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Archiv "Entschließungen des 91. Deutschen Ärztetages in Frankfurt" (26.05.1988)

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Entschließungen des 91. Deutschen Ärztetages in Frankfurt

Zum Tagesordnungspunkt Strukturreform

im Gesundheitswesen

Leitantrag: Grundpfeiler für eine sachgerechte Strukturreform

des Gesundheitswesens

❑ „Der Deutsche Ärztetag hat be- reits in den erstmalig 1974 beschlosse- nen ,Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Arzte- schaff Vorschläge zur Gestaltung des Gesundheitssystems in der Bundesrepu- blik gemacht, die von den Deutschen Ärztetagen 1980 und 1986 systematisch weiterentwickelt wurden. Daraus und aus weiteren Entschließungen Deutscher Arztetage — zuletzt des 90. Deutschen Ärztetages 1987 in Karlsruhe — ergibt sich die Bereitschaft der Ärzteschaft, an einer Strukturreform im Gesundheitswe- sen der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich mitzuwirken und eine lei- stungsfähige, bedarfsgerechte medizini- sche Versorgung der Bevölkerung sowie die wirtschaftliche Stabilität der gesetzli- chen Krankenversicherung langfristig zu sichern.

Nach den ,Gesundheits- und sozial- politischen Vorstellungen der deutschen Arzteschaft' und weiteren Grundsatz- beschlüssen Deutscher Ärztetage ist bei einer Weiterentwicklung des Gesund- heitssystems in der Bundesrepublik an folgenden Grundsätzen festzuhalten:

• Wahrung eines freiheitlichen pluralistischen Systems der Gesund- heitssicherung und der Krankenversor- gung,

• Wahrung der unterschiedlichen Aufgabenstellung bei gleichzeitiger en- ger Koordination und Kooperation bei der ambulanten ärztlichen Versorgung durch freiberuflich tätige Ärzte, der sta- tionären Krankenhausbehandlung, des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der betriebsärztlichen Versorgung,

• Erhaltung eines gegliederten Sy- stems der gesetzlichen Krankenversi- cherung, in welchem dem unter Beach- tung des Grundsatzes der Solidarge- meinschaft Wahlfreiheiten und Selbstbe- teiligungsmodelle für die Versicherten eingeführt werden sollen,

• Erhaltung eines Systems der privaten Krankenversicherung, in wel- chem in der gesetzlichen Krankenversi- cherung Nicht-Versicherungspflichtige und Beihilfeberechtigte für die im Krank- heitsfall nicht gedeckten Kosten einen individuell kalkulierten Versicherungs- schutz erlangen können,

• Erhaltung eines nach unter- schiedlichen Trägerarten gegliederten Systems der Krankenhausversorgung mit der Möglichkeit modellhafter Erpro- bung neuer Finanzierungsstrukturen der Behandlung im Krankenhaus,

• Erprobung und gegebenenfalls weiterer Ausbau von Maßnahmen der Prävention zur Verhütung oder Früher- kennung von Krankheiten und der Reha- bilitation zur frühzeitigen Wiedereinglie- derung in die Familie und durch den Ar- beitsprozeß unter Schaffung entspre- chender Versorgungsstrukturen,

• Absicherung des Pflegerisikos, insbesondere durch Ausbau der ambu- lanten Pflege im häuslichen Lebensbe- reich, als gesamtgesellschaftliche Auf- gabe,

• Verbesserung einer kostengün- stigen Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln durch ausschließlich auf Qualität ausgerichtete Zulassungs- und Prüfverfahren sowie verbesserte Trans- parenz des Leistungsangebotes.

Dem Ziel und dem Anspruch einer umfassenden Strukturreform im Ge- sundheitswesen wird jedoch der vom Bundeskabinett am 27. April 1988 ver- abschiedete Regierungsentwurf eines Gesundheitsreformgesetzes (GRG) nicht gerecht. Der vorrangig auf Ausgaben- begrenzung ausgerichtete Reforment- wurf läßt die wesentlichen Ursachen für den bisherigen Ausgabenanstieg der ge- setzlichen Krankenversicherung unbe- rücksichtigt. Dazu gehören insbeson- dere:

• Veränderungen der Bevölke- rungsstruktur durch Rückgang der Ge- burtenzahlen bei gleichzeitiger Zunahme der Zahl älterer Menschen durch eine weitere Erhöhung der Lebenserwartung,

• die zunehmende Frühinvalidität und Frühberentung sowie eine zuneh- mende Zahl alleinlebender Menschen,

• Zunahmen chronischer Krank- heiten und Zunahme der Multimorbidität auch infolge altersspezifischer Erkran- kungen,

• erweiterte Möglichkeiten in Dia- gnostik und Therapie durch Fortschritte

der Medizin nicht nur in quantitativer, sondern vor allem in qualitativer Hin- sicht mit Minderung der Risiken und Er- höhung der Sicherheit für den Patienten,

• Belastungen der gesetzlichen Krankenversicherung durch Konsequen- zen aus Rechtsprechung und Gesetzge- bung mit Aufnahme versicherungsfrem- der Leistungen in den Leistungskatalog.

Der Regierungsentwurf für ein Ge- sundheitsreformgesetz löst nicht

• die Probleme der Krankenversi- cherung der Rentner,

• die Probleme im Zusammen- hang mit der Finanzierung krankenversi- cherungsfremder Leistungen,

• die Probleme der Uberkapazitä- ten von Leistungserbringern im System der gesetzlichen Krankenversicherung,

• die Probleme der weiterhin strukturbedingt steigenden Ausgaben im Bereich der stationären Krankenbehand- lung.

Der Deutsche Ärztetag bezweifelt deshalb die Effizienz der geplanten Strukturreform für eine langfristige Si- cherung einer bedarfsgerechten medizi- nischen Versorgung bei gleichbleiben- den Beitragssätzen..

Der Deutsche Ärztetag wendet sich entschieden gegen das im Regierungs- entwurf spürbare Mißtrauen gegen die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen

— insbesondere gegen die rechtsmiß- bräuchliche Willkür der Stichproben.

Der 91. Deutsche Ärztetag fordert Bundestag und Bundesrat sowie die dort vertretenen politischen Parteien auf, bei den bevorstehenden parlamentarischen Beratungen die Ursachen für die finan- zielle Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung sowie folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

O

Eine bedarfsgerechte, den me- dizinischen Fortschritt einbeziehende ärztliche Versorgung der Bevölkerung darf nicht durch eine vorrangige Aus- richtung der Reform auf Sicherung der Beitragssatzstabilität gefährdet werden.

Die politische Forderung nach Beitrags- satzstabilität und der gleichzeitig erho- bene Zielanspruch einer bedarfsgerech- ten leistungsfähigen medizinischen Ver- sorgung sind unvereinbar angesichts

—der prognostizierbaren demogra- phischen Entwicklung und der daraus

folgenden Notwendigkeit zunehmender

Leistungen in Diagnostik und Therapie,

—einer zusätzlichen, in ihrem Aus- maß unabsehbaren Kostenbelastung der Dt. Ärztebl. 85, Heft 21, 26. Mai 1988 (21) A-1509

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gesetzlichen Krankenversicherung durch die Einbeziehung der Absicherung des Pflegerisikos,

—des nicht kalkulierbaren Aufwan- des für die Errichtung eines Medizini- schen Dienstes der Krankenkassen so- wie

—der Kostenbelastungen infolge perfektionistischer Regelungen zur Da- tenspeicherung und zum Datenaus- tausch.

(?) Bewährte und erprobte Struktu- ren unseres Gesundheitswesens dürfen nicht durch Überbürokratisierung und zentralistisch-administrative Reglemen- tierung erdrückt, die ärztliche Tätigkeit in Krankenhaus und Praxis und die Frei- heit der ärztlichen Entscheidung nicht durch ein zu eng geschnürtes Korsett von Richtgrößen, Prüfungen und Sank- tionsmechanismen beeinträchtigt wer- den. Dies gilt insbesondere für

—die willkürlichen stichprobenarti- gen Prüfungen der Behandlungs- und Verordnungstätigkeit des Arztes, insbe- sondere durch die gesetzliche Festle- gung einer Mindestquote der in eine Stichprobenprüfung einzubeziehenden Ärzte, die Bindung des Kassenarztes bei der Verordnung von Krankenhauspflege an ein lediglich von den Verbänden der Krankenkassen ohne Mitwirkung der Ärzteschaft erstelltes Verzeichnis statio- närer Leistungen und Entgelte, welches die Individualinteressen des Patienten ebenso wie die unterschiedliche Aus- richtung und Qualifikation des Kranken- hauses und der dort tätigen Ärzte nicht ausreichend berücksichtigen kann.

Derartige Regelungen schaffen nicht nur untaugliche Instrumente zur Sicherung des Wirtschaftlichkeitsgebo- tes, sondern verursachen darüber hin- aus erhebliche Verwaltungskosten und lähmen ärztliche Initiative und Lei- stungsbereitschaft.

• Das für ein humanes und frei- heitliches Gesundheitswesen unerläß- liche Vertrauensverhältnis zwischen Pa- tient und Arzt darf nicht unter Vorgabe eines ‚öffentlichen Gesundheitsinteres- ses' durch einen überbordenden Zugriff auf die Gesundheitsdaten der Patienten in Versicherten- und Leistungskonten empfindlich beeinträchtigt, die erst kürz- lich durch das Bundesverfassungsge- richt verankerte ,informationelle Selbst- bestimmung' der Bürger darf nicht ein- geschränkt werden.

Die deutsche Ärzteschaft ver- schließt sich nicht der Absicht, in ver- nünftigem Maß Kosten- und Leistungs- transparenz zu schaffen. Die Ärzteschaft lehnt jedoch die Erfassung und Speiche- rung hochsensibler Daten der Persön- lichkeits- und Intimssphäre ab. Für Zwecke der Kosten- und Leistungstrans- parenz sowie der Wirtschaftlichkeitsprü- fung sind derart umfassende Regelun- gen der Datenerhebung und des Daten- austausches nicht erforderlich. Vertrag- lichen Lösungen im Rahmen der Selbst- verwaltung muß hier der Vorzug gege- ben werden.

O Der Regierungsentwurf enthält weitere Institutionalierungen in der am- bulanten Krankenversorgung, deren Tä- tigkeit nicht den Regelungen der kassen- ärztlichen Versorgung unterliegen soll.

Damit werden die freie Arztwahl für die Patienten und die klare Verantwortung des gewählten Arztes für seine Patienten unterlaufen, die in der freiberuflichen Kassenpraxis gesichert sind.

Bei der Einführung von vorstationä- rer Diagnostik und nachstationärer Be- handlung ist nicht einmal eine Bedarfs- prüfung vorgesehen. Darüber hinaus stellt die Ermächtigung für den Bundes- minister für Arbeit und Sozialordnung bei Nichteinigung der drei Vertragspar- teien, entsprechende Vertragsinhalte durch Rechtsverordnung einzuführen, einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Vertragsfreiheit dar.

Die Zusammenarbeit der Ärzte in Praxis und Klinik ist im geltenden Recht befriedigend geregelt. Institutionalisie- rungen sind weder aus medizinischer Sicht sinnvoll noch zur Förderung wirt- schaftlichen Handelns geeignet.

• Das Gesundheitswesen darf nicht durch neue krankenversicherungs- fremde Leistungen mit milliardenträchti- gen Anspruchsvoraussetzungen belastet werden, die einen neuen Treibsatz für Ausgabensteigerungen und Beitrags- satzerhöhungen bilden oder drastische Leistungseinschränkungen vor allem im Bereich der kurativen Medizin nach sich ziehen müssen. Der im Grundsatz zu be- grüßende Einstieg in die Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit darf nicht zu Lasten der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung fi- nanziert werden.

Statt weiterer Bürokratisierung des Gesundheitswesens zur vordergründi- gen Sicherung der Beitragssatzstabilität,

wie sie der Gesetzentwurf zur Folge ha- ben wird, ist der einer freiheitlichen So- zialordnung gemäße Weg für eine Re- form die Motivation des einzelnen zur sparsamen Leistungserbringung und zur sparsamen Inanspruchnahme von Mit- teln der Solidargemeinschaft sowie die Stärkung von Eigeninitiative und Eigen- verantwortung."

Keine Kostenexpansion im Gesundheitswesen

❑„Die immer wieder vor allem von Sozial- und Mittelstandspolitikern her- beigeredete Kostenexpansion im Ge- sundheitswesen besteht tatsächlich nicht. Seit mehr als zehn Jahren werden in der Bundesrepublik Deutschland für die Gesundheitssicherung zwischen sie- ben und acht Prozent des Brutto-Sozial- produktes aufgewendet, während in ver- gleichbaren, hochindustrialisierten Län- dern, wie zum Beispiel in den USA und Schweden, es zehn Prozent sind.

Auch die Lohnnebenkosten, für de- ren hohen Stand die Krankenversiche- rungsbeiträge für die gesetzliche Kran- kenversicherung verantwortlich ge- macht werden, sind nur zu rund 15 Pro- zent durch Krankenversicherungsauf- wendungen der Arbeitgeber verursacht.

Es ist daher grotesk, in den Ge- sundheitskosten eine Bedrohung der wirtschaftlichen Konjunktur und Gefähr- dung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt zu sehen.

Wenn aber tatsächlich wegen der zunehmenden Rationalisierungsmaß- nahmen in anderen Industriezweigen der Mittelstand wegen seiner nach wie vor hohen Lohnnebenkosten Wettbewerbs- nachteilen ausgesetzt ist, müssen für die Krankenversicherungsbeiträge ande- re Bemessungskriterien gefunden wer- den."

Wahl des Krankenhauses,

„Zweitmeinung"

❑ „Der Deutsche Ärztetag lehnt die Einschränkung der Freiheit des Patien- ten und den massiven Eingriff in das Arzt-Patienten-Verhältnis als Folge des

§ 38 — Wahl des Krankenhauses — und des § 146 — Zweitmeinung vor großer Operation — ab."

A-1510 (22) Dt. Ärztebl. 85, Heft 21, 26. Mai 1988

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91. DEUTSCHER ÄRZTE 10. bis 14. Mai 1988 in Frankfurt

5. - 42 24 38 20 4 4, 3e)

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Im ganzen Saal für die Dele- gierten des 91. Deutschen Ärztetages sichtbar: eine große Leucht- tafel signali- sierte den je- weiligen Bera- tungsgegen- stand und die Rednerliste

Entschließungen des 91. Deutschen Ärztetages in Frankfurt

Selbstbeteiligung bei Krankenhausbehandlung

❑„Der Deutsche Ärztetag lehnt es ab, die Selbstbeteiligung bei Kranken- hausbehandlung von DM 5,— je Kalen- dertag für längstens 14 Tage im Entwurf des Gesundheits-Reformgesetzes beizu- behalten. Der Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu dieser Form der Selbstbeteiligung kam zu dem Ergebnis, daß hiervon keine Steuerungswirkungen ausgehen und deshalb die Selbstbeteili- gung entfallen soll. Diese Selbstbeteili- gung stellt eine reine Geldbeschaffungs- maßnahme außerhalb der Krankenversi- cherungsbeiträge dar und ist damit nichts anderes als eine Sondersteuer für Schwerstkranke."

Versorgung alter Patienten

❑ „Fortschritte in Diagnostik und Therapie sowie die demographische Ent- wicklung lassen erwarten, daß vor allem der stationäre Bereich in Zukunft ver- stärkt von betagten und hochbetagten Patienten in Anspruch genommen wer- den wird.

Deshalb fordert der Deutsche Ärzte- tag im Sinne einer medizinisch hochwer- tigen und humanen Versorgung alter Pa- tienten:

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Verstärkte Einrichtungen geria- trischer Tageskliniken, die aus medizini- schen und wirtschaftlichen Gründen sinnvollerweise an das Krankenhaus an- geschlossen sein sollten

• Entwicklung von Kooperations- formen zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten, von Altenpfle- geheimen und ambulanten Diensten, um eine kontinuierliche, an einem geriatri- schen Gesamtkonzept orientierte medi- zinische Versorgung sicherzustellen

• Berücksichtigung der Geriatrie in Aus- und Fortbildung

O Absicherung des Pflegefallrisi- kos."

Kein Gebiet/Teilgebiet

❑„Aufgrund der demographischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bedarf es verstärkter Be- mühungen um den betagten und hoch- betagten Patienten.

Dennoch sieht der Deutsche Ärzte- tag keine Notwendigkeit zur Institutiona-

lisierung der Geriatrie als Gebiet oder Teilgebiet sowie zur breiten Einrichtung

,geriatrischer Spezialabteilungen`."

Absicherung des Pflegerisikos

„Der 91. Deutsche Ärztetag for- dert den Gesetzgeber auf, die in der Ge- setzesvorlage zum GRG vorgesehene Regelung zur Absicherung des Pflegeri- sikos in den §§ 52 bis 56 ersatzlos zu streichen. Die Ärzteschaft befürwortet die Absicherung des Pflegerisikos, be- zahlt mit Mitteln des Staates und nicht aus Mitteln der Gesetzlichen Kranken- versicherung. Notwendig ist eine von der Gesetzlichen Krankenversicherung losgelöste Regelung, die die Finan- zierung des Pflegefallrisikos auf eine breite finanzielle Basis stellt. Die bereits in den Bundesrat eingebrachte Geset- zesinitiative von Rheinland-Pfalz in ei- nem Leistungsgesetz ist hierzu der ge- eignete Weg. Sie findet auch eine breite Unterstützung in der deutschen Arzte- schaft.

Begründung: Die Belastung der Ge- setzlichen Krankenversicherung mit der

Absicherung des Pflegerisikos führt zu einem nicht abschätzbaren Risiko, das den vorgesehenen Finanzrahmen — 6,4 Milliarden DM — sicherlich sprengen wird, da diese Regelung ein ,Mitnahme- gesetz` ist."

Abrechnungsverfahren für Krankenhausärzte

❑ „Die den ermächtigten Kranken- hausärzten zustehenden Vergütungen für im Krankenhaus erbrachte ambulan- te ärztliche Leistungen steht diesen Ärz- ten unmittelbar zu. Es ist nicht einzuse- hen, daß, wie im Entwurf zum Gesund- heits-Reformgesetz geplant, der Kran- kenhausträger mit der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnet und dann einen Teil der Vergütung, nach Abzug von Ko- sten, an den Arzt weiterleitet.

Die Verträge zwischen Kranken- hausärzten und Krankenhausträgern einerseits und die Beziehungen zwi- schen ermächtigten Krankenhausärzten und Kassenärztlichen Vereinigungen an- dererseits dürfen nicht aufgrund gebüh- renordnungsrechtlicher Vorschriften in Frage gestellt werden. Darüber hinaus Dt. Ärztebl. 85, Heft 21, 26. Mai 1988 (23) A-1511

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darf das originäre Liquidationsrecht des Arztes für seire erbrachten Leistungen nicht durch Anderungen des Abrech- nungsverfahrens angetastet werden."

Altersgrenze für die

Zulassung als Kassenarzt

D , , Der Deutsche Ärztetag lehnt die Einführung einer Altersgrenze für die Zu- lassung als Kassenarzt im Entwurf eines Gesundheits-Reformgesetzes ab.

Die Einführung einer Altersgrenze für die Zulassung als Kassenarzt oder die Ermächtigung von Ärzten als Be- schränkung der freien Berufswahl ist verfasssungsrechtlich bedenklich.

Es ist auch nicht zu erkennen, daß typischerweise die Leistungsfähigkeit ei- nes Arztes ab dem 55. Lebensjahr nicht mehr vollständig gewährleistet ist, so daß aus diesem Grunde für die freiberuf- liche ärztliche Tätigkeit eine Altersgrenze festgesetzt werden müßte. Auch arbeits- marktpolitische Gründe rechtfertigen ei- ne solche Altersbegrenzung in keiner Weise."

Fahrtkosten

D "Der 91. Deutsche Ärztetag for- dert den Gesetzgeber auf, die Regelung des§ 68 GRG (Entwurf) zu durchdenken und zu überarbeiten. Das Junktim aus Übernahme der Transportkosten und vollstationärer Krankenhausleistung muß aufgehoben werden.

Begründung: Die Kostenübernahme des 20 DM übersteigenden Betrages durch die Krankenkasse von der Kran- kenhausaufnahme zur vollstationären Versorgung abhängig zu machen, heißt, eine vorhersehbare Kostenlawine auszu- lösen.

Der Versicherte muß, um die 20 DM übersteigenden Fahrtkosten erstat- tet zu bekommen, an einer stationären (Kurzzeit-)Aufnahme auch dort interes- siert sein, wo diese möglicherweise me- dizinisch nicht notwendig ist und eine ärztliche Indikation nicht vorliegt. Der Versicherte wird unter Umständen einen Krankentransport durch ,Notruf' bei ei- ner Rettungsleitstelle veranlassen, um so mit dem Begriff ,Notfall' die Begrün- dung für die ,medizinische Notwendig- keit' vorweisen zu können.

Die Folgen werden sein:

..,.. Übernahme der Transportko- sten und der Kosten für den stationären Aufenthalt bei möglicherweise fehlender oder relativer Indikation,

..,.. übermäßige Mengenausweitung im Bereich des Krankentransportes und der Kurzzeitverweildauer im Kranken- haus,

..,.. Belegungskosmetik im Kran- kenhaus und Absicherung der Vorhalte- kosten im Krankentransport,

..,.. Kostenausweitung im Rettungs- dienst und Krankentransport sowie im Krankenhaus,

statt Kostendämpfung medizinisch sinnvoll zu betreiben.

Das Prinzip ,soviel ambulant wie möglich, soviel stationär wie nötig' wird konterkariert, Ambulatorien der Weg be- reitet, und für eine Kommunalisierung des Gesundheitswesens werden die Weichen gestellt."

Außerordentliche Mitglieder

o

"Der 91. Deutsche Ärztetag spricht sich für die Beibehaltung der au- ßerordentlichen Mitgliedschaft nieder- lassungswilliger Krankenhausärzte in den Kassenärztlichen Vereinigugen der Länder und in der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung aus, besonders in ihren gemeinsamen Einrichtungen mit den Krankenkassenverbänden und in den Zulassungsausschüssen. Die eine kas- senärztliche .. Tätigkeit anstrebenden Ärz- tinnen und Arzte stellen-angesichtsder erweiteren Bedarfsplanung für die Nie- derlassung zur kassenärztlichen Tätig- keit - eine wichtige Verbindung zwi- schen der stationären und ambulanten Patientenversorgung dar. Auf die sach- kundige Mitwirkung dieser Kranken- hausärzte als außerordentliche Mitglie- der in den Entscheidungsgremien der Kassenärztlichen Vereinigungen darf nicht verzichtet werden."

Kündigung von Verträgen mit Krankenhäusern

D , , Der Deutsche Ärztetag lehnt die Möglichkeit der Kündigung von Versor- gungsverträgen zwischen Krankenhäu- sern und Krankenkassen durch die Kran- kenkassen aus wirtschaftlichen Gründen A-1512 (24) Dt. Ärztebl. 85, Heft 21, 26. Mai 1988

- wie im Entwurf des Gesundheitsre- formgesetzes (GRG) vorgesehen- ab."

Substitutionsverbot

D "Der Deutsche Ärztetag fordert die ersatzlose Streichung der Möglich- keit des Kassenarztes in § 81 Abs. 5, Satz 1, des GRG-Entwurfes, auf dem Verordnungsblatt seine Entscheidung kenntlich zu machen, ob er die Arznei- mittelauswahl der ,abgebenden Stelle' überläßt.

Begründung: Die Vorschrift soll das bewährte Substitutionsverbot in allen wesentlichen Therapiebereichen aufhe- ben. Dieser Einstieg in die aut idem-Re- gelung ist der Ausstieg aus der Thera- piekontrolle des Arztes. Der Arzt bleibt dennoch in der Verantwortung für seine Therapieanweisungen und gerät darüber hinaus in einen unaufhörlichen Rechtfer- tigungszwang gegenüber dem Patien- ten. Der Apotheker hat ein wirtschaft- liches Interesse daran, den Hersteller zu bevorzugen, der ihm die größten Rabat- te einräumt. Der Apotheker berät nicht mehr, sondern das hervorstehende Kri- terium wird die Rabatthöhe sein. Die- sem Mißbrauch wird Tür und Tor geöff- net."

Kontinuität von ambulanter und

stationärer Versorgung

D "Die im Entwurf des Gesund- heits-Reformgesetzes (GRG) vorgesehe- nen dreiseitigen Verträge zwischen Krankenkassen, Krankenhäusern und Kassenärzten über die Förderung .9es Belegarztwesens hält der Deutsche Arz- tetag für einen ersten Ansatzpunkt, die

Kontin.~ität der Patientenversorgung beim Ubergang aus ambulanter in sta- tionäre Behandlung und umgekehrt zu fördern.

Dies reicht aber nicht aus, um den sogenannten Graben zwischen ambulan- ter und stationärer Versorgung zu besei- tigen. Besonders hochspezialisierte Krankenhausärzte müssen auch in die ambulante Versorgung auf Überwei- sung, soweit dies notwendig ist, einbe- zogen werden, den niedergelassenen Gebietsärzten ist andererseits ergänzend oder in einer belegärztlichen Struktur die

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Entschließungen des 91. Deutschen Ärztetages in Frankfurt

Teilnahme an der stationären ärztlichen Betreuung zu eröffnen. Der Deutsche Ärztetag fordert, daß seine seit 1974 da- zu vorliegenden Beschlüsse im Gesund- heits-Reformgesetz berücksichtigt wer- den."

Prä- und poststationäre Behandlung

111 „Die prä- und poststationäre Be- handlung durch das Krankenhaus als In- stitution ist abzulehnen! Sie ist system- fremd und gesellschaftspolitisch nicht vertretbar. Nach den Erfahrungen aus den bisherigen Modellversuchen wird sie teurer als die bisher praktizierten Formen der Kooperation zwischen Ärz- ten im Krankenhaus und in freier Praxis.

Auch die vorgesehene Vertragslö- sung, bei der die Einführung der prä- und poststationären Behandlung durch Rechtsverordnung des Bundesarbeits- ministers im Hintergrund steht, ist abzu- lehnen! Soweit überhaupt die Kranken- häuser in die ambulante und prä- und poststationäre Behandlung von Kassen- patienten einbezogen werden sollen, kann dies nur über die Ermächtigung be- sonders qualifizierter und spezialisierter Ärzte geschehen, wobei die Vergütung aus der kassenärztlichen Gesamtvergü- tung erfolgen sollte.

Die Kassenärztliche Bundesvereini- gung wird gebeten, sich für eine solche Regelung im Gesetzgebungsverfahren einzusetzen."

Psychiatrische Ambulanzen

❑ „Die Vorschrift in § 127 GRG, daß psychiatrische Krankenhäuser vom Zulassungsausschuß zu ermächtigen sind, soll geändert werden in ,können vom Zulassungsausschuß ermächtigt' werden — Angleichung an § 128 (Sozial- pädiatrische Zentren)."

Bewilligung von Hilfsmitteln

❑ „Der 91. Deutsche Ärztetag for- dert den Gesetzgeber auf, den § 33 Abs.

2 GRG (danach hat die Kasse den Medi- zinischen Dienst in ,geeigneten Fällen' zu beantragen, den Versicherten zu ,be-

raten' und zu prüfen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist; die Red.) ersatzlos zu streichen.

Begründung: Den § 33 Abs. 2 zu belassen, hieße das Vertrauensverhält- nis Arzt—Patient nachhaltig zu stören.

Dies vor allem, wenn Verordnungen des Arztes ,in geeigneten Fällen' vom Medi- zinischen Dienst nachgeprüft werden, ob diese tatsächlich erforderlich sind.

Noch unerträglicher ist es, daß der Me- dizinische Dienst den Versicherten be- züglich der Hilfsmittel nachberaten soll.

Warum der Medizinische Dienst bei sei- ner Meinungsfindung dabei mit den ‚or- thopädischen Versorgungsstellen' und nicht mit dem behandelnden Hausarzt zusammenarbeiten soll, bleibt unver- ständlich und zeigt die falsche Zielrich- tung dieses § 33 Abs. 2."

Begrenzung

der Datenerfassung

❑ „Der Deutsche Ärztetag hält die in der Kabinettsvorlage zum GRG vorge- sehene Uberfrachtung der Körperschaf- ten, mit dem Zwang zur Datenerfassung in großem Umfang, für unzumutbar. Er fordert den Gesetzgeber auf, folgende Änderungen vorzunehmen:

4)

Keine gesetzliche Vorgabe einer Mindestquote bei Stichprobenprüfungen (in § 114, Abs. 3 Nr. 3 sind die Worte von ,die wenigstens . 2 bis ,. . . müssen' zu streichen),

O keine Verpflichtung des Kas- senarztes zur Angabe der Versicherten- nummer auf allen Vordrucken (in § 303, Abs. 1, Nr. 4 sind nach dem Wort ‚Arzt- nummer` die Worte ,Versichertennum- mer oder ein anderes Kennzeichen' zu streichen),

O keine Übermittlung von Versi- chertennummern und Diagnosen auf Datenträgern (in § 304 sind Nr. 2 und Nr. 5 zu streichen),

C)

keine Übermittlung der Über- weisungsfälle auf maschinell verwertba- ren Datenträgern (§ 305 ist zu strei- chen).

Begründung: Diese vorgesehenen Regelungen belasten den behandelnden Arzt mit einer unsinnigen Datenerfas- sung, unter der die Arzt-Patienten-Be- ziehung leiden muß. Die ärztliche Selbstverwaltung und die Selbstverwal-

tung der Krankenkassen werden da- durch personell und finanziell erheblich belastet. Das Ziel der Beitragsstabilität ist dadurch gefährdet. Die Vorstellung, eventuelle Mißbräuche in der ärztlichen Abrechnung zu verhindern, kann durch die bereits vorhandenen Instrumente — Prüfgremien — erfolgen. Eventuelle dar- über hinausgehende Maßnahmen sind Aufgaben gemeinsamer Vereinbarung der Selbstverwaltungen."

Informationsgrundlagen der Krankenkassen

❑ „Der vorgelegte Regierungsent- wurf zum Gesundheits-Reformgesetz (GRG) sieht in den §§ 292 ff. eine um- fassende elektronische Erfassung pa- tientenorientierter Daten vor. Während Praxiscomputer bisher nur unter be- stimmten Auflagen betrieben werden dürfen, Abrechnungsdatenträger nicht zulässig, Arzneimittelvergleichslisten auf EDV zwar vorhanden sind, aber nicht verteilt werden dürfen, wird hier ein In- formationsnetz aufgebaut, welches pa- tientenbezogene Daten, für die Betroffe- nen nicht mehr nachvollziehbar, nicht- ärztlichen Bereichen verfügbar machen kann.

Der Entwurf berücksichtigt nicht, daß es bis heute noch keine Datenprofile auf der Basis abgestimmter Informa- tionsstrukturen gibt, welche die unbe- fugte Weitergabe von persönlichen Da- ten verhindern. Entgegen anderslauten- der Beteuerungen der Bundesregierung wird mit dem hier vorgelegten Gesetz- entwurf ein Instrument geschaffen, mit dem nahezu beliebig Patientendaten er- faßt, gespeichert, selektiert und abgeru- fen werden können.

Der 91. Deutsche Ärztetag lehnt da- her die im Gesundheits-Reformgesetz vorgesehene zentrale Datenerfassung ab."

Medizinischer Dienst der Krankenkassen

❑ „Der Deutsche Ärztetag kritisiert anläßlich des Entwurfs eines Gesund- heits-Reformgesetzes (GRG) den Um- gang des Gesetzgebers mit den Ärztin- nen und Ärzten des bisherigen Vertrau- ensärztlichen Dienstes.

Dt. Ärztebl. 85, Heft 21, 26. Mai 1988 (25) A-1513

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Er äußert größte Bedenken gegen einen Medizinischen Dienst der Kran- kenkassen, welcher vorrangig auf Gut- achter und Sachverständige aus den Ge- sundheitsberufen zurückgreift, die bereit sind, sich zeitlich begrenzt gegen Hono- rarverträge den Krankenkassen als Prü- fer und Oberwacher zur Verfügung zu stellen.

Die Krankenkassen erhalten einen erheblichen Handlungs- und Machtzu- wachs, unter anderem auch durch ihre personelle Auswahl von jetzt auch nicht- ärztlichen hauptamtlichen Überwa- chungsberatern.

Alle bisher gleichgewichtigen, part- nerschaftlichen Lösungen der Selbstver- waltungen von Krankenkassen und Kas- senärztlichen Vereinigungen sowie den Krankenhausverbänden werden ausge- höhlt und unterlaufen.

Ein solcher erkennbar konfliktträch- tiger Medizinischer Überwachungsver- ein (MÜV) ist verdächtig, die zentralisti- sche Krankenversicherungsmedizin ein- zuleiten. Ein medizinischer Dienst in die- ser Form, dessen Ärzte ausschließlich den Krankenkassen verpflichtet sind, wird abgelehnt."

Ausschluß der Methoden der

künstlichen Befruchtung

❑ „Der Ausschluß der Methoden der künstlichen Befruchtung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Kran- kenversicherung (§ 27 GRG, letzter Satz) wird entschieden abgelehnt, da es medizinisch nicht begründbar ist, war- um einem Teil der Kinderwunschpaare medizinisch anerkannte Behandlungs- verfahren (künstliche Befruchtung im homologen System) versagt werden sol- len.

Der Deutsche Ärztetag weist darauf hin, daß dies der Auffassung, der WHO und auch der deutschen Ärzteschaft vom Stellenwert der Sterilitätsbehand- lung widerspricht. Unfruchtbarkeit ist ei- ne behandlungsbedürftige Krankheit.

Künstliche Befruchtung wird nur dann vorgenommen, wenn andere Therapie- formen nicht in Betracht kommen. Sie als Kassenleistung auszugrenzen, würde bedeuten, daß ein wesentlicher Fort- schritt der Medizin nicht an die Versi- cherten weitergegeben wird."

Qualitätssicherung — mit ärztlichem Sachverstand

❑ „Der Deutsche Ärztetag fordert den Gesetzgeber auf, § 146 Satz 4 GRG wie folgt zu ändern:

,Das Nähere wird in dreiseitigen Verträgen zwischen den Landesverbän- den der Krankenkassen, der Landes- krankenhausgesellschaft und der Lan- desärztekammer geregelt.'

Begründung: Eine ohne ärztliche Verantwortung durchgeführte Qualitäts- sicherung ärztlichen Handelns wird von der Ärzteschaft abgelehnt. Andererseits mißachtet der vorliegende Wortlaut die intensiven Bemühungen der verschiede- nen Kammern um die Qualitätssiche- rung. Die Arzteschaft sieht darin eine Aufgabe der Selbstverwaltung, die sie nicht aus der Hand geben will, bei der sie aber zur Zusammenarbeit mit Kassen und Krankenhausgesellschaft weiterhin bereit ist.

,Entsprechende Bestimmungen sind auch in die §§ 120 und 121 GRG (Entwurf) mit aufzunehmen.`*)

Begründung: Der Ausschluß ärzt- lichen Sachverstandes bei der Qualitäts- sicherung im Rahmen der stationären Krankenversorgung führt die vom Ge- setzgeber intendierten Maßnahmen zur Sicherung der Qualität ärztlicher Versor- gung im Krankenhaus ad absurdum. Die Einordnung dieser wichtigen Maßnah- men nach Wirtschaftlichkeitsprüfungen ist bezeichnend."

Zum Tagesordnungspunkt Gesundheitsförderung als ärztliche Aufgabe

Leitantrag: Beratung — eine ärztliche Aufgabe

„Die

zunehmende Kenntnis über die Zusammenhänge zwischen unge- sunder Lebensweise beziehungsweise ungesunden Lebensumständen und der Entstehung von Zivilisationskrankheiten hat die Forderung nach wirksamer Ge- sundheitsförderung zur Verminderung der Erkrankungshäufigkeit in den Vor- dergrund der gesundheitspolitischen Diskussion gerückt. Die ,Gesundheits-

und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Arzteschaft` heben als Aufga-

1

benkomplexe für die Gesundheitsförde- rung insbesondere folgende Bereiche hervor:

> Stärkung der Familie als Vor- aussetzung für eine gesunde Entwick- lung der Kinder,

> Gesundheitserziehung in der Schule

> Gesundheitsvorsorge am Ar- beitsplatz und

I> Gesundheitsförderung in der Freizeit.

Um diese Ziele zu erreichen, fordert der 91. Deutsche Ärztetag in Frankfurt

> die Verbesserung präventiv ausgerichteter Fortbildungsangebote für Ärzte.

I> die Einführung eines primär- und sekundärpräventiven Gesundheits- Check-up mit standardisierter Doku- mentation und kontinuierlicher epide- miologischer Auswertung,

• die Verankerung der Gesund- heitsberatung als präventiver kassen- ärztlicher Leistung in der GKV,

> die Schaffung eines obligatori- schen Gesundheitsunterrichtes in Schu- len,

> alle Ärzte auf, sich verstärkt im Bereich der Gesundheitserziehung durch Vorträge in Volkshochschulen, Vereinen etc. einzusetzen. Derartige Vorträge ver- stoßen nicht gegen das Werbeverbot.

Bundesregierung und Länderregie- rungen, ärztliche Körperschaften und freie Verbände sowie andere Einrichtun- gen im Gesundheitswesen werden auf- gefordert, verstärkt entsprechende In- itiativen zu ergreifen und eng zusam- menzuarbeiten. Die staatlichen Ent- scheidungsinstanzen werden darüber hinaus aufgefordert, weitere Vorausset- zungen zur Einschränkung der Werbung für Alkohol und Tabakerzeugnisse zu schaffen und eine zweckgebundene Prä- ventionsabgabe einzuführen.

Begründung: Aus den Forderungen ergibt sich zwingend die Mitwirkung des Arztes in der Gesundheitsförderung. Be-

*) (Anmerkung der Redaktion: § 146 behandelt die Qualitätssicherung in der stationären Ver- sorgung, § 121 die Prüfung der Krankenhäuser auf Wirtschaftlichkeit, Leistungsfähigkeit und Qualität. Nach § 120 sollen die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Landeskranken- hausgesellschaften u. a. über solche Maßnah- men Verträge schließen. Die Ärztekammern sind dabei, laut Gesetzentwurf, nicht beteiligt.)

A-1514 (26) Dt. Ärztebl. 85, Heft 21, 26. Mai 1988

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Anträge über Anträge - und die Bildung einer „Antragskommission" wurde von den Delegierten in Frankfurt wiederum mehrheitlich abgelehnt

ergeben sich für die Arbeits- und Be- triebsmedizin chancenreiche weitere Möglichkeiten zur Beeinflussung des Gesundheitsverhaltens. Dies gilt zu- nächst für Informations-, Beratungs- und Unterstützungsleistungen — bei- spielsweise Aufklärung über Gesund- heitsrisiken, Betreuung von Risikogrup- pen, Unterstützung von Selbsthilfeinitia- tiven —, weiterhin aber auch zur Durch- setzung von strukturellen Maßnahmen, wie die Einführung von Pausen für kör-

perliche Bewegung, rauchfreien Zonen und die Einflußnahme auf ein gesund- heitsgerechtes Ernährungsangebot in Betriebskantinen. Zahlreiche epidemio- logische Studien haben belegt, daß fal- sche Ernährung und Bewegungsmangel Risiken darstellen, die durch Gesund- heitsaufklärung, Gesundheitserziehung sowie Gesundheitsberatung positiv beinflußt werden können. Neben der Be- kämpfung von überhöhtem Alkoholge- nuß und des Rauchens sollten diese Ri- sikobereiche daher eine zentrale Aufga- be der ärztlich getragenen Gesundheits- förderung darstellen.

In den Schulen ist ein obligatori- scher Gesundheitsunterricht unverzicht-

Entschließungen des 91. Deutschen Ärztetages in Frankfurt

zogen auf die Familie steht die Gesund- heitsberatung im Vordergrund des ärzt- lichen Handelns. Inhaltlicher Schwer- punkt muß sein, Risikofaktoren zu mei- den, wobei in den Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft gesunde Ernäh- rung, körperliche Bewegung und Redu-•

zierung des Alkoholgenusses und der Verzicht auf das Rauchen besonders hervorgehoben werden. Ärztliche Ein- flußmöglichkeiten in der schulischen Gesundheitserziehung bilden einen wei- teren Aufgabenbereich, der vom öffent- lichen Gesundheitsdienst zwar schon seit vielen Jahren mit besonderer Inten- sität wahrgenommen wird, der aber das Engagement aller Ärzte erfordert.

Betriebs- und werksärztlicher Dienst gewinnen zusätzliche Bedeutung für die Arbeitsplätze in modernen hoch- industrialisierten Volkswirtschaften.

Zugleich ist es Aufgabe des Arztes, die inhaltlichen Vorgaben und Zielfor- mulierungen entscheidend zu beeinflus- sen, die für die Gesundheitsaufklärung der Gesamtbevölkerung von Bedeutung sind. Ärztliche Gesundheitsberatung muß von Inhalt und Umfang weit über bloße Information oder Belehrung hin- ausgehen. Die Bemühungen in der ärzt- lichen Fortbildung auf dem Gebiet der Gesundheitsberatung sind zu intensivie- ren. Bedauerlich ist die Tatsache, daß die qualifizierte Gesundheitsberatung noch immer nicht Gegenstand des Kas- senarztrechts ist. In den Vertragsgebüh- renordnungen sind die erforderlichen Abrechnungsmöglichkeiten zu schaffen.

Die Gesundheitsberatung ist auf dem all- gemeinen Gesundheits-Check-up aufzu- bauen, der im Zweijahresabstand durch- geführt werden soll und Gegenstand der Strukturreform im Gsundheitswesen ist.

In der Kabinettsvorlage ist eine ausrei- chende Verzahnung von primärpräventi- ven und sekundärpräventiven Leistun- gen vorgesehen. Eine derartige Ver- knüpfung, die nicht nur die Krebsfrüher- kennung in den Vordergrund stellt, könnte entscheidend dazu beitragen, die Ängste vor einer Inanspruchnahme die- ser Leistungen und die Akzeptanz damit nachhaltig zu erhöhen.

Die betriebsärztliche Tätigkeit ist von ihrem Ansatz her vorbeugender Na- tur. Sie dient dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, also der Vermeidung arbeitsbedingter Erkrankungen und Ver- letzungen, sowie dem Abbau von Über- und Unterforderungen. Darüber hinaus

bar. Er sollte im Rahmen der Adaption präventiven Gedankenguts und der Ein- übung entsprechender Verhaltenswei- sen auch ein Wissens- und Fertigkeitsni- veau vermitteln, das dem der Ersten Hil- fe entspricht, die für den Erwerb des Führerscheins vorgeschrieben ist, und dem der sogenannten Kleinen Kranken- pflege. Nach Einführung eines derarti- gen Pflichtfaches könnte in vergleichs- weise kurzer Zeit eine Schülergeneration heranwachsen, die später in der Familie als Vorbild für gesundheitsbewußtes Verhalten prägend sein und die früher selbstverständlichen Aufgaben der häuslichen Krankenpflege fachlich quali- fiziert übernehmen kann.

Die intensive und erfolgreiche Ge- sundheitsberatung durch Ärzte in Ge- sundheitsämtern sowie die Gesund- heitserziehung durch Jugendärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes kön- nen hier wegweisend sein.

Zur Gesundheitsförderung gehört in diesem Zusammenhang auch die Forde- rung, daß die Ärzteschaft ihrer Vorbild- funktion gerecht werden sollte."

Jodsalzprophylaxe

❑ „Die Bundesregierung wird auf- gefordert, die freiweillige Jodsalzpro- phylaxe im Rahmen einer großen ge- sundheitserzieherischen Kampagne in- nerhalb der nächsten Jahre generell in der Bundesrepublik Deutschland einzu- führen.

Begründung: In der Bundesrepublik Deutschland herrscht eine Strumaende- mie, 15 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen. Der Jodsalzgehalt der Nahrung beträgt lediglich ein Drittel des von der WHO empfohlenen Optimismus von 150 bis 200 Mikrogramm/d. Durch Jodprophylaxe kann die Kropfhäufigkeit entscheidend gesenkt werden, was jahr- zehntelange Erfahrungen zum Beispiel in der Schweiz gezeigt haben. Es handelt sich somit um eine wichtige präventiv- medizinische Aufgabe."

Datenmaterial ärztlicher Untersuchungen

❑ „Das Datenmaterial der ärzt- lichen Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz ist laufend aufzuarbeiten und auszuwerten, um prä- Dt. Ärztebl. 85, Heft 21, 26. Mai 1988 (29) A-1515

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ventiv wichtige Maßnahmen einleiten und durchführen zu können.

Begründung: Seit mehreren Jahr- zehnten werden standardisierte Untersu- chungen durchgeführt und dokumen- tiert, jedoch fehlt jede epidemiologische Auswertung. Deswegen können im Jugendalter besonders wichtige Maß- nahmen der Prävention nicht rechtzeitig eingeleitet werden."

Gesundheitserziehung in der Schule

❑„Der Deutsche Ärztetag fordert die hierfür zuständigen Gremien auf, für die Einführung von Pflichtvorlesungen in Fragen der Gesundheitserziehung und deren humanbiologischer Grundlagen für alle Studierenden der Pädagogischen Hochschulen Sorge zu tragen.”

Fensterlose Schulen

❑„Es ist wissenschaftlich erwie- sen, daß längerer Aufenthalt in fenster- losen Räumen negative Einflüsse auf die hormonale Regulierung aller Körper- funktionen und damit insbesondere auf die Entwicklung der Kinder in fensterlo- sen Schulen hat. Deshalb sind Maßnah- men zu fordern, vor allem diese Schulen baldmöglichst zu sanieren, um weiteren Schaden zu verhüten.”

Gesundheitsförderung durch Vorbilder

❑„Gesundheitsförderung lebt von Vorbildern. Negative Leitbilder beein- trächtigen die Prävention. Daher sollten in der Öffentlichkeit (Fernsehen, Film, Foto, Zeitungen und Zeitschriften) rau- chende oder alkoholtrinkende Politiker, Filmstars, Schauspieler und andere Leit- bilder, unter anderem auch Ärzte, der Bevölkerung nicht mehr gezeigt wer- den.”

Gesundheitsförderung durch Betriebsärzte

D„ In den letzten Jahren konnte ge- zeigt werden, daß über die betriebsna- hen und betriebsspezifischen arbeitsme-

dizinischen Aufgaben hinausgehende, primärpräventive Maßnahmen (Betriebs- sport, Diätberatung, Selbsthilfegruppen und so weiter) gesundheitsschädigende Belastungen an den Arbeitsplätzen deut- lich verringern. Unter anderem führten sie zu deutlich reduzierten krankheitsbe- dingten Ausfallzeiten und weisen somit auf den hohen Nutzen für alle Seiten hin.

Der 91. Deutsche Ärztetag begrüßt daher ähnliche Vorhaben und fordert alle Verantwortlichen auf, engagierte Ar- beitsmediziner und Betriebsärzte bei Einführung primärpräventiver Maßnah- men in ihren Betrieben zu unterstüt- zen."

Gesundheitserziehung

❑„ Der 91. Deutsche Ärztetag stellt fest, daß Gesundheitserziehung eine ärztliche Aufgabe ist. Die Kultusminister der Länder werden aufgefordert, auf dem Boden des § 20 GRK in den Schu- len fachübergreifenden Unterricht in Ge- sundheitserziehung einzuführen. Dabei sollen Ärzte und Lehrer unter Einbezie- hung der Eltern gesundheitsbewußtes Verhalten bei den heranwachsenden Kindern wecken und fördern.”

Zum Tagesordnungspunkt Tätigkeitsbericht

der Bundesärztekammer

Schwangeren- beratungsgesetz

❑„Das Grundgesetz schützt das ungeborene menschliche Leben. Die- sem Ziel soll auch der jetzt vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Schwange- renberatung dienen. Der Deutsche Arz- tetag begrüßt in diesem Gesetz das Be- ratungsangebot auch bis zum dritten Le- bensjahr nach der Geburt. Er sieht hier einen wesentlichen Beitrag zur Vermei- dung von Schwangerschaftsabbrüchen, da die Mutter auch nach der Geburt Rat und Hilfe erfährt.

Die ärztliche Fortbildung ist in den Heilberufsgesetzen der Länder geregelt und Aufgabe der Ärztekammern. Des- halb bedarf es in diesem Gesetz keiner

zusätzlichen den Ärzten obligatorisch auferlegten jährlich zu wiederholenden Pflichtfortbildung.”

Umfassenderes Beratungsangebot

❑„Der Deutsche Ärztetag begrüßt die Bemühungen der Bundesregierung, das Beratungsangebot für Frauen mit ungewollter Schwangerschaft zu verbes- sern und umfassender zu gestalten.

Er weist jedoch darauf hin, daß es zwar Ziel des Gesetzentwurfes ist, die Bereitschaft der betroffenen Frauen ,zur eigenverantwortlichen Annahme des un- geborenen Lebens zu wecken, zu stär- ken und zu erhalten', daß dies aber nicht der alleinige Inhalt der einzelnen Bera- tung sein kann.

Mit Entschiedenheit wendet sich der Deutsche Ärztetag dagegen, daß durch diesen Entwurf den 'Arzten und Arztinnen eine obligatorische jährliche Fortbildungsverpflichtung auferlegt wer- den soll. Die zur Beratung notwendige Kompetenz und Kenntnis der sozialen, rechtlichen und institutionellen Möglich- keiten hat der beratende Arzt in Erfüllung einer Fortbildungsverpflichtung nach der Berufsordnung zu erwerben. Der Deut- sche Ärztetag wendet sich deshalb auch gegen die Absicht, bei Ärztinnen und Arzten mit anerkannter Fortbildung die soziale Beratung von der Indikationsstel- lung.zu trennen. Dies erscheint sowohl für Arzte und Ärztinnen als auch für die betroffenen Frauen unzumutbar.”

Vorwurf der „Grünen"

unzutreffend

❑ „Der Deutsche Ärztetag weist mit Entschiedenheit den Vorwurf der Grünen-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Bundestagsausschus- ses für Jugend, Familie, Frauen und Ge- sundheit, der Ärztin Heike Wilms-Kegel, zurück,. Bundesärztekammer und Deut- scher Arztetag seien nicht die demokra- tisch legitimierte Vertretung der deut- schen Arzteschaft.

Insbesondere die Behauptung, le- diglich aus zwei Ärztekammern seien

‚oppositionelle' Delegierte zum Ärztetag entsandt worden, ist nachweislich falsch." 011 A-1516 (30) Dt. Ärztebl. 85, Heft 21, 26. Mai 1988

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