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Reisebericht.
Von Ed. Saehsu.
Berlin 23. Juni 1880.
In meinem Brief aus Der am Euphrat vom 27. Dec. 1879
habe ich das Routier der ersten Hälfte meiner Reise während der
Monate September, October, November und December in Kürze mit¬
getheilt (s. S. 172 dieses Bandes). In nachstehendem beehre ich
mich den weiteren Verlauf derselben zu skizziren.
Bald nach Weihnacht gestalteten sich die Umstände so un¬
günstig für mich, wie nur möglicb. Kälte, Schneefall und Stürme.
Mangel an Peuerungsmitteln und an Wasser, Theuerung, Hungers¬
noth und eine bedenkliche Unsicherheit aller Wege erschwerten
mir meine Aufgabe ganz ausserordentlich und beschränkten die
Preiheit meiner Bewegungen in bedauerlicher Weise.
Von Der aus besuchte ich Tabus am 27. Dec. In D6r durch
schlechtes Wetter und andere Dinge aufgehalten konnte ich erst
am 4. Jan. meine Reise fortsetzen ; von Der nach Bokms , w Jü\-r^j • >
Rahaba, ESSibli ^JlA.iJ!, Majädin. Am 7. Jan. gelang es mir,
den Euphrat mittelst einer Fähre zu überschreiten, und am Abend
desselben Tages liess ich am Ufer des Chaboras gegenüber Elbusfra die Zelte aufschlagen.
Zwei Tage folgte ich dem Laufe des Chaboras am Südufer,
stets im Schnee reitend, dann aber zwang mich der Holzmangel
und die Purcht, Menschen und Thiere durch die Kälte zu ver¬
lieren, meine projectirte Route Shaddädijje — Tell-Kaukab — Djebel
Sindjar aufzugeben und gegen Südost in die unbekannte Wüste
der Shammar-Beduinen abzubiegen, in der Hoffnung dort Zeltlager
und in ihnen Peuer und Obdach für Menschen und Thiere zu
finden. Ich spielte ein gewagtes Spiel, ich musste es spielen, und
gewann. Bald nach Mittag zeigte sich eine grade Linie von
schwarzen Punkten am feinen . schneeglänzenden Horizont : wei¬
dende Kameele , und nach mehrstündigem Ritt erreichten wir das
Zeltlager des Schaichs aller Shammar in der 'Odjä, wo man uns
freundlich aufnahm.
Ed. Sacluiu, Reisebericht. 565
Stationen : Elbusera, Elhäwi (^^LÜ , namenlose Lagerstätte am
Chaboras 1 '/ü Stunde vor Shaikh Hammed, El'ö'djä L>yiJ! .
Am folgenden Tage, Sonntag d. 11. Jan., ritt ich weiter in
der Richtung auf das Sindjar-Gebirge durch die schneebedeckte
Wüste (Territorium der Shammar) bei schneidendem Nordwind,
hatte aber das Glück, jeden Abend in dem Zeltlager irgend eines
der Shammar-Stämme mein Zelt aufschlagen zu können. Ein vier¬
tägiger Ritt brachte mich an das westliche Ende des Sindjär-
Gebirges, wo die verlassenen Felshütten der Jeziden von Skenijje
uns willkommenen Schutz gegen die Kälte boten. Da der lehr¬
reichere Weg zwischen dem Djebel-Sindjar und dem Tök, einer
vor der Hauptkette südlich vorliegenden, mit ihr parallelen Hügel¬
kette, durch Schnee verstopft war, ritt ich am Südabhange des
T6k durch viele Gebirgsbächlein hindurch weiter nach dem Haupt¬
ort des Gebirges, Beled von den Arabern, Shingär von den Kurden
genannt; von dort über Tell-Afar an den Tigris nach Mosul.
Stationen : El'ö'djä, 'Ard-elmaghrubbe joJiJ! ijoJ , Wädi-essihl
• m
J^ÄwJt t^^\i , Marab- Sindjär ^Lsu« , Skenijje <>.a..ä.oCw>» , Beled, 'Ain-elhisän ^^-^L-cJ^ 0"=^' Tell-Äfar, Wädi-Debüne j^ot,
»jyiö, Mosul.
Diese Reise vom Euphrat zum Tigris quer durch den Meso¬
potamischen Continent, bisher meines Wissens noch nie von einem
Europäer ausgeführt , war ausserordentlich beschwerlich , und ich
muss es als eine liosonders gütige Fügung anerkennen, dass mich
während der ganzen Zeit keinerlei Unfall oder Verlust getroffen hat.
Meine Hoflfnung, in Mosul das Ende aller Schwierigkeiten zu
erreichen , sollte sich nicht erfüllen. Ich hatte zwar den Weg
von Sindjär nach Mosul mit todten Thieren bestreut gefunden
und hatte mehrfach Bauemfamilien hungernd xmd von allem ent¬
blösst nach Mosul wandern sehen, war aber dennoch peinlichst
übeiTascht , als ich erfuhr , dass Mosul hungerte , dass das Vieh
vor Hunger starb und die Menschen vor Hunger zu sterben
drohten. Seit dem Tage meiner Ankunft in Mosul, d. 20. Jan.,
haben die Schwierigkeiten der Verpflegung von Mensch und Thier
mich sehr behindert und habeo mehr als einen Reiseplan unmög¬
lich gemacht; nicht minder auch die Unsicherheit der Wege, denn
die Bewohner der Berge hungerten wie die der Ebenen , und
plünderten sich gegenseitig. Auf den Landstrassen fand man ganze
Schaaren von Hungernden , welche ihre Heimath verlassen hatten
in der Hoffnung anderswo Brod und Beschäftigung zu finden.
Rechnet man zu diesen Dingen noch die vollkommene Abwesen¬
heit einer Regieningsauctorität , so kann man mit solchen Farben
ein recht düsteres IJild componiren.
566 E!d. Sachau, Reisebericht.
In Mosul habe icb den einheimischen Dialect des Arabischen
studirt und ausserdem das Fellähi, das Syrische der Bauern jen¬
seits des Tigris.
Weitere Route:
Mosul, Titnä'je, Kloster Rabban Hormuzd, Alkosh, Simel
'Asi, Zakho, Nahrawän, Djezire.
Es war ursprünghch mein Plan, von Djezire aus nach Azekh
und Middo zu gehen, rmd dann in Kreuz- und Querzügen das
ganze Gebirgsland zwischen Djezire und Dijärbekr, zwischen dem
Tigris und der Wüste zu exploriren, aber dieser Plan scheiterte
an der Ungunst der Witterung und aller übrigen, in Präge
kommenden Verhaltnisse. Die Türkischen Behörden riethen mir
dringend ab, und waren ausserdem nicht in der Lage mir genügen¬
den Schutz an Zaptijje oder Soldaten mitgeben zu können. Im
Gebirge vollkommene Anarchie; Theuening und Hunger, Kriegs¬
zustand unter Jeziden, Muhammedanern und Christen, Räubereien
mehrerer Kurdenchefs, theilweise von Schnee verstopfte Wege! —
dies war die Lage der Dinge, die mich nöthigte den gewöhnlichen
Karawanenweg am Südablvmg des Mons Masius einzuschlagen,
und aucb dieser Weg war nicht frei von Gefahr. Am 19. Febr.
verliess ich Djezire.
Stationen: Sha'bänijje \*jL**i. Aznaur, Nsebin, Därä, Tell-
Ennen, Mardin.
In den Gassen von Mardin lag der Schnee an vielen Stellen
fusshoch, dagegen war die Theuerung und Hungersnoth weniger
drückend als in Djezire und Mosul. Trotz der rauhen Witterung
entschloss ich mich in das Innere des Djebel-Tür zu reisen, um
Kefr-Djoz (Nussdorf) und in seinem Wadi jenen Hügel zu unter¬
suchen, der nach den neuesten Studien mit der Lage der alten
Armenischen Königsstadt Tigranocerta identiticirt worden ist. Ich
habe denn auch Kefr-Djoz erreicht und die Umgegend kennen
gelemt. Das Resultat meiner Localstudien war aber ein negatives :
Tigranocerta muss anderswo gesucht werden.
Stationen: Mardin, Khyrbet - Täo ,Lj äj^-, Midyäd, Kefr-
Djoz, Kasr, Teffe, §aur, Mardin.
Von Mardin aus machte ich einen zweiten Ausflug nach Teil-
Ermen. Meinen Plan, von Mardin durch die Wüste nach dem
Djebel-'Abdul'aziz, von dort über Ras-al-'ain und durch den ruinen¬
reichen und gänzlich unbekannten Djebel-Tektek nach Harrän-Urfa
zu reisen, musste ich fallen lassen. Alle Lebensmittel, Putter
und Feuerung für 40—50 Tage hätte ich mitführen müssen, aber
Transportthiere , Kameele und Maulthiere, waren nicht zu haben.
Die Flüsse waren ausgetreten, und Brücken sind nicht vorhanden.
Ausserdem war die Raubsucht der Beduinen durch Hunger be¬
sonders angestachelt. Es blieb mir nichts übrig als der grossen
Heerskrasse zu folgen.
Ed. Sachau, Reinebericht. 567
Stationen : Mardin, Khäneki, Dijärbekr, Karabagb5e, Kainägby,
Süwerek, Karadjören, Hawäk, Otbman-Maräbi, Biredjik, Zembüi-,
Akbterinköi, Aleppo, wo ich am Montag d. 22. März emtraf.
Auf dieser letzteren Reise ereignete sich der Unfall, dass
meine Leute im Engpass von Omer-Agha 3—4 Stunden nördlich
von Mardin von etwa 30 räuberischen Kurden überfallen und aus¬
geplündert wurden. Einer meiner Diener wurde schwer verwundet;
der gi-össte Theil unseres Gepäcks ging verloren, dagegen von
meinen Papieren ist nichts abhanden gekomraen.
Von Aleppo aus ritt ich über Dänä und Djisr-elhadid nach
Antiochien, von dort über Belän nach Alexandrette. Die Rück¬
kehr nahm ich über Port-Sa'id. Ismä'ilijje, Kairo, Alexandrien und
betrat am 26. April in Triest wieder den Boden Europa's.
Der grösste Theil dessen, was ich von meiner Reise heim¬
gebracht, wird der Geographie und Kartenzeichnung zu Gute
kommen, z. B. für den Nordosten Syriens, für die Plussgebiete
des Balikh und Khäbür, den Mons Masius u. a. Meine archäolo¬
gischen und epigraphischen Materialien werde ich baldmöglichst
den Fachmännern zugänglich machen, ferner auch meine Samm¬
lungen für das Studium neuarabischer vmd neusyrischer Mundarten.
Zum Schluss sei noch bemerkt, dass es mir gelungen ist, in
Mosul und bei den Nestorianem jenseits des Tigris eine Anzahl
von S)nischen Handschriften zu erwerben . darunter einige von
Pergament aus ziemlich hohem Alter.
Aus einem Briefe des Herm Prof Dr. G. Holfmann,
die „Auszüge aus syrisehen Akten persischer Märtyrer" betreffend.
Kiel, den 11. Juni 1880.
Heute empfing ich von der Buchhandlung Edward Stanford,
55, Charing Cross, London, auf Veranlassung eines dortigen Preun¬
des die Proceedings of the Royal Geographical Society Vol. I
No. 3. Mar. 1879, welche einen Aufsatz von Sir H. C. Raw¬
linson über den Weg vom Kaspischen Meer nach Merw,
und einen zweiten von C. R. Markh a m über das Bassin des
Hilm end, beide mit Karten begleitet enthalten. Ich bedauere
lebhaft, dass ich namentlich die erste Abhandlung sowie eine
imdre darin citierte desselben Verfassers in Vol. XX S. 179 über
die Städte der alten Parthyene bei der Abfassung der einschlägigen
Seiten in den Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes
VII. Band No. 3 1880 S. 277 f. und 291 f nicht gekannt habe:
Schuld daran sind die hiesigen Bibhotheksverhältnisse. Da eine
beträchtliche Anzahl meiner Ortsbestimmungen zu meiner Preude
mit denen Sir Henry Rawlinson's in auffallender Weise überem-