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ährend in den USA Jahr für Jahr einige hundert neue Unter- nehmen aus dem Bereich Hochtechnologie an die Bör- se kommen, sind die Neu- emissionen in Deutschland überwiegend Unternehmen aus etablierten Branchen.Gewiß bereichern sie die Pa- lette der Anlagemöglichkei- ten. Aber die wirklich inno- vativen Unternehmen wie zum Beispiel Netscape, Her- steller der Browser-Software für das Internet-Surfen, sind an der deutschen Börse nach wie vor nicht zu finden. Auch Anleger, die im Bereich Bio- technik und Gentechnik inve- stieren wollen, sind weitge- hend auf die Börsen in den USA angewiesen. Allenfalls London bietet noch einige Alternativen.
Debut an der Nasdaq
Dabei gibt es in Deutsch- land durchaus junge Unter- nehmen, die auf zukunfts- trächtigen Feldern tätig sind.
Doch sie gehen weiterhin in die USA, wenn sie eine Bör- sennotiz anstreben. Markan- testes Beispiel dafür ist das Hildener Gentechnikunter- nehmen Quiagen, das 1996 ein erfolgreiches Debut an der Nasdaq (National Asso- ciation of Securities Dealers Automated Quotation) gab.
Mit Pfeiffer Vaccum Techno- logy und Digitale Telekabel sind inzwischen zwei weitere deutsche Firmen aus dem Be- reich Hochtechnologie und Telekommunikation an die Nasdaq gegangen.
Die Nasdaq gilt als Vor- bild für den Neuen Markt. Sie
ist eine reine Computerbörse, die von der Vereinigung der Wertpapierhändler organi- siert wird. Weit mehr als 5 000 Aktien werden dort notiert, auch solche großer Unter- nehmen wie Microsoft und Intel oder der Biotechnikun- ternehmen Amgen, Biogen und Genentech.
Viele bekannte Firmen haben hier ihren Börsenstart erlebt, bevor sie die Reife er- worben hatten, um Aufnah- me am Big Board, der New York Stock Exchange, zu fin- den. Für junge, innovative und wachs-
tumsstarke Unternehmen ist die Nasdaq das Sprung- brett zur Bör- senkarriere – und für den Anleger eine Fundgrube at- traktiver An- lagemöglich- keiten. Nas- daq bringt spe- kulativ einge- stellte Investo- ren und Fir- men zusam- men, die mit
dem Geld der Anleger her- vorragende Renditen erzie- len können.
In Deutschland können die herkömmlichen Markt- segmente diese Funktion nicht ausüben, weil sie zu ho- he Eingangshürden für die Börsennotierung errichtet ha- ben. Neu gegründete Firmen können natürlich keine Bi- lanzen für die letzten fünf Jahre vorlegen, wie dies für die Aufnahme in den Amtli- chen Markt gefordert wird.
Selbst die Bedingung des Ge- regelten Marktes, mindestens
schon drei Jahre zu bestehen, wird von vielen Börsenaspi- ranten nicht erfüllt. Erst wenn diese Firmen die schwierige Startphase hinter sich haben, können sie an die Börse gehen. Doch dann brauchen sie die privaten Ak- tionäre nicht mehr so drin- gend, weil sie inzwischen auch Bankkredite erhalten.
Eigentlich sollte der Ge- regelte Markt die kleineren, innovativen Unternehmen aufnehmen, die die Bedin- gungen des amtlichen Han- dels nicht erfüllten. Doch
es zeigte sich, daß dieses Marktsegment für junge Un- ternehmen nicht die ge- eignete Han- delsplattform ist. An den Neuen Markt sollen nun auch Firmen gehen können, die erst ein Jahr bestehen.
Derart junge Unternehmen haben natür- lich keine Ver- mögenssubstanz und können keine Sicherheiten bieten. Sie sind ganz und gar auf das Ver- trauen der Anleger angewie- sen. Deshalb sind die Zu- gangsbedingungen für den Neuen Markt in mancherlei Hinsicht sogar noch strenger als für andere Bereiche. Dies gilt vor allem für die Informa- tionspflichten.
Anders als an den ande- ren Marktsegmenten, wo die halbjährliche Berichterstat- tung ausreicht, müssen die am Neuen Markt notierten Firmen quartalsweise berich-
ten. Der Bericht muß späte- stens vier Monate nach Ende des Geschäftsjahres veröf- fentlicht werden, damit Anle- ger möglichst zeitnah auf Veränderungen in der Ge- schäftsentwicklung reagieren können. Die Abschlüsse müs- sen nach den international gängigen Regeln IAS (Inter- national Accounting Stan- dards) oder den amerikani- schen US-GAAP (Generally Accepted Accounting Princi- ples) erstellt werden.
Erwartung:
18 Neue
Gleich beim Start dabei waren prompt auch nur zwei Werte: Bertrandt (Ingenieur- leistungen für die Automobil- industrie) und Mobilcom (ei- ne Firma, die von den Netz- betreibern D1, D2 und E-plus preiswert Telefonzeiten er- wirbt und diese zu unter- schiedlichen Tarifen an ihre Kunden weiterverkauft). An- gekündigt hat die Teilnahme am Neuen Markt für Herbst 1997 Uti-maco (Softwaresy- steme zur Computersicher- heit).
Der Start des Neuen Marktes mit nur zwei Werten war sicher nicht so erfolg- reich, wie es sich die Initiato- ren vorgestellt hatten. Aber immerhin ist ein Anfang ge- macht. Insgesamt rechnet die Deutsche Börse AG 1997 noch mit rund 16 Neuzulas- sungen, so daß Ende des Jah- res rund 18 Unternehmen ge- listet werden dürften. Mög- lich erscheint auch, daß Quia- gen einmal an den Neuen Markt kommt. Bislang aller- dings, äußerte Finanzvor- stand Peer Schatz gegenüber der Börsenzeitung, sei das In- teresse rein akademisch. Die meisten Umsätze in Quiagen- Aktien werden ohnehin über Deutschland abgewickelt.
Aber dafür ist keine Börsen- notiz am Neuen Markt erfor- derlich. Denn die Nasdaq- Bildschirme, über die der Computerhandel abgewik- kelt wird, stehen überall in der Welt, auch in Deutsch-
land. Armin Löwe
A-1284 (60) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 19, 9. Mai 1997
V A R I A WIRTSCHAFT
„Neuer Markt“ für junge Unternehmen
Aktienbörse
Seit dem 10. März gibt es an der deutschen Ak- tienbörse ein neues Marktsegment: den Neuen Markt. Hier sollen vor allem junge, innovative Unternehmen notiert werden, Firmen also, die auf ihrem Gebiet ein hohes technisches Know-
how besitzen, denen für die Umsetzung ihrer Ideen aber eins fehlt: Kapital. Dieses sollen sie sich über den Neuen Markt beschaffen können. Doch allzu viele Möglichkeiten gibt es für risikobewußte Anleger bislang noch nicht.
© Tinus Otto