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Schmelzen von anisotropen kolloidalen Kristallen in zwei Dimensionen

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Schmelzen von anisotropen kolloidalen Kristallen in

zwei Dimensionen

Dissertation

zur Erlangung des akademischen Grades des Doktors der Naturwissenschaften an der

Universit¨at Konstanz, Fachbereich Physik vorgelegt von

Christoph Eisenmann

Tag der m¨undlichen Pr¨ufung: 02. 12. 2004 Referent: Prof. Dr. Georg Maret

Referent: Prof. Dr. Hans-Hennig von Gr¨unberg

(2)
(3)

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 1

1 Theoretische Grundlagen 3

1.1 Isotropes Schmelzen in zwei Dimensionen: KTHNY-Theorie . . . . 3

1.1.1 Ordnung und topologische Defekte . . . 4

1.1.2 Vorhersagen des KTHNY-Szenarios . . . 6

1.1.3 Dynamische Analyse: Lindemann-Parameter . . . 6

1.2 Anisotrope Schichten: Phasendiagramm . . . 7

1.3 Ordnung anisotroper Schichten . . . 10

1.4 Schmelzen anisotroper Gitter . . . 13

1.4.1 Typ-I-Schmelzen . . . 15

2 Experiment 19 2.1 Grundlagen . . . 19

2.2 Versuchsaufbau . . . 23

2.2.1 Regelung . . . 23

2.2.2 Datenerhebung . . . 27

2.3 Durchf¨uhrung der Experimente . . . 27

2.3.1 Strukturbestimmung . . . 27

2.3.2 Schmelzen bei kleiner Verkippung . . . 28

2.3.3 Schmelzen bei großer Verkippung . . . 29

2.4 Kettenbildung . . . 30

2.4.1 Endliche Temperatur . . . 31

2.4.2 Mehrteilcheneffekte . . . 32

2.4.3 Effekte h¨oherer Ordnung . . . 33

2.4.4 N´eelsche Relaxation . . . 34

2.4.5 Kapillarkr¨afte . . . 35

2.4.6 Vertikale Ketten: T¨urmchen . . . 36

2.4.7 Kapillarwellen und Ladungseffekte . . . 38

2.4.8 Zusammenfassung . . . 38

(4)

3.2 Definition der inversen System-Temperatur Γ . . . 44

3.2.1 Korrekturen h¨oherer Ordnung . . . 46

4 Ergebnisse f¨ur kleine Anisotropie: quasi-isotropes Schmelzen 49 4.1 Isotropes Schmelzen . . . 49

4.2 Anisotropes Schmelzen . . . 52

4.2.1 Besonderheiten bei der Auswertung . . . 52

4.2.2 Phasen¨uberg¨ange . . . 52

4.2.3 Anisotroper Lindemann-Parameter . . . 56

4.2.4 Translationsordnung . . . 58

4.2.5 Zusammenfassung . . . 59

5 Resultate f¨ur große Anisotropie: quasi-smektische Phase 61 5.1 Ordnung in der quasi-smektischen Phase . . . 61

5.2 Analyse der Defekte . . . 65

5.2.1 Stabilit¨at der quasi-smektischen Phase . . . 68

5.2.2 Bildungsenergie der Dislokationen . . . 71

5.3 Phasendiagramm . . . 72

6 Diskussion 75 6.1 Vergleich mit der Theorie . . . 75

6.2 Bezug zu anderen Arbeiten . . . 77

Zusammenfassung und Ausblick 81

Literaturverzeichnis 85

(5)

Einleitung

Der Prozess des Schmelzens ist uns aus dem Bereich allt¨aglicher Erfahrung ver- traut und wurde bereits in der Kupfersteinzeit vor gut 6 000 Jahren technisch nutzbar gemacht, um beispielsweise Kupferwerkzeuge zu gießen. Nichtsdestotrotz sind wesentliche Aspekte des Schmelz¨uberganges bis heute nicht vollst¨andig ver- standen. Da aber das Verst¨andnis von Phasen¨uberg¨angen und der Stabilit¨at be- stimmter Phasen nicht nur von grundlegendem Interesse, sondern zum Beispiel auch f¨ur die Materialwissenschaften von großer Bedeutung ist, wird noch immer intensiv daran gearbeitet, den Kenntnisstand in diesem Gebiet zu verbessern. Ins- besondere Phasen¨uberg¨ange in zweidimensionalen Systemen sind wissenschaftlich und technologisch von immer gr¨oßerer Tragweite, da viele biochemische und tech- nische Prozesse an Oberfl¨achen stattfinden.

Seit den theoretischen Arbeiten von Kosterlitz, Thouless, Halperin, Nelson und Young (KTHNY) in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde deshalb dem Schmelzen in zwei Dimensionen eine wachsende Aufmerksamkeit zuteil. Dies beruhte unter anderem auch auf der Tatsache, dass es f¨ur mikrosko- pische Analysen von Phasen¨uberg¨angen unerl¨asslich ist, die Positionen einzelner Teilchen bestimmen zu k¨onnen. Dies war lange Zeit f¨ur zweidimensionale Systeme experimentell wesentlich einfacher zu realisieren als f¨ur dreidimensionale. Ganz entscheidend f¨ur das große Interesse an zweidimensionalem Schmelzen war aber vor allem die Erkenntnis, dass die Einschr¨ankung der Dimensionalit¨at spezielle Formen von Phasen¨uberg¨angen hervorruft und die Existenz einer dem Zweidi- mensionalen eigent¨umlichen Phase bewirkt.

Die Grundidee der KTHNY-Theorie beruht auf der Annahme, dass die mi- kroskopische Ursache des Schmelzprozesses in der Entstehung von Defekten, so- genannten Dislokationen und Disklinationen, zu suchen ist. Dabei ist das Auf- treten eines jeden Defekttyps mit dem Verlust einer bestimmten Art von Ord- nung verbunden. So zerst¨oren etwa die Dislokationen die Translationsordnung, die Disklinationen hingegen sowohl die Translations- als auch die Orientierungs- ordnung. Treten nun die Disklinationen erst bei einer h¨oheren Temperatur auf als die Dislokationen, so ist eine Phase vorstellbar, die hinsichtlich Orientierung besser geordnet ist als bez¨uglich Translation. Gem¨aß diesem KTHNY-Schmelz- Szenario durchl¨auft ein zweidimensionaler Kristall also zwei Phasen¨uberg¨ange, bis der Zustand einer isotropen Fl¨ussigkeit erreicht wird. Die dabei auftretende

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intermedi¨are Phase mit unterschiedlicher Orientierungs- beziehungsweise Trans- lationsordnung wird “hexatische Phase” genannt.

Den theoretischen Vorhersagen folgte ein etwa 30 Jahre andauernder Disput von Experimental- und Simulationsphysikern ¨uber das Schmelzverhalten zweidi- mensionaler Kristalle. Inzwischen ist aber die Existenz der hexatischen Phase ex- perimentell f¨ur einige Systeme zweifelsfrei bewiesen worden. Insbesondere konnte auch die enge Verkn¨upfung zwischen der Ordnung der jeweiligen Phase und dem Auftreten genannter Defekte gezeigt werden.

In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie sich eine Anisotropie des Wechselwirkungspotentials auf das Schmelzverhalten in zwei Dimensionen aus- wirkt. Hierzu wurde ein System kolloidaler, superparamagnetischer Teilchen ver- wendet, die sich auf einer Wasser-Luft-Grenzfl¨ache bewegen k¨onnen und deren Magnetisierung mit Hilfe eines externen magnetischen Feldes kontrolliert werden kann. Die St¨arke der daraus resultierenden Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen den Teilchen l¨asst sich somit einfach regulieren und dazu verwenden, den Aggre- gatzustand des kolloidalen Systems gezielt zu beeinflussen. Dar¨uber hinaus l¨asst sich die Anisotropie der Wechselwirkung variieren, indem die Richtung des exter- nen Feldes bez¨uglich der Teilchenebene ver¨andert wird. Dies erlaubt das Schmel- zen kolloidaler Kristalle mit Kristallgittern unterschiedlich großer Anisotropie.

Die Positionen der Kolloide k¨onnen w¨ahrend des Schmelzvorganges mittels Vi- deomikroskopie ermittelt werden. Dadurch ist es nicht nur m¨oglich, die lokale Ordnung des Systems zu analysieren, sondern auch die Bildung einzelner Defekte zu beobachten.

Da die Anisotropie der Wechselwirkung von der Richtung des externen Ma- gnetfeldes herr¨uhrt und somit dem System von außen eine Vorzugsrichtung auf- gepr¨agt wird, war damit zu rechnen, dass die Orientierungsordnung des Systems mit zunehmender Anisotropie verbessert und damit die hexatische Phase stabili- siert wird. Um dies zu ¨uberpr¨ufen, wurden die Phasen¨ubergangstemperaturen f¨ur Kristalle unterschiedlicher Anisotropie bestimmt. Zudem wurde untersucht, wie sich die Anisotropie der Wechselwirkung auf die Orientierung der f¨ur das Schmel- zen verantwortlichen Defekte auswirkt. Schließlich stellte sich die Frage, ob es f¨ur große Anisotropie einen Bereich gibt, in dem die Wechselwirkung zwischen den Teilchen entlang einer Richtung so klein wird, dass das System schmilzt, wohin- gegen die Repulsion senkrecht zu dieser Richtung noch immer ausreicht, um eine kristallartige Ordnung aufrecht zu erhalten.

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1 Theoretische Grundlagen

1.1 Isotropes Schmelzen in zwei Dimensionen:

KTHNY-Theorie

Dass die Dimensionalit¨at eines Systems sein Schmelzverhalten fundamental ver¨andern kann, sieht man bereits an der Tatsache, dass im Gegensatz zu einem dreidimensionalen Kristall das zweidimensionale Pendant keine langreichweitige Translationsordnung besitzt: Bereits 1935 hatte Peierls [1] argumentiert, dass die- se durch das Vorhandensein langwelliger Phononen gebrochen wird; 1968 wurde diese Vermutung durch Mermin [2] bewiesen. Dass dabei trotzdem langreichwei- tige Orientierungsordnung vorliegt – und man somit dennoch von einem Kristall spricht –, ist explizit nur auf Grund der Zweidimensionalit¨at m¨oglich.

1972 schlugen Kosterlitz und Thouless [3, 4] in Anlehnung an eine Arbeit von Nabarro [5] vor, zweidimensionale Systeme ohne langreichweitige Transla- tionsordnung1mittels einer “topologischen Ordnung” zu beschreiben: W¨ahrend in einem “harten” Kristall topologische Defekte lediglich in Form von Dislokations- paaren aus zwei Dislokationen mit entgegengesetztem Burgers-Vektor vorliegen, dissoziieren diese Paare in der N¨ahe des Phasen¨ubergangs in freie Dislokationen.

Halperin, Nelson und Young [6, 7, 8] nahmen diese Idee auf und entwickelten eine Theorie des defekt-vermittelten zweidimensionalen Schmelzens f¨ur hexagona- le Kristalle. Nach dieser durchl¨auft ein zweidimensionaler Kristallzweikontinuier- liche Phasen¨uberg¨ange, bis er den Zustand einer isotropen Fl¨ussigkeit erreicht: In einem ersten Phasen¨ubergang dissoziieren die Dislokationspaare in freie Disloka- tionen. Dabei geht die zuvor vorhandene quasi-langreichweitige Translationsord- nung verloren, wohingegen aus der langreichweitigen Orientierungsordnung eine quasi-langreichweitige wird. Die resultierende Phase wird “hexatisch” genannt.

Die Dissoziation der Dislokationen in Disklinationen bewirkt einen zweiten Pha- sen¨ubergang, der auch die Orientierungsordnung zerst¨ort und das System in die isotrope Fl¨ussigkeit ¨uberf¨uhrt. Diese Theorie wird im allgemeinen alsKosterlitz- Thouless-Halperin-Nelson-Young-Szenario (KTHNY) bezeichnet.

1Sie dachten dabei an dasxy-Modell f¨ur Magnetismus, den Phasen¨ubergang fest–fl¨ussig sowie neutrale Superfluide.

(8)

Die Reaktion auf diese theoretischen Vorhersagen war eine Vielzahl an Expe- rimenten und Simulationen mit dem Ziel, die Natur des zweidimensionalen Pha- sen¨uberganges zu kl¨aren. W¨ahrend Experimente an unterschiedlichen Systemen (Fl¨ussigkristallschichten [9], Elektronen auf fl¨ussigem Helium [10] und auf Gra- phit adsorbierte Gase [11]) zumindest Teilaspekte des KTHNY-Szenarios zeigten (eine guten ¨Uberblick findet man in Referenz [12]), waren die Ergebnisse von Simulationen harter Scheiben lange Zeit kontrovers [13, 14]. Jaster hat allerdings k¨urzlich in Monte-Carlo-Simulationen mit 1 0242 harten Scheiben eine hexatische Phase gefunden [15].

Als am vielversprechendsten erwiesen sich jedoch Experimente mit kolloida- len Systemen, deren Hauptvorteil darin besteht, dass sie mit Hilfe gew¨ohnlicher Lichtmikroskopie “atomare” Aufl¨osung – etwa der topologischen Defekte – gestat- ten. Die ersten Versuche in dieser Richtung stammen von Pieranski et al.[16, 17]

sowie Clark et al. [18]. Murray et al. [19] gelang der erste qualitative Nachweis des KTHNY-Schmelzens mit elektrisch geladenen submikrometergroßen Kolloi- den zwischen zwei Glasplatten. Zahn et al. entwickelten schließlich ein System aus Kolloiden an einer Wasser-Luft-Grenzfl¨ache mit magnetischer Dipol-Dipol- Wechselwirkung [20, 21, 22]. Mit diesem konnten wesentliche Vorhersagen der KTHNY-Theorie quantitativ best¨atigt werden [23, 24, 25, 26].

1.1.1 Ordnung und topologische Defekte

Neben einer Reihe weiterer und deutlich seltener auftretender Defekte (verglei- che zum Beispiel die Arbeit von Pertsinidis [27]), spielen im Wesentlichen die folgenden drei Defekte die entscheidende Rolle beim Schmelzen2:

Disklination: Unter einer Disklination versteht man ein einzelnes Teilchen mit f¨unf oder sieben n¨achsten Nachbarn (f¨unffach beziehungsweise sieben- fach koordiniertes Teilchen).

Dislokation: Ein f¨unffach und ein siebenfach koordiniertes Teilchen bilden zusammen eine (freie) Dislokation. Einer Dislokation l¨asst sich ein Burgers- Vektor zuordnen (vergleiche Abbildung 1.1).

Dislokationspaar: Zwei freie Dislokationen mit entgegengesetztem Burgers- Vektor k¨onnen eine Bindung eingehen und formen dann ein Dislokations- paar.

Eine Dislokation beeinflusst die Orientierungsordnung nur in unmittelbarer N¨ahe des Defekts: Wie im linken Teil von Abbildung 1.1 zu sehen ist, haben die Bindungen von Teilchen nur wenige Gitterkonstanten von einer Dislokation

2Die Definitionen beziehen sich auf ein System mit hexagonaler Symmetrie, in dem ein de- fektfreies Teilchen sechs n¨achste Nachbarn besitzt.

(9)

1.1: Isotropes Schmelzen in zwei Dimensionen: KTHNY-Theorie

Abbildung 1.1: Gitterdefekte in einem zweidimensionalen hexagonalen Gitter. Links eine Dislokation, bestehend aus einem f¨unffach und einem siebenfach koordinierten Teil- chen: An dem f¨unffach koordinierten Teilchen endet eine zus¨atzliche Gitterlinie.bist der der Dislokation zugeordnete Burgers-Vektor. Die Orientierung der Kristallachsen bleibt im Wesentlichen erhalten (man vergleiche die Orientierung der Bindungen in den beiden umrandeten Sechsecken), wohingegen die langreichweitige Translationsordnung verlo- ren geht. Rechts eine Disklination: Das isolierte f¨unffach koordinierte Teilchen zerst¨ort die Orientierungsordnung, die Bindungen der beiden markierten Sechsecke zeigen nun in unterschiedliche Richtungen. Abbildung entnommen aus [13].

entfernt bereits wieder dieselbe Orientierung (etwa in den beiden markierten Sechsecken). Die Translationsordnung hingegen ist langreichweitig gest¨ort, da an dem f¨unffach koordinierten Teilchen eine Gitterlinie endet. Eine Dislokation wird durch ihren Burgers-Vektor charakterisert. Um diesen zu ermitteln, wird um eine Versetzungslinie ein beliebiger geschlossener Umlauf im Uhrzeigersinn als Vek- torkette der Basisvektoren des Gitters durchgef¨uhrt und mit einem exakt korre- spondierenden Umlauf im ungest¨orten Ideal- oder Referenzgitter verglichen. Der Vektor, der n¨otig ist, um den Umlauf zu schließen, ist gerade der Burgers-Vektor (im Falle eines idealen Defektes ist dieser gleich einem Gittervektor). Umschließt ein solcher Umlauf zwei Dislokationen entgegengesetzten Vorzeichens, addieren sich die beiden Burgersvektoren zu Null: Dislokationspaare k¨onnen die Transla- tionsordnung also nicht v¨ollig zerst¨oren.

Auf der rechten Seite von Abbildung 1.1 ist eine Disklination (hier am Bei- spiel eines f¨unffach koordinierten Teilchens) gezeigt. Die f¨unfz¨ahlige Symmetrie des Defektes bewirkt, dass die Bindungen unterschiedlicher Teilchen in verschie- dene Richtungen zeigen und somit keine langreichweitige Orientierungsordnung vorhanden ist.

(10)

Ein Maß f¨ur Translations- beziehungsweise Orientierungsordnung ist die Dichte-Dichte-Korrelationsfunktion

gG(|~r−r~0|) =hexp³

i ~G·(~r−~r0

i (1.1)

beziehungsweise die Bindunsgswinkelkorrelationsfunktion g6(|~r−~r0|) = hexp³

i·6³

θ(~r)−θ(r~0)´´

i. (1.2)

Dabei ist G~ ein reziproker Gittervektor und θ(~r) der Winkel, den eine Bindung am Ort~r mit beispielsweise der x-Achse einschließt.

Unter langreichweitiger Ordnung versteht man, dass die entsprechende Kor- relationsfunktion f¨ur große Abst¨ande konstant bleibt. Quasi-langreichweitiger be- ziehungsweise kurzreichweitiger Ordnung entspricht ein algebraischer beziehungs- weise exponentieller Abfall der entsprechenden Korrelationsfunktion.

1.1.2 Vorhersagen des KTHNY-Szenarios

Wie bereits kurz erw¨ahnt wurde, ist im Rahmen des KTHNY-Szenarios das Schmelzen in zwei Dimensionen durch die Bildung von Dislokationen und Diskli- nationen induziert. Die quasi-langreichweitige Translationsordnung in einem zwei- dimensionalen Kristall ist einerseits durch langwellige Fluktuationen, andererseits – insbesondere bei h¨oheren Temperaturen – durch das Vorhandensein von Dislo- kationspaaren bedingt. Nichtsdestotrotz ist der zweidimensionale Kristall durch langreichweitige Orientierungsordnung charakterisiert. Mit steigender Tempera- tur entstehen zunehmend mehr solcher Defekte, die am Schmelzpunkt zu disso- ziieren beginnen. Der algebraische Abfall der Dichte-Dichte-Korrelationsfunktion gG wird hier durch einen kritischen Exponenten von 0.33 beschrieben. Das Sys- tem schmilzt zuerst in die hexatische Phase, die durch kurzreichweitige Translati- onsordnung und quasi-langreichweitige Orientierungsordnung charakterisiert ist.

Was deren topologische Ordnung anbelangt, liegen sowohl Dislokationspaare als auch freie Dislokationen vor, von letzteren mit weiter ansteigender Temperatur zunehmend mehr. Reicht die thermische Energie aus, die Dislokationen in Diskli- nationen zu trennen, geht in einem zweiten Phasen¨ubergang auch die Orientie- rungsordnung verloren: Beide Korrelationsfunktionen zerfallen dann exponentiell und es liegt eine isotrope Fl¨ussigkeit vor. Am Phasen¨ubergang hexatisch–fl¨ussig betr¨agt der kritische Exponent der Bindungswinkelkorrelationsfunktion g6 0.25.

1.1.3 Dynamische Analyse: Lindemann-Parameter

Als weiterer Ordnungsparameter des Phasen¨uberganges fest–hexatisch dient der zeitabh¨angige zweidimensionale Lindemann-Parameter. Das mittlere Verschie- bungsquadrat kommt f¨ur einen solchen nicht in Frage, da es in zwei Dimensionen

(11)

1.2: Anisotrope Schichten: Phasendiagramm selbst f¨ur einen Kristall auf Grund der langwelligen Fluktuationen divergiert. Be- danov et al. [28] f¨uhrten deshalb einen modifizierten Lindemann-Parameter f¨ur zwei Dimensionen ein3:

γL(t) =h(∆u~j(t)−∆u~j+1(t))2i/2a2. (1.3) Dabei ist ∆u~j(t) = u~j(t)−u~j(0) die zeitabh¨angige Verr¨uckung eines Teilchens und j+ 1 der Index eines Nachbarteilchens von Teilchenj. Im Kristall bleibtγL

f¨ur lange Zeiten endlich, w¨ahrend der Lindemann-Parameter in der hexatischen sowie in der fl¨ussigen Phase divergiert. Am Phasen¨ubergang gilt:

t→∞lim γL(t) = 0.033. (1.4)

Die folgende Tabelle fasst die erw¨ahnten Voraussagen f¨ur das zweidimensionale Schmelzen noch einmal zusammen:

Dislokationspaare Dislokationen Disklinationen gG∝ g6∝ limt→∞γL

2D Kristall × − − r−η(T), η <0.33 c <0.033 Schmelzpunkt × × − r−0.33 r−η6(T), η6 <0.25 = 0.033 hexatische Phase × × − e−r/ξ(T) r−η6(T), η6 <0.25 ∞

Phasen¨ubergang × × × e−r/ξ(T) r−0.25

Fl¨ussigkeit × × × e−r/ξ(T) e−r/ξ6(T)

1.2 Anisotrope Schichten: Phasendiagramm

Bereits 1980/81 wurde theoretisch untersucht, wie sich Anisotropie auf das zweidi- mensionale Schmelzen auswirkt [29, 30, 31] (eine kurze Zusammenfassung findet sich in [32]). Nelson und Halperin [29] verallgemeinerten die KTHNY-Theorie auf Systeme mit einem zweidimensionalen vektoriellen Ordnungsparameter, der an die Ordnungsparameter des isotropen Schmelzens koppelt. Sie dachten dabei insbesondere an D¨unnfilme von Fl¨ussigkristallen, die im bulk eine smektische C- oder H-Phase bilden, also eine Phase, bei der die molekulare Achse gegen¨uber den smektischen Schichten verkippt ist.

Ein solcher Film hat neben den Freiheitsgraden der Translation und der Ori- entierung des isotropen Systems zwei weitere Freiheitsgrade der Orientierung,

3Die verallgemeinerte zeitabh¨angige Definition stammt von Zahnet al.[23].

(12)

Abbildung 1.2: Winkel-Definition der verschiedenen Orientierungsfreiheitsgrade einer d¨unnen Schicht anisotroper Molek¨ule.

n¨amlich den Polarwinkel φ sowie den Azimutalwinkel γ der molekularen Orien- tierung (vergleiche Abbildung 1.2), wobei nur ersterer in das Hamilton-Funktional eingeht [29]:

H = 1 2kBT

Z

K6|∇θ|2+K1|∇φ|2+ 2g(∇θ)·(∇φ)d2r

−h·kBT Z

cos (6(θ−φ))d2r. (1.5)

K6 ist die Frank-Konstante f¨ur Fluktuationen in der Orientierung der Bindun- gen4,K1 beschreibt die Steifigkeit bez¨uglich Fluktuationen der Orientierung der Molek¨ule. Der Term proportional zu h beschreibt die Kopplung zwischen dem Bindungswinkelfeld θ(~r) und dem molekularen Verkippungsfeld φ(~r).

Um die Ordnung bez¨uglich der Molek¨ulverkippung zu beschreiben, l¨asst sich analog zur Bindungswinkelkorrelationsfunktion g6 (vergleiche die Definition in Gleichung 1.1) eine Verkippungswinkelkorrelationsfunktion g1 definieren5:

g1(|~r−r~0|) =hexp³ i³

φ(~r)−φ(~r0)´´

i. (1.6)

Nelson und Halperin fanden unter anderem vier fl¨ussige Phasen (mit kurzreich- weitiger Translationsordnung): eine hexatische Phase mit algebraischem Zerfall vong6 und exponentiellem vong1 und eine isotrope Fl¨ussigkeit, in der beide Kor- relationsfunktionen exponentiell abfallen, dar¨uberhinaus zwei Phasen mit quasi- langreichweitiger Ordnung in g6 und g1, die sie “locked tilted hexatic C” und

4ur die in [6, 7] verwendete Frank-KonstanteKA gilt:K6=KA/kBT.

5Die Indizes sollen andeuten, dass die Bindungswinkel modulo 2π/6 definiert sind, die Ver- kippungswinkel jedoch modulo 2π.

(13)

1.2: Anisotrope Schichten: Phasendiagramm

Abbildung 1.3: Das Phasendiagramm einer d¨unnen Schicht eines smektischen Fl¨ussig- kristalles in Abh¨angigkeit der Frank-KoeffizientenK1undK6. Abbildung in Anlehnung an [29].

“unlocked tilted hexaticC*” nannten. Letztere unterscheiden sich dadurch vonein- ander, dass die langwelligen Fluktuationen inφ und θ abh¨angig beziehungsweise unabh¨angig voneinander sind. Dies zeigt sich in der Korrelationsfunktion

g(|~r−~r0|) = h∆(~r)∆(~r0)i, (1.7) wobei

∆(~r) = exp (i·6 (θ(~r)−φ(~r))) (1.8) die relative Orientierung von Bindungswinkeln und Verkippungswinkeln misst.

W¨ahrend in der Phase C* die Korrelationsfunktion g algebraisch zerf¨allt, geht sie in Phase C exponentiell gegen eine Konstante f¨ur große Abst¨ande r. Das be- deutet, in derlocked tilted hexatic phase sind die beiden Orientierungen der Bin- dungswinkel beziehungsweise der Molek¨ulverkippung “eingerastet”. Dieunlocked tilted hexatic phase tritt auf, wenn die Kopplungskonstante h im Hamiltonfunk- tional 1.5 klein ist, die beiden Winkelfelder also nur schwach wechselwirken; im Falle großer Kopplungskonstante kann diese Phase unterdr¨uckt sein.

Auf ¨ahnliche Weise lassen sich zwei feste Phasen unterscheiden, n¨amlich ein gew¨ohnlicher hexagonaler Kristall mit kurzreichweitiger Ordnung ing1 sowie ein uniaxialer Festk¨orper mit langreichweitiger Ordnung ing1.

Abbildung 1.3 zeigt das resultierende Phasendiagramm. Die mit einfach durch- gezogenen Linien dargestellten Phasengrenzen markieren Kosterlitz-Thouless- Uberg¨ange mit Spr¨ungen in den entsprechenden elastischen Konstanten. Die bei-¨

(14)

den Phasengrenzen mit doppelten Linien wurden in der zitierten Arbeit nicht untersucht.

R¨ontgenuntersuchungen [33, 34, 35, 36] und mechanische Scherungen [37] an freien Fl¨ussigkristallfilmen, deren Molek¨ule gegen¨uber der Filmebene verkippt sind, haben gezeigt, dass diese Systeme in smektische C- und C*-Phasen schmel- zen k¨onnen und der Schermodul in diesen Phasen verschwindet.

Dierker et al. [38] haben depolarisierte Laser-Reflexions-Mikroskopie an he- xatischen Fl¨ussigkristallfilmen mit gegen die Filmebene verkippten Molek¨ulen durchgef¨uhrt. Aus der so gewonnenen Struktur der Disklinationen konnten sie R¨uckschl¨usse auf die Kopplung zwischen dem Bindungswinkelfeld und dem Ver- kippungswinkelfeld ziehen.

1.3 Ordnung anisotroper Schichten

Toner und Nelson [31] haben die Ordnung anisotroper geschichteter Materialien unter dem Einfluss von Phononen und Defekten untersucht. Sie dachten dabei insbesondere an smektische Fl¨ussigkristallfilme, aber auch an cholesterische Fil- me sowie an konvektive Rayleigh-B´enard-Rollen6, auf die hier nicht eingegangen werden soll.

Im Folgenden soll ein solches System, das in Schichten parallel zur x-Achse vorliegt (vergleiche Abbildung 1.4), untersucht werden. Sei u(~r) = u(x, z) das Verr¨uckungsfeld dieser Schichten in z-Richtung. Senkrecht zu den Schichten, das heißt entlang der z-Richtung, solle das System kristallartige Ordnung aufweisen;

der entsprechende reziproke Gittervektor seiq0. Ausgehend von der freien Energie [31, 41]

F = 1 2B

Z

(∂zu)22(∂xu)2d3r (1.9) mit dem elastischen ParameterB und der L¨angeλ, die etwa dem Schichtabstand d entspricht, und dem Ordnungsparameter f¨ur hinreichend kleine Temperaturen

ψ(~r) = ψ0exp (iq0u(~r)) (1.10) ergibt sich alleine auf Grund von Phonon-Fluktuationen folgende Translations- ordnung [31, 39, 40]:

hψ(~r)ψ(~0)i ∝ exp Ã

−q02kBT B

µ |z| 4πλ

1/2!

, x2 ¿λz (1.11) hψ(~r)ψ(~0)i ∝ exp

µ

−q02kBT 4Bλ |x|

, λz ¿x2. (1.12)

6Tats¨achlich konnten sie im Falle der durch Phononen beeintr¨achtigten Translationsordnung auf die L¨osung des B´enard-Problems von Graham [39, 40] zur¨uckgreifen.

(15)

1.3: Ordnung anisotroper Schichten

Abbildung 1.4:Verschiedene Arten von Phononen in Schichtsystemen: Die in (a) skizzierte Anregung erh¨alt den Schichtabstanddaufrecht, w¨ahrend die in (b) gezeigte die Schichten inz-Richtung dekorreliert. Abbildung entnommen aus [31].

Der Abfall der Translationsordnung erfolgt also entlang der Schichten rascher als senkrecht zu den Schichten. Dies h¨angt damit zusammen, dass die in Ab- bildung 1.4 a dargestellten Phononen eine niedrigere Energie besitzen als jene in Abbildung 1.4 b. Letztere zerst¨oren die Korrelation inz-Richtung, also senkrecht zur Schichtung. W¨ahrend die Translationsordnung auf Grund der Phononen also kurzreichweitig wird, ist die Orientierungsordnung weniger stark beeintr¨achtigt.

Mit dem Winkel θ(~r) =−∂xu(~r) zwischen Schichtnormaler und z-Richtung l¨asst sich eine Art nematischer Ordnungsparameter definieren:

N~(~r) =

µ cosθ(~r) sinθ(~r)

. (1.13)

Ausgehend von Gleichung 1.9 fanden Toner und Nelson [31], dass die langreich- weitige Ordnung vonN~ selbst die Anwesenheit von Phononen ¨ubersteht:

r→∞limhN(~r)~ ·N~(~0)i= const.6= 0. (1.14) Allerdings unterliegt ein solches Schichtsystem bei endlicher Temperatur nicht nur dem Einfluss von Phononen, sondern auch demjenigen von Dislokationen und Disklinationen. W¨ahrend die Bildungsenergie von Disklinationen mit der Systemgr¨oße divergiert, ist die DislokationsenergieEDin Schichtsystemen endlich [42, 43]. Dislokationen sollten deshalb mit einer Dichte

nD≈a−2exp(−ED/kBT) (1.15)

(16)

Abbildung 1.5: Simple Vorstellung von der nematischen Ordnung in einem Schicht- system: Innerhalb derblobsist lediglich die Translationsordnung auf Grund der Phono- nen gest¨ort, wohingegen die Orientierungsordnung – angedeutet durch die die mittlere Schichtnormale bezeichnenden Doppelpfeile – erhalten bleibt. Unterschiedliche blobs sind dagegen unterschiedlich orientiert. Die Gr¨oße derblobs –ξD2/3×ξ4/3D – skaliert mit dem mittleren Abstand zweier Dislokationen ξD. Abbildung entnommen aus [31].

auftreten, wobei a den Durchmesser des Dislokationskernes misst. Toner und Nelson [31] fanden, dass sich Schichtsysteme auf Grund der Dislokationen auf L¨angen gr¨oßer als

ξD≈n−1/2D ≈aexp(ED/2kBT) (1.16) wie nematische Fl¨ussigkristalle verhalten. Die Orientierungskorrelationen des Di- rektorfeldes N~(~r) sollten f¨ur r À ξD algebraisch zerfallen. Daraus ergibt sich die in Abbildung 1.5 skizzierte Vorstellung von diesen Schichtsystemen: Es bilden sich Bereiche – sogenannte blobs –, innerhalb derer die Orientierungsordnung im Sinne von Gleichung 1.14 erhalten ist, das heißt die Schichten haben in einem sol- chen blob in etwa dieselbe Orientierung. Die Translationsordnung ist allerdings auf Grund von Phononfluktuationen gest¨ort. Da das Auftreten von Dislokationen f¨ur sehr große L¨angen auch die Orientierungskorrelationen zerst¨ort, sind die un- terschiedlichen blobs unterschiedlich ausgerichtet. Die Gr¨oße der einzelnen blobs skaliert dabei mit der Dislokationskorrelationsl¨ange ξD: Ihre L¨ange betr¨agt etwa ξD4/3, ihre Breite ξD2/3.

Im Falle hinreichend großer Temperaturen erwartet man eine Dissoziation der Dislokationen in Disklinationen, was zu einem Phasen¨ubergang in eine quasi- isotrope fl¨ussige Phase f¨uhrt.

(17)

1.4: Schmelzen anisotroper Gitter

Abbildung 1.6: (a) Seitenansicht einer Schicht verkippter anisotroper Molek¨ule: Auf Grund der Verkippung l¨asst sich dem dreidimensionalen Direktor (L¨angsachse der Mo- lek¨ule) ein Vektor in zwei Dimensionen (rote Pfeile) zuweisen. (b) Ansicht eines rhom- bischen zweidimensionalen Kristalles solcher Molek¨ule von oben: Die Projektion der Molek¨ulachse auf die Ebene (rote Pfeile) zeigt in die Richtung eines n¨achsten Nach- barn. (c) Analog zu (b), allerdings zeigen die Molek¨ule jetzt gerade zwischen zwei n¨achste Nachbarn. In beiden F¨allen gibt es eine Bindung entlang der Symmetrieachse (y-Achse). Abbildung in Anlehnung an [30].

1.4 Schmelzen anisotroper Gitter

Parallel zu der gerade zitierten Arbeit von Toner und Nelson untersuchten Ost- lund und Halperin das dislokationsinduzierte Schmelzen von anisotropen Schich- ten [30]7, allerdings vor allem im Hinblick auf den Einfluss der Anisotropie auf die Bildung der Dislokationen. Sie beschr¨ankten sich dabei im Wesentlichen auf die beiden F¨alle, in denen sich die Molek¨ule entweder entlang den Bindungen ausrichten oder aber immer genau zwischen zwei Bindungen zeigen (vergleiche Abbildung 1.6). Der entsprechende Kristall weist dabei jeweils rhombische Sym- metrie auf. Da die Autoren wieder von einem Fl¨ussigkristallfilm ausgingen, in dem die Molek¨ule gegen¨uber der Filmebene verkippt sind, bilden die anisotropen Molek¨ule bez¨uglich der zweidimensionalen Ebene keinen Direktor, sondern einen Vektor, da sich zwischen Molek¨ulenden oberhalb beziehungsweise unterhalb der Ebene unterscheiden l¨asst.

Die kristalline Phase ist – analog zum isotropen Fall – durch lang- reichweitige Orientierungsordnung und quasi-langreichweitige Translationsord-

7Beide Arbeiten erschienen in derselben Ausgabe derselben Zeitschrift.

(18)

Abbildung 1.7: (a) Die sechs elementaren Burgers-Vektoren f¨ur das Kristallgitter aus Abbildung 1.6 b: Der Burgers-Vektor der Typ-I-Dislokation zeigt in diey-Richtung, der Typ-II-Vektor ist gerade um±φ0 dagegen gedreht. (b) Analog zu (a) f¨ur das Gitter in Abbildung 1.6 c. Abbildung in Anlehnung an [30].

nung charakterisiert. Dabei h¨angt der algebraische Abfall der Dichte-Dichte- Korrelationsfunktion stark vom reziproken Gittervektor G~ und sehr schwach von der Richtung~r im Gitter ab:

gG~(~r)≈(r/a)−η(G)~ . (1.17) In einem solchen anisotropen Gitter treten prinzipiell zwei ¨aquivalente Dislo- kationen, die sogenannten Typ-I-Dislokationen, auf, deren zugeordneter Burgers- Vektor parallel zur Symmetrieachse ausgerichtet ist. Vier weitere, von erste- ren verschiedene, aber ebenfalls ¨aquivalente Typ-II-Dislokationen sind so orien- tiert, dass ihr Burgers-Vektor mit der Symmetrieachse einen Winkel ±φ0 ein- schließt (siehe Abbildung 1.7). Als Symmetrieachse wird im Folgenden diey-Achse gew¨ahlt8. Abbildung 1.7 zeigt die elementaren Burgers-Vektoren f¨ur die in Abbil- dung 1.6 dargestellten Kristallgitter.

Der Entropiezuwachs bei der Bildung einer Dislokation mit dem Kernradius a in einem System mit Radius R betr¨agt

∆S=kBln(R2/a2) (1.18)

und die ben¨otigte Energie

∆U = 1

2Kln(R/a). (1.19)

8Entgegen der Notation in [30].

(19)

1.4: Schmelzen anisotroper Gitter Die Minimierung der freien Energie ∆F = ∆U − T∆S beg¨unstigt somit die Bildung von Dislokationen oberhalb der Temperatur

TD = K 4kB

. (1.20)

Da K sowohl von der Gitterkonstante als auch von den elastischen Konstanten abh¨angt, m¨ussen im Falle eines anisotropen Kristalls in Abh¨angigkeit vom Dis- lokationstyp zwei unterschiedliche Konstanten KI und KII auftreten. Dies f¨uhrt nach Gleichung 1.20 offensichtlich dazu, dass die beiden Dislokationstypen bei un- terschiedlichen Temperaturen auftreten sollten. Je nachdem, welche der beiden Konstanten gr¨oßer ist, unterschieden Ostlund und Halperin [30] zwei Arten von Schmelzen:

Typ-II-Schmelzen: Ist KII kleiner als KI, entstehen zuerst die Typ-II- Dislokationen. Konstruiert man aber einen Burgers-Umlauf um ein Gebiet, in dem zwei Typ-II-Dislokationen (eine mit dem Winkel +φ0, eine mit−φ0) vorhanden sind, ergibt sich ein resultierender Burgers-Vektor vom Typ I:

Das System l¨asst sich also auf Distanzen, die gr¨oßer als der mittlere Dislo- kationsabstand sind, nicht von einem solchen unterscheiden, in dem bereits beide Dislokationstypen vertreten sind.

Typ-I-Schmelzen: Der interessantere Fall tritt auf, wenn KII gr¨oßer als KI

ist. In diesem Fall sind ¨uber einen sehr großen L¨angenbereich die Typ-I- Dislokationen frei, w¨ahrend diejenigen des Typs II gebunden vorliegen. Nur f¨ur hinreichend große L¨angen findet man beide Dislokationen, da die Typ-I- Dislokationen die logarithmische Wechselwirkung zwischen einem Paar von Typ-II-Dislokationen abschirmen.

Laut Ostlund und Halperin erscheint es insbesondere f¨ur den Fall des in Abbil- dung 1.6 c gezeigten Gitters wahrscheinlich, dass Typ-I-Schmelzen auftritt.

1.4.1 Typ-I-Schmelzen

Ostlund und Halperin [30] fanden im Falle des Typ-I-Schmelzens drei charak- teristische L¨angen, die die Phase gerade oberhalb der Schmelztemperatur Tm

beschreiben:

ξs ∝ exp¡

(T −Tm)−1/2¢

(1.21)

ξn ∝ ξsp+1 (1.22)

ξl ∝ exp¡

constξs2¢

. (1.23)

Dabei ist p eine nicht-universelle Zahl, die von φ0, den Burgers-Vektoren und Komponenten des Elastizit¨atstensors abh¨angt. Diese L¨angen definieren vier Re- gime mit unterschiedlichen Systemeigenschaften:

(20)

L < ξs: ξs entspricht dem typischen Abstand zwischen freien Typ-I- Dislokationen. Auf L¨angenskalen kleiner als ξs verh¨alt sich das System des- halb wie ein zweidimensionaler Festk¨orper.

ξs < L < ξn: In diesem Bereich l¨asst sich das System mit der “smekti- schen” freien Energie aus Gleichung 1.9 beschreiben: Die Molek¨ule richten sich in Reihen parallel zur y-Achse aus und bilden ein Schichtsystem, das in Kapitel 1.3 beschrieben wurde. Die Dislokationen mit einem Burgers- Vektor in y-Richtung sind ungebunden. Sie lassen sich f¨ur L > ξs in ei- ner Debye-H¨uckel-N¨aherung als Gas behandeln, das die Wechselwirkung zwischen den Typ-II-Dislokationen abschirmt. Dadurch liegt auch eine ver- schwindend kleine Dichte der Typ-II-Dislokationen vor, die Versetzungen entlang der Schichten verursacht.

Diese smektische Phase unterscheidet sich prinzipiell von derjenigen in der Analyse von Toner und Nelson [31]: In der Arbeit von Toner und Nel- son wurde die smektische Phase auf einen Punkt bei T = 0 reduziert, an dem weder Phononen noch Dislokationen vorhanden sind, wohingegen Ostlund und Halperin durch die Unterscheidung von Typ-I- und Typ-II- Dislokationen ein Regime zulassen, in dem sowohlPhononen als auchTyp- I-Dislokationen, aber keine Typ-II-Dislokationen existent sind. Die beiden ersteren erm¨oglichen aber eine Schichtstruktur mit einer Orientierungsord- nung bei endlicher Temperatur. Erst eine hinreichende Dichte von Typ-II- Dislokationen zerst¨ort diese Ordnung.

L À ξn: ξn entspricht dem typischen Abstand zwischen freien Typ-II- Dislokationen. Auf L¨angenskalen, die groß gegen¨uber ξn sind, verh¨alt sich das System ¨ahnlich einem Nematen. Das entsprechende Hamiltonfunktional lautet nun

H = 1 2kBT

Z

Kx(∂xφ)2 +Ky(∂yφ)2d2r, (1.24) wobei φ(r) den Winkel zwischen y-Achse und der Projektion der Mo- lek¨ulachse auf die Ebene beschreibt. Im Gegensatz zu dem Ansatz von Nelson und Halperin in Gleichung 1.5 wird hier von vorneherein von einem locked state ausgegangen, das heißt die Bindungswinkel zu den n¨achsten Nachbarn und die Verkippungswinkel sind aneinander gekoppelt.

F¨ur den in Abbildung 1.6 c gezeigten Fall, dass sich die Molek¨ule Seite an Seite ausrichten, ist Kx die Frank-Konstante f¨ur bend-, Ky diejenige f¨ur splay-Deformationen9. Auf mittleren L¨angenskalenL'ξn erweisen sich die beiden “blanken” Frank-Konstanten nahe am Schmelzpunkt als extrem un- terschiedlich: Ky0 À Kx0. Dies liegt daran, dass f¨ur eine splay-Deformation

9Vice versa f¨ur das Gitter in Abbildung 1.6 b.

(21)

1.4: Schmelzen anisotroper Gitter

Abbildung 1.8:Die vier Bereiche, die beim Typ-I-Schmelzen auftreten, in Abh¨angig- keit von Temperatur und Systemgr¨oße.Tmentspricht der Schmelztemperatur bei einem unendlich ausgedehnten System. Abbildung in Anlehnung an [30].

Dislokationen notwendig sind, wohingegen diebend-Energie von Dislokatio- nen unabh¨angig ist.

L > ξl: F¨ur sehr große L¨angen m¨ussenKx undKy auf Grund von Fluktua- tionen der Orientierung renormalisiert werden [44]. Die beiden Konstanten werden dann gleich und das System ist quasi-isotrop.

Abbildung 1.8 zeigt nochmals die erw¨ahnten vier Bereiche: Diese k¨onnen entweder durch Variation der Temperatur oder aber durch die experimentel- le L¨angenskala zug¨anglich gemacht werden. Tm ist hier die Schmelztemperatur in einem unendlich ausgedehnten System. In der gesamten Untersuchung wurde dabei noch nicht in Betracht gezogen, dass bei hinreichend großer Temperatur schließlich ein Punkt erreicht wird, an dem – analog zum isotropen Schmelzen – die Dislokationen in Disklinationen dissoziieren. Dann verh¨alt sich das System auch auf L¨angen, die kleiner alsξl sind, wie eine quasi-isotrope Fl¨ussigkeit.

(22)
(23)

2 Experiment

2.1 Grundlagen

Das System, an dem s¨amtliche in dieser Dissertation beschriebenen Versuche durchgef¨uhrt wurden, ist von Zahn [20-25] entwickelt und von Keim [45, 46] we- sentlich optimiert worden. Eine ausf¨uhrliche Beschreibung findet man in Referenz [45]. Deshalb soll hier nur auf die grundlegenden Elemente eingegangen werden, die zum Verst¨andnis des Aufbaus unerl¨asslich sind.

Das Experiment beruht im Wesentlichen auf zwei Ideen:

1. In einer geeigneten Geometrie bildet ein Wassertropfen – bewirkt durch seine Oberfl¨achenspannung – eine plane Wasser-Luft-Grenzfl¨ache aus. Kol- loidalen Teilchen, die auf Grund ihrer Schwerkraft und der Benetzungsei- genschaften an diese Grenzfl¨ache gebunden sind, dient diese als eine ideale zweidimensionale Geometrie.

2. Superparamagnetische kugelf¨ormige Kolloide unterliegen in einem externen magnetischen Feld der Dipol-Dipol-Wechselwirkung, deren St¨arke sich mit- tels des angelegten Feldes einfach und sehr genau kontrollieren l¨asst.

Die Kombination dieser beiden Ideen liefert ein zweidimensionales Kolloidsys- tem, das je nach St¨arke der Wechselwirkung in der festen oder fl¨ussigen Phase vorliegt. So l¨asst sich das Schmelzen zweidimensionaler Kristalle sehr kontrolliert durchf¨uhren und der Phasen¨ubergang im Detail untersuchen.

Um die Planheit des Tropfens zu erzwingen, wird eine – nach oben geschlosse- ne – zylinderf¨ormige Glask¨uvette benutzt (vergleiche Abbildung 2.1): Die Ober- fl¨achenspannung des Wassers bewirkt an der offenen Zylinderseite die Bildung einer Laplace-Fl¨ache. Entspricht das Volumen des Tropfens gerade dem des Zy- linders, ist die Laplace-Fl¨ache der Zylinderdeckel, die entstehende Wasser-Luft- Grenzfl¨ache ist perfekt plan. Die im Wasser suspendierten Kolloide besitzen die Dichte%= 1.5cmg3, sind somit schwerer als die umgebende Fl¨ussigkeit und sinken an die Wasser-Luft-Grenzfl¨ache, an der die hydrophilen Teilchen durch Adh¨a- sionskr¨afte gehalten werden. Da die kugelf¨ormigen Partikel mit einem Durchmes- ser von 4.5 m relativ groß sind, ergibt sich eine gegen¨uber der Teilchengr¨oße

(24)

Abbildung 2.1: Probenzelle (nicht maßstabstreu): Die Wasser-SDS-Kolloid-Suspen- sion benetzt nur die zylindrische Ausfr¨asung, w¨ahrend der Zellenrand auf Grund von Silanisierung hydrophob ist. Das SDS dissoziiert in Wasser, das verbleibende amphi- phile Laurylsulfat bildet Mizellen und adsorbiert an der Grenzfl¨ache. Dabei ragen die hydrophoben 12-Alkane aus dem Wasser heraus.

sehr kleine thermische Gravitationsh¨ohe von rund 18 nm. Somit sind die Frei- heitsgrade des Systems im Wesentlichen auf eine zweidimensionale Ebene einge- schr¨ankt. Um Aggregation der Teilchen zu vermeiden, sind die Partikel stabili- siert. Hierzu wird dem Wasser das anionische Tensid SDS (Natriumlaurylsulfat:

CH3−(CH2)11−SO4N a+, engl.: sodium dodecyl sulfate) in kritischer Mizel- lenkonzentration (diese ist f¨ur SDS 8.3·10−3 moll ) zugesetzt. Wie in Abbildung 2.1 schematisch dargestellt, dissoziiert SDS in w¨assriger L¨osung. Das verbleiben- de amphiphile Laurylsulfat adsorbiert an der Grenzfl¨ache sowie an der Ober- fl¨ache der Kolloide, wobei die hydrophoben 12-Alkane aus dem Wasser herausra- gen beziehungsweise zur Oberfl¨ache der Teilchen gerichtet sind. Die hydrophile Sulfatgruppe bewirkt eine negative Ladung der Grenzschicht und der Kolloid- Oberfl¨ache, die aber durch die dissoziierten Natrium-Ionen (sowie zus¨atzlich vor- handenes Karbonat) abgeschirmt wird. F¨ur den Fall der kritischen Mizellenkon-

(25)

2.1: Grundlagen zentration ergibt sich eine Debye-Abschirml¨ange von rund 3 nm. Diese liegt damit

¨uber der L¨ange der 12-Alkane von rund 1.8 nm1, das heißt die Stabilisation der Teilchen geschieht im Wesentlichen ¨uber Coulombabstoßung. Dasselbe gilt f¨ur die Wechselwirkung zwischen den Kolloiden und der Grenzschicht: Die Gravitation dr¨uckt die Teilchen soweit hinunter, bis sie auf Grund ihrer negativen Ladung eine repulsive Coulombkraft der ebenfalls negativen Grenzschicht erfahren. Da- bei muss die Grenzschicht soweit deformiert werden, dass die Gravitationskraft letztlich durch die Oberfl¨achenspannung des deformierten Tropfens kompensiert wird (vergleiche dazu auch Kapitel 2.4.5).

Als Kolloide dienen Polystyrol-Kugeln, in denen Ferrit-Nanopartikel homogen eingelagert sind [47]. Die einzelnen Partikel dieses eigentlich ferrimagnetischen Materials haben eine Gr¨oße von wenigen Nanometern und bilden Cluster mit einer Gr¨oße von unter 32 nm [21]. Letztere sind somit kleiner als eine magneti- sche Dom¨ane. Es bilden sich also keine Blochw¨ande aus und f¨ur das magneti- sche Moment M~ des ganzen Kolloids gilt f¨ur hinreichend kleine Feldst¨arken H:~ M~ = χeff ·H. Insbesondere ist die Magnetisierung unabh¨angig von der magne-~ tischen Vorgeschichte. Die magnetische Suszeptibilit¨at pro Teilchen χeff wurde mit Hilfe eines SQUID gemessen [48] und betr¨agt 6.47· 10−11 AmT2. Nach Her- stellerangaben variiert der Teilchendurchmesser um 2 %, woraus sich wegen der Volumenabh¨angigkeit der Suszeptibilit¨at eine “magnetische Polydispersit¨at” von etwa 6 % ergibt.

Da die Ferrit-Partikel homogen in einer Kugel verteilt sind, entspricht die Feldverteilung des induzierten magnetischen Momentsexakt derjenigen eines Di- polmoments [49]. F¨ur die magnetische Induktion B~i im Abstand ~r vom Kolloid- zentrum mit dem magnetischen Moment M~i gilt somit:

B~i(~r) = µ0

3(M~i·~r)~r−(~r·~r)M~i

r5 . (2.1)

Daraus ergibt sich die Wechselwirkungsenergie Eij zwischen zwei induzierten Dipol-MomentenM~i und M~j im Abstand r~ij:

Eij =−1

2B~i·M~j = µ0

(M~i·M~j)r2ij −3(M~i·r~ij)(M~j·r~ij)

rij5 . (2.2)

Da die Momente identisch sind, vereinfacht sich Gleichung 2.2 zu Eij = µ0

M2r2ij −3(M~ ·r~ij)2

r5ij . (2.3)

Der Faktor 12 in Gleichung 2.2 r¨uhrt daher, dass die Momente induziert sind [50]:

F¨ur diesen Fall muss man auch die Arbeit ber¨ucksichtigen, die erforderlich ist,

1Die Bindungsl¨ange f¨ur eine C-C-Einfachbindung betr¨agt 1.54 ˚A.

(26)

um das magnetische Moment im Feld des jeweils anderen Dipols auf konstantem Wert zu halten [49].

Das Skalarprodukt zwischen dem magnetischen Moment und dem Verbin- dungsvektor der Teilchen in Gleichung 2.3 bewirkt eine Richtungsabh¨angigkeit der Wechselwirkungsst¨arke: Je gr¨oßer die Projektion des Moments auf den Ver- bindungsvektor ist, desto schw¨acher stoßen sich die Teilchen ab, beziehungsweise desto st¨arker ziehen sie sich an. F¨ur Teilchen in einer Ebene bedeutet das, dass im Falle eines externen Feldes, das nicht senkrecht zur Teilchenebene steht, die Dipol-Dipol-Wechselwirkung anisotrop wird.

Steht das externe Feld und damit das induzierte Moment jedoch senkrecht zur Teilchenebene, so gilt M~ ·r~ij = 0 und es folgt

Eij = µ0

8π M2

rij3 . (2.4)

Es erweist sich als sinnvoll, einen Wechselwirkungsparameter, die sogenannte “in- verse Systemtemperatur” Γ, einzuf¨uhren, indem man die Wechselwirkungsenergie mit der thermischen Energie kBT skaliert:

Γ∝ Eij

kBT ∝ M2

T ·r3 ∝ (χH)2%3/2

T . (2.5)

Im letzten Schritt wurde die Tatsache verwendet, dass die zweidimensionale Teil- chendichte % mit 1/r2 skaliert.

Diese vereinfachte Betrachtung ist lediglich im Falle isotroper Wechselwir- kung, das heißt f¨ur ein zur Teilchenebene senkrechtes externes Magnetfeld, hinrei- chend. Um jedoch die “Systemtemperatur” f¨ur anisotrope Kristalle unterschied- licher Struktur vergleichen zu k¨onnen, muss die gesamte Systemenergie, die sich aus der Wechselwirkung aller Teilchen zusammensetzt, berechnet werden. Dies erfordert die Kenntnis der Gitterstruktur, weshalb die exakte Definition von Γ erst in Kapitel 3.2 gegeben wird.

Nichtsdestotrotz sieht man bereits an Gleichung 2.5, dass das System bei kon- stanter Teilchendichte und Raumtemperatur allein durch das externe magnetische Feld kontrolliert wird. In [51] wurde gezeigt, dass die Dipol-Dipol-Wechselwirkung tats¨achlich alle anderen Wechselwirkungen dominiert.

(27)

2.2: Versuchsaufbau

2.2 Versuchsaufbau

Abbildung 2.2 zeigt einen schematischen Versuchsaufbau, Abbildung 2.3 ein ent- sprechendes Photo. Die Probenzelle aus Suprasil-Glas mit einer zylindrischen Ausfr¨asung (®= 8 mm) ist mit der ¨Offnung nach unten in thermischem Kontakt zu einem Kupferblock exakt im Zentrum dreier Spulen montiert. Diese werden von einem speziell daf¨ur gefertigten Netzger¨at mit zeitlich konstantem Strom versorgt. Durch Superposition der mittels dieser Spulen erzeugten magnetischen Felder kann am Probenort ein homogenes Feld in beliebiger Richtung erzielt wer- den. Im Folgenden ist die Richtung des resultierenden Feldes durch seine Ver- kippung um den Winkel ϕ gegen¨uber der Vertikalen definiert. Das horizontale Spulenpaar ist eingenordet, um die Horizontalkomponente des Erdmagnetfeldes kompensieren zu k¨onnen. Unterhalb der Probenzelle befindet sich ein Wasserre- servoir. Dadurch stellt sich dort ges¨attigter Dampfdruck ein, wodurch die Ver- dampfung aus der Probenzelle heraus minimiert wird. Die Zelle wird von oben

¨uber mehrere Leuchtdioden durch Lichtleiter beleuchtet. Das von den Kolloiden reflektierte Licht wird mittels eines 5×-Mikroskopobjektives auf den Chip einer CCD-Kamera fokussiert und die entstehenden Bilder simultan von einem PC verarbeitet. Objektiv und Kamera k¨onnen mittels dreier Pr¨azisionspositionier- systeme in x-, y- und z-Richtung bewegt werden. Der dem Kamerachip optisch zug¨angliche Probenausschnitt hat eine Gr¨oße von etwa 840×620 m2, in dem sich typischerweise 2 000 bis 3 000 Teilchen befinden. Die ganze Anordnung be- findet sich auf einer mittels Motoren verkippbaren Platte, um die Neigung der Probenzelle gegen¨uber der Horizontalen zu kontrollieren. Letztere wird mit Hilfe eines Neigungssensors regelm¨aßig bestimmt und die Verkippung der Platte ak- tiv geregelt. Dar¨uberhinaus befindet sich die gesamte Apparatur auf einem aktiv geregelten Piezotisch, um Vibrationen zu minimieren. Die Probenzelle ist mit einer Spritze in Verbindung, deren Kolben ¨uber eine motorbetriebene Mikrome- terschraube bewegt werden kann. Dadurch l¨asst sich die Wassermenge in der Probenzelle extrem pr¨azise kontrollieren und somit die Wasser-Luft-Grenzfl¨ache vollkommen plan halten.

2.2.1 Regelung

Die Regelung der Wasser-Luft-Grenzfl¨ache basiert auf der einfachen Tatsache, dass die Kolloide in der Fokalebene am kleinsten erscheinen. Deshalb ist es m¨oglich, die scheinbare Teilchengr¨oße mit der vertikalen Position der Grenzfl¨ache in Beziehung zu setzen und erstere zu benutzen, um auf letztere zu regeln.

Wird die vertikale Position des Objektivs so gew¨ahlt, dass sich die Grenzfl¨ache (und damit die Position der Teilchen) etwas unterhalb der Fokalebene befindet, hat Verdampfen von Wasser aus dem Tropfen heraus zur Folge, dass sich die Grenzfl¨ache nach oben – in Richtung Fokus – verschiebt und die Kolloide klei-

(28)

Abbildung 2.2: Schematischer Versuchsaufbau (nicht maßstabsgerecht). Die drei Spu- len zur Erzeugung des Magnetfeldes sowie mehrere Pr¨azisionspositioniersysteme zur Bewegung von Spritzenkolben und CCD-Kamera (zusammen mit dem Mikroskopob- jektiv) sind nicht gezeigt.

(29)

2.2: Versuchsaufbau

Abbildung 2.3:Photo des Versuchsaufbaus: im Vordergrund die motorbetriebene Spritze, dahinter die drei Spulen sowie die Kamera mit Tubus und Beleuchtung. Das horizontale Spulenpaar ist eingenordet, sodass das Erdfeld kompensiert werden kann.

Die Neigung der Experimentplatte wird mit Hilfe eines Sensors ¨uberwacht und mit den beiden Motoren (vorne links und rechts) automatisch korrigiert. Der Piezotisch dient der aktiven D¨ampfung von Vibrationen.

(30)

ner erscheinen als zuvor, w¨ahrend beim Absenken der Grenzfl¨ache die Teilchen scheinbar gr¨oßer werden. Eine simultan arbeitende Bildverarbeitung binarisiert die Bilder, identifiziert die zusammenh¨angenden Gebiete als Teilchen und ermit- telt deren scheinbare Gr¨oße (in Pixel pro Teilchen). Die scheinbare Teilchengr¨oße f¨ur die gew¨unschte Positionierung der Grenzfl¨ache dient als Sollwert. Durch Ver- gleich der jeweils aktuell ermittelten Daten mit diesem Sollwert wird entschieden, ob und in welche Richtung der Spritzenkolben bewegt werden soll, um der Ver- schiebung der Grenzfl¨ache entgegenzuwirken. Hat man also die optimale Position der Grenzfl¨ache erst einmal gefunden, l¨asst sich diese mit Hilfe der beschriebenen Prozedur automatisch aufrecht erhalten.

Um jedoch diesen Zustand zu erreichen, muss das Volumen des Tropfens zu- erst so lange manuell angepasst werden, bis die Teilchendichte ¨uber die gesamte Grenzfl¨ache konstant ist. Um dies zu ¨uberpr¨ufen, werden Bilder entlang zweier Querschnitte der zylindrischen Probenzelle aufgenommen und jeweils die Teil- chenanzahl pro Bildausschnitt bestimmt. Daraus l¨asst sich ein Dichteprofil ent- lang der Querschnitte gewinnen. Dem Verlauf desselben (etwa dem Vorliegen eines Minimums oder Maximums) ist dann zu entnehmen, ob der Tropfen konkav oder konvex gekr¨ummt ist und wie das Tropfenvolumen demzufolge zu ver¨andern ist. Befindet sich das Minimum oder Maximum der Teilchendichte nicht im Zen- trum der Probenzelle, liegt eine Neigung der Probe vor, die sich durch Verkippen der gesamten Apparatur korrigieren l¨asst.

Die erw¨ahnten Dichteprofile werden automatisch alle zwei Stunden erstellt.

Die manuelle Korrektur geschieht nach einer Einstellphase in zunehmend gr¨oße- ren Abst¨anden von mehreren Stunden bis hin zu Tagen. Dabei ist aber die auto- matische Regelung bereits eingeschaltet, die Korrektur bezieht sich in erster Linie auf Ver¨anderung der Regelparameter (etwa des Sollwerts f¨ur die Teilchengr¨oße oder die Neigung f¨ur die gesamte Apparatur). Es kann mehrere Wochen dauern, bis ein so stabiles Gleichgewicht erreicht wird, dass mit der Messung begonnen werden kann.

Ist schließlich ein Gleichgewichtszustand erreicht, das heißt, ist der Tropfen plan und perfekt horizontal und die Teilchendichte r¨aumlich nahezu konstant, l¨asst sich das System so regeln, dass die Anzahl der Teilchen im zentralen Bildaus- schnitt zeitlich konstant bleibt. Dabei versucht die Software, sowohl die scheinba- re Gr¨oße der Teilchen als auch die Teilchendichte im Kameraausschnitt konstant auf die entsprechenden Sollwerte zu regeln. Hierzu wird beispielsweise bei ab- nehmender Teilchenzahl das Objektiv etwas abgesenkt. Dadurch erscheinen die Kolloide kleiner und die Spritze f¨ugt entsprechend der oben beschriebenen Re- gelung Wasser zur Probe hinzu. Demzufolge h¨angt die Grenzfl¨ache etwas durch und die Teilchen bewegen sich in Richtung Zentrum der Probenzelle, wodurch die Teilchenzahl im Bildausschnitt wieder steigt. Diese Art der Regelung ist (bei planem Tropfen und homogener Teilchendichte) nicht nur stabiler, sondern ins- besondere deshalb von Bedeutung, da durch sie garantiert wird, dass w¨ahrend

(31)

2.3: Durchf¨uhrung der Experimente

Messungen unter konstanten Bedingungen gearbeitet werden kann.

2.2.2 Datenerhebung

W¨ahrend einer Messung werden die Kamerabilder von zwei Rechnern parallel verarbeitet: Der Steuerrechner ¨ubernimmt weiterhin die soeben beschriebene Re- gelung der Grenzfl¨ache und sorgt insbesondere daf¨ur, dass die Teilchenzahl im Bildausschnitt konstant bleibt, w¨ahrend ein Messrechner f¨ur die Datenakquisiti- on zust¨andig ist. Auch hier werden die Bilder, die zun¨achst in 256 Graustufen vorliegen, binarisiert und zusammenh¨angende Gebiete als Teilchen identifiziert.

Von jedem Teilchen wird die scheinbare Gr¨oße sowie der Schwerpunkt bestimmt.

Zu kleine beziehungsweise zu große Teilchen (in der Regel Staub beziehungsweise Aggregate) sowie solche am Rand des Blickfeldes werden aussortiert. Die Koordi- naten der verbleibenden Teilchen werden gespeichert. Zudem werden die Positio- nen mit denjenigen des letzten Bildes verglichen und dadurch identische Teilchen identifiziert und mit demselben Index versehen, der ebenso gespeichert wird. Mit Hilfe dieser Indices lassen sich sp¨ater Trajektorien rekonstruieren. Diese gesam- te Bildverarbeitung ben¨otigt knapp 200 ms pro Bild. Der Vorteil der simultanen Auswertung besteht vor allem darin, dass die Trajektorieninformation auch dann noch vorliegt, wenn etwa nur die Koordinaten jedes zehnten Bildes abgespeichert wurden. Zudem wird so bereits w¨ahrend der Messung die Drift der Kolloide be- rechnet und dazu benutzt, mit der Kamera der mittleren Bewegung der Teilchen zu folgen. Dar¨uber hinaus l¨asst sich eine zu große Drift bereits w¨ahrend einer Messung registrieren und letztere gegebenenfalls abbrechen.

2.3 Durchf¨ uhrung der Experimente

In dieser Arbeit werden die Ergebnisse von drei Typen von Experimenten vorge- stellt. Das experimentelle Vorgehen f¨ur diese soll im Folgenden kurz beschrieben werden.

2.3.1 Strukturbestimmung

Um die Kristallstruktur in Abh¨angigkeit von der Verkippung des externen magne- tischen Feldes gegen¨uber der Vertikalen zu bestimmen, wurde das Feld noch in der fl¨ussigen Phase verkippt und anschließend die Feldst¨arke m¨oglichst groß gemacht, um einen “harten”, defektarmen Kristall zu erhalten. Korngrenzen wurden da- durch ausgeheilt, dass das System durch Schw¨achung des Feldes wieder nahe an den Phasen¨ubergang gebracht wurde, um den Dislokationen gr¨oßere Beweglich- keit und somit die M¨oglichkeit zu gew¨ahren, mit den entsprechenden Pendants zu binden. Eine mehrmalige Wiederholung dieses Vorgehens ¨uber mehrere Tage

(32)

f¨uhrte in der Regel zu einem Monokristall, der – abgesehen von Randeffekten – die gesamte Probenzelle ausf¨ullte. In diesem Zustand wurde eine Messung durch- gef¨uhrt. Der Wechsel zu einem anderen Verkippungswinkel geschah schließlich wieder in der fl¨ussigen Phase.

2.3.2 Schmelzen bei kleiner Verkippung

Bevor ein Kristall bei gegebener Verkippung geschmolzen werden konnte, wurde er so pr¨apariert wie in Kapitel 2.3.1 beschrieben. Dann wurde ein im Zentrum der Probenzelle gelegener Bereich gew¨ahlt, in dem m¨oglichst wenig Defekte auf Grund von Aggregaten oder Schmutzpartikeln vorhanden waren. Anschließend wurde das Magnetfeld in Schritten von 10 T – oder bei Bedarf mehr – verringert. Nach jeder Ver¨anderung des Feldes wurde das System mindestens 30 min in seinem Zustand belassen, um ihm die M¨oglichkeit zu geben zu relaxieren. Erst dann wurden die Positionen der Teilchen ¨uber eine Zeit von 20–30 min bestimmt und abgespeichert.

In der Regel entstanden in der fl¨ussigen Phase bei verkipptem Feld Ketten beziehungsweise Aggregate, sodass nach jeder Messreihe bei einem gegebenen Verkippungswinkel die Probe ausgewechselt werden musste. Dadurch war die Ge- winnung der Daten sehr zeitaufwendig und es war insbesondere nicht m¨oglich, Phasen¨uberg¨ange bei verschiedenen Winkeln mit exakt den gleichen Rahmen- bedingungen zu messen. So variierten etwa sowohl die Teilchendichte als auch die Kr¨ummung des Tropfens sowie die Anzahl der Aggregate oder Schmutzpar- tikel von Messung zu Messung. Der Einfluss der Teilchendichte l¨asst sich bei der Auswertung ber¨ucksichtigen (siehe dazu Kapitel 3.2), w¨ahrend die Wirkung der Kr¨ummung und der Zahl der Aggregate schwer miteinzubeziehen ist.

Allerdings sollte gerade die Bedeutung der Kr¨ummung des Tropfens nicht untersch¨atzt werden: Ist der Tropfen konvex, so nimmt die Teilchendichte zum Probenrand hin ab. Demzufolge ist Γ am Rand gr¨oßer als im Zentrum der Probe, der Kristall schmilzt dort folglich zuerst. Da beim Schmelzen aber freie Dislo- kationen und Disklinationen entstehen, die im Vergleich zu den Teilchen selbst deutlich mobiler sind, k¨onnen diese in den im Zentrum gelegenen – eigentlich noch kristallinen – Bereich diffundieren und dort die Ordnung zerst¨oren. In kristalliner Umgebung k¨onnen diese eindiffundierten Defekte eine relativ lange Lebensdauer besitzen, da beispielsweise eine Dislokation mit gegebenem Burgers-Vektor eine zweite mit gerade entgegengesetztem Burgers-Vektor ben¨otigt, um zu rekombi- nieren. Das bedeutet, dass die Rekombinationsrate erst ab einer bestimmten De- fektdichte groß genug wird, um die Rate der Eindiffusion zu kompensieren, was schließlich zu einem Gleichgewicht mit erh¨ohter Defektdichte f¨uhrt. Tats¨achlich mussten einige Datens¨atze verworfen werden, bei denen der Phasen¨ubergang ver- mutlich auf Grund des soeben beschriebenen “Oberfl¨achenschmelzens” bei zu hohen Γ-Werten auftrat.

(33)

2.3: Durchf¨uhrung der Experimente Schmutzpartikel oder Aggregate k¨onnen einen ¨ahnlichen Effekt bewirken, da sich in ihrer Umgebung immer vermehrt Defekte bilden, die ebenso von ihrem Entstehungsort wegdiffundieren k¨onnen.

2.3.3 Schmelzen bei großer Verkippung

Wie bereits im vorangegangenen Kapitel angedeutet, tritt bei verkipptem Feld auf Grund des anisotropen Wechselwirkungspotentials das Problem der Ketten- bildung auf. Dieses Ph¨anomen wird ausf¨uhrlich in Kapitel 2.4 diskutiert. Es soll aber bereits hier darauf hingewiesen werden, dass die Kettenbildung bei Ver- kippungswinkeln ¨uber etwa 22 ein ernstzunehmendes experimentelles Problem darstellt. In diesem Bereich nimmt die Kettenanzahl und -l¨ange mit wachsen- dem Winkel und abnehmendem Γ kontinuierlich zu. Insbesondere bewirkt jede Anderung dieser Parameter die Bildung neuer Ketten, da sich die Teilchen dann¨ umorientieren m¨ussen, um ihre neue Gleichgewichtsposition zu finden. Deshalb sind beim Arbeiten in diesem Bereich des Phasendiagramms folgende Punkte zu ber¨ucksichtigen:

Es muss noch gr¨oßere Sorgfalt darauf verwendet werden, dass der Tropfen plan und die Teilchendichte im gesamten Probenvolumen konstant ist, um jegliche Ursachen f¨ur Spannungen im Kristall zu unterbinden.

Auf die Kristallbildung aus der Fl¨ussigkeit heraus bei gegebenem Verkip- pungswinkel muss verzichtet werden, da die Probe bei großen Winkeln in der fl¨ussigen Phase durch Kettenbildung unbrauchbar wird. Stattdessen wird ein Kristall bei einem solchen Winkel gez¨uchtet, bei dem noch keine Ketten entstehen (also typischerweiseϕ knapp unterhalb 22 ), und dann in der kristallinen Phase das Feld um einen zus¨atzlichen Winkel ∆ϕweiter ver- kippt. Anschließend wird dem System Zeit gegeben, einen Gleichgewichts- zustand zu erreichen. Dieses Vorgehen f¨uhrt offensichtlich zu Spannungen, die aber zu einem Großteil am Rand der Zelle kompensiert werden k¨onnen, da hier der Tropfen meist eine leichte Kr¨ummung aufweist, die etwas Spiel f¨ur Dichteschwankungen l¨asst. Da die ¨Anderung des Verkippungswinkels

∆ϕ innerhalb der kristallinen Phase klein ist (das heißt wenige Grad be- tr¨agt), ist auch die dadurch bewirkte Anpassung des Kristalls an die opti- male Kristallstruktur klein (wenige Prozent). Da letztere – zumindest im zentral gelegenen Kameraausschnitt – beobachtet werden konnte, scheint dieses Verfahren akzeptabel zu sein.

Allerdings trat in diesem Regime w¨ahrend des Schmelzens oft eine untypisch große Drift auf, die sich vermutlich damit erkl¨aren l¨asst, dass nicht die gesamte Probe die optimale Kristallstruktur angenommen hatte und diese Frustration mit weicher werdendem Kristall Drift bewirkte. Dies f¨uhrte zu einem unverh¨altnism¨aßig hohen Ausschuss an Daten.

(34)

Die Zeit zur Equilibrierung des Systems muss so kurz als irgend m¨oglich gehalten werden, um die Anzahl der Ketten zu minimieren. Dies gilt in besonderem Maße nahe am Schmelzpunkt.

Da sich trotz all dieser Maßnahmen Ketten bilden, muss der Bildausschnitt w¨ahrend einer Messreihe gegebenenfalls mehrmals gewechselt werden, um Daten aus einem m¨oglichst kettenfreien Bereich zu erhalten. Im Prinzip be- reitet die Kette als solche zwar kein Problem, da sie im Nachhinein aus den Daten eliminiert werden kann. Allerdings neigen die Ketten zum Wachs- tum, was die Dynamik der umgebenden Teilchen stark st¨ort. So k¨onnen etwa drei Ketten, die gleichm¨aßig ¨uber den Kameraausschnitt verteilt sind und wachsen, die Daten dieses Ausschnittes komplett unbrauchbar machen.

Letztlich f¨uhrte das Problem der Kettenbildung auf Grund der aufgef¨uhrten Punkte dazu, dass f¨ur Verkippungswinkel ¨uber etwa 22 nur noch der erste Pha- sen¨ubergang quantitativ untersucht werden konnte, w¨ahrend der Bereich jenseits von rund 25 experimentell gar nicht mehr zug¨anglich war.

2.4 Kettenbildung

Das Problem der Kettenbildung besteht im Wesentlichen darin, dass die Kolloide im Falle eines gekippten externen Feldes bereits f¨ur zu kleine Verkippungswinkel Ketten bilden.

F¨ur zwei identische Dipolmomente M~ im Abstand ~r ergibt sich aus Glei- chung 2.3 eine Wechselwirkungsenergie

E = µ0

M2(1−3 cos2φ)

r3 , (2.6)

wobei φ den Winkel zwischen Dipolmoment und Abstandsvektor beschreibt.

Wegen des Vorzeichenwechsels von 1 − 3 cos2φ bei φ = 54.7 sollten sich die Kolloide gegenseitig abstoßen oder anziehen, je nachdem ob φ gr¨oßer oder kleiner als der kritische Winkel von 54.7 ist. F¨ur superparamagnetische Teil- chen in einer x-y-Ebene unter dem Einfluss eines externen Magnetfeldes H~ =

¡ 0, Hsinϕ, Hcosϕ ¢

, das gegen¨uber der Vertikalen bez¨uglich der Teilchene- bene – also der z-Achse – um den Winkelϕ verkippt ist2, bedeutet dies

E = µ0

M2(1−3 sin2ϕ)

r3 , (2.7)

falls der Abstandsvektor der entsprechenden zwei Kolloide parallel zur y-Achse liegt, beziehungsweise

E = µ0

8π M2

r3 (2.8)

2ϕ= 90φ

(35)

2.4: Kettenbildung

Abbildung 2.4: Kettenbildung im Falle eines verkippten externen Magnetfeldes mit ϕ >35.3.

im Falle von ~r k e~x. F¨ur Verkippungswinkel ϕ > 35.3 ergibt sich daraus die Situation, dass sich die Teilchen inx-Richtung abstoßen, w¨ahrend in y-Richtung attraktive Kr¨afte wirken, was zur Bildung von Teilchen-Ketten f¨uhrt (verglei- che Abbildung 2.4). Diese Ketten sind parallel zur Projektion des Feldes auf die Teilchenebene ausgerichtet.

Im Experiment wird allerdings eine Kettenbildung bereits bei deutlich kleine- ren Verkippungswinkeln beobachtet. Abbildung 2.5 zeigt eine Sequenz von sechs Bildern, die jeweils im Abstand von zwei Stunden aufgenommen worden sind.

Uber den gesamten Beobachtungszeitraum wurden die experimentellen Parame-¨ ter nichtver¨andert, die Kettenbildung geschah folglich spontan. An diesem typi- schen Beispiel sind zwei Charakteristika dieses Prozesses zu erkennen:

Die spontane Entstehung einer Kette erzeugt soviel Unruhe im System, dass sie die Bildung weiterer Ketten induziert.

Nach einiger Zeit stabilisert sich das System wieder: Im Zeitraum zwischen Bild 5 und 6 ist hier nur eine weitere Kette entstanden.

Im Folgenden sollen einige M¨oglichkeiten er¨ortert beziehungsweise ausgeschlossen werden, die zu diesem Verhalten f¨uhren k¨onnten.

2.4.1 Endliche Temperatur

Die oben angestellte einfache Betrachtung ist so nat¨urlich nur f¨ur T = 0 g¨ultig.

Besitzen die Teilchen gen¨ugend thermische Energie, k¨onnen sie die Potential- barriere der Dipolabstoßung sowie der sterischen Kr¨afte ¨uberwinden und in den

(36)

Abbildung 2.5: Typisches Beispiel f¨ur Kettenbildung im Falle eines verkippten ex- ternen Magnetfeldes mit ϕ < 35.3: Eine Sequenz von Bildern (von links oben nach rechts unten), die – automatisch – alle zwei Stunden ¨uber einen Zeitraum von insgesamt zehn Stunden (¨uber Nacht) aufgenommen wurden. In dieser Zeit wurden die experi- mentellen Parameter nichtvariiert, es gab also keine ¨außere St¨orung, die den Beginn der Kettenbildung h¨atte verursachen k¨onnen. Wie man gut erkennt, zieht die spontane Entstehung einer Kette die Bildung mehrerer Ketten im Umkreis der ersten nach sich.

extrem kurzreichweitigen Bereich (einige nm) der van-der-Waals-Kr¨afte vordrin- gen. Letztere ¨uberwiegen bei Kontakt alle anderen Wechselwirkungen und binden die Teilchen fest aneinander. Sch¨atzt man allerdings die Energie ab, die n¨otig ist, um zwei Teilchen gegen die Dipolabstoßung bei Verkippungswinkeln von 25 auf Kontakt zu bringen, erh¨alt man Werte der Gr¨oßenordnung 130 kBT. Da man da- von ausgeht, dass schon Potentialbarrieren von 10–15 kBT gen¨ugen, um Kolloide hinreichend zu stabilisieren [52, 53], sollten ¨uber diesen Mechanismus praktisch keine Ketten entstehen.

2.4.2 Mehrteilcheneffekte

Betrachtet man s¨amtliche Teilchen eines anisotropen Kristallgitters und bezieht deren Wechselwirkung mit ein, wird die Barriere etwas kleiner. Auf Grund der 1/r3-Abh¨angigkeit kann dies aber nicht viel bewirken: Numerisch erh¨alt man dann Potentialbarrieren der Gr¨oßenordnung 110 kBT.

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