III. Auf der Suche nach Grundbegriffen
Kat. 111.17
Waldemar Deonna
Les Lois et les Rythmes dans l’Art Paris
Flammarion 1914 187S.
Zentralinstitut fürKunstgeschichte
Waldemar Deonna (1880-1959) stammte väterlicherseits aus einer Genfer Familie, doch seine Mutter war Dänin, daher der Vorname. Das Studium der griechischen Archäologie brachte ihn von 1903 bis 1904 zunächst nach Paris und anschließend bis 1907 nach Athen an die Ecole fran^aise d archeologie. Von den Forschungsreisen, die er damals zu antiken Stätten unternahm, hat sich eine große Anzahl von Fotografien erhalten. Sie zeugen bereits von einem scharfen ethnografischen Blick (Taf. III.17a). 1908 ersc len s°w° *e rnotionsschrift über antike Terrakottastatuen als auch eine Abhandlung zu „ po o g fen des 6. Jahrhunderts v. Chr.: Beide Bücher behandeln große Bildermengen. Bald darau begann Deonna eine doppelte Karriere am Museum und an der Universität in Genf. 1922 wurde er schließlich Direktor des Musee d 'art et d histoire de la iUle e ene ve, wa zu Arbeiten zur lokalen Kunstgeschichte aller Epochen anregte, un - ina klassische Archäologie. Die 1957 in Brüssel erschienenen//ommag« a Waldemar Deon
na versammeln 57 Beiträge und verzeichnen über 800 Veröffentlichungen, arun er ca.
Monografien ps
Der Essay Les Leis ei les Rylhmes dans LA» gibt einen prägnanten Einblick; tn> ™ nas Denken. Das Büchlein wurde wohl von Arnold van Gennep (1873--1957»in Auf g gegeben, der die „Bibliotheque de Culture generale“ des populärwissenschaftlichen Verlags Flammarion leitete. Van Gennep gilt als Begründer der wissenschaftlichen Volkskunde Frankreich. Seine grundlegende Studie zu den .Übergangsriten , Lis rites < y / tz , er
schien 1909. Von 1912 bis 1915 war er Professor für Ethnografie un verg , eic: en schichte der Zivilisationen an der Universität Ncuchätel und organisierte ort en ersten Kongress für Ethnografie und Ethnologie. Van Gennep gründete zu diesem Anlass zusammen mit Deonna eine Zeitschrift, die Revue suisse d Ethnographie et d ^tcompare
’n der die Begriffe Ethnografie und Kunst um technologische und ästhetische Aspck weitert werden sollten. Nicht zuletzt kriegsbedingt erschien allerdings nur eine g Deonnas Buch aus demselben Jahr entstand jedoch ebenfalls vor lesem in
Deonna fasst hier sein gewichtiges L 'archeologie. sa valeur, ses (3 Bdt Pa
ris 1912) zusammen. Auch im Büchlein stellt er zunächst die Archäologie v<->, , • schichte und ihre Definition. Sie soll demnach weltweit „die ganze eJ8a"8
suchen und vom Paläolithikum bis in die Gegenwart aus^elfen f ,CpArC^S „nd der
’erdisziplinär arbeiten, mit Ansprechpartnem aus der Chemie, er syc o g Ethnografie operieren, also im Verbund mit allen Wissenschaften ‘d- -tw^r uumente des Menschen“ oder „die Menschen selbst behandeln (S.
131 Originalveröffentlichung in: Burioni, Matteo ; Dogramaci, Burcu ; Pfisterer, Ulrich (Hrsgg.):
Kunstgeschichten 1915 : 100 Jahre Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, Passau 2015, S. 131-133
III. Auf der Suche nach Grundbegriffen
Taf. III.17a: Waldemar Deonna: Regenlitanei, Mai 1905, Dadhi,Griechenland,Fotografie,aus: Cha- may, Jacques/Courtois, Chantal/Rebetez,Serge (Hg.): Waldemar Deonna. Un archeologue derriere l’objectif de 1903 ä 1939 (Ausst. Kat.), Genf 2000, Abb. 80
spricht dann zuerst die gängigen Verfahren der Ausgrabung und der Einordnung der Fun
de in Detailanalysen (S. 21-40). Er geht zudem auf die Praxis der Zuschreibung antiker Werke an historische Individuen ein, hält aber eine solche Künstlergeschichte für schwer realisierbar und eigentlich für uninteressant (S. 41 -70, hier S. 51). Die nächste Stufe be
stünde in Teilsynthesen, etwa zur altgriechischen Kunst, die aber für sich genommen noch immer unbefriedigend seien (S. 71-89).
Deonna fordert anschließend dazu auf, im Sinne Arnold van Genneps, auf den er ver
weist, auch vergleichend oder .anthropologisch1 vorzugehen, um die Entwicklungsgeset
ze der Kunst herauszuarbeiten. Diese sind zum Beispiel geografisch, sozial, ökonomisch, technisch, individuell oder kunstimmanent bedingt (S. 90 130). Das letzte Kapitel betrifft die „Rhythmen der Kunst“ (S. 131-183). Deonna sucht hier ein Prinzip zur Deutung der auffälligen Formanalogien in der Geschichte der Kunst (Taf. III. 17b). Nach einem Sche
ma von Entwicklung, Blüte und Niedergang wären vier Perioden zu erkennen: das Paläo- lithikum, die minoische Zivilisation, die Antike und die „christliche Zivilisation“ (S. 134).
Exemplarisch wird hier erklärt, wie und warum die Formentwicklung in Altgriechenland jener im christlichen Mittelalter entspricht: von den „primitiven“ Anfängen über den „klas
sischen“ beziehungsweise „gotischen“ Höhepunkt bis zum Niedergang durch den gestei-
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liyautleurverni* cn nuance* diverse*, enprocedanl » grandacoups de pinceau.ils parviennent äl'animer.ä obtcnirde* eflet* Ire* sobres et tres naturcls qui annon- cent ceuxde* sculpleur»du IV’ »ifecle
Erancliixaon* maintenanl 1800 an* et rogardon* Io» tote»
de* sculpture* du XIII* «iec.le. Elle»ne porlenl plus le»
Eia. 4«. — TM« da V» «Urlr.
chevoluro» conventionnelles del'epoque romane;on n'apei\oit pluace»boucles tuyauteea, tirc-bouchonnee», recroqucvilUe», aux complication*bizarre» et naive», an*- logue* ä celleadu VI* siede helldnique*. Mai* ici levo- lulion s'eal operde «Ian»letnAme»cn», e( c'e*t un goüt
1 Hartwig. «p. eit-, p. 370. 4*4 illrvgo,. 306 iHUro«).
• P. li«.
— 207 —
de plus en plus ellicacode lasiinplicitäqui triomphe.
CellesirOne do Nolre-Dame do Parisau visageclassi- que etregulier, porlo le» meines bandcaux pnrtages par une raie et»yinölriquemenl ondules quo Io» Aniazones du V" sidclc. Los clioveux do cet ange du Mu»ec de Cluny’, coupös not»»urla nuquo, rappellcnt par leur inasso»o- broment traitöo,ceux do quelqtie epliebe grec, parexem- plecouxdujeuno «orvitour sur la sKdedeThasos’. Quelle e»t simple la cliovoluro du n beau Diend'Ainiens», oii au-
Eio. 47.— TM« duXIII» «U-cIc.
ciindetailstiporllu nevientdistraire l'attcntiondu visage empreinl tlc mojeste!
.Mais on inAme temps lemodele devient plus nalurel.
Les bouclesne semblentplus decoupecs dann du for-blanc:
■ Fourrcau.A« »•'»<« fcMl'flM.p- 30. pl. 6.
• rtid.. p. 39, pl 5-
• Rct. d« l'arl auf. cimod.. 1910,1.p. 401 «q ; GBA„ 1911.1, p. «7, lig.
Taf. III.17b: Deonna:L’archeologie, sa valeur, sesmethodes, 1912, Bd.3,S.206 u. 207
gerten Individualismus im Hellenismus und im 15. Jahrhundert. Die Kunst der Gotik mit jener des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Griechenland zu vergleichen, sei ein „Allgemein- platz“, den es nun aber durch wissenschaftliche Argumente zu beweisen gälte (S. 141). Dass diese Vorstellung gerade 1914, als die Kathedrale von Reims bombardiert wurde (vgl. Kat.
H-2), auch dazu dienen konnte, angesichts des kriegerischen Deutschlands die Werte Frankreichs zu rühmen (Passini 2012, S. 221 —228), verschweigt der Genfer Archäologe je
doch.
Philippe Cordez
Literatur
Centlivres, Pierre/Vaucher,Philippe: Arnold van Gennep ä Neuchätel[1994], durchgesehenund ergänzt in:Centlivres,Pierre: Äseconde vue. Themesen anthropologie, Gollion 2009, S. 13-55. -
c Hamay,Jacques/Courtois,Chantal/Rebetez,Serge (Hg.): Waldemar Deonna. Un archeologueder- r,ere l’objectif de 1903 ä 1939, Musees de Geneve,Genf 2000 (Ausst. Kat.). - Passini, Michela:La iabriquede l’artnational. Le nationalisme etles originesdel’histoirede Part en France et en Alle yne. 1870-1933, Paris 2012.
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