A 746 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 14|
8. April 2011VERFAHREN GEGEN WEGBERGER KLINIKCHEF
Ein Urteil nach Absprache
Nach anderthalb Jahren hatte das Gericht genug. Der Angeklagte gestand. Das Urteil entsprach dem in Aussicht gestellten Strafrahmen.
S
chneller als noch zu Beginn des Jahres angenommen ist am 28. März der Prozess gegen den ehemaligen Eigentümer und Chef- arzt des Krankenhauses in Wegberg vor dem Landgericht Mönchen- gladbach zu Ende gegangen. Vier Jahre Gesamtfreiheitsstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge in zwei Fällen, schwerer Körperver-letzung in einem Fall, fahrlässiger Tötung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen und fahrlässiger Körper- verletzung in 13 Fällen lautet das Urteil gegen den Angeklagten Dr.
med. Arnold Pier. Aufgrund der überlangen Verfahrensdauer gelten elf Monate bereits als verbüßt.
Umfassendes Geständnis
Der Vorsitzende Richter Lothar Be- ckers unterbreitete am 24. Februar einen entsprechenden „Verständi- gungsvorschlag“, nachdem er dem Angeklagten und der Staatsanwalt- schaft die richterliche Bewertung der bisher verhandelten Fälle darge- legt hatte. Demnach war klar, dassdas Gericht im Wesentlichen den Bewertungen der Gutachter folgen würde, die dem Angeklagten fehler- hafte und unnötige Operationen vorgeworfen hatten. Als Vorausset- zung für ein schnelles Prozessende wurden ein umfassendes Schuld - eingeständnis des ehemaligen Chef- arztes und die Zustimmung des Staatsanwalts erwartet. Anderen- falls hätte sich das Verfahren noch bis ins Jahr 2012 hingezogen, ohne dass ein nennenswert anderer Aus- gang zu erwarten gewesen wäre.
Mit dem Geständnis am 1. März, vorgetragen von seinem Verteidi- ger, erfüllte Pier die vom Landge- richt genannte Grundvoraussetzung für einen zügigen Abschluss des Verfahrens. „Ich muss heute fest- stellen, dass ich nach Übernahme des Krankenhauses Wegberg auf- grund der Fülle der hiermit verbun- denen Aufgaben in der Folge als Arzt Fehler begangen habe, die ich zutiefst bedauere und deren Um- fang mich erschreckt.“ In insge- samt 18 Einzelpunkten bekannte Pier sich insbesondere der unzurei- chenden oder nicht erfolgten Auf- klärung, der Durchführung unnöti- ger Operationen und des Einsatzes von Zitronensaft schuldig. „Sowohl der Einsatz des Zitronensafts als auch die nicht erfolgte Aufklärung der Patienten über diese Außen - seitermethode waren ein schwer- wiegender Fehler.“ Der Angeklagte sagte, er sei zum Zeitpunkt der Maßnahmen von deren Richtigkeit überzeugt gewesen, erkenne retro- spektiv aber die falsche Handlungs- weise an. Die Staatsanwaltschaft erklärte sich auf der Grundlage des Geständnisses mit einer Verfahrens- einstellung einverstanden.
Äußerlich unbewegt nahm Pier den Schuldspruch des Gerichts ent- gegen. Der Vorsitzende Richter wies auf die enormen Schäden hin,
die der Angeklagte durch sein Wir- ken verursacht habe. Organe und Organteile seien entfernt worden, die nach der ärztlichen Kunst nicht hätten entfernt werden müssen.
Aber: „Die Beweisaufnahme hat in keinem Fall ergeben, dass der An- geklagte, so wie etwa Dr. Mabuse, bewusst gesunde Organe entnom- men oder ansonsten absichtlich überflüssige Eingriffe vorgenom- men hat.“ Der Vorwurf der Ankla- ge, der Angeklagte habe aus finan- ziellen Motiven gehandelt, habe sich nicht bestätigen können.
Wohl nie mehr ärztlich tätig
Zudem sah sich der Richter zu der Feststellung veranlasst, dass das Strafrecht beim Tatbestand der Kör- perverletzung keinen Unterschied mache zwischen jemandem, der in aggressiver Absicht mit dem Mes- ser oder mit der Faust verletze, und dem Arzt, der das Skalpell zu Heil- zwecken einsetze. „Beides ist tat - bestandlich eine Körperverletzung, und der Arzt wird nur dann nicht wegen vorsätzlicher Körperverlet- zung bestraft, wenn der Patient nach vollständiger Aufklärung in die Behandlung einwilligt.“ Die in diesem Prozess zur Verurteilung gekommenen Vorsatztaten beruhten darauf, dass der Angeklagte unvoll- ständig aufgeklärt habe.Nach Einschätzung des Gerichts war Pier mit der Übernahme der Wegberger Klinik überfordert. Mit seinem Versuch, die Klinik wirt- schaftlich zu sanieren, sei er ge- scheitert. In dieser Situation sei er auch nicht mehr in der Lage gewe- sen, seinen ärztlichen Verpflichtun- gen nachzukommen, und er habe sein eigenes Vermögen falsch ein- geschätzt. Es liege gleichwohl eine grobe Verletzung der Berufspflich- ten vor, weshalb das Gericht ein Berufsverbot von vier Jahren ver- hängte, das ab dem Zeitpunkt der Haftverbüßung gilt. Der Richter geht aber davon aus, dass die zu- ständige Bezirksregierung ohnehin Piers Approbation entziehen wird.
„Angesichts der heutigen Verurtei- lung dürften die Chancen, wieder eine Approbation zu erhalten, wohl eher im Promillebereich liegen.“ ■
Thomas Gerst Nach Geständnis
vier Jahre Haft für den Arzt Arnold Pier.
16 Monate muss er voraussichtlich tat- sächlich ins Ge- fängnis – mögli- cherweise in den offenen Vollzug.
Foto: dpa