A3304 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 49⏐⏐8. Dezember 2006
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rzte und Ärztinnen hängen symbolisch ihre Kittel an den Nagel, veranstalten einen Grablich- terzug, suchen in Berufskleidung auf Weihnachtsmärkten das Gespräch mit Passanten, errichten Informati- onsstände in Fußgängerzonen, vertei- len Handzettel und saure Äpfel, be- suchen Wahlkreisbüros von Bundes- tagsabgeordneten, nehmen sich einen gesundheitspolitischen Fortbildungs- tag, arbeiten unter Kerzenbeleuch- tung (Motto: Gute Nacht, deutsche Gesundheitsversorgung) in ihren Pra- xen, gehen in den Krankenhäusern in eine aktive Mittagspause, versam- meln sich abschließend zu Kund- gebungen und Diskussionsveranstal- tungen – eine Normalversorgung der Patienten fand am 4. Dezember nicht statt. Bundesweit blieb etwa ein Drittel aller Arztpraxen geschlossen.Der Entwurf zum GKV-Wettbe- werbsstärkungsgesetz (GKV-WSG)
schafft Allianzen, die zuvor keiner für möglich gehalten hätte: Kassenärzt- liche Bundesvereinigung und MEDI Deutschland, Deutsche Kranken- hausgesellschaft und Marburger Bund, Verbände der Medizinischen Fachberufe und der Apotheker, Bun- desärztekammer und Freie Ärzte- schaft, insgesamt mehr als 40 Organi- sationen und Verbände des Gesund- heitswesens hatten sich zu dem bun-
desweiten Aktions- und Protesttag unter dem Motto „Patient in Not – diese Reform schadet allen!“ zusam- mengeschlossen. Deutlich zum Aus- druck kam dabei die einhellige Ab- lehnung der Reform durch sämtliche Gesundheitsberufe. Auch die Kran- kenhäuser beteiligten sich an den Ak- tionen – mit Plakaten oder Infostän- den; in rund 300 Krankenhäusern fanden Veranstaltungen oder Kund- gebungen statt. Viele Apotheken blie- ben geschlossen oder machten für die Kunden die Einschränkungen deut- lich, die mit der geplanten Gesund- heitsreform verbunden sein werden.
Die Patienten seien „die Verlierer dieser Reform“, warnte der Präsi- dent der Bundesärztekammer, Prof.
Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, zum Auftakt des Aktionstags in Berlin.
Das Gesetz orientiere sich vor allem an Finanzierungs-, nicht an Ver- sorgungsfragen. Wie in den Ge- sundheitssystemen Großbritanniens, Schwedens oder der Niederlande werde es zu einer Zuteilungs- und Staatsmedizin kommen. Die an- haltende Unterfinanzierung werde zum Abbau von Versorgungsstruktu- ren führen, Krankenhausabteilungen müssten geschlossen werden. Die AKTIONSTAG GEGEN DIE GESUNDHEITSREFORM
Gute Nacht, Gesundheitsversorgung!
Die Angehörigen der Gesundheitsberufe führen den Patienten mit aller Deutlichkeit vor Augen, wohin die Reise mit der geplanten Gesundheits- reform gehen wird.
Aktionstag:
Diese Reform scha- det den Patienten – so das eindeutige Urteil von Frank Ulrich Montgomery, Jörg-Dietrich Hoppe und Rudolf Kösters (v. r. n. l.) vor der Bundespresse- konferenz.
Fotos:Ipon
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daraus resultierende Wartelistenme- dizin bringe eine „strukturelle Ratio- nierung“ mit sich. Um dies den Pati- enten vor Augen zu führen, würden nicht Streiks, sondern Parallelaktio- nen zur medizinischen Versorgung im Vordergrund des Aktionstags ste- hen. In Nordrhein-Westfalen, wo ein Schwerpunkt der Protestaktionen lag, hätten mehr als die Hälfte der Krankenhäuser auf Sonntagsbetrieb umgestellt. Solche Zustände, warnte Hoppe, werde es nach Inkrafttreten des GKV-WSG dauerhaft geben –
„das ist unsere Botschaft des Tages“.
Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. rer.
pol. Rudolf Kösters, zeigte sich ent- täuscht von den Gesundheitsreform- bemühungen der Großen Koalition:
„Dort, wo sich bislang die Verbände partnerschaftlich über Qualitätssi- cherung, Leistungsspektrum und In- novationen verständigt haben, sollen in Zukunft vom Staat eingesetzte, hauptberufliche Akteure entschei- den. Früher hieß es: Vorfahrt für die Selbstverwaltung. Heute: Vorfahrt für den Staat.“ Auch Kösters betonte, dass letztlich der Patient der Verlierer der Reform sein wird. Er müsse sich auf längere Wartezeiten und eine Bil- ligmedizin einstellen und solle dafür auch noch höhere Beiträge zahlen.
Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. med. Frank Ulrich Mont- gomery, bezeichnete das Gesetz als Ausdruck eines riesigen politischen Irrtums; hier hätten Spitzenpolitiker der Großen Koalition entschieden, die keine Ahnung hätten, wie das Ge- sundheitswesen wirklich funktioniert.
Die Veranstalter des bundeswei- ten Aktionstags „Patient in Not – die- se Reform schadet allen!“ sprachen von einem großartigen Erfolg. Inner- halb von nur drei Wochen sei es ge- lungen, alle Gesundheitsberufe und die Krankenhäuser zu einer wir- kungsvollen Informationskampagne zu bewegen. Bundesgesundheitsmi- nisterin Ulla Schmidt kritisierte die Massenproteste der Gesundheitsbe- rufe. Es sei ärgerlich, „wenn Patien- ten oder kranke Menschen in Geisel- haft genommen werden für Forde- rungen nach mehr Geld“. I Thomas Gerst, Martina Merten
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