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Selbstmord Marthas

Im Dokument Das Missverständnis - Albert Camus (Seite 34-37)

5. Rollenanalyse Martha

5.7. Selbstmord Marthas

„Es ist gerecht, dass ich allein sterbe, nachdem ich allein gelebt und allein getötet habe.“ 


(3.Akt/ 3.Szene)

Martha ist nach Jans Tod direkt jauchzend vor Freude und Erleichterung. Martha: „Heute Morgen atme ich zum ersten Mal seit Jahren durch. Mir ist, als könnte ich schon das Meer hören. Ich spüre eine Freude, dass ich schreien könnte. (3.Akt/ 1.Szene) Es scheint so, als hätte Jans Tod Martha aus ihrer Verzweiflung geholt, weil dies der letzte Baustein in ihrem Plan ans Meer zu kommen war. Plötzlich hat sie Interesse daran, ob sie noch schön ist. Als wäre eine große Last von ihren Schultern gefallen und hätte ihr gestattet, nun endlich das Mädchen sein zu dürfen, das sie ist. 


Der Knecht gibt Martha den Pass und sie und ihre Mutter erkennen, dass der Tote ihr Sohn bzw. Bruder war. Die Mutter entschließt sich fast noch in der gleichen Minute dazu, sich das Leben zu nehmen. Mutter: „Nun, ich habe ja gewusst, dass es irgendwann so kommen würde und dass ich dann Schluss machen muss.“ (3.Akt/ 1.Szene) Es wirkt so, als wäre dies der Moment, der sie aus der Gleichgültigkeit wachrüttelt und zum Handeln bewegt. Die Müdigkeit ist verflogen, und sie weiß, jetzt klar, was sie will, nämlich ihrem Sohn nachfolgen. Mutter: „Lass nur, Martha, ich habe lange genug gelebt. Viel länger, als mein Sohn. Ich habe ihn nicht wiedererkannt, und ich habe ihn getötet. Jetzt kann ich zu ihm gehen, auf den Grund des Flusses, dessen Pflanzen schon sein Gesicht

bedecken.“ (3.Akt/ 1.Szene) Sie sagt auch, dass der Schmerz über den Verlust Jans ihr die Augen zu einer Veränderung geöffnet hat und sie ohne die Liebe ihres Sohnes nicht weiterleben kann. Mutter: „ich lebe wieder, in dem Augenblick, da ich nicht ertragen kann weiterzuleben.“ (3.Akt/1.Szene) Martha hindert sie nicht, und die Mutter geht in den Tod.

Man erfährt nichts Genaues über ihren Selbstmord, aber da sie davon spricht, mit ihrem Sohn am Grunde des Flusses zu liegen, nehme ich an, dass sie sich ertränkt hat. 


Martha ist tiefer erschüttert über das Verlassen ihrer Mutter, als über den Bruder, den sie getötet hat. Im Gegenteil spricht sie sogar voller Hass von Jan, der ihrer Meinung nach nichts anderes verdient hat, weil er erstens nicht den Mut hatte sich zu öffnen und zweitens schon alles erlebt hatte, was einem Mann zusteht. Martha: „ Alles, was das Leben einem Mann geben kann, hat er gekriegt. Er hat unser Land verlassen. Er hat andere Gegenden gesehen, das Meer, freie Wesen. Ich habe hier ausgeharrt. Ich bin geblieben, klein und dunkel, in der Ödnis, tief im Herzen des Kontinents, bin auf dieser schlammigen Erde groß geworden.“ (3.Akt/ 1.Szene) Ihr Schmerz geprägt von Eifersucht auf ihren toten Bruder, der schlussendlich all die Dinge kennen lernen durfte, nach denen sie sich schon ihr Leben lang sehnt. Zusätzlich fühlt sie sich von ihrer Mutter ungerecht behandelt. Sie war immer für ihre Mutter da, ist nicht fortgegangen, wie ihr Bruder, hat geholfen die Familie über Wasser zu halten und nun, wo endlich die Zeit kommen würde, ihren Traum vom Meer verwirklichen zu können, dankt ihre Mutter es ihr mit ihrem

Selbstmord. Martha: „Aber mir wollen Sie alles vorenthalten und mir nehmen, woran er sich erfreut hat? Soll er mir sogar die Liebe meiner Mutter wegnehmen, Sie in seinen kalten Fluss mitreißen?“ (3.Akt/ 1.Szene) Doch die Mutter verlässt sie und Martha bleibt in dem Wissen zurück, dass die Liebe ihrer Mutter nicht so stark war, wie die zu ihrem

schweigenden, verlorenen Sohn. Der Abschied der beiden ist genauso kalt, wie es ihre restliche Beziehung war: 


Martha: „Was könnte den stärker sein, als die Verzweiflung Ihrer Tochter?“


Mutter: „Die Müdigkeit vielleicht, und die Sehnsucht nach Ruhe.“ (3.Akt/ 1.Szene)


Martha empfindet unendlich viel Hass, Schmerz und Traurigkeit für die beiden Toten und erkennt, dass die Welt sinnlos ist. 


Mit dem Tod ihrer Mutter endet für Martha der Traum von einer besseren Welt. Sie bricht in einem Monolog emotional völlig aus sich heraus und erkennt immer mehr, dass es nie mehr möglich sein wird, das Meer zu sehen. Bei dem Gedanken an ihren Bruder entsteht keinerlei Reue, oder Schuldgefühl, sondern nur Neid und Gram, dass die Mutter sie wegen ihm verstoßen hat. Martha: „ Ich war nicht als meines Bruders Hüterin bestimmt. (…) Er hat jetzt bekommen, was er wollte, und ich bleibe einsam zurück, fern vom Meer, nach dem ich mich so gesehnt habe! Ich hasse Ihn! Mein Leben lang habe ich auf die Welle gewartet, die mich forttragen soll, und jetzt weiß ich, sie wird nie kommen! (..) Ich werde nie bekommen, was mir zusteht. (..) Ich hasse ihn, weil er bekommen hat, was er wollte!

(..) Meine einzige Heimat ist dieser verriegelte, finstere Ort, dieser Himmel ohne Horizont, nichts habe ich für meinen Hunger als die sauren Pflaumen dieses Landes, nichts für meinen Durst als das Blut, das ich vergossen habe. Das ist der Preis, den man zahlen muss für die Zuneigung einer Mutter! (3.Akt/ 2.Szene)

Martha ist sich an dieser Stelle klar darüber, dass es für sie kein Weiterleben mehr geben kann. Doch würde ich nicht sagen, dass sie resigniert flüchtet, oder gar aufgibt. Im

Gegenteil besteht ihre Revolution gegen die Welt und das Schicksal, in dem Mord an sich selbst.

Martha: „Denn bevor ich sterbe, werde ich nicht zum Himmel blicken, um ihn anzuflehen.

(..)Ich, die ich Unrecht leiden muss, der keine Gerechtigkeit wird, ich werde nicht

niederknien. Meinen Platz auf Erden habe ich verloren, bin von meiner Mutter verstoßen, allein mit meinen Verbrechen werde ich diese Welt verlassen, unversöhnt.“ (3.Akt/

2.Szene) In diesem Zitat wird auch offensichtlich, dass Martha sich keiner Macht beugen will, sondern stolz und ohne Entschuldigung von der Welt gehen möchte, für die sie in ihren Augen alles getan hat, was sie konnte. 


Bevor Martha sich umbringt, hat sie noch eine Unterhaltung mit Maria, welche gekommen ist, um ihren Mann zu suchen. Martha hat sich jedoch bereits zum Sterben entschieden und spricht deshalb klar und kalt und voller Hohn zu Maria. Sie erklärt ihr, dass es so etwas wie Heimat nicht gibt, weder im Leben, noch im Sterben und dass die Welt absurd.

Auch stellt sie das Leben und den Sinn danach in Frage. Martha: „Wir sind bestohlen worden, Ich sage es Ihnen. Was soll dieses große Verlangen des Daseins, dieser

Aufschrei der Seelen? Warum sich nach dem Meer, nach der Liebe sehen? Lächerlich ist das. (..) Merken Sie sich: Ihr Schmerz wird nie an das Unrecht reichen, das dem

Menschen angetan wird. (3.Akt/ 3.Szene)

Schließlich bringt sich Martha alleine in ihrem Zimmer um, damit sie nicht den Anschein erweckt, sie würde ihrer Mutter und ihrem Bruder nachfolgen und weil sich vermutlich zu wütend ist, um jemals wieder vereint mit ihnen sein zu wollen.

Martha: „Ich habe genug gesehen und gehört und bin entschlossen zu sterben. Aber ich werde Mutter und Bruder allein lassen. Was soll ich in ihrer Gesellschaft? Ich lasse sie mit ihrer wiedergefundenen Liebe, ihrer blinden Zärtlichkeit. Weder Sie, seine Frau, noch ich haben mehr mit beiden zu tun, sie haben uns für immer verlassen. Zum Glück habe ich mein Zimmer und kann dort alleine sterben.“ (3.Akt/ 3.Szene)

Martha: „Mich hat meine Mutter verstoßen. Jetzt ist sie tot, ich habe sie zweimal verloren.“ (3.Akt/ 3.Szene)

Im Dokument Das Missverständnis - Albert Camus (Seite 34-37)