Das Gegenteil ist auch nicht wahr
Dr. med. Werner Schützier © DEUTSCHES ÄRZTEBLATT • Karik
ICH WÜNSCHTE,
iCH HATTE KREBS DANN KÄM' iCH IM KRANKENHAUS NICHT MEHR iN DIE ABSTELLKAMMER ,SONDERN AUF DiE PiEKFEINE ONKOLOGISCHE
STATiON - DA DARF MAN SOGAR WEiTERSAU.FEN
Eines Tages unter den Brücken
Die Information:
Bericht und Meinung SATIRE
Kalender-Status
Einen wirklich vollen Terminkalen- der vorweisen zu können läßt heu- te den Besitzer in den Augen sei- ner Umwelt wesentlich bedeuten- der erscheinen, als es der Kohi- noor am Halse seiner Gattin ver- möchte.
Betrachten wir als Beispiel den Lehrstuhlinhaber für peripatheti- sche Sozialchirurgie in F., Prof. T., 53 Jahre. Sein virtueller Aufent- haltsort (geometrisches Mittel al- ler Aufenthaltsorte des letzten Jahres) befindet sich etwas nörd- lich von Dublin, da der geographi- sche Schwerpunkt seiner Kon- greßtätigkeit letztes Jahr in Kana- da lag. Zwei Fortbildungsveran- staltungen in Afrika (Marokko im April, Ägypten im Dezember) ha- ben immerhin verhindert, daß sein mittlerer Aufenthaltsort bis nörd- lich des Polarkreises rutschte.
Im einzelnen hatte er für seinen Terminkalender folgende Perlen aufgetrieben: nach dem Skiauf- enthalt über Neujahr (Davos) beim
„Interdisziplinären Forum" in Köln, im Februar in Vancouver, im März Skiurlaub (Saas Fee), April Marokko, Mai Chikago (Internatio- nales Symposion!), Juni Kyoto, Ju- li Kopenhagen, August Urlaub (Sylt), September Hamburg, Okto- ber Toronto, November/Dezember Ägypten.
Soweit die Grobverteilung seiner Arbeitszeit in F. Zur Feineinteilung für den Fall körperlicher Präsenz:
montags Ärztekammer, dienstags Klinikumsvorstand, mittwochs Bonn (DFG), donnerstags Fakul- tätssitzung, freitags Berufungs- kommission, Samstag/Sonntag Fortbildung in T., B., X., Y. und Z.
Zur Feinstverteilung bei ganztägi- ger Anwesenheit in F.: 6 Uhr Auf- stehen, 6.15 Uhr Swimming-Pool, 6.30 Uhr Tennis, 7.00 Uhr Früh- stück, 7.30 Uhr Visite, 8.00 Uhr As- sistentenkonferenz, 8.45 Uhr Vor- lesung, 9.30 Uhr OP, 12.00 Uhr Ro- tarier, 14.00 Uhr Sprechstunde,
15.00 Uhr Kommissionssitzung, 16.00 Uhr Klinikverwaltung, 17.00 Uhr Visite, 17.25 Uhr Praktikum, 18.30 Uhr Schriftwechsel, 19.00 Uhr Duschen, 19.30 Uhr wissen- schaftlicher Vortrag, 21.00 Uhr Streichquartett (Cello), 23.30 Uhr Aufsuchen des häuslichen Bettes.
Nach eigenen Angaben (die das subjektive Gefühl ganz korrekt wiedergeben) fühlt sich Prof. T.
beruflich stark belastet — er opfere sich für die Klinik geradezu auf. 14 bis 16 Arbeitsstunden pro Tag sei- en bei ihm keine Seltenheit. An seiner hohen Sozialreputation kann demnach kein Zweifel sein.
Zudem ist er nur an 165 von 200 Arbeitstagen in F., auch das zählt.
Aus diesen Gründen wollte ich ihn als Redner für das Symposion
„Die Bedeutung der Freizeit für die geistig-seelische Gesundheit in der Konsumgesellschaft" ge- winnen. Sein wissenschaftliches Interesse gilt nämlich dem Anstieg der Mußefähigkeit nach operativer Entfernung der Zirbeldrüse. Da ist er international anerkannter Fach- mann.
Er hat zugesagt, den Vortrag zu halten; das heißt lieber wäre ihm allerdings eine Podiumsdiskus- sion — aber bitte erst 1984.
Da hat er nämlich an einem Mon- tagmorgen noch zwei Stunden
frei. mma
Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 12 vom 26. März 1982 21