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Archiv "Wirkung ionisierender Strahlung auf den menschlichen Organismus — Klinische Befunde" (17.04.1985)

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Wirkung ionisierender Strahlung auf den menschlichen Organismus

— Klinische Befunde

D

ie Wirkung ionisierender Strahlung auf den Men- schen und seine Umwelt ist wesentlich besser untersucht als die aller anderen chemischen und physikalischen Noxen. Trotzdem hält die Diskussion auf wissen- schaftlicher und politischer Ebe- ne über die angeblich so verhee- renden Folgen selbst kleinster Strahlendosen auf die mensch- liche Gesundheit und das geneti- sche Potential der Menschheit un- vermindert an. Seit neuestem wird die ionisierende Strahlung sogar für die Waldschäden verantwort- lich gemacht.

Bei rationaler Beurteilung der Strahlenwirkung muß zunächst von der Tatsache ausgegangen werden, daß der Mensch und die belebte Natur seit jeher dem Ein- fluß ionisierender Strahlung aus- gesetzt waren und daß auch für diese Noxe das Gesetz von Para- celsus gültig ist: „Sola dosis facit venenum". Um zu verdeutlichen, daß dieses Gesetz auch für die An- wendung ionisierender Strahlen gilt, werden in diesem Beitrag Strahlendosen und ihre Wirkun- gen untersucht, wie sie als Folge von Unfällen beim Umgang mit ionisierender Strahlung und bei der therapeutischen Nutzungioni- sierender Strahlung in der Ra- dioonkologie auftreten können.

Diese Strahlendosen liegen um das Tausend- bis Hunderttausend- fache über den Dosen der natür- lichen Strahlenexposition und den Dosen, wie sie im Rahmen der Röntgendiagnostik und bei der friedlichen Nutzung der Kern- energie auftreten, und können deshalb zuverlässig monokausa- len Ursachen zugeordnet werden.

Zum Vergleich zwischen der na- türlichen und der anthropogenen Strahlenexposition sind in Abbil- dung 1 die Komponenten der na-

türlichen Strahlenbelastung des Menschen dargestellt, bestehend aus kosmischer und terrestrischer Strahlung sowie der Strahlenex- position durch inkorporierte, na- türliche radioaktive Stoffe. Die- se natürliche Strahlenexposition

Thomas Vogl und Josef Lissner

Wie in vielen medizinischen Bereichen gilt es, auch bei der Anwendung ionisieren- der Strahlung die Grenzen zu finden zwischen Heilung bei sachgemäßer Dosierung und Schädigung durch Überdosierung. Wo liegen die Schadschwellen für die einzelnen Organe und den Ganzkörper tatsächlich?

führt zu einer genetisch signifi- kanten Dosis von 110 mrem (= 1,1 mSv) je Person und Jahr, wobei die terrestrische Strahlung mit 50 mrem pro Jahr den größten Anteil hat. Die anthropogene Strahlen- exposition bewirkt eine zusätz- liche signifikante Dosis von 60 mrem (600 .tSv) pro Person und Jahr, die im wesentlichen resul- tiert aus der Anwendung ionisie- render Strahlen in der Medizin (ca. 50 mrem/a), in Forschung und Technik (ca. 2 mrem/a) und aus der friedlichen Kernenergienut- zung (< 1 mrem/a). Dabei stammt der Hauptteil der medizinischen Strahlenexposition von der Rönt- gendiagnostik, nur ein verschwin- dend kleiner Anteil von Nuklear- medizin und Strahlentherapie.

1. Strahlenwirkung auf den Organismus

Die Strahlenwirkung auf den menschlichen Organismus wird im wesentlichen durch die Strah-

lendosis und ihre zeitliche Vertei- lung bestimmt. Vielfach wird die zeitliche Dosisverteilung und ihr Einfluß auf die Strahlenwirkung unterschätzt.

Bei der Absorption ionisierender Strahlen im Organismus (verglei- che Abbildung 2) treten molekula- re Veränderungen im Bereich der Zelle und ihrer Strukturen auf.

Diese können, in Abhängigkeit von der Strahlendosis und ihrer zeitlichen Verteilung, über bio- chemische Veränderungen der Zelle und ihres Kerns zu nachste- henden physiologischen Allge- meinreaktionen führen. Derartige Veränderungen können aber auch über Mutationen zur Entstehung von Organtumoren und Genschä- den führen, soweit nicht Repara- turmechanismen diese Strahlen- wirkungen verhindern.

1.1 Organspezifische Strahlenwirkung

Bei den organspezifischen Strah- lenwirkungen ist zu unterschei- den zwischen organgebundenen, somatischen Strahlenwirkungen bei hohen Dosen sowie allgemei- nen strahlenpathologischen Pro- zessen wie die akute Strahlen- krankheit, die Onkogenese und die embryonalfetalen Strahlenfol- gen.

Siehe auch das Editorial von E. H. Graul: Was wissen wir über die Wirkung „kleiner' . Dosen ionisierender Strahlung? Deutsch. Arztebl. 81, Heft 20 (1984) 1617-1619

Aus der Radiologischen Klinik und Poliklinik (Direktor: Professor Dr. med. Josef Lissner) der Universität München, Klinikum Großhadern

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Abbildung 1: Komponenten der natürlichen Strahlenbelastung des Menschen

Strahlenelliiiiiiiderungen

molekulare Veränderungen

Reparatur- mechanismen

biochemische Veränderungen Allgemeinreaktionen ORGANSCHADEN

Mutationen

I

ORGANTUMOREN

Jahrzehnte bis Jahrhunderte Zeit Sekunden — bis Minuten

Minuten bis Stunden —

Stunden bis Tage —

Jahre —

Absorption der-Strahlung

; STRAHLUNG

10'. sek —

4smisChe Strahlung

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Eigen-

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Abbildung 2: Strahlenbedingte Veränderungen im menschlichen Organismus in zeit- licher Abhängigkeit

Die erste Berichterstattung über eine unerwartete Strahlenwirkung auf den menschlichen Organis- mus wurde 1896 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift ver- öffentlicht, und zwar ein Jahr nach Entdeckung der Röntgenstrahlen.

In diesem Bericht heißt es: „Es dürfte noch nicht allgemein be- kannt sein, daß die so viel bespro- chenen X-Strahlen die Eigen-

schaft besitzen, ähnlich Sonnen- strahlen die Haut zu verbrennen.

Ich hatte sehr viel mit den Rönt- genversuchen zu tun und benutz- te als Prüfobjekt stets meine linke Hand. Die Hand zeigte eine Röte, erschien geschwollen mit Blasen, als hätte ich mich verbrannt ... ".

Für die Strahlenwirkung am Or- gansystem Haut sind, pathophy-

siologisch gesehen, zum einen die Schädigung der Epidermiszel- len im Stratum basale sowie eine Gefäßreaktion verantwortlich. Da- bei kommt es bereits bei Dosen von 350 rem Einzeldosis an der Haarwurzel nach etwa 12 bis 16 Tagen zu einer Allopezie mit er- neutem Haarwuchs nach zwei Mo- naten. Bei einer Einzeldosis von über 1000 rem (das entspricht dem 10 000fachen der natürlichen Strahlenexposition während eines Jahres) ist der Ablauf der Strah- lenreaktion wie bei einer Verbren- nungskrankheit, beginnend mit einem Erythem, gefolgt von einer trockenen (Epidermitis sicca), dann feuchten Hautreaktion (Epi- dermitis exsudativa). Eine ent- sprechend hohe Dosis kann zu ei- nem Strahlenulkus führen.

Das Bild einer chronischen Haut- schädigung durch hochdosierte ionisierende Strahlung, die in re- lativ kurzer Zeit appliziert wurde, ist geprägt durch Sklerosierung, Teleangiektasien und atrophische Hautveränderungen. Als Spätfol- ge kann im Bereich dieser ge- schädigten Zonen eine maligne Entartung auftreten mit der klini- schen Konsequenz eines Karzi- noms.

Die Abbildungen 3 und 4 zeigen den Ablauf einer Strahlenreaktion der Haut nach industriellem Unfall mit Gammastrahlen mit einem Strahlenulkus und entsprechen- der Abheilung nach 19 Monaten.

Die dabei applizierte Teilkörper- dosis an der Hand betrug ca.

10 000 rem.

Am blutbildenden System sowie an Milz und Lymphknoten kommt es wenige Stunden nach der Ap- plikation einer Ganzkörperdosis von 100 rem zu einer akuten Zelt- veränderung im Knochenmark.

Bedeutungsvoll für Diagnostik und Therapie von Strahlenfolgen ist das Verhalten der Zellen im pe- ripheren Blut. Die Reduktion der Zellen spiegelt dabei die Störung der Hämopoese wider, einer nur geringen Abnahme der Erythro- zyten steht eine frühzeitige und

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Keimdrüsen: d' >100 rem Oligospermie

>500 rem Hodenatrophie

9 > 500 rem Sterilisation Radiomenolyse

Lunge: 1 > 3000 rem Strahlenpneumonitis Lungenfibrose

Magen - Darm: wenige Tage: Resorptionsstörung Wasser- Elektrolytstörung

>5000 rem mehrere

Monate: Ulcerationen, Perforationen Leber: >3000 rem Strahlenhepatitis

Leberinsuffizienz

Abbildung 5: Organspezifische Strahlenwirkung auf Keimdrüsen, Lunge, Magen- Darm-Trakt und Leber

Abbildung 3: Strahlenulkus nach Teilkörperexposition mit Gammastrahlung bei einer Dosis von 10 000 rem

Abbildung 4: Derselbe Patient, Abheilung 19 Monate später

starke Abnahme der Thrombozy- ten und Granulozyten gegenüber.

Unter den reifen Blutzellen stellen die Lymphozyten die strahlen- empfindlichste Zellreihe dar, und so kommt es bereits am ersten Tag nach Ganzkörperexposition zu einem Absinken der Lympho- zyten, die Granulozyten und Thrombozyten folgen innerhalb weniger Tage.

Bei einer Strahlenexposition der Keimdrüsen tritt beim Mann bei Keimdrüsendosen von mehr als 100 rem eine reversible Oligo- spermie ein, bei Dosen größer 500 rem kann es zu Sterilität kommen ohne klinische Zeichen der Ka- stration, da die Leydig-Zellen weitgehend strahlenresistent sind (Abbildung 5). Bei Dosen um 500 rem kommt es auch bei der Frau zu Sterilität, allerdings mit hormo-

nellen Folgeerscheinungen wie in der Menopause.

Eine Einzeldosis von 1000 rem be- ziehungsweise eine Gesamtdosis von 3000 rem, appliziert in drei Wochen, führt an der Lunge meh- rere Wochen nach Exposition zu einer exsudativen Reaktion in den Alveolen, ähnlich einer akuten Entzündung und daher als Strah- lenpneumonitis bezeichnet. Mo- nate danach kann eine Lungenfi- brose folgen mit Ventilations- und Zirkulationsstörungen.

Im Magen-Darm-Bereich ist das empfindlichste Organsystem das

Schleimhautepithel des Dünn- darms. Innerhalb weniger Tage nach einer Strahlenexposition mit hoher Teilkörperdosis kommt es zur Denudation der Darmzotten mit Resorptionsstörungen und Veränderungen im Wasser-Elek- trolythaushalt. Erst bei Dosen grö- ßer 5000 rem kann es mehrere Monate später zu atrophischen Schleimhautveränderungen oder Ulzeration mit eventueller Perfo- ration kommen. Eine narbige Ste- nose im Dünndarmbereich nach Radiatio des Abdomens mit 6000 rem ist in Abbildung 6 dargestellt.

An der Leberkann sich bei Dosen größer 3000 rem eine Strahlenhe-

patitis entwickeln, die Gefahr ei- ner Leberinsuffizienz besteht erst bei höheren Dosen.

Ein besonders strahlenempfind- liches, parenchymatöses Organ ist die Niere (vergleiche Abbil- dung 7), die vor allem bei der the- rapeutischen Radiatio von Tumo- ren im oberen Abdomen und im Retroperitoneum gefährdet ist.

Nach Exposition von Einzeldosen um 1000 rem, oder 2000 rem bei entsprechender Fraktionierung, kann eine Strahlennephritis auf- treten, die meist gleichzeitig auf- tretende Tubulusatrophie bedingt eine Hypertonie. Noch höhere Do-

(4)

Niere: > 2000 rem Strahlennephritis Tubulusatrophie Hypertonie

> 4000 rem Perikarderguß Myokardschädigung Herz:

Rückenmark: >4000

rem neurologische Ausfälle

Knochen: >

4000 rem Radionekrose wachsender

Knochen Wachstumsstörung Abbildung 6: Narbige Stenose im Dünndarmbereich nach Radiatio des Abdomens mit 6000 rem

Abbildung 7: Organspezifische Strahlenwirkung auf Niere, Herz, Rückenmark und Knochen; ein besonders strahlenempfindliches Organ ist die Niere

sen können einen völligen Funk- tionsverlust der betroffenen Niere mit entsprechender klinischer Symptomatik zur Folge haben.

Wird das Herz einer Teilkörperdo- sis von mehr als 4000 rem expo- niert, so beobachtet man gehäuft die Entwicklung rezidivierender Perikardergüsse, oft kombiniert mit Myokardschädigungen.

Für das Rückenmark wird im in- ternationalen Schrifttum eine To- leranzdosis von 3500 bis 4000 rem

angegeben. Erfahrungen in der Radioonkologie zeigen, daß bei Dosen (fraktionierte Radiatio) grö- ßer als 4000 rem am Rückenmark neurologische Ausfälle auftreten können. Das Spektrum reicht von reversiblen Sensibilitätsstörun- gen abwärts des betroffenen Seg- mentes über ein inkomplettes Querschnittsbild bis zum kom- pletten irreversiblen Querschnitt.

Bei den Wirkungen ionisierender Strahlen auf das Knochensystem des Menschen ist zu unterschei-

den zwischen dem kindlichen, sich noch in Entwicklung befind- lichen Knochenapparat und dem ausdifferenzierten Knochen des Erwachsenen.

Beim wachsenden Knochen kann es bereits bei Teilkörperdosen von mehr als 100 rem zu Wachs- tumsstörungen durch Zerstörung der Epiphysenfugen kommen. Ei- ne Dosis von wenigen 100 rem kann bei langen Röhrenknochen zu einem Wachstumsarrest an den Epiphysen und zu rachitis- ähnlichen Deformationen der Me-

taphysen führen. Bei Bestrahlung von Wirbelkörpern vermindert sich das Längenwachstum des Kindes, eine asymmetrische Be- strahlung kann eine Skoliose be- dingen. Am ausdifferenzierten Knochen kommt es bei Dosen größer 5000 rem zu Radionekro- sen der Rippen zum Beispiel bei Patientinnen, die wegen eines Mammakarzinoms postoperativ nachbestrahlt wurden.

1.2 Akute Strahlenkrankheit bei Ganzkörperexposition Für das im folgenden beschriebe- ne Bild (vergleiche Abbildung 8) der akuten Strahlenkrankheit nach Ganzkörperexposition han- delt es sich stets um Folgen sehr hoher Ganzkörperdosen von meh- reren hundert rem, die medizi- nisch bei Patienten vor Knochen- markstransplantation und im übri- gen ausnahmslos bei Strahlenun- fällen auftreten können.

Einmalig Ganzkörperexponierte erkranken ab einer bestimmten Dosisschwelle an der akuten Strahlenkrankheit. Für die dabei letale Strahlendosis wird häufig die Kenngröße LD 50 (30) benutzt;

damit ist die Dosis bestimmt, bei der die Hälfte der strahlenexpo- nierten Personen innerhalb von 30 Tagen der akuten Strahlen- krankheit erliegt. Bei supraletalen Ganzkörperdosen größer 3000 rem steht die zentralnervöse Ver- laufsform im Vordergrund, begin- nend mit Benommenheit nach

(5)

10-25 %

akute Strahlenkrankheit mit schweren klinischen Symptomen

schwerste klinische Symptomatik nahezu

mit letalem Ausgang 100 %

50 % Letalität 100-200 rem

200-400 rem 400-600 rem

> 600 rem

geringe klinische Symptomatik 0 % II akute Strahlenkrankheit

IR

Ganzkörperdosis zentralnervöse Phase 3000 rem

Benommenheit, Ataxie: nach ehreren Minuten Beschwerdebesserung:über ca. 3 Stunden kornatöser Zustand

II gastrointestinale Phase

Gastroenteritis: ab 2. bis 3. Tag Elektrolytentgleisung, Schock

< 3 000 rem

ZII hämopoetische Phase 1000 rem Blutungen;ab 2. bis 3. Woche

- petechial

- aus Körperöffnungen Entzündungen

- Anginen Stomatitis - Fieber

Abbildung 8: Verlauf der akuten Strahlenkrankheit in Abhängigkeit von der Ganzkör- perdosis

Abbildung 9: Stadieneinteilung der akuten Strahlenkrankheit in Abhängigkeit von der Ganzkörperdosis

mehreren Minuten und einer Be- schwerdebesserung, die dann in einen komatösen Zustand mit an- schließendem Herz-Kreislauf-Ver- sagen übergeht. Bei Ganzkörper- dosen kleiner als 3000 rem ent- wickeln sich nach zwei bis drei Ta- gen Symptome des Gastrointesti-

naltraktes rillt dem klinischen Bild einer massiven Gastroenteritis, begleitet von einer Elektrolytent- gleisung und Schock. Bei Dosen kleiner 1000 rem wird das klini- sche Bild geprägt durch eine Symptomatik von Blutungen und Entzündungen lokal oder genera- lisiert, die sich nach einem relativ symptomfreien Intervall von zwei bis drei Wochen entwickeln. Ur- sächlich dafür verantwortlich zeigt sich ein Versagen des hämo-

poetischen Systems

Besonders für die Beurteilung des Schweregrades der Strahlen- krankheit bei Strahlenunfällen un- terscheidet man vier Stadien mit entsprechenden prognostischen Kriterien (vergleiche Abbildung 9). Personen, die einer Ganzkör- perdosis von 100 bis 200 rem ein- malig exponiert waren, werden dem Stadium I zugeordnet, das durch geringe klinische Sympto- matik und sehr günstige Prognose gekennzeichnet ist. Personen der Gruppe IV dagegen, mit Ganzkör- perdosen größer 600 rem und schweren klinischen Befunden, haben nur sehr geringe Überle- benschancen.

Beispielhaft soll bei einer Person, die einmalig einer Ganzkörperdo- sis von 400 rem exponiert war, der Verlauf der Strahlenkrankheit skizziert werden. Zwei bis acht Stunden nach Exposition entwik- kelt sich die Initialphase, in der Symptome wie Übelkeit, Erbre- chen und Schwindel auftreten können. Darauf folgt eine sym- ptomfreie Periode von ein bis zwei Wochen, bis sich die Schä- den am blutbildenden System mit Fieber, Durchfall und Blutungen auswirken. Jahre nach Exposition können Spätschäden auftreten, wie die erhöhte Inzidenzrate von Leukämie und Karzinomen.

2. Therapie

der Strahlenfolgen

In der Therapie sind lebensretten- de Sofortmaßnahmen, wie etwa bei Verletzungen oder Vergiftun- gen, nicht möglich. Ein sofortiges Eingreifen muß dann erfolgen, wenn eine Kombination von Strahlenwirkungen und Verlet- zungen aufgrund thermischer, mechanischer oder chemischer Einwirkung vorliegt. Kommt es zu einer unfallbedingten Strahlenex- position, so wird man sich für die Einleitung der Primärtherapie auf die Beurteilung der Prodromal- symptome der Strahlenkrankheit sowie auf eine Abschätzung der Strahlenexposition des Patienten mit Hilfe der Position zur Strah- lenquelle zum Zeitpunkt des Un- falls beschränken müssen.

Das therapeutische Procedere bei Personen mit einer hohen Ganz- körperexposition als Folge eines Strahlenunfalls mit externer Strahlenexposition und Oberflä- chenkontamination ist in Abbil- dung 10 dargestellt. Zunächst ist es notwendig, die Kontamination (Verunreinigung der Körperober- fläche mit radioaktiven Stoffen) zu beseitigen und einer Inkorpo- rierung von radioaktiven Substan- zen entgegenzuwirken, das heißt Verhinderung der Aufnahme ra- dioaktiver Stoffe über Atemluft, Nahrung und Wunden durch spe- zielle Dekontaminationsmaßnah- men. Soweit radioaktive Stoffe bereits inkorporiert wurden, muß durch elementspezifische Dekor- porationsmaßnahmen eine ehest- mögliche Ausscheidung ange- strebt werden. Wesentlicher

(6)

Dekontamination Dekorporierung

Körperliche Schonung und Ruhigstellung

Symptomatische Therapie von Flüssigkeits- Elektrolytstörungen Infektionsprophylaxe

Isolierung und Hygiene

Sterilisierung der Körperoberfläche mit Antiseptika Antibiotikatherapie prophylaktisch

bei Auftreten von Infektionen

Hämatologische Intensivtherapie (Knochenmarkstransplantation)

Abbildung 10: Therapeutisches Procedere bei Personen mit externer Strahlen exposition und Oberflächenkontamination als Folge eines Strahlenunfalls

Schritt danach ist die Ruhigstel- lung des Patienten, eventuell so- gar medikamentös durch Sedie- rung. Nächste Behandlungsschrit- te sind die substitutiv-symptomati- sche Therapie von Flüssigkeits- Elektrolytstörungen und die Infek- tionsprophylaxe durch Isolierung und sorgfältige Hygienemaßnah- men. Dabei sollten Antibiotika nicht prophylaktisch verwendet werden, sondern nur zum geziel- ten Einsatz bei Infektionen nach vorausgegangener Resistenzte- stung. Die hämatologische Inten- sivtherapie und der Einsatz der Knochenmarkstransplantation bei Erfüllung der Voraussetzung ei- nes geeigneten Spenders ermög- lichen, das Stadium der Panzyto- penie zu überbrücken und damit auch die Überlebenswahrschein- lichkeit eines Patienten mit hoher Ganzkörperdosis zu steigern.

Schlußbetrachtung

Eine Übersicht, die sich mit klini- schen Befunden der Strahlenwir- kung auseinandersetzt, zeigt nur einen Aspekt des Problems der Strahlenwirkung. Dem vieldisku- tierten Thema der Strahlenschädi- gung muß die Nutzung der Strah- lenwirkung für Heilzwecke entge- gengesetzt werden. Die ionisie- rende Strahlung ist zu einem un- verzichtbaren Instrument gewor- den, das aus der modernen Onko- logie nicht mehr wegzudenken ist. Nahezu aus allen Fachrichtun- gen werden heute Patienten an radioonkologische Kliniken über- wiesen, die die Strahlentherapie unter Beachtung der Toleranzdo- sen alleine oder in Kombination mit chirurgischen und zytostati- schen Therapiemaßnahmen ein- setzen.

Die Beurteilung von strahlenbe- dingten Wirkungen, ob im Rah- men von Unfällen mit ionisieren- den Strahlen oder bei der thera- peutischen Nutzung in der Ra- dioonkologie, sollte vor dem Hin- tergrund der natürlichen Strahlen- exposition des Menschen erfol- gen, die den Menschen in seiner Entwicklungsgeschichte unaus- weichlich begleitet hat und gegen deren Auswirkungen die Natur wirksame Reparaturmechanis- men entwickelt hat.

Literatur

Ammand, K.; Bücher, H.: Die natürliche Strah- lenexposition des Menschen. Georg Thieme Verlag (1974)— Evans, H.J.: Radaition induced chromosomen aberrations in nuclear Bock- yard workers. Nature 277 (1979) 531-534 — Fri- dell, H. L.: The radiation control for health and safety. Radiology 99 (1969) 584 — Kirchoff, R.:

Triage im Katastrophenfall. Perimed Fach- buch 9 „Notfallmedizin" — Lashowski: Biologi- sche Strahlenschäden und ihre Reparatur. de Gruyter Verlag (1981) — Miller, R. W.: Delayed effects occuring within the first decade after exposure of young individuals to Hiroshima atomic bomb Pediatrics 18 (1956)— Rausch, L.:

Mensch und Strahlenwirkung. Piper Verlag (1982)— Saebel: Die natürliche und künstliche Strahlenexposition des Menschen. Aktuelle Medizin 41 (1981) 1903 — Stieve: Abschätzung der Strahlenrisiken. Gustav Fischer Verlag (1977)

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Thomas Vogl Professor Dr. med.

Josef Lissner

Radiologische Klinik und Poliklinik der Universität München, Klinikum Großhadern Marchioninistraße 15

8000 München 70

FÜR SIE GELESEN

Kalzium-Gabe

nach den Wechseljahren

103 Frauen, bei denen die Wech- seljahre früh eingesetzt hatten, wurden je nach Höhe der von ih- nen erfragten Kalzium-Zufuhr in drei Gruppen unterteilt:

unter 550 mg/Tag,

> zwischen 550 und 1150 mg/Tag, über 1150 mg/Tag.

Anschließend erhielten alle Teil- nehmerinnen zwei Jahre lang täg- lich 500 mg Kalzium, wobei der Mineralgehalt der Knochen alle drei Monate gemessen wurde.

Sämtliche gemessenen Verände- rungen wurden zur Bestimmung des Kalzium-Gleichgewichts der Knochen berücksichtigt. Bei allen drei Gruppen zeigte sich während der zwei Jahre ein ähnliches Ab- sinken des Mineralgehalts der Knochen. Diese Entwicklung weist

nach Ansicht der Autoren darauf hin, daß eine Kalzium-Zufuhr von 1000 bis 2000 Milligramm pro Tag zur Verhütung von Knochenverlust bei frühem Einsetzen der Meno- pause unwirksam ist. dpe

Nilas, L.; Christiansen, C.; Rodbro, P.; Calcium supplementation and postmenopausal bone loss, British Medical Journal 289 (1984) 1103-1106;

Dr. L. Nilas, Department of Clinical Chemistry, Glostrup Hospital, DK-2600 Glostrup, Däne- mark

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