• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Die Leistungsbereitschaft jedes einzelnen hilft, die Probleme zu überwinden" (28.05.1981)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Die Leistungsbereitschaft jedes einzelnen hilft, die Probleme zu überwinden" (28.05.1981)"

Copied!
12
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Ambulante kassenärztliche Versorgung

Die Leistungsbereitschaft jedes einzelnen hilft,

die Probleme zu überwinden

meinmedizin an, wobei naturge- mäß bei der KBV deren Bedeutung bei der Sicherstellung der kassen- ärztlichen Versorgung heute und morgen höher zu bewerten sei als die Sonderfragen der Aus- und Weiterbildung.

Im Hinblick auf den qualitativen Aspekt der Sicherstellung muß die KBV aber das Problem der Vorbe- reitungszeit vor der Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit ganz aktuell interessieren. Nachdem der von der Konzertierten Aktion empfohlene Versuch, eine Ände- rung der entsprechenden EG- Richtlinien zu erreichen, offenbar nicht gelingt, unterstützt die KBV eine Gesetzesinitiative des Bun- desarbeitsministeriums, durch die als Übergangsregelung wieder ei- ne Phase der zweijährigen prakti- schen Berufserfahrung als Eig- nungsvoraussetzung eingeführt werden soll. Sechs Monate davon soll der künftige Kassenarzt als Assistent oder Vertreter in einer Kassenpraxis ableisten.

Von dieser Lösung verspricht sich die KBV auch eine stärkere Moti- vierung des Nachwuchses, sich für allgemeinmedizinische Tätig- keit zu interessieren bzw. sich für die Allgemeinmedizin weiterzubil- den. Es werde dazu nötig sein, daß der hohe Wert der Allgemeinmedi- zin für eine ausgewogene ambu- lante ärztliche Versorgung und für das ökonomische Gleichgewicht im Gesundheitswesen anerkannt wird. In diesem Sinne werde die KBV, wie Muschallik ausführte, den Übergangszeitraum von fünf Jahren nutzen, um mit konkreten Beiträgen die allgemeinärztliche Versorgung zu fördern.

Insgesamt also: Schwierigkeiten, Veränderungen, Unsicherheiten, Unwägbarkeiten — es wird sich lohnen, so schloß Muschallik, al- les zu tun, um sie überwinden zu helfen. Und dies wird gelingen, wenn man jeden Kassenarzt davon überzeugen kann, daß sein Ein- satz, seine Leistungsbereitschaft auch über sein persönliches Schicksal bestimmen. gb/DÄ

Dr. med. Hans Wolf Muschallik

Es ist für die Kassenärztliche Bun- desvereinigung schon Tradition, vor den Deutschen Ärztetagen zu Sitzungen ihrer Vertreterver- sammlung einzuladen. Wir bekun- den damit nicht nur die Verbun- denheit mit der Bundesärztekam- mer, sondern dokumentieren so auch gegenüber der Öffentlichkeit unseren Willen zur Gemeinsam- keit bei der Lösung aktueller ge- sundheitspolitischer Probleme.

Die konstituierende Sitzung unse- rer Vertreterversammlung in die- ser Legislaturperiode liegt erst zwei Monate zurück. Damals habe ich nur einige Schwerpunkte der vor uns liegenden Aufgaben mar- kieren können. Heute, in der er- sten regulären Arbeitssitzung, möchte ich meine Ausführungen vertiefen und unter aktuellen Aspekten eingehender darstellen.

• Erster Schwerpunkt sind die Ergebnisse der diesjährigen Früh- jahrssitzung der Konzertierten Ak- tion im Gesundheitswesen und de- ren Umsetzung in Verträge auf der Länderebene.

• Zweiter Schwerpunkt sind die für die nächsten Monate anste- henden politisch-parlamentari- schen Beratungen von Gesetzes- vorhaben, besonders über die No- vellierung des Krankenhausfinan- zierungsgesetzes'.

• Dritter Schwerpunkt sind — auch und gerade aus dem Blick- winkel der kassenärztlichen Ver- sorgung — Ausführungen zum Kernthema des diesjährigen Deut- schen Ärztetages, nämlich zur

künftigen Rolle und Aufgabe der Allgemeinmedizin in der ambulan- ten gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung.

Alle diese Probleme können — auch wenn man das als Arzt viel- leicht bedauern mag — nicht aus- schließlich unter medizinischen, geschweige denn ärztlichen Ge- sichtspunkten allein betrachtet werden. Die kassenärztliche Ver- sorgung ist in die Sozial- und Wirt- schaftspolitik unseres Landes ein- gebettet und von ihr nicht zu tren- nen. Die medizinisch notwendige und ärztlich gebotene Hilfe für das Individuum löst nun einmal zwangsläufig Ausgaben aus, de- ren Höhe viele Milliarden DM be- trägt und welche — die durch Ar- beitsunfähigkeit verursachten Ko- sten eingerechnet — insgesamt größer sind als der Etat selbst des Verteidigungsministers mit all sei- nen „Leopards" und „Tornados".

Das bedeutet, daß in Zeiten wirt- schaftlicher Stagnation oder gar Rezession alle am Gesundheitssi- cherungssystem Beteiligten be- müht sein müssen, ein Gleichge- wicht zwischen dem medizinisch Notwendigen und dem wirtschaft- lich Möglichen zu finden und zu erhalten.

Schärfer noch als bisher erkennen wir heute bei dem so gefährlichen Zusammentreffen von Inflation, Arbeitslosigkeit, Leistungsbilanz- defizit und DM-Aufweichung die Notwendigkeit, unisono einen Bei- trag dazu zu leisten, daß das sozia- le Netz nicht aus seiner Veranke- rung gerissen wird.

Bericht zur Lage, erstattet bei der Sitzung der KBV-Vertreterversammlung am 18. Mai 1981 in Trier

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 28. Mai 1981 1071

(2)

Ambulante kassenärztliche Versorgung

Über die kritische Lage unserer Wirtschaft brauche ich hier nicht viel zu sagen. Im Grunde sind sich die Wirtschaftsweisen uneins nur darüber, ob wir bereits am Tief- punkt der Entwicklung angelangt sind, oder ob und bis wohin es noch weiter bergab geht.

> Die Vorhersagen für den Jah- resdurchschnitt der Arbeitslosen- zahl pendeln sich bei 1,2 Millionen ein, also deutlich über dem Stand des Vorjahres.

> Das Defizit der Leistungsbi- lanz, das sich im vorigen Jahr auf rund 29 Milliarden DM belief, wird nicht zu verringern sein, da der Kursanstieg des Dollars, auf dem die Einfuhren abgerechnet wer- den, erhebliche Verteuerungen mit sich bringt. Trotz aller Einspa- rungen war die Rechnung für die Nettoeinfuhren an Energie im ver- gangenen Jahr mit 64 Milliarden DM mehr als doppelt so hoch wie 1978.

> Das Bruttosozialprodukt wird 1981 gegenüber 1980 um 1,5 bis 2 Prozent sinken.

Die Inflationsrate, die im Jah- reswirtschaftsbericht der Bundes- regierung optimistisch mit 4,5 Pro- zent geschätzt wurde, lag schon im ersten Vierteljahr über 5,5 Pro- zent und wird nach den drasti- schen Benzinpreiserhöhungen vom 1. April dieses Jahres wahr- scheinlich noch weiter steigen.

Erstmals nach Kriegsende zeigen auch die vorliegenden Tarifab- schlüsse, daß mit einem schrump- fenden Realeinkommen der Ar- beitnehmer gerechnet werden muß. Zusätzlich wird dieses sin- kende Realeinkommen durch stei- gende Sozialbeiträge belastet:

In der Rentenversicherung wurde der Beitragssatz am 1. Januar 1981 um einen halben Prozent- punkt auf 18,5 Prozent erhöht. Zur selben Zeit stiegen auch die Bei- tragssätze der meisten Kranken- kassen, und zwar im statistischen Bundesdurchschnitt um 0,4 Pro-

zentpunkte. Alarmierend ist dabei die große Spannweite der derzeiti- gen Beitragssätze, die von etwa 8 bis etwas über 15 Prozent reicht, was den Diskussionen, die ge- gliederte Krankenversicherung schrittweise zur Einheitsversiche- rung zu nivellieren, neue und ge- fährliche Schubkraft gibt.

Kaum weniger alarmierend ist die Höhe der Entgeltfortzahlungen der Arbeitgeber im Arbeitsunfä- higkeitsfall. Sie allein macht 4,1 Prozent des Brutto-Arbeitsent- gelts aus. Damit liegen die Auf- wendungen für die Gesundheitssi- cherung insgesamt bei knapp 16 Prozent und erreichen damit fast die Aufwendungen für die Alterssi- cherung.

... bemüht, Arzneimittel wirtschaftlich und kosten- bewußt zu verordnen

Daß bei täglich im Bundesgebiet etwa 1,5 Millionen arbeitsunfähig geschriebenen Personen und ei- ner daraus resultierenden jährli- chen Belastung von 30 Milliarden DM unsere Wirtschaft im interna- tionalen Vergleich stark beein- trächtigt ist, wird jedem einleuch- ten. Damit sind auch wir Kassen- ärzte angesprochen. Ein Arbeit- nehmer in der Bundesrepublik Deutschland wird durchschnittlich 25 Tage im Jahr arbeitsunfähig ge- schrieben, in den USA dagegen bloß fünf Tage und in Japan sogar nur 2,5 Tage.

0 Ich bin mir der Relativität des Vergleichs derartiger statistischer Angaben durchaus bewußt, den- noch müssen uns diese Zahlen Anlaß zum Nachdenken geben.

Wir müssen uns nämlich mit gro- ßem Ernst selbst die Frage stellen, ob wir mit der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigun- gen nicht deutlich kritischer und behutsamer umgehen könnten und sollten.

Welche Schwierigkeiten sich da- bei vor dem gewissenhaften Arzt auftun, weiß jeder von uns, und

ich weise in diesem Zusammen- hang auf die zynischen Ratschlä- ge hin, die in einer pseudonym erschienenen „Simulanten-Fibel"

solchen Arbeitnehmern gegeben werden, die das „Krankfeiern"

dem „Gesund-Schuften" vorzie- hen. Die große Masse unserer Pa- tienten sind ganz sicher weder Si- mulanten noch Arbeitsscheue, aber einer gewissen Minderheit haben solche linken „Ratschläge"

wohl gerade noch gefehlt.

Alles in allem düstere Aussichten, die noch bedrohlicher werden könnten, wenn die Kostenwelle, die im zweiten Halbjahr 1980 bei den Krankenkassen anrollte, nicht abebben sollte und die Kranken- versicherung zu weiteren Bei- tragssatzanhebungen zwingen würde. Wir stünden dann mitten in den schwierigsten Problemen für uns Kassenärzte und für die von uns zu versorgenden Patienten.

Die Steigerung der Ausgaben für Arzneimittel zum Beispiel erreich- te im letzten Jahr 8,6 Prozent bei einem von der Konzertierten Ak- tion empfohlenen Arzneimittel- höchstbetrag von 5,9 Prozent. Vor allem die Entwicklung im 3. Quar- tal mit einer Steigerung um 13,2 Prozent gegenüber dem Ver- gleichsquartal 1979 hat hierbei ei- ne wesentliche Rolle gespielt.

Daß sich trotz dieses statistischen Zahlenbildes die Kassenärzte ernsthaft darum bemüht haben, wirtschaftlich und kostenbewußt zu verordnen, zeigt der Rückgang der Zahl der Rezepte je Versicher- ten um insgesamt 0,4 Prozent und der Rückgang der Zahl der je Re- zept verordneten Arzneimittel um zusätzlich 1,6 Prozent. Deshalb entbehren auch die unsere ganze Berufsgruppe diskriminierenden Vorwürfe, die der Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen in der Presse erhoben hat, der Grundlage. Ich habe deshalb den Herrn Landesminister aufgefor- dert, statt den Kassenärzten pau- schal „Krämergeist" vorzuwerfen und zu behaupten, sie hätten „zu- gelangt", sich politisch dafür ein- 1072 Heft 22 vom 28. Mai 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Im dichtbesetzten Saal Metz der Euro- pahalle in Trier am Vormittag des 18.

Mai: Dr. Hans Wolf Muschalliks Bericht zur Lage, auf diesen Seiten im Wortlaut wiedergegeben, war ein überzeugen- des Plädoyer für die Strategie der kas- senärztlichen Versorgung „Soviel am- bulant wie möglich". — Oben und unten rechts: Delegierte der Vertreterver- sammlung der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung während der Sitzung;

rechts: der Vorstand der KBV (mit Hauptgeschäftsführer Dr. Eckart Fied- ler, Bildmitte); unten links: Stimmenzäh- len bei einer Ausschußwahl — hier hatte als „Urne" ein Hut gedient

Alle Fotos aus Trier: Bohnert-Neusch

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 28. Mai 1981 1073

(4)

Ambulante kassenärztliche Versorgung

zusetzen, daß uns durch klare ge-

setzliche Vorschriften ausreichen-

de Preisvergleichsmöglichkeiten im Arzneimittelangebot an die Hand gegeben werden. Der heute auf dem Arzneimittelsektor beste- hende Listenwirrwarr ist praxis- fremd, ja fast nutzlos.

Wir werden in der nächsten Zeit sehr genau prüfen, welche Ursa- chen diesen außergewöhnlichen Ausgabensteigerungen zugrunde liegen; ob sie auf Preisanhebun- gen der Pharma-Industrie zurück- zuführen waren, auf mögliche Strukturveränderungen des Arz- neimittelangebots oder ob das Verordnungsverhalten der Kas- senärzte hierbei eine Rolle- und wenn ja, welche - gespielt hat. Es wird auch die Frage zu klären sein, ob Hersteller etwa größere und entsprechend teurere Packungen anstelle der seitherigen auf den Markt gebracht haben. Das Ergeb- nis dieser gemeinsam mit den Krankenkassen durchzuführen- den Prüfung werden wir der Öf- fentlichkeit unverzüglich nach Vorliegen mitteilen.

Der Arzneimittelhöchstbetrag für 1981 wurde von der Konzertierten Aktion mit4,5 Prozent und erstmals für einen Zeitraum von fünfQuarta- len empfohlen. Diese abnorme Laufzeit steht im Zusammenhang mit dem im März 1981 beschlosse- nen Appell des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie an seine Mitgliedsfirmen, in den näch- sten zwölf Monaten auf Preis- erhöhungen zu verzichten. Da die- ser Preisstopp sich also frühestens ab April dieses Jahres voll auswir- ken könnte, schien es der Konzer- tierten Aktion sinnvoll, das erste Quartal1982 in die Empfehlung für den Arzneimittelhöchstbetrag ein- zubeziehen.

Selbstverständlich begrüßen wir den mit dieser Empfehlung beab- sichtigten Beitrag der Arzneimit- telhersteller zur Aufrechterhaltung des Kostengleichgewichts und hoffen nur, daß sich auch alle Her- steller demgemäß verhalten. Man kann sich allerdings nicht ganz

von Zweifelnfrei machen, ob diese Maßnahme angesichtsder von der Pharma-Industrie zu Beginn die- ses Jahres vorgenommenen spür- baren Preiserhöhungen nichf schon zu spät kam.

I

Regelmäßige Informationen über das gesamte

Verordnungsverhalten Es ist gewiß nicht unsere Sache als Kassenärzte, über die Dividen-. den der Pharma-Industrie zu pole- misieren, aber ich muß gestehen, daß die Klagen des Herrn Bundes- arbeitsministers über die hohen Arzneimittelausgaben der Kran- kenkassen mehr Eindruck e•Jf mich machen würden, wenn er zu- gegeben hätte, daß sein für die Finanzen zuständiger Kabinetts- kollege dabei kräftig Kasse macht, indem er über den Höchstsatz der Mehrwertsteuer Milliardenbeträge von den notleidenden Kranken- kassen kassiert. ln allen anderen Ländern der Europäischen Ge- meinschaft sind Arzneimittelum- sätze entweder von der Mehrwert- steuer befreit oder werden nach stark ermäßigten Sätzen besteu- ert; und ich meine, es wäre eine zweckmäßige Variante der Kosten- dämpfung, wenn auch seitens der Politik in diesem Zusammenhang endlich einmal Flagge gezeigt würde.

~ Da für die Mengenausweitung innerhalb der Festsetzung des Arzneimittelhöchstbetrages nur 1 Prozent vorgesehen wurde, be- deutet das gegenüber dem Vor- jahr de facto eine Mengenverrin- gerung. Wenn man gleichzeitig die ambulante kassenärztliche Versorgung verstärken will, wie das in den Honorarvereinbarun- gen mit den Krankenkassen ten- denziell zum Ausdruck kommt, muß also jeder Kassenarzt noch mehr als bisher bei der Verord- nung von Arzneimitteln besonders kritisch sein und eine gezielte The- rapie einhalten.

Hierbei wollen wir in der KBV und in den Kassenärztlichen Vereini- 1074 Heft 22 vom 28. Mai 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

gungen der Länder den Kassen- arzt unterstützen und ihm in Zu- sammenarbeit mit den Kranken- kassen regelmäßig Informationen über sein jeweiliges Verordnungs- verhalten zur Verfügung stellen.

Transparenz der Kosten der eige- nen Arzneitherapie, sowohl zeit- lich als auch im Vergleich zur ei- genen Fachgruppe, ist das Ziel.

Darüber hinaus sollen auch die Zahl der Krankenhauseinweisun- gen, die Verordnungshöhe der Heil- und Hilfsmittel sowie die Zahl und die durchschnittliche Dauer der Arbeitsunfähigkeits-Beschei- nigungen erfaßt werden.

Ganz sicher kann es aber nicht genügen, etwa nur die Kassenärz-

te informieren und zur Wirtschaft-

lichkeit ermahnen zu wollen. Min- destens ebenso wichtig ist die un- verzügliche und ernste Aufklärung der Versicherten über die zu Be- sorgnis Anlaß gebende Finanzlage in der gesetzlichen Krankenversi- cherung durch die Krankenkassen und die Mahnung, die Solidarge- meinschaft nicht übermäßig durch die Inanspruchnahme von Lei- stungen zu belasten.

Leider zeigen aber einige Kran- kenkassen eine gewisse Zurück- haltung, wenn es darum geht, ihre Mitglieder in die Verantwortung zu nehmen. Noch bedauerlicher ist es, wenn trotz aller Klagen über eine sich verschlechternde Fi- nanzlage manche Kassen aufwen- dige Werbebroschüren streuen, in denen die Mitglieder geradezu er- muntert werden, "in die Vollen" zu gehen. Lassen Sie mich als ein Beispiel für viele aus einem Pro- spekt der AOK für den Schwalm- Eder-Kreis zitieren, die ihre Mit- glieder fast im Stile der Zigaretten- werbung ermuntert:

"Ein Krankenschein aus dem AOK-Scheckheft verschafft Ihnen kostenlosen Eingang in die weite Weit der modernen Medizin!"

Dem Kassenarzt, dem ein solcher- maßen zum "Zulangen" ermunter- ter Patient im Sprechzimmer ge- genübertritt, muß sich doch

(5)

zwangsläufig die Frage aufdrän- gen, ob der von den Krankenkas- sen in Verhandlungen und Veröf- fentlichungen als so dramatisch dargestellte Kostendruck wirklich existiert oder ob er nur ein Instru- ment ist, mit dem man Gesund- heitspolitiker und Öffentlichkeit aufscheucht, wenn Honorarver- handlungen mit den Kassenärzten anstehen.

~ Ist die finanzielle Lage der Kas- sen wirklich so ernst, dann sollten sie ihre Versicherten nachdrückli- cher als bisher zu kostenbe- wußtem Verhalten auffordern und ihnen klarmachen, daß Verspre- chen wie ein kostenloser Eintritt in die weite Weit der modernen Me- dizin- wie ich meine- zu anrüchi- gen Praktiken der geheimen Ver- führer gehören. Bei allem Ver- ständnis dafür, daß die einzelnen Kassen ihre Leistungsvorteile her- ausstellen, sollte man doch ganz nüchtern sehen, daß durch solche Methoden den Kritikern des Sy- stems der gegliederten Kranken- versicherung Schützenhilfe gelei- stet wird.

I

Bundesempfehlung muß endlich in allen Ländern realisiert werden

An der Bundesempfehlung, die wir mit den RVO-Krankenkassen Ende letzten Jahres vereinbart hatten, wurde sowohl vom Bundesarbeits- minister als auch von den Sozial- partnern wegen der Kostenent- wicklung im zweiten Halbjahr 1980 und der sich weiter verschlech- ternden gesamtwirtschaftlichen Lage heftig Kritik geübt und der Versuch zu einer Revision unter- nommen. Wir haben das abge- wehrt, und es ist uns gelungen, die Bundesempfehlung als vertretba- res Ergebnis in die Empfehlungen der Konzertierten Aktion einzube- ziehen. Trotzdem sträuben sich ernrge Krankenkassen immer noch, die Bundesempfehlung auf Landesebene zu realisieren. Ich muß daran erinnern, daß die Kas- senärztlichen Vereinigungen in der Vergangenheit sich bei der

Ambulante kassenärztliche Versorgung

KBV appelliert

an Bundestag und Bundesrat

Entschließung der Vertreterversammlung zu den Gesetzesvor- haben "Prästationäre Diag nosti k/poststationäre Behand Iu ng"

und "Poliklinische Einrichtungen der Hochschulen"

Die Deutsche Krankenhausgesell- schaft und die Kassenärztliche Bun- desvereinigung haben kürzlich in ei- ner gemeinsamen Erklärung festge- stellt, daß die bestehenden gesetzli- chen Grundlagen ausreichen, um die im Interesse des Patienten not- wendige Verzahnung zwischen am- bulanter und stationärer Versor- gung sicherzustellen. Die Vertreter- versammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung appelliert daher erneut an Bundestag und Bundes- rat, keiner Gesetzesänderung zuzu- stimmen, durch die Krankenhäuser bzw. Polikliniken in einem weiteren Umfang als bisher in die kassen- ärztliche Versorgung gesetzlich ein- bezogen werden.

Die von der Bundesregierung verab- schiedete Novelle zum KHG sieht eine Änderung des § 372 RVO vor, die die notwendige Zustim- mung des behandelnden Kassen- arztes zur prästationären Diagnostik und poststationären Behandlung in Frage stellt. Bei Verabschiedung des Krankenversicherungs-Kasten- dämpfungsgesetzes im Jahre 1977 war seitens des Bundesarbeitsmini- sters namens der Bundesregierung vor dem Bundesrat die Notwendig- keit dieser Zustimmung ausdrück- lich betont worden. Dadurch sollen Störungen der Zusammenarbeit zwischen Klinik und Praxis vermie- den und willkürlichen Übertragun- gen ambulanter ärztlicher Leistun- gen an Krankenhäuser vorgebeugt werden.

Die Vertreterversammlung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung fordert daher, daß die Zustimmung des Kassenarztes zur prästationären Diagnostik und poststationären Be- handlung nicht beseitigt, sondern im Gegenteil gesetzlich ausdrück-

lieh verankert wird, wie es der Bun- desrat im Jahre 1980 bei dem ge- scheiterten Versuch einer Novellie- rung des KHG dem Vermittlungs- ausschuß vorgeschlagen hatte.

Nach wie vor sind einige Bundes- länder bestrebt, den uneinge- schränkten Zugang aller Sozialver- sicherten zu paliklinischen Einrich- tungen der Hochschulen und die Bezahlung der dort erbrachten Lei- stungen nach kassenärztlichen Ver- gütungssätzen gesetzlich zu veran- kern. Offenbar wird mit den be- kanntgewordenen Vorschlägen an- gestrebt, die Hochschuletats der Länder auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung zu entlasten. Qiese Entlastung würde durch die Anderung der bisherigen Pauschal- vergütung den Krankenversiche- rungsträgern zusätzliche beträchtli- che Ausgaben bringen und damit die Kosten in die Höhe treiben, statt sie zu dämpfen. Der für Forschung und Lehre notwendige Leistungs- umfang sprengt den Rahmen der Wirtschaftlichkeit, der in der kas- senärztlichen Versorgung gesetzlich vorgeschrieben ist. Außerdem wäre damit verbunden eine Existenzge- fährdung der niedergelassenen Kas- senärzte, die mit einer aus Steuer- mitteln technisch und personell be- vorzugt ausgestatteten Einrichtung in Konkurrenz treten müßten.

Die Vertreterversammlung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung appelliert daher nachdrücklich ins- Resondere an den Bundesrat, keine Anderung des § 368 n RVO vorzu- schlagen, zumal Schwierigkeiten beim Abschluß von Poliklinikverträ- gen auf der Grundlage der jetzigen gesetzlichen Regelung nicht er-

kennbar sind.

D

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 22 vom 28. Mai 1981 1075

(6)

Ambulante kassenärztliche Versorgung

Umsetzung einer von Krankenkas- sen und Kassenärzten auf Bun- desebene vereinbarten Empfeh- lung stets loyal gezeigt und diese mitgetragen haben, auch wenn die Prozentsätze der linearen Erhö- hung unterhalb der Richtschnur der wirtschaftlichen Entwicklung blieben. Wir dürfen darum erwar- ten, daß die Landesverbände der Krankenkassen nun auch den für das erste Halbjahr 1981 recht mühsam erzielten Kompromiß in ihrem Bereich mittragen. Nur so unterstreichen sie auch die Funk- tionsfähigkeit und Entscheidungs- freiheit ihrer eigenen Selbstver- waltung auf Bundesebene.

Hinzu kommt, daß die Verwirkli- chung des allseits anerkannten Grundsatzes "soviel ambulant wie möglich" vermehrten und ver- stärkten Einsatz im ambulanten Bereich bedeutet, wofür die Bun- desempfehlung die notwendige Grundlage bietet. Den Erfolg einer solchen Strategie haben vor kur- zem die Vertragspartner in Bayern auf einer Pressekonferenz ge- meinsam dokumentiert. Danach konnten die Aufwendungen für Krankenhausbehandlungen durch verstärkte ambulante Tätigkeit merklich gedrosselt werden, eine Tendenz, die sich, wie ich hoffe, bald auch im übrigen Bundesge- biet abzeichnet.

Jene Landesverbände der Kran- kenkassen, die sich bisher der Übernahme der Bundesempfeh- lung entgegengestellt haben, soll- ten diese Zusammenhänge erken- nen und entsprechend würdigen. Ich erinnere in diesem Zusammen- hang daran, daß über eine Neu- festsetzung der Gesamtvergütun- gen ab 1. Juli 1981 erst dann ver- handelt werden soll, wenn die Ab- rechnungsergebnisse des ersten Halbjahres 1981 vorliegen. Das tue ich insbesondere auch deshalb, weil nach meiner Auffassung die jüngsten Wirtschaftsdaten darauf hinzudeuten scheinen, daß die Gültigkeitsdauer der derzeitigen Honorarverträge wahrscheinlich über den 30. Juni dieses Jahres hinaus verlängert werden muß.

Dies gilt auch für unsern Vertrag mit den Ersatzkassen. Meine Da- men und Herren Delegierten, Sie wissen, daß die Kostensteigerun- gen bei diesen Krankenkassen im Jahr 1980 der Anlaß dazu waren, unter Berufung auf die "Dernba- cher Erklärung" kostendämpfen- de Maßnahmen von uns zu for- dern. Die Vorstellungen beider Seiten über den Umfang solcher Maßnahmen klafften anfangs weit auseinander. Sie reichten auf der Seite unserer Vertragspartner vom Verlangen nach einem zweipro-

zentig~n Abschlag bis zu einem Einfrieren der Honorare bis Ende 1982.

I

Aufgabenteilung zwischen Praxis und Krankenhaus im Konsens regeln

Die Einigung auf eine zeitlich be·

grenzte Kürzung der zwanzig häu- figsten Laborgebührenpositionen war und ist ein deutliches Zeichen dafür, daß wir Kassenärzte bereit sind, vernünftige Grenzen der Auswirkung der Honorarpolitik an- zuerkennen, und daß die Selbst·

verwaltung beider Vertragspartner diejenige Handlungsfähigkeit be- sitzt, die ein ordnendes Eingreifen staatlicher Organe völlig überflüs- sig macht.

Lassen Sie mich an dieser Stelle gleich etwas zu der bereits in An- griff genommenen Überarbeitung des Laborteils der Gebührenrege- lungen mit den Ersatzkassen und den RVO-Krankenkassen sagen. Durch sie sollen die Leistungsle- genden und das Verhältnis der Punktzahlen der einzelnen Lei- stungen zueinander der medizini- schen Entwicklung angepaßt wer-

den. RVO- wie Ersatzkassen drän-

gen übereinstimmend darauf, die rationalisierungsfähigen klinisch- chemischen Leistungen entspre- chend dem gesetzlichen Auftrag gesondert zu regeln. Nach § 368 n Abs. 8 RVO müssen die Kassen- ärztlichen Vereinigungen darauf hinwirken, daß solche Leistungen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in Gemeinschaftseinrichtun-

1076 Heft 22 vom 28. Mai 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

gen der niedergelassenen Ärzte erbracht werden. Selbstverständ- lich sind wir besonders im Interes- se der für die Sicherstellung der Versorgung sinnvollen Erhaltung einer qualitativ hochstehenden Labortätigkeit in der Einzelpraxis bemüht, den Kreis dieser Leistun- gen auf das notwendige Maß zu begrenzen.

Man kann von Kostendämpfung nicht sprechen, ohne den teuer- sten und kostenmäßig weiter aus- ufernden Bereich der Gesund- heitsversorgung, die Kranken- hausbehandlung, in die Betrach- tung einzubeziehen. Es liegt mir

fern, etwa die Notwendigkeit eines medizinisch und technisch hoch-

qualifizierten Krankenhauswesens

in Zweifel zu ziehen oder zu einem

"Verteilungskampf" aufzurufen,

der weder im Interesse der Patien- ten noch dem der Ärzteschaft noch dem des deutschen Kran- kenhauses liegen kann.

Wenn ich dafür plädiere, die Kran- kenhäuser in die Empfehlungs- kompetenz der Konzertierten Ak- tion einzubeziehen, dann sollte das also nicht als eine Konfronta- tion mißdeutet werden. Die Kas- senärztliche Bundesvereinigung

hat in einer gemeinsamen Ab-

sichtserklärung mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft ihren fe- sten Willen zur Zusammenarbeit bekundet, um die Probleme, die sich aus den unterschiedlichen Strukturen dieser beiden Versor- gungsbereiche ergeben, miteinan- der zu lösen. Wir rufen nicht nach dem Gesetzgeber, sondern sind der sicheren Überzeugung, daß wir die Verteilung der Aufgaben auf den ambulanten und den sta- tionären Bereich gemeinsam zu regeln vermögen.

~ Weder das ambulante Operie- ren noch die Ermächtigung und Beteiligung von Krankenhausärz- ten oder die Zulassung zu beleg- ärztlicher Tätigkeit sind Probleme, die nicht durch einen Konsens ge- löst werden könnten. Das gleiche gilt, und das sei ausdrücklich be- tont, für die Problematik einer vor-

(7)

stationären Diagnostik und nach- stationären Behandlung am Kran- kenhaus.

Im völligen Widerstreit zu diesen gemeinsamen G ru ndauffassu n- gen von Deutscher Krankenhaus- gesellschaft und Kassenärztlicher Bundesvereinigung steht der er- neute Versuch der Bundesregie-

rung, die vorstationäre Diagnostik

und die nachstationäre Behand- lung als Leistung des Krankenhau- ses gesetzlich weiter auszubauen.

Die Bundesregierung hat die sei- nerzeit im Entwurf des Kranken- versicherungs-Kostendämpfungs- gesetzes enthaltene, im parlamen- tarischen Verfahren dann aber ab- gelehnte bzw. veränderte Rege- lung wieder aufgegriffen und ver- sucht nun, sie entgegen den da- maligen ganz klaren Zusagen des Bundesarbeitsministers, insbe- sondere gegenüber dem Minister- präsidenten von Niedersachsen, inhaltlich einschneidend zu verän- dern.

..,.. Wir verwahren uns mit aller Entschiedenheit dagegen, daß über verharmlosend als redaktio- nelle Klärungen dargestellte Vor- schriften die Stellung des freibe- ruflich tätigen Kassenarztes unter- graben werden soll. Es dürfte der Bundesregierung schwerfallen, ih- ren Vorschlag einer Neufassung des vor kurzem erst in Kraft getre- tenen§ 372 Abs. 2 RVO zu begrün- den, wenn damit nicht eben doch eine materielle gesetzliche Ände- rung erreicht werden soll. Ich ge- he aber davon aus, daß die Bun- desratsmehrheit bei dieser Sach- lage diese Neuformulierung ableh- nen wird.

• Wie wachsam wir Kassenärzte gerade das Gesetzgebungsverfah- ren zur Novaliierung des Kranken- hausfinanzierungsgesetzes verfol- gen müssen, zeigt sich deutlich auch daran, daß man es offenbar erneut zu unternehmen beabsich- tigt, die Vorschriften des Kassen- arztrechts über den Abschluß von Poliklinikverträgen zu unseren La- sten auf eine neue Basis zu stellen.

Ambulante kassenärztliche Versorgung

Arzneimittel

von der Mehrwertsteuer entlasten!

Entschließung der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Die Vertreterversammlung der Kas-

senärztlichen Bundesvereinigung richtet an die Bundesregierung den dringenden Appell, auch ihrerseits dadurch zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen beizutragen, daß Arzneimittel von der Mehrwert- steuer entlastet werden.

ln den Ländern der Europäischen Gemeinschaft werden Arzneimittel entweder nur mit Teilen des norma- len Mehrwertsteuersatzes belastet oder unterliegen ihr gar nicht. Nur die Bundesrepublik Deutschland er- hebt als einziges EG-Land bei Arz- neimitteln für den Gebrauch in der Humanmedizin den vollen Mehr- wertsteuersatz, während für den Gebrauch in der Veterinärmedizin weitgehend der halbe Mehrwert- steuersatz gilt. Durch diese Rege- lung entstand für die gesetzliche Krankenversicherung im letzten

Schon in der letzten Legislaturpe- riode des Bundestages war be- kanntlich eine uneingeschränkte Öffnung der Polikliniken, ihre Ver- gütung nach den für Kassenärzte bestehenden Regelungen und die Übertragung von Zuständigkeiten der Selbstverwaltung zwischen Ärzten und Krankenkassen auf staatliche Behörden vorgesehen. Diese Versuche blieben damals er- folglos.

C> Sehr handfeste wirtschaftliche

Interessen der Kultus- und der Fi- nanzminister der Länder standen und stehen auch heute wieder hin- ter derartigen Versuchen.

Es kursieren zur Zeit noch als

"streng vertraulich" gestempelte Papiere aus Kreisen der Länder bzw. aus gemeinsamen Konferen- zen der Bundesländer, in denen

Jahr eine Belastung von mehr als 1 ,5 Mrd. D-Mark allein im Arznei- mittelbereich.

Die von der Bundesregierung im- mer wieder als ihr besonderes An- liegen betonte und von der Kassen- ärzteschaft seit Jahren unterstützte Notwendigkeit der Kostendämpfung im Gesundheitswesen muß an Glaubwürdigkeit einbüßen, wenn zwar die Kassenärzte im vergange- nen Jahr die Zahl ihrer Verord- nungsblätter und der verschriebe- nen Mittel erheblich senkten und der Bundesverband der Pharmazeu- tischen Industrie seine Mitglieder aufforderte, die Arzneimittelpreise für ein Jahr einzufrieren, die Bun- desregierung jedoch durch Steuer- maximierung diese Bemühungen zur finanziellen Entlastung der ge- setzlichen Krankenversicherung un-

terläuft.

D

mit etwas verändertem Wortlaut die Bestrebungen von gestern fröhliche Urständ feiern. Dabei spricht es doch der Zielsetzung je- der Kostendämpfung geradezu hohn, wenn sich die Länder auf Kosten der Versichertengemein- schaften finanziell zu entlasten be- absichtigen. Das hieße Subventio- nen für die Kultusetats der Länder durch die Krankenkassen!

Wir Kassenärzte werden solchen Vorhauen ganz entschieden ent- gegentreten. Universitätspoliklini- ken, denen dann morgen mög- licherweise Lehrkrankenhäuser gleichgestellt werden, mit freiem Zugang und mit Abgeltung ihrer Leistungen nach den für Kassen- ärzte geltenden Honorarsätzen und auch noch befreit von den Hemmnissen des Wirtschaftlich- keitsgebots der RVO - das ist mit DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 22 vom 28. Mai 1981 1077

(8)

Ambulante kassenärztliche Versorgung

unserem System der ambulanten Versorgung durch freiberuflich tä- tige Ärzte nun wirklich völlig un- vereinbar.

Gegen eine solche subventionier- te und institutionalisierte Konkur- renz könnte der mit dem Risiko des Freien Berufes arbeitende Kassenarzt, der zudem in ein öf- fentlich-rechtliches Pflichtenver- hältnis eingebunden ist, auf Dauer sicherlich nicht bestehen.

..,. Wer solche Gesetzesinitiativen unterstützt, der wird, wie immer er sein Verhalten begründen oder beschönigen mag, zum Totengrä- ber einer ambulanten Versorgung durch freiberuflich praktizierende Kassenärzte.

Gerade die Kassenärzte haben seit Jahren zur Stabilität der Ausga- benentwicklung und der Beitrags- sätze in der gesetzlichen Kranken- versicherung entscheidend beige- tragen. Vergessen wir nicht, daß die Beitragssätze vier Jahre lang stabil gehalten werden konnten, obwohl gleichzeitig die Politik enorme Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung dadurch zweckentfremdete, daß damit Fi- nanzlöcher in anderen Zweigen der Sozialversicherung gestopft wurden. Ein eklatantes Beispiel für dieses Handeln sind die Min- derzahlungen an Beitragsleistun- gen für den Krankenversiche- rungsschutz der Rentner in Höhe von 6 Milliarden DM jährlich. Sie haben dazu geführt, daß bei eini- gen Krankenkassen die aktiven Mitglieder die Aufwendungen für die Krankheitskosten der Rentner schon zu mehr als 80 Prozent durch ihre Beiträge mitfinanzieren müssen.

Zu solchen Maßnahmen kamen immer neue sozialgerichtlich ver- ordnete Leistungs- und Versor- gungsausweitungen, die zu teil- weise explosionsartigen Kosten- entwicklungen, beispielsweise beim Zahnersatz, führten.

Positive Aspekte trägt in diesem Zusammenhang für mich die Ein-

führung der Früherkennungs- und Vorsorgemaßnahmen. Besonders auf Betreiben der Ärzte sind in den letzten zwanzig Jahren viele Maß- nahmen getroffen worden, um Mütter und Kinder so frühzeitig wie nur eben möglich vor Gesund- heitsgefährdungen zu schützen.

Viel ist für die Gesundheitsvorsor- ge in den letzten Jahren getan worden, und wir sind dabei, über diesen Rahmen hinaus die Ge- sundheitsberatung in der gesetzli- chen Krankenversicherung zu ver- ankern. Hierzu sei auf die Modell- versuche mit den RVO-Kassen, beispielsweise im Bereich der Kas- senärztlichen Vereinigung Nord- rhein, und auf geplante Modellver- suche mit den Ersatzkassen in den KV-Bereichen Pfalz und Harnburg hingewiesen.

I

Mehrausgaben werden im Gesundheitswesen auf Dauer unumgänglich sein

C> Es muß der Öffentlichkeit aller-

dings deutlich gemacht werden, daß es sich hierbei um langfristige Maßnahmen handelt, die nicht von heute auf morgen sichtbare Erfol- ge bringen können, und daß es zumindest bisher auf dem Gebiet der Gesundheit kaum möglich ist, eine Kosten-Nutzen-Relation im betriebswirtschaftliehen Sinne aufzustellen. Wenn es uns gelingt, Säuglinge oder Kleinkinder durch frühzeitige Erkennung vor ge- sundheitlichen Schäden und durch rechtzeitige Behandlung vor lebenslangem Leid zu bewah- ren, dann sind das Dinge, die sich im einzelnen nicht zahlenmäßig festlegen lassen, auch dann, wenn erhebliche Kostenersparnisse für die Solidargemeinschaft durch Vermeidung einer langjährigen Behandlung unbestreitbar sind.

C> Ähnliches gilt auch für einen

letztlich für die Kostenentwick- lung zu großen Teilen mit verant- wortlichen Sektor, den selbst Ärz- te manchmal pauschal nur als ko- stentreibend und dabei noch als inhuman ins Abseits stellen möch-

1078 Heft 22 vom 28. Mai 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

ten, nämlich die Medizin-Technik.

Computer-Tomographie, Ersatz- teil-Chirurgie, aber auch die Dialy- se können Leben verlängern oder retten, was mit anderen Mitteln gar nicht möglich wäre. Manche gerade dieser mit hohem tech- nischen Aufwand verbundenen Methoden sind auch keines- wegs menschenfeindlich, sondern durchaus patientenschonend.

Dennoch wissen wir sehr wohl, welche ungerechtfertigte Überbe- wertung die technische Seite der Medizin zeitweilig erfahren hat und welchen unveränderten Wert das ärztliche Gespräch für unsere Patienten heute in ganz besonde- rem Maße hat. Wir treten sehr nachdrücklich für eine stärkere Betonung der Notwendigkeit menschlicher Zuwendung in allen Zweigen des Gesundheitswesens ein. Das läßt sich aber nicht ein- fach durch eine unerläßliche Än- derung der Gebührenordnungen erreichen, dafür braucht man auch Ärzte und Personal. Wer mehr personale Zuwendung will, der muß auch bereit sein, entspre- chende finanzielle Mittel dafür ein- zukalkulieren.

Ich plädiere damit keineswegs für Mehrausgaben an sich. Sie wer- den aber nach meiner Meinung im Gesundheitswesen auf Dauer un- umgänglich sein, weil in· unserer hektischen und hochtechnisierten Arbeitswelt und in der zunehmend belasteten Umwelt der Gesund- heitszustand der Bevölkerung in einem Maße strapaziert wird, mit dem die medizinische Entwick- lung kaum Schritt zu halten vermag.

So haben wir im letzten Jahr den traurigen Rekord von 1,5 Millionen Alkoholikern in unserem Lande verzeichnen müssen. Für alkoholi- sche Getränke gaben die Bundes- bürger doppelt soviel aus wie für die gesamte kassenärztliche Ver- sorgung. Wenn der Staat gerade vor kurzem die Branntweinsteuer erhöhte, dann tat er das nicht, um vom Alkoholkonsum abzuschrek- ken, sondern spekulierte wohl

(9)

eher mit dieser „Sucht" seiner Bür- ger, um so dem Staatshaushalt möglicherweise neue Mittel zufüh- ren zu können. Auch die Zahl der Medikamentenabhängigen wächst ständig. Das sollte uns Ärzten Anlaß dazu sein, diesen Tatbestand bei unseren Verschreibungen sorgfäl- tig zu bedenken und alles zu tun, um die Zahl der Medikamentenab- hängigen zu vermindern.

Ich möchte heute den ganzen Ka- talog gesundheitsschädigenden Fehlverhaltens vom Bewegungs- mangel über das Rauchen bis hin zu falscher Lebensweise und Er- nährung nicht wiederholen. Mit Nachdruck will ich aber betonen, daß der notwendige Prozeß des Umdenkens, der stattfinden muß, wenn die kostenträchtigen Folgen solcher Fehlhaltungen vermindert werden sollen, nicht allein von den

Eine eindrucksvolle Bestätigung erfuhr die ambulante kassenärztliche Versor- gung als Schwerpunkt der ärztlichen Betreuung unserer Bevölkerung in ei- ner Vortragsveranstaltung am Nachmit- tag des 18. Mai in Trier (siehe auch Seite 1084 ff dieses Heftes). Bild oben v.

r.: Vier der Referenten, Karl Kaula, Dr.

Detlef Balzer (neben Dr. Muschallik und Dr. Fiedler:), Prof. Dr. Rudolf Gross, Prof. Dr. Friedrich Bschor; nicht auf dem Foto Dr. Jürgen Bausch.

Ambulante kassenärztliche Versorgung

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 28. Mai 1981 1079

(10)

Ambulante kassenärztliche Versorgung

Ärzten in Gang gebracht und ge- tragen werden kann. Für die stei- genden Kosten bei unveränderter oder sogar schlechter werdender Morbidität uns Ärzten die wesent- liche Schuld zuschieben zu wol-

len, ist schlicht unredlich.

C> Ausgehend von diesen und

ähnlichen Überlegungen habe ich auf der Sitzung der Konzertierten Aktion nachdrücklich betont, daß die Kosten des Gesundheitswe- sens nicht primär und allein durch die Ärzteschaft beeinflußt werden können, sondern daß hierbei alle am System der sozialen Kranken- versicherung Beteiligten gleicher- maßen gefordert sind.

Zu breit ist das Netz sozialer Lei- stungen gespannt, zu groß ist die Zahl von Begünstigten, die Rechtsanspruch auf diese Lei- stungen erhalten. "Unvermeidlich bekommt das Kranksein", so hat Viktor von Weizsäcker einmal ge- sagt, "den Wert eines Rechtsan- spruchs auf die Beschaffung be- stimmter, und zwar vor allem ma- terieller Güter. Es ist klar, daß dies nicht unbedingt zur Korrumpie- rung, in der Psyche des Kranken etwa zum Krankseinwollen, führen muß. Aber ebenso klar ist, daß die- se Gefahr heraufbeschworen wird."

..,.. Wenn die Prinzipien der Subsi- diarität und der Solidarität über einen kleinen und ideell motivier- ten Personenkreis hinaus auch in Zukunft funktionsfähig bleiben sollen, dann müssen nach meiner Überzeugung Eigeninitiative und Selbstverantwortung wieder ge- stärkt und die Parallelität der Inter- essen von Individuum und Ge- meinschaft wiederhergestellt wer- den. Nicht durch tiefe Einschnitte in das soziale Netz, sondern durch strikte Beschränkung der Mög- lichkeiten seines Mißbrauchs zu Lasten der Allgemeinheit.

..,.. Der Krankenversicherte ist als Patient unser Partner. Aber gerade dieser Partner muß erkennen, daß er weder von uns noch durch uns eine Erfüllung aller seiner Wün-

sehe und vermeintlichen Ansprü- che erwarten kann und darf, ebenso wie wir andererseits er- kennen müssen, daß die harte Wirklichkeit der kassenärztlichen Honorierung mitunter schmerz- haft enge Grenzen zieht.

Hier immer das rechte Maß zu fin- den ist das derzeit wichtigste An- liegen, und wir müssen den An- stoß dazu geben, daß

C> der Leistungskatalog der so-

zialen Krankenversicherung wie- der auf das Risiko Krankheit zu- rückgeführt wird,

C> die Gewährung eines Maxi-

mums an Leistungen keineswegs immer das medizinische Optimum bedeutet

C> und alles getan werden muß,

um das Bewußtsein für die Not- wendigkeit der Selbstverantwor- tung im Handeln bei jedem Einzel- nen zu aktivieren.

I

Vordringlich: Zweijährige Vorbereitung auf die kassenärztliche Tätigkeit Damit komme ich zum letzten Schwerpunktthema meines heuti- gen Berichts, zur Allgemeinmedi- zin, mit der sich der morgen be- ginnende 84. Deutsche Ärztetag befaßt. Für uns stehen dabei na- turgemäß nicht die Sonderfragen der Aus- und Weiterbildung im Zentrum des Interesses, sondern allein die Sicherstellung der kas- senärztlichen Versorgung heute und morgen. Schließlich wird die Allgemeinmedizin so gut wie aus- schließlich in der ambulanten Pra- xis ausgeübt.

Die den Kassenärztlichen Vereini- gungen durch das Krankenversi- cherungs-Weiterentwicklungsge-_

setz aufgegebene Bedarfsplanung ist demgemäß folgerichtig zu ei- nem wesentlichen Teil auf die Si- cherung einer bedarfsgerechten allgemeinärztlichen Versorgung der Bevölkerung ausgerichtet. Die von den Kassenärztlichen Vereini-

1080 Heft 22 vom 28. Mai 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

gungen jetzt überall aufgestellten und beschlossenen Bedar1spläne zeigen aber, daß - außer in der psychiatrischen Versorgung - ge- rade in diesem Bereich das Haupt- problem für die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versor- gung in der Zukunft liegt. ln fast allen KV-Bereichen besteht eine Überalterung und ein ungedeckter Bedarf an allgemeinmedizinisch tätigen Ärzten.

Der Zustand der Sicherstellung der allgemeinärztlichen Versor- gung ist daher aus der Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung sowohl durch einen Mangel im Nachwuchs an ausreichend qualifizierten allgemeinmedizi- nisch tätigen Ärzten als auch durch eine sich immer mehr zu- gunsten der Fachärzte verschie- bende Relation in der niedergelas- senen Kassenärzteschaft charak- terisiert.

Die Kassenärztliche Bundesver- einigung hat seit jeher auf die Be- deutung einer im besten Sinne des Wortes vernünftigen, das heißt den Notwendigkeiten angemesse- nen Relation zwischen Praktikern und Fachärzten (ich verwende hier noch die alten Termini) hingewie- sen und zugleich die Unabding- barkeit des Vorhandenseins einer flächendeckenden qualifizierten allgemeinärztlichen Betreuung für die gesamte bedarfsgerechte kas- senärztliche Versorgung betont.

Viele Bürger suchen einen Arzt, an den sie sich mit allen ihren Ge- sundheitsproblemen wenden kön- nen. Dafür kommt nach dem Be- rufsbild und dem Inhalt der Wei- terbildung in erster Linie der All- gemeinarzt, zu einem Teil noch der Internist in Frage. Dies bedeu- tet nicht, daß der Patient im Rah- men der Fachgebietsgrenzen nicht auch einen anderen Arzt mit dieser Funktion für ihn betrauen könnte.

Die Kassenärztliche Bundesver- einigung hat bekanntlich die Wie- dereinführung einer zweijährigen Vorbereitungszeit auf die Tätigkeit

(11)

Ambulante kassenärztliche Versorgung

als Kassenarzt, das heißt vor der Zulassung, gefordert und in der Konzertierten Aktion als Empfeh- lung durchgesetzt. Nachdem Be- mühungen des Bundesarbeitsmi- nisters zu einer entsprechenden Änderung der dem entgegenste- henden EG-Richtlinien offenbar innerhalb der wünschenswerten Zeitspanne nicht zum Erfolg füh- ren werden, ist man nun offen- sichtlich entschlossen, eine natio- nale Übergangsregelung zu schaffen.

Nach einem Diskussionsentwurf soll die fachliche Eignung zur Tä- tigkeit als Kassenarzt durch eine zweijährige praktische Berufser- fahrung erworben und nachgewie- sen werden. Sechs Monate davon soll der künftige Kassenarzt in ei- ner Kassenpraxis absolvieren. Die zweijährige praktische Berufser- fahrung als Voraussetzung für die Eignung zur Kassenzulassung soll nicht nur für deutsche, sondern auch für Ärzte aus anderen EG- Ländern gelten, so daß eine Gleich- behandlung gewährleistet ist.

Die Kassenärztliche Bundesver- einigung hat diese Gesetzesinitia- tive begrüßt und nachdrücklich unterstützt. Sie wird alle geeigne- ten Maßnahmen beraten und tref- fen, um der in den nächsten Jah- ren zu erwartenden großen Zahl von neu approbierten Ärzten die Absolvierung dieser sechs Monate in einer Kassenpraxis reibungslos zu ermöglichen. Eine Garantie für eine bestimmte Zahl von Stellen kann aber nicht gegeben werden.

Wir erwarten, daß die gesetzliche Neuregelung bereits zum 1. Janu- ar 1982 in Kraft treten kann. Sie wird zunächst bis zum Jahresende 1986 gelten, also eine Interimslö- sung darstellen. Von dieser Lö- sung versprechen wir uns neben der Sicherung ausreichender praktischer Berufserfahrung vor der Aufnahme kassenärztlicher Tätigkeit auch eine stärkere Moti- vation für eine Weiterbildung in der Allgemeinmedizin. Hierzu be- darf es der grundsätzlichen Aner- kennung

> des hohen Wertes der Allge- meinmedizin,

> der Anerkennung ihrer Bedeu- tung für eine ausgewogene, medi- zinisch sachgerecht koordinierte ambulante ärztliche Versorgung

> und der Anerkennung ihres Stellenwertes bei der ökonomi- schen Balance im Gesundheits- wesen.

In diesem Sinne wird auch die Kassenärztliche Bundesvereini- gung den Übergangszeitraum von fünf Jahren zu nutzen haben, um mit eigenen konkreten Beiträgen dafür Sorge zu tragen, daß das Ziel einer flächendeckenden allge- meinärztlichen Versorgung mit qualifizierten Ärzten sichergestellt werden kann.

Im übrigen gehe ich davon aus, daß der Deutsche Ärztetag die Be- deutung der Weiterbildung für ei- ne qualifizierte allgemeinärztliche Versorgung bestätigen und Wege aufweisen wird, wie die Aus- und Weiterbildung in der Allgemein- medizin verbessert und gefördert werden kann.

Der Zweite Vorsitzende der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung, Herr Kollege Schmitz-Formes, wird aus der Sicht des Zentralinsti- tuts auf dem Deutschen Ärztetag darüber berichten. Ich hoffe zuver- sichtlich, daß die Frage der Allge- meinmedizin nicht mehr länger Zankapfel in der deutschen Ärzte- schaft bleiben wird, die angesichts der auf sie zukommenden Proble- me der Gemeinsamkeit und der Geschlossenheit dringender be- darf als je zuvor.

Bewahren und festigen wir unsere ärztlich- kollegiale Gemeinschaft Fasse ich meine heutigen, nur auf einige Schwerpunkte beschränk- ten Ausführungen zur gesund- heits-, sozial- und berufspoliti- schen Situation zusammen, dann sind sich wohl die meisten von Ih- nen mit mir der großen Probleme bewußt geworden, welche in die-

ser Legislaturperiode auf uns zu- kommen. Probleme, die von der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung nur in Gemeinschaft mit den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder und in engem Zusam- menwirken mit den ärztlichen Ver- bänden gelöst werden können.

Bisher ist es uns zwar gelun- gen, die von manchen auch ge- setzgeberisch geplante enge Re- glementierung der Leistungen der Krankenversicherung und ein Zer- schlagen ihrer Gliederung zu ver- hindern. Dennoch ist die Gefähr- dung unseres freiheitlichen Sy- stems heute größer denn je.

• Europäische Trends in Rich- tung auf eine sozialistischere Ge- sellschaft sind ebensowenig zu verkennen wie Trends zur plan- wirtschaftlichen Lenkung, zur Zentralisierung der Entschei- dungsbefugnisse und zur Büro- kratisierung der Leistungserbrin- gung im Gesundheitswesen.

Wir sind mit dem Beginn der acht- ziger Jahre in das offenbar kri- tischste Jahrzehnt dieses Jahr- hunderts eingetreten. Weltpoliti- sche Veränderungen, weltwirt- schaftliche Herausforderungen und innere Fehlentwicklungen be- drohen Frieden, Freiheit und Si- cherheit. Wir brauchen ein frei- heitliches, solide finanziertes und menschliches Gesundheitswesen, um die Belastungen und Risiken dieses Krisenjahrzehnts zu be- stehen.

0

Wir werden unseren Beitrag zur Problembewältigung sicher- lich leisten, erwarten aber auch von allen anderen an der Funktion des Gesundheitswesens Beteilig- ten, speziell auch von der Politik, ein adäquates Verhalten. Zu offen- kundig sind die nachwirkenden Fehler und Fehlentwicklungen ei- ner manchmal geradezu von Schwarmgeistern geprägten So- zialpolitik, deren Tendenzen häu- fig von den Sozialgerichten noch unterstützt wurden.

Eine permissive Gesellschaft, die 1 sich ein Brechtsches Mahagonny DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 28. Mai 1981 1081

(12)

Ambulante kassenärztliche Versorgung

Zustimmung zu Muschalliks Referat, Diskussion zur Ärztetagsthematik:

Mehr tun für die Allgemeinmedizin

aufbaut und Eigenleistung und Ei- genverantwortung nicht mehr för- dert, sondern es im Gegenteil zu- läßt, daß immer mehr Eigennutz toleriert und immer mehr von der Solidargemeinschaft gefordert wird, eine solche Gesellschaft darf nicht verwundert klagen, wenn ei- ne sich so bildende wohlfahrts- staatliche Konstruktion in einem Desaster endet.

Dennoch, wenn die Kostenbalan- ce im Gesundheitswesen und ins- besondere in der sozialen Kran- kenversicherung heute verloren- geht, dann wird — unabhängig von der Frage nach den Schuldigen und den tieferen Ursachen — die Neigung der Politiker aller Rich- tungen größer werden, schwer- wiegende Eingriffe in das System und das Kassenarztrecht zu La- sten der Stellung des freien Arztes und auch zu Lasten des Patienten vorzunehmen.

• Dies gilt es zu verhindern. Es lohnt sich, alles in unseren Kräften Stehende zu tun und unserer ge- gliederten sozialen Krankenversi- cherung bei der Überwindung ih- rer akuten Schwierigkeiten in den Jahren 1981 und 1982 zu hel- fen.

• Wir können — dessen bin ich sicher —den Veränderungen, Unsi- cherheiten und Unwägbarkeiten von morgen mit Zuversicht entge- gensehen, wenn es gelingt, jeden Kassenarzt davon zu überzeugen, daß es bei der Lösung der heute anstehenden Probleme auch um sein persönliches Schicksal geht und daß seine kostenbewußte Lei- stungsbereitschaft, sein Einsatz, seine Hingabe für den Kranken, sein Erscheinungsbild in der Öf- fentlichkeit die notwendigen Grundlagen für dieses Bemühen sind.

• Bewahren und festigen wir un- sere ärztlich-kollegiale Gemein- samkeit und zeigen wir uns alle den vor uns liegenden Aufgaben und unserer Verantwortung für das Wohl des Ganzen gewach-

sen!

Die 92 Delegierten der Vertreter- versammlung der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung und eine große Anzahl von Gästen, unter ihnen der Vertreter des Bundesar- beitsministers, Leitender Ministe- rialrat Dr. Heinz Matzke, sowie der Präsident des Deutschen Ärzteta- ges und der Bundesärztekammer, Dr. Karsten Vilmar, und sein Hauptgeschäftsführer, Prof. J. F.

Volrad Deneke, würdigten das Re- ferat Muschalliks mit anhaltendem Beifall.

Sanitätsrat Dr. Josef Schmitz-For- mes, der die Sitzungsleitung zu diesem Tagesordnungspunkt übernommen hatte, unterstrich die besondere Bedeutung, die die- sen Ausführungen auch im Hin- blick auf die Beratungen des Deut- schen Ärztetages zukommt, der am darauffolgenden Tag (nach Redaktionsschluß dieser Ausga- be) eröffnet wurde.

Prof. Dr. Siegfried Häußler griff das Stichwort „Ärztetag" auf und meldete sich als erster zu einem Diskussionsbeitrag, mit dem er drei Punkte wegen der Bedeu- tung, die sie für alle Ärzte haben,

hervorheben wollte:

So wie eine permanente Qualitäts- verbesserung der von unserer Wirtschaft auf dem Weltmarkt an- gebotenen Waren erforderlich ist, müsse im Gesundheitswesen ebenso die Qualitätsverbesserung Vorrang vor der Ausweitung der Quantitäten haben, auch in der allgemeinmedizinischen Praxis.

Überhaupt: Im Gesundheitswesen wieder ein normales Maß herzu- stellen, sei nicht in erster Linie nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Problem.

Er nannte als Beispiel das Pflege- personal in den Krankenhäusern:

Als es vor Jahren darum ging, mehr Pflegepersonal zu gewin- nen, hatte man sich entschlossen, die Ansprüche an die Ausbildung höher zu schrauben, und man hat- te mit dieser qualitativen Verbes- serung auch den quantitativen Er- folg, nämlich vermehrt Pflegeper- sonal zu gewinnen.

Die Übergangsregelung einer Vor- bereitungszeit zur kassenärztli- chen Tätigkeit müsse wirklich kommen, weil nach Professor Häußlers Meinung die fünf Jahre Geltungsdauer, die Muschallik ge- nannt hatte, auch benötigt wer- den, um eine endgültige Lösung der Pflichtweiterbildungsfrage in der Allgemeinmedizin vorzuberei- ten. Häußler sieht also, wie er ab- schließend unterstrich, die kas- senärztliche Vorbereitungszeit nur als einen Übergang zur Endlösung (er hat das unselige Wort, das er schon einmal schriftlich von sich gab, tatsächlich wieder ge- braucht).

Ein junger Arzt, Dr. Winfried Koller (München), würdigte Häußler als den „John Lennon der Allgemein- medizin", von dem man noch sprechen werde, wenn er längst aus der Berufspolitik ausgeschie- den sei. Er unterstrich, daß man die Qualität des Allgemeinarztes nicht hoch genug ansetzen könne, sah aber den Hausarzt der Zukunft wegen der von ihm vor allem in den Ballungsgebieten überwie- gend internistisch zu behandeln- den Fälle im Allgemein-Interni- sten.

Dr. Mariantonius Hofmann (Berlin) wandte sich gegen die Tendenz in Häußlers Argumentation, als sei die ärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland wirklich generell gefährdet: „Dies ist mit Sicherheit nicht der Fall!"

Dr. Hofmann: „Ich sehe keine Ver-

1082 Heft 22 vom 28. Mai 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der jetzt entstehende EBM, zeigte sich der KBV-Vorsitzende über- zeugt, werde auch eine geeignete Basis für die Vereinbarung von Regel- leistungsvolumen sein.. Schorre legte aber

Zu dieser Äußerung kann ich ihr nur beipflichten — nicht weil ich meine, daß die gynäkolo- gischen Kolleginnen und Kol- legen weniger Einblick in die- se Dinge haben als wir

Wenn man von politischer Seite nicht den Mut hat, das Gesundheitssystem dergestalt zu verändern, daß jedem ein- zelnen mehr Verantwortung für seine persönliche Ge-

Bern, denn ich habe die Lite- ratur bei Professor Schröpl noch nicht angefordert, wenn ich vermute, daß in den nur 1488 tödlichen Melanomfäl- len von Professor Klein- schmidt

Insbesondere zu Therapiebeginn Überwachung von Blut- druck und/oder Laborwerten bei Salz-/Flüssigkeitsmangel, Niereninsuffizienz, schwerer oder renaler Hypertonie,

plexes Gesundheitswesen sei oh- ne entsprechende Verwaltungsar- beit nicht denkbar, die Belastung durch einen immer größer wer- denden Paragraphenwald werde aber für

In der gemeinsamen Sitzung der beiden Vorstände sah es zeit- weise zwar so aus, als nähere man sich einem solchen Kom- promiß, vorausgesetzt freilich, auch die Entscheidungsgremien

Bei einer Niederlas- sung als Psychiater – sofern überhaupt möglich und die Vertragsarztsitze nicht von Nervenärzten und Neurolo- gen belegt sind – hat er Ko- sten