Die Information:
Bericht und Meinung
STIMMEN ZUR GIFTFÄSSER-AFFÄRE
Ärzteprotest:
„Vertrauen schwer erschüttert`
Protest gegen das Verhalten des Schweizer Pharma-Konzerns Hoffmann-la Roche im Zusam- menhang mit dem verschwunde- nen Seveso-Gift wollen etwa 150 Ärzte aus Lübeck und anderen Or- ten Schleswig-Holsteins vorerst Medikamente des Unternehmens
`jranifurter3lIgemeine
ZEITUNG EUR DEUTSCHLAND
nicht mehr verschreiben. In einem offenen Brief teilten die Mediziner dem Konzern mit, ihr Vertrauen zur Firma Hoffmann-la Roche sei durch die Giftfässer-Affäre schwer erschüttert worden: ,Wir können daher unseren Patienten nicht mehr ruhigen Gewissens Ihrä Prä- parate verordnen, solange Sie sich über den Verbleib der Dioxin-Be- hälter in Schweigen hüllen.' Die Lübecker Ärzte fühlten sich, schreiben sie weiter, durch die si- zilianischen Verhältnisse' bei der Beseitigung des Giftmülls in höch- stem Maße betroffen, weil der mögliche Lagerort, die Sonder- mülldeponie Schönberg in der DDR, nur fünf Kilometer von der Hansestadt entfernt liege und die Gesundheit der gesamten Region aufs äußerste bedrohe."
Boykott:
In Kiel kein Thema
„Für die Kieler Ärzteschaft ist ein
‚Boykott' des Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche kein Thema.
Auch beim Apothekerverein war
KielerNachrichten
nichts von derartigen Bestrebun- gen bekannt. Zwar befürchteten Sprecher des Ärztevereins und der Kassenärztlichen Vereinigung aus medizinischer Sicht keine negati- ven Folgen, doch stellten beide heraus, daß der Chemie- und der
Pharmakonzern Hoffmann-La Ro- che zwei verschiedene Betriebe innerhalb eines Konzerns seien.
Eine Beurteilung der ,Dioxin-Affä- re' sei nicht Sache der Ärzte."
Nicht auf Kosten der Patienten
„Der Präsident der Bundesärzte- kammer (Köln), Karsten Vilmar, hat ,gewisses Verständnis' für die Weigerung von Ärzten geäußert, Medikamente des Schweizer Phar- ma-Konzerns Hoffmann-La Roche zu verschreiben, solange das Un- ternehmen sich über den Verbleib des Seveso-Gifts in Schweigen hülle. Allerdings warnte Vilmar da-
dpa
vor, den Boykott ,auf dem Rücken der Patienten' auszutragen. Die Bedürfnisse der Kranken hätten immer Vorrang."
„Der Präsident der Bundesärzte- kammer, Karsten Vilmar, lehnt ei- nen Boykott von Medikamenten des schweizerischen Pharmakon- zerns Hoffmann-La Roche durch Mediziner grundsätzlich ab. Wie
associated press
Vilmar gestern in Bremen erklärte, hat er jedoch Verständnis für sol- che Kollegen, die ,mit Recht' dar- über verärgert seien, daß die Fir- ma sich über den Verbleib der 41 Fässer mit dem Seveso-Gift in Schweigen hüllt. Dennoch müsse das Wohl der Patienten beim Ver- schreiben von Medikamenten im Vordergrund stehen."
Appell zu Aufklärung
„Angesichts der spontanen Aktio- nen niedergelassener Ärzte, die bis zur Aufklärung der Dioxin-Affä- re keine Medikamente der Firma Hoffmann-La Roche mehr ver-
schreiben wollen, hat der Ver- band der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (NAV) an den Vor- stand des Schweizer Pharma-Un- ternehmens appelliert, alles dar-
ARZTLICHER IHM INFORMATIONS-
DIENST
■
,EURINFORM•(
anzusetzen, um möglichst bald ei- ne Aufklärung über den Verbleib der Dioxin-Fässer zu erreichen. In einem Fernschreiben an Hoff- mann-La Roche machte der NAV- Bundesvorsitzende, Dr. Erwin Hirschmann, deutlich, daß bei ei- ner weiteren Verschleppung der Aufklärung die Gefahr gegeben sei, daß das Vertrauen zahlreicher Ärzte in die Firma erschüttert wer- de. Deshalb sollte Hoffmann-La Roche mit Nachdruck von den Un- terakkordanten verlangen, endlich den Endlagerungsort der Giftfäs- ser bekanntzugeben."
Zeichen der Hilflosigkeit
„Die Frage nach dem Verbleib von 41 Fässern mit dem Seveso-Gift Dioxin erregt die Öffentlichkeit gleich mehrerer Länder fast noch heftiger als der Streit um Atom- Raketen. Nur mit dem Unter- schied, daß man über die Statio- nierung von Sprengköpfen infor- miert wird; über die Gifttonnen da- gegen erfahren noch nicht ein- mal die Staatsanwaltschaften et- was . . . Die Möglichkeiten des ein-
PunDfitau
zelnen, sich dagegen wirksam auf- zulehnen oder gar zu wehren, sind denkbar gering. Immer mehr Ärzte erklären sich jetzt mit den Be- strebungen solidarisch, medizini- sche Präparate von Hoffmann-La Roche nicht mehr zu verschrei- ben; tatsächlich hochwirksame und heilbringende Medikamente werden boykottiert. Eine spekta- kuläre Aktion, gewiß, aber letztlich doch nicht mehr als ein Aufschrei der Hilflosigkeit." J. G. Jagla 20 Heft 17 vom 29. April 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A