10 Die Volkswirtschaft 10 / 2016 FACHKRÄFTE
Indikatoren zeigen Knappheit auf
Ein wichtiger Indikator ist beispielsweise eine un- terdurchschnittliche Arbeitslosigkeit: Insbeson- dere in Verbindung mit einer hohen Quote offener Stellen deutet sie auf einen Fachkräftemangel hin.
Ein weiterer Indikator ist die arbeitsmarktbeding- te Zuwanderungsquote: Stehen im Inland nicht genügend qualifizierte Fachpersonen zur Verfü- gung, sind Unternehmen tendenziell stärker auf ausländische Fachkräfte angewiesen.
Auch die Demografie gilt es zu berücksichtigen:
Gibt es genügend junge Arbeitskräfte, um ältere Arbeitskräfte im Pensionierungsalter zu ersetzen?
Falls nicht, könnten diese Lücken den künftigen Fachkräftebedarf zusätzlich akzen tuieren. Weiter gibt das langfristige Beschäftigungswachstum Aufschluss über einen möglichen Fachkräfte- mangel: So dürfte der Fachkräftebedarf in Berufen mit wachsender Beschäftigung auch in Zukunft anhalten. Schliesslich sind Fachkräftelücken tendenziell in denjenigen Berufen schwieriger zu füllen, die eine Berufsqualifikation auf der Sekundarstufe II oder auf der Tertiärstufe er- fordern. Steigende Qualifikationsanforderungen sind häufig auch mit einer zunehmenden Spezialisierung verbunden, was die Rekrutierung von entsprechend ausgebildeten Fachkräften er- schwert. Diesen Aspekt deckt ein Indikator für die Qualifikationsanforderungen in den Berufen ab.
Die erwähnten Indikatoren wurden für jeden Beruf zu einem Gesamtindex zusammengefügt.
Der Index ermöglicht es, einzelne Berufe hin- sichtlich des Fachkräftemangels einzuordnen.
Um ein vertieftes Verständnis der Ursachen von Fachkräftemangel zu erlangen, müssen die Indikatoren zusätzlich einzeln betrachtet wer- den. Zudem sollten sie, um abschliessend inter- pretiert zu werden, zuweilen auch mit weiteren berufsspezifischen Informationen kombiniert
D
amit die Schweizer Wirtschaft ihre Spitzen- position im internationalen Umfeld halten kann, ist sie auf Fachkräfte angewiesen. Wie kann der Fachkräftemangel gemessen werden?Bereits 2009 haben das Forschungsinstitut B,S,S.
und die Fachstelle für Arbeits- und Industrie- ökonomik der Universität Basel für die Schweiz ein erstes Indikatorensystem entwickelt, um die Fachkräftesituation in den Berufen zu beurtei- len.1 Seither wurde das System aktualisiert und weiterentwickelt.2 Die neueste Ausgabe des In- dikatorensystems hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erstellt und anlässlich des Spit- zentreffens von Bund, Kantonen und Organisa- tionen der Arbeitswelt zum Thema «Fachkräfte Schweiz» im September 2016 veröffentlicht.3 Es stellt Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit eine umfassende Informationsgrundlage zu rund 380 Berufen in 36 Berufsfeldern bereit und schlägt punktuell auch die Brücke zu Potenzialen in den jeweiligen Berufsfeldern.
Fachkräftemangel bedeutet umgangssprach- lich, dass Unternehmen Mühe bekunden, ge- eignete Arbeitskräfte zu finden. Obwohl von der Idee her einfach, ist Fachkräftemangel aufgrund verschiedener methodischer Herausforderungen nicht direkt messbar. Zur Analyse von Fachkräfte- mangel stützt sich das Seco daher auf verschiedene Indikatoren, welche die Fachkräftesitua tion in den Berufen möglichst genau abbilden.
Es mangelt nicht nur an Ingenieuren
Die Nachfrage nach Fachkräften in der Schweiz bleibt gross. Ein Indikatorensystem des Bundes zeigt: Nebst Ingenieuren und Technikern sind beispielsweise auch Manager, Ärzte und Informatiker stark gesucht. Katharina Degen
Abstract Wie lässt sich der Fachkräftemangel messen? Im Hinblick auf das Spit- zentreffen des Bundes, der Kantone und der Organisationen der Arbeitswelt zum Thema «Fachkräfte Schweiz» im September 2016 wurde das bestehende Fach- kräfte-Indikatorensystem des Bundes weiterentwickelt. Zur Beurteilung der Fachkräftesituation wird auf verschiedene Indikatoren abgestellt, welche unter- schiedliche Aspekte der Fachkräfteknappheit in 380 Berufen möglichst genau abbilden. Starke Anzeichen für Fachkräftemangel gibt es insbesondere in den so- genannten Mint-Berufen. Ebenfalls stark betroffen sind Gesundheits-, Informa- tik- und Managementberufe.
1 B,S,S. und FAI / Uni
versität Basel (2009).
Indikatorensystem Fachkräftemangel, Bern: BBT Forschungs
bericht.
2 B,S,S. (2014).
Fachkräftemangel in der Schweiz – Ein Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage in verschiedenen Berufsfeldern. Bern:
Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).
3 Staatssekretariat für Wirtschaft (2016). Fach
kräftemangel in der Schweiz – Indikatoren
system zur Beurteilung der Fachkräftenach
frage, Bern.
Die Volkswirtschaft 10 / 2016 11 FOKUS
ALAMY
Im Gesundheitswesen ist Fachpersonal besonders gefragt.
12 Die Volkswirtschaft 10 / 2016 FACHKRÄFTE
werden. In diesem Sinne bildet das Indikatoren- system des Seco einen Ausgangspunkt für wei- ter gehende Analysen – beispielsweise durch die Branchen- und Berufsverbände.
Ingenieure an erster Stelle
Nicht alle Berufe sind gleichermassen von Fach- kräftemangel betroffen. Starke Anzeichen für einen Mangel gibt es vor allem bei den sogenann- ten Mint-Berufen4 wie beispielsweise den Ingeni- eur- oder Informatikberufen (siehe Abbildung 1).
Stark sind ausserdem Gesundheitsberufe und die Managementberufe betroffen. Einen Verdacht auf Fachkräftemangel gibt es auch bei den Lehr- kräften. Zusammen machen diese Berufe über ein Viertel der Gesamtbeschäftigung aus.
Keine oder vereinzelte Anzeichen für Fach- kräftemangel können hingegen bei den Handels- und Verkaufsberufen, den landwirtschaftlichen Berufen sowie mehreren kleineren Berufs- feldern des sekundären Sektors, wie beispiels- weise in der Textil- und Lederindustrie, be- obachtet werden. Oft sind dies Berufe mit einer hohen Arbeitslosig keit, mit einer negativen Be- schäftigungsentwicklung und mit vergleichs- weise tiefen Qualifikationsanforderungen.
Demgegenüber weisen die Berufsfelder, wo es starke Anzeichen für einen Mangel gibt, oft hohe Qualifikationsanforderungen und eine unter- durchschnittliche Arbeitslosigkeit auf. Weiter kann in diesen Berufen ein positives trendmässiges Be- schäftigungswachstum beobachtet werden. Da die- ses meist durch langfristige strukturelle Faktoren wie die demografische und die technologische Ent- wicklung verursacht ist, dürfte sich das Wachstum mittelfristig fortsetzen. Ein weiteres Merkmal der technischen Berufe ist, dass vergleichsweise viele Stellen unbesetzt sind. Daraus lässt sich schliessen:
Unternehmen können nur schwierig entsprechend qualifizierte Beschäftigte rekrutieren. Ein wich- tiger Ausgleich für den inländischen Fachkräfte- mangel ist die Zuwanderung. Sie spielt vor allem in technischen Berufsfeldern eine wichtige Rolle.
Arbeitsvolumen in Mangelberufen bereits sehr hoch
In Berufen mit starken Anzeichen für Fachkräfte- mangel ist es von besonderer Bedeutung, dass
BFS, SECO, X28 / DIE VOLKSWIRTSCHAFTBFS, SECO, X28 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Abb. 1: Fachkräftebedarf in ausgewählten Berufsfeldern (2012–2014)
Abb. 2: Arbeitsvolumen und Fachkräftemangel in ausgewählten Berufen nach Geschlecht (2012–2014)
Es werden nur Berufsfelder mit einem Beschäftigungsanteil von mehr als 2 Prozent gezeigt. Eine vollständige Einordnung aller Berufsfelder befindet sich im Bericht
«Fachkräftemangel in der Schweiz – Indikatorensystem zur Beurteilung der Fach- kräftenachfrage» (Seco, 2016).
Gesamtindex (hohe Werte deuten auf einen Fachkräftemangel hin)
Gesamtindex (hohe Werte deuten auf einen Fachkräftemangel hin)
Gesamtindex (hohe Werte deuten auf einen Fachkräftemangel hin) Frauen
Männer
100 Arbeitsvolumen (in %)
100 Arbeitsvolumen (in %)
80
60
40 80
60
40
0 1 2 3 4 5 6 7 8
Trendlinie Informatik Management Ingenieurswesen Gesundheitswesen Unterricht/Bildung Weitere Berufsfelder
Ingenieurswesen
Werbung/Tourismus/Treuhand
Gesamtwirtschaft
Reinigung/Körperpflege Gesundheitswesen
Technische Fachkräfte
Baugewerbe
Gastgewerbe/Hauswirtschaft Land und Forstwirtschaft/Tierzucht Management
Unterricht/Bildung
Banken/Versicherungen
Kaufmännische/administrative Berufe Informatik
Erziehung/Fürsorge/Seelsorge
Metallverarbeitung/Maschinenbau
Transport/Verkehr Handel/Verkauf
3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 6,5 7 7,5 8
3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 6,5 7 7,5 8
Die Volkswirtschaft 10 / 2016 13 FOKUS
Katharina Degen
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Ressort Arbeits- marktanalyse und Sozialpolitik, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
latent vorhandene Fachkräftepotenziale – bei- spielsweise in Form von nicht oder Teilzeit er- werbstätigen Berufsleuten – erkannt und optimal ausgeschöpft werden.
Auffallend ist: Die Erwerbsbeteiligung und das Arbeitsvolumen sind in Berufen mit stark erhöhtem Fachkräftebedarf wie in den Mint-Be- rufen in der Regel bereits überdurchschnittlich hoch – und das nicht nur bei den Männern, son- dern auch bei den Frauen (siehe Abbildung 2).
Verschiedentlich könnte einem Fachkräfteman- gel mittels einer Erhöhung der Erwerbsbeteili- gung oder der Arbeitspensen – beispielsweise in den Bildungs- und Unterrichtsberufen – entge- gengewirkt werden.
In verschiedenen Mangelberufen spielt die Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräf- ten eine wichtige Rolle zur Ausgleichung von Fachkräftelücken. Im Zuge der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative besteht eine Zielsetzung darin, das inländische Potenzial an Arbeitskräften noch besser zu nutzen.
Ein Ansatzpunkt zur Steigerung der Er- werbsbeteiligung oder zur Erhöhung von Teilzeitpensen bilden beispielsweise Mass- nahmen zur besseren Vereinbarkeit von Be- ruf und Familie. Ein weiteres zentrales Hand- lungsfeld der Fachkräfteinitiative liegt in der Schaffung guter Bedingungen zur Erwerbstätig- keit für ältere Arbeitnehmende. In Berufen mit starken Anzeichen für Fachkräftemangel liegen die Erwerbsbeteiligung und das Arbeitsvolumen der älteren Arbeitnehmenden tendenziell zwar bereits deutlich über den entsprechenden gesamtwirtschaftlichen Durchschnittswerten.
Allerdings fällt die Arbeitsmarktbeteiligung in allen Berufsfeldern bereits vor Erreichen des offiziellen Pensionierungsalters ab, womit bei älteren Arbeitnehmenden je nach Berufsfeld also durchaus noch Fachkräftepotenziale stecken dürften. In allen Berufen dürften mittelfristig
auch Massnahmen zur Nach- und Höherquali- fizierung der inländischen Fachkräftepotenziale – ein weiteres zentrales Handlungsfeld der Fach- kräfteinitiative – an Bedeutung gewinnen.
Massgeschneiderte Lösungen
Der Hauptbeitrag dieses Indikatorensystems liegt darin, eine umfassende und objektive Analyse der Fachkräftesituation in rund 380 Berufen zu bieten. Es erlaubt
eine Einordnung der Fach- kräftesituation im Vergleich der Berufe untereinander. Ein genauerer Blick auf die einzel- nen Berufsfelder zeigt aber auch: Den Mangelberuf gibt es nicht.
Fachkräftemangel hat unterschiedliche Ursachen und Ausprägungen innerhalb der einzelnen Berufsfelder. So zeigt sich beispiels- weise bei den Gesundheitsberufen ein erhöhter Fachkräftebedarf vor allem bei den Ärzten und den Pflegefachkräften, während medizinische Assistenzberufe keine Anzeichen für Fach- kräftemangel aufweisen. Entsprechend sollte daher für die einzelnen Berufe auf mass- geschneiderte Lösungen abgestellt werden. Das Indikatorensystem bietet eine gute Ausgangs- lage dafür.
In den Mint-Berufen ist die Erwerbsbeteiligung bereits überdurch- schnittlich.
4 Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik.