiner Bezeichnung bedarf es differenzierter Tempoan­

gaben.

Auf den ersten Blick scheint das "echte Allabreve" diesem Differenzierungsprozeß zu trotzen, denn es "hat vor allen andern Tacten dieses besonders, daß seine Mensur jeder­

zeit unveränderlich bleibet, und weder ein darunter gesetztes Adagio, nach [sie] Allegro statt findet" (GbC, S. 332). Man könnte "nach" in "noch" ändern und den Satz so verste­

hen, daß sich im Allabreve ein fester, nicht durch Tempoangaben zu modifizierender Grundpuls erhalten habe, mit dem jeder Komponist und jeder Dirigent immer und überall in derselben Weise rechnen konnte. An anderer Stelle erläutert Heinichen: "Daß m a n die gewöhnliche Mensur des Allabreve mehr anhalten, 'oder mehr fortjagen könne, solches ist vor sich: es heisset aber dieses keine Veränderung der Mensur, so lange diese niemahls durch die gewöhnlichen Wörter: Adagio, Andante, presto &c. darff unterbrochen werden"

{GbC, S. 947, Supplementa, ad p. 332).

51

Hier sind nicht "ritardando" und "accelerando"

gemeint, sonst dürfte das Wort "mehr" nicht stehen. Heinichen bezieht sich vielmehr auf das Schlagtempo: daß man das Allabreve langsamer oder schneller schlagen konnte, versteht sich deshalb von selbst ("ist vor sich"), weil man es getan hat. So existierte um die "gewöhnliche Mensur des Allabreve" herum ein Bereich möglicher Schlagtempi, und wir können nicht wissen, wann und warum dieser oder jener Dirigent die Mensur mehr angehalten oder fortgejagt hat

52

und ob nicht der betreffende Dirigent "sein" Maß für das

"gewöhnliche" gehalten hat. Allerdings war dieser Bereich nicht beliebig groß; er betrug nur einen Bruchteil des Unterschieds zwischen C-Largo und C-Presto. Anders gesagt:

Kompositions-Familien werden nicht durch die bloße Taktart charakterisiert, sondern durch die Verbindung von Taktart und Tempoangabe, letztlich aber durch den "Stil". Die­

ser ist beim "echten Allabreve" explizit angesprochen; im Bereich des C-Takts können wir immerhin "Tempo-Familien" bilden. Das Verhalten des "echten Allabreve" zu seinem Nor­

maltempo ist also nicht z u vergleichen dem C-Takt ohne weitere Spezifikation, sondern dem Verhalten des C-Largo, des C-Andante oder des C-Allegro zu ihren jeweiligen Nor­

maltempi. Ein Normaltempo kann im Verhältnis zu seiner gedachten Mitte "mehr an­

gehalten" oder "mehr fortgejagt" werden; es ist kein starrer Wert, sondern ein Bereich der noch als "normal" akzeptierten Werte.

Die Normaltempi, die Heinichen vorschwebten, können wir nicht exakt rekonstruieren;

gewisse Anhaltspunkte geben seine Zeitdauerangaben und die Ausführungen in seinen Büchern. Dennoch bleibt unser Wissen begrenzt. Wir wissen nicht, wie breit ein solcher Konsens zu Heinichens Zeit war, wer ihn teilte und wer nicht. Wir wissen nicht, o b sich Heinichens Vorstellungen über die Normaltempi mit zunehmendem Lebensalter verändert haben. Dagegen wissen wir aus Heinichens Umgang mit den Tempoangaben, daß es auf Nuancen ankam (Tab. 3). Die Angaben sind in der Regel zwar recht detailliert, und doch kann man sich bei fehlender Angabe nicht streng darauf verlassen, daß ein mittleres Tempo gemeint sei (Tab. 4). Schließlich ergab sich aus der Berechnung von Metronom­

werten für die Zählzeiten (Tab. 7) eine bunte Vielfalt von Werte-Bereichen: jedes Stück hat sein eigenes Maß.

Ein "tempo ordinario", das in konkreten Stücken in Reinform nicht vorkommt, kann

(16)

162

Wolfgang Horn » Takt, T e m p o und Aufführungsdauer

trotzdem als gedanklicher Fluchtpunkt, als "regulatives Prinzip" fungieren. Diese Funktion hat es in Heinichens Rede vom "ordinairen langsamen Tact" oder vom "sonst geschwin­

den 3/8 Tact". Und auch seine Tempoangaben sollen ja Informationen transportieren (und sei es nur bis zu den Mitgliedern der Dresdner Hofkapelle), die einen Konsens vor­

aussetzen. Es gibt hier ein Geflecht von Beziehungen, ein System von anderer Art. Denn ein System muß keine starre Gitterstruktur aufweisen, Relationen müssen nicht als Glei­

chungen oder Proportionen ausdrückbar sein. "Taktarten" sind für Heinichen nicht wie vorgefundene Gefäße, in die hinein sich die Komposition ergießt, sondern umgekehrt: die v o m "goüt" geprägte Musik schafft sich die Gefäße selbst, zwar nicht der Form, wohl aber der Größe nach.

53

Dies führt zu einer anderen Fassung des Tempobegriffs, die abschließend angedeutet ! sei. W e n n man den Begriff der "Zählzeit" von denjenigen Positionen her bestimmt, die ei­

nen eigenen Akkord (oder eine eigene Harmonie) zu tragen pflegen, so stellen die "zwei- j schichtigen" Taktarten, in denen neben den Zählzeiten auch deren Unterteilungswerte 1.

Ordnung Akkorde tragen können, eine latente Bedrohung der "objektiven" Geltung der Zählzeitbestimmung dar. Denn Akkordfähigkeit ist kein hinreichendes, sondern lediglich ein notwendiges Kriterium zur Bestimmung der Zählzeit. Die Auszeichnung eines von ; zwei möglichen Werten als Zählzeit setzt demnach eine (wie auch immer vor sich gehen­

de) Wahl zwischen zwei Angeboten voraus. Wähle ich den größeren Wert als Be­

zugsmaß, so erhalte ich ein langsameres Ablauf-Tempo; wähle ich dagegen den kleine­

ren Bezugswert, so werde ich ein doppelt so schnelles Tempo wahrnehmen. Entscheide ich mich aber wirklich für einen Wert? Kann nicht die "Zweischichtigkeit" als solche, ver­

bunden mit einem höheren rhythmischen Differenzierungsgrad der Melodik, den Tempo- Eindruck mitbestimmen in Richtung auf das Urteil: "schneller"? Man vergleiche das Alla- breve-Beispiel (Notenbeispiel 1) mit den Beispielen für C-Vivace (Notenbeispiel 3) und 3/4-Vivace (Notenbeispiel 7): in welche Reihenfolge sind die Tempi dieser Stücke zu brin- j gen? Offenkundig reicht für die Beantwortung dieser Frage die Feststellung der Zählzei­

tendichte, die Bestimmung von "Tempo" im Sinne der Physik als Weg/Zeit, nicht aus. Sie ist die in bestimmten Grenzen sinnvolle Isolierung eines Parameters, der auf der Objekt- I seite mit dem Tempo zu tun hat. Sie ermöglicht den Vergleich der Tempi mehrerer Stük- ke, die in den übrigen wesentlichen Parametern übereinstimmen (welche dies auch sein mögen), bedarf aber dann, wenn diese Übereinstimmung nicht gegeben ist, der Ergän­

zung und der Erweiterung. Die Ergänzung bestünde in der Berücksichtigung weiterer mu- sikalisch-struktureller, also "objektiver" Parameter. Die Erweiterung aber verlangte die Einbeziehung der die Musik erlebenden Subjekte.

54

Denn die Notentexte gewinnen die Dimension der "Zeit" und damit auch des Tempos erst in der Aktualisierung durch ein Be­

wußtsein. Davon kann man allenfalls (wie im vorliegenden Beitrag) aus methodischen Gründen eine Zeitlang absehen.

Es ist zuweilen wohl nützlich (oder gar angenehm), einen verwickelten Fragenkomplex gleichsam von unten her zu betrachten. Mag der Horizont dann auch begrenzt sein, so gewinnen die Dinge innerhalb des Blickfelds desto deutlichere Konturen. Vielleicht findet j sich einmal jemand, dem es gelingt, die Zeitangaben zu komplexeren Zusammenhängen I (vgl. Tab. 6) für die Interpretation von Tempi fruchtbar zu machen und die Taktformeln um Parameter wie Deklamationswerte und Verlaufsrhythmen zu verfeinern. Näherliegend

:

und wohl nicht aussichtslos wäre jedoch der Versuch, durch intensive Beschäftigung mit

Heinichens Notation und Musik ein lebendiges Gespür für sein "Temposystem" als einem j

in sich beweglichen Beziehungsgeflecht zu bekommen.

5 5

Man kann sich dieses nach der

Art eines im Wasser treibenden Netzes vorstellen. Die jeweils aktuelle Gestalt der Ma- j

sehen und die Lage der Knoten wird von der Bewegung des Wassers bestimmt. Das Netz j

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