Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 48|
29. November 2013 A 2331K U L T U R
HEIDELBERGER PATHOLOGIE
Die Innenwelten von Mensch und Natur
Die Dauerausstellung „Art und Science“ am Pathologischen Institut in Heidelberg macht deutlich, dass Kunst und Naturwissenschaft keine Gegensätze sein müssen.
D
ie Pathologie ist nicht nur mit Tod, Leichenöffnung und üblen Gerüchen assoziiert, sondern kann auch eine bemerkenswerte Ästhetik entfalten“, sagt der Direk- tor des Pathologischen Instituts am Universitätsklinikum Heidelberg, Prof. Dr. med. Peter Schirmacher.Sein Sinn für das Schöne am patho- logischen Präparat hat den Heidel- berger Pathologen dazu bewogen, eine Bildersammlung des Schwei- zer Molekularbiologen und Wissen- schaftsfotografen Dr. Martin Oeg- gerli an sein Institut nach Heidel- berg zu holen. Beide Naturwissen- schaftler haben eines gemeinsam:
den Blick für die Ästhetik dessen, was mit bloßem Auge nicht sichtbar ist. Der mehrfach preisgekrönte Fo- tograf, der in Basel arbeitet, eröff- net einen faszinierenden Blick in den Mikrokosmos der Innenwelten von Mensch und Natur. Die Dauer- ausstellung „Art und Science“ am Pathologischen Institut in Heidel- berg macht deutlich, dass Kunst und Naturwissenschaft keine Ge- gensätze sein müssen. Zudem kön- nen künstlerisch verfremdete Auf- nahmen auf der Basis der Raster- elektronenmikroskopie auch einen didaktischen Wert haben.
Während seiner Doktorarbeit im Fach Molekularbiologie arbeitete
Oeggerli an der Uni Basel mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM) und war fasziniert von der enormen Tiefenschärfe, die damit durch die 500 000-fache Vergrößerung erreicht werden kann. Diese Lupenfunktion nutzte der Schweizer, der schon im- mer gern zeichnete und später zur Fotografie überging, um seine wis- senschaftlichen Objekte zu Kunstob- jekten zu gestalten.
Faszinierende Aufnahmen aus dem Mikrokosmos
Dahinter steckt ein enormer Ar- beitsaufwand, wie er bei der Aus- stellungseröffnung in Heidelberg erklärt hat: Die Präparate müssen aufwendig vorbereitet werden, be- vor sie mikroskopiert werden kön- nen, das heißt, sie müssen fixiert, entwässert, getrocknet und mit ei- ner hauchdünnen Edelmetallschicht bedampft werden. Sie werden dann im Hochvakuum analysiert und mit dem Elektronenstrahl Pixel für Pi- xel und Zeile für Zeile – wie in ei- nem Raster – abgetastet.Kein anderes Verfahren kann die topographischen Strukturen der Kleinstobjekte so stark vergrößert darstellen wie das Rasterelektro- nenmikroskop. Was allerdings fehlt, ist die Farbe, denn mit dem REM können nur Schwarz-Weiß-
Bilder dargestellt werden. Und hier wird Oeggerli als Künstler tätig: Er koloriert die Bilder im Nachhinein per Hand oder am Computer.
Die Farben sollen das Auge des Betrachters zunächst einfach zum Hinsehen verlocken. Andererseits geht es Oeggerli auch darum, wis- senschaftlich interessante Aspekte mit einer bestimmten Farbgebung hervorzuheben, so dass der Be- trachter diese nicht übersieht. Beim Anschauen der großformatigen Bil- der auf Acrylplatten wird die per- fekte Symbiose von Ästhetik und wissenschaftlicher Aussagekraft deutlich: So erscheint eine invasive Krebszelle, die sich schneller teilt als eine gesunde und in das umge- bende Zellgewebe eindringt, wie ei- ne Eiskugel, die von feinen filigra- nen Strukturen umgeben ist.
Für seine faszinierenden Aufnah- men aus dem Mikrokosmos hat sich der Schweizer Molekularbiologe mit dem Blick für das Kleine und Feine – er selbst nennt sich Micro- naut – weltweit einen ausgezeich- neten Ruf verschafft. Die Ausstel- lung am Pathologischen Institut in Heidelberg ist nach Voranmeldung (Telefon: 06221 5639186; katrin.
woll@med.uni-heidelberg) zu be-
sichtigen.
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Ingeborg Bördlein Dieses handkolo- rierte Bild auf der Basis der Rasterelek- tronenmikroskopie zeigt die riesige Variabilität der Bakte- rien in den mensch - lichen Exkrementen.
Foto: Martin Oeggerli, kindly supported by School of Life Sciences, FHNW