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ir sollten in die Schulen gehen und den Kin- dern beibrin- gen, viel Obst und Gemü- se zu essen“, so brachte Prof. Michael Hill das A und O der Krebspräven- tion auf den Punkt. Der Wissenschaftler arbeitetfür die European Cancer Prevention Organization in Slough (Großbritan- nien). Wie er erklärte, hat man vie- le der schützenden Substanzen in pflanzlicher Nahrung identifiziert.
Sie lassen sich in vier Gruppen ein- teilen:
1. Vitamine und Provitamine 2. andere Mikronährstoffe (zum Beispiel Selen, Zink, Kalzium)
3. Ballaststoffe und verwandte Substanzen
4. „Anti-Karzinogene“ (Indole, Polyphenole, Flavonoide etc.).
Die meisten von ihnen verhin- dern nach Angaben des Wissenschaft- lers eher die Krebsinitiation als die Progression. Deshalb sei es wichtig, in jungen Jahren mit einer gesunden Ernährung zu beginnen.
Beispiel Darmkrebs
Eines der zentralen Themen war das Kolonkarzinom, weil relativ viele schützende und schädliche Faktoren dieser Erkrankung bekannt sind. Bei der Chemoprävention unterscheiden die Experten zwischen Maßnahmen für die Gesamtbevölkerung und sol- chen für Hochrisiko-Gruppen. In be- zug auf Darmkrebs weiß man recht genau, was jeder einzelne zur Vorbeu- gung tun kann. Wie aus mehreren Vorträgen hervorging, wirkt neben viel Obst und Gemüse auch Getreide (Vollkornnahrung) positiv. Laut Prof.John Potter vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle ist sportliche Betätigung ebenfalls nütz-
lich. Das gilt vor allem für Männer, bei Frauen war der Effekt schwächer.
Außerdem haben nach seinen Angaben Meta-Analysen gezeigt, daß bei der westlichen Ernährungs- weise nicht so sehr der hohe Fettan- teil schadet, sondern vielmehr der Verzehr von rotem Fleisch (im Ge- gensatz zu Geflügel und Fisch). Auch die Zubereitungsart spielt eine Rolle.
Als besonders gefährlich gilt scharf angebratenes und gegrilltes rotes Fleisch.
Seit einiger Zeit gibt es Hinwei- se darauf, daß Aspirin möglicherwei- se die Entstehung von Darmkrebs verhindert. Wie Dr. Peter Boyle vom European Institute of Oncology in Mailand erklärte, wurde dies jedoch durch eine prospektive Studie (mit amerikanischen Ärzten) nicht be- stätigt. „Vielleicht ist ein längerer Beobachtungszeitraum nötig“, er- klärte er die Diskrepanz zu früheren Ergebnissen (siehe DÄ 44/1996).
Wie auch andere Wissenschaftler wies er darauf hin, daß der Nutzen und die Risiken bei Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung we- gen der langen Dauer solcher Maß- nahmen zuvor genauestens abgeklärt werden müßten.
Hochrisiko-Gruppen
Prof. Jean Faivre (Universität Dijon) gab einen Überblick über ver- schiedene Interventionsstudien mit Personen, bei denen ein besonderes Risiko der Entstehung von Kolorek-talkarzinomen bestand, entweder weil man bei ihnen Adenome gefun- den hatte oder weil sie unter familiä- rer Polyposis (FAP) litten. Vitamine und Antioxidanzien wie Beta-Karo- tin oder die Vitamine C und E hatten keinen Effekt. Das Wachstum von Adenomen ließ sich dagegen an- scheinend durch eine Ernährung hemmen, die viel Ballaststoffe und/oder wenig Fett enthielt. Nicht einzelne Bestandteile von Obst und Gemüse sind für deren schützende Wirkung verantwortlich, sondern das Zusammenspiel vieler verschiedener Stoffgruppen. Oder, wie es einer der Anwesenden prägnant formulierte:
„Frisches Gemüse kann nicht durch Vitamin-Tabletten ersetzt werden.“
Synthetische Stoffe
Wie sieht es mit der Wirksamkeit synthetischer Substanzen aus? Außer Aspirin sind auch nichtsteroidale An- tirheumatika als Mittel zur Chemo- prävention von Darmkrebs in der Diskussion. Ein Beispiel ist Sulindac, das zunächst als Rheumamittel konzi- piert war. Zufällig beobachtete man 1983 bei Polyposis-Patienten, daß es antiproliferativ wirkt. Dr. Günther Winde von der Klinik für Allgemeine Chirurgie in Münster berichtete über die Ergebnisse einer nicht randomi- sierten Studie. Diese Untersuchung mit kolektomisierten FAP-Patienten (28 in der Studiengruppe und zehn Kontrollpersonen) sollte ursprüng- lich der Dosisfindung dienen.Es handelt sich um die einzige Studie, bei der Sulindac nicht oral, sondern rektal verabreicht wurde.
Auf diesen Umstand führt es Winde zurück, daß in fünf Jahren nur zwei- mal Nebenwirkungen (in Form einer Gastritis) auftraten. Gleichzeitig fand man bei den Patienten der Studien- gruppe bei 78 Prozent der Adenome eine vollständige und bei 13 Prozent eine teilweise Rückbildung. In Kürze werden die Ergebnisse aus einem wei- teren, randomisierten Versuch vorlie- gen. Im Hinblick auf die Zukunft hält Winde es für denkbar, daß sich mit dem Einsatz von nichtsteroidalen An- tirheumatika bei jüngeren FAP-Pati- enten ein chirurgischer Eingriff hin- ausschieben läßt. Dr. Ingrid Glomp A-216 (28) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 5, 31. Januar 1997
P O L I T I K MEDIZINREPORT