Die anhaltende Diskussion über tatsächliche oder vermeintliche Ab- rechnungsmißstände und Fehlent- wicklungen im Zusammenhang mit der Anwendung der Amtlichen Ge- bührenordnung für Ärzte (GOÄ) und das aktuelle politische Gezerre um ei- ne Absenkung der gesetzlich veran- kerten Multiplikatoren haben eines verdeutlicht: Offensichtliche Schwie- rigkeiten bei der Abrechnung ärztli- cher Leistungen sowohl im Privatli- quidationssektor als auch im ver- tragsärztlichen Bereich können nicht durch weitere, verschärfte Kontroll- maßnahmen und rigide Wirtschaft- lichkeitsprüfungen beseitigt werden, vielmehr müssen die immer kompli- zierter werdenden Abrechnungsbe- dingungen dringend vereinfacht wer- den. Mehr Transparenz für Arzt und Patient ist notwendig.
In einem ist sich die Bundes- ärztekammer mit Bundesgesundheits- minister Horst Seehofer einig: Ab- rechnungsmanipulationen können nicht toleriert, dürfen nicht verharm- lost werden, sondern müssen mit allen gebotenen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt und mit Sanktionen der ärztli- chen Selbstverwaltung geahndet wer- den. Die Ärzteschaft geht schon im- mer hiergegen vor. Sie wirkt aktiv bei der Aufklärung und der Ermittlung im Zusammenhang mit Fehlabrechnun- gen ärztlicher Leistungen mit. Aller- dings erfahren die Betroffenen und die Ärzteschaft (Bundesärztekam- mer; Landesärztekammern) nicht im- mer die erforderliche Unterstützung seitens der privaten Krankenversiche- rung (PKV). Im Zusammenhang ins- besondere mit den in der Presse und auch von der Politik hochgespielten Affären (Abrechnung in herzchirurgi- schen Zentren und von Kardiologen) wird nicht immer die notwendige Sorgfaltspflicht bei der Recherche, der Überprüfung des Sachverhalts ins- besondere durch die privaten Kran- kenversicherungen und die Kranken- kassen an den Tag gelegt. Damit wer- den aber rechtsstaatliche Prinzipien zuungunsten der Inkriminierten außer
acht gelassen, wie zum Beispiel bei den bereits erfolgten Vorverurteilun- gen im Fall von Kardiologen.
Horst Seehofer ist zuzustimmen, der gegenüber der Ärzteschaft, den Zahnärzten, den Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem PKV-Verband dargelegt hat, daß mehr Transparenz, neue struktu- rell verbesserte Abrechnungsbedin- gungen, flankiert von Maßnahmen zur Aufklärung, Information und zur Qualitätssicherung, eher geeignet sind, korrekte Abrechnungen zu er- reichen als noch kompliziertere Prü- fungen und Überwachungen.
Zudem ist jedem Insider und Be- troffenen klar: Ärztekammern als die Instanz zur Überprüfung der Ange- messenheit von GOÄ-Honorarfor- derungen und zur Begutachtung in Streitfällen. Kommissionen und Kon- sultationsausschüsse sind in ihrer Wirksamkeit begrenzt, wenn es bei den unzulänglichen Rahmenbedin- gungen und dem teilweise 20 Jahre alten Leistungsverzeichnis der GOÄ
bleiben sollte. Die Bundesärztekam- mer nimmt den für GOÄ-Fragen zuständigen Ressortminister beim Wort, im zweiten Novellierungs- schritt zur GOÄ klarere Vorgaben für die Abrechnung zu schaffen und vor allem das Gebührenverzeichnis in wichtigen Kapiteln dem heutigen Stand der Medizin anzupassen. Da- durch könnten viele Auseinanderset- zungen mit den Versicherten und ihren Versicherungen von vornherein ausgeschaltet werden. Zu einer Ver- einfachung der Gebührenabrech- nung könnte möglicherweise auch ei- ne vermehrte Bildung von Ziel- und Komplexleistungen dienen. Aller- dings sind Pauschalen und Leistungs- komplexen in der Privat-GOÄ da- durch Grenzen gesetzt, daß die Ge- bührenordnung als Gebührentaxe den Wert der einzelnen ärztlichen Leistungen widerspiegeln muß und der Behandlungsfall nicht so ab- grenzbar definiert werden kann wie im EBM für den vertragsärztlichen Sektor. Dr. Harald Clade
A-264 (20) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 6, 6. Februar 1998
P O L I T I K AKTUELL
Gebührenordnung für Ärzte
Transparenz und Vereinfachung
Die Versorgungsqualität im Ge- sundheitswesen könne nur durch die Kooperation aller Berufsgruppen verbessert werden. Dieses Bemühen müsse zu einem festen Bestandteil des Berufsverständnisses jedes einzelnen Mitarbeiters werden, sagte der Präsi- dent der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. Karsten Vilmar, bei einer Ta- gung der Fachberufe im Gesundheits- wesen. In der Fachberufekonferenz, die auf Initiative der BÄK 1989 ins Leben gerufen wurde, sind 40 Organi- sationen mit mehr als 1,8 Millionen Beschäftigten vertreten. Rund 60 Teilnehmer diskutierten am 21. Janu-
ar in Köln über Konzepte der Qua- litätssicherung. „Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement im Ge- sundheitswesen sind kein Allheilmit- tel gegen Ressourcenknappheit und ökonomische Zwänge“, betonte Prof.
Dr. med. Friedrich-Wilhelm Kolk- mann, Präsident der Landesärzte- kammer Baden-Württemberg, Vorsit- zender des Ausschusses Qualitätssi- cherung ärztlicher Berufsausübung der BÄK. In erster Linie gehe es um die Verbesserung der medizinischen Versorgungsqualität. Dies erfordere bei allen Beteiligten eine Verhal- tensänderung. Neben der Patienten-
Qualitätssicherung
Viele Facetten in den
Fachberufen
s gibt eine Kluft zwischen dem tatsächlichen Niveau der ge- sundheitlichen Versorgung und den Ansprüchen von Meinungsbild- nern und Versicherten. Sie ist jedoch nicht ausschlaggebend für die Identitätsprobleme der Ärzte mit ihrem Beruf, sondern vielmehr Indiz für tiefgreifende historische, gesell- schaftliche und ökonomische Wurzeln.
Nach Ansicht des Kölner Universitäts- professors Dr. med. Dr. phil. Klaus Bergdolt vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin sind die Ursa- chen in der Entwicklung des Arztberu- fes vom karitativ ausgerichteten Heiler zum naturwissenschaftlich orientier- ten Mediziner zu sehen. „Der Sieges- zug der naturwissenschaftlich domi- nanten Medizin hat die soziale Funkti- on des Arztes immer stärker in den Hintergrund gerückt und die ökono- mische in den Vordergrund gestellt“, führte Bergdolt bei den 75. Bad Nau- heimer Gesprächen in Frankfurt aus.
Abgrenzung statt ärztliche Solidarität
Einzelne Arztgruppen hätten sich immer stärker voneinander abge- grenzt, zum Beispiel die Fachärzte von den Hausärzten oder die Kran- kenhausärzte von den niedergelasse- nen Kollegen. „Die Standesorganisa- tionen können hier, obwohl sie es müßten, nicht mehr als Klammer zwi- schen allen Arztgruppen fungieren“, stellte der Medizinhistoriker fest.
Professor Jörg-Dietrich Hoppe, Vizepräsident der Bundesärztekam- mer und Präsident der Ärztekammer Nordrhein, bestätigte dies. Wesentli- che Elemente, die nach Ansicht von
Hoppe zur Identitätskrise der Ärzte- schaft geführt haben, sind der ständig steigende wirtschaftliche Druck durch immer neue Kostendämpfungsgeset- ze, der zu Verteilungskämpfen zwi- schen den einzelnen Arztgruppen geführt habe, die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit durch gesetzli- che Zulassungsbeschränkungen sowie der wachsende Konkurrenzdruck un- ter den Ärzten aufgrund von Überka- pazitäten.
„Negativ auf das ärztliche Selbst- verständnis wirkt sich auch aus, daß sich in jüngster Zeit Vertreter anderer Berufsgruppen in ärztliche Entschei- dungen einmischen“, merkte Hoppe an. Kennzeichnend hierfür seien soge- nannte Runde Tische oder Experten- treffen, etwa um Diagnose- und The- rapiestandards in der Behandlung des Diabetes mellitus festzulegen.
Außerdem sähen Patienten Krankheit nicht mehr als Schicksal, sondern als Schaden an, den abzu- wenden Aufgabe des Arztes sei. Dies zeige sich unter anderem in der zu- nehmenden Zahl von Schlichtungs- und Haftungsfällen. „Nicht mehr das Wohlergehen des Patienten ist ober- stes Gebot für den Arzt, sondern sein Wille“, charakterisierte der Vizepräsi- dent der BÄK den Wandel im Ver- hältnis zwischen Arzt und Patient.
Entscheidend sei auch, daß der Gesetzgeber ständig neue Verordnun- gen und Gesetze erläßt, ohne die Aus- wirkungen der vorherigen abzuwar- ten. „Dies hat zu einer enormen Rechtsunsicherheit bei vielen Kolle- gen geführt. Die Ärzte verstehen das System der Gesetzlichen Krankenver- sicherung selbst nicht mehr“, erklärte der 2. Vorsitzende der KV Hessen, Dr.
Hans-Friedrich Spies. Petra Spielberg A-266
P O L I T I K AKTUELL
(22) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 6, 6. Februar 1998 zufriedenheit sei daher die Mitarbei-
terzufriedenheit eine wichtige Vor- aussetzung für ein erfolgreiches Qualitätsmanagement. Die Verbände stellten in Köln ihre Projekte vor, bei denen jeweils spezifische Aspekte der Qualitätssicherung im Vordergrund stehen: So strebt der Deutsche Berufs- verband der Motopäden/Motothera- peuten eine Vereinheitlichung der Ausbildung an, um Kostenträgern, Ärzten und Patienten ein klar defi- niertes Angebot bieten zu können.
Die Eingangsvoraussetzungen, der Schulstatus sowie Dauer und Inhalte der Ausbildung sollen bundesweit ver- einheitlicht werden. Der Verband will zudem die Ausbildung zur „staatlich anerkannten Motopädin“ erweitern.
Der Deutsche Verband Techni- scher Assistenten in der Medizin will die Qualitätssicherung generell aus- bauen. „Wir müssen lernen“, sagte Edith Briehl, „alle qualitätsrelevan- ten Arbeiten in einem Laboratorium unter eine geregelte Kontrolle zu stel- len.“ Ziel müsse die Vergleichbarkeit von Analyseergebnissen sein. Für Ärzte müßte der Laborbefund eines Patienten über die deutschen Gren- zen hinaus interpretierbar sein.
Die Ergotherapeuten haben ein Konzept zur Diagnostik, Therapiepla- nung, Dokumentation und Evaluati- on in der Erwachsenenrehabilitation entwickelt. Erste Anhaltspunkte zur Akzeptanz und Praktikabilität des Modells soll ein Feldversuch mit zwölf Rehabilitationseinrichtungen brin- gen. Ziel sei es, das Modell als Stan- dardinstrument einzusetzen, berichte- te Projektleiter Sebastian Voigt-Rad- loff von der Universität Freiburg.
Am Universitätsklinikum Benja- min Franklin in Berlin wird seit 1992 ein Qualitätssicherungsprogramm in der Pflege eingeführt. Angelehnt an ein amerikanisches Modell umfaßt es die „Bausteine“ Standardentwick- lung, Aus-, Fort- und Weiterbildung, Kompetenzen, Überprüfung, Risi- komanagement, Ressourcen und Pro- blemanalysen. „Es gibt unendlich vie- le Konzepte und Beschreibungen, wie man alles besser machen kann“, sagte die Pflegedirektorin Hedwig François- Ketter. Ein Änderungsprozeß setze aber Geduld, ein starkes Bewußtsein und die Reflexionsbereitschaft aller Beteiligten voraus. Dr. Sabine Glöser