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Archiv "Gebären ist keine Krankheit" (06.04.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DAS BESONDERE BUCH

V

or etwa fünf Jahren ging eine Welle von Berichten durch die Presse, die die Geburt im Sit- zen (und in manchen anderen La- gen, nur nicht im Liegen) propa- gierten. Ihren Ursprung hatte jene Welle in der IV. Fachkonferenz der Arbeitsgemeinschaft Ethno- medizin, die zum Thema „Tradi- tionelle Gynäkologie und Ge- burtshilfe" Ende 1978 in Göttin- gen tagte. Ein am Rande der Schulmedizin gelegenes, von manchem bis dahin überhaupt noch nicht zur Kenntnis genom- menes Fach, hatte für einige Auf- regung gesorgt — und zwar nicht nur in der Publikumspresse; auch namhafte Gynäkologen sinnierten fortan der Frage nach: weshalb ei- gentlich im Liegen?

Die Welle war vorüber, als 1983 der Berichtsband über jene Ta- gung erschien. Er ist gleichwohl auch heute anregend genug. Und zwar nicht allein wegen des ein- gangs geschilderten Phänomens.

Dazu sei hier lediglich festgehal- ten, daß die Geburt im Liegen, den Forschungen der Ethnomedi- ziner zufolge, tatsächlich eine

rein „westliche" Erscheinung ist und auch im Westen allenfalls 300 Jahre alt ist, also etwa mit der Her- ausbildung der heutigen Schul- medizin einhergeht. Weshalb also im Liegen? Die liegende Lage- rung auf einem erhöhten Bett er- leichtere dem Arzt die Arbeit, vor allem bei unverhofften Zwischen- fällen, sagen die Ethnomediziner.

Anregend sind die ethno-medizi- nischen Forschungen aber nicht allein ob solcher Einzelergebnis- se, sondern mehr noch aus aktu- ellen Gründen:

Wie jede die Fachgrenzen überschreitende Forschung kann sie erhellend für das eigene, ein- gefahrenen Ritualen folgende, oft nicht mehr reflektierte Handeln sein: Man erfährt, was in anderen Kulturen anders (oder genauso) gemacht wird und überprüft sei- nen Standpunkt. Um bei der Ge- burt zu bleiben — tatsächlich ist das Gebären, weil eingegliedert in

Die Zeichnung, dem Titel des hier be- sprochenen Buches entnommen, zeigt eine Geburt beim Indianerstamm der Irokesen (nach einer Abbildung aus dem Jahre 1882): Geburt im Stehen

Gebären ist

keine Krankheit

den Krankenhausbetrieb, bei uns zu einem Vorgang mit Krankheits- charakter geworden, zumindest wird es „in hochindustrialisierten modernen Kulturen als medizini- sches Ereignis betrachtet" (Sich).

Anders in traditionell orientierten Kulturen, in denen das Gebären weit mehr noch ein natürliches, ins tägliche Leben eingebettetes Ereignis ist. Weitere Parallelen sind schnell zu finden, etwa Ster- ben und Tod (übrigens das Gene- ralthema der in diesen Tagen stattfindenden VII. Internationalen Fachkonferenz Ethnomedizin in Heidelberg).

49

Die ethno-medizinischen For- schungen laufen einher mit der weitverbreiteten Bewegung für Laienmedizin und Selbstbehand- lung, denn in traditionellen Kultu- ren spielt die Behandlung durch Laien eine . besondere Rolle — al- lerdings, das sollte nicht überse- hen werden, durch erfahrene, in langen heilkundlichen Traditio-

nen stehende Laien (wenn es überhaupt gestattet ist, solche Heiler als Laien zu klassifizieren).

Ethnomedizin also als Zulieferer der Gegenkultur? Die Frage wird in dem hier vorgestellten Be- richtsband angesprochen. Sie kann Zulieferer sein; so wie die Arbeitsgemeinschaft für Ethno-

medizin sie versteht, ist sie es aber wohl nicht. Denn, manchen mißtrauischen Schulmediziner wird's überraschen, die meisten Ethnomediziner forschen durch- aus auf schulmedizinischer Basis (was bei transkultureller For- schung übrigens methodische Probleme aufwirft; aber das ist ein Thema für sich).

Mit-Herausgeber Schiefenhövel verkennt keineswegs die Leistun- gen der modernen Geburtshilfe und Perinatologie, er fragt ledig- lich: „Könnte man durch eine ge- wisse Zurücknahme der tech- nisch-apparativen Entbindungs- praktiken und eine stärkere Be- rücksichtigung der biologischen Eigensteuerung der Geburt und der basalen Bedürfnisse der Ge- bärenden ... nicht auch gleich gute Erfolge ... erzielen?" Er weist aber auch ehrlich auf das „a priori nicht präzise abschätzbare Risiko" alternativer Formen der Geburtshilfe hin. Diese sei wohl nur dann praktizierbar, „wenn die Frauen bereit sind, Verantwor- tung für solche Fälle zu tragen, in denen ihr Neugeborenes oder sie selbst Schaden erleiden."

Das ins Stammbuch derer, die's sowohl sanft wie bei den India- nern als auch sicher wie in der Hochleistungsklinik haben wol- len! Norbert Jachertz Wulf Schiefenhövel, Dorothea Sich (Hrsg.): Die Geburt aus ethno-medizini- scher Sicht, Vorwort von Heinz Kirchhoff (Göttingen), 1983, curare Sonderband, Verlag Friedrich Vieweg & Sohn, Wies- baden, 229 Seiten kartoniert, 48 DM Frau Sich hat das Thema zudem auch monografisch behandelt — am Beispiel Koreas, wo sie ausgiebige Feldforschun- gen betrieben hat. (Sich: Mutterschaft und Geburt im Kulturwandel, 1982, Ver- lag Peter Lang, Frankfurt am Main/Bern, 313 Seiten, kartoniert, sFr. 39)

1054 (24) Heft 14 vom 6. April 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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