MEDIZIN DIE ÜBERSICHT
Virus-Serie (7)
Virushepatitis und B-Virusmutanten
Eine neue diagnostische und klinische Herausforderung
Guido Gerken Bernd Goergen
Karl-Hermann Meyer zum Büschenfelde
Natürliche
Mutationsentstehung Das Entstehen von Mutationen ist im Rahmen der Replikation des genetischen Informationsmaterials ein ganz natürlicher Vorgang. In Abhängigkeit von der Geschwin- digkeit der Replikationszyklen und der Replikationsstrategie entstehen zufallsmäßig Mutationen, die bei vorhandener Replikationskompe- tenz zu einem genetischen Virus- pool im Sinne von Quasispezies führen. Durch positive Selektion der Mutanten beziehungsweise ne- gative Selektion des Wildtypes kann dann eine Stabilisierung der Varian- ten innerhalb der Population eintre- ten (Abbildung I) (6).
Aufgrund eines einzigen Nu- kleotidaustausches (Punktmutati- on) im kodierenden Bereich eines Gens entsteht eine geänderte Tri- plettsequenz, die nach Transkripti- on und Translation zu einer Ver- änderung im Aminosäuremuster führen kann. So bedeuten neutrale Mutationen, daß trotz eines Basen- austausches in der DNA die Pri- märsequenz und damit die Struktur des exprimierten Proteins unver- ändert bleibt. Dies ist durch die De- generiertheit des genetischen Codes begründet, das heißt, mehrere un- terschiedliche Tripletts können für dieselbe Aminosäure kodieren. Bei Missense-Mutationen kommt es entweder zu einem einfachen Ami- nosäureaustausch in der Eiweißket-
HBV-Varianten kommen weltweit vor und sind überwiegend mit chronischen und fulminanten Verläufen asso- ziiert, andererseits auch bei inaktiven Krankheitsformen und asymptomati- schen Trägern zu beobachten. Die HBV-PräC/C-Varianten (HBe-minus- Mutanten) akkumulieren im natürli- chen Langzeitverlauf nach Anti-HBe- Serokonversionen oder im Verlauf nach einer Interferon-Therapie. Der molekulare Defekt kann als ein viraler Faktor der Viruspersistenz angesehen werden. Heute sind Mutationen aus verschiedenen Genregionen des Hepa- titis-B-Virus bekannt. Als Folge der häufig geringfügigen genetischen Va- riationen kommt es zur Modifikation wichtiger T- und B-Zell-Epitope, zum Verlust ganzer Antigene oder zu Ver- änderungen einzelner Genaktivitäten.
te, im Falle einer Leserastermuta- tion zu einer kompletten Sinnver- fremdung in 3'-Richtung des mu- tierten Lokus, oder zur Verhinde- rung des Translationsbeginns (Ver- änderungen am Initiationscodon AUG). Als Nonsense-Mutationen werden genetische Veränderungen bezeichnet, die durch die Entste- hung eines Stopcodons (UAA, UAG, UAA) den Abbruch der Translation nach sich ziehen.
I. Medizinische Klinik und Poliklinik (Direk- tor: Prof. Dr. med. Karl-Hermann Meyer ZU M
Büschenfelde) der Johannes-Gutenberg- Uni- versität Mainz
Genetische Organisation des Hepatitis-B-Virus Das Genom des Hepatitis-B- Virus besteht bekanntermaßen aus einer teilweise doppelsträngigen, zirkulären DNA mit einer Länge von etwa 3200 Nukleotiden (Abbil- dung 2) (10). Es existieren vier offe- ne Leserahmen. Die Genregionen präS-1 sowie präS-2 und S kodieren für das große, das mittlere und das Haupthüllprotein (HBsAg). Der PräC/C-Bereich enthält die Infor- mation für das HBcAg als Baustein des Nukleokapsids sowie für das HBeAg, welches in membrange- bundener Form ein wichtiges Ziel- antigen für die Immunabwehr des Wirtes und als lösliches HBeAg im Serum einen indirekten Replikati- onsmarker darstellt und möglicher- weise an der Toleranzinduktion be- teiligt ist. Das Polymerase-Gen ko- diert für die virale DNA-Polymera- se mit reverser Transkriptasefunkti- on und das x-Gen für das in vi- tro transaktivierende HBxAg, das bis heute in seiner Bedeutung für den viralen Lebenszyklus noch nicht vollständig aufgeklärt ist.
Aufgrund der Replikation des HBV über eine RNA-Zwi- schenform und die zum Teil extrem starke Vermehrung (10 9 Viren/ml Serum) ist die Entstehung von Mu- tationen im Hepatitis-B-Virusge- nom ein normales Ereignis, und die genetische Variabilität, angegeben in Substitutionen pro Nukleotid pro Jahr, ist für alle verschiedenen offe- nen Leserahmen bekannt (Tabelle 1) (17). Die Substitutionsfrequenz von DNA-Viren ist im allgemeinen geringer als bei RNA-Viren und höher als im menschlichen Erbgut.
In den letzten Jahren wurden bei allen klinischen Folgezuständen A-3288 (68) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994
MEDIZIN
Abbildung 1: Vorstellung der Entstehung von viralen Mutationen
einer Hepatitis-B-Virusinfektion in zunehmendem Maße Virusmutatio- nen in verschiedenen Genab- schnitten nachgewiesen. Mit Hilfe der PCR-Amplifikation und der nachfolgenden DNA-Sequenzie- rung konnten diese HBV-Mutanten molekular identifiziert werden. Ihre klinische Bedeutung ist Gegenstand aktueller Forschungen (1).
5-Gen-Mutanten
Infolge einer einzelnen Punkt- mutation in der S-Gen-Region kommt es im Hüllprotein des Hepa- titis-B-Virus zu einem Aminosäu- reaustausch bei As. 145 (Glycin zu Arginin), wodurch sich die „a"-De- terminante des Antigens, gegen das die Immunantwort hauptsächlich gerichtet ist, in ihrer Konformation verändert (5). Hierdurch entstehen
DIE UBERSICHT
Mutationsentstehung Wildtyp
DNA — DNA
RNA Replikation DNA
RNA RNA
Zufallsmutationen (Replikationszyklen, Replikationsstrategie) Replikationskompetenz?
Genetischer Virus-Pool ("Quasispezies") Positive Selektion der Mutante Negative Selektion des Wildtyps
Fixierung der Mutanten
HBsAg-positive „Escape-Mutan- ten", die einem Teil der Immunab- wehr entgehen, so daß sich trotz der Anwesenheit von anti-HBs-Anti- körpern eine HBV-Neuinfektion
etablieren kann. In verschiedenen klinischen Situationen wurden sol- che Mutationen beschrieben:
CD Bei einem passiv/aktiven HBV-Immunisierungsprogramm in Süditalien, bei einigen Kindern trotz primärer Impfantwort auf die verabreichte HBV-Vakzine (As.
145; Carman, 1990),
0 in Südostasien bei einer ver- tikalen Transmission einer Hepati- tis auf das Kind (As. 145 und 126;
Okamoto, 1992)
© sowie in Amerika im Rah- men einer Reinfektion nach Leber- transplantation trotz Immunglobu- lingabe (As. 149, 129 und 131; Mc- Mahon, 1991).
Die Entstehung oder die Selek- tion dieser Mutanten ist am ehesten durch den Druck des Immunsy- stems bedingt.
PräS-Gen-Mutanten
Kürzlich wurden auch Mutatio- nen in den PräSl- beziehungsweise PräS2-Abschnitten des HBV-Ge- noms beschrieben, deren Genpro- dukte hauptsächlich auf kompletten 42-nm-Dane-Partikeln exprimiert sind und somit indirekte Marker der Virusreplikation darstellen. Die PräS-Gen-Region enthält eine Rei- he von wichtigen genetischen Infor- mationen (12). Hier liegt das Re- tentionssignal für das endoplasmati- sche Retikulum, der PräS2/S-Pro- motor, die direkte und die indirekte Bindungsstelle für die Anheftung des Virus an die Wirtszelle. Schließ- lich spielen die PräS-codierten Hüllproteine aufgrund ihrer starken Immunogenität eine äußerst wichti- ge Rolle in der Entwicklung der Im- munantwort.
Es konnten MHC-I-restringier- te zytotoxische T-Zell-Klone gegen Abbildung 2: Genetische Organisation des Hepatitis- B-Virus (Subtyp ayw); EcoRI: Schnittstelle der Re- striktionsendonuklease EcoRI, vereinbarungsgemäß Beginn der Numerierung des HBV-Genoms; GRE:
Glucocorticoid Responsive Element (engl.) Glukokor- tikoid-Antwortelement; Enh: Enhancer (engl.) Trans- kriptionsverstärker; DR: Direct Repeat (engl.) Direk- te Sequenzwiederholung; prom.: Promoter, Bin- dungsstelle der RNA Polymerase, aa: amino acid (engl.) Aminosäure
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994 (71) A-3289
Replikation Integration
HBV-DNA +
PräC/C-Mutanten (+) (+)
Verlauf einer chronischen Hepatitis B mit Serokonversion
HBV-DNA ++
•
komplette Urionen•
22 nm-HBsAg-Partikel PTJahre HBeAg
Anti-HBe
Replikation einer anti-HBe-positiven chronischen Hepatitis B im Verlauf
Anti-HBe .111•
Jahre o
• • •
•
537 141 Gag
a-Globin
1,16 x 10-3 3,94 x 10 -9 MMLV
Säugetiere
Virus/Tier Leserahmen Anzahl der Codons
Substitutionen pro Nukleotid
und Jahr
4,57 x 10-5 7,62 x 10 -5 5,75 x 10 -5 5,54 x 10 -5 7,9 x 10 -5
HBV P
PräS S X
843 163 259 212 154
Tabelle 1: Variabilität der verschiedenen Hepatitis-B-Virus-Genregionen
Orito et al., 1989 Okamoto et al., 1987
MEDIZIN DIE UBERSICHT
Abbildung 3: a) Verlauf einer chronischen Hepatitis B mit Serokonversion von HBeAg zu anti-HBe b) Verlauf einer anti-HBe-positiven chronischen Hepatitis B mit flukturierender Virusreplikation
die PräS2-Region identifiziert wer- den. MHC-II-restringierte T-Hel- ferzellen und B-Zellen sind wieder- um überwiegend gegen Epitope der Oberflächenproteine gerichtet.
Dies ist besonders für die Eliminati- on zirkulierender Viruspartikel be- deutsam. Bei Schimpansen, die mit präS2-kodierten Peptiden immuni- siert wurden, konnte ein HBV- Impfschutz erreicht werden. Eben- so zeigt sich, daß die PräS-Proteine wesentlich immunogener als das HBsAg alleine sind und eine Immu- nisierung mit mittlerem Hüllprotein das Nicht-Ansprechen auf die Im-
munisierung mit kleinem Hüllpro- tein umgehen kann.
Kürzlich gelang es unserer Ar- beitsgruppe, aus dem Serum eines Patienten mit einer chronischen Hepatitis B und einem hepatozel- lulären Karzinom durch PCR mit präS-spezifischen Primern und anschließender Klonierung und Se- quenzierung unterschiedliche He- patitis-B PräS-Varianten zu identifi-
zieren, wobei die dominante Virus-
population eine Deletion in den vorbeschriebenen, funktionell wich- tigen Bereichen des PräS-Gens auf- wies (11).
Mittlerweile konnten wir weite- re Fälle mit einer Mutation im Startcodon des PräS2-Gens sowie mit Deletionen in der PräS2/präS1- Übergangssequenz identifizieren.
Diese Mutationen fanden wir bei Patienten mit chronischer Hepatitis B nicht nur im Serum, sondern auch in Lymphozyten und im Leberge- webe. PräS-Mutanten sind inzwi- schen weltweit, nicht nur in Süd- ostasien, sondern auch in Mittel- und Südeuropa, beschrieben. In der Arbeitsgruppe von Prof Brkhot, Institut Pasteur, Paris, wurde erst- mals bei Patienten im Langzeitver- lauf die selektive Anreicherung der Hepatitis-B-präS-Mutanten bei gleichzeitigem völligen Verschwin- den des Wildtyps beobachtet (21).
Mutationen in der PräC/C-Gensequenz
Serologisch sind bei der chroni- schen Hepatitis B zwei Phasen zu differenzieren (Abbildung 3a):
> die replikative Frühphase mit Nachweis von HBsAg, HBeAg und HBV-DNA mit gleichzeitigem Nachweis von pathologischen Trans- aminasen sowie
> die nicht replikative Spät- phase mit Nachweis von anti-HBe A-3290 (72) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994
~! ;:~! D1
1. wild type t .• ; -• 2. mutant • 1896 G : ... : ~--~ 1896 A
-
A - ... --=
c- =-J
G T...
--~ .-:= .... .. :·. ..:-·- 1.
1; ~-- ·- =-·- =:·. ·-
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- - - .
- -
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. . .
. . . . ::
.
Abbildung 4: Nochweis von HBV-Wildtyp (links) und einer Stopcodonmutotion (Nt. 1896 G~A, rechts) mit Hilfe der direkten Festphosensequenzierung von PCR-Produkten aus der HBV-PräC/C-Region bei negativer HBV-DNA und nor- malen Transaminasen.
Bei etwa zwei bis fünf Prozent der Fälle jedoch kann auch nach der Serokonversion zu anti-HBe die Vi- rusreplikation erneut einsetzen (Abbildung 3b) (2). Meist werden bei diesen Patienten dann PräC/C- Genvarianten im Serum und in der Leber, zum Teil auch in mononu- kleären Zellen des peripheren Blu- tes identifiziert (16). Die mit Ab- stand häufigste HBV-Variante im PräC/C-Genbereich stellt eine Stopcodon-Mutation (GA Transiti- on an Nt. 1896/1897, Subtyp adw, Abbildung 4) am 3'-Ende des PräC- Gens dar (4). Diese Punktmutation ruft einen Abbruch der Translation des PräC/C-Vorläuferproteins (p25c) als Vorstufe des sezernierten und membrangebundenen HBeAg hervor. Die HBeAg-Produktion ist somit blockiert, während die Virus- vermehrung selbst unbeeinflußt bleibt. Der Nachweis dieser Mutan- tenformen kann mit Hilfe der direk- ten Festphasensequenzierung von
DIE ÜBERSICHT
M K1 K2 K3 1A 18 2A 28 3A 38 4A 48 M
408 b p - wt.
408 bp mut.
Abbildung 5: Nichtradioaktive Identifizierung eines HBV-PräC-Stopcodons (G~A-Transition om Nt. 1896 [adw]) mit der mutationsspezifischen PCR. Do die separat amplifizierten PCR-Produkte aus einem Serum die- selbe Länge haben, trugen wir sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf das Agarsegel auf. M = 123 bp-Lei- ter, Kl 0 Wildtypkontrolle, K2 = Mutationskontrolle, K3 = H20-Kontrolle, 1-4 = mutationsspezifisch amplifi- zierte Virus-DNA aus den Patienten-Seren, jeweils vor (Al und noch (8) IFN-Therapie
PCR-Produkten und durch alterna- tive indirekte Verfahren, wie muta- tionsspezifische PCR (Abbildung 5), Oligonukleotidhybridisierungen, einfach und sicher durchgeführt werden.
Bei etwa vier Fünftel der Pati- enten mit anti-HBe-positivem HBV-Status zeigen eigene Sequen- zierungsuntersuchungen Mutatio- nen im PräC/C-Bereich (13). Neben Stopcodonmutationen existieren vielfach Startcodonveränderungen (Nt. 1814-1816 Subtyp adw) und Leserastervarianten, welche die
1896 1899 1936 1939
G•A G•A T•C G•C
40
30
~ ,!!,
;;20
Q >
..
X
10
+/wt +/wt
+ +
0 12
HBeAg-Synthese verhindern, im Gegensatz zu zahlreichen "Mis- sense"-Mutanten, deren Bedeutung für die HBV-Biologie erst noch ge- klärt werden muß.
Im natürlichen Verlauf einer chronischen Hepatitis B werden solche Varianten häufig nach einer Serokonversion von HBe-Ag zu an- tiHBe (Abbildung 6) (20) nachge- wiesen. Bei einer Patientin mit anti- HBe-positivem, chronischem HE- sAg-Trägerstatus beobachteten wir im Gefolge einer anti-tuberkulosta- tischen Therapie die Reaktivierung
+/wt +/wt +/wt
+ + + +
+ + + +
+/wt 120
100 anti-HBe +
80
60 Ii: ~ 5I 40
20
. ' 0
24 36 48
Monate
*
HBV-DNA (pg/ml) -*· SGPT (U/1)Abbildung 6: Entstehung von HBV-prä-C/C-Mutonten im natürlichen Verlauf einer chronischen Hepatitis B Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994 (73) A-3291
Abbildung 7: Reaktivierung einer Prä-C/C-Stop-Co- don (Nd. 1896)- HBV-Vorionte bei chronischer He- patitis B noch tuberkulostotischer Therapie
der Virusreplikation. Die HBV-Se- quenzierung erbrachte den Nach- weis eines HBV-Prä-C/C-Stopco- dons (Abbildung 7).
Nach spontaner Normalisie- rung der Transaminasen und Sistie- ren der HBV-Replikation reakti- vierte die Erkrankung erneut mit einer akuten Hepatitis mit Virusre- plikation.
,.,
... ,
DIE ÜBERSICHT
400
100
0 Pleuritis
(TBC)
6
+ +
1000
800
600 [
" Ii:
"'
400
200
0
12 18 24
Monato
Das Auftreten der PräC/C-Mu- tanten ist bei Patienten mit chro- nisch aktiven Hepatitiden bezie- hungsweise Leberzirrhosen ge- häuft, aber auch bei der chronisch persistierenden Form oder bei den asymptomatischen Trägern können Virusvarianten vorhanden sein (22).
Dies wird mittlerweile auch durch zahlreiche Untersuchungen aus al- len geographischen Regionen der Welt bestätigt. Daneben herrschen HBV-Varianten allerdings auch bei fulminanten Verlaufsformen vor (18). So ließ sich anhand einer Me- taanalyse von fünf Studien zeigen, daß in 40 von 44 Fällen fulminanter B-Hepatitiden PräCore-Mutanten vorhanden waren, während bei der ausheilenden, akuten Verlaufsform keine PräCore-Varianten auftraten.
+ HBV-ONA (pg/ml) ·*· SGPT (U/1)
Ein besonderes klinisches Pro- blem der PräCore-Mutanten stellt
1857 T•C + +/wt +
1896 G•A +/wt
1897 G•A + +/W! +
1899 G•A +/wt
1924 C•A +/wt +/wt
500
400
~300
:;
""
z
0 ~ 200-
IFN 100
0
deren Behandlung dar. Exempla- risch wird dies verdeutlicht bei ei- nem Patienten mit einer fluktu- ierenden replikativen anti-HBe-po- sitiven chronischen Hepatitis B und histologischem Nachweis emer chronisch aktiven Hepatitis.
Im Rahmen einer sechsmonati- gen a-Interferontherapie zeigte sich ein komplettes Ansprechen mit Verschwinden der HBV-DNA aus dem Serum bereits innerhalb eines Monats mit deutlich verbesserter Leberhistologie nach Ende der Therapie (Abbildung 8). Jedoch in- nerhalb eines Jahres nach der Be-
+ + + +
+ + + +
+/wt + + +
1200
*
1000
~ 800
600 2
Ii:
~ g
"'
400200
* ·
0
0 6 12 18 24
Monate
+ HBV-DNA (pg/ml) * SGPT (U/1)
A-3292 (74) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994
handlung trat eine Reaktivierung mit einer akuten Hepatitis mit posi- tiver HBV-DNA und Nachweis der PräC/C-Mutanten auf.
Derartige Reaktivierungen werden sowohl kurzzeitig nach Ab- setzen der Therapie beobachtet, können sich aber auch unter Fort- schreiten der Erkrankung erst nach einem mehrjähigen inaktiven Inter- vall manifestieren. Dies weist auf die pathogenetische Bedeutung der HBV-Mutanten hin. Im Rahmen ei- ner Pilotstudie in unserer Klinik wurden insgesamt 18 anti-HBe-po- sitive Patienten mit chronischer He- patitis B mit Interferon therapiert.
Die komplette Ansprechrate unter Therapie war hoch (89 Prozent), in den übrigen Fällen fand sich zumin- dest ein partieller Response mit Re- duktion der Transaminasen. Ein Jahr nach Therapie erfolgte jedoch die Krankheitsreaktivierung bei 14 von 18 Fällen (78 Prozent).
Entsprechend den Gensequenz- analysen handelte es sich hierbei in zwei Fällen um reine HBV-Wildtyp- infektionen, bei zwölf Patienten konnten hingegen die PräCore-Mu- tanten identifiziert werden, darun- ter in sechs Fällen als Mischpopula- tion mit Wildtyp-Hepatitis-B-Viren.
Diese Erfahrungen werden durch internationale Studien bestätigt (3, 8, 14, 15).
Abbildung 8: Reaktivierung einer chronischen, anti·
HBe-positiven Hepatitis B nach Interferon-Therapie
Perspektiven
CD Die Bedeutung der Virusva- riationen für die Leber der Patien- ten ist weiterhin unklar. Daß bei solchen Patienten mit Stopcodon- mutanten das HBeAg im Leberge- webe zumindest exprimiert werden kann, wirft die Frage auf bezie- hungsweise bestätigt, daß es sich häufig um Mischpopulationen zwi- schen Wildtyp und Mutante han- delt. Möglicherweise ist die Wild- typpopulation notwendig, um De- fektfunktionen von Virusvarianten zu komplementieren. Wir haben dies bei einer Reihe von anti- HBe-seropositiven Patienten mit HBe-minus-Mutanten in Serum und Leber untersucht. In zwei die- ser Fälle ließ sich die Expression des HBeAg sowie des PräC-Peptids in der Leber immunhistologisch nachweisen (7). Bei weiteren Fällen ließ der HBV-PräC/C-Genotyp im Serum aber durchaus Rückschlüsse auf das HBeAg/PräC-Peptid-Ex- pressionsmuster in der Leber zu, wie zum Beispiel bei einem Patien- ten, dessen ausschließlich vorhan- dene HBV-Leserastervariante we- der mit der Synthese des HBeAg noch des PräC-Peptids vereinbar ist. Welche Rolle die mögliche Ex- pression des PräC-Peptides als ein aberrantes Protein für die Zellschä- digung im Gewebe spielen kann, muß in Zukunft eingehender unter- sucht werden.
® Die Frage, ob und in welcher
Weise HBV-Varianten auf moleku- larer Ebene die Pathogenese beein- flussen, ist Gegenstand aktueller und zukünftiger Forschungen. Die Transfektion klonierter HB V-Ge- nome voller Länge in permissive Zellen wird auch darüber Auskunft geben, ob
... einheitliche Mutantenpopu- lationen überhaupt voll replikati- onskompetent sind,
... ob und welche neuen Protei- ne von ihnen synthetisiert werden und
..,.. wie sich die durch Mutation neu erworbenen Eigenschaften auf den Stoffwechsel der Wirtszelle aus- wirken.
@ Die fehlende Korrelation der Virusvariabilität zum Schädi-
DIE ÜBERSICHT
Tabelle 2: Nochweis und Auswirkungen von Mutanten mit unterschiedlicher Lokalisation im HBV-Genom- HBV-Mutonten: Faktoren der Viruspersistenz
Gen Mutationsfolge Bedeutung
s
Verlust der "a"-Determinante ~präS Verlust von Bn'-Zellepitopen ~ Fluchtmutanten Verlust der PräS2-Promotorregion
Inaktivierung des PräS2-Startcodons
präC/C Verlust des HBeAg ~
c
Verlust von T-Zellepitopen ~p Verlust der Polymerase
X ?
gungsmuster der Leber wirft die Frage auf, welche Rolle die zellulä- re Immunantwort für das Ergebnis einer Infektion mit HBV-Mutanten spielt. Die Ergebnisse internationa- ler Arbeitsgruppen belegen, daß fast alle Patienten im Rahmen der akuten Hepatitis B ausgeprägte spezifische Immunantworten auf N ukleokapsidproteine aufweisen (9). In unserer Arbeitsgruppe wird mit Hilfe rekombinanter HBV-Pro- teine die Proliferation von mononu- kleären Zellen des peripheren Blu- tes (PBMC) und direkt aus der Le- ber als Maß für die zelluläre Ant- wort gegen das Hepatitis-B-Virus bei Patienten mit Wildtyp- und mit Mutanteninfektionen gemessen (19). Erste Ergebnisse zeigen, daß es zu einer Proliferation von HBc/HBeAg-spezifischen T-Zellen auch bei Patienten mit HBe-minus- Mutanten kommt.
Im Rahmen der Virus-Serie im Deutschen Ärzteblatt sind bisher erschienen:
1. Zur Hausen H: Krebsentste- hung durch Infektionen - ein wichtiger, noch wenig beachte- ter Sektor der Krebsforschung 91 (1994): A-738-740 [Heft 11]
2. Bialasiewicz A, Jahn GJ: Au- genbefunde bei Virusinfektio-
Replikationsdefekt
?
Die Autoren danken den beiden MTAs Frau S.
Jakobs und Frau S. Mies für die ausgezeichne- te technische Mitarbeit. Die Arbeit wurde un- terstützt durch die DFG SFB 31 1, A 13
De~---
J(rzteblatt
91 (1994) A-3288-3293 [Heft 47]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Priv.-Doz. Dr. med. Guido Gerken I. Medizinische Klinik und
Poliklinik
Johannes-Gutenberg-Universität Langenheckstraße 1
55131 Mainz
nen außer AIDS, 91 (1994): A- 905-914 [Heft 13]
3. Zur Hausen H: Papillomvi- rusinfektionen als Ursache des Gebärmutterhalskrebses 91 (1994): A-1945-1948 [Heft 28/29]
Abschließend werden in den nächsten Heften zwei weite- re Beiträge zu den Themen "In- fektionen mit dem Epstein-Barr- Virus" und "Viren und Arthri-
tis" erscheinen. MWR
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994 (75) A-3293