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Archiv "Medizinische Daten und Qualitätsmanagement" (16.11.2007)

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D

as Institute of Medicine berichtete im Jahre 2000 in seinem Report „To Err is Human“, dass 44 000 bis 98 000 US-Amerikaner jährlich durch Irrtü- mer von Medizinern zu Tode kämen (1) und erreichte damit weltweit Aufmerksamkeit. Seither wird das Feh- len derartiger Zahlenwerke für Deutschland beklagt (2, 3). Sind Datenerhebungen zur Bestimmung der Scha- denshäufigkeit in Deutschland erforderlich – und sind sie zielführend?

Weiche Daten

Medizinische Daten zu Schäden und Fehlern sind häu- fig weiche Daten, das heißt sie führen zu Resultaten mit geringer Reliabilität: Beobachter eines Sachverhalts, so auch Ärzte, stimmen in 10 bis 50 % der Fälle in ihren Resultaten nicht überein (4). Auch bei der Wahl der The- rapie variieren Ärzte inter- und intraindividuell.

Ärzte müssen täglich Entscheidungen über sehr kom- plexe Probleme unter schwierigen Umständen und auf der Basis inadäquater Informationen treffen, und diese fallen unterschiedlich aus. Beispielsweise differieren deutlich die standardisierten Hysterektomieraten: In Norwegen wurden 110 pro 100 000 Frauen und Jahr hysterektomiert, im Vergleich zu 700 in den USA. Die Pro-Kopf-Ausgaben für stationäre Krankenhausbe- handlung betrugen in New Haven 451 und in Boston 889 US-$ pro Jahr, wobei sich demografische und Ver- sorgungscharakteristika kaum unterscheiden (5). Derar- tige Variationen, etwa auch der Häufigkeit von Herzka- theteruntersuchungen zwischen den Bundesländern (6), sind für viele ärztliche Maßnahmen nachgewiesen und stellen ein generelles Problem dar. Bei einigen Beispie- len lassen sich Unterschiede teilweise auf epidemiologi- sche oder andere Variablen zurückführen.

ÜBERSICHTSARBEIT

Medizinische Daten und Qualitätsmanagement

Klaus Dieter Scheppokat, Johann Neu

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Die Inzidenz behandlungsbedingter Patienten- schäden ist erst seit Kurzem bekannt. Methoden: Selektive Literaturaufarbeitung. Ergebnisse: 2 umfangreiche Kran- kenblattstudien ergaben behandlungsbedingte Patienten- schäden bei 3,7 und 2,9 % der Hospitalbehandlungen, davon waren 28 % durch Fehler verursacht. 48 % der Schäden betrafen Operationen,19 % Medikationen und 14 % Invasivmaßnahmen. In Schlichtungsverfahren betra- fen 75 % der Fälle operative Fächer, in den nicht operati- ven ging es häufig um Invasivmaßnahmen. 66 % der Pati- enten erlitten behandlungsbedingte Schäden. Mediziner aus der Schweiz erfassten prospektiv 45 Komplikationen internistischer Krankenhausbehandlung. Die meisten Kom- plikationen und Todesfälle waren auf Medikationen zurückzuführen. Invasivmaßnahmen hatten die höchsten Komplikationsraten. Diskussion: Die meisten behand- lungsbedingten Schäden hängen mit operativer, invasiv- interventioneller und Pharmakotherapie zusammen – komplexe Maßnahmen, die strikte Indikationen erfordern.

Erneute Studien zu behandlungsbedingten Schäden und Fehlern werden kaum Erkenntnisse höherer Reliabilität erbringen können. Verfahren zur Qualitätsverbesserung sollten den Krankenhäusern überlassen werden. Grund- sätzlich müssen Ärzte und Pflegekräfte Fehler akzeptieren.

Sie benötigen kommunikative Kompetenz und die für ordentliches Arbeiten erforderliche Zeit.

Dtsch Arztebl 2007; 104(46): A 3172–7 Schlüsselwörter: iatrogene Schädigung, Behandlungsfehler, Qualitätssicherung, Medizindaten

SUMMARY

Medical Data and Quality Management

Introduction: The incidence of adverse outcomes of medical care has only recently been documented systematically.

Methods: Selective literature review. Results: 2 compre- hensive studies based on medical record review have shown adverse event rates of 3.7% and 2.9% of all hospitalizations. 28% of adverse events involved negligence.

48% were related to operations, 19% to drugs and 14% to invasive procedures. 75% of the proceedings of the panel for extrajudicial claims resolution (Schlichtungsstelle) were related to surgical specialties. In the non-surgical specialties claims were frequently related to invasive procedures. 66% of the patients suffered adverse outcomes.

Physicians from Switzerland recorded the complications of 45 interventions in internal medicine prospectively. Most complications and most fatalities were drug-related.

Invasive interventions had the highest complication rates.

Discussion: Medical injury is frequently related to operations, medications, and invasive procedures – i. e. actions of high complexity requiring an explicit indication. It is unlikely that further extensive studies on iatrogenic injury or negligence will provide more reliable results. Hospitals must choose their appropriate interventions for improving quality. Errors have to be accepted by physicians and nurses as inevitable. Communication skills and adequate time for communication are essential for quality and safety in medical care. Dtsch Arztebl 2007; 104(46): A 3172–7 Key words: iatrogenic injury, malpractice, quality assurance, liability for medical error

Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der Norddeutschen Ärztekammern, Han- nover: Prof. Dr. med.

Scheppokat, Rechts- anwalt Neu

(2)

Auch die Erkenntnisse von Experten differieren. In Schlichtungsverfahren divergieren die Bewertungen des externen Gutachters und des Arztes der Schlich- tungsstelle in etwa 10 % der Fälle (7). Bei Doppelbegut- achtungen kamen die Experten in Studien bezüglich be- handlungsbedingter Schäden in 13 bis 21 % (8, 9), bei Doppelbewertungen von Krankenunterlagen in 25 bis 10 % der Fälle zu entgegengesetzten Erkenntnissen (10). Ein Musterbeispiel für verschiedene Expertenmei- nungen ist die Debatte über medikamentenbeschichtete Koronar-Stents (11).

Die Quelle, aus der sich medizinische Datensamm- lungen speisen, ist die ärztliche Dokumentation. Über ihren tatsächlichen Zustand ist jedoch wenig bekannt.

Nach Untersuchungen von Püschmann und Mitarbeiter (10) waren nur in 27 % der untersuchten 317 Kran- kenakten alle erforderlichen Teile vorhanden und man- gelfrei. Die Diagnose, die einen wesentlichen Teil des vom Arzt Dokumentierten darstellt, ist notorisch fehler- behaftet: In einer Studie über 50 000 Sektionen betrug die Sensitivität der klinischen Diagnostik, geprüft am autoptischen Befund, 40 bis 90 % (12). In Görlitz wur- den 1987 nahezu alle Verstorbenen seziert, in 38 % der Fälle stimmten Sektionsbefund und Todesbescheini- gung beim Grundleiden nicht überein (13). In Schlich- tungsverfahren sind Diagnosefehler die zweithäufigste Fehlerart (14).

Quantifizierende Untersuchungen des Schadensrisikos

Nach dem Vorstehenden geben medizinische Scha- dens- und Fehlerdaten – zumal wenn sie aus verschie- denen Quellen stammen – häufig Mängel der Basisdo- kumentation, Variationen ärztlicher Entscheidungen und Expertenmeinungen sowie Auswirkungen unein- heitlicher Bearbeitung wieder und führen zu statisti- schen Resultaten geringer Reliabilität. Studien mit Belegen für eine hohe Reliabilität solcher Daten- sammlungen sind den Autoren nicht bekannt. Nur Un- tersuchungen, bei denen die Generierung, Bewertung und Verarbeitung der Daten streng kontrolliert erfolgt, vermögen trotz dieser Beschränkungen annähernd die Wirklichkeit wiederzugeben. Im Folgenden werden 3 entsprechende Studien vorgestellt. Die Autoren folgen hierbei der bei der sachverständigen Begutachtung in Schlichtungsverfahren verwendeten Terminologie; in anderen Zusammenhängen werden auch davon abwei- chende Termini benutzt.

Retrospektive Prüfung von Krankenakten: Harvard-Studie Für populationsbezogene Studien (8, 9, 15) wurden in den Akutkrankenhäusern (außer den Fachbereichen Psychiatrie und Psychosomatik) von den Bundesstaaten New York und Utah/Colorado randomisierte gewichtete Stichproben von Krankenakten

cnach definierten Kriterien und

cvon speziell geschulten Fachkräften und Fachärz- ten durchgesehen.

cDie Feststellung, ob behandlungsbedingte Schäden vorlagen und ob diese fehlerverusacht waren, er-

folgte von 1 bis 6 skaliert. Ein Skalenwert >4 war erforderlich zur Feststellung eines behandlungsbe- dingten Schadens.

cZahlreiche Akten ließ man durch jeweils 2 Fachärz- te bewerten.

Die Resultate der Stichprobe bezog man auf alle sta- tionären Behandlungen des Jahres. In New York waren es im Jahr 1984 insgesamt 2,67 Millionen Hospitalisie- rungen.

98 609 oder 3,7 % (Tabelle 1) der stationären Be- handlungen führten zu behandlungsbedingten Schäden.

27 179 Schäden (28 %) waren fehlerverursacht, in Utah/Colorado 29 %. Bezogen auf die Hospitäler (16) variierten die Schadensraten von 0,2 bis 7,9 %, die Fehlerraten von 1 bis 60 %. Die Schadensraten waren erhöht bei Patienten > 64 Jahre auf 6 %, bei denen mit komplexen Krankheitssituationen auf 7 %. Bei einigen operativen Fächern waren die Schadensraten erhöht, in der Gefäßchirurgie auf 16 %.

Fast die Hälfte aller behandlungsbedingten Schäden stand mit operativen Maßnahmen in Zusammenhang, wobei Wundinfektionen die größte Untergruppe der operativen Schäden darstellten (Tabelle 2). Auch in der Utah/Colorado-Studie verursachten Operationen mit 45 und Pharmaka mit 19 % die meisten Schäden. 8 Jahre nach der Publikation der New Yorker Studie waren die

nach 8, 9 TABELLE 1

Behandlungsbedingte Schäden bei Akutkranken- haus-Behandlungen

Staat Jahr Behandlungsbedingte

Patientenschäden pro 100 stationäre Krankenhaus-

aufenthalte und Jahr gesamt mit tödlichem

Ausgang

New York 1984 3,7 0,5

Utah/Colorado 1992 2,9 0,2

*1Daten aus dem Jahr 1984 von 98 609 stationär aufgenommenen Patienten in Krankenhäusern des Staates New York; nach (15) TABELLE 2

Maßnahmen, bei denen behandlungsbedingte Ge- sundheitsschäden auftraten*1

Schädigung bei/durch Anteil der Schadensfälle

(Prozent)

Operation 48

Pharmakotherapie 19

Diagnostik 8

konservative Therapie 8

invasive Maßnahmen 7

sonstige 10

gesamt 100

(3)

invasiven Maßnahmen mit 14 % aller Schäden auf die dritte, im geriatrischen Teil dieser Population sogar auf die zweite Stelle gerückt (9, 17).

Nach diesen Studien (8, 9, 15, 17) beträgt die Scha- densrate 3,7 %, ist bei alten und multimorbiden Patien- ten aber höher. Komplexe ärztliche Maßnahmen wie Operation, invasive Eingriffe und eine moderne Phar- makotherapie haben ein hohes Schädigungsrisiko.

Die populationsbezogenen Resultate sind repräsen- tativ für Behandlungen im Akutkrankenhaus. Brenn- an, Erstautor der Harvard-Studie, hat nach dem Er- scheinen des Berichts „To Err is Human“ (1), dem die- se Resultate zugrunde liegen, geltend gemacht, dass die publizierten Zahlen mit Vorsicht zu interpretieren seien, weil viele Festlegungen, die die Autoren für diese Studie getroffen haben, etwa für postoperative Blutungen, durchaus auch anders definiert werden könnten (18). Die methodische Sorgfalt der Harvard- Studien war mustergültig, der dafür geleistete Auf- wand ungewöhnlich groß.

Schadens- und Fehlerfeststellung in Schlichtungsverfahren Die Verfahren der Schlichtungsstelle für Arzthaft- pflichtsachen der norddeutschen Ärztekammern erfol- gen schriftlich. Sie dienen der sachverständigen Klärung des Fehlervorwurfs und gegebenenfalls der Schadenskausalität. Für jedes Verfahren sind ein Jurist und ein ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle ver- antwortlich. Bei etwa 90 % der Verfahren werden exter- ne Gutachten eingeholt. Die Verfahrensdaten werden vom verantwortlichen ärztlichen Mitglied dokumentiert und dann elektronisch gespeichert.

Von 2000 bis 2003 wurden 10 513 Verfahren abge- schlossen (Tabelle 3) (14). 76 % der von den Patienten

in Anspruch genommenen Ärzte vertraten operative Fach- oder Teilgebiete. Bei den konservativen Fächern werden viele Verfahren wegen Invasivmaßnahmen an- gestrengt (19, 20).

Die häufigsten Diagnosen gemäß ICD 10 (1 pro Fall) in diesen 10 513 Verfahren (14) waren: Extremitäten- frakturen, Kox-/Gonarthrose, Bandscheiben-, Knie- schäden, Mammakarzinom, Appendizitis und Struma.

Behandlungsfehler wurden in 38 % der Verfahren festgestellt, nur ein Teil von ihnen verursachte Patien- tenschäden. Die meisten Fehler unterliefen bei der ope- rativen/postoperativen Therapie und der Diagnostik mit jeweils 34 %. Bei den Diagnostikfehlern dominierten jene der bildgebenden Diagnostik. In Verfahren auf- grund invasiver Maßnahmen waren Nachsorge- und In- dikationsfehler häufig (19), in Verfahren wegen Extre- mitätenfrakturen (14) Fehler bei der bildgebenden Dia- gnostik. Mängel der Kommunikation, Kooperation und Koordination stellen nach Auffassung der Autoren, ob- wohl selten belegbar, sicherlich eine bedeutsame Ursa- che von Fehlern, Schäden und Streit dar.

Die Gesundheitsschäden der Patienten (Tabelle 4) waren in 29 % der 10 513 Verfahren durch Fehler verur- sacht und somit die Patientenansprüche begründet (Ka- tegorie I). Die Gesundheitsschäden waren in 36 % die- ser Fälle schwer, in 3 % tödlich.

Die Gesamtheit behandlungsbedingter Patienten- schäden (Kategorien I und II) betrug 62 % aller Fälle.

Annähernd zwei Drittel der verfahrensbeteiligten Pati- enten hatten also belegbar iatrogene Schäden erlitten (14). Dieser Anteil lag in Verfahren, in denen Chirurgen beteiligt waren, und in Verfahren aufgrund invasiver Maßnahmen (19) noch höher.

Drei Viertel aller Schlichtungsverfahren betrafen also operative Fächer. Fehler bei der operativen/postoperati- ven Therapie und bei der Diagnostik machten zwei Drittel aller festgestellten Fehler aus. Viele der an- spruchstellenden Patienten hatten behandlungsbedingte Schäden.

Die Schlichtungsstelle verfügt über Zehntausende sorgfältig – mit doppelter ärztlicher Expertise – bear- beiteter Schadenskasuistiken aus allen Fach-/Teilge- bieten aus Praxen (circa ein Drittel aller Verfahren) und Krankenhäusern. Auch hier ist mit einer Varianz der Entscheidungen von mindestens 10 % zu rechnen.

*1In den 10 513 Verfahren wurden 11 634 Ärzte/Krankenhäuser in Anspruch genommen; nach (14); *2davon Unfallchirurgie: 2 170 TABELLE 3

Verfahren in der norddeutschen Schlichtungsstelle 2000 bis 2003, Fachgebiete der Ärzte/Krankenhäuser*1

Fachgebiet Verfahrens-

beteiligte Ärzte (Anzahl)

Chirurgie/Teilgebiete*2 4 876

Frauenheilkunde, Geburtshilfe 1 557

Orthopädie 1 456

HNO-, Augenheilkunde 650

Urologie 313

Innere Medizin/Teilgebiete 1 011

Allgemeinmedizin 613

Neurologie, Psychiatrie 278

Kinderheilkunde/Teilgebiete 204

Dermatologie 118

Anästhesie, Radiologie, Sonstige 558

Summe 11 634

nach (14) TABELLE 4

Patientenschäden bei den 10 513 Schlichtungs- verfahren der Jahre 2000 bis 2003

Schadensursache Anteil aller

Verfahren (Prozent)

I. behandlungsbedingt, fehlerverursacht 29 II. behandlungsbedingt, nicht fehlerverursacht 33 III. behandlungsunabhängig, grundleidenbedingt 38

gesamt 100

(4)

Nur wenige durch ärztliche Behandlung Geschädigte ergreifen rechtliche Schritte. Diese Aussagen sind da- her nicht repräsentativ für die Medizinversorgung Norddeutschlands; aber Binnenvergleiche erscheinen gerechtfertigt.

Prospektive Erfassung von Komplikationen

Schweizer Kollegen erfassten in Krankenhausab- teilungen für Innere Medizin Komplikationen bei 45 invasiven, interventionellen, endoskopischen oder medikamentösen ärztlichen Maßnahmen im Rahmen ihrer Tagesroutine, und zwar mithilfe einer Liste, die jeder Krankenakte beilag. Die Supervision oblag Chef- und Oberärzten, die Auswertung erfolgt zentral (21). Von 1998 bis 2003 wurden in 26 Abteilungen 138 320 internistische Krankenhausbehandlungen erfasst, 5 463 Patienten (3,9 %) erlitten Komplika- tionen.

Die meisten Komplikationen traten im Zusammen- hang mit medikamentöser Therapie, Venenzugängen oder Antikoagulation auf (Tabelle 5). Komplikationen der medikamentösen Therapie waren für 31 % der Spi- talaufenthaltsverlängerungen, für 32 % der komplikati- onsbedingten Behandlungen auf der Intensivstation und für 20 Todesfälle verantwortlich.

Die höchsten Komplikationsraten fanden sich bei ex- trakardialer Angiografie mit Therapie, bei suprapubi- schem Blasenkatheter und perkutaner endoskopischer Gastrostomie (Tabelle 6). In kausalem Zusammenhang mit medizinischen Interventionen kam es zu 70 Todes- fällen, davon 35 durch Blutungen, meist unter Antikoa- gulation oder Thrombolyse.

Die meisten Komplikationen resultierten somit aus Medikationen, die höchsten Komplikationsraten bei Invasivmaßnahmen. Tödliche Komplikationen waren zum größten Teil medikationsbedingt.

Die Schweizer Mediziner führen eine prospektive populationsbezogene Datensammlung über Komplika- tionen durch, deren Wertung dann anhand regelmäßiger Statistikberichte in den Abteilungen erfolgt. Durch das systematische Vorgehen und das alltägliche Prozedere wird die gebotene kritische Auseinandersetzung mit unerwünschten Behandlungsresultaten zur Selbstver- ständlichkeit.

Nach ersten abteilungsbezogenen Evaluationen er- gaben sich Verbesserungen im Zeitverlauf bei eini- gen Komplikationen (Phlebitiden nach Venenzugän- gen und Blasenkatheterkomplikationen), keine Ände- rungen hingegen bei anderen (Medikamentengaben und -komplikationen trotz Unverträglichkeit, Blutun- gen nach transkutanen Punktionen). Quervergleiche der Komplikationsraten zwischen den einzelnen Ab- teilungen erschienen wegen unterschiedlicher klinik- interner Gegebenheiten nicht sinnvoll (Persönliche Mitteilung Max Stäubli, Zollikerberg 2007).

Resümee aus den 3 Studien

Aus den unter kontrollierten Bedingungen zustande ge- kommenen Befunden der 3 Arbeitsgruppen ergibt sich Folgendes:

c Behandlungsbedingte Gesundheitsschäden sind bei etwa 3 bis 4 von 100 stationären Krankenhaus- behandlungen zu erwarten, davon sind etwa gut ein Viertel durch Fehler bedingt. Die Schadensra- ten aus den Jahren 1984, 1992 und 2003 unter- scheiden sich mit 3,7, 2,9 und 3,9 % nur geringfü- gig. Je nach Krankenhaus sind die Schadensraten jedoch sehr unterschiedlich. Unter den Patienten, die Haftungsansprüche stellen, haben zwei Drittel iatrogene Schäden.

c Bei alten Patienten und bei komplexen Krankhei- ten sind die Schadensraten erhöht.

c Die häufigsten Schadensursachen sind operative Therapie, invasive/interventionelle Eingriffe und medikamentöse Behandlung; dies sind hochkom- plexe ärztliche Maßnahmen.

c Unter den gutachtlich festgestellten Behandlungs- fehlern dominieren die Fehler bei operativer/post- operativer Therapie und bei der Diagnostik.

c Kommunikationsdefizite sind häufig und bedeut- sam (22), aber nur selten als Fehler belegbar.

c Patienten mit psychosomatischen Leiden, funktio- nellen Störungen und Depressionen, die nicht sel- ten ein Drittel des Krankenguts ausmachen, sind aus den Schadensstatistiken von Harvard ausge- nommen, in den anderen offensichtlich unterreprä- sentiert.

Vieles aus dem Arbeitspensum der Ärzte und Pflege- kräfte lässt sich nicht messen und mit den verfügbaren quantifizierenden Methoden nicht erfassen. Vergleich- bare Schadensstudien, die diesen Ergebnissen aus den 3 Datensammlungen widersprächen, sind den Autoren nicht bekannt.

ERCP, endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie; nach (21) TABELLE 5

Die 10 häufigsten Komplikationen bei 138 320 stationären Behandlungen in der Inneren Medizin 1998 bis 2003

Intervention Anzahl der

Komplikationen

medikamentöse Therapie 1 812

(ohne Antikoagulantien)

Venenzugang peripher 1 049

Antikoagulation therapeutisch 519 Blasenkatheter transurethral 365

Punktion 175

Thrombozytenaggregationshemmer 149

Venenzugang zentral 140

radiologische Untersuchung mit 115 Kontrastmittel

Angiografie Herz mit Therapie 85 Blasenkatheter suprapubisch 78

ERCP mit Therapie 73

gesamt 4 560

(5)

Was ist zu tun, um die Patientensicherheit zu erhöhen?

Die vorgestellten Erkenntnisse erlauben Ärzten und Krankenhäusern eine ausreichend verlässliche Ab- schätzung des allgemeinen Risikos. Erneute groß- flächige Messungen der Fehler- und Schadensraten versprechen kaum weiteren Erkenntnisgewinn. Aus den 3 Studien ergibt sich für die Ärzteschaft, Diagno- sen als fehleranfällig immer wieder zu überprüfen, bei verstorbenen Patienten autoptisch. Darüber hinaus er- gibt sich für die Ärzte, schadensträchtigen komplexen Maßnahmen, Operationen, Invasivmaßnahmen und Medikationen besondere Aufmerksamkeit zu widmen und die Indikationen in diesem Hochrisikobereich, wie von Kardiologen empfohlen, zurückhaltender und strikter zu stellen (Figulla Hans-Reiner: Die Indikati- onsqualität in Deutschland ist zu hinterfragen. Cardio News 2006; 9: 24).

Auf Grundlage dieser allgemeingültigen Aussagen sind die weiteren Qualitätsmaßnahmen von den ein- zelnen Krankenhäusern und Praxen zu treffen, unter Berücksichtigung vorhandener Bedürfnisse, Schwer- punkte und Fähigkeiten. Im Konfliktfall werden ja auch haftungsrechtlich die behandelnden Ärzte und die Krankenhausleitung in Anspruch genommen, nie die dekretierenden Zentralen. Grundvoraussetzung al- ler Qualitätsbemühungen ist die Einsicht der Beteilig- ten, dass man mit Fehlern und Schäden als etwas grundsätzlich Unvermeidbarem umzugehen lernen muss. Offenheit und Vertrauen in der Arbeitsgruppe müssen so sein, dass die sachliche Erörterung uner- wünschter Abläufe, ihrer personen- wie systembezo- genen Ursachen und von Prävention selbstverständ- lich werden. Erfolge, die sich oft aus vielen kleinen Schritten ergeben, sollten belegbar sein. Weitere Vor- aussetzungen sind die Kompetenz von Ärzten und

Pflegepersonen in den Bereichen Kommunikation mit dem Patienten, Kooperation in der Arbeitsgruppe und Koordination mit den andern an der Behandlung be- teiligten Einheiten. Die hierfür erforderliche Zeit muss verfügbar sein.

Hilfen bieten die Schlichtungsstellen mit Schadens- kasuistiken und ihrem Medical Error Reporting System.

Hier sind Gesamtstatistiken des Jahresdurchgangs ver- fügbar und Kompilationen von Verfahrensdaten be- stimmter Kollektive, zum Beispiel Verfahren wegen Radiusfrakturen. Sie ermöglichen dem Arzt, Fehler- möglichkeiten und Schäden anhand großer Zahlen zu studieren.

Von externen Ämtern, Instituten und Zentren wäre vor allem zu fordern, den Ärzten wieder die Zeit, die sie für ihre originäre Arbeit brauchen, zu verschaffen, das heißt externe Einflussnahmen zurückzufahren. Wer es fertig brächte, das tägliche Dokumentationspensum der Krankenhaus-Internisten von 3 auf 2 h zu verkürzen, hätte mehr als alle anderen externen Einflussnehmer für die Patientensicherheit getan.

Entwicklungen in den USA

Die US-Amerikaner – uns diesbezüglich weit voraus – haben für Qualität und Sicherheit Ressourcen im großen Stil eingesetzt; Gesetzgebung, Ämter und Institute ha- ben leistungsabhängige Bezahlung und externe Qua- litätsberichte erprobt, Programme und Behandlungs- standards aufgestellt und deren Anwendung messend verfolgt. Und sie haben erfahren, dass die Erfolge nur bescheiden sind:

c manche Verbesserungen bestanden nur in der Do- kumentation, nicht in der Realität

c Erfolge bei den gemessenen Parametern verbargen zuweilen Verschlechterungen bei den nicht gemes- senen

c Qualitätsprobleme auf wichtigen Gebieten wie Geisteskrankheiten, Sucht und Heimbetreuung wurden noch gar nicht angegangen (23).

Unter den vielen Verlautbarungen zum Thema gibt es Erfolgsmeldungen: „in eineinhalb Jahren 122 342 Leben in US-Hospitälern gerettet“ (24). Und es gibt zweifelnde Stimmen, denen zufolge man 5 Jahre nach dem Report „To Err is Human“ (1) von den gesteckten Zielen noch weit entfernt sei. Brennan und die Har- vard-Gruppe (25) sehen kaum Belege dafür, dass das Medizinversorgungssystem sicherer geworden ist. Sie raten vom weiteren Zählen iatrogener Todesfälle und Fehler ab und begründen das mit der geringen Reliabi- lität der Bewertungen. Sie empfehlen statt dessen Me- thoden zu implementieren, deren Effektivität evidenz- basiert belegt ist. Effektivität ist verlässlicher messbar.

Sie halten für geboten, die Wahl der Verfahren und des Vorgehens den Hospitälern zu überlassen, abhängig von den jeweiligen Stärken der Belegschaft. Dabei müssten für Qualitätsverbesserungen gegebenenfalls auch Mittel, etwa für zusätzliche Pflegestellen, bereit- gestellt werden. „Incident reporting systems“ halten die Autoren in mancher Hinsicht für lobenswert, aber im Hinblick auf das Ziel Effektivität für weniger wich-

*1138 320 stationäre Behandlungen 1998 bis 2003; nach (21);

ERCP, endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie TABELLE 6

Die 10 höchsten Komplikationsraten bei Interventionen in der Inneren Medizin*1

Intervention (Anzahl) Komplikationen (Prozent) Angiografie extrakardial mit Therapie 7,7 (729)

Blasenkatheter suprapubisch (1 184) 6,6 perkutane endoskopische Gastrostomie 5,9 (611)

Angiografie Herz mit Therapie (1 488) 5,7

ERCP diagnostisch (424) 5,5

ERCP mit Therapie (1 442) 5,1

Pacer definitiv (1 048) 5,1

Laparoskopie (73) 4,1

Venenzugang zentral (3 708) 3,8

Angiografie Herz diagnostisch (908) 3,3

(6)

tig als das Sichöffnen der Ärzte und Krankenhauslei- tungen für die Erkenntnisse aus der Forschung zum Faktor Mensch, aus kognitiver und sozialer Psycholo- gie und Informatik als den neuen Grundlagenwissen- schaften zur Patientensicherheit.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 20. 3. 2007, revidierte Fassung angenommen: 19. 7. 2007

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Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Klaus Dieter Scheppokat

Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der Norddeutschen Ärztekammern Hans-Böckler-Allee 3

30173 Hannover

E-Mail: info@schlichtungsstelle.de

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

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Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden, Dotation: 5 000 Euro, für wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit der pulmonalen Hypertonie be- schäftigen,

Ein anderes Beispiel ist eine 45jährige Frau mit einer oder mehreren Verwandten mit Brustkrebs und wenigstens einer Biopsie oder einer Diagnose eines lobulären Carcinoma in situ..

Lernziele/Themen/Inhalte: Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten gemäß Curricu- lum „Notfallmedizin“ der Bundesärztekammer (Januar 2006) sowie der