Deutsches Ärzteblatt
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28. September 2012 A 1931STUDIEN IM FOKUS
Inwieweit Patienten mit schwerer inoperabler Aortenstenose von der kathetergestützten Aortenklappen- implantation (Transkatheter-Aorten - klappen-Implantation, TAVI) pro - fitieren, wurde in einer Studie bei 358 Patienten geprüft, die randomi- siert entweder mittels TAVI oder der üblichen Standardtherapie (ein- schließlich einer Ballonvalvulo- plastie) behandelt wurden.
Zwei Jahre nach dem Eingriff waren in der TAVI-Gruppe 43,3 % der Patienten gestorben gegenüber 68,0 % in der Kontrollgruppe (p < 0,001). Die Rate kardial be- dingter Todesfälle lag in der TAVI- Gruppe bei 31,0 % und in der Kon- trollgruppe bei 62,4 % (p < 0,001).
Der bereits nach einem Jahr beob- achtete Überlebensvorteil blieb da- bei auch im zweiten Beobachtungs- jahr signifikant erhalten (HR 0,58;
95-%-KI 0,36–0,92, p = 0,02).
Die Schlaganfallrate war nach TAVI höher als nach der Standard- therapie (13,8 % vs. 5,5 %, p = 0,01), wobei in den ersten 30 Tagen nach dem Eingriff mehr ischämi- sche Insulte (6,7 % vs. 1,7 %, p = 0,02) auftraten und danach mehr
hämorrhagische Insulte (2,2 % vs.
0,6 %, p = 0,16).
Innerhalb der zweijährigen Nach- beobachtung war die Rehospitali- sierungsrate mit 35 % nach TAVI eindeutig niedriger (p < 0,001) als nach der Standardtherapie (72,5 %).
Patienten nach TAVI zeigten au - ßerdem einen eindeutig stärker verbesserten funktionellen Status (p < 0,001) und auch eine stärker verbesserte Hämodynamik.
Fazit: Inoperable Patienten profitie- ren erheblich von der katheterge- stützten Aortenklappenimplantati- on. Dies belegt die in der aktuellen Studie dokumentierte Reduktion der Gesamtmortalität um absolut 20 %. „Das Ergebnis ist bemerkens- wert, da es Patienten, die nicht ope- riert werden können, erstmals eine effektive therapeutische Option er- öffnet, die mit relevanten Überle- bensvorteilen verbunden ist“, kom- mentiert Prof. Dr. med. Christian Hamm, Direktor der Kardiologie an der Kerckhoff-Klinik Bad Nau- heim. Aufgrund des überzeugenden Resultats ordnet er die Untersu- chung als „Landmark-Studie“ ein.
Christine Vetter
Makkar RR, et al.: Transcatheter aortic-valve replacement for inoperable severe aortic ste- nosis. NEJM 2012; 366; 18: 1666–704.
AORTENKLAPPENSTENOSE
Eine kathetergestützte Klappenimplantation hat Vorteile bei inoperablen Patienten
GRAFIK
Tod jeglicher Ursache (Zeit bis zum Ereignis) bei Patienten unter Standardtherapie oder Transkatheter-Aortenklappen-Implantation
Die Prävalenz einer obstruktiven Schlafapnoe wird in Deutschland auf etwa 2 % geschätzt. Eine Schlafapnoe liegt vor bei mehr als 5 Atempausen pro Stunde (Dauer:
> 10 Sekunden). Die Symptomatik ist nicht nur mit kardiovaskulären Leiden wie Bluthochdruck, Koro- narerkrankungen und Schlaganfall assoziiert, sondern auch mit Glau- komen, vor allem dem Normal- druckglaukom, in dessen Ätiologie vaskuläre Risikofaktoren eine wichtige Rolle spielen.
Eine großangelegte Kohortenstu- die aus Taiwan hat jetzt die enge Beziehung zu einer weiteren Au-
generkrankung nachgewiesen, den retinalen Venenverschlüssen (1).
Diese können sich als Venenast - verschluss oder als Thrombose der Vena centralis retinae manifestieren (RVO = retinal vein occlusion) und stellen insgesamt die zweithäufigste Gefäßerkrankung der Netzhaut des menschlichen Auges dar, nach der diabetischen Retinopathie. Aus ei- ner nationalen Gesundheitsdatei wurden 5 965 Patienten mit neu diagnostizierter Schlafapnoe einem Kollektiv von 29 669 alters-, ge- schlechts- und komorbiditätsge- matchten Kontrollpersonen gegen- übergestellt. Während der knapp SCHLAFAPNOE
Risikofaktor für eine Thrombose der Netzhautvenen
Tod jeglicher Ursache (in %)
Monate seit Randomisierung Hazard Ratio 0,56 (95-%-Konfidenzintervall 0,43–0,73) p < 0,001)
Standardtherapie
TAVI*
Pat. im Risiko TAVI Standard
*TAVI: Transkatheter-Aortenklappen-Implantation
modifiziert nach: NEJM 2012; 366; 18: 1666–704
68,0
43,3
M E D I Z I N R E P O R T
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28. September 2012 vierjährigen Nachbeobachtungs -zeit war die Inzidenz eines reti - nalen Venenverschlusses bei den Apnoe patienten mit 0,22 % signi - fikant (p = 0,048) höher als bei den nicht an dieser Schlafstörung leidenden Kontrollpersonen mit 0,13 %.
Das Risiko, Hazard Ratio (HR), im Beobachtungszeitraum eine RVO zu erleiden, war für Apnoe- patienten um den Faktor 1,94 ge- genüber apnoefreien altersgleichen Probanden erhöht. Eine noch größe- re Gefahr, einen Venenverschluss der Netzhaut zu bekommen, hatten Apnoepatienten mit Hypertonus (HR = 3,16) und mit Glaukom (HR
= 5,30).
Fazit: Patienten mit Schlafapnoe bekommen statistisch doppelt so häufig einen Netzhautvenenver- schluss wie Menschen ohne Schlaf- apnoe. Als thrombogene Mechanis- men werden die intermitterende nächtliche Hypoxie und der chro- nisch inflammatorische Zustand bei obstruktiver Schlafapnoe betrachtet – die Hypoxie führt über die Bil- dung freier Sauerstoffradikalen zur Produktion inflammatorischer Zy- tokine wie Interleukin-6 und TNF- alpha. Entzündungsmediatoren und freie Radikale schränken die Endo - thelfunktion ein und prädisponieren für eine Thrombogenese. Außer- dem wird es lokal bei der apnoe - bedingten Hypoxie „eng“: Die zen-
trale Netzhautarterie dilatiert und drückt damit auf die Vena centralis oder deren Äste, was den Blutfluss verlangsamt. Eine aus den Studien- daten folgende Frage ist nach Meinung der Autoren, ob sich mit Hilfe der kontinuierlichen positiven Überdruckbeatmung außer kardio- vaskulären Risikofaktoren (2) auch die Thrombosegefahr im Auge sen- ken lässt. Dr. med. Ronald D. Gerste 1.Chou KT, Huang CC, Tsai DC, et al.: Sleep
apnea and risk of retinal vein occlusion: A nationwide population-based study of Tai- wanese. Am J Ophthalmol 2012; 154:
200–5.
2.Sharma SK, Agrawal S, Damodaran D, et al.: CPAP for the metabolic syndrome in pa- tients with obstructive sleep apnea. NEJM 2011; 365: 227–86.
Beim Ösophaguskarzinom findet man auch bei primär operablen Tu- moren häufig positive Resektions- ränder, und die Fünfjahresüberle- bensraten liegen kaum über 40 %.
Weil die Rolle einer neoadjuvan- ten Radiochemotherapie bisher vor allem wegen erhöhter postopera - tiver Letalität umstritten war, ran- domisierten niederländische Chir - urgen und Strahlentherapeuten in einer Phase-III-Studie 368 Patien- ten mit lokal begrenzten, nicht fernmetastasierten Tumoren des
Ösophagus oder des Ösophagus- Magen-Übergangs (drei Viertel da - von Adenokarzinome): Die Hälfte der Patienten wurde nur operiert, die anderen erhielten vorher 5 wö- chentliche Gaben von Carboplatin (AUC 2) und Paclitaxel (50 mg/m2), die beide eine Strahlensensibilisie- rung bewirken, sowie eine gleich- zeitige Strahlentherapie (41,4 Gy in 23 Fraktionen).
Nach der Radiochemotherapie wurde bei 92 % der Patienten eine R0-Resektion erreicht, bei der der Pathologe einen 1 mm breiten tu- morzellfreien Rand diagnostizierte;
nach alleiniger Operation war das lediglich bei 69 % der Fall (p < 0,001). 47 von 161 Patienten (29 %) erzielten nach der Chemo - radiotherapie eine pathologische Komplettremission. Postoperative Komplikationen waren in beiden Gruppen gleich häufig, ebenso To- desfälle während des Krankenhaus- aufenthalts (je 4 %). An hämato - logischen Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher wurden unter der Chemoradiotherapie bei 6 % der Patienten Leukopenien und bei 2 % Neutropenien beobachtet; an nicht- hämatologischen Toxizitäten bei 5 % eine Anorexie und bei 3 % eine Fatigue. Dass sich der neoadjuvante
Therapieaufwand tatsächlich lohnt, zeigt sich vor allem daran, dass die Patienten in der Chemoradiothera- pie-Gruppe median 49,4 Monate überlebten, in der Kontrollgruppe lediglich 24,0 Monate (Hazard Ra- tio 0,657; 95-%-Konfidenzintervall 0,495–0,871; p = 0,003).
Fazit: In der Studie sei nachgewie- sen worden, dass eine präoperative Chemoradiotherapie bei Patienten mit primär operablen Tumoren des Ösophagus oder des Ösophagus- Magen-Übergangs einen deutlichen Nutzen bringe, erklärt Prof. Dr.
med. Jürgen Dunst, Lübeck, Präsi- dent der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie. Die mediane Überlebenszeit verdoppele sich von 2 auf etwas über 4 Jahre. Dieser Vorteil werde – möglicherweise wegen der relativ niedrigen Strah- lendosis – mit geringer und akzep- tabler Toxizität erkauft und komme Patienten mit Adeno- (p = 0,049) wie mit Plattenepithelkarzinomen (p = 0,011) zugute, sofern sie vor Beginn der Behandlung einen guten Allgemeinzustand aufwiesen.
Josef Gulden
Van Hagen P, et al.: Preoperative chemoradio- therapy for esophageal or junctional cancer.
NEJM 2012; 366: 2074–84.
ÖSOPHAGUSKARZINOM
Nach einer präoperativen Radiochemotherapie überleben die Patienten länger
GRAFIK
Kaplan-Meier-Kurven für das Gesamtüberleben bei Ösophagus- karzinom, differenziert nach Tumortyp und Art der Therapie
Zeit (in Monaten)
Anteil überlebender Patienten
SCC, RCT + Operation
AC, RCT + Operation
AC, Operation allein SCC, Operation allein
AC: Adenokarzinom (p = 0,049)
SCC: Plattenepithelkarzinom (p = 0,011); RCT: Radiochemotherapie
modifiziert nach: NEJM 2012; 366: 2074–84