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Das Missverständnis - Albert Camus

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Academic year: 2022

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Das Missverständnis - Albert Camus

Schriftliche Arbeit zum Diplom

von Lena Taferner und Johannes Sautner

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„Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, es gab ein Missverständnis. 


Und wenn Sie die Welt ein bisschen kennen, wird Sie das nicht wundern.“ 


(Martha, 3.Akt/ 3.Szene)

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Inhaltsverzeichnis


1. Vorwort 


2. Albert Camus 
 2.1. Biographie
 2.2. Philosophie 


2.2.1. Die Absurdität

2.2.2. Mythos des Sisyphos 3. Das Missverständnis


4. Rollenanalyse Jan

4.1 Erläuterungen anhand des Stückverlaufes 4.2 Gleichnis vom verlorenen Sohn

4.3 Offene Fragen

4.3.1 Warum hat Jan seine Heimat verlassen?

4.3.2 Wie ist er zu seinem Wohlstand gekommen?

4.3.3 Wie gehe Ich mit Jans Alter um?


5. Rollenanalyse Martha 
 5.1. Martha


5.2. Der Traum vom Meer
 5.3. Mord 


5.3.1. Serienmord


5.3.2. Wie wird man zum Mörder?


5.3.3. Martha als Mörderin
 5.3.4. Methode 


5.4. Martha und ihre Mutter
 5.5. Martha und Jan


5.6. Martha und Maria 
 5.7. Der Selbstmord 
 5.8. Der Knecht
 6. Assoziationen
 6.1. Bühnenbild 6.2. Effekte 
 6.3. Kostüme 
 7. Nachwort 


8. Quellenverzeichnis

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1. Vorwort

„Das Missverständnis“ ist ein Stück, welches uns bei unserer gemeinsamen Diplomsuche von Anfang an gefesselt hat. Das erste Mal kam es uns noch wie ein spannender Thriller vor, den wir gewillt waren, auf die Bühne zu bringen. Doch je öfter wir darin lasen und je mehr wir uns mit Albert Camus und seiner Sinnlehre beschäftigten, desto mehr erkannten wir die tatsächliche Tiefe des Werkes, entdeckten philosophische Zusammenhänge und wurden auf die bedeutenden Fragen nach Identität, Schicksal, Sinn, auf Themen wie Verfremdung, Sehnsucht, Heimat und Aufrichtigkeit aufmerksam, die das Stück behandelt.


Wer sich oberflächlich mit Camus’ „Missverständnis“ beschäftigt, bekommt immer noch einen spannenden „Krimi“ serviert. In unseren Augen ist es fast schon ein philosophisches Lehrstück. 


Unser Ziel ist es, nicht nur eine packende Schauergeschichte zu erzählen sondern uns in der Arbeit vor Allem mit der Tiefe der Figuren auseinanderzusetzen, die alle in sich selbst gefangen sind. So enthüllen sich die existentialistische Motive des Stückes von selbst und der Autor wird in seinem Werk gewürdigt.


Wir hoffen voller Zuversicht darauf, dass uns das in der Arbeit gelingen wird.


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2. Albert Camus

2.1. Biographie

Albert Camus wurde am 7. November 1913 in Mondovi, Französisch-Nordafrika, auf dem Gebiet des heutigen Algerien geboren. Er war Schriftsteller, Dichter und Philosoph.


Als sein Vater 1914, zu Beginn des ersten Weltkrieges, von der französischen Armee eingezogen und noch im selben Jahr fiel, zog die Mutter mit Albert und seinem älteren Bruder Lucien zu deren Großmutter nach Belcourt, ein ärmliches Viertel von Algier, wo sie als Fabrikarbeiterin und später als Putzfrau arbeitete.


Albert war ein begabter Schüler und bestand 1924 die Aufnahmeprüfung am Gymnasium.

Da er sich für seine analphabetische und leicht hör- und sprachbehinderte Mutter schämte, verbarg er seine Herkunft vor seinen Klassenkollegen.


1930, im Jahr seines Baccalauréats, erkrankte Albert an Tuberkulose, eine Krankheit die ihm sein ganzes Leben lang immer wieder zusetzen würde, und er musste sich in

Behandlung begeben. Nach seiner Genesung und dem Bestehen des zweiten Teils seiner Reifeprüfung studierte er in Algier Philosophie, wo er Simone Hié kennenlernte, welche er 1934 heiratete. Im selben Jahr trat er der kommunistischen Partei bei aus der er später Aufgrund eines Zerwürfnisses mit der Parteiführung ausgeschlossen wurde. 


Da er mit Hiés Morphiumsucht nicht zurecht kam und auf einer Europareise bemerkte, dass sie sich für Drogen prostituierte, verließ er sie schließlich. 


1940 heiratete er Francine Faure. Diese Ehe blieb bis an sein Lebensende bestehen 1942/43 gelang ihm mit seinem Roman „Der Fremde“ und dem Essay „Der Mythos des Sisyphos“ der Durchbruch.

Im zweiten Weltkrieg schloss er sich der Résistance an und arbeitete unter anderem an dem im Untergrund erscheinenden Blatt „Combat“ mit, von dem er später auch Leiter wurde.


In den Nachkriegsjahren galt Camus als einer der Vordenker des Existentialismus. Er war um politisches Engagement bemüht und versuchte immer wieder als unparteiischer, humanitärer Pazifist in das politische Geschehen hineinzuwirken.


Da ihn seine Krankheit immer häufiger an der Arbeit hinderte, nahmen Camus’

Veröffentlichungen in seinen letzten Jahren nach und nach ab.


1957 erhielt er den Literaturnobelpreis „für seine bedeutungsvolle Verfasserschaft, die mit scharfsichtigem Ernst menschliche Gewissensprobleme in unserer Zeit beleuchtet“.

Am 4. Januar 1960 starb Albert Camus bei einem Autounfall auf dem Weg nach Paris.


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Günter Weick schreibt über Albert Camus: „[Albert Camus war] ein poéte engagé, ein Dichter mit Zweifeln, Wandlungen, seiner Leidenschaft und seinem Zorn. Absurde Motive, wie Einsamkeit, Sehnsucht, Auflehnung, Missverständnis, Heimsuchung, Todesurteil und Tod verschmelzen in seinen Dramen und Romanen mit seinem politischen Engagement, mit zeit- und gesellschaftskritischen Elementen.“ (Günter Weick - Das Absurde bei Albert Camus/Ein Essay - August von Goethe Literaturverlag, im großen Hirschgraben zu Frankfurt a/M, 2011 - Klappentext)

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Ein Brief von Camus’ Volksschullehrer Germain Louis (Albert Camus - Der erste Mensch - Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 1997 - Seite 283/284)

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2.2. Philosophie

2.2.1. Das Absurde

Das Wort „absurd“ ist erst mal leicht erklärt. Es leitet sich vom lateinischen Wort

„absurdus“ ab und bedeutet „misstönend“, gleichzusetzen mit „ungereimt“ oder „unfähig“.


Die Wortdefinition ist allerdings auch das Einzige, das sich dabei einfach erklären lässt.

Camus Gedanken über das Absurde sind weithin komplexer, weshalb ich versuchen werde einen kurzen Überblick zu geben, der die Essenz seiner Theorie beinhalten wird.

Weiters greifen wir den Mythos des Sisyphos zur Veranschaulichung auf. 


Alles beginnt damit, dass sich ein Mensch, der jahrelang gedankenlos dem Rhythmus seines Lebens unterlegen ist, eine Frage stellt. Eines Tages „erwacht“ er aus seiner Gewohnheit, wobei der Grund dafür, absolut keinen Rolle spielt, und fragt sich, warum er eigentlich lebt. Wofür lebt er? Was ist der Sinn des Lebens? Und ist das Leben

lebenswert?


Damit hat der Prozess des Absurden bereits begonnen. 


Nun gibt es zwei Möglichkeiten des Fortfahrens: Entweder er gibt die Frage auf und ordnet sich wieder in den Alltag ein, oder er erwacht vollständig und nimmt bewusst wahr, dass der Mensch eine Funktion der Zeit ist. Das kann auf den ersten Blick verwirrend scheinen, doch wird leichter zu erfassen, was Camus gemeint hat, bei dem Verstehen, dass alle Maßstäbe der Natur, wie die Moral, oder die Zielsetzung des Menschen, keinen Sinn ergeben, vor der Allmacht, die über uns herrscht. Diese Erkenntnis löst im Menschen vermutlich umgehend eine Mischung aus Ekel, Angst und Grauen aus. 


Damit kommen wir nun zu den Konsequenzen: Der absurde Mensch versucht nun natürlich diesen zerrissenen Zustand zu beenden, doch drängt sich ihm dabei gleich die nächste Frage auf: Was folgt aus der Absurdität des Daseins? 


Die einzigen Antworten, die es zu geben scheint, sind der Selbstmord oder das Ausweichen. 


Das Ausweichen, würde bedeuten, dass der Mensch die Irrationalität seiner Existenz annimmt und einen neuen Sinn in der Absurdität findet. Das impliziert auch das Ende des Zwiespalts. Stimmt der Mensch der Unmenschlichkeit zu und glaubt bewusst, dass alles gegen ihn ist, kann die einzige Antwort für ihn der Selbstmord sein. 


„Es werden damit 4 Grundsätze aufgestellt: 


- Das Absurde ist die einzige Wahrheit.


- Es schließt jede Hoffnung aus (rechnet also nicht mir der Ewigkeit).


- Das Absurde ist gleichbedeutend mit einem „bewussten Unbefriedigtsein“ und ununterbrochenem Kampf.


- Die Redlichkeit besteht darin, sich auf diesem schwindelnden Grat zu halten; alles andere ist Ausflucht. “

(Zitat von Günter Weick aus „Das Absurde bei Albert Camus“- Ein Essay/ Seite 15)

Nach Albert Camus ist also die einzige Lösung ein bewusstes Leben mit dem Absurden zu führen. 


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2.2.2. Der Mythos des Sisyphos


Eines der wohl berühmtesten Zitate Camus in diesem Zusammenhang, ist: 


„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ (Albert Camus- Der Mythos des Sisyphos/ Seite 145)

Dieser Ausspruch ist sogleich die Essenz der These. 


Doch beginnen wir am Anfang: Sisyphos wurde von den Göttern dazu verurteilt einen Felsblock unaufhörlich einen Berg hinaufzurollen, obwohl dieser immer wieder

hinunterfällt. Über den genauen Grund der Strafe gehen die Meinungen auseinander. Eine der Theorien besagt, dass Sisyphos in seinem Tode noch die Liebe seiner Frau auf die Probe stellen wollte und ihr auftrug, seinen Leichnam mitten auf den Marktplatz zu legen.

Er war allerdings zutiefst erschüttert, als sie seiner Anweisung tatsächlich Folge leistete.

Sisyphos flehte also zu den Göttern, sie mögen ihn noch ein Mal auf die Erde lassen, damit er seine Frau bestrafen kann. Doch zurück im „Leben“, erkannte er wie schön die Umwelt war und wollte das Land nicht mehr verlassen. Er blieb viele Jahre auf der Erde, bis die Wut der Götter auf ihn, ihn in die Unterwelt verbannte, wo er verdammt wurde, den Felsen zu wälzen. 


Camus beschreibt Sisyphos als den absurden Helden, der im Zwiespalt zwischen Leidenschaft und Qual lebt. Unablässig erfährt Sisyphos den Schmerz und die Anstrengung beim Hinaufhieven des Felsbrockens. Dann fällt der Stein in die Ebene zurück und der Moment, die Pause, wenn Sisyphos nach unten geht, um den Stein erneut nach oben zu bringen, ist der spannendste für Camus. In dieser Pause entstehen

gleichzeitig ein Aufatmen und das Gefühl des wiederkehrenden Unheils. Das ist die Stunde des Bewusstseins. 


Camus vergleicht Sisyphos mit einem Arbeiter, der auch sein Leben lang die gleichen Tätigkeiten bzw. Aufgaben ausführt und dessen Existenz und Schicksal genauso absurd sind. Tragisch ist es allerdings nur in den Momenten, in denen er sich bewusst wird. 


Doch die deutliche Einsicht, seiner Lage, welche im Grunde die Ursache seiner Qual sein sollte, vervollständigt seinen Sieg. 


Camus sagt dazu: „Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.“ (Albert Camus- Der Mythos des Sisyphos/ Seite 143)

Darin liegt die Freude des Sisyphos, denn sein Schicksal gehört ihm und sogar der Stein ist seine Angelegenheit. Das Rollen des Steines ist ganz alleine seine Aufgabe und, wenn der absurde Mensch, in dem Fall Sisyphos, dazu „ja“ sagt, gibt es entweder gar kein übergeordnetes Schicksal mehr, oder es ist ein unheilvoll, verachtenswertes.


Das führt mich nun zurück zu dem berühmten Zitat, dass man sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen muss, denn er trotzt der Allmacht und lebt in seiner Welt des Felsenrollens, mit jeden Details, seinen persönlichen Sinn in der Absurdität seines Daseins.

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3. Das Missverständnis

Das Missverständnis ist gewiss ein düsteres Stück. Es entstand mitten in einem eingeschlossenen, besetzten Land, fern von allem, was ich liebte. Es trägt die Farben des Exils. Ich glaube aber nicht, dass es ein entmutigendes Stück ist. Das Unglück hat nur ein Mittel, sich selber zu überwinden, nämlich sich durch das Tragische zu verwandeln. (…) Das Missverständnis versucht, das antike

Schicksalsthema in eine zeitgenössische Fabel zu kleiden. Darüber, ob es gelungen ist, möge das Publikum urteilen. Es wäre allerdings falsch, nach dem Ende der Tragödie zu meinen, das Stück plädiere dafür, sich dem Schicksal zu beugen. Im Gegenteil, es ist ein Stück der Auflehnung und enthält vielleicht sogar eine Moral:

Aufrichtigkeit. Wenn der Mensch erkannt werden will, muss er schlicht und einfach sagen, wer er ist. Schweigt oder lügt er, so stirbt er allein, und alles um ihn herum fällt dem Unglück anheim. Wenn er die Wahrheit sagt, wird er zwar immer noch sterben, aber davor hat er den anderen und sich selber geholfen zu leben.“ -

Undatierter Text aus dem Nachlass von Albert Camus (Albert Camus - Sämtliche Dramen, Erweiterte Neuausgabe - Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Januar 2015 - Seite 99)

In „Das Missverständnis“ geht es um eine Mutter und ihre Tochter Martha, die gemeinsam ein Hotel in einem kleinen Dorf in Böhmen betreiben. Über die Zeit der Handlung ist nichts Genaues bekannt, allerdings scheint es um die finanzielle Lage der Protagonistinnen schlecht zu stehen: Seit geraumer Zeit ermorden sie reiche, einsame Gäste und berauben sie ihrer Habe, um sich eines Tages den Traum vom Leben am Meer erfüllen zu können. 


Die Handlung setzt ein als Jan, der verschollene Sohn, begleitet von seiner Frau Maria, nach 20 Jahren in das Hotel zurückkehrt, um nach dem Tod seines Vaters den beiden hinterbliebenen Familienmitgliedern auszuhelfen.


Er wird jedoch von den beiden Frauen nicht erkannt und weiß nicht, wie er sich zu

erkennen geben soll. Auf der Suche nach einer Lösung quartiert sich Jan in dem Hotel ein.

Geblendet von ihrer Sehnsucht nach dem Meer ermordet Martha mit Hilfe ihrer Mutter den unerkannten Gast, indem sie ihm einen Schlaftee verabreicht und die beiden den

Schlafenden in den nahegelegenen Fluß werfen. 


Unmittelbar danach finden die Beiden den Pass des Mordopfers und sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, gerade Ihren Sohn und Bruder getötet zu haben. 


Die Mutter begeht Selbstmord.


Maria, die nun das Hotel betritt und eigentlich nach ihrem Mann sehen wollte, findet nur mehr Martha vor, die sie nun über das „Missverständnis“ aufklärt und sich bald darauf auch umbringt. 

Die allein zurückgelassene Maria fleht Gott um Hilfe an. Der alte Knecht des Hauses betritt den Raum und beantwortet Marias „Helfen sie mir!“-Rufe mit einem knappen „Nein!“

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Ein Zeitungsartikel den der Protagonist in „Der Fremde“ in seiner Zelle liest:

(Albert Camus - Der Fremde, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 1961 - Seite 104)

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4. Rollenanalyse Jan

4.1 Erläuterungen anhand des Stückverlaufes

Jan tritt das erste mal in Akt I/Szene II auf. Nachdem er vom Tod seines Vaters erfuhr ist er zurückgekehrt um, wie er sagt: „mit meinem Vermögen zu helfen, und wenn ich denn kann, Glück zu bringen.“ (1. Akt, Szene 3, Seite 107) Maria, seine Ehefrau, ist ihm ohne sein Wissen in das Hotel gefolgt, was ihm nicht Recht ist.

Denn er war vor kurzer Zeit schon hier und hatte die Hoffnung, wie der biblische verlorene Sohn ohne sein Zutun erkannt und empfangen zu werden. Eine romantische Vorstellung, die allerdings nicht wie erhofft zur Realität wird. Sattdessen wird er wortlos empfangen und dabei nicht einmal wirklich gesehen: „Schauten mich an, sahen mich aber nicht.“ (1.

Akt, Szene 3, Seite 106). Zu Maria sagt er: “Ich erwartete, mit einem Festmahl empfangen zu werden wie der verlorene Sohn, und man brachte mir Bier für Geld.“ (1. Akt, Szene 3, Seite 107).


Da die gewünschte freudige Familienwiedervereinigung ausbleibt, plagen Jan die Gedanken. Wie begegnet man nach einer Ewigkeit jemandem, dem man lange Zeit

nahestand, dessen Fleisch und Blut man ist und den man im Stich gelassen hat? Will man denn noch erkannt werden? Tut man seiner Familie damit überhaupt recht? Ist man nach all der Zeit wirklich noch „zuhause“? Oder hat man sich verträumt und „(…)es ist nicht so einfach, nach Hause zu kommen, wie immer gesagt wird“ (1. Akt, Szene 3, Seite 107)? Was, wenn einem nicht wie in den biblischen Erzählungen vergeben wird? Was, wenn das Herz vergisst?


Immerhin ist Jan vor 20 Jahren von Zuhause fortgegangen. Über seine Beweggründe weiß man nicht viel, aber der Abschied scheint nicht gerade im Guten verlaufen zu sein:

„Durch diese Tür bin Ich vor zwanzig Jahren fortgegangen. Meine Schwester war ein kleines Mädchen(…). Meine Mutter kam nicht, um mich zu küssen. Damals dachte ich, das wäre mir egal.“ (1. Akt, Szene 3, Seite 106).

Nun ist ihm alles fremd an einem Ort, an dem er erwartet hatte, seine verlorene Heimat wiederzufinden. 


Nach seinem gescheiterten ersten Heimkehrversuch ist Jan, offensichtlich noch ganz perplex, zurück zu Maria. Ich stelle mir vor, dass sie draußen wartete und beide damit rechneten, die Nacht bei Jans Familie zu verbringen. Als Jan bei seinem Besuch merkte, dass er nicht erkannt wird, mutmaße ich, überlegte er kurz und ihm wurde klar, dass er mehr Zeit brauche. Für ihn stand fest, er wolle eine Nacht bei seiner Mutter und seiner Schwester verbringen, um Zeit zu gewinnen und die beiden zu beobachten. Zu diesem Zweck reservierte er bei seiner Mutter ein Zimmer. Dann begleitete er Maria vermutlich zur nächstgelegenen Pension (Die Auswahl in einem kleinen Dorf in Böhmen wird nicht allzu groß gewesen sein), wo er sie einquartierte und ihr seine neuen Pläne ein erstes Mal mitteilte.


Maria, von alldem nicht begeistert, wird hier den Entschluss gefasst haben, ihrem Ehemann zu folgen und ihn von einer anderen Herangehensweise zu überzeugen beziehungsweise sogar aktiv für ein „Wiedererkennen“ zu sorgen.

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Angesichts dieser Lage möchte Jan Maria nun wegschicken, da er Angst hat von Ihr verraten zu werden. Sie ist eine Frau von großen Überzeugungen, die felsenfest an die Einfachheit des Herzens glaubt: „Es gibt nur ein Mittel, und zwar tun, was jeder täte, nämlich sagen: „Da bin Ich“, und sein Herz sprechen lassen.“ (1. Akt, Szene 3, Seite 107) . Für ihn ist das aber alles angesichts der Situation und seiner Bedenken nicht so einfach. Er hat andere Pläne: „Ich nutze die Gelegenheit und sehe sie mir ein wenig von außen an. So erkenne ich leichter, was sie glücklich machen wird. Danach suche ich die Mittel, wie ich dafür sorge, dass sie mich wiedererkennen.“ (1. Akt, Szene 3, Seite 107). Klar ist nun: Er möchte sich nicht zu erkennen geben, er möchte erkannt werden und verlässt sich damit aufs Schicksal, auf Gott (meines Erachtens nach direkt auf der Bühne durch den alten Knecht repräsentiert), was Ihm letztendlich zum Verhängnis wird.

Auf den nächsten Seiten erfahren wir viel Interessantes über die Beziehung zwischen Maria und Jan und deren Gegensätze. Maria unterstellt Jan auf subtile Weise, nicht glücklich mit Ihr zu sein: „Es wäre nicht schwer gewesen zu sagen: „Ich bin euer Sohn, dies ist meine Frau (…), aber Ich war nicht glücklich genug, und heute brauche ich euch““ (1. Akt, Szene 3, Seite 108).


Diese Unterstellung weist Jan zurück, er spricht davon daß er zwar glücklich ist, aber mehr zum Leben dazugehöre: „Glück ist nicht alles, und die Menschen haben

Aufgaben.“ (1. Akt, Szene 3, Seite 108). Ob man Jan glaubt, dass er tatsächlich nur aus Pflichtbewusstsein nach Böhmen zurückgekehrt ist, oder ob vielleicht doch eine

Sehnsucht nach mehr, eine Flucht vor der vermeintlichen Monotonie seines Alltages dahintersteckt, ist Interpretationssache. Da ich den Ansatz weitaus interessanter für die Rolle finde und der ständige Kampf gegen die Eintönigkeit des „absurden“ Lebens ein zentrales Thema in Camus’ Philosophie ist, entscheide ich mich für Letzteres.


Dass Jan auf die Aussage Marias, sie wären seit fünf Jahren verheiratet, antwortet: „Seit bald fünf Jahren.“ (1. Akt, Szene 4, Seite 109), sowie Marias Beschreibung: „(…) Es gibt deine Liebe, und es gibt deine Träume - oder deine Aufgaben, was dasselbe ist.

Du entgleitest mir so oft. Das ist dann, als müsstest du von mir ausruhen.“ (1. Akt, Szene 4, Seite 109), sind weitere Indizien dafür, dass Jan anders denkt als Maria und dass „Lieben“ allein für ihn als Aufgabe nicht ausreicht.


Das Leben, das Jan und Maria führen, mag oberflächlich betrachtet „glückbringend“ sein, doch glaube ich, dass Jan, im Gegensatz zu seiner genügsamen Frau, welche mit

Gesundheit, Liebe und eventuell etwas Geld schon zufrieden ist, nach Verwirklichung und einem Sinn strebt. Diesen meint er jetzt in Martha und seiner Mutter gefunden zu haben.

Er spricht davon, sein Wort halten zu müssen, „Das ich mir an dem Tag gegeben habe als ich begriff, dass meine Mutter mich braucht.“ (1. Akt, Szene 4, Seite 110). 


Im weiteren Gespräch versucht Jan, die zweifelnde Maria, die Angst um ihn hat und sich vor dem einsamen Bett fürchtet, zu beschwichtigen und sie zum Gehen zu bewegen: 


„Ich möchte, dass du mich hier allein lässt, damit ich klarer sehen kann. Es ist doch nicht schlimm wenn einer unter demselben Dach schläft wie seine Mutter, das ist keine große Sache. Gott wird für den Rest sorgen. Gott weiß aber auch, dass ich dich bei alldem nicht vergesse. Nur kann man im Exil oder im Vergessen nicht glücklich sein. Man kann nicht immer Fremder bleiben. Ich will meine Heimat wiederfinden und alle, die ich liebe, glücklich machen. Mehr will ich nicht.“ (1. Akt, Szene 4, Seite 111).


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Maria scheint langsam zu merken, dass sie Jan nicht überzeugen kann. Er ist sich seiner Sache sehr sicher und fest entschlossen, die Nacht in dem Hotel zu verbringen, um seine Mutter besser zu verstehen und im richtigen Moment erkannt zu werden. Über die Männer im Allgemeinen sagt Maria: „Darum tut die Liebe der Männer so weh: Sie können nicht anders, sie müssen verlassen, was ihrem Herzen nah ist.“ (1. Akt, Szene 4, Seite 111). Eine Aussage, die auf Jan in seiner Situation in jedem Fall zutrifft und die er auch bestätigt, Ihr aber versichert: „(…) Sieh mich an, ich bin nicht in Gefahr. Ich tue, was ich tun will, und mein Herz ist friedlich.“

Schließlich löst sich Maria widerwillig von ihm und lässt ihn alleine. Hiermit ist die erste Hürde überwunden und Jan kann sich ganz seinen „Aufgaben“ widmen.


Im nächsten Moment, geht auch schon die Türe auf und Martha, der vom alten Knecht die Tür aufgehalten wird, tritt ein. Ich denke dass Jan sofort in einen Zustand innerer

Aufregung gerät, den er aber noch vor Martha versteckt halten will. Während diese das Gästebuch holt, spricht Jan das erste mal über den alten Knecht, indem er sagt: „Ihr Bediensteter ist seltsam.“ (1. Akt, Szene 5, Seite 112). Auch wenn der Knecht zweifelsohne eine große Rolle spielt und, wie schon vorhin angemerkt, als das

personifizierte Schicksal oder Gott interpretiert werden kann und ich es sehr spannend finde, dahingehend zu forschen, meine ich, dass Jans Worte in dieser Szene alles

beschreiben was er über den alten Knecht wissen kann. Abseits der Metaebene, aus Jans Sicht, lässt sich nur sagen, dass es in diesem Haus einen neuen Bediensteten gibt, der sich seltsam verhält, stumm wirkt, obwohl er das nicht ist, und „(…) es nicht zu hören scheint, wenn man mit ihm spricht.“ (1. Akt, Szene 5, Seite 112).

Martha fährt damit fort, Jan in ihr Gästebuch einzutragen und fragt ihn nach seinen Personalien. Jan führt sich mit falschem Namen ein, gibt aber sein tatsächliches Alter an.

Bei der Frage nach seinem Geburtsort muss er kurz zögern. Dies ist für mich einer der vielen Spannungsmomente der Annäherung zwischen Martha und Jan. Was würde passieren, wenn er einfach mit „hier“ antworten würde? Er traut sich jedoch nicht und antwortet mit „In Böhmen.“ (1. Akt, Szene 5, Seite 113). Eine Antwort, die immer noch alle Möglichkeiten offen lässt.

Wir erfahren, dass Jan ohne Beruf lebt. Auf Marthas Frage, ob das aus Reichtum oder Armut der Fall sei, antwortet er: „Ich bin nicht sehr arm, und darüber bin ich froh, aus verschiedenen Gründen.“ (1. Akt, Szene 5, Seite 113). Hier nimmt er schon ohne Marthas Wissen Bezug auf seine Absicht, ihr und ihrer Mutter unter die Arme greifen zu wollen.


Weiters erzählt er ihr, dass er aus Afrika kommt, womit er natürlich unwissentlich Marthas größte Sehnsüchte anspricht.

Jan steht in dieser Situation als Fremder vor einer Schwester, die ihm als Fremde begegnet. Martha fragt, ob er sich hier niederlassen will. Er antwortet: „Ich weiß nicht.

Das kommt darauf an was ich hier vorfinde.“, aber es erwarte ihn „im Prinzip niemand.“ (1. Akt, Szene 5, Seite 113). Er ist sich seiner Sache unsicher. Ob sie sich wohl jemals wieder nicht fremd sein werden? Ist es nach so langer Zeit überhaupt noch möglich als Bruder und Sohn erkannt zu werden?

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Plötzlich fragt Martha Jan nach einem Ausweis. Ich stelle mir vor, wie Jan das Herz in die Hose rutscht. Er hat einen Reisepass der alles wortlos klären könnte, doch soll er es wagen? Er nimmt all seinen Mut zusammen: Als Maria ihm versichert, es wäre nicht nötig ihr den Pass zu zeigen, fragt er zögerlich, aber eindringlich, ob sie ihn nicht vielleicht doch sehen will. Ein weiterer Spannungs- und Anspannungshöhepunkt im Gespräch der

Geschwister. Doch gerade als sie ihn lesen will, stört der alte Knecht die Beinahe- Exposition und Martha gibt Jan den Pass „ungelesen, wie zerstreut zurück“ (1. Akt, Szene 5, Seite 114).

Nun, glaube ich, macht sich eine gewisse Enttäuschung bei Jan breit. Fast hätte sich alles geklärt, doch nun steht er wieder am Anfang und vor ihm steht immer noch eine Fremde.

Auf die Frage, ob er verheiratet sei, reagiert Jan zunächst leicht empört. Ihm kommt die Frage seltsam vor. Bei den Worten: „Ja, ich bin verheiratet. Haben Sie meinen Ehering nicht bemerkt?“ (1. Akt, Szene 5, Seite 114), meine ich einen Versuch Jans

herauszulesen, von Martha wahrgenommen zu werden, ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Ich denke dass Martha so in ihren Sehnsüchten gefangen ist, dass sie Jan, wie er es auch selbst schon vor Maria gesagt hat, anschaut, aber nicht sieht.


Die Frage wird von Martha allerdings nur mit einem knappen „Nein“ beantwortet und so geht der Kampf gegen Windmühlen in die nächste Runde.


Nachdem Martha das Gästebuch weggelegt hat, versucht Jan, Martha in ein persönliches Gespräch zu verwickeln. So will er herausfinden, mit was für Problemen die beiden zu kämpfen haben, wie er vielleicht helfen könnte und sich seinem Ziel, doch noch erkannt zu werden, annähern.

Als er Martha schließlich versucht näher zu kommen: „Manchmal ist das Leben für sie sicher nicht leicht, oder? Sind sie nicht recht einsam?“ (1. Akt, Szene 5, Seite 115), wehrt ihn diese hart ab. Sie versucht ihm deutlich begreiflich zu machen, dass er nichts weiter als ein Gast in diesem Haus ist und dass er nicht mehr beanspruchen solle, als die Gastfreundschaft die ihm zusteht. 


Diese Abfuhr verunsichert natürlich Jan, welcher das Gefühl hatte sich auf einem guten Weg zu befinden. „Ich hatte dein Eindruck, wir seien einander gar nicht so fremd.“ (1.

Akt, Szene 5, Seite 115), sagt er in einem Versuch, doch noch eine vertraulich-

persönliche Gesprächsbasis zu schaffen, doch hilft es nichts. Martha macht komplett zu und gibt Jan zu verstehen, dass: „(…) zwei Frauen, die Ihnen ein Zimmer vermieten, nicht gezwungen sind, Sie in ihr Privatleben aufzunehmen.“ (1. Akt, Szene 5, Seite 116).

Jan resigniert vorerst und entschuldigt sich für sein Verhalten. Er scheint sich in einer Sackgasse zu befinden. Martha wird ihn hier und heute wohl nicht als ihren verschollenen Bruder erkennen. Er ist unsicher ob sein Plan überhaupt noch aufgehen kann und spielt mit dem Gedanken, unerkannt abzureisen. Doch gibt es da noch seine Mutter. Vielleicht erkennt diese ihn ja doch, wenn sich die richtige Gelegenheit bietet?

„Wenn mein Aufenthalt kurz wird, brauchen Sie mich nicht kennenzulernen. Und bleibe ich länger, dann werden Sie mit der Zeit feststellen, wer ich bin, auch ohne dass ich viel rede.“ (1. Akt, Szene 5, Seite 116).

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Nachdem zwischen Jan und Martha alle Widrigkeiten geklärt sind, betritt auch schon die Mutter den Gastraum. Es muss ein seltsames Gefühl sein, seiner Mutter nach 20 Jahren als Fremder wiederzubegegnen und ich stelle mir vor dass Jans innere Aufregung und Anspannung um noch eine Stufe steigt. 


Zwischen den beiden entsteht ein, vorerst oberflächliches, Gespräch, welches sich aber schnell vertieft. Bald beginnt Jan, der wieder Hoffnung schöpft, zu fragen, ob die Mutter denn schon so lange in diesem Hotel lebt und, als sie bejaht („So viele Jahre, ich weiß nicht mehr, wann es angefangen hat, und habe vergessen, wer ich damals war“ (1.

Akt, Szene 6, Seite 116)), ob nicht vielleicht alles anders gekommen wäre, wenn die beiden Frauen männliche Hilfe gehabt hätten. Die Mutter antwortet, früher hätte ihr Mann, also Jans Vater ihr geholfen, doch sie habe ihn bereits vergessen, bevor er tot war.

Ich glaube, dass Jan sich sehr schuldig fühlt. Wäre er damals nicht von zuhause

weggegangen, hätte er seiner Mutter geholfen und sie unterstützt, hätten sie und Martha nicht so ein tristes, monotones Leben führen müssen. Er steht vor einem Trümmerhaufen den er seines Erachtens nach selbst verursacht hat. Er ist gekommen, um Glück zu bringen, doch vieles von dem, was er „angerichtet“ hat, kann er nichtmehr rückgängig machen. Dies könnte der Moment sein, wo ihm dies schlagartig klar wird.


Nun wagt sich Jan an eine für ihn entscheidende Frage heran: „wenn ein Sohn Ihnen unter die Arme gegriffen hätte, den hätten sie vielleicht nicht vergessen?“ (1. Akt, Szene 6, Seite 119). 


Zwar antwortet die Mutter, alte Frauen würden sogar verlernen, ihre Söhne zu lieben, und dass das Herz sich abnütze, was für Jan natürlich ein Schlag in die Magengrube sein muss, dennoch ist er sich plötzlich sicher: „Aber ich weiß, dass es nie vergisst“ (1. Akt, Szene 6, Seite 119). Ich stelle mir hier vor, dass Jan seiner Mutter in die Augen schaut und noch einen verbliebenen Funken Mutterliebe aufblitzen sieht, der vielleicht

ausgereicht hätte, um Jan wiederzuerkennen. Doch just in diesem Moment mischt sich Martha in das immer intimer gewordene Gespräch ein, „baut sich entschieden zwischen ihnen auf“ (Regieanweisung) und sagt kalt: „Ein Sohn, der hier hereinkäme würde genau das vorfinden, worauf jeder Gast Anspruch hat: wohlwollende

Gleichgültigkeit.“ (1. Akt, Szene 6, Seite 119). 


Obwohl der Moment zwischen Jan und seiner Mutter gestört wurde, ist er sich nun doch sicher: Er möchte bleiben. Ich glaube dieses Erlebnis hat ihm gezeigt, dass seine Mutter ihn nicht ganz vergessen haben kann. Er spürt einen kleinen Hauch Vertrautheit, der ihn dazu bewegt den Frauen mitzuteilen für einige Zeit bleiben zu wollen.

Martha spricht, ehe sie Jan den Schlüssel zu seinem Zimmer überreicht und den Gastraum verlässt, erneut davon, dass „wir uns in diesem Haus nicht um das Herz kümmern können.“ (1. Akt, Szene 6, Seite 120) und versichert ihm, dass er hier nichts finden werde was „menschlicher Nähe ähnelt“. 


Jan nimmt den Schlüssel wortlos entgegen. Ich glaube, dass Marthas Worte ihm

wiederum zu denken geben, er aber immer noch davon überzeugt ist, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er hat gegenüber dein Beiden eine Bringschuld zu erfüllen und weiß vermutlich, dass er, selbst wenn er erkannt werden würde, nicht viel „menschliche Nähe“ (zumindest nicht von Martha), erfahren würde. Trotzdem möchte er Helfen.


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Als Mutter und Jan allein sind, passiert etwas sehr Interessantes: Als Jan ihr beim

Aufstehen helfen möchte, sagt sie: „Lassen Sie, mein Sohn, ich bin nicht gebrechlich.“

(1. Akt, Szene 6, Seite 120)

Danach spricht sie darüber, dass ihre Hände noch die Beine eines Mannes festhalten können, was Jan aber gar nicht mehr wahrnimmt. Die Worte „Mein Sohn“ haben Ihn vollständig aus dem Konzept gebracht. 


Dies ist wohl bis jetzt der Moment, in dem Jan glaubt seinem Ziel am nächsten zu sein. Ich denke, dass er kurze Zeit vermutet, erkannt worden zu sein und nun endlich alles klären zu können. Die Spannung im Raum ist für mich an dieser Stelle förmlich greifbar. 


Er fragt sie: „Warum haben Sie mich „Mein Sohn“ genannt?“ (1. Akt, Szene 6, Seite 120)

Ihre Antwort darauf ist für Jan mehr als nur ernüchternd: „Ach, ich bin durcheinander!

Nicht, um vertraulich mit Ihnen zu tun, glauben sie mir. Nur so eine Redensart.“ (1.

Akt, Szene 6, Seite 120).

Jan war so kurz vom Ziel und ist jetzt geschlagen. Da er, glaube ich, nach dieser

Niederlage nicht weiter weiß und Zeit braucht, fragt er schließlich, ob er in sein Zimmer hochgehen könne (Das diese Frage wie die Frage eines Sohnes klingt, der seine Mutter fragt ob er vom Tisch aufstehen und in sein Zimmer spielen gehen könne, mag Zufall sein).


Am Schluss erwägt Jan noch einen letzten Ansatz („Er schaut sie an. Er will reden“, Regieanweisung), doch ist dann doch der Meinung, den richtigen Moment verpasst zu haben, gibt vorerst auf und bedankt sich für die Aufnahme, die ihm bereitet wird. Dann geht er hinauf. 


Oben angekommen, nehme ich an, stellt Jan seinen Koffer ab während im Gastraum unter ihm gerade diskutiert wird, ob er sterben muss. Jan hat endlich wieder Zeit, um in Ruhe nachzudenken. Bald muss er an Maria denken und darüber, dass es hier vielleicht für ihn kein Glück gibt. Soll er vielleicht doch wieder abreisen, mit Maria in das Land

zurückkehren, wo es keine Probleme gab und sie glücklich waren? Er ist zwiegespalten und hätte sich das Alles nicht so schwierig vorgestellt.

„Maria hat recht, diese Stunde ist schwierig. (Pause.) Was sie wohl tut, was sie denkt in ihrem Hotelzimmer? Sitzt sie mit traurigem Herzen und trockenen Augen verkrampft auf ihrem Stuhl? Die Abende daheim sind voller Glücksverheißungen.

Aber hier… (Er betrachtet das Zimmer.)“ (2. Akt, Szene 1, Seite 125) Doch dann besinnt er sich. Er ist aus einem bestimmten Grund hergekommen.


„Ach was, es gibt keinen Grund zur Sorge. Man muss wissen, was man will. In diesem Zimmer wird sich alles entscheiden.“ (2. Akt, Szene 1, Seite 125)

Ich glaube sogar, dass Jan hier den Mut gehabt hätte, sich seiner Mutter zu offenbaren.

Würde jetzt nicht Martha, bei der er deutlich weniger Hoffnung hat, „unsanft“ an seine Tür klopfen, wäre es die Mutter gewesen, dann hätte Jan sich vielleicht zu erkennen gegeben. 


(19)

Bei Martha hofft Jan jedoch derweil auf Nichts. Immerhin haben sie eine „Abmachung“

getroffen, die es Jan verbietet ihr in irgendeiner Form persönlich nahezukommen. Ich glaube, dass Ihn diese „Abmachung“ sehr trifft und dass er deswegen fast schon

eingeschnappt ist. Immerhin sind sie ja doch Geschwister, sie weiß es lediglich noch nicht.


Martha ist eingetreten um „die Handtücher und das Wasser zu wechseln“. Auf Ihre

Aussage „Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“ (2. Akt, Szene 1, Seite 125), reagiert Jan fast schon beleidigt und meint, er wisse nicht ob die „Abmachung“ die Beantwortung dieser Frage erlaube.

Trotz alledem entspinnt sich zwischen den beiden ein Gespräch. Erst geht es nur darum, dass Martha Jan seinem Gefühl nach zur Abreise bewegen will. Er weiß natürlich nicht, dass Martha ihm damit das Leben schenken würde und fühlt sich dadurch noch weniger willkommen.


Bald reden die beiden jedoch von Afrika. Er erzählt, in Erinnerungen schwelgend, von den menschenleeren Stränden und dem Duft der gelben Rosen. Ich glaube, er sehnt sich in diesem Moment sehr zurück an diesen Ort. 


Die beiden Teilen in diesem Moment die selbe Sehnsucht, es ist ein Gespräch unter Geschwistern und Jan hat das Gefühl, seiner Schwester endlich nahe zu sein. In seinem Kopf spielt er vermutlich schon ein Szenario durch, in dem er sie und ihre Mutter mit nach Afrika nimmt, wo sie wieder gemeinsam als Familie leben können. In einer Anwandlung von Verbundenheitsgefühl sagt er zu Martha: „Ich finde, sie haben eben zum ersten Mal menschlich gesprochen.“ (2. Akt, Szene 1, Seite 129). 


Davon ist Martha alles andere als begeistert. Sie kehrt wieder zu ihrem gewohnt brutalem Tonfall zurück, doch Jan gibt nicht auf:


„Wer sagt, dass Ich keinen Grund hätte, Ihnen bei der Erfüllung ihrer Wünsche zu helfen?“ (2. Akt, Szene 1, Seite 129)

Als Martha entgegnet, es sei ihr Wunsch „Sie aus meinen Plänen herauszuhalten“, sieht Jan sich schließlich wieder einer Fremden gegenüber. „Offenbar sind wir wieder zu unserer Abmachung zurückgekehrt.“ (1. Akt, Szene 1, Seite 129).

Die folgenden Worte Marthas sind für Jan, der sie nicht verstehen kann, sehr eigenartig.

Sie ist wütend und spricht davon, ihn fast zum gehen aufgefordert zu haben, ihn jetzt aber doch gerne hierzubehalten. „Es wird meine Sehnsucht nach dem Meer und den

Sonnenländern ein wenig mildern.“ (2. Akt, Szene 1, Seite 130)

Dass sie sich gerade entschlossen hat, Jan umzubringen, ist ihm nicht bewusst. Ihm kommen Martha und ihre Redensart schlicht eigenartig vor. Bestimmt hat er das Gefühl, dass in diesem Haus irgendwas komisch ist und dass es nicht nur die unverhoffte

Fremdheit ist, die er erfährt., wie man auch an dem Zitat: „(…) Sie begreifen sicher, dass mir alles hier seltsam vorkommt, die Sprache ebenso wie die Menschen. Wirklich ein eigenartiges Haus.“ (2. Akt, Szene 1, Seite 130) erkennen kann.


(20)

Als Martha das Zimmer verlässt wünscht sich Jan nur noch, „zu gehen, Maria wiederzusehen und wieder glücklich zu sein.“ (2. Akt, Szene 1, Seite 130).

Er spricht davon, in diesem Hotelzimmer nichts wiederzuerkennen. Wir erfahren das erste Mal etwas über seine Vergangenheit, bevor er Maria kennengelernt hat:

„Es sieht aus wie jedes beliebige Hotelzimmer in einer fremden Stadt, wo jede Nacht einsame Männer absteigen. Auch das habe ich kennengelernt. Damals kam mir vor, als könnte man dort eine Antwort finden. Vielleicht erfahre Ich sie hier. (…) Und da ist auch wieder meine alte Angst, da, tief in mir drin, wie eine böse Wunde, die bei jeder Bewegung schmerzt. (…) Ich weiß wie sie heißt. Das ist die Angst vor der ewigen Einsamkeit, die Furcht, dass es vielleicht keine Antwort gibt.“ (2. Akt, Szene 2, Seite 131)

Ich glaube, die Antwort von der Jan spricht, ist die Antwort auf die Frage: „Wer bin Ich? Wo gehöre Ich hin? Was ist meine Aufgabe?“. Eine Frage, die ihn wahrscheinlich damals schon dazu gebracht hat, seine Familie zu verlassen und die Ihn auch dazu gebracht hat, wieder zurückzukehren. Es ist eine Lebensfrage, auf die er immer noch keine Antwort gefunden hat und die ihn nicht loslässt, was darauf hindeutet dass er, wie schon anfangs erläutert, mit Maria nicht bedingungslos glücklich sein kann. Offensichtlich hat ihn diese unbeantwortet gebliebene Frage schon an viele Orte getrieben, bis nach Afrika, ans sprichwörtliche Ende der Welt, und nun sucht er wieder am Ursprung. Ein entsetzliches Gefühl muss diese „Angst vor der ewigen Einsamkeit sein“, die Angst niemals irgendwo hinzugehören, keine Heimat zu haben. 


Es ist, glaube ich, diese alte Angst von ihm, die ihn jetzt dazu bringt, die Klingel zu

betätigen. Er wünscht sich vielleicht dass seine Mutter das Läuten erhört und ins Zimmer kommt. Sie ist seine letzte Hoffnung. Doch stattdessen erscheint der alte Knecht an der Türe, dem er sagt, er hätte nur wissen wollen, ob jemand antwortet. 


Nachdem der Knecht wieder abzieht kommt Martha und bringt „versehentlich“ Tee.


Sie verlässt das Zimmer, lässt den Tee da und Jan weiß immer noch nicht was er tun soll.

„Mein Gott! (…) Gib mir Kraft, mich für das, was ich lieber habe, zu entscheiden und mich daran zu halten.“ (2. Akt, Szene 5, Seite 132)

Die Tür geht auf und die Mutter tritt ein. Sie fragt, ob Jan den Tee schon getrunken habe, als dieser bejaht, will sie wieder gehen. Jan trifft in diesem Moment eine für ihn sehr wichtige Entscheidung: Er möchte abreisen. Ich glaube, dass ihm im vorhergehenden Dialog mit der Mutter klar wird, dass er vorerst kein Glück mehr mit seinem Plan haben wird. Er fühlt sich in diesem Haus nicht wohl und möchte zu Maria zurück. Dennoch hat er das Gefühl, bei seiner Mutter nicht ganz auf Granit zu beißen. 


„Mir war, als könnte ich bei Ihnen eine Art Wohlwollen für mich spüren“ (2. Akt, Szene 6, Seite 134), sagt er. Die Mutter entgegnet, sie hätte keine Gründe, Ihm feindselig zu begegnen.


Jan wird aufgeregt. Er nimmt sich nun fest vor, zu einem anderen Zeitpunkt

wiederzukommen, was er seiner Mutter auch mitteilt. „Aber jetzt habe ich erst einmal das Gefühl, als hätte ich mich geirrt und hier nichts verloren.“ (2. Akt, Szene 6, Seite 134)

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Einen Moment in diesem Gespräch gibt es, in dem Jan sich doch noch zu erkennen geben möchte. Es ist der Moment, indem die Mutter sagt, ihr wäre Jans Entschluss abzureisen nicht recht, aber man könne nichts dagegen tun, woraufhin er sagt: „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen begreiflich machen kann, wie sehr ihre Worte mich berühren und freuen.

(Macht eine Bewegung auf sie zu) Wissen Sie…“ (2. Akt, Szene 6, Seite 135)


Die Mutter entgegnet: „Es ist unser Beruf, unseren Gästen zuvorkommend zu begegnen.“ (2. Akt, Szene 6, Seite 135).


Hier resigniert Jan schließlich. Die Zeit ist einfach nicht die richtige und nun wird er auch noch müde und immer müder. Und doch ist er froh, bei seiner Mutter Wohlwollen und nicht nur Kälte zu finden. Das gibt ihm die Kraft, um bald wieder zurückzukehren. Er

verabschiedet sich von der Mutter und bedankt sich. Er versichert ihr, er werde ihr Haus

„nicht wie ein gleichgültiger Gast verlassen“ und fasst für sich den Entschluss, morgen mit Maria zurückzukehren und alles zu offenbaren.


Jan ist ungewöhnlich müde.


„Morgen komme ich mit Maria zurück, und dann sage ich „ich bin’s“. Ich werde sie glücklich machen. Alles ist ganz klar. Maria hatte recht. Ach, ich ertrage diesen Abend nicht, alles ist so fern. Ja oder nein?“ (2. Akt, Szene 7, Seite 136)

Jan schläft ein.

(22)

4.2 Gleichnis vom verlorenen Sohn

Albert Camus greift in „Das Missverständnis“ die biblische Thematik des Gleichnisses vom verlorenen Sohn auf.


Ein Mensch hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater:

Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt! Und er teilte ihnen die

Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und dort vergeudete er sein Vermögen, indem er verschwenderisch lebte. Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden. Und er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten. Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Schweine fraßen; und niemand gab sie ihm. Als er aber zu sich kam, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen! Mach mich wie einen deiner Tagelöhner! Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen. Der Vater aber sprach zu seinen Sklaven: Bringt schnell das beste Gewand heraus und zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war

verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld; und als er kam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Reigen. Und er rief einen der Diener herbei und erkundigte sich, was das sei. Der aber sprach zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiedererhalten hat. Er aber wurde zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber ging hinaus und redete ihm zu. Er aber antwortete und sprach zu dem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten; und mir hast du niemals ein Böckchen gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre; da aber dieser dein Sohn gekommen ist, der deine Habe mit Huren durchgebracht hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. Er aber sprach zu ihm: Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. Aber man muss doch jetzt fröhlich sein und sich freuen; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden und verloren und ist gefunden worden. (Lukasevangelium 15, 11-32 - Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.) Mit dieser Geschichte im Kopf ist Jan aufgebrochen, um seine Familie wiederzufinden. Sie wird auch einige Male von ihm erwähnt und ich glaube, dass sie ihn nicht loslässt. Abseits der Interpretationsmöglichkeiten, die das Gleichnis offen lässt, ist es für Ihn eine

Geschichte von Heimkehr und Vergebung, die Ihn sicher über die Jahre hinweg in der Sicherheit oder zumindest dem Glauben daran leben hat lassen, eines Tages

zurückkehren zu können und wieder als Sohn aufgenommen zu werden. Ich könnte mir sogar vorstellen, das Jan an diese Geschichte in schwachen Momenten, vor Allem in den ersten Jahren nach seinem Aufbruch, gedacht hat, um wieder Hoffnung zu schöpfen und

(23)

sich in Sicherheit zu wiegen, nach dem Motto: „Wenn alles schief läuft, werde ich Zuhause immer noch mit offenen Armen empfangen werden.“

Umso größer die Ernüchterung, als er nach langer Zeit ins Hotel seiner Eltern

zurückkommt um festzustellen, dass er einem Irrglauben aufgesessen ist. Er dachte er hätte eine Heimat, die er vor Jahren verlassen hatte, doch dem ist nicht so. Dieser Ort ist nichtmehr seine Heimat.

4.3 Offene Fragen


4.3.1 Warum hat Jan seine Heimat verlassen?


Jan spricht im Gespräch mit Maria oft von seinen Träumen und Aufgaben. Ich glaube, dass der Wunsch nach etwas größerem, die Sehnsucht nach der Welt, Jan wie Martha angeboren ist. Jan, der der ältere ist, hatte nur eben die Möglichkeit, diesen Träumen nachzugehen. 


Über den konkreten Auslöser seines Aufbruchs lässt sich im Stück nichts genaues finden.

Ich mutmaße, wie schon in den „Erläuterungen anhand des Stückverlaufs“ erwähnt, dass dieser nicht ganz friedlich gewesen sein kann, da die Mutter ihm keinen Abschiedskuss gab. 


Eine für mich funktionierende Theorie ist, dass Jan, der 18 war, als er abreiste, die Führung des Hotels hätte übernehmen sollen, da der Vater in den Ruhestand gehen wollte. Da er nicht bis zum Ende seines Lebens ein Hotel in einem kleinen Dorf in Böhmen führen wollte, sondern mehr von der Welt sehen wollte, kann ich mir vorstellen, dass es zu einem Familienstreit kam der dazu führte, dass Jan die Familie verließ, um seinen

Träumen nachzugehen.

4.3.2 Wie ist er zu seinem Wohlstand gekommen?

Es mag nach einer einfachen Lösung klingen, aber ich kann mir tatsächlich vorstellen dass Jan sein Vermögen gewonnen hat. Im ersten Akt, Szene 5 erfahren wir, dass Jan ohne Beruf lebt. Über seine vorhergehende Tätigkeit wird nie etwas erwähnt. Es wäre möglich dass Jan, sich in den ersten Jahren seines „Exils“ in verschiedenen europäischen Städten herumgetrieben hat, wo er sich mit niederen Jobs über Wasser gehalten hat und dass er an einem dieser Orte eines Tages in der Lotterie gewonnen hat, worauf hin er sich in Afrika niedergelassen hat, wo er schließlich Marie kennenlernte.

4.3.3 Wie gehe ich mit Jans Alter um?


Im Stück ist Jan 38 Jahre alt. Ich denke allerdings, dass sich sein Alter leicht modifizieren lässt und dass ich ihn guten Gewissens auf 27 Jahre verjüngen kann. Das einzige

mögliche Problem dabei wäre, dass der Zeitraum, in dem ihn seine Mutter und Martha nicht gesehen haben, auf 10 Jahre verkürzt werden würde und dass sie ihn so noch leichter erkennen könnten. Hier bin ich allerdings der Meinung, dass die beiden Frauen an einem Punkt sind, wo Ihnen dies ohnehin nicht mehr möglich ist. Martha ist von ihrer Sehnsucht nach der Ferne und die Mutter teils von ihrem schlechten Augenlicht, teils von ihrem Todeswunsch geblendet.

(24)

5. Rollenanalyse Martha


5.1. Martha

Mutter: „Ich würde dich gern manchmal lächeln sehen. (…) Ich habe es noch nie gesehen.“ Martha: „Das kommt vor, wirklich. (…) Weil ich auf meinem Zimmer lächle, wenn ich allein bin.“ (1.Akt / 1. Szene)


Das Tragische an der Figur Martha ist, dass sie das ganze Stück über nur versucht einen Weg zu finden, glücklich zu werden und ihr dieser durch Missverständnisse,

Unachtsamkeiten und Angst genommen wird. 


Sie ist eine ernste, zielstrebige, direkte, starke Person, die mit ihrer Mutter und einem alten Knecht in einem Gasthaus, in einem kleinen Dorf in Böhmen, lebt. Sie versucht vernünftig zu sein und immer eine deutliche Sprache zu sprechen. Martha:„Ich habe es immer besser gefunden, die Dinge beim Namen zu nennen.“(1.Akt/ 5.Szene)

Der Vater ist vor nicht allzu langer Zeit gestorben, und der Bruder Jan hat die Familie verlassen, als Martha noch ein Kind war. Über Marthas Alter erfährt man nicht viel, außer, dass sie älter sein muss, als 20. Martha: „(..), aber ich spüre in meinem Herzen die Reste der Sehnsüchte einer Zwanzigjährigen (..).“(1.Akt/ 8.Szene) Da ihre Mutter allerdings von einem „Mädchen“ spricht, nehme ich 25 als Marthas ungefähres Alter an. Mutter: „Man kann nicht immer so starr und steif sein wie du, Martha. Außerdem, auch zu deinem Alter passt das nicht. Ich kenne viele Mädchen, die sind im selben Jahr geboren wie du

(…).“ (1.Akt / 1. Szene)


Martha hat den großen Traum, so bald wie möglich, wenn sie und ihre Mutter genug Geld gesammelt haben, ans Meer ziehen zu können. Sie erwähnt immer wieder, wie sehr sie diesen Ort hasst, wo sie leben. Ich denke, Martha meint auf der einen Seite, den

geographischen Ort Böhmen, der ihrer Beschreibung nach trübselig, verregnet und ein Schattenland ist. Maria: „Europa ist so traurig. Seit unserer Ankunft habe ich kein Lachen mehr gehört, ich werde schon misstrauisch.“ (1.Akt/ 3.Szene) Martha fühlt sich auch nicht zu Hause, weder in dem Gasthaus, noch in dem Ort.


Martha: „(..), er ist hier nicht zu Hause, niemand ist hier zu Hause. Und niemand wird hier jemals Geborgenheit und Wärme finden. (..) und uns erspart, ihm beibringen zu müssen, dass dieses Zimmer zum Schlafen gemacht ist und die Welt zum Sterben.“ (2.Akt/

8.Szene)


Die Familie hatte schon Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen, als Jan und der Vater noch bei ihnen gelebt haben. Das erwähnt die Mutter sogar einmal

gegenüber Jan: Mutter: „Früher ja, da hat mir mein Mann geholfen, aber die Arbeit wuchs uns über den Kopf. Wir beide konnten sie kaum bewältigen.“ (1.Akt/ 6.Szene)

Deswegen begannen die Eltern und Martha reiche, alleinreisende Männer zu ermorden um sich ihr Geld anzueignen. Auf meine näheren Gedanken und Interpretationen zu den Morden, gehe ich allerdings im nächsten Punkt genauer ein. 


Der Vater starb und die zwei Frauen führten ihre Pläne fort. Das Gasthaus ist also sowohl Mordinstrument in ihrem Plan, als, dass es auch einen Spiegel Marthas blutiger

Vergangenheit darstellt. Deshalb ist Martha sehr darauf fokussiert, alles zu tun, dieses Schattenland hinter sich lassen und endlich frei am Meer leben zu können. 


Martha: „Zu viele graue Jahre sind über dieses kleine Dorf und über uns hinweggegangen.

Sie haben dieses Haus nach und nach kalt werden lassen. Sie haben uns den Sinn für Anteilnahme genommen. Ich sage es Ihnen noch einmal, hier werden Sie nichts finden, das menschlicher Nähe ähnelt. (..)“ (1.Akt/ 6.Szene)

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5.2. Der Traum vom Meer

Martha: „Viel lieber träume ich von jenem anderen Land, wo der Sommer alles unter sich begräbt, wo die Winterregen die Städte überschwemmen und die Dinge endlich sind, was sie sind. (2.Akt/ 1.Szene)


Martha: „Stimmt es, dass der Sand einem dort an der Küste die Füße verbrennt?“


Mutter: „Man hat mir gesagt, dass die Sonne alles verzehrt.“ 


Martha: „Ja, sogar die Seelen, das habe ich in einem Buch gelesen: Sie erschafft wunderbare Körper, aber innerlich sind sie hohl.“ 


Mutter: „Träumst du deswegen vom Meer?“ 


Martha: „Ja, ich habe genug davon, meine Seele mit mir herumzuschleppen, ich will schnell das Land finden, wo die Sonne alle Fragen tötet.“ (1.Akt/ 1.Szene)


In Marthas Traum von einem besseren Leben gibt es für mich fünf zentrale Themen: das Meer, die Sonne, die Freiheit und die Ruhe, die Heimat.


Martha spricht immer wieder davon, endlich frei leben zu wollen. Ich denke, dass die Freiheit, die sie sucht, aus vielen Teilen besteht. Zum einen engen die Mauern des Gasthauses, die Ebene und Größe des Dorfes und die Kälte der Menschen, sie ein.

Martha: „Hier besteht unser ganzer Frühling aus einer Rose mit zwei Knospen im Klostergarten. Das genügt, um die Menschen meines Landes zu rühren. Doch ihr Herz ähnelt dieser kargen Rose. Ein kräftiger Hauch, und schon würden sie welken; sie haben den Frühlings, den sie verdienen.“ „Meine Geduld für Europa ist erschöpft, wo der Herbst aussieht wie der Frühlings und der Frühling nach Elend riecht.“ (2.Akt/1. Szene) 


Zum anderen wünscht sich Martha meiner Meinung nach auch Freiheit ihres Geistes und ihrer Seele. Die Arbeit in dem Gasthaus ist sowohl beschwerlich, als auch monoton. Unter den Umständen traue ich mich sogar, einen Schritt weiter zu gehen und den Alltag

Marthas mit Akkordarbeit zu vergleichen, bei der man nach Jahren auch abstumpft und wie in Watte gepackt lebt. Martha hat keine Freude, keinen Spaß, keine Herausforderung, aber vor allem auch keine liebevollen sozialen Beziehungen um sich. Die Mutter, als

Marthas einzige Bezugsperson, ist eher enttäuschend, da sie selbst in einer Depression gefangen ist, die sie müde macht und alle Gefühle mit Gleichgültigkeit ersetzt. Martha ist allerdings in dem System, das ihre Eltern ihr vorgaben gefangen und hat keinerlei

Perspektive auf eine schönere Zukunft. Sogar der Bruder, ihre einzige Hoffnung, hat sie verlassen. In diesem Sinne denke ich, dass die Freiheit, die Martha vor allem sucht, die Grenzenlosigkeit des Lebens und der Möglichkeiten betrifft. Nah verwandt mit diesem Motiv, ist die „Ruhe“ zu erwähnen. Ich halte Martha für eine kluge und nachdenkliche Person, die ständig von Fragen über die Sinnhaftigkeit der Welt und spezieller ihres

Lebens geplagt wird. Man könnte auch sagen, dass sie statt der Ruhe ihres Geistes, auch einen inneren Frieden sucht. Martha: „Das Menschliche ist an mir nicht das Beste.“ (2.Akt/

1.Szene) Auf jeden Fall erhofft sich Martha durch die Sonne am Meer eine Reinigung ihrer Seele. Sie möchte, dass die Sonne ihr Innerstes, das Schlechte an ihr, die Wut auf die Menschheit, die Einsamkeit und ihre Verbrechen verzehrt, um dann die Möglichkeit zu haben, die hohle Hülle ihres Seins neu aufzufüllen mit Schönen Gedanken und Taten, eine Art Neubeginn, oder Wiedergeburt. Martha: „Ich werde zum zweiten Mal geboren, ich komme bald in das Land, in dem ich glücklich sein werden.“ (3.Akt/ 1.Szene) Martha sagt auch, dass Sie will, dass die Sonne alle Fragen tötet. Sie wünscht sich, den Zustand zu erreichen, nicht mehr zweifeln und fragen zu müssen, sondern unbeschwert und

unbegrenzt leben zu können.

(26)

Das Meer unterstreicht in diesem Sinne die Symbolik der Erneuerung. Wasser ist

unentbehrlich für das physische Überleben, aber es symbolisiert auch das geistige Leben, eine Fruchtbarkeit des Geistes sozusagen. Es steht für Reinigung und für eine

Naturgewalt, auf die der Mensch keine Macht und keinen Einfluss hat. Man könnte fast sagen Wasser enthält etwas zutiefst mythisches und religiöses. Immerhin gibt es schon seit dem Zeitalter des Menschen heilige Quellen und Flüsse, zu denen Kranke pilgerten, um sich durch die heilende Kraft des Wassers zu erneuern und ihre Beschwerden zu lindern. 


In Marthas Fall drückt die Sehnsucht nach dem Meer ihre Sehnsucht nach einem neuen Leben, nach Glück aus. Im Meer, oder überhaupt in Wasser zu baden, ist ein Vorgang den der Mensch, wenn auch nur unterbewusst, noch von seiner Zeit als Embryo im Mutterleib kennt. Er hat keine Verpflichtungen, keinen Druck, keine negativen Ängste oder Gefühle.

Er „schwimmt“ einfach in dem Fruchtwasser und wird dabei von dem Leib seiner Mutter geschützt. Als erwachsener Mensch in einem Meer zu treiben, bedeutet dahingehend eine Form des Loslassens, sowohl geistig, als auch körperlich und dabei auch das

Bewusstsein, von der Macht der Natur gehalten zu werden. 


Die Heimat oder besser noch das Suchen einer Heimat, ist für mich das letzte zentrale Motiv in der Trauminterpretation. Martha: „Hier gehöre ich nicht her.“ (1.Akt/ 1.Szene) Martha fühlt sich nicht zu Hause in dem Gasthaus, wo alles kalt und fremd ist. Martha: „Sie haben dieses Haus nach und nach kalt werden lassen.“ (1.Akt/ 6.Szene) 


Ich denke, dass Heimat sehr stark verbunden ist mit der Liebe zu Menschen und dem Gefühl nach Geborgenheit. Martha hat außer ihrer Mutter keinerlei soziale Kontakte, auch keine Freunde, bei denen sie sich zu Hause fühlen könnte. Die Beziehung zu ihrer Mutter beinhaltet nichts liebevolles, nichts „Warmes“, so dass es für mich sehr logisch ist, wenn Martha ihre Heimat in ihrem Traum von Licht, Wärme, Meer und Glück sucht. Die Suche nach Heimat ist meiner Meinung nach ein zentrales philosophisches Thema der

Menschheit. Doch ob man nun Heimat in einem spezifischen geographischen Ort, in Menschen, die man liebt, oder aber in sich selbst findet, bleibt letztendlich die

Entscheidung eines jeden Einzelnen.

5.3. Mord

„Unsere haben am wenigsten zu leiden, das Leben ist grausamer als wir.“


5.3.1. Serienmord

Mord ist natürlich ein zentrales Thema dieses Werks, und insbesondere meiner Figur Martha. Zu Beginn finde ich es wichtig eine Begriffserklärung, beziehungsweise Eingrenzung zu geben. Es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Mördern, wie zum Beispiel Massenmörder, Sexualmörder, Raubmörder, Beziehungsmörder usw., die alle verschieden definiert werden. Nach eingehender Recherche würde ich Martha und ihre Mutter zu Serienmördern zählen. Die Definition des Begriffs Serienmörder, ist leicht zusammenzufassen: Ein Serienmörder ist jener, welcher mindestens 3 Menschen unabhängig von Ort und/ oder Zeitpunkt tötet. 


Im Stück wird zwar nicht gesagt, wie viele Menschen die zwei Frauen bereits tatsächlich ausgelöscht haben, jedoch geben diese durch ihre Aussagen Hinweise darauf.

Martha zur Mutter: „Dabei wissen sie doch, die Gelegenheiten sind selten!“ Mutter: „Die Gelegenheiten waren selten, aber sie haben sich auf viele Jahre verteilt.“ 


Mutter: „Aber die Gewohnheit beginnt beim zweiten Verbrechen. Beim ersten beginnt nichts, da hört etwas auf.“


Diesen Zitaten ist einerseits zu entnehmen, dass die Beiden mindestens zwei Menschen getötet haben, und anderseits, dass sich ihr Morden über einige/ viele Jahre erstreckt.

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Weiters benutzen beide das Pronomen „ unsere“, wenn sie über die Opfer sprechen. Dem Stück ist auch zu entnehmen, dass die Familie begonnen hat zu morden, als der Vater noch gelebt hat. Martha: „Seien Sie optimistisch!“ 


Mutter: „Das hat dein Vater auch immer gesagt, Martha, ich erkenne es wieder. Aber ich möchte sicher sein, dass wir heute zu, letzten Mal gezwungen sind, optimistisch zu sein.

Eigenartig! Er sagte es, um die Angst vor der Polizei zu vertreiben, du benutzt das Wort nur, um die kleine Sehnsucht nach Anständigkeit zu zerstreuen, die ich eben hatte.“ (1.Akt/

8.Szene)

Die Mutter spricht immer wieder davon, nur aus Gewohnheit etwas gesagt, oder getan zu haben. Damit Gewohnheit sich in einem Leben so stark etabliert, muss der Zustand über eine lange Zeit hinweg bestehen. Ich gehe also davon aus, dass die Eltern einige Zeit nach Jans Verlassen, begonnen haben sich Geld durch Morde anzueignen. Später half Martha im „Familiengeschäft“ und als ihr Vater starb, führten es die zwei Frauen alleine weiter. Ich gehe also von ungefähr zwanzig Opfern aus, weshalb man Martha und ihre Mutter durchaus als Serienmörder bezeichnen kann. 


5.3.2. Wie wird man zum Mörder?

Bei der Antwort dieser schwierigen Frage scheiden sich die Geister. Einige Theorien besagen, dass Menschen, die morden, tatsächlich biologisch abnormal sind. Der Hirnforscher Wolf Singer ist zum Beispiel der Meinung, dass die Spiegelneuronen von Mördern nicht richtig arbeiten. Spiegelneuronen sind ein System im Gehirn, das für die Bildung von Empathie unerlässlich ist. Demzufolge würden aus Menschen ohne intakte Spiegelneuronen Psychopathen bzw. auch Mörder werden. Allerdings stößt diese Theorie bei einigen Forschern auf Widerstand. 


Eine andere Hypothese ist, dass die Lust des Tötens im Menschen tiefevolutionär verankert ist und durch extreme Zustände dessen zum Vorschein kommen kann. Damit wäre der Exfreund gemeint, der seine Geliebte aus Rache tötet, oder der junge

Bankangestellte, der es satt hat, arm zu sein und sich das Vermögen seiner Opfer anreichert, usw. Es gibt unzählige Motive, die den Menschen einmalig dazu bringen können zu töten. Ist das eigentliche Ziel danach noch nicht erreicht, oder merkt der Täter, dass er die Lust zur Tat immer wieder verspürt, schlägt er erneut zu. 


Das würde bedeuten, dass aus jedem Menschen, egal welcher Familiengeschichte, Biologie, Herkunft, Heimat usw. ein Mörder werden kann, wenn die für ihn richtigen Ziele, Wünsche, Sehnsüchte, es erfordern. 


Andere Theoretiker meinen jedoch, dass einerseits aggressives Verhalten bis hin zur Psychopathie vererbbar ist, und andererseits das Umfeld und die Entwicklung des Kindes eine enorme Rolle spielen. So muss zum Beispiel ein Kind, mit psychopatischen

Veranlagungen, diese nicht ausleben, wenn es in einer liebevollen, fürsorglichen

Umgebung aufwächst. Anders könnte ein biologisch normales Kind, später ein Verbrechen begehen, wenn das Umfeld dieses fördert. 


Die These von dem Neurologen Professor Jonathan H. Pincus besagt, dass es drei Faktoren gibt, die die Entstehung eines Mörders fördern: Kindesmissbrauch,

neurologische Störungen und psychische Krankheiten. Um seine These zu stützen,

analysierte Pincus 150 Täterprofile. 94 dieser wurden sexuell, oder körperlich missbraucht.

Hinzukam Vernachlässigung, Gewalt und Ablehnung.

5.3.3. Martha als Mörderin

Nun versuche ich den Bogen wieder zu Martha aufzugreifen. Für mich ist Martha weder biologisch abnormal, noch empathielos. Im Gegenteil, zeigt sie zum Beispiel sehr viel Mitgefühl und Verständnis gegenüber ihrer Mutter. Martha: „Ich kann Ihre Arbeiten hier im

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widersprüchlich betrachten kann. Martha möchte nicht, dass ihre Opfer leiden müssen.

Auch will sie den Tod dieser nicht mit eigener Hand ausführen und ihn auch nicht sehen müssen.

Martha mordet zum einen, weil sie es so gelernt hat. Der Vater und die Mutter lehrten ihr in diesem Sinne, dass Mord ihre einzige Lösung der Gewinnvermehrung sei. Sie wuchs mit diesen Verbrechen auf und so ist es nur selbstverständlich, dass die zwei Frauen nach dem Tod des Vaters, diese Methode weiterführen. 


Auf der anderen Seite tötet Martha, für ein höheres Ziel, nämlich, um sich ihren großen Traum am Meer zu leben, verwirklichen zu können. Dazu ein Zitat, das für mich ihren Grund der Morde, ihr Ziel und damit ihre innersten Wünsche und Sehnsüchte am besten zum Ausdruck bringt: Martha: „Ach, Mutter! Wenn wir viel Geld zusammenhaben und aus dieser trübseligen Gegend wegkommen, wenn wir dieses Gasthaus und diese verregnete Stadt hinter uns lassen, dieses Schattenland vergessen können- an dem Tag. Wenn wir endlich am Meer sind, von dem ich so träume, an dem Tag werden Sie mich lächeln sehen! Aber man braucht viel Geld, wenn man frei am Meer leben will. Darum müssen wir uns um den Mann kümmern, der jetzt kommt. Wenn er reich genug ist, vielleicht fängt meine Freiheit dann mit ihm an.“(1.Akt/ 1.Szene)

Dabei befindet sie sich in keinem Rausch, sondern weiß klar und realistisch, was sie tut und vor allem, dass ihre Verbrechen keineswegs in Ordnung sind. Martha: „Verglichen mit unseren Verrücktheiten sind die harmlos, das wissen Sie.“ Ich mag keine Anspielungen.

Ein Verbrechen ist ein Verbrechen, man muss wissen, was man will.“(1.Akt / 1. Szene) Doch sie ist so unglücklich, dass sie bereit ist, alles zu tun, um ihre Freiheit zu erlangen.

Martha: „Das Menschliche sind meine Wünsche, und für deren Erfüllung könnte ich alles vernichten, was mir in die Quere kommt.“ (2.Akt/ 1.Szene) 


5.3.4. Die Methode

Martha und ihre Mutter töten nur reiche Männer, die allein unterwegs sind. Martha:“ Wenn er reich ist, umso besser. Aber er muss auch allein sein.“ (Akt 1/ Szene 1) Das wirft für mich natürlich die Frage auf, warum unter den Opfern keine Frauen dabei sind. Vielleicht ist die Antwort banal, und es reisen einfach zu dieser Zeit keine reichen alleinstehenden Frauen. Vielleicht suchen sich Martha und ihr Mutter, aber auch ihre Opfer aus einem bestimmten Grund aus. In diesem Fall denke ich, dass Männer für Martha das Verlassen symbolisieren. Ihr Bruder Jan ist fortgegangen, ihr Vater ist gestorben, beide Männer haben sie auf schmerzliche Weise verlassen. Vielleicht ist Martha unbewusst wütend auf die Männer, die sie verlassen haben und die Männer, die in das Gasthaus kommen und vertraulich mit ihr tun, obwohl sie sie gar nicht kennen. Zusätzlich sind diese finanziell vermögend, was sicher auch ein Grund ihrer Wut ist. Martha lebt schon immer in Armut und dann muss sie sich ansehen, wie immer wieder reiche Männer in ihrem Gasthaus absteigen, die eventuell sogar mit ihrem Vermögen prahlen, während sie nichts hat, sondern nur vom Meer träumt. Das sind allerdings meine ganz persönlichen

Spekulationen. 


Ein weiterer wichtiger Punkt ist, die Art, wie Martha Menschen tötet. 


Der Tathergang wird von Ihnen sehr klar beschrieben: 


Martha: „Sie wissen doch, wir töten ihn nicht einmal wirklich. Er trinkt seinen Tee, dann schläft er ein und während wir ihn zum Fluss bringen, lebt er ja noch. Es wird lange dauern, bis man ihn findet, an ein Wehr gepresst, gemeinsam mit anderen- die sind

offenen Auges ins Wasser gegangen, er hat viel mehr Glück gehabt als sie. Unsere haben am wenigsten zu leiden, das Leben ist grausamer als wir. (1.Akt/ 1.Szene)

Aus diesem Zitat ist auch zu entnehmen, dass Martha noch eine Möglichkeit gefunden hat, mit ihren Verbrechen umzugehen. Nämlich indem sie sich einredet, den Menschen etwas Gutes getan zu haben, wobei sie nicht leiden mussten. 


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