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No Future jetzt erst recht! Wie man mit Punk alt wird

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SWR2 Leben

No Future – jetzt erst recht! – Wie man mit Punk alt wird

Von Ralf bei der Kellen

Sendung: Freitag, 14. August 2020, 15:05 Uhr (Wiederholung) Redaktion: Fabian Elsäßer

Regie: Ralf bei der Kellen Produktion: SWR 2019

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2 Musik 001:

Wild Billy Childish – Punk Rock ist nicht tot (Single-Version) O-Ton Joost 001:

„Wir sind jetzt die Alten inzwischen, wir sind noch nicht mal mehr die Mittelalten, wir sind die Alten!“

O-Ton Terry 002:

„Letztens noch ne Single-B-Seite gehört, „Too Old To Die Young“. (lacht)“

Musik 001:

Wild Billy Childish – Punk Rock ist nicht tot (Single-Version) O-Ton Terry 003:

„Also, ich muss nicht unbedingt gewinnen, aber Hauptsache, et wird gekämpft!“

O-Ton Joost 004:

„Weil doch immer diese Lust am Provozieren doch bleibt. Weil Du Dich doch immer freust, wenn sich irgendwer über Dich aufregt.“

Musik 002:

Wild Billy Childish – Punk Rock ist nicht tot Autor:

Berlin, Herbst 2018: Im Lido, einem Club in Berlin-Kreuzberg, steht die Punk-Ikone Wild Billy Childish auf der Bühne. Zu den bekanntesten Songs des 1959 geborenen Musikers und bildenden Künstlers gehört der Song „Punk Rock ist nicht tot“.

Lebendiges Zeugnis davon legen einige 20jährige vor der Bühne ab. Das Gros des Publikums ist irgendwo in den 30ern und 40ern. Und dann sind da noch die, die von Anfang an dabei waren und mit Punk alt wurden. Zum Beispiel Joost Renders, der den bekennenden Amateur Childish vor 39 Jahren zum ersten Mal für eine

selbstgemachte Fan-Zeitschrift – damals nannte man so etwas „Fanzine“ – interviewte.

O-Ton Joost 006:

„Also, dieses Do-it-yourself-Ding ist natürlich nach wie vor sehr akut. Also eigentlich immer, bevor man sich irgendein Gelaber von jemand anderem anhört, macht man’s lieber selber. Auf Gedeih und Verderb“ (lacht)

Musik 003:

Tocotronic – Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein Autor:

Als Punk in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre auf den Plan trat, war er ganz klar eine Jugendbewegung. Der Slogan „Trau keinem über 30“ stammte zwar von den 68ern, aber er passte auch zu den Punks, die radikal mit Vorhergegangenen

brachem. Zumal in der Musik – wo man vom Bombast-Progressiv-Rock zu den drei Akkorden des frühen Rock’nRoll zurückkehrte. Die man jetzt aber nicht mal mehr richtig spielen können musste. Hauptsache, Haltung und Energie stimmten. Eine der

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3 Keimzellen des Punk in Deutschland war – ausgerechnet – Düsseldorf. Joost

Reenders, 1962 in den Niederlanden geboren, wuchs dort auf.

O-Ton Joost 007:

„Ich kann Dir meine erste Begegnung mit Punk erzählen, die ist sehr lustig. Wir waren damals sonne Clique in Scheiss-Mettmann von den Außenseitern, die’s da bei uns in der Klasse gab und unserer Altersstufe. Und wir hingen nachmittags immer irgendwo rum, während die anderen Hausaufgaben gemacht haben, haben wir rumgehangen vor dem Eingang einer Villa – und da hingen wir immer auf der Mauer rum und haben Leute angepöbelt, die da vorbeikamen. Vor allem dem Freund der Tochter haben wir immer die Blumen für die Mutter abgenommen. Und eines Tages kam da ein Typ vorbei, den kannten wir auch von der Schule, der hatte ein bisschen mehr Knete gehabt wie wir, der hatte sonne Skaterausrüstung, so mit Knieschutz und Helm und Skateboard und Tralala, alles. Und der kam zu uns an und sagte: ‚Ey, ihr seid wohl Punks, wa?’ Und wir: ‚Wat?’ Wir saßen da mit unserem Pottschnitt

undsoweiter, weiste, Parka an. ‚Hä, was sind wir?’ ‚Punks! Wisst ihr nicht, was Punk is? Das steht in der neuen Bravo drin, das ist was neues aus London, das sind so Leute die machen Krach, Krachmusik, da steht ihr ja auch drauf, hängen nur blöd rum und haben bunte Haare, ok, das habt ihr nicht.’ ‚Wir haben keine Ahnung, was das ist, erzähl uns hier keine Scheiße!’ Der Typ abgedackelt und wir – ssssst! – zu Edeka hin und die Bravo… gekauft oder geklaut, ich weiß es nicht mehr. Und wir dann alle so über die Bravo: ‚Boah, geil, was ist das denn?’ (lacht) Na, wir waren 13,14, 1976, klar. (lacht) So ging das los.“

Autor:

Joost sitzt auf einer Parkbank im Berliner Bezirk Friedichshain, der zusammen mit dem Nachbarbezirk Kreuzberg zu den Punk-Hochburgen der Republik gehört. Joost kenne ich schon lange von den Spielplätzen und Eisläden, unsere Kinder sind gleich alt und so traf man sich zwangsläufig. Und irgendwann erzählte er von seiner Zeit als Sänger diverser Punkbands in Düsseldorf. Mit seinen grauen, strubbeligen Haaren und seinen sehr englischen Klamotten gehört Joost zur Stammbesetzung im Kiez.

O-Ton Terry 008:

„Wir waren doch die Außenseiter. Wir waren die, wo die Leute mitte Finger drauf gezeigt haben: Guck’ mal, wie der aussieht! Dabei war dat gar nicht so wild, also heutzutage würd ich gar nich auffallen“ (lacht)

Autor:

Genauso wie Terry. Jeden Dienstag vertritt er seinen Freund Ingo in dessen

Plattenladen an der Boxhagener Straße. Ohne Bezahlung – als Gegenleistung darf er seine alten Punk- und Reggae-Singles in Ingos Plattenwaschanlage reinigen.

O-Ton Terry 009:

(Atmo Straße & Ladentür) RBdK: Wat is dat den?

Terry: Ahhh, wer bist denn Du?

RBdK: Ich hab’ zuerst gefragt.

Terry: Guck’ mal, der hat dat Gerät schon wieder inner Hand, ey. Iss dat nicht…

warte mal…

(4)

4 O-Ton Terry 010 (in der Kneipe, anderes akustisches Setting):

„Terry, Jahrgang 59, komm aus’m Ruhrgebiet, Recklinghausen, Westerholt, Marl, die Ecke da. Bin dann über Düsseldorf nach Berlin gekommen, bin jetzt seit 32 Jahren in Berlin, seit 40 Jahren leg ich auf, hab zwei Kinder… ne.“

Autor:

Terry ist 1,96 groß, geht leicht gebückt, die Brillengläser sind schon etwas dicker, der Haarwuchs ist spärlich. Er ist einer von Berlins bekanntesten Punk-DJs. An einem Abend im September 2018 legt er auf einer Party zur Unterstützung einer

Friedrichshainer Kneipe auf.

O-Ton Terry 011:

Terry: [Ich] war noch schnell ne Platte kaufen, ich muss ja auflegen. Hallo. Läuft dat schon?

RBdK: Ja, immer.

Terry: Ach nee.

RBdK: Was haste denn gekauft?

Terry: Culture Shock! Und die Daily Terror, die Ingo auch im Laden hatte… das is nämlich die Promo, glaub ich… Nice Record, ne?“

Autor:

In der Kneipe nehmen einige stark tätowierte junge Männer und Frauen mit Dreadlocks oder Stachelfrisuren ein paar Umbauarbeiten in letzter Minute vor. In einem Hinterzimmer erzählt Terry, wie er zum Punk wurde.

O-Ton Terry 012:

„Also, ich war eigentlich auch schon immer irgendwie anti, dat war auch dat Dingen, Punkrock war anti, und ich war von meiner Einstellung auch schon immer…also ich hab mich eigentlich auch immer auf die Seite der Schwachen gestellt. Wenn ich zum Beispiel inner Fußballmannschaft mitspielen sollte oder Volleyball, dann hab’ ich immer gefragt: Welche Mannschaft liegt denn zurück? Und bin dann dahingegangen, um da mitzuspielen. Also, ich muss nicht unbedingt gewinnen, aber Hauptsache, et wird gekämpft, ne?“ (lacht)

Autor:

Terry ging 1981 nach Düsseldorf, studierte Sozialpädagogik und veranstaltete

Punkkonzerte. Als Vorband lud er meistens eine Band aus Düsseldorf ein – die Toten Hosen. Zu denen hatte auch Joost eine Beziehung – er ging mit dem Tote-Hosen- Sänger Andreas Frege, den man heute unter dem Künstlernamen „Campino“ kennt, zur Schule. Campinos Mutter war Joosts Englischlehrerein.

O-Ton 013 Toten Hosen Learning English Lesson one:

„You should always have a pencil and paper ready to take notes. Now listen carefully.“

Autor:

Aber zurück zu Terry:

O-Ton 014 Terry:

„Also, ich glaube, ich bin in den sieben Jahren Düsseldorf bin ich glaube ich neun

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5 umgezogen. Also dat is schon ne ganze Menge. Und dann immer wieder Wohnung finden und, ach, der ganze Wiggel… nee, da hab ich auch keine Lust mehr drauf…

Ich muss nicht mehr jeden Abend Party haben, oder so… et reicht, wenn ich auflege und dann gehe ich nach Hause und hab’ da dann aber auch meine Ruhe dann, ne.

Also, ich hab’ dat ganz gerne, wenn die Leute NICHT zu mir nach Hause kommen…“

(lacht) [Autor:

Auch Punks, so scheint es, werden im Alter ruhiger. Etwas ruhiger. Nur –der Punk- Nachwuchs ist eben jung. Terry berichtet von einem Konflikt im autonomen

Wohnprojekt Köpenicker Straße 137.

O-Ton 014A Terry:

++„Dat is irgendwie auch ne ganz andere Generation. Also Generationen muss ich ja schon sagen. Also letztens hat sich noch ein ganz alter Köpi-Bewohner bei mir

ausgeweint, dass er aus seinem Bauwagen raus ist in die Kneipe rein und hat sich über die Lautstärke beschwert. (lacht) Und ist dann völlig abgeschmettert worden.

(lacht) Den hat überhaupt keiner ernst genommen!“

(0’28)]

O-Ton Atmo 015:

Kneipe Supamolly Autor:

Ein paar Wochen später ist Terry als DJ im Supamolly engagiert, einem Club in einem ehemals besetzten Haus. Die Band, hier an diesem Abend spielt trägt den phantasievollen Namen:

O-Ton 016 Terry:

„Acht Eimer Hühnerherzen“

Autor:

Terry spielt seine alten Punk-Singles. Mit dem ersten Künstler des Abends ist er so gar nicht einverstanden:

O-Ton 017 Terry (über Ansage Support Act):

„Die ersten springen schon vom Balkon, die Selbstmordrate steigt, einige ertrinken ihre Sorgen in Alkohol, die Theke wird gestürmt, der Schapps läuft in Strömen – bei der Musik kein Wunder. Ain’t been to no music school…“

Autor:

Nachdem wir das überlebt haben - O-Ton 018 Terry:

„Danach kommt – sehr passend ausgewählt – „Fuck you!“ von Alberto Y Lost Trios Paranoias!“

Autor:

- legt Terry wieder Musik auf. Neben ihm sitzt der Lichtmischer, Ende 20. Er verzieht keine Miene, als Terry sich seine langen Rastalocken als Toupet über den kahlen

(6)

6 Kopf hängt. Als der Lichtmann die Kanzel verlässt, entdeckt er mein Aufnahmegerät.

O-Ton 019 Supamolly:

Lichtmann: „Darfst Du das?“

RBdK: Bitte?

Lichtmann: „Darfst Du das?“

RBdK: Ich mach’ hier gerade was über Terry für’s Radio… für Terry ist das ok. Wie findest Du denn das, dass Terry hier als DJ unterwegs ist?

Lichtmann: „Na, finde ich super, Terry ist der geilste! Terry kenn ich schon seit ewig, also seitdem ich hier quasi Licht mach… kommt das jetzt ins Radio oder wat?“

RBdK: Genau.

Lichtmann: So’n Scheiß… ich heiß’ Waltraud.

(0’35) Musik 004:

Alberto Y Lost Trios Paranoias – Fuck You! (Ende) (0’12)

Autor:

Ich verlasse das Konzert kurz nach Mitternacht. Am nächsten Tag treffe ich Terry im Plattenladen. Und frage natürlich, wie lang er gestern da war.

O-Ton 020 Terry:

RBdK: Bis halb vier morgens?

Terry: Ja, bis viere war dat. Och ja, dat geht schon noch, aber… Du meinst jetzt wegen Alter und äh… (lacht) naja, ich verzeichne das schon wieder als senile Bettflucht. Ich wird’ fit, wenn die anderen alle müde werden! (lacht)

RBDK: Bist Du denn für die Jüngeren manchmal auch so’n bisschen so was wie ne Vaterfigur?

Terry: Bestimmt, bestimmt. Klar, ich meine, auch wenn ich bei anderen DJs in der Veranstaltung bin, also, ich hab schon Sachen gehabt, wo mich immer der DJ anguckte, wenn er Platten aufgelegt hat und wenn ich dann genickt habe, dann war gut so, ne? (lacht) Da habe ich das halt gemerkt, die wurden dann schon so’n bisschen unsicher, oh scheiße, wir legen hier wat auf und Terry da und ja…

Autor:

Wenn er im Plattenladen sitzt, bekommt Terry häufig Besuch von jüngeren Leuten aus besetzten Häusern. Manche fragen ihn um Rat. Auch Joost besucht ihn gelegentlich.

O-Ton Terry / Joost:

Terry: Ja, ich war gestern auf ner Lesung und da war ich tatsächlich nicht der älteste, hat mich’n bisschen gewundert.

Joost: ja, der Dings war ja älter…

Terry: TC Boyle, ja genau, der war 70.

Joost: lacht

Terry: oder ist noch 70. Dafür sieht er noch ganz gut aus.

Joost: Alles Botox.

(0’16)]

(7)

7 Autor:

Auch das Alter ist gelegentlich Thema. Das war es auch früher schon. So erzählt Joost über das Ende seiner Musikerkarriere:

O-Ton Joost (über Musikmachen)

„[Mit] 25 habe ich aufgehört, da fühlte ich mich zu alt. Da bin ich auf die

Schauspielschule gegangen. Weil ich dachte, ich bin jetzt zu alt für Rock’n’Roll, das ist doch unehrlich, wenn ich das jetzt weitermache, ich bin viel zu alt, ich gehör abgeschossen, Theaterbühne ist genau das richtige, da kann man alt werden. (lacht) Mit 25, wenn man sich das heute vorstellt, Wahnsinn, heute fangen sie erst mit 25 an!“

(0’24) Autor:

Aber wirklich Bierernst geht es dabei nur selten zu.

O-Ton 022 Terry (Plattenladen):

Frau: Soll ich Dir was mitbringen?

Terry; Ja, nen Bier.

Joost (lacht)

Terry: Gehste in Bioladen?

Frau: Wie heisst das noch mal – Störte…

Terry: Störtebecker, genau, alkoholfrei.

Joost: Terry, reicht eins?

Terry; ja, ein, jaja, danke, Oder zwei? Ja? Jaaaa?

Autor:

Punk und alkoholfreies Bier? Was Terry früher unmöglich schien, ist heute den Umständen geschuldet. Zumal viele der alten Weggefährten gezeigt haben, wo das mit dem Punk-Lifestyle enden kann.

O-Ton 023 Terry Alkohol:

„Dat is schon ne Menge gewesen, ich würd’ fast sagen: von dem wat ich kannte, drei Viertel liegt schon mehr unter der Erde als über der Erde. Teilweise liegt’s am Leben, dat wat sie geführt haben, teilweise auch, klar, der Konsum, Drogenkonsum, Alkohol – ich musste aufhören, ich hatte ne Diabetes entwickelt und da war dann auch mit vor acht Jahren Schluss und leide da immer noch an den Spätfolgen, also – da bleibt einiges, ne?“

Autor:

Dabei war früher die Maxime des Punk ja eigentlich eine andere:

Musik 005:

Bärchen und die Milchbubies – Jung Kaputt spart Altersheime

Jung kaputt spart Altersheime / los Leute darauf trinken wir noch einen! / Jung kaputt spart Altersheime / wer gibt denn den nächsten aus?“

O-Ton 024A Joost:

Joost: Hi. Vorderhaus, ja?

RBdK: OK.

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8 (über Atmo Treppen):

Autor:

Hausbesuch bei Joost.

O-Ton 024B Joost:

Joost: Hihi!

RBdK: Moin.

Joost: Welcome to the Asidome! (lacht) Autor:

Einen Steinwurf vom Plattenladen entfernt wohnt Joost mit seiner Tochter Anouk, gleich um die Ecke der Simon Dach-Str., Berlin-Friedrichshains angesagter Amüsiermeile.

O-Ton 025 Joost:

Das ist ne WBS-Wohnung. Das ganze Haus sind… über die Hälfte WBS-

Wohnungen. Aber da läuft irgendwann, 2025, läuft diese Förderung ab, dann wird’s lustig.

(0’15) Autor:

Auch eine Art „No future“. Aber eben anders, als man das 1979 meinte. Wir setzten uns aufs Sofa. Joost räumt ein Blutdruckmessgerät zur Seite.

O-Ton 026 Joost:

„Ja, ich muss das ständig überprüfen…der Arzt will das… weil durch diese anderen Medikamente, die ich nehmen muss wegen Lunge, der Blutdruck plötzlich durch die Decke ging….“

Autor:

Joost hat sich bereiterklärt, eine Passage aus seinem letzten Krimi vorzulesen.

Knapp zehn Jahre lang war er Sänger in Punkbands wie VD oder Luzibär. Dann ging er zur Schauspielschule und tourte durch die Provinz, vor allem in Ostdeutschland.

Er spielte alles – vom King Louie im Dschungelbuch bis zu Monostatos in der Zauberflöte. Heute ist ihm nur mehr die Schreiberei geblieben.

O-Ton 027 Joost (nicht mehr im Haus, sondern im Kino):

„Also Kehlkopf ist im Arsch und Atemwege sind im Arsch. Sonne Mischung aus Asthma und COPD. Mir bleibt ja nicht mehr viel, ich muss ja schreiben, weil – die Stimme ist halt weg. Und, ja, da ist mit Schauspielerei ist eher ein Problem, ne. Ich drehe ab und zu mal was, aber Theater habe ich jetzt seit 2012 nicht mehr gespielt.

Und da hatte ich auf der Bühne schon richtig Problem, ich kriegte ständig

Hustenattacken und all so was, das geht natürlich nicht. Oder die Stimme bricht weg wie jetzt grad auch halt…das darfste da nicht. Tjaja.“

Autor:

Dank Cortison ist die Krankheit nicht mehr lebensbedrohlich, aber das Medikament hat seine Nebenwirkungen: der früher eher schlacksige Mann ist heute etwas aufgedunsen. Aber – the show must go on.

(9)

9 O-Ton 028 Joost (Kino):

Ich komm mir manchmal so ein bisschen vor wie in Ritter der Kokosnuss, kennst Du den Ritter, dem alles abgehauen wird, der aber immer weitermacht? Ja. Daran erinnert mich das manchmal so’n bisschen – ok, Stimme tut’s nicht mehr, was tut’s denn noch? Ha! (lacht)

(0’16) Autor:

Aktuell ist Joost in einer Fortbildungsmaßnahme. Ansonsten ist er, wie Terry es für sich formuliert, „beim Amt ansässig“. Sprich: Hartz IV. und auch seine Krimis spielen in einem rauen Milieu.

O-Ton 029 Joost (zu Hause):

„Ok, ich fang einfach mal an, ja? ‚Raus hier, Frau Kommissarin brüllte Hinz Peter, es reicht. Was soll das, fragte Britta empört. Sie sind doch krankgeschrieben sagte Herr Lorchbauer, was wollen Sie also hier? Gehen sie weitersaufen, Frau Kommissarin, sagte Hinz Peter und lassen sie uns unsere Arbeit machen. Britta glaubte, nicht richtig zu hören. Sie zeigte Ute ein Bescheuert-Zeichen mit Hinweis auf die BKAler.

Fährmann sah das, stürzte auf Britta zu, packte sie an der Schulter und in den Nacken. Raus hier, wir müssen arbeiten. Lass mich los, Dingsda, brülle Britta, Du hast hier überhaupt nichts zu melden, du Hilfsazubi. Fährmann gab Britta einen Stoß Richtung Tür und ließ sie dann los. ‚Du gehörst doch in den Förderkurs’ schimpfte Britta und ging.’“

Autor:

Joosts Tochter Anouk findet es cool, dass ihr Vater mal Punk war:

O-Ton 030 Anouk:

„Also, das ist keine langweilige Geschichte. Also, ich kann sagen, dass mein vater was erlebt hat. Der Style war cool. Was die früher getragen haben. Und ich will endlich Deinen alten Schmuck sehen! Er sagt mir seit Ewigkeiten, dass er eine alte Schmuckkiste hat von seinen alten Schmucksachen (Joost: Nietenarmbänder und so weiter…) ja, aber ich will’s mir trotzdem angucken! (Joost: Um das an Dich zu

nehmen!) Ja!“

(0’20) Autor:

Anouk ist 15. Was verstehen Sie und ihre Feundinnen heute unter dem Begriff

„Punk“?

O-Ton 032 Anouk:

„Oft so Leute, die auf der Straße sitzen und…(lacht verlegen) Mann, ihr kennt doch diese Leute, die dann so auf der Straße sitzen und dann so… ja, des sehen glaube ich viele aus meinem Alter und denken, dass das Punks sind.“

Autor:

Mit dieser Sorte Punks kann Joost so gar nichts anfangen. Zum Schnorren waren die Punks der ersten Stunde zu stolz. Und Drogen und Alkohol waren verpönt – das einen gehörten den Hippies, das andere den Prolls. Und von beiden wollte man sich absetzten.

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10 O-Ton 033 Joost:

„Also, ich hab nie zu diesen Hängerpunks gehört, die mit ihren Kötern irgendwo rumhingen. Ich hatte zwar auch mal nen Hund zwischendurch, aber mit dem habe ich nicht auf der Straße rumgehangen und gebettelt, mit dem hab’ ich ne Band

gegründet, „Die geilen Greise. Wir sind mit einem anderen Kumpel, der mit seinem Papagei…und wir sind auf dem Schallmauer-Sampler vertreten mit dem Lied „Ich hab Udo Lindenberg die Beine amputiert“, 1984…mein Hund hat gesungen… und der ist dann aber vor der Veröffentlichung der Platte gestorben.“

Autor:

An zuviel Rock’n’Roll-Lifestyle, wie Jost vermutet...

Musik:

Family*5 – Stirb Jung O-Ton 034 Atmo : In der S-Bahn Autor:

Ein kalter Freitagmorgen im Februar, kurz nach Acht: Terry ist auf dem Weg zu seiner Fortbildung. In der S-Bahn erzählt er einen Schwank aus seiner Jugend.

O-Ton 035 Terry:

„Da gab’s damals in Hilden da haben die in der Fußgängerzone Kanalarbeiten gemacht. Kamen die Punks von Hilden an, ham nen Schild hingestellt: Hier baut die Stadt Hilden eine U-Bahn und haben Unterschriften dagegen gesammelt. Und die Leute haben fleißig unterschrieben!“ (lacht)

Autor:

In einer ehemaligen Fabriketage mit Bürogemeinschaftsräumen im Berliner Stadtbezirk Wedding sitzt der Verein Kopf, Hand und Fuß. Hier macht Terry eine Fortbildung zum Inklusionsberater. Die Teilnehmer sollen später Institutionen zur Seite stehen, um diese auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen.

O-Ton 036 Terry:

„Dat is Ralf, wo ich gestern gesagt habe, dass der immer mit seinem Aufnahmegerät rumläuft… (Patrick, hallo)… der wollte mal ne Stunde hospitieren.“

Autor:

In einem der Seminarräume hängen Bilder.

O-Ton 037 Terry:

Genau… Die Bilder… hier von dem Sven, der fotografiert auch, der sitzt im Rollstuhl und ist mehrfach behindert, fotografiert mit den Füßen, malt mir den Füßen…

schreibt mit den Füßen…

O-Ton 038 Atmo:

Küche

(11)

11 Autor:

Die meisten Teilnehmer des Inklusionsberater-Kurses sind selbst auf die eine oder andere Weise eingeschränkt. Der Ex-Alkoholiker Terry hat wegen seinem Diabetes einen Behinderungsgrad von 40 Prozent. Aber sich auf’s Altenteil zurückzuziehen kommt für ihn nicht in Frage.

O-Ton 039 Terry:

„Dat is ja auch’n bisschen wat, wat Punkrock so ausmacht – immer wieder aufstehen, immer wieder abschütteln und weitermachen, so… würde ich so sagen. Dat is mir wichtig, ne?“

Autor:

In der Punkszene hat Terry gelernt, Netzwerke zu bilden und für andere einzustehen.

Joost eher die Lust am Querdenken, am Anecken. Und die Fähigkeit, alles nicht so ernstzunehmen.

O-Ton 040 Joost:

„Es gab mal einen sehr guten Spruch inner Fernsehsendung über Punks in London, den fand ich sehr gut, da meinte einer von denen, das war so 78, das fand ich sehr beeindruckend: ‚Die Welt ist ein Zirkus und wir sind die Clowns da drin.’ Das waren wir teilweise wirklich – und das sind die heutzutage nicht mehr. Die sind so ernsthaft.“

(lacht) Autor:

Beide sind vom Schicksal nicht gerade mit Glacéhandschuhen angefasst worden.

Immerhin haben sie das sechste Lebensjahrzehnt fast vollendet – was vielen ihrer Freunde aus dem legendären Ratinger Hof in Düsseldorf nicht vergönnt war.

O-Ton 041 Joost:

„Und hier ist hinten, die muss ich Dir kurz zeigen, diese tolle Fotoserie. Ja, Aram.

Aram ist leider letztes Jahr gestorben, Gründungsmitglied meiner ersten band VD, also Miniskos, später VD genannt… das ist Peter Stiefermann, der hat sich

erschossen, Aram ist an den Folgen der Diabetes gestorben. Das ist Luis, unser alter Schlaugzeuger, der ist auch schon lange tot. Ralf Krause, auch schon hin… das ist tragisch.“

Autor:

In 40 Jahren Punk haben Joost und Terry aber eine Fähigkeit entwickelt, die man heute gerne als „Resilienz“ bezeichnet. Beide machen trotz gesundheitlicher

Probleme und finanzieller Engpässe einfach weiter. Etwas anderes haben sie nicht gelernt.

Musik 006:

Die Aeronauten – Punx nicht tot (0’10)

O-Ton 042 Terry:

„So, das war’s dann. Wieder ne halbe Überstunde, weil irgend so’n Reporter wieder kam, der sich nicht an die Ladenschlussgesetzte halten kann…“

(12)

12 Musik:

Die Aeronauten

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