Literaten-Kreis
Es gibt Wissenschaftler, die ernstlich behaupten, es gäbe keine Kugelblitze. Ich habe auch niemals an einen Kugelblitz ge- glaubt, bis ich ihm eines Tages begegnete
„Wenn man keinen Donner nach dem Blitz hört, hat es einge- schlagen," belehrte mich der Fa- milienvater — und als sollte es ein Beispiel sein, erhellte ein fürchterlicher, bläulicher Blitz den ganzen Raum — und es er- folgte kein Donnerschlag. Es wurde still, totenstill; alle saßen wir erstarrt und warteten. Dann kam es durch die halboffene Tür des Stalles hereingeschwebt — rund, von der Größe eines Fuß- balles, leuchtend, flimmernd, strahlend rollte die Feuerkugel zum Kochherd. Ob er explodiert, dachte ich; doch die Kugel um- rundete den Kochtopf einige Male, dann nahm sie Kurs auf den Küchentisch, auf dem etwa neun kleine ostfriesische Tee- tassen standen. Nun duckten wir uns alle, denn sie bewegte sich in schnelleren Kreisen über un- seren Köpfen, um dann unver- mittelt hinabzusteigen und unter dem grünen Sofa zu verschwin- den. Der Großvater hob beide
Füße, an denen er schwere Holz- schuhe trug. Aber unbeschadet rollte die Kugel unter dem Sofa wieder hervor und nahm Kurs auf das Radio, wo die Katze sich erhoben hatte und mit gesträub- tem Fell und glühenden Augen den Angreifer erwartete. .,Hof- fentlich geht unser Radio nicht kaputt", sagte das älteste Kind ängstlich, „ich will doch heute abend die Hitparade hören!"
„Hältst du den Mund", rief der Vater, „jedes Wort kann den Ku- gelblitz explodieren lassen!"
Jetzt schien sich die Feuerkugel für die geschälten Kartoffeln und die Großmutter zu interes- sieren. Wie ein Glorienschein umkreiste sie den weißhaarigen Kopf einige Male, um dann einen Satz zu machen und durch die geöffnete Stalltür hinauszura- sen. Die Kühe brüllten auf, die Schweine quietschten veräng- stigt, Hühner gackerten, der Hund bellte, ein Hahn krähte —
dann gab es einen fürchter- lichen Donnerschlag, als würde das ganze Haus zusammenfal- len; ein schrecklicher Gestank nach Schwefel und Feuer ver- breitete sich im Haus. „Dat wer de Dübel!", bemerkte der Opa in die nachfolgende Stille hinein.
„Nu het inschlon!" Der Vater er- hob sich: "Ich will mal nachse- hen," sagte er und ging auf den Stall zu. Nach wenigen Minuten kam er zurück. „Alles in Ord- nung soweit! Gegen die Birke ist das Deubelsding gestoßen, die ist total hin." „Da haben wir aber Glück gehabt'', meinte die Stammutter und kehrte zu ihrem Kartoffelschälmesser zurück.
Das Leben geht weiter, das Mit- tagessen mußte fertig werden, und das Gewitter schien sich zu entfernen . A. Ritter Literaturwerkstatt, das ist der Titel ei- ner bibliophil gestalteten Sammlung von Erzählungen und Gedichten (mit Radierungen von Regine Schulz), die der emeritierte Internist Heinz Danner, Speyer, herausgegeben hat (Verlag Bild & Kunst Kurt Keller, 6721 Harthau- sen, Im Vogelsang 10). Es sind die Ar- beiten eines Kreises von Autoren der pfälzischen Region, die sich seit meh- reren Jahren treffen, um sich gegen- seitig zu kritisieren und literarische Probleme zu diskutieren. Neben dem Herausgeber, der Arzt ist, gibt es noch eine Ärztin in diesem literarischen Zir- kel, Annemarie Ritter, aus deren Ge- schichte „Der Kugelblitz" voranste- hend eine Leseprobe zitiert ist. DÄ
POST SCRIPTUM
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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
3246 (102) Heft 46 vom 12. November 1986 83. Jahrgang Ausgabe A