A 2168 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 107|
Heft 44|
5. November 2010GESUNDHEITSBEZOGENE ANGABEN AUF LEBENSMITTELN
Den Wildwuchs eindämmen
Nach dem Willen der EU muss die Industrie für gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln einen wissenschaftlichen Nachweis erbringen. Eine Positivliste soll allerdings nicht vor Ende 2011 vorliegen.
D
ie wissenschaftliche Bewer- tung gesundheitsbezogener Angaben auf Lebensmitteln nimmt erheblich mehr Zeit in Anspruch als geplant. Eine entsprechende Positivliste sollte eigentlich schon seit Ende Januar dieses Jahres vorliegen. Nun wird es die Liste nach Aussagen der Europäischen Kommission frühestens Ende 2011 geben.Mit der sogenannten Health- Claims-Verordnung, die 2007 in Kraft trat, will die Europäische Union (EU) den Wildwuchs an Ge- sundheitsversprechen der Lebens- mittelindustrie beenden. Das Ge- setz schreibt den Nahrungsmittel- produzenten vor, für gesundheitsbe- zogene Angaben wie „Calcium ist gut für Ihre Knochen“ oder „stärkt Herz und Kreislauf“ einen wissen- schaftlichen Nachweis zu liefern.
Nach einer Prüfung der Health Claims durch die im italienischen Parma ansässige europäische Le- bensmittelbehörde EFSA soll die Industrie somit nur noch solche Produkte mit gesundheitsbezoge- nen Aussagen bewerben dürfen, die nachweisbar gesundheitliche Vor- teile bieten. Aussagen, die ungenau,
schlecht verständlich oder irrefüh- rend sind, werden untersagt.
Die Verordnung gilt für Informa- tionen auf Lebensmitteletiketten, in der Werbung, für Handelsmarken oder sonstige Markennamen. Dies betrifft auch Nahrungsergänzungs- mittel und Lebensmittel, die für Krankenhäuser, Kantinen und ähn- liche Einrichtungen bestimmt sind.
Ausgenommen von den Vorschrif- ten sind lediglich unverpackte Le- bensmittel wie Brot, Obst und Ge- müse sowie traditionelle Bezeich- nungen wie „Hustenbonbons“.
Von Antragsflut überfordert Das zuständige wissenschaftliche Gremium für diätetische Produkte, Ernährung und Allergien bei der EFSA scheint indessen mit der Flut an Anträgen überfordert. Bei der Behörde gingen mehr als 44 000 Dossiers ein. Zwar hat die EU- Kommission die Einzelanträge mittlerweile zu 4 600 Claims zu- sammengefasst, dennoch zieht sich das Verfahren hin.
Bislang hat die EFSA gerade ein- mal 1 000 Angaben begutachten können. In erster Linie handelte es sich dabei um Aussagen, die mit der
gesundheitsfördernden Wirkung von Vitaminen, probiotischen Bak- terien, Mineralstoffen und Fetten werben. Dazu gehören Angaben wie „Omega-3-Fettsäuren sind wichtig für die Entwicklung des Kindes“ oder „Calcium, Vitamin D, Phosphor und Proteine sind für das normale Wachstum und den Kno- chenaufbau erforderlich“.
Die für die Genehmigung zustän- dige EU-Kommission hat etwa 80 Prozent der Claims nach der Begut- achtung durch die Lebensmittelbe- hörde als unwahr oder irreführend abgelehnt. Grund war hauptsäch- lich die mangelhafte Qualität der Daten. So ließ sich beispielsweise kein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Kinderschokolade und dem behaupteten positiven Effekt auf das Wachstum herstellen. Das Gleiche gilt für den Antrag eines Herstellers von Milchprodukten, der damit wirbt, dass die verwende- ten Bakterienkulturen (Lactobacil- lus helveticus) dazu beitragen, das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkran- kungen zu mindern. Einige Herstel- ler, wie Danone Frankreich, das die angeblich verdauungsfördernde und die Abwehrkräfte stärkende Wir- kung seiner Produkte Activia und Actimel preist, hatten ihren Antrag aus Angst vor einer Ablehnung frei- willig wieder zurückgezogen.
Von 2012 an soll sich die Behör- de auch mit Angaben zur gesund- heitlichen Wirkung von pflanzli- chen Stoffen in Lebensmitteln be- fassen. Hersteller von pflanzlichen Arzneimitteln fordern eine klare Abgrenzung von Phytotherapeutika und diätetischen Lebensmitteln, de- nen pflanzliche Substanzen mit arz- neilicher Wirkung beigefügt wer- den. Für Letztere müssten in der EU ebenso strenge Regeln hinsicht- lich der Risikobewertungen gelten wie für pflanzliche Arzneimittel, forderte Michaels Habs, Vizepräsi- dent des Bundesverbandes der Phar - mazeutischen Industrie. Dabei müs- se sichergestellt werden, dass Ver- braucher mit gesundheitsbezogenen Angaben beworbene Lebensmittel nicht versehentlich als Arzneimittel einstuften, erklärte auch der CDU- Europaabgeordnete Peter Liese. ■ Petra Spielberg Protest gegen
irreführende Werbung: Die Verbraucherrechts -
organisation Food- watch zeichnete im
vergangenen Jahr den Danone- Joghurt Actimel mit dem goldenen
Windbeutel aus. Foto: dpa