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Mensch − Natur − TechnikMensch und Natur

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3. Wel t, Leben , Men sch en 1 91

Men sch − N a tu r − Tech n i k

Men sch u n d N atu r

Das Verh ältnis von M ensch u nd au ßermensch lich er N atu r bietet fü r die Gestaltu n g der Ge- sellsch aft eine entsch eiden de Einflu ssgröße. Die Entwicklu n g der mensch lich en Gesell- sch aft ist ein ständiger P rozeß des Versu ch s, sich einerseits u nabh ängiger von natü rlich en Einflü ssen zu mach en, andererseits aber die natü rlich en Regelkreise u nd P rozesse zu erset- zen. Gleich zeitig bleibt die N atu r oder das, was au s ih r im Rah men mensch lich er Verände- ru ng geworden bzw. von ih r ü brig geblieben ist, eine u nersetzlich e Leben sgru ndlage. Sau - erstoff, Wasser, N ah ru ngsmittel − sie alle stam men au s natü rlich en Qu ellen. N u r wenige Elem ente sind kü nstlich erzeu gt worden (z. B. du rch radioaktive Zerfallsprozesse), oh n e je- doch dadu rch die natü rlich vorh andenen ersetzen zu können.

Der bish erige Verlau f des M ensch -N atu r-Verh ältnisses bietet keinerlei Ansatzpu nkte fü r ein e Annah m e, der M ensch könnte au ch oh ne die n atü rlich en Lebensgru n dlagen existie- ren. Ganz im Gegenteil: Der M en sch h at zwar imm er größere Fäh igkeiten entwickelt, die N atu r zu verändern, lebt aber weiterh in in ih r. I n Einzelfällen ist sogar sichtbar, dass m en sch lich e Eingriffe in die eingespielten Abläu fe der N atu r ih n selbst gefäh rden − au ch das gesch ieht ü ber die P rozesse der N atu r (z. B. Klimaschwan ku ngen, Unwetter, Flu ten, Dü rre).

Der M ensch formt die N atu r fü r bestimmte Ziele. M achtstru ktu ren zwisch en M ensch en be- wirken u ntersch iedlich e M öglich keiten sowoh l des Zu griffs au f die N atu r als au ch des Ab- wälzens der Folgen dieses Zu griffs au f Andere. N atu r ist in ein em veränderbaren Rah men steu er- u nd beeinflu ssbar, aber nicht ersetzbar. M en sch en könn en die N atu rgesetze nicht brech en, aber sie gezielt nu tzen u n d dam it bislang u nbeeinflu ßte Abläu fe verändern. Sie können sogar die Folgen von Umweltveränderu ngen/-zerstöru n gen beeinflu ssen, aber nicht absch affen . Diese Fäh igkeiten mach en den M ensch en zu m bewu ßten Gestalter der N atu r u nd als solch es zu ein er ein maligen Spezies au f der Erde. Er ist vielfach frei von na- tü rlich en Zwängen, aber nicht von den Folgen seines Verh alten s. B eispiel: Kein M en sch u nterliegt ein em u n beh errsch baren Freß- oder Sexu altrieb. Wer aber nicht ißt, verh u n gert.

Die Folgen sind nicht au fh ebbar. Der M ensch lebt nicht getrennt von der N atu r.

„ M en sch“ ist in diesem Sinn e aber ein e u nbestim mte Person. Tatsäch lich liegen große Un- tersch iede vor, wer in welch em M aße N atu r verän dern u nd die Folgen au f An dere abwälzen kann. I nsofern stim mt das gezeigte B ild nu r fü r die Gesamth eit der M ensch en, nicht aber fü r den Einzeln en . Die Versiegelu n g von Fläch en fü h rt zu h öh erem Regenwasserabflu ß, aber die Folgen treten oft erst flu ßabwärts au f. M achtstru ktu ren in der Gesellsch aft, also nicht zwisch en M ensch u n d N atu r, fü h ren zu der Situ ation , dass einzelne M ensch en au f- gru nd vorh andener H errsch aftsstru ktu ren in die Umwelt eingreifen kön nen , oh ne au f die Folgen Rü cksicht neh m en zu mü ssen . Umweltzerstöru n g, die im mer au ch eine Zerstöru ng der Lebensgru ndlage von M ensch en ist, gesch ieht regelm äßig im Rah m en von M acht- stru ktu ren , von h errsch aftsorientieren System en wie dem Kapitalismu s, dem Staatskapita- lismu s (sogenannter „ real existieren der Sozialism u s“ ) oder Diktatu ren, weil die M en sch en in ih nen gegen ih r eigenes I nteresse h andeln, sich in einer lebenswerten Umwelt u nd au f deren Gru ndlage entfalten frei zu können.

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1 92 3. Wel t, Leben , Men sch en Umweltsch u tz m u ss dah er eine Au sein andersetzu ng mit H errsch aftsstru ktu ren u nd Repro- du ktion slogiken sein. Ziel ist erstens, M acht abzu sch affen, u m die Freih eit zu sch affen , die den M en sch en wieder die Gestaltu ngskraft ü ber die Umwelt gibt, oh n e dass sie die Folgen u ngefragt au f An dere abwälzen können. Zweitens mü ssen die Rah menbedingu ngen, die M en sch en dazu bringen , selbst im mer wieder ih re eigenen Lebensgru n dlagen zu zerstö- ren, ü berwu n den werden. N u r dann werden M en sch en frei sein , sich oh ne Zerstöru ng der Umwelt selbst zu entfalten. Sie brau ch en die Umwelt als Lebensgru n dlage zu ih rer Entfal- tu ng. Umweltzerstöru ng wü rde sich dann gegen sie selbst richten, Umweltsch u tz sie selbst fördern .

I n einer Welt der freien M ensch en in freien Verein baru ngen u nterliegt au ch der Um gang u nd die Gestaltu ng des Lebensu mfeldes den M ensch en selbst. Alle m ü ssen dabei gleich - berechtigt sein, d. h . ü ber die gleich en B estim mu n gsrechte u nd M öglich keiten verfü gen.

Au s B ookch in , Mu rray (1 992 ): „D ie N eu gestal tu n g d er Gesel l sch aft“, Trotzd em -Verl ag in Gra fen au (S. 1 1 f. , m eh r Au szü ge)

Wenn wir Menschheit und Gesellschaft so radikal von der Natur trennen bzw. sie ganz naiv auf bloße zoologische Einheiten reduzieren, dann können wir letzten Endes nicht mehr er- kennen, wie die menschliche Natur aus der nichtmenschlichen Natur und die Evolution der Gesellschaft aus der Evolution der Natur entstanden ist. Die Menschheit wird dadurch in unserem „Zeitalter der Entfremdung“ nicht nur sich selbst entfremdet, sondern auch der na- türlichen Welt, in der sie von jeher als komplexe und denkende Lebensform verwurzelt war.

. . . Ich werde nicht so schnell eine „Umwelt“-Ausstellung im New Yorker Museum für Natur- geschichte in den siebziger Jahren vergessen. Hier wurden dem Besucher eine lange Reihe von Objekten präsentiert, die alle beispielhaft für Umweltverschmutzung und ökologische Zerrüttung waren. Das Objekt, das die Ausstellung abschloß, trug den alarmierenden Titel

„Das gefährlichste Tier der Erde“ und war einfach nur ein großer Spiegel, der den menschli- chen Betrachter, der vor ihm stand, reflektierte. Deutlich kann ich mich an einen kleinen schwarzen Jungen erinnern, dem ein weißer Lehrer die Botschaft zu erklären versuchte, die dieses arrogante Ausstellungsobjekt vermitteln sollte. Nicht ausgestellt hingegen waren Bil- der von Vorständen oder Aufsichtsräten, die gerade die Rodung einer Berglandschaft pla- nen, oder von Regierungsvertretern, die mit jenen unter einer Decke stecken. Die Ausstel- lung vermittelte in erster L inie die eine, zutiefst menschenfeindliche These: Menschen an sich, und nicht eine habgierige Gesellschaft mit ihren wohlhabenden Nutznießern, sind für das ökologische Ungleichgewicht verantwortlich − die Armen wie die Reichen, Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe ebenso wie privilegierte Weiße, Frauen nicht anders als Män- ner, die Unterdrückten nicht weniger als die Unterdrücker. An die Stelle von Klassen war der Mythos von der „biologischen“ Art „Mensch“ getreten; statt Hierarchien wirkten Einzel- ne; der persönliche Geschmack (oft genug von zudringlichen Massenmedien geformt) hatte soziale Beziehungen ersetzt; und die Machtlosen, so armselig und isoliert sie lebten, nah- men die Rolle ein, die gigantischen Konzernen, korrupten Bürokratien und dem ganzen ge- walttätigen Staatsapparat zukommt. . . .

Mehr denn je muss betont werden, dass fast alle ökologischen Probleme soziale Probleme sind und nicht einfach oder in erster L inie das Ergebnis religiöser, geistlicher oder politi- scher Ideologien. . . . (S. 1 2)

Wenn ich betone, dass die „Zweite Natur“, − oder genauer gesagt, die Gesellschaft im weitesten Sinn des Wortes − innerhalb der ursprünglichen „Ersten Natur“ ins Dasein getre- ten ist, dann will ich damit verdeutlichen, welche naturalistische Dimension das soziale Le- ben immer gehabt hat, und dies trotz des Gegensatzes von Natur und Gesellschaft, wie er in unserem Denken verankert ist. Soziale Ökologie ist demnach ein Ausdruck, der in beson- derem Maße verdeutlicht, dass Gesellschaft nicht plötzlich, sozusagen wie ein Vulkanaus- bruch, über die Welt gekommen ist. Gesellschaftliches Leben ist nicht notwendigerweise mit der Natur in einem unerbitterlichen Kriegszustand konfrontiert. Die Herausbildung der Ge-

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3. Wel t, Leben , Men sch en 1 93 sellschaft ist eine natürliche Tatsache, die ihre Ursprünge in der Biologie menschlicher So- zialisation hat. . . . (S. 1 4 f. )

H errsch aft nicht natü rlich , sondern soziale Erfindu ng

Der M ensch ist des M ensch en Wolf, oder doch eh er ein H erdentier? Ein st h aben die Kerls au f den B äu m en geh ockt. So oder äh nlich lau ten viele B esch reibu ngen der mensch lich en N atu r. Sie sollen vermitteln, dass die biologisch e H erku nft des M ensch en seine soziale Or- gan isieru ng u nd Orientieru ng stark prägt, also die B iologie eine ku ltu relle Entwicklu n g er- h eblich prägt. P raktisch dient das dann im mer der Legitim ation von H errsch aft − welch ein Zu fall. Offenbar feh len nach dem Schwäch eln der Wirku ng frü h erer, z. B. religiöser Legiti- m ationslü gen des H errsch en s brau ch bare B egrü ndu ngen fü r die Au frechterh altu n g von I n- stitu tionen u nd Regeln der M acht, seien es Staaten oder Gesetze.

Doch sch on au f den ersten B lick fallen absu rde Verdreh u n gen u nd Widersprü ch e in den Analogien au f. I st der M en sch nu n wie ein Wolf oder ist er ein H erdentier? Wölfe leben in Ru deln, das sind gan z anders organ isierte Gem einsch aften als H erden. Von den Affen , die h eu te Wälder bewoh nen u n d viel h eru mklettern, stam mt der M ensch ebenfalls nicht ab, sondern h at m it ih nen − soweit der Stand der Wissensch aft − gemeinsame Vorfah ren.

Entwickelt h at er sich offenbar eh er im Grasland, wo der au frechte Gang von besonderem Vorteil war. Die Säu getiergru ppen, denen er am näch sten steht, leben weder im Schwarm noch in H erden oder Ru deln, sondern im Großfamilien oder H orden. Die weisen ganz an- dere interne H ierarch ien au f als z. B. H erden, d. h . wen n sch on jem and die biologistisch e Karte spielen u nd die soziale Organisieru ng des M ensch en au f seine N atu r zu rü ckfü h ren will, so sollte das wenigstens sau ber erfolgen − u nd nicht blind irgendwelch e Tierarten h er- au sgegriffen werden, die einem gerade in den Kram passen.

Es spricht aber in sgesamt wenig dafü r, dass der M ensch ü berh au pt in seinen Entsch eidu n- gen, welch e sozialen Gefü ge er bildet, stark von seiner biologisch en H erku nft geprägt ist.

Darau f deu tet au ch der sch n elle Wan del h in , der sich in jü n gster M ensch h eitsgesch ichte vollzieht von Großfam ilien ü ber die im Kapitalismu s geförderte Kleinfamilie zu Patchwork- B iografien u n d Singleh au sh alten . M ensch m u ss die Entwicklu n g n icht mögen, aber sie verläu ft offenbar u nbeh in dert von irgen dwelch en biologisch en Wu rzeln .

Ebenso sin d die spezifisch en Formen von H errsch aft zwisch en M ensch en, insbeson dere der Typu s totalitärer B eh errsch u ng, als Anspru ch der Verfü gu ngsgewalt ü ber alle M en- sch en ein es Gebietes, eine neu artige Erfindu n g, die erst im ku ltu rellen P rozess der M en sch h eitsgesch ichte au ftrat. Dass Lebewesen abstrakten Zwecken wie dem Woh l eines Konzerns oder einer N ation u nterworfen werden, ist ein völlig neu es P h än omen. H ierar- ch ien gab es au ch im Tierreich , aber diese basierten au f dem Antrieb, sich selbst du rch zu - setzen − in großen Teil der Tierwelt triebgesteu ert. Je schwäch er dieser Trieb, der vor allem dem Au sstech en von N ah ru ngs- u nd Fortpflanzu ngskon ku rrentI nnen diente, ist u n d je stär- ker die Gemeinsch aften im I nn eren differenziert waren , desto eh er flachten sich H ierar- ch ien ab.

Demgegenü ber entwickelte die mensch lich e Gesellsch aft H errsch aftsform en, die oh ne na- tü rlich es Vorbild sin d: Eliminatorisch e P h antasien oder M assaker gegenü ber ganzen Teilen der M ensch h eit, totale Kontrolle, Fü nfjah respläne zu r Zwangsu msiedlu n g oder Au srottu ng von M ensch en gru ppen , riesige Kaskaden gegenseitiger Unterdrü cku ng u nd Steu eru ng

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1 94 3. Wel t, Leben , Men sch en

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sowie die Au fstellu ng u mfassender Regelwerke mitsamt der Apparate, die deren Einh altu ng ü berwach en u nd Abweich u ngen sanktion ieren sollten. Die N u tznießerI nn en der M acht- stellu ng traten dabei gar n icht meh r selbst in Ersch einu n g, stattdessen wu rden riesige H eere williger VollstreckerI nnen in der Au sfü h ru n g abstrakter M acht zu den kon kret H an- deln den. Es gibt dafü r kein Vorbild in der N atu r, H errsch aft ist eine soziale Erfindu ng.

Au s Mü h sam , E rich (1 933): „D ie B efreiu n g der Gesel l sch a ft vom Staa t“, N ach dru ck bei Syn - dikat A u n d im I n tern et (S. 1 4, m eh r Au szü ge)

Sicher ist indessen, dass von allen auf gesellschaftliches Zusammenwirken angewiesenen Geschöpfen allein der Mensch den Kampf planvoll auf die eigene Art ausgedehnt hat und zwar nicht, wie das bei manchen Tieren und bei den Kannibalen geschieht, um Ernährungs- schwierigkeiten zu beheben, sondern um ungleiches Recht in derselben Gattung zu schaf- fen und dadurch Machtgelüste zu befriedigen. Gegenseitige Hilfe ist ebenso Bestandteil der Gleichberechtigung, wie soziale Ungleichheit jede Gegenseitigkeitsbeziehung unmög- lich macht.

N atu r u n d N atü rl i ch kei t

Das B ild, dass sich M ensch en von der N atu r m ach en, ist vielfach vereinfacht. H intergru n d sin d zu m einen die veralteten wissensch aftlich en Ansch au u n gen ein er starren Umwelt, die u nververrü ckbar von N atu rgesetzen geprägt wird u nd in gesch lossen en Kreisläu fen ver- h arrt. Darü ber th ront der M ensch als Krone der Sch öpfu n g oder sogar, h erau sgetreten au s der N atu r, als von der N atu r u nabh ängiger Gestalter der Welt. Jenseits dessen, dass das Er- gebnis dieser tollen Gestaltu ngskraft ein ziemlich es Armu tszeu gn is ist, liegt der em pfu nde- n en Einmaligkeit des M ensch en u nd seiner N icht-N atü rlich keit ein seltsam es B ild der N a- tu r zu gru nde.

N atu r ist Dynam ik u nd Entwicklu ng

Sch on M aterie, erst recht aber das Lebendige bildet kein e gesch lossenen Systeme, die starr oder nu r in Kreisläu fen besteh en, d. h . immer in ih rem einm al gesch affenen Zu stand ver- h arren oder dorth in zu rü ckkeh ren. Das ist im Text ü ber die Selbstorgan isieru ng von M ate- rie u nd Leben bereits besch rieben worden . Es ist wichtig, das als Gru ndprinzip der Welt zu begreifen. Die Entwicklu ng der M ensch h eit au f ku ltu reller Gru ndlage ist zwar eine neu e Qu alität, aber keine gru ndsätzlich e N eu erfin du ng dynamisch er Entwicklu ngsprozesse.

Gäbe es diese au ßerh alb der mensch lich en Gesellsch aft nicht, wäre es sch ließlich n ie zu m M en sch en gekommen.

Von An n ette Sch l em m al s Zu sa m m en stel l u n g zu N atu r-D efin ition en :

„Auch die Vorstellung der Natur als des geschichtslosen Raumes des geschichtlichen Men- schen ist ein historisches Resultat, nämlich einer sich zur Naturwissenschaft mit ihrem Geset- zesbegriff wandelnden Naturphilosophie.“ (Mittelstraß 1 991 , S. 46)

Natur wird als geschichtslos bestimmter Raum fremd (Mittelstraß 1 991 , S. 46) − Subjekt- Objekt treten auseinander. Diese Geschichtslosigkeit wird von „Umweltschützern“ oft über- nommen, sie fordern eine „Rückbindung in die natürlichen Kreisläufe“, z. B. R. Bahro. Dieses Gedankenmuster ist typisch für spirituell-esoterische Ökokreise.

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3. Wel t, Leben , Men sch en 1 95

3. Wel t, Leben , Men sch en 1 95

Der M ensch verleiht den Wert

Ziel ein er em anzipatorisch en Politik ist eine Gesellsch aft, in dem die M en sch en (als sich entfaltende I ndividu en) das gestaltende Su bjekt sind. Sie bestimm en ih re Sozialisation u n d nicht Gott, ein Kon zern , eine Regieru ng oder irgendetwas „ von N atu r au s“. Der emanzipa- torisch e An spru ch an die Gesellsch aft ist das B ild eines gleich berechtigten N eben- u n d M iteinan ders der M ensch en, von „ freien M en sch en in freien Verein baru ngen“. Es gibt nichts ü ber dem M ensch en als wertendes Su bjekt. Alles gesch ieht von den M ensch en au s u n d ist du rch sie legitim iert. Dam it ist nicht gesagt, dass alles au ßer dem M ensch en u n- wichtig ist, aber es gibt keine Alternative, dass M ensch en m it M ensch en ih re Leben sbedin- gu ngen au sh andeln u nd gestalten.

Die M en sch en sind, so das emanzipatorisch e Verständnis, h ierbei gleich berechtigt. N ie- m als aber werden Tiere u n d P flanzen daran teilh aben. Es ist nicht möglich , m it einem H u nd, ein er Katze oder einem H agebu ttenstrau ch debattieren zu wollen, ob m ensch u m- zieht, eine Au sbildu ng anfängt, die Revolu tion au sru ft oder andere Lebewesen, ob nu n M en sch en, Tiere oder P flanzen au sbeu tet. Die Frage der Gestaltu ng von Gesellsch aft ist ein e Frage zwisch en den M ensch en . Das trennt den M ensch en gru n dlegend von den Tie- ren u nd anderen Lebewesen (wobei es bei Tieren n icht viel anders ist: Die organisieren ih re Gemein sch aft u ntereinander au ch − M ensch en können diese zwar du rch einander bringen oder beeinflu ssen , aber nicht selbst dort in einen Au sh andlu ngsprozess eintreten. Dieser Au ssch lu ss anderer Arten au s der Gestaltu ng der inneren Organisation einer Art ist du rch - greifen d u nd oh ne Übergangsformen.

Einige zu r Zeit gefü h rte Debatten u m das Verh ältnis von M ensch u nd Tier sind du rch den Versu ch geprägt, biologisch e Untersch iede nach zu weisen oder zu n egieren. B eide Ex- treme der Debatte, d. h . sowoh l die VerfechterI nn en der Th eorie, M ensch en u nd Tiere seien gleich u nd dah er gleich berechtigt, als au ch etlich e KritikerI nn en dieser Gleich setzu ng wer- den an h and biologisch en Untersch iede „ bewiesen“. B emerkenswerterweise begeben sich damit beide in eine biologistisch e Argu m entation, denn B iologismu s bedeu tetet die Über- tragu n g von Zu ständen au s dem Tierreich au f soziale P rozesse u nd Wertu ngen. B ei der Frage der Tierrechte u nd des Verh ältnisses zwisch en M ensch u nd Tier geht es aber u m die Gestaltu ng von Gesellsch aft, also u m eine soziale Frage.

Richtig ist, dass die biologisch en Untersch iede zwisch en Tieren u nd M ensch en nu r relativ sin d. Vom Organismu s h er sind andere Säu getiere dem M ensch en seh r viel äh n lich er als Säu getiere vielen Kleinsttieren, etwas Wenigzellern, Wü rmern oder I n sekten. Angesichts der großen Untersch iede sch on bei körperlich er Eigen sch aften in nerh alb der Tierwelt ei- nen Sam melbegriff „Tiere“ zu bilden u nd dann vom M en sch en abgrenzen zu wollen, er- sch eint dah er abstru s. Au ch h insichtlich des Sozialverh altens u nd der Komm u nikation zwi- sch en Tieren sind die Untersch iede zwisch en den Tierarten derart groß, dass jeglich e biolo- gistisch e Argu mentation sinn los ist. Von Einzelgängertu m ü ber feinstru ktu rierte Fam ilien u n d H orden bis zu H erde oder Schwarm als stark ein h eitlich h andelnde M assen ist alles zu finden − m anch es ist äh nlich der mensch lich en Sozialisation, anderes h in gegen weit weg.

Sch on angesichts dieser Uneinh eitlich keit ist der Versu ch sin nlos, einen biologisch en Un- tersch ied oder, wie von Seiten der TierrechtlerI n nen, ein e biologisch e I dentität zwisch en Tieren u nd M ensch en konstru ieren zu wollen. Er ist aber au ch ü berflü ssig, denn die biolo- gisch en Untersch iede oder Äh nlich keiten zwisch en M ensch en u nd an deren Lebewesen

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1 96 3. Wel t, Leben , Men sch en spielen fü r die soziale Organ siation u nd au ch fü r die Frage des Wertes von Leben keine Rolle. TierrechtlerI nnen irren, wenn sie au s ein er vermeintlich en biologisch en Äh nlich keit Tierrechte ableiten. Und die KritikerI nnen des Tierrechts irren, wenn sie au s vermeintlich en Untersch ieden das Gegenteil ableiten. B eide argu mentieren biologistisch , weil sie biologi- sch e B efu nde fü r soziale Wertu n gen mißbrau ch en. Tatsäch lich bleibt aber der M ensch das wertende Su bjekt. Es gibt kein e natu rgegebenen Wertsetzu n gen , eben so keine göttlich en oder sonstigen . Die Frage „ H aben Tiere per se, also von N atu r au s Rechte?“ ist zu vernei- n en, weil selbst die B ejah u n g dieser Frage du rch den M en sch en erfolgen wü rde u nd die praktisch e Konsequ enz sch afft. Eben so ist die B eh au ptu ng, Tiere könnten per se keine (gleich en) Rechte h aben, falsch , denn dann wäre dem M ensch en eine wichtige Wertset- zu ng entzogen: Rechte zu verleih en . Dah er kann es Tierrechte geben, weil der M en sch jede Form von Wertsetzu ng vorneh m en kann. Aber diese Tierrechte komm en vom M en- sch en. Der verleiht viele Rechte: Eigentu msrechte, Wasserrechte, Urh eberrechte oder die M en sch enrechte, die ebenfalls nicht vom H imm el fallen, sondern erkämpft geh ören . Die Verwertu ng u nd Kapitalsich eru ng im Sinne des P rofits der B esitzenden steht im M ittel- pu nkt des Rechts. Das der wenig ü berrasch ende Au sdru ck einer Welt, in der es u m Verwer- tu ng u nd P rofite geht. Das Recht an den − im weitesten Sinn e so zu bezeich nenden − P rodu ktion smitteln h aben im mer ein zelne M ensch en oder ih re Firm en. Dazu kann au ch das Eigentu m an Tieren, P flanzen u n d M en sch en geh ören − frü h er der ganzen Person en als Sklaven oder Leibeigene, h eu te weiterh in deren Arbeitskraft, deren TrägerI nnen h alb gekau ft u nd h alb erzwu n gen alle Ergebnisse den Eigentü m erI n nen ü berlassen.

Konzeption ell gegenü ber steh en diesen Verfü gu n gsrechten die M ensch en - u nd Tierrechte, die jeweils dem M ensch en oder dem Tier eigene Rechte zu sprech en. Es sind aber au ch h ier die M ensch en , die in ein em ku ltu rellen P rozess diese Rechte verleih en u nd anerken- n en − oder au ch wieder absch affen bzw. missachten . Alles ist im mer mensch engemacht.

N atu r bein h altet nicht von sich au s Ku ltu r. Der M ensch als I nterpretieren der u nd Verleih en- der von Werten , Rechten oder B edeu tu ngen ist immer die Qu elle.

N atu rn u tzu n g al s Al l i an ztech n ol ogi e

Was bedeu tet das nu n fü r den Umgang des M ensch en mit der N atu r? Das Gleich e, was au ch fü r den Um gang der M ensch en u ntereinander, also fü r seine soziale Organisieru ng gilt: Alles ist Sach e der freien Vereinbaru ng freier M ensch en. Es gibt in einer h errsch afts- freien Welt keine abstrakten Ziele, fü r die M ensch en zu arbeiten h aben. Un d keine, fü r die die N atu r zu plü ndern ist.

Um welt als Lebensgru ndlage

im gleich berechtigten Zu griff aller M ensch en

Fläch en u n d Roh stoffe geh ören in ein er h errsch aftsfreien Welt allen M ensch en − oder bes- ser: N iemandem. I n freien Verein baru ngen wird festgelegt, welch e Fläch en wie genu tzt, gestaltet oder sich selbst ü berlassen werden. N atu rsch u tzziele werden von M ensch en for- m u liert u nd in diese Disku ssion eingebracht.

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3. Wel t, Leben , Men sch en 1 97 Au s B ergstedt, J örg (1 999): „U mwel tsch u tz von u n ten“

Nicht Firmen, GrundeigentümerInnen und Regierungen bestimmen über die Nutzung der Umweltgüter, sondern die Menschen selbst. Der Flächen- und Rohstoffverbrauch muss zur Entscheidungssache auf unterster Ebene werden, die Gewinnung, Verarbeitung und der Handel mit ihnen ist Sache der Men- schen selbst, nicht höherer Institutionen, Regierungen oder des ,Marktes‘ mit sei- nen Institutionen. Die Utopie einer emanzipatorischen Gesellschaft muss auf die- ser Grundlage des selbstbestimmten Umgangs der Menschen mit ihrer Natur aufbauen.

N iemand kan n vorh erseh en, was alles gesch eh en wird, wenn die M ensch en den Zu griff au f ih re Lebensbedin gu ngen, au f ih re „ Umwelt” h aben. Die H offnu ng aber besteht, dass dann, wenn kein M ensch die Folgen seines H andelns u n gefragt au f andere abwälzen kann, niemand ein I nteresse daran h at, Umweltgü ter so au szu beu ten, dass die eigenen Leben s- gru ndlagen in Frage gestellt werden . Die M achtmittel feh len, Vergiftu n gen, M ü llberge, ra- dioaktive Verstrah lu ng u sw. au f an dere abzu wälzen , die Reste der N atu rau sbeu tu ng bei an- deren zu lagern oder Loh narbeiterI nn en den Gefah ren au szu setzen, die anderen P rofite bringen. So wird der Um gang m it der N atu r in jedem Einzelfall zu ein er bewu ssten Au sei- nan dersetzu ng zwisch en I n dividu u m u nd seiner Umwelt. Oder zu r Verein baru ng zwisch en den M ensch en, die gemein same I nteresse oder B etroffenh eiten h aben .

Das freie Verh ältn is von M ensch u nd N atu r sch afft die Ch ance eines kreativen u nd bewu ss- ten Umgangs. Tech niken zu r N u tzu ng von N atu r werden au s den M öglich keiten der M en- sch en h erau s entwickelt, u m die M öglich keiten der N atu r zu nu tzen. Alle M ensch en h aben nu r die eine, nämlich „ ih re Umwelt“. Sie zu nu tzen, die Fläch en u n d Roh stoffe gesch ickt so ein zu setzen, dass es ein besseres Leben ergibt, wird das Ziel vieler, wenn n icht aller M en- sch en sein . Dabei aber die Potentiale der N atu r nicht zu zerstören, sondern zu erh alten bzw. gar zu entwickeln, liegt im u nmittelbaren I nteresse der B eteiligten . Darau f beru ht die H offnu ng, in ein er Welt der freien M ensch en in freien Vereinbaru ngen au ch das Verh ältnis zu r N atu r von der P rofitm axim ieru ng h in zu einem au f ein besseres Leben au sgerichteten B eh u tsamkeit zu entwickeln.

Befreite Gesellsch aft in Allianz m it der N atu rentwicklu ng

H eu te grenzt es sch on fast an die Grenzen des Utopisch -H offbaren, die N atu r als Leben s- gru ndlage wen igsten s nicht n och m eh r zu zerstören , son dern so viel wie m öglich von ih r zu erh alten. Desh alb setzen sich u nter Umweltbewegten au ch immer wieder Gedanken du rch , die einen statisch en Zu stand als I dylle ein er Einh eit von M ensch u n d N atu r wü n- sch en u nd anstreben. Wer, wie Ru dolf B ah ro u n d man ch e Öko-Feministinnen, davon au s- geht, die N atu r verh arre in „ u rsprü nglich en Zyklen u nd Rhyth m en“ (B ah ro, S. 31 9), dem bleibt wirklich nu r ein e Rü ckkeh r zu traditionellen Lebensformen. Diese Ökokon zepte sin d geprägt von Tech nikfeindlich keit, M ystifizieru ng der schweren Arbeit u nd der I dyllisieru ng ein er „ h armonisch en Einh eit m it der N atu r“, die es au fgru nd der klim atisch en Verh ältnisse zu mindest in M itteleu ropa n ie fü r längere Zeit gab. Die antiemanzipatorisch e „ Rü ckbin- du ng“ an diese sch einbar statisch en Zyklen soll dann m ittels „ erh ebender“ Spiritu alität er- träglich oder gar wü n sch enswert gem acht werden. Solch e natu rstatisch en, em anzipation s- feindlich en Ökokonzepte geraten inh altlich leicht in die N äh e zu „ Rechter Ökologie“ (Ge- den). Die Kritik an solch en Kon zepten brau cht sich aber gar nicht nu r au f ih re politisch en Konsequ enzen bezieh en, sondern au ch inh altlich sin d sie einfach falsch . Den n die N atu r ist

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Downl oad des Textes

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„ U mwel tsch utz von unten“ über www.

projektwerkstatt.de/

topaktuel l /U VU / em anzU WS. pdf

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1 98 3. Wel t, Leben , Men sch en n icht statisch , sie ist „ kein Vorbei“, wie es Ernst B loch kennzeich net (B loch , S. 807, sieh e au ch : Sch lem m 1 996ff. ). Sie entwickelt sich selbst ständig weiter − u nter an derem u nd so- gar wesentlich ü ber die neu e Qu alität, der Ku ltu r m ittels vern ü nftiger N atu rwesen, der M en sch en.

Wie alle Zu ku nftsentwü rfe ist die Vision ein er gem einsamen Fortentwicklu n g von M en sch u nd N atu r n och n icht genau au smalbar. I n ih rem Zentru m steht au f jeden Fall die Entwick- lu ng der mensch lich en N atu r selbst (sieh e „ M ensch en-Epoch e“ ). Aber au ch die sch öpferi- sch en Poten zen der N atu r, ih re vielfältigen Kräfte u nd Zu samm enh änge steh en u ns zu r Verfü gu ng. N atu rgesetze besch reiben keine Verbote, son dern M öglich keiten. Der be- rü h mte Au sspru ch von Francis B acon: „Wissen ist M acht“ bezieht sich n icht au f u nterdrü - ckende B eh errsch u ng, sondern die Erm öglich u ng neu er N atu rzu stände („ zweite N atu r“ ), die u nser Leben bereich ern u nd der N atu r selbst die Tü r zu n eu en M öglich keiten öffnet.

„ Allianztech nik“ nennt B loch jen e M ittel, mit denen die befreiten, sich frei vereinenden M en sch en sich nu n au ch neu mit den n atü rlich en M öglich keiten verbin den.

Au s B l och , E rn st (1 985): „D as P rin zip H offn u n g“, F ran kfu rt (S. 787)

An Stelle des Technikers als bloßen Überlisters oder Ausbeuters steht konkret das gesell- schaftlich mit sich selbst vermittelte Subjekt, das sich mit dem Problem des Natursubjekts wachsend vermittelt.

Es wird selbstverständlich eine an dere Art Wissensch aft u nd Tech nik sein, die diese M en- sch en entwickeln, m eilenweit von der beh errsch enden, ü berlisten den, rau benden Aneig- n u ng natü rlich er Ressou rcen du rch bü rgerlich -kapitalistisch en Zu griff entfernt. Da wir im- m er zu erst an die Kritik dieser Form en den ken, fällt es u ns schwer, eine Vision einer ande- ren Wissensch aft u nd Tech nik zu entwickeln. B loch kennzeich net sie so:

• B efreu ndu ng statt Dom ination (S. 783)

• das H erstellende au ch in der N atu r verspü ren, au fspü ren, begreifen (ebd. )

• Aktivität ü ber das Gewordene h inau s . . . im An sch lu ß an die objektiv-konkreten Kräfte u nd Tendenzen (S. 784)

• M ensch en als H ebel, von dem die Welt au s tech n isch in ih re Angel zu h eben ist (S. 801 )

• die Wu rzel der Dinge mitwirkend verwenden (S. 805)

Einen aktu ellen, wenig beachteten H inweis gaben B loch / M aier 1 984 im B u ch „Wach s- tu m der Grenzen“, wo „Tech nologien, die sich au f Symbiose selbstorganisierender System e stü tzen“ (S. 37) skizziert werden. Wäh rend sich Gesellsch aft u n d N atu r beide nicht mech a- n izistisch verh alten, sondern sich -selbst-organisierend, verm ittelt zwisch en ih n en derzeit eine eh er mech an izistisch e Tech nik. Eine qu alitative Einh eit gelingt erst, wenn au ch sie den Ch arakter von Selbstorganisation erh ält.

I n ih rer konkreten Form werden wir sie − solange wir die neu e Gesellsch aft noch nicht h a- ben − au ch nicht vollständig entwickeln könn en . B loch selbst griff bei sein en H offnu ngen zwar au ch dan eben, den n er pries die Atomtech nik als nicht-mech an isch e, n icht-eu klidisch wirken de n eu e Tech nikform. Aber Wesen szü ge einer vertretbaren Allianztech nik, m ögli- ch e Keimformen u nd alles, was h eu te doch sch on m öglich ist, sollten wir nicht versäu m en zu entwickeln. Vielleicht werden es andere, effiziente Form en der Kooperation sein oder so etwas wie der au s den StarTrek-Folgen bekannten „ Replikator“. Eh er u nsichtbar, aber effek-

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3. Wel t, Leben , Men sch en 1 99 tiv u nd produ ktiv stellt dort eine au f M odu larität beru h ende vernetzte u nd integrierte P ro- du ktionstech nologie die jeweils ben ötigten Dinge h er. B egriffe wie „ individu elle M assen- produ kte“, „ wandlu ngsfäh ige P rodu kte“ u nd äh n lich es geh ören h eu te sch on zu m Stan- dardwerkzeu g der Konstru kteu re u nd Tech nologen . Viele politisch engagierte M en sch en ü berseh en diese „ grau e P rodu ktionsalltagswelt“. Als Kriteriu m fü r u nsere Vision ist jedoch nicht nu r die B equ emlich keit der P rodu ktionsweise mit den Replikatoren, sondern , ob statt

„ B eh errsch u n g“ der N atu r eine „Vermittlu ng der N atu r m it dem mensch lich en Willen“

(B loch ) vorliegt. „Tech nik als Entbindu ng u nd Vermittlu ng der im Sch oß der N atu r sch lu m- m ernden Sch öpfu n gen, das geh ört zu m Konkretesten an kon kreter Utopie“ (B loch , S.

81 3). N u r solch eine dynamisch e, nichtstatisch e Vorstellu n g kann Gru ndlage eman zipato- risch er Öko-Politik sein.

D ü rr, H a n s-Peter (2 01 0): „Waru m es u m s Gan ze geh t“, Ökom in Mü n ch en (S. 79 f. ) Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an einen öffentlichen Disput mit einem solch wortgewandten Wissenschaftskollegen im SPIEGEL Mitte der 1 990er-Jahre. Dort hatte Hu- bert Markl, Professor für Biologie und von 1 987 bis 1 991 Präsident der Deutschen For- schungsgemeinschaft und damals designierter Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, eine Art Biokratie gefordert: Wenn der Mensch den Planeten retten wolle, müsse er zum »Mana- ger der Biosphäre« werden. Mithilfe der modernen Biologie und Gentechnik müsse der Homo sapiens »den Auftrag, die Natur in unsere Obhut zu nehmen, aktiv und positiv auf- nehmen«.

Ich habe in meiner Antwort im SPIEGEL, die wenige Wochen nach Markls Essay erschien, der von ihm propagierten »Pflicht zur Widernatürlichkeit« eine »Pflicht zur Mitnatürlichkeit«

entgegengesetzt. Die von Markl und anderen Wissenschaftlern geforderte »Natur unter Menschenhand« wird stets eine Illusion, wenn nicht gar eine gefährliche Anmaßung blei- ben. Denn die Natur wird uns keine Sonderbehandlung gewähren, nur weil wir uns als

»Krone der Schöpfung« betrachten. Selbstverständlich besitzen wir mit unserem Bewusstsein eine interessante und vielleicht liebenswerte Besonderheit. Ich fürchte aber, die Natur ist nicht eitel genug, um sich an den Menschen als einen Spiegel zu klammern, in dem allein sie ihre eigene Schönheit sehen kann. Sie wird den Menschen vielmehr − wie alle anderen Spezies vor ihm, die sich nicht erfolgreich ins kreative Plussummenspiel der Schöpfung ein- klinken konnten − einfach langfristig aus der Evolution entlassen.

Au szu g a u s E l m a r Al tva ter, „Meh r system isch e I n tel l igen z, bitte! “ in : Pol itisch e Ökol ogie Ma i/J u n i 2 002 (S. 2 5)

Ökologische Gesetzmäßigkeiten lassen sich durch den Diskurs darüber nicht verändern. Sie gelten ja seit Zeiten, in denen es Menschen noch gar nicht gab, und sie werden ihre Gültig- keit nicht verlieren, wenn die Menschen ausgestorben sein sollten. Angesichts dieser Unbe- einflussbarkeit der Naturgesetze gebietet es sich, sie zu nutzen − darin besteht systemische Intelligenz und nicht darin, sie permanent zu missachten.

Au s B ookch in , Mu rray (1 981 ): „H ierarch ie u n d H errsch aft“, Karin Kram er Verl ag in B erl in Ich möchte hier noch einmal betonen, dass ich keineswegs dafür plädiere, Technologie auf- zugeben und zu paläolithischen Formen des Sammelns von Nahrung zurückzukehren. Eine Ökotechnologie, die unter Gesichtspunkten von überschaubarer Größenordnung und viel- seitigen Anwendungsmöglichkeiten zu entwickeln wäre, und dafür gibt es schon erste prak- tische Ansätze und Entwürfe, wird eine Weiterentwicklung unserer heutigen Technologie sein. Diese Ökotechnologie wird sich die unerschöpflichen Energien der Natur zunutze ma- chen, Sonne und Wind, Ebbe und Flut, die natürliche Kraft der Flüsse, die Temperatur- unterschiede auf dem Planeten und den Wasserstoff, den es im Oberfluß gibt, als Treib- stoff, um so die Ökogemeinschaften mit umweltfreundlichen Materialien zu versorgen und mit leicht wiederverwertbaren Abfällen. . . . (S. 36 f. )

Liegen die Wurzeln der ökologischen Krise in der Entwicklung der Technologie? Die Tech- nologie ist zu einem bequemen Angriffsziel geworden, um die tiefsitzenden sozialen Bedin-

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200 3. Wel t, Leben , Men sch en gungen, die Maschinen und technische Prozesse schädlich machen, zu umgehen. Wie be- quem ist es zu vergessen, dass die Technologie nicht nur dazu gedient hat, die Umwelt zu zerstören, sondern auch, sie zu verbessern. Die neolithische Revolution, die die harmo- nischste Periode zwischen der Natur und der nach-paläolithischen Menschheit hervor- brachte, war vor allem eine technologische Revolution. . . .

Sicher, es gibt Techniken und technologische Einstellungen, die für das Gleichgewicht zwi- schen Menschheit und Natur gänzlich destruktiv sind. Unsere Verantwortung liegt darin, das Versprechen der Technologie − ihr schöpferisches Potential − zu trennen von der Fä- higkeit der Technologie, zu zerstören. (S. 39 f. )

Tech n i k: H ei l sbri n ger, teu fl i sch oder ei n fach n u r Werkzeu g?

Oh ne Tech nik könnten m en sch lich e Lebewesen nicht als M ensch en leben. M ensch en nu t- zen n atü rlich e Gegebenh eiten nicht nu r fü r das biotisch e Überleben, sondern gestalten sie aktiv u m . Dazu sch affen sie Werkzeu ge, die gegen ständlich oder in Form ideeller Sachver- h alte (Wissen, Software, „ Denkwerkzeu ge” ) eine wichtige Gru ndlage aktiver Tätigkeit sin d.

Obgleich Tech nik sch on imm er als etwas „Widernatü rlich es” geken nzeich n et wu rde, ist die

„ m en sch lich e N atu r” in Wirklich keit selbst dadu rch bestimmt, m ittels geeigneter, selbst h ergestellter I nstru mente u nd Verfah ren gesetzte Zwecke zu erreich en. Als Tech nik sin d n icht n u r die verwendeten Werkzeu ge u nd I nstru mente zu betrachten, sondern sie ist jede H andlu n gsform, m it der „ einh eitlich die B ezieh u ngen des M ensch en zu sich selbst, zu an- deren u n d zu r Umwelt in seinen wichtigsten H an dlu ngszu samm en h ängen regu liert” wer- den (Kroh n 1 976, 43).

Das gilt jedenfalls fü r Tech nik als M ittel zu r Erfü llu ng mensch lich er B edü rfnisse. Zwecke könn en jedoch innerh alb der gesellsch aftlich en Organisation der M en sch en au ch weitab von kon kreten B edü rfnislagen liegen u n d sich verselbständigen.

I n der kapitalistisch en Ökonom ie, in der das m en sch lich e H andeln dem P rinzip „ Au s Geld m ach e meh r Geld” u nterworfen wird, ist au ch die Tech nik diesem Zweck u nterworfen . N u r insoweit sie diesen Zweck u nterstü tzt, wird sie genu tzt u nd weiter entwickelt. Sie verstärkt desh alb die Kraft der h errsch enden P rinzipien der Geldvermeh ru ng als Selbstzweck u n d ersch eint selbst als h errsch ende M acht. Rü cksichtlos wirkt sie sich gegenü ber M ensch u n d N atu r au s. Das h at Folgen − u nd die Antwort au f diese h eißt wieder: Tech nik. M it Tech n ik löst man die P robleme, die m an oh ne Tech nik n icht h ätte. Oder versu cht es zu mindest, wo- bei u nter den h errsch en den B edingu ngen als zentraler Ansporn dom iniert, M ensch u n d N atu r n u tz- u nd au sbeu tbar zu h alten oder neu zu mach en (z. B. bislan g nicht verwertete Teile der N atu r oder m ensch lich en Sch affenskraft). Tech nik folgt diesem Paradigm a − u n d zwar als Kette von Anwendu ngen , deren Folgen die näch ste Anwendu ng bedingen. Das fü h rt zu einer Verselbständigu ng des Tech nikentwicklu n gsprozesses, der folglich zu einem Gru ndpfeiler der H errsch aftsanwendu ng, -sich eru ng u nd -au sdeh nu ng mu tiert.

Allerdings wäre es trotzdem falsch , der Tech nikverdam mnis das Wort zu reden, denn die m en sch en- u nd natu rfeindlich e Orientieru ng ist kein immanenter, d. h . u ntrenn barer Anteil an Tech nik selbst, sondern au f gru ndlegendere Ursach e zu rü ckzu fü h ren, denen sich die Tech nik fü gt. Aber es gilt zu versteh en, wie das Verh ältnis von Ökon omie u nd Tech nik be- sch affen ist, u m zielgenau e Kritik zu leisten, u m eine Vision zu entwickeln, u m realpoliti- sch e Kon zepte zu disku tieren u nd Experimente au f ih re Tau glich keit zu ü berprü fen. Denn

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3. Wel t, Leben , Men sch en 201 Tech nik ist nicht die Ursach e, sondern ein sin nvoller Um gang mit Tech nik ist daran gebu n- den, dass gleich zeitig andere gesellsch aftlich e Verh ältnisse h ergestellt werden .

I m Lau fe der P rodu ktivkraftentwicklu ng wu rde die enge u nd du rch sch au bare B indu ng von ein gesetzten tech nisch en M itteln u n d u nm ittelbaren P rodu ktionszwecken in Landwirtsch aft u n d H andwerk au fgeh oben . Die M itteln u tzu ng wu rde entsu bjektiviert u nd einer eigen stän- digen wissensch aftlich en B earbeitu ng u nterworfen. Gleich zeitig wu rde der ökon omisch e P rodu ktionsprozeß vollkomm en u m gestü lpt u nd von den u nmittelbaren P rodu zenten ent- fremdet. P rodu ziert wu rde nicht m eh r fü r kon krete B edü rfnisse, son dern au f „Verdacht” fü r ein en anonym en M arkt, au f dem Gü ter ü ber das u niverselle Sch miermittel „ Geld“ ge- tau scht werden konnten. B eide P rozesse, der ökon omisch e P rodu ktionsprozeß u nd darin die Tech nikentwicklu n g verselbständigten sich gegen ü ber den M ensch en. Folge: N icht die m en sch lich en B edü rfnisse zäh len, son dern nu r die kau fkräftige N achfrage. Das Wertge- setz, au s Geld meh r Geld zu mach en, ist u ntersch iedslos u nerbittlich : Ob Kapital sich ver- wertet du rch den B au eines Stau damms oder du rch Kasch ieru ng ökologisch er Sch äden au fgru nd des Stau dam mbau s ist gleich gü ltig. N u r ein es kan n der verselbstän digte P rozess nicht: stillsteh en.

Tech nik u nd Ressou rcen nu tzu ng sind Teil des sozialen Gestaltu ngsprozesses zwisch en den M en sch en. I h re Entwicklu ng u nd Anwendu ng folgt den in der M ensch h eit als dom inanter Disku rs besteh enden P rinzipien. Jedoch ist das kein N atu rgesetz, son dern m en sch enge- m acht u nd dah er kein e u nabänderlich e, qu asi-natü rlich e oder zwangsläu fige Abfolge tech - nisch er I nn ovationen, die ü ber u ns komm en u nd denen wir u ns u nterzu ordnen h aben. Die Zu ku nft u nd dam it au ch die tech nisch e Entwicklu ng sind offen u nd gestaltbar.

Ma rx 1 856, ME W 1 2/3-4

In unseren Tagen scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu gehen. Wir sehen, dass die Maschinerie, die mit der wundervollen Kraft begabt ist, die menschliche Arbeit zu verringern und fruchtbarer zu machen, sie verkümmern läßt und bis zur Erschöpfung aus- zehrt. Die neuen Quellen des Reichtums verwandeln sich durch einen seltsamen Zauber- bann zu Quellen der Not. Die Siege der Wissenschaft scheinen erkauft durch Verlust an Charakter. In dem Maße, wie die Menschheit die Natur bezwingt, scheint der Mensch durch andere Menschen oder durch seine eigne Niedertracht unterjocht zu werden.

Au s Can tzen , Rol f (1 995): „Wen iger Sta at − m eh r Gesel l sch aft“, Trotzd em -Verl ag in Gra- fen au

In dem heute noch dominierenden technisch-ökonomisch reduzierten Fortschrittsbegriff ver- selbständigt sich das technisch Machbare zum Fortschritt schlechthin. Ein Maßstab oder eine Zielsetzung, an dem dieser vermeintliche Fortschritt gemessen wird, fehlt oder kann als Korrektiv des »Machbaren« nicht wirksam gemacht werden. So wird in der Produktiv- kraftentwicklung selbst, im Wirtschaftswachstum selbst, ein Wert gesehen, unabhängig von den konkreten politisch-sozialen Folgen. . . . (S. 44)

»Der einzige Beruf der Wissenschaft ist, den Weg zu beleuchten; schaffen aber kann nur allein das Leben in seiner vollen Wirksamkeit, wenn es von allen Fesseln der Herrschaft und Doctrin befreit ist. « (Bakunin zitiert nach Zenker, 1 979, 1 06) . . . (S. 47)

Wie eine »libertäre Technik«, oder besser: eine Technik, die mit den Prinzipien einer libertä- ren Gesellschaftsordnung in Einklang steht, aussehen kann, deutet sich bereits in der Kritik an der kapitalistischen Technik und Industrie an: Sie darf einer vollständigen Aneignung nicht im Wege stehen, muss den kreativen Möglichkeiten der Menschen entgegenkommen und eine gesellschaftsorganisatorische, ökonomische und soziale Emanzipation gewährleis- ten. Das bedeutet vor allem, dass einer libertären Technik nicht sämtliche Lebensbereiche untergeordnet werden, dass vielmehr die Technik den ökonomischen und vor allem den ge- sellschaftlich-sozialen Interessen und Bedürfnissen der Menschen angepaßt werden muss.

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202 3. Wel t, Leben , Men sch en H errsch aft u nd Tech nik

Tech nikentwicklu ng u n d P rojektrealisieru ng finden au ch in h errsch aftsfreien Zeiten statt.

Sie neh m en aber eine andere Richtu n g, weil sie au f anderen Logiken basieren. Realisiert wird, an was M ensch en interessiert sind − u nd zwar von sich au s, n icht au s dem Zwang zu r Verwertu n g oder dem Willen zu r B eh errsch u n g anderer. Weil sie ih r Wissen n icht vor Anderen absch otten können, ist jede Erfindu ng oder Entwicklu ng potentiell fü r alle gu t.

Und weil das u nmittelbar einleu chtend ist, wird au ch das I nteresse steigen, dass Wissen sich au stau scht u nd verbreitet − was wiederu m fördert, dass h orizontale Komm u nikations- system e entsteh en. Denn: N u r u nter P rofit- u n d M achtgesichtspu nkten ist es vorteilh aft, wen n Wissen geh ortet, patentiert oder geh eimgeh alten wird. Das steigert den P reis oder H errsch aftsnu tzen . I st das Wissen aber frei, wird jedeR ErfinderI n sch nell Verbesseru n gs- vorsch läge erfah ren u n d wiederu m bei anderen abgu cken können. Es ist besser fü r jedeN , wen n sich jede andere Person au ch voll entfalten u n d m axim al viele gu te eigene Gedanken entwickeln kan n.

Was h erau skäm e, wäre ein grandioser Sch u b an Tech nikentwicklu n g fü r ein besseres Le- ben u n d das sch nelle Ende der Entwicklu n g von Tech n ik fü r m eh r P rofite. Statt Kraftwer- ken oder Windparks, die ja wegen des dann erzwu n genen Stromvertriebs ü ber den M arkt vor allem au s P rofitinteressen groß u n d zentral entsteh en , wird es viele klein e, aber tech - n isch seh r fortsch rittlich e Lösu ngen geben, deren Ziel es ist, dass die M en sch en es gu t h a- ben: Warm in den Räu m en, sch lau e Geräte am Stromnetz, arbeitssparen de u nd h och -effi- ziente Verwertu ng von Fäkalien u n d Abfällen u sw. Um Totalau sfälle zu vermeiden, loh nt sich ein Verbu n d zwisch en den versch ieden en Organisationseinh eiten, deren Grenzen oh - n eh in nicht sch arf gezogen sind − waru m sollte daran jemand I nteresse h aben?

Alles basiert in einer h errsch aftsfreien Welt au f I nteressen der M ensch en selbst. Sie werden eine M obilität entwickeln, die ih ren Wü nsch en entspricht: Reisen zu könn en (viele M en- sch en h aben Lu st au f M obilität, dah er werden M eth oden des Voran kom mens entsteh en), oh ne Lebensqu alität zu verlieren (viele M ensch en werden Lu st au f lärm - u nd gestankarmes Leben h aben, Kinder u n d Erwach sene wollen vor der H au stü r spielen, dah er wird die h eu - tige Form der m it Zwang du rch gesetzten Au to-M obilität keine Ch an ce h aben). Was wird entsteh en? Schwebebah nen wie in Wu ppertal? Das ist schwer vorh erzu sagen. Wir sind von dieser Welt weit entfernt. N u r ein es dü rfte klar sein: Eine h errsch aftsfreie Welt ist keine anti- tech nisch e Welt. Ganz im Gegenteil: Die P rodu ktivkraft wird steigen, wen n die M ensch en fü r ein besseres Leben tätig werden. Au ch wen n sie (was zu erwarten ist) viel meh r das bes- sere Leben genießen wollen − sie werden viel produ ktiver, einfallsreich er u nd komm u nika- tiver agieren. Weil es ih nen h ilft! Der Egoism u s in Form des Willens zu ein em besseren Le- ben treibt die P rodu ktivität u nd den Erfindu ngsreichtu m der Einzelnen an, fü h rt aber eben so zu Kooperation u nd zu m Wu nsch , dass sich andere au ch entfalten , weil das von ih - n en Ersch affene genu tzt, kopiert u nd weiterentwickelt werden kan n.

Au s B ookch in , Mu rray (1 992 ): „D ie N eu gestal tu n g d er Gesel l sch aft“, Trotzd em -Verl ag in Gra fen au

Es ist wichtig, die Entwicklung einer Technik, die die moderne Angst vor dem Mangel besei- tigen kann, eine Nach-Knappheits-Technik sozusagen, zum Bestandteil des revolutionären Projektes zu machen. Eine solche Technologie muss jedoch in den Kontext einer sozialen Entwicklung gestellt werden und darf nicht als „Vorbedingung“ menschlicher Emanzipation unter allen Bedingungen und für alle Zeiten aufgefaßt werden. (S. 1 34 f. ) . . .

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3. Wel t, Leben , Men sch en 203 Wissen(sch aft) u nd Fortsch ritt

Was fü r die Tech nik gilt, kan n au f den gesamten B ereich von Wissen sch aft u nd gesell- sch aftlich em Fortsch ritt ü bertragen werden. Der besteht entgegen h äu figer Darstellu ng nicht nu r au s tech n isch em Fortsch ritt, sondern jede Weiterentwicklu ng von H an dlu ngs- m öglich keiten stellt einen Fortsch ritt dar. Ob sie emanzipatorisch er N atu r ist, anderer oder gar gegenteiliger, ist im B egriff des Fortsch ritts nicht festgelegt. Als Gegen kraft, also Rü ck- sch ritt oder Verh inderu ng von Fortsch ritt, kön nen alle Einflü sse besch rieben werden, die die Entfaltu ng mensch lich er P rodu ktivkraft h emm en, also z. B. eine aktu elle Situ ation fest- sch reiben oder sogar zu einer frü h eren Lage zu rü ckdreh en wollen. Gesetze u nd N ormen geh ören zu solch kon servativen Elementen, ebenso Apparate, die ü ber die Ein h altu ng ei- ner besteh enden Ordnu ng wach en u nd I nn ovationen abweh ren . Dabei wären Letztere nicht nu r in der Tech nik, son dern gerade wichtig au f dem Gebiet der sozialen I nteraktion.

Doch leider tu t sich da wenig: Streitku ltu r, verständige Kom mu n ikation, Kooperationsan- bah nu ng u n d viele andere soziale P rozesse bedü rfen u n bedin gt neu er I mpu lse u nd M eth o- den, sind sie doch stark verkü m mert in einer nu r zu P rofit u nd M acht strebenden Welt.

N icht zu m ersten M al wird die Untersch eidu ng interessant, wem eigentlich das Ganze dient. H eu tiger Fortsch ritt stärkt abstrakte Werte u nd Kollektivitäten , z. B. einen Konzern oder eine N ation. Die meisten , au ch die tech nisch en I nn ovationen der M ensch h eit ent- sprangen aber nicht deren kalten, geldangetrieben en H erzen, son dern dem Tü ftlerI nnen, die au s I nteresse, N eigu n g oder dem Willen fü r ein besseres Leben (fü r sich oder konkrete andere Personen) N eu es entwickelten.

Au s Matth ias H orx (2 008): „Tech n ol u tion“ (S. 95)

General Electric gründete 1 901 ein entsprechendes Labor, DuPont 1 902, Bell 1 911 , Kodak 1 91 3 und General Motors 1 91 9. Diese Labore waren zwar in der Regel nicht für die großen Durchbrüche oder die Ersteinführung innovativer, zukunftsweisender Technologien verant- wortlich. Sie entwickelten jedoch die vorhandenen Technologien konsequent weiter, verfei- nerten sie und passten sie an die Bedürftnisse der industriellen Produktion an.

Au s: H el frich , Sil ke u n d H ein rich -B öl l -Stiftu n g (H rsg. , 2009): „Wem geh ört die Wel t?“, Ökom in Mü n ch en (S. 99)

In der gesamten vernetzten Weit ist, wie Lawrence Lessig so treffend dargelegt hat, die Idee der Commons unerlässlich, wenn der Innovationsprozess auch ohne Erlaubnis der Be- treffenden, das heißt der etablierten Akteure, voranschreiten soll. Diese aber versuchen, den Innovationsprozess so zu begrenzen, dass die Technologie sich nur entsprechend ihrer eigenen Geschäftspläne entwickelt.

Die u ngeh eu ren Geldmengen, die h eu te in die Wissensch aft gepu mpt werden, u nd die M acht der Konzerne, spätere Anwendu ngen ü ber die Anm eldu ng oder den Au fkau f der Pa- tente zu steu ern, h aben au s der Wissensch aft eine reine H ilfstru ppe kapitalistisch er I nteres- sen gem acht. Kein Uni-I nstitu t u nd au ch keine kleine P rivatorganisation ist davon frei. Wis- sen sch aft ist h eu te meist käu flich e Forsch u n g au fgru nd des Zwan ges, du rch sie das Überle- ben der beteiligten Person en u nd des Kollektivs in Form der Firm a, Organisation oder des Uni-Fach bereich es zu sich ern. N icht die Wissensch aft, sondern diese Au srichtu ng ist das P roblem . Die aber ist wiederu m gesellsch aftlich geformt, d. h . in der Wissen-

sch aft spiegeln sich die Einflu ssfaktoren wieder, die au ch an anderen Stellen au s der mensch lich en Gesellsch aft eine große M asch ine von P rofit, Ver- wertu ng u nd totaler Kontrolle geformt h aben.

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Zitate zu gerichteter

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Wissensch aft unter www.

projektwerkstatt.de/

zitate/z_tech nik. htm l

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204 3. Wel t, Leben , Men sch en

Forsch u n g u n d Forsch u n gsfrei h ei t

Kann es eine Forsch u ngsfreih eit geben?

Das wü rde nu r dan n der Fall sein , wenn M ensch en interessenslos sind. Das sind sie aber n icht. I m emanzipatorisch en Sin ne wü rde Forsch u ng von I deen u n d Wü nsch en der einzel- n en M ensch en u nd ih rer freien Zu sam mensch lü sse angetrieben. I n den bish er bekan nten Gesellsch aften der letzten Jah rh u nderte bis h eu te prägten M acht- u nd P rofitinteressen das Forsch en. I m Kapitalismu s wird geforscht, was P rofit bringt. Ob es au ch den M ensch en n ü tzt, spielt keine Rolle. Solan ge es P rofit bringt, darf es au ch den M ensch en nü tzen − aber das ist dann ein e zu fällige N eben sach e. M eist ist es sch lim mer: P rofit bringt, was M en- sch en u nterdrü ckt, au sbeu tet, abh ängig m acht.

Darf alles erforscht werden?

Es gibt P rotagonistI nn en der Forsch u ng, die beh au pten , es m ü sse eine Freih eit der For- sch u n g geben. M eist kasch ieren sie damit eh er ih re P rofit- u nd Karriereinteressen u nd wol- len sich nicht m eh r den Argu menten der KritikerI n nen ih rer Forsch u ngen abgeben. Der Ru f nach absolu ter Forsch u ngsfreih eit wirft aber au ch gru ndsätzlich e Zweifel:

• Was ist mit M engele? Der KZ-Arzt von Au schwitz ben u tzte (wie viele seiner Kollegen an dern orts au ch ! ) M ensch en als Versu ch sobjekte fü r grau same Experimente. Waru m soll das nicht möglich sein , wenn doch Forsch u ng alles legitim iert?

• Was ist mit Rü stu ngsforsch u n g? Oder der Terminatortech nologie in der Gentech nik?

Es gibt eine Vielzah l von Forsch u ngen, die sichtbar Leid erzeu gen sollen (als Ziel oder H au ptsach e ih rer Anwen du ng! ), aber trotzdem gesch eh en, weil es gen ü gend M acht- u nd Kapitalinteressen dafü r gibt.

• Dü rfen Experim ente das Überleben der M ensch h eit gefäh rden?

Ein spann endes Experim ent, an dem die letzte Frage disku tiert wu rde, war 2008 die I nbe- triebnah m e des Teilch enbesch leu nigers am CERN u nter der Schweiz. Es h errschte zwi- sch en ExpertI nnen Unklarh eit, ob das Experiment die Gefah r birgt, den P laneten Erde komplett zu versch lingen. Etlich e M erkwü rdigkeiten prägten die Debatte, vielen Statements konnten H offnu ngen au f Patente oder geldschwere Forsch u ngsau fträge sch nell nach gewie- sen werden. Was an den Argu menten dran war, blieb wirr. I nzwisch en läu ft das Experim ent, oh ne dass noch weiter ü ber die Gefah ren debattiert wü rde. Träte der ' worst case' ein, wäre au ch niemand m eh r da, der das kön nte − aber ob der ü berh au pt möglich ist, konnte nir- gends klar belegt werden .

Darau f kom mt es h ier aber au ch nicht an. Die Frage, die sich stellt, ist die, ob es ein e abso- lu te Freih eit der Wissen sch aft geben kann oder nicht. Eine Antwort darau f ist: N ein, weil es fü r n ichts ein e absolu te Freih eit gibt. I n h errsch aftsförmigen Gesellsch aften besteh en Kon- trollgremien, die Freih eit besch neiden. Sie h aben zwar die du mme Angewoh nh eit, den Eli- ten maximale Freih eiten zu zu billigen u n d den als Konsu mentI nn en u nd Arbeitskraft be- trachteten M assen die Freih eit m öglich st stark einzu sch ränken. Den noch wäre th eoretisch ih re Au fgabe, au ch ü ber die Wissensch aft zu wach en. I n einer h errsch aftsfreien Welt wü rde zwar niemand form al kontrolliert, aber ein e Welt der freien Vereinbaru ngen bedeu tet, dass sich alle M ensch en ü berall einm isch en könnten. Sie trü gen zwar keine institu tionalisierte M acht in sich , aber die ständige Komm u nikation ist ein M ech anismu s direkter Gestaltu ng.

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3. Wel t, Leben , Men sch en 205 Der Teilch enbesch leu niger in CERN bot an dieser Stelle au s einem ganz anderen B lick- winkel etwas völlig N eu es: M it den M itteln staatlich er H errsch aft wu rde ein kontroll- u n d vereinbaru ngsfreier Rau m erzeu gt. N ichts u nd niemand h atte m eh r irgendein en Einflu ss au f das Gesch eh en au ßer den Du rchfü h renden selbst. Dazu wu rde das Forsch u ngsgelände von den Vereinten N ationen zu m exterritorialen Gebiet erklärt. Keine B eh örde war meh r zu stän dig, kein M ensch h atte irgendwelch e M itsprach erechte. Das stellt eine neu e Dimen- sion von P rivilegien dar − u n d vergrößerte n icht gerade das Vertrau en in das Experiment.

Au szu g d azu a u s dem Text „U n iversa l exp l osion“, in : J u n ge Wel t, 1 . 8. 2 008 (S. 3) Von der UNESCO als exterritoriales Gebiet ausgewiesen, gilt hier kein nationales Recht.

Ein Gremium, das Versuche stoppen oder zumindest verzögern könnte, wurde auf interna- tionaler Ebene noch nicht geschaffen. Einziges Entscheidungsorgan,

das hierzu befugt wäre, ist der Wissenschaftsrat des CERN, besetzt aus der Gruppe der CERN-Wissenschaftler selbst.

Wie entsteht große Tech nik oder I nfrastru ktu r?

M en sch lich es Leben ist meh r als Kleinklein. Es findet nicht n u r im

ü bersch au baren Rah men statt, in dem M ensch en einfach u n d direkt miteinander in Kontakt treten kön nen . Komplexe Tech nik entsteht als Su m me der gedanklich en Leistu n g u n d der Experimente vieler, ih re Weiterentwicklu ng bedarf des Zu sam mentragens von P raxiserfah - ru ngen an vielen Orten. Gleich es gilt fü r große I nfrastru ktu r, also alle m en sch lich en B au - ten , die ü ber den lokalen Rah men h in au sgeh en: Spezialisierte Krankenversorgu ng, M obili- tät ü ber größere Entfernu ngen , Warenau stau sch jenseits lokaler N etze oder M ärkte u nd, gan z wichtig, die Kooperation bei der gegenseitigen Absich eru ng von Gru ndversorgu ng, z. B. mit Energie, Wasser oder Lebensmitteln . Wü rde nu r lokale I nfrastru ktu r entsteh en, so wü rde ein Au sfall imm er gleich zu r N icht-Versorgu ng fü h ren oder es mü sste eine Zweit- u n d Drittinfrastru ktu r als Reserve bereitgeh alten werden − eine erh eblich e Ressou rcenver- schwen du ng. Wären lokale Versorgu ngswege verbu nden, könnten u mgebende bei einem Au sfall ü bergangsweise einsprin gen.

I nsofern wäre au ch fü r eine h errsch aftsfreie Gesellsch aft die Entwicklu n g ü berregionaler I nfrastru ktu r u nd großer Tech nik sinnvoll. N u r welch e Tech nik wie entwickelt wird oder I n- frastru ktu r entsteht, das säh e gan z anders au s. Entsprech end wäre au ch das Ergebnis deu t- lich u ntersch iedlich zu dem , was wir h eu te erleben.

Au s Ch ristoph Sp eh r (2003): „Gl eich er a l s an dere“, Karl D ietz Verl a g in B erl in (S. 1 02 ) Große Kooperationen sind nicht an sich schlecht, aber sie sind gefährlich in dem Maß, wie sie die Gesellschaft »mediatisieren«, d. h. andere Kooperationen und Untergliederungen ausschalten und die Gesellschaft individualisieren, so dass die Einzelnen »schrumpfen«. Das ist schlecht am Nationalstaat, und das ist schlecht an dem, was heute als Globalisierung bezeichnet wird. Wir können uns große Kooperationen nur leisten, wenn es ein ausdifferen- ziertes System von Untereinheiten gibt, die mit einem hohen Maß an Autonomie ausgestat- tet sind. Im Grunde ist das Argument ganz einfach: Wir können als Einzelne (oder als kleine Gruppen) nur dann frei und gleich mit einer großen Kooperation in Beziehung tre- ten, wenn es ein System von Zwischenkooperationen gibt, auf die wir mehr Einfluss haben und die im Verhältnis zur großen Einheit die Bedingungen der freien Kooperation erfüllen, die wir selbst nicht erfüllen können: alle Regeln zur Disposition stellen; gehen und ein- schränken können und dadurch Einfluss nehmen; die Kooperation zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis scheitern lassen.

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Tech nikfetisch ism us: Al l es, was

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tech nisch aufrüstet, ist gut − auch für den Mensch en? Zitate unter www. projektwerkstatt.de/

zitate/z_tech nik. htm l

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