• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Haiti: Unsere Erfahrung" (11.11.2011)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Haiti: Unsere Erfahrung" (11.11.2011)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 2402 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 45

|

11. November 2011

H A ITI

Das Beispiel Haiti zeigt, dass die inter- nationale Hilfe kri- tisch hinterfragt werden muss (DÄ 28–29/2011: „Kata- strophenalarm in Haiti: Die große Schlacht der Helfer“ von Christa-Maria Kitz und Holger Brock- meyer).

Überzogene Kritik

Frau Kitz und Herr Brockmeyer haben viele interessante Aspekte der Hilfsaktionen nach der Erdbe- benkatastrophe angesprochen. Da- für sei ihnen Dank und Anerken- nung. Die Schlussfolgerung, näm- lich die internationalen Helfer als eigennützig, publizitätssüchtig und chaotisch anzuprangern, halte ich allerdings für abwegig. Gerade das Gegenteil ist in Haiti zu beobach- ten gewesen: Die kleinsten Organi- sationen (zum Beispiel Humedica aus dem Allgäu) erwiesen sich als diejenigen, die am schnellsten vor Ort waren und effektive Hilfe leis- teten. Aus eigener Erfahrung bei drei verschiedenen Organisationen (Humedica, DRK und MSF) kann ich von der konkreten Wirksamkeit jeder dieser einzelnen, unabhängig voneinander agierenden Organisa- tionen berichten. Natürlich ist die Situation in Haiti besonders schwierig. Schon vor der Katastro- phe war Haiti (trotz seiner langen Staatstradition seit 1804) struktu- rell in desaströsem Zustand. Nach dem Erdbeben gab es eine Staats- krise durch Verlust eines Großteils der politischen Kader einschließ- lich der staatsersetzenden UN-Mis- sion.

Normal sind die Folgen eines Erd- bebens nach drei Monaten so weit bewältigt, dass die internationalen Helfer abziehen können. Keine der vielen Organisationen hat dies in Haiti geschafft. Der akute Schaden hat sich in Haiti mit dem vorbeste- henden Dauerdesaster vermischt.

Die Hoffnung der beiden Autoren auf eine effektive und koordinierte Bewältigung durch die UN ist – vorsichtig ausgedrückt – passend zur Thematik – blauäugig.

Von den mehr als 200 000 Chole- rainfizierten seit Oktober 2010 zum Beispiel wurden mehr als 65 Pro- zent in Einrichtungen von „Ärzte ohne Grenzen“ behandelt. 30 Pro- zent weitere erhielten Hilfe und Be- handlung vonseiten des kubani- schen Hilfsdienstes. Weniger als zehn Prozent wurden schließlich von anderen Einrichtungen, darunter auch der WHO, versorgt. Wegen der äußerst ungünstigen Voraussetzun- gen (defekte Wasserleitungen, man- gelnde Latrinen, chronische Über- schwemmungen und epidemiolo- gisch ungünstige Bestattungsritua- le) ist die Cholera in Haiti immer noch nicht bewältigt. Die Epidemie geht weiter. Immerhin konnte die Mortalität durch die effektivere Erstbehandlung gesenkt werden.

Natürlich ist in Haiti das Ziel, die Eigeninitiative der Menschen zu fördern. Natürlich ist eine gute Ko- ordination der verschiedenen Maß- nahmen erstrebenswert. Dafür wur- de bereits wenige Tage nach dem Erdbeben eine wöchentlich tagende internationale Koordinationsgruppe gegründet, die als Einrichtung seit- her funktioniert.

Aber jetzt den Stab über den Hel- fern zu brechen, hieße für mich:

Das Kind mit dem Bade ausschüt- ten. Gerade die spontane und schnelle Hilfe durch die Nichtregie- rungsorganisationen hat sich in Hai- ti bewährt.

Prof. Dr. med. Matthias Richter-Turtur, Isarkliniken, 80331 München

Unsere Erfahrung

Die Autoren beobachten am Bei- spiel Haiti eine Vielzahl teils hoch- finanzierter Hilfsorganisationen, de- ren – zumal langfristiger – Nutzen für die Menschen vor Ort oft frag- lich bleibt. Wir können diese Aussa- ge aus eigenen Erfahrungen im Ga- zastreifen nur unterstreichen.

Trotzdem hätte man sich eine diffe- renziertere Darstellung der Unter- schiede reiner Nothilfeorganisatio- nen (z. B. Ärzte ohne Grenzen) und Entwicklungshilfeorganisationen (z. B. Welthungerhilfe) gewünscht.

Schließlich ist es Gegenstand inten- sivster Debatten in der Gemein- schaft der Nichtregierungsorganisa-

tionen, inwieweit auf nachhaltige Entwicklung ausgelegte Zusam- menarbeit nicht zwangsläufig eng mit den örtlichen Behörden und Re- gierungen – von denen viele kein Muster an Demokratie und transpa- renter Mittelverwendung sind – ko- operieren muss, um ihre Ziele zu er- reichen und ob es, dem gegenüber- gestellt, für reine Nothilfeorganisa- tionen legitim ist, weitgehend au- tark, dadurch aber eben auch poli- tisch neutral, eine eher symptom - orientierte Hilfe zu leisten.

Unsere Erfahrung als sehr kleine, weitgehend nothilfeorientierte NGO im Gazastreifen stellt sich wie folgt dar: Die Bevölkerungs- dichte und das Bevölkerungs- wachstum im Gazastreifen sind im- mens. Von den zurzeit circa 1,6 Millionen Einwohnern leben etwa 70 Prozent unterhalb der Armuts- grenze von zwei US-Dollar am Tag. So steht den rund 1,1 Millio- nen potenziell Hilfebedürftigen ein Heer von staatlichen (z. B. GIZ, USAID), überstaatlichen (z. B.

WFP, UNICEF, UNDEP) und nichtstaatlichen Helfern (wie Ärzte ohne Grenzen, Amnesty interna - tional, ICRC, Islamic Relief und viele andere) gegenüber. Und trotz- dem sehen wir in unserer Arbeit vor Ort Schulen, an denen ein Großteil der Kinder nicht ausrei- chend ernährt ist und/oder dem Un- terricht fernbleibt, um auf den kar- gen Feldern zum Überleben der Fa- milie beizutragen. Warum das so ist, bleibt letztlich Gegenstand der Spekulation – aber so bietet die Gegenwart vieler kleiner Hilfsorga- nisationen die Chance, auch Men- schen zu helfen, die von den Gro- ßen nicht erreicht werden. Eine ge- genseitige Lähmung, gar ein Chaos können wir aus unserer Erfahrung nicht bestätigen. Wir sehen hier aber durchaus die Unterschiede zu einer Situation wie in Haiti, wo in der Folge eines definierten Ereig- nisses innerhalb kürzester Zeit vie- le Helfer auf den Plan traten, und sich gegenseitig Ressourcen streitig gemacht haben, letztlich zum Nachteil der Betroffenen.

Literatur bei dem Verfasser

Oliver Berthold, Vorstand al omri – Kinderhilfe Palästina e.V., 13359 Berlin

D z n t w 2 s Haiti: DiegroßeSchl

B R I E F E

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Autorisierung erfolgt eine Anrechnung (Abzug) der Gutschriften im Gastgeberstaat bei Nutzung für NDC, CORSIA oder sonstigen Zwecken (wie Klimaneutralität), für nicht zum

In dieser Lerneinheit wollen wir das Konzept des Erfahrungslernens einführen, Ihnen aber auch zeigen, wie Sie die Erfahrungen der Lernenden nutzen können, um ein

Die Ver- einbarung bestimmt auch, dass für die Bildung gemeinsamer Institutionen bestimmte Berei- che, wie Verkehr, wirtschaftliche Entwicklung, Arbeit, Infrastrukturen für

November 2011 15.00 bis 18.00 Uhr Regensburg Patientenorientierung und Serviceverhalten am Telefon Praxisinhaber/-mitarbeiter 95,- Euro 18. November 2011 9.00 bis 16.30

D as CoC Mitgliederservice und Beratung (SuB) ist so- wohl Ansprechpartner für alle bereits niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten als auch für diejenigen, die

Wieweit Vertreter/innen der Wirtschaft in die Aus- arbeitung dieses Studien- versuchs tatsächlich mitein- bezogen wurden, entzieht sich der Kenntnis der SlRV-Mechatronik. Die

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Selbsthilfegruppen auch bei Nicht-Mitgliedern eine hohe Wertschätzung erfahren; sie sind ihnen aber (noch) nicht beigetreten, weil

„Smart Meters“, die den Stromverbrauch in Abhängigkeit zur Stromerzeugung steuern können. Der DGB stellt fest, dass die bisherigen Bemühungen nicht ausreichend waren, um den