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Archiv "Abwehr biologischer Gefahren: Auf der Spur hochpathogener Erreger" (23.11.2012)

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A 2352 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 47

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23. November 2012

ABWEHR BIOLOGISCHER GEFAHREN

Auf der Spur hochpathogener Erreger

Ob neuartige Infektionen oder bekannte, seltene Krankheiten wie Milzbrand: Pathogene rasch zu identifizieren, dient dem Gesundheitsschutz und der Abwehr biologischer Gefahren.

Wesentlich dafür ist die Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten.

E

s waren schmerzhafte papulö- se Läsionen an den Schultern einer 28-jährigen Patientin, die sich der Hausarzt nicht erklären konnte.

Er verschreibt Antibiotika, keine Besserung. Im Gegenteil: Kopf- schmerzen, Fieber und zervikale Lymphadenitis treten auf, die Lä- sionen beginnen zu ulzerieren. Der bakteriologische Befund ist negativ.

Als sich hämorrhagische Ulzeratio- nen mit schwarzen Krusten und ge- rötetem, ödematös geschwollenem Randwall bilden, wird die Patientin stationär aufgenommen. Ein Der- matologe kontaktiert das Robert- Koch-Institut (RKI) in Berlin und lässt Proben dorthin senden.

Als Delia Barz, medizinisch-tech- nische Assistentin im Fachgebiet

„Hochpathogene virale Erreger“ am Zentrum für Biologische Sicherheit (ZBS), an einem Mittwochvormittag das Krustenmaterial untersucht, hat dieses schon einige Stationen hinter sich. Darunter eine transmissions- elektronenmikroskopische Unter - suchung im Fachgebiet „Schnell - dia gnostik biologisch relevanter Erreger“ durch Michael Laue. Der promovierte Biologe, Leiter des Fachgebiets, sucht nach Virusparti- keln. Bei 30 000-facher Vergröße-

rung wird er fündig: Gestalt und Größe weisen auf Orthopocken hin.

Barz bereitet eine Polymerase- kettenreaktion (PCR) für den quali- tativen Nachweis vor. Das Ergeb- nis: positiv für Orthopocken. Die Serumanalysen ergeben hohe ortho- pockenspezifische Antikörpertiter für IgM und IgG. Nach einer Gen- sequenzanalyse steht fest, dass es sich um Kuhpocken handelt, ver- mutlich übertragen beim Kontakt mit einer kranken Katze.

Das ZBS am Robert-Koch-Insti- tut ist die Referenzeinrichtung des Bundes für hochpathogene biologi- sche Agenzien. Es ist als Folge des sogenannten heißen Herbstes 2001 aufgebaut worden: die Flugzeugan- griffe von Al-Qaida auf das World

Trade Center und das Pentagon am 11. September, bei denen Tausende Menschen starben. Die erste Welle der Milzbrandbriefe trat nur neun Tage später auf: Mit Milzbrandspo- ren verseuchte Umschläge wurden aus einer Stadt in New Jersey an Fernsehsender und eine Zeitungsre- daktion in New York versendet (1).

Die zweite Welle der Milzbrand- briefe begann am 9. Oktober. Zwei Briefe mit einem feinen Pulver er- reichten die Büros der US-ameri - kanischen Senatoren Tom Daschle und Patrick Leahy in Washington.

Das offenbar schwebfähig gemach- te Pulver verbreitete sich durch kleinste Luftzüge auch in angren- zenden Gebäuden. Von mehreren Hundert Personen mit Anste- ckungsverdacht erkrankten 22 an Haut- und Lungenmilzbrand. Fünf Patienten starben an einer pulmona- len Manifestation. Als Herkunft eines Teils der Briefe vermutet das FBI einen ehemaligen Mitarbeiter des medizinischen Forschungsinsti- tuts der US-Armee in Fort Detrick.

Zweifelsfrei geklärt scheint dies noch immer nicht (2).

Am 10. Oktober, fast zeitgleich mit dem Beginn der zweiten Milz- brandbriefwelle in den USA, tauchte Lars Schaade,

Leiter des Zentrums für Biologische Si- cherheit am Robert- Koch-Institut: „Un- ser Ziel ist es, Ärzte auch für seltene Krankheitsbilder zu sensibilisieren.“

Lassaviren in einer kolorierten elektro- nenmikroskopischen Aufnahme

Foto: picture alliance

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in einem Berliner Möbelhaus ein Brief mit verdächtigem weißem Pul- ver auf. Aus dem RKI kam rasch Entwarnung. Aber am 2. November, einem Freitag, schien der Bioterror Deutschland erreicht zu haben: Ein mit Tesafilm verklebter Brief, ent- deckt im Arbeitsamt der thüringi- schen Stadt Rudolstadt, und zwei Kartons in Neumünster erregten Verdacht. Ein mikrobiologisches Speziallabor in Jena informierte das zuständige Landesgesundheitsamt in Erfurt über seinen Verdacht, es kön- ne sich um Anthrax handeln. Die Re- publik geriet in Aufruhr. Bundeskri- minalamt, Kanzleramt, Ministerien, Bundesanwaltschaft wurden einge- schaltet, die Medien in Kenntnis ge- setzt, Proben zum RKI transportiert.

Vier Stunden, nachdem sie in Berlin angekommen waren, stand fest:

Fehlalarm. In dem Brief aus Thürin- gen fand man Bakteriensporen, aber nicht von Bacillus anthracis, sondern von B. thuringiensis, einem insek- ten-, aber nicht humanpathogenen

Erreger. Am RKI hatte man eine dort neu entwickelte PCR angewandt, die B. anthracis auch aus Umweltproben mit hoher Sicherheit nachweist. Die meisten Labors in Deutschland aber waren mit ihren Anthrax-Tests bis dahin auf die Untersuchung von klinischem Material eingestellt.

Die Aufarbeitung des Gesche- hens offenbarte Sicherheitslücken in Deutschland: Viele Labors hätten vermutlich eine positive Anthrax- Probe 2001 niemals erkennen kön- nen, und sie hätten selbst dieses Problem wahrscheinlich nicht be- merkt, resümieren Experten im

„Bundesgesundheitsblatt“ (3). Es werden Defizite beim Umgang mit Verdachtsproben vor Ort, bei Zu-

ständigkeiten, Informationsstruktu- ren und der Beantwortung der Fra- ge festgestellt, wohin, wie schnell und auf welchem Weg Verdachts- proben transportiert werden sollten.

Es folgt der Aufbau des ZBS mit derzeit sechs Fachgebieten und cir- ca 120 Mitarbeitern. „Bis heute ist zum Glück kein Fall eines bioterro- ristischen Anschlags in Deutschland bestätigt worden“, erläutert Priv.- Doz. Dr. med. Lars Schaade, Leiter des ZBS. Die Fehlalarme hatten Trittbrettfahrer ausgelöst.

Informationsbedarf ist groß

„Zu den wichtigsten Unterstützern für unsere Aufgabe gehören die niedergelassenen Ärzte“, erläutert Schaade. „Unser Ziel ist es, Ärzte und die zuständigen lokalen Institu- tionen auch für seltene Krankheits- bilder zu sensibilisieren.“

Noch Ende 2001 wurde am ZBS die Informationsstelle des Bundes für Biologische Sicherheit (IBBS) eingerichtet. Wissenschaftliche In-

formationen zu hochpathogenen Er- regern zu sammeln und zu bewerten, Strategien zur Risikominimierung zu erarbeiten und Behörden und Ein- satzkräfte in Deutschland zu unter- stützen, sieht Dr. rer. nat. Christian Herzog, Leiter der IBBS, als Haupt- aufgaben der Stelle. Eine Umfrage unter circa 300 Gesundheitsämtern im vergangenen Jahr habe ergeben:

80 Prozent haben Informationsbe- darf zu Infektionskrankheiten und biogenen Toxinen mit Relevanz für die Abwehr biologischer Gefahren.

Mit der Aufklärung von unge- wöhnlichen Krankheitsfällen oder -ausbrüchen, bei denen als Ursache die Freisetzung eines biologischen Agens mit terroristischer oder mili-

tärischer Absicht infrage kommt, beschäftigen sich auch Einrichtun- gen der Bundeswehr, wie das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München (4).

Allgemein steht bei Bundeswehr- instituten die Forschung an B-Waf- fen-Schutz im Aufgabenbereich von Soldaten der Bundeswehr oder ver- bündeter Streitkräfte im Vorder- grund, vor allem auch in Auslands- einsätzen. Auf internationaler Ebene hat sich die Bundesrepublik der Global Health Security Initiative an- geschlossen, gegründet Ende 2001 zur Abwehr von Terrorismus mit biologischen, chemischen, radioak- tiven und nuklearen Waffen und pandemischer Influenza (5). Denn westliche Länder sehen sich zuneh- mend dem Risiko von terroristi- schen Anschlägen ausgesetzt.

Die Gefahrenabwehr kann gene- rell nur im Zusammenhang mit ei- ner zivilen, nationalen Überwa- chung von Ausbruchsereignissen erfolgen, in Kooperation mit natio-

nalen und internationalen For- schungsverbünden und Institutio- nen, wie dem European Center for Infectious Diseases and Prevention in Stockholm, und mit Frühwarn- systemen über Online-Datenbanken.

Die Abwehr biologischer Gefahren lässt sich – zumindest in Deutsch- land – nur legitimieren und finan- zieren, wenn sie gleichzeitig der In- fektions- und Seuchenabwehr und dem Katastrophenschutz dient.

Risiken bei Fernreisen

In den letzten Jahren waren am RKI zunehmend Erkrankungen durch seltene Erreger aufzuklären: Fälle von Kuhpocken, eingeschleppt über

„Kuschelratten“ aus Osteuropa (6), Bakterienkultivie-

rung im Labor der Sicherheitsstufe drei: Bacillus anthra- cis (links) und Kolo- nien einer anderen Bacillus-Spezies (rechts) auf Blut- agarplatten Schnelldiagnostik

unter dem Elektro- nenmikroskop: Mi- chael Laue fokus- siert ein kettenbil- dendes Bacillus mit Sporen im Innern – ein ähnliches Bild wie bei Bacillus an- thracis, dem Milz- branderreger.

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23. November 2012 Tularämie und Chikungunya-Fieber

bei Reisenden. Der Verursacher von Tularämie (Hasenpest) zum Bei- spiel, Francisella tularensis, wird von Experten der National Insti - tutes of Health (NIH), die in den USA in die Forschung zur B-Waf- fen-Abwehr eingebunden sind, als eines der sicherheitsrelevantesten Bakterien eingestuft: wegen extre- mer Infektiosität – zehn Erreger kön - nen eine Erkrankung auslösen –, möglicher tödlicher Komplikatio- nen wie Pneumonie und Sepsis und leichter Verbreitung (7). Auch Rizin - intoxikationen des Menschen in Suizidabsicht wurden beobachtet und der selten gewordene Milz- brand in neuer Manifestation: als Injektionsanthrax, höchstwahrschein - lich ausgelöst durch kontaminiertes Heroin (8–11).

„Importiert, absichtlich freige- setzt oder unabsichtlich in die Umwelt gelangt – das sind Fragen, die rasch beantwortet werden müs- sen, wenn hochpathogene Erreger oder Toxine auftreten“, betont Her- zog. „Wir bieten aber auch den auf Länderebene zuständigen Institu- tionen Unterstützung in akuten Gefahrensituationen an“, sagt Her- zog. Zum Beispiel Anfang des Jahres, als aus der Nähe von Flens- burg der Verdacht gemeldet wurde, ein junger Mann könne an einer Vergiftung durch Rizin gestorben sein. „Der Verdacht hat sich bestä- tigt“, erläutert Herzog. „Es war der erste von drei Suizidversuchen mit

Rizin in Deutschland im Jahr 2012 und leider erfolgreich.“ Das Pflan- zengift gehört zu den hochtoxi- schen Substanzen, die häufig im Zusammenhang mit B-Kampfstof- fen und terroristischen Gruppen genannt werden (12).

Gefährliche Bakterientoxine Bakterielle Erreger, für die am RKI eine Diagnostik bereitsteht, sind zum Beispiel Bacillus anthracis, Yersinia pestis, Vibrio cholerae, Francisella tularensis (Hasenpest), Burkholderia mallei (Rotz), Brucel- la-Spezies und Coxiella burnetii (Q-Fieber). Von den sicherheitsrele- vanten Viren lösen viele hämorrha- gisches Fieber aus: Ebola-, Guanari- to-, Lassa-, Marburg-, Machupo- oder Hantavirus. Das Pockenvirus Variola major zählt zu den „üblichen Verdächtigen“, bei den Toxinen

sind es Botulinumtoxin, Rizin und Staphylokokken-Enterotoxine. Die meisten Krankheitserreger fallen in die höchsten Sicherheitskategorien drei und vier. Für einen Großteil sind am ZBS Nachweismethoden über PCR etabliert, für viele auch elek tronenmikroskopische, spektro- skopische und immunologische Ver- fahren.

In der Fachliteratur wird seit lan- gem das Problem geschildert, dass sich zwischen Erregern mit und ohne Biowaffenpotenzial nicht klar unterscheiden lasse (13). So könne eine Liste, wie sie die US-Regie- rung aufgestellt habe (14), paradoxe Effekte haben: Forschungen wie die Analyse von Pathogenitätsfaktoren, Entwicklung von Therapeutika und Vakzinen oder wissenschaftliches Publizieren könnten aus Sicher- heitsgründen eingeschränkt sein, wie etwa die Veröffentlichungen der Studien zweier Forschergrup- pen, die das Vogelgrippe-Virus A/H5N1 durch wenige genetische Modifikationen so verändert hatten, dass sich Säugetiere über kontami- nierte Luft infizierten. Im Juni die- ses Jahres wurden die Arbeiten dann doch publiziert (15, 16). Oh- nehin entstünden durch genetische Adaptation von Bakterien und Vi- ren an Veränderungen der Umwelt wie Klimawandel, Bevölkerungs- wachstum, Hygiene und Medika- mente in der Natur immer wieder neue Erregervarianten und Zoono- sen, schreiben Forscher der NIH.

Letztlich sei die Natur „ein Bio - terrorist“ (17).

Auch aus Erfolgen der Medizin kann ein Sicherheitsproblem wer- den. So hatte die Weltgesundheitsor- ganisation (WHO) 1980 Variola- major-Viren für ausgerottet erklärt und empfohlen, restliche Bestände zu vernichten oder in zwei Hoch - sicherheitslabors in den USA und Russland zu transferieren. Ob es nur in diesen Labors noch Virusbestän- de gibt, ist nie verifiziert worden.

Zugleich wird kontrovers diskutiert, ob die Variola-Bestände vernichtet oder aufbewahrt werden sollten für die Vakzineentwicklung und zur Abwehr von Terroranschlägen (18).

Bis jetzt hat die WHO keinen Ter- min für die Vernichtung festgelegt.

„Ein Anschlag mit Pockenviren wäre sicher am schwerwiegends- ten“, sagt Schaade, auch Vizepräsi-

Wir haben ein Defizit bei der Botulismus-Diagnostik:

Es gibt keinen Standard zum Umgang mit klinischen Proben.

Brigitte Dorner, Robert-Koch-Institut Schutzanzüge

vor dem Labor der Sicherheitsstufe drei

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dent des RKI. „Der Erreger ist von Mensch zu Mensch übertragbar, ungeimpft ist mit einer Letalität von 20 bis 30 Prozent zu rechnen.“

Nur durch rasche Impfung könnten die Menschen im Notfall geschützt werden. Zwischen Bund, Ländern und Wissenschaft sei deshalb für den Fall eines Pockenverdachts oder -angriffs ein Pockenrahmen- konzept entwickelt worden. „Auch Pockenimpfstoff wird vorgehal- ten“, sagt Schaade.

Schnellnachweise durch PCR Das ZBS 1 ist das deutsche Konsili- arlabor für Pockenviren. „Innerhalb von drei Stunden könnte unser La- bor Pockenviren nachweisen durch Real-time-PCR“, erläutert der Lei- ter des Fachgebiets, Priv.-Doz. Dr.

rer. nat. Andreas Nitsche. Diese Me - thode werde für zahlreiche Viren in Zusammenarbeit mit anderen Abtei - lungen des ZBS auch zur Vor-Ort-

Diagnostik in mobilen Feldlabors entwickelt. Für die Qualitätssiche- rung solcher Tests gibt es inter - nationale Ringversuche mit EU- weit bereitgestellten Standardma - terialien (European Network for Diagnostics of „Imported“ Viral Diseases). Bei der Vor-Ort-Dia - gnostik arbeitet das ZBS mit anderen Bundes- und Landesinstitutionen zusammen, unter anderem bei der Entwicklung von mobilen Schnell- tests auf Krankheitserreger und ei- nem mobilen Ramanspektrometer.

Im Fachgebiet „Hochpathogene mikrobielle Erreger“ (ZBS 2) koor- diniert Priv.-Doz. Dr. med. Roland Grunow ein entsprechendes EU-Pro - jekt für die Diagnostik bakterieller und viraler Erreger (Quality Assur - ance Exercises and Network ing on

the Detection of Highly Infectious Pa - thogens). „Wichtig ist, die natürliche Prävalenz der Erreger zu untersu- chen, ihre möglichen Reservoire und die Umweltresistenz“, sagt Grunow.

Die Frage nach der Herkunft ei- nes Erregers, etwa von Milzbrand, lässt sich nur auf Basis der Kennt- nis über Art und Häufigkeit von Genpolymorphismen klären. Aktu- ell wird an einer am RKI neu be- schriebenen Variante von Bacillus cereus geforscht: B. cereus biovar anthracis hat Plasmide mit Patho- gentitätsfaktoren von B. anthracis erworben (19) und kann bei Men- schenaffen anthraxähnliche Sym - ptome auslösen (20).

Toxine mit Sicherheitsrelevanz werden durch das Chemiewaffen- übereinkommen und das Kriegs - waffenkontrollgesetz erfasst. Auf mikrobielle Toxine ist das ZBS 3 spezialisiert. „Botulinumneurotoxi- ne sind die giftigsten bekannten

Substanzen überhaupt“, betont Dr.

rer. nat. Brigitte Dorner, die das ZBS 3 leitet. Dort trifft circa eine Verdachtsprobe pro Woche ein, zehn bis 15 Fälle von Botulismus gebe es jährlich. Wegen der komplexen Proteinstruktur der Botulinumtoxine mit sieben Serotypen und 30 Sero- subtypen sei die Dia gnostik schwie- rig und nur mit hochsensitiven Ver- fahren möglich. In Deutschland habe das RKI ein Defizit bei der Botulismusdiagnostik ausgemacht, sagt Dorner. Es gebe kein standardi- siertes Verfahren zum Umgang mit klinischen Proben. Für bakterielle und pflanzliche Toxine wie Rizin würden solche Nachweismethoden auch für den mobilen Einsatz im Feld im Rahmen des EU-Projekts EQuATOX evaluiert.

In den letzten zwei Jahrzehnten sind viele neue zoonotische Erreger entdeckt worden, einige fallen in die höchste Sicherheitsstufe:

das Hendra-Virus (1994)

das Nipah-Virus (1998)

das Bundibugyo-Virus, ein Ebola-Virus-Verwandter (2008)

das Lujo-Virus, das den Lassa- viren verwandt ist (2009).

Im Sommer dieses Jahres wurde bei zwei Patienten aus dem arabi- schen Raum mit akutem Atemnot- syndrom und frühem Nierenversa- gen ein neuartiges Coronavirus iso- liert. Ein Patient starb.

Für die Charakterisierung und Klassifizierung neuer Pathogene und den Aufbau von Datenbanken zu si- cherheitsrelevanten Viren, Bakterien, Sporen und Toxinen werden Prote- omtechniken und spektroskopische Verfahren am ZBS 6 angewandt. Mit Massenspektrometrie werden dort im Schnellverfahren zum Beispiel Ba-

cillusspezies unterschieden, auch die neue B.-cereus-Variante (21).

Zusätzlich zu den beiden S4-La- bors in Deutschland mit den Haupt- arbeitsgebieten Arena- und Filo - viren wird ein neues S4-Labor am ZBS in Berlin-Wedding gebaut, es soll andere Schwerpunkte haben.

„Wir wissen nicht, was uns drohen kann“, meint Schaade. „Es können neue Erreger sein oder alte mit neuen Pathogenitätsfaktoren oder solche, die als eliminiert gelten.

Künftig könnten zum Beispiel die Poliomyelitis- oder Masernviren Be - deutung bekommen für die biologi- sche Sicherheit in Deutschland.“

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

Fotos: Georg J. Lopata

Kuhpockenviren unter dem Fluores- zenzmikroskop:

kleine Virusfabriken im Plasma der Wirtszellen. Jung- Won Sim-Branden- burg arbeitet im Deutschen Konsiliar- labor für Pocken - viren am ZBS.

Ulzerierte Kuh - pockenläsion mit schwarzer Kruste belegt und entzünd-

lichem Randwall auf der Stirn einer 15-jährigen Patien- tin. Infiziert hat sie sich vermutlich

über eine Farbratte. Foto: aus Dtsch Arztebl Int 2009; 106(19): 329–34

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Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4712

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LITERATURVERZEICHNIS FÜR HEFT 47/2012

ABWEHR BIOLOGISCHER GEFAHREN

Auf der Spur hochpathogener Erreger

Ob neuartige Infektionen oder bekannte, seltene Krankheiten wie Milzbrand: Pathogene rasch zu identifizieren, dient dem Gesundheitsschutz und der Abwehr biologischer Gefahren.

Wesentlich dafür ist die Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten.

LITERATUR

1. Biological and chemical Terror: How sca- red should we be? Newsweek 2001; 138:

20–6.

2. National Academy of Sciences 2011: Re- view of the scientific approaches used du- ring the FBI’s investigation of the 2001 anthrax letters. www.nap.edu 3. Böhm R, Beyer W: Bioterroristische An-

schläge mit Bacillus anthracis. Erfahrun- gen und Konsequenzen aus den Ereignis- sen des Jahres 2001. Bundesgesund- heitsbl Gesundheitsforsch Gesundheits- schutz 2003; 11: 956–66.

4. Antwerpen M: Bioforensics: A biological defense challenge for the 21th century.

64. Jahrestagung der Deutschen Gesell- schaft für Hygiene und Mikrobiologie 02. 10. 2012 in Hamburg, und persönli- che Mitteilung. Größere Institutionen au- ßerdem: Sanitätsakademie der Bundes- wehr in München (SanAk), Wehrwissen- schaftliches Institut für Schutztechnolo- gien – ABC-Schutz (WIS) in Munster. Es werden Forschungsaufträge auch an Hochschulen vergeben. Übersicht über die Programme: Bundesverteidigungsministe- rium (http://bmvg.de), Einschätzung der Programme zum Beispiel: Sunshine Pro- ject Country Study No. 1, Hamburg 2004, http://sunshine-project.de

5. Zur Global Health Security Initiative gehö- ren Deutschland, Frankreich, Großbritan- nien, Italien, Japan, die Vereinigten Staa- ten von Amerika, Kanada, Mexiko, die Eu- ropäische Kommission und die Weltge- sundheitsorganisation. www.ghsi.ca/

members/asp

6. Becker C, Kurth A, Hessler F, Kramp H, Gokel M, Hoffmann R, Kuczka A, Nitsche A: Kuhpocken bei Haltern von Farbratten.

Ein nicht immer sofort erkanntes Krank- heitsbild. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(19):

329–34.

7. Dennis DT, Inglesby TV, Henderson DA, et al.: Tularemia as a biological weapon.

JAMA 2001; 285: 2763–73.

8. Bernhard H, Faber M, Grunow R, et al.:

Drogenkonsum: Bacillus anthracis in Heroin? Dtsch Arztebl 2010; 107(19):

937–8.

9. Epid Bull 24/2012, 25/2012, 27/2012, 38/2012.

10. Injektions-Anthrax. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie 11. Grunow R, Verbeek L, Jacob D, Holzmann

Th, Birkenfeld G, Wiens D, von Eichel- Streiber L, Grass G, Reischl U: Case Re- port: Injection anthrax—a new outbreak in heroin users. Dtsch Arztebl Int 2012; 109:

im Druck

12. Russmann H: Toxine. Biogene Gifte und potenzielle Kampfstoffe. Bundesgesund- heitsbl Gesundheitsforsch Gesundheits- schutz 2003; 11: 989–96.

13. Casadevall A, Relman DA: Microbial threat lists: obstacles in the quest for biosecuri- ty? Nature Reviews Microbiology 2010; 8:

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14. National Select Agent Registry:

www.selectagents.gov

15. Herfst S, Schrauwen EJA, Linster M, et al.:

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16. Imai M, et al.: Experimental adaptation of an influenza H5-HA confers respiratory droplet transmission to a reassortant H5HA/H1N1 virus in ferrets. Nature 2012;

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17. Morens DM, Subbarao K, Taubenberger JK: Engineering H5N1 avian influenza vi- ruses to study human adaptation. Nature 2012; 486: 335–9.

18. Mombouli JV, Ostroff SM: The remaining smallpox stocks: the healthiest outcome.

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Identification of anthrax toxin genes in a Bacillus cereus associated with an illness resembling inhalation anthrax. Proc Natl Acad Sci USA 2004; 101: 8449–54.

21. Lasch P, Beyer W, Nattermann H, Stämm- ler M, et al.: Identification of Bacillus an- thracis by using matrix-assisted laser de- sorption ionization-time of flight mass spectrometry and artificial neural net- works. Appl Environm Microbiol 2009; 75:

7229–41.

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Referenzen

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