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Heinz-Jürgen Dahme Norbert Wohlfahrt Lehrbuch Kommunale Sozialverwaltung und Soziale Dienste

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Heinz-Jürgen Dahme | Norbert Wohlfahrt

Lehrbuch Kommunale Sozialverwaltung und Soziale Dienste

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Studienmodule Soziale Arbeit

Herausgegeben von Heinz-Jürgen Dahme, Ronald Lutz, Ria Puhl, Regina Rätz, Wolfgang Schröer, Titus Simon und Mechthild Wolff

Die Reihe „Studienmodule Soziale Arbeit“ präsentiert Grundlagentexte und bietet eine Einführung in basale Themen der Sozialen Arbeit. Sie orientiert sich sowohl konzeptionell als auch in Inhalt und Aufbau der Einzel- bände hochschulübergreifend an den jeweiligen Studien- modulen.

Jeder Band bereitet den Stoff eines Semesters in Lehr-

und Lerneinheiten auf, ergänzt durch Übungsfragen,

Vorschläge für das Selbststudium und weiterführende

Literaturhinweise.

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Heinz-Jürgen Dahme | Norbert Wohlfahrt

Lehrbuch Kommunale Sozialverwaltung und Soziale Dienste

Grundlagen, aktuelle Praxis und Entwicklungsperspektiven

2., völlig überarbeitete Auflage

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Die Autoren

Dahme, Heinz-Jürgen; Prof. Dr., Professor für Verwaltungswissenschaft

am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, Hochschule Magdeburg-Stendal;

E-Mail: heinz-juergen.dahme@hs-magdeburg.de

Wohlfahrt, Norbert; Prof. Dr., Professor für Sozialmanagement an der Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum;

E-Mail: wohlfahrt@efh-bochum.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2008

2., völlig überarbeitete Auflage 2013

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt

insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2008 Juventa Verlag Weinheim und München

© 2013 Beltz Juventa · Weinheim und Basel www.beltz.de · www.juventa.de

ISBN 978-3-7799-4051-7

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Inhalt

Kapitel 1

Einleitung: Aktuelle sozialpolitische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die kommunale Sozialverwaltung

und sozialen Dienste 9

Kapitel 2

Soziale Dienstleistungspolitik: der Ausbau sozialer Dienste

und die Hintergründe 24

2.1 Soziale Dienste als Teil des Sozialleistungssystems 24 2.2 Soziale Dienste: Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen

und Motor gesellschaftlicher Entwicklungen 26 2.3 Besonderheiten sozialer Dienstleistungen 34 2.4 Organisation und Steuerung sozialer Dienste:

eine kommunalpolitische Aufgabe 36

Kapitel 3

Kommunale Selbstverwaltung und Sozialpolitik 40 3.1 Kommunale Selbstverwaltung und die Rolle der Gemeinden 40 3.2 Die Aufgaben der Gemeinden und der Kommunalverwaltung 44

3.3 Kommunale Sozialpolitik 48

Kapitel 4

Organisation und Aufgaben der kommunalen Sozialverwaltung 55 4.1 Gliederungsprinzipien der Sozialverwaltung 57 4.2 Dezernate und die Aufgaben des Sozialdezernenten 58 4.3 Die Ämter der kommunalen Sozialverwaltung 59

Kapitel 5

Kommunale Finanzen und die Finanzierung kommunaler

Sozialleistungen 76

5.1 Finanzierungsverantwortung der Kommune für soziale Dienste

und soziale Infrastruktur 76

5.2 Einnahmequellen der Gemeinden 78

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5.3 Einnahmeentwicklung 79

5.4 Kommunale Ausgaben insgesamt 81

5.5 Ausgaben für Soziale Leistungen im Einzelnen 84 5.6 Der Kommunalhaushalt: von der Kameralistik zur Doppik 89

Kapitel 6

Verwaltungsmodernisierung: von der Behörde zum

Dienstleistungsunternehmen 94

6.1 Defizite des bürokratischen Organisationsmodells in der

öffentlichen Verwaltung 95

6.2 Ziele und Instrumente der Binnenmodernisierung 98 6.3 Privatisierung und Ausgliederungen von Verwaltungsaufgaben 105

Kapitel 7

Subsidiaritätspolitik und das Verhältnis von öffentlichen

und freien Trägern 113

7.1 Institutionelle Subsidiarität: ein wohlfahrtsstaatliches

Ordnungsprinzip 114 7.2 Subsidiaritätspolitik in der Bundesrepublik 116

7.3 Subsidiarität im Gewährleistungsstaat 120 7.4 Gesamt- und Letztverantwortung des öffentlichen Trägers

für die sozialen Dienste 122

Kapitel 8

Freie Träger: Selbstverständnis, Akteure, Entwicklungen 127 8.1 Selbstverständnis der Spitzenverbände der

Freien Wohlfahrtspflege 127

8.2 Die Wohlfahrtsverbände im Vergleich 132

8.3 Privat-gewerbliche Träger in der Sozialen Arbeit 146

Kapitel 9

Auswirkungen der Verwaltungsmodernisierung auf die

Finanzierung Sozialer Arbeit 152

9.1 Auswirkungen neuer Finanzierungsformen auf die Steuerung

sozialer Dienste 152

9.2 Wandel der Finanzierung sozialer Dienste: von der Zuwendung

zum Leistungsentgelt 155

9.3 Aktuelle Entgeltregelungen für soziale Dienste 161

(8)

Kapitel 10

Freie Träger in der Sozialwirtschaft und die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen des Systems sozialer Dienste 167 10.1 Vermarktlichungstendenzen im sozialen Dienstleistungssektor 167 10.2 Struktur und wirtschaftliche Bedeutung des sozialen

Dienstleistungssektors 170 10.3 Regulierungspolitik der EU im sozialen Dienstleistungssektor 176

Kapitel 11

Probleme und Folgen der wettbewerblichen Leistungs-

erbringung in den sozialen Diensten 181

11.1 Organisationswandel als Folge der Sozialwirtschaft 184 11.2 Auswirkungen des Wettbewerbs auf die tariflichen

Entwicklungen in den sozialen Diensten 189 11.3 Flexibilisierung des Personaleinsatzes 193

11.4 Prekarisierung der Sozialen Arbeit 196

Kapitel 12

Strategisches Management in den Kommunen:

Steuerung sozialer Dienste durch Ergebnisorientierung und

Leistungsmessung 200

12.1 Strategisches Management 200

12.2 Instrumente des Strategischen Managements 202

12.3 Controlling und Berichtswesen 205

12.4 Exkurs: Die Balanced Scorecard (BSC) 208

12.5 Evaluation und Wirkungssteuerung 210

12.6 Leistungsmessung durch Kennzahlen 213

12.7 Führt das Strategische Management zur Renaissance der

kommunalen Sozialplanung und Sozialberichterstattung? 218

Kapitel 13

Ergebnisorientierte Steuerung der Fallarbeit:

vom Hilfeplan zum Fallmanagement 224

13.1 Ergebnisorientierung in der Fallsteuerung 224 13.2 Der Hilfeplan: ein professionelles Verwaltungsverfahren

in der Sozialen Arbeit 227

13.3 Der Handlungsansatz des Fallmanagements 230

13.4 Rollenkonflikte im Case Management 236

(9)

Kapitel 14

Local Governance: Dezentralisierung und die Folgen

für die sozialen Dienste 239

14.1 Kommunalisierung und Dezentralisierung sozialer Aufgaben 239 14.2 Sozialraumorientierung und Sozialraumbudgets:

Dezentralisierungspolitik in der Sozialen Arbeit 246

Kapitel 15

Bürgerkommune: Lokale Demokratie und

Bürgerschaftliches Engagement 255

15.1 Das Konzept Bürgerkommune 255

15.2 Bürgerschaftliches Engagement 261

15.3 E-Government 265

Abkürzungen 271 Literatur 273

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Kapitel 1

Einleitung: Aktuelle sozialpolitische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die kommunale Sozialverwaltung und sozialen Dienste

Die gegenwärtige Situation der Kommunalpolitik und Kommunalverwal- tung kennzeichnet sich einerseits durch Sparzwänge und andererseits durch Reformprojekte zur Modernisierung der Binnenorganisation der Verwal- tung wie zur Steuerung externer Leistungserbringer. Insgesamt ist die Kommunalpolitik unter Druck geraten und angesichts dieser Situation mit der Entwicklung von neuen Ansätzen zur Wiederbelebung ihrer Gestal- tungsfunktion befasst. In diesem Zusammenhang sind auch die jüngeren Ansätze zur Entwicklung einer kommunalen Engagementpolitik zu veror- ten, in der es um den Auf- und Ausbau einer Infrastruktur für freiwilliges Engagement wie um die Förderung bürgerschaftlichen Engagements geht.

Die neue Engagementpolitik will die Selbstverantwortung der Bürger/innen stärken, gleichzeitig aber auch öffentliche Aufgaben zurück an die Gesell- schaft delegieren, weil sich der Staat nicht mehr in der Lage sieht, alle ihm zugewachsenen Aufgaben zu erfüllen. Verschiedene Faktoren haben das beeinflusst:

■ Eine Reform der kommunalen Einnahmen ist trotz anwachsender Aufgaben nicht zustande gekommen und hat die Selektivität der Aufgabenerledigung verstärkt. Die überall zu beobachtenden Haus- haltsstrukturreformen, denen es um eine betriebswirtschaftliche Neuordnung der kommunalen Haushalte und Finanzen geht, können zwar die Haushaltsführung transparenter gestalten, indem man sie an wirtschaftlichen Kriterien ausrichtet, beeinflussen oder verbessern aber nicht die Einnahmenseite. Die Kommunen versuchen, den Spar- zwängen mit Konzepten zu begegnen, die zu einer Schieflage zwi- schen wirtschaftsnaher und sozialer Infrastruktur geführt hat. Erste Ansätze eines Ausstiegs der Kommunen aus der aktiven Gestaltung sozialer Infrastruktur sind bereits erkennbar. Durch die Einführung neuer Steuerungsmodelle und umfangreicher Privatisierungen haben

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die Kommunen versucht, sich von Aufgaben zu entlasten und das Verwaltungshandeln vorrangig an Wirtschaftlichkeitskriterien zu orientieren.

■ Durch den seit der Schröder-Regierung forciert betriebenen Sozial- staatsumbau in Deutschland wird den Kommunen eine neue Rolle bei der Lösung sozialpolitischer Probleme und Aufgaben zugewie- sen. Dies betrifft auch das Arrangement der örtlich agierenden sozia- len Dienste, die entsprechend der neuen sozialpolitischen Leitidee aufgefordert sind, ihre Aufgaben effizienter und letztendlich kosten- günstiger zu erfüllen. Die Kommune und die Sozialverwaltung posi- tionieren sich als Dienstleistungsunternehmen und auch die Träger und Einrichtungen des Nonprofit-Sektors sollen diese neue Unter- nehmensphilosophie zur Leitidee ihres Handelns machen.

Diese Prozesse verändern die Gestalt der Kommunalen Selbstverwaltung, ohne dass diese aufhören würde als Verwaltung (und damit als an gesetzli- che Vorschriften und Verfahren gebundenes Organ) zu handeln. Ein Buch, das sich mit dieser Entwicklung befasst, hat also zweierlei zu bewältigen: es muss zeigen, wie diese Veränderungsprozesse im Rahmen bürokratisch- formaler Strukturen abgearbeitet werden und es muss die tief greifenden Veränderungen und Folgen dieser Modernisierungsmaßnahmen für das Verwaltungshandeln wie für den Bürger deutlich machen. Menschen, die in sozialen Berufen tätig sind oder sein wollen, müssen sich mit diesen Verän- derungen auseinandersetzen, weil sie ihren Berufsalltag nicht unerheblich bestimmen.

Wir wollen im Folgenden einleitend einige Hintergründe des noch lange nicht abgeschlossenen Umbaus der Sozialverwaltung und der sozialen Dienste mit der gebotenen Knappheit skizzieren.

Ökonomisierung und New Public Management

Die kommunale Sozialverwaltung und die von ihr finanzierten sozialen Dienste in den Kommunen haben sich durch einen fortlaufenden Prozess, der unter dem Schlagwort „Von der Behörde zum Dienstleistungsunter- nehmen“ stattfindet, in den letzten 20 Jahren stark verändert. Aus dem ang- loamerikanischen Bereich kommend sind Anfang der 1990er Jahre Konzep- te des New Public Management auch in Deutschland aufgegriffen worden und haben rasch Verbreitung gefunden: eine betriebswirtschaftlich geprägte Verwaltungsmodernisierung wie der sich parallel dazu vollziehende Sozial- staatsumbau haben dazu beigetragen, dass sich die kommunale Sozialver- waltung heute nicht mehr nur – wie das vormals oft der Fall war – als Bü- rokratie beschreiben lässt. Verwaltungshandeln und Verwaltungsorganisati-

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Gründen weiterhin an bürokratische Regeln und Verfahren gebunden und in ein hierarchisches Entscheidungs- und Kontrollsystem eingebunden (nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit und um den Gerichten die Mög- lichkeit der Kontrolle des Verwaltungshandelns zu geben), der Einsatz be- triebswirtschaftlicher Instrumente zur Steigerung von Effektivität und Effi- zienz des Verwaltungshandelns und die Umstrukturierung der Verwaltung mittels neuerer Managementkonzepte haben aber dazu beigetragen, dass neue Organisations- und Arbeitsformen, aber vor allem neue Handlungsan- sätze (z.B. Bürgerkommune, Sozialraumorientierung, Wirkungsorientie- rung, Fallmanagement) in den kommunalen Sozialverwaltungen entstanden sind. Die Sozialverwaltung von heute befindet sich in einem Spagat zwi- schen bürokratisch-formaler Steuerung einerseits und einer kundenorien- tierten Dienstleistungsorientierung andererseits, was für das alltägliche Verwaltungshandeln nicht immer ohne Konflikte abgeht.

Die Modernisierungsprozesse in der Sozialverwaltung haben auch starke Auswirkungen auf die sozialen Dienste in freier Trägerschaft (traditionell durch die örtlichen Wohlfahrtsverbände organisiert). Sozialpolitik und So- zialverwaltung haben gemeinsam einen wettbewerblichen Ordnungsrahmen für die sozialen Dienste geschaffen, der nicht nur zu einem Wandel der Trägerstrukturen in der Sozialen Arbeit geführt hat. Seit Mitte der 1990er Jahre ist in der Sozialgesetzgebung die traditionell privilegierte Stellung der Träger der Freien Wohlfahrtspflege eingeschränkt worden und die Mög- lichkeit für kommerziell-gewerbliche Träger geschaffen worden, sich als Leistungserbringer auch im Bereich der Sozial- und Jugendhilfe wie im Pflegebereich zu betätigen. Die Trägerlandschaft hat sich seitdem plurali- siert und Trägerkonkurrenz (vgl. Backhaus-Maul 1996) hat sich etabliert.

Verändert haben sich auch schrittweise, nicht zuletzt durch das europäische Wettbewerbs- und Vergaberecht, die Finanzierungsregeln in der Sozialen Arbeit. Ausschreibungsverfahren bei der Beauftragung sozialer Dienste mit der Wahrnehmung von Aufgaben wie die Einführung von leistungsbezoge- nen Entgelten haben dazu beigetragen, dass soziale Dienste seitdem in ei- nem Kosten- und Qualitätswettbewerb stehen und nicht nur ihre Organisa- tionsformen, sondern vor allem auch ihre Personal- und Entlohnungspolitik neu ordnen, um sich in diesem Wettbewerb behaupten zu können (vgl.

Dahme, Trube u. Wohlfahrt 2007). Das hat wiederum Auswirkungen auf die Arbeit mit den Klienten, da die steuernde Sozialverwaltung wie die Träger sozialer Dienste jetzt neben Qualitätsgesichtspunkten auch Effizi- enz- und Effektivitätskriterien entwickeln, die für die Fachkräfte in der So- zialen Arbeit bindend werden. Das System sozialer Dienste stellt sich heute als „organisierter Wettbewerb“ dar und ist Folge der von den Verwaltungen angewendeten Prinzipien des New Public Management (vgl. Wegener 2002).

Der soziale Dienstleistungssektor hat sich im letzten Jahrzehnt grundle- gend gewandelt und wird mittlerweile sowohl von den beteiligten Akteuren

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wie von externen Beobachtern als Sozialwirtschaft beschrieben: die sozia- len Dienste stehen untereinander in einem Kosten- und Qualitätswettbewerb und verändern sich unter Zuhilfenahme managementwissenschaftlicher wie betriebswirtschaftlicher Instrumentarien zu Sozialbetrieben, die sich zu größeren Organisationseinheiten zusammenschließen und sich über ihre lo- kalen Verankerungen hinaus zu überregionalen Versorgern entwickeln, Ar- beitgeberverbände gründen und eigene Tarifverträge mit den Gewerkschaf- ten abschließen. Die Entwicklung einer Sozialwirtschaft ist in vollem Gan- ge und lässt sich als Ökonomisierung der Sozialen Arbeit und der sozialen Dienste beschreiben.

Der Veränderungsdruck im System sozialer Dienste unter der Federfüh- rung des New Public Management, der Trend, die Sozialverwaltung und den sozialen Dienstleistungssektor insgesamt effizienter zu gestalten, ist vor allem die Folge der staatlichen Haushaltskonsolidierungspolitik. Die in den 1980er Jahren beginnende politische Kritik am „überbordenden“ Sozial- staat, der zu immer stärkeren Sozial- und Staatsausgaben führte, hat dazu beigetragen, dem Sozialsektor ein Sparprogramm zu verordnen, das sich nicht nur in der Kürzung von Projekten und Stellen, sondern auch in dem Zwang zur stetigen Effizienzsteigerung bei keineswegs steigenden Res- sourcen geltend macht. Fragt man nach dem Grund der staatlichen Sparpo- litik, so macht die Politik aus diesem auch kein Hehl: Deutschland befindet sich in einem immer härter werdenden internationalen Standortwettbewerb und diesem haben sich alle Ansprüche der lohnabhängigen und Sozialleis- tungen beziehenden Menschen rigoros unterzuordnen. Der Ökonomisie- rungstrend im sozialen Dienstleistungssektor ist die Folge einer als zu teuer eingestuften Sozialpolitik, die dem Standort Deutschland schade. Die Ver- waltungsreformbewegung des New Public Management, in Deutschland unter dem Namen Neues Steuerungsmodell bekannt geworden, ist ein Handlungsansatz der kommunalen Ebene, den lokalen Sozialstaat zu ver- schlanken und effizienter zu organisieren. Die Zielsetzung lautet: es muss ein System geschaffen werden, das mehr leistet und weniger kostet und da- bei bürgernäher agiert (vgl. Grömig 1995). Wer das Kunststück „mehr zu leisten und weniger zu kosten“ schließlich fertig bringen soll und muss, ist unschwer zu erkennen und hat inzwischen zu einem ausgedehnten Perso- nalmanagement geführt, das man auch als dauerhaftes Kostensenkungsma- nagement bezeichnen könnte.

Aktivierender, präventiver Sozialstaat

Eine weitere sozialpolitische Entwicklung, die größere Transformations- prozesse in der Sozialverwaltung und im sozialen Dienstleistungssektor mit sich gebracht hat, ist der überall zu beobachtende Umbau der sozialen Si-

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gik des Sozialstaats. Auch dieser Trend, der Ab- und gleichzeitige Umbau des Sozialstaats, wird mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland begründet: ein effizienter Sozialstaat, im Sinne von sinkenden Staats- und Sozialausgaben, führt zu besseren Ergebnissen im internationalen Benchmarking durch verschiedenste Rankingorganisationen (bspw. Weltbank, OECD) und dies wirkt gleichzeitig wiederum als Hebel im Standortvergleich mit den einmal begonnenen Maßnahmen konsequent fortzufahren. So, wie man die Armen „in Bewegung halten“ soll, damit sie es sich nicht in den sozialstaatlich eingerichteten „Ruhezonen“ gemütlich machen (Streeck 1998, S. 41), so muss auch die Verwaltung permanent un- ter Reformdruck gehalten werden, um ihre Effizienzorientierung zu stei- gern.

Diese überall in Europa beobachtbaren wohlfahrtsstaatlichen Entwick- lungen haben im letzten Jahrzehnt ein neues Leitbild für die Modernisie- rung des Wohlfahrtsstaats entstehen lassen. In Staat und Gesellschaft wer- den auf verschiedensten Ebenen Markt- und Wettbewerbselemente einge- baut, um deren Effizienz angesichts der Globalisierung zu steigern. Der Umbau des Sozialstaates erfolgt nach den gleichen Vorlagen wie die Um- bauarbeiten in der Verwaltung. Die ökonomische Wettbewerbsphilosophie wird über die Wirtschaft hinaus auf andere gesellschaftliche Bereiche aus- gedehnt (z.B. die Öffentliche Verwaltung, das Bildungssystem wie den Ge- sundheits- und Sozialsektor), um in nicht-ökonomischen Bereichen ökono- misches Denken zu verankern. Der Um- und Rückbau des Sozialstaats fin- det dabei unter der Losung statt, dass in Zeiten der Globalisierung bzw.

Europäisierung der Sozialstaat auch weiterhin zur Sicherung des gesell- schaftlichen Zusammenhalts gebraucht wird, aus Wettbewerbsgründen mit anderen Wirtschaftsstandorten dieser Welt müssten aber Leistungstiefe und Finanzierung neu organisiert werden.

Der Begriff Aktivierender Staat ist Mitte der 1990er-Jahre in Reformde- batten der Sozialdemokratie entwickelt worden. Zur Demonstration der Re- gierungsfähigkeit nach fast zwei Jahrzehnten Opposition wurde in ersten Umrissen ein sozialdemokratischer Ansatz zur Modernisierung von Staat und Gesellschaft vorgelegt, mit dem die Sozialdemokratie den Stagnationen der Kohl-Ära eine politische Alternative entgegensetzen und die intellektu- ell-programmatische „Hegemonie zurückgewinnen“ wollte (Walter 2010, S. 44). Die Modernisierung staatlicher Institutionen sei unerlässlich, da sich diese im Spannungsfeld „zwischen Pleite und Wirkungslosigkeit“ bewegten (Behrens u.a. 1995, S: 9). Der vor der „Pleite“ stehende Staat müsse durch die Umgestaltung im Lichte ökonomischer Konzepte aus der Sackgasse heraus geführt werden, in der er sich selber herein manövriert habe. Die Modernisierung des Staates solle ihn nicht nur handlungsfähig machen, sondern alle Institutionen zukünftig vor allem effizienzorientiert ausrichten.

Dass dabei Umbauarbeiten mit Abrissarbeiten einhergehen, ist beabsichtigt, denn der ökonomisch gefärbte sozialdemokratische Modernisierungsdiskurs

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greift die neoliberale Kritik des (angeblich) ausufernden, generösen und überbordenden Wohlfahrtsstaates auf (Harvey 2007). Diese Programmatik des effizienzorientierten Umbaus des Sozialstaates lässt sich seit den 1990er Jahren in der gesamten europäischen Sozialdemokratie wiederfin- den (Nachtwey 2009) und ist international unter dem von der Tony Blair- Regierung in Großbritannien populär gewordenen Begriff des „Dritten We- ges“ bekannt geworden. Der „Dritte Weg“ der Sozialdemokratie in Europa, wissenschaftlich von Anthony Giddens (1997, 1999) grundgelegt, stellt ein sozialdemokratisches Reformprogramm dar, das einen Mittelweg zwischen sozialistisch-sozialdemokratischen und liberal-konservativen Werten und Ansätzen, „zwischen links und rechts“, bietet. Die Programmatik Aktivie- render Staat stellt die deutsche Variante des sog. Dritten Weges der europä- ischen Sozialdemokratie dar.

Die seit den 1970er Jahren in der Wirtschaftspolitik fortgeschrittener Demokratien und entwickelter Ökonomien dominierende Angebotspolitik (Steuersenkung für Unternehmen um deren Investitionsverhalten zu stimu- lieren) wird in der Konzeption des dritten Weges beibehalten: durch eine angebotsorientierte Politik soll der Staat mit den ihm zur Verfügung ste- henden Steuermitteln nicht länger die (gesamtwirtschaftliche) Nachfrage stimulieren und sozial Schwache und Arbeitslose stützen, sondern die Steu- ermittel besser zur Förderung der Unternehmen (Abschreibungsmöglichkei- ten), ihrer Investitionsentscheidungen (durch ein positives Investitionskli- ma), ihrer Innovationspotenziale wie ihrer internationalen Konkurrenzfä- higkeit einsetzen, die sozialstaatliche Regulierung des Arbeitsmarktes (den Kündigungsschutz und die Flächentarifverträge zugunsten einer betriebli- chen Lohnpolitik) aufheben, die Unternehmenssteuern senken, auf staatli- che Beschäftigungspolitik verzichten, die Sozialleistungen einschränken und alle sonstigen staatlich verursachten Markt- und Wettbewerbsein- schränkungen deregulieren.

Dritter Weg und Aktivierender Staat integrieren Reformkonzepte, die OECD und EU-Kommission schon länger propagiert haben, insbesondere eine stärkere Markt- und Wettbewerbsorientierung der nationalstaatlichen Volkswirtschaften, Steuersenkung, Privatisierung, eine rigorose Angebots- politik sowie das Schaffen von Märkten in staatlich regulierten Bereichen (Bildung, Soziales, Gesundheit, Öffentlicher Verwaltung). Deregulierung und Liberalisierung sind zentrale Bestandteile des sozialdemokratischen Reformprojektes. Die sozialen Sicherungssysteme sollen dabei aber nicht abgeschafft, sondern umgebaut werden: die sozialen Sicherungssysteme sollen neuen Regeln und Zielsetzungen angepasst werden, so dass sie wei- terhin finanzierbar bleiben, was nicht ohne Leistungsabbau machbar ist.

Der Dritte Weg stellt mehr dar als nur die strategische Suche nach einem technokratischen Weg „zwischen links und rechts“. Die Programmatik des Aktivierenden Staates enthält im Kern ein neues gesellschaftliches Ord-

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rem gewollten und forcierten Standortwettbewerb aktiv annimmt und ein dem Wettbewerb adäquates Sozialmodell entwickelt, um den Wirtschafts- standort Deutschland für Investoren attraktiv zu machen, die Lohnkosten der Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten und die öffentlichen Ausga- ben nicht weiter ansteigen zu lassen. Der Aktivierende Staat ist ein Staat, der Wirtschaftswachstum und internationale Konkurrenzfähigkeit in den Mittelpunkt staatlicher Politik stellt und dabei Sozialpolitik – ganz im Sinne der ordoliberalen Freiburger Schule – als Bestandteil der Wirtschaftspolitik sieht (Hombach 1998), was eine strikte einnahmeorientierte Ausgabenpoli- tik zur Folge haben muss. Die Programmatik des Aktivierenden Staates (Dritten Weges) ist eine Politik zur Entfesselung der kapitalistischen Wirt- schaft und deshalb in ihrem Kern – politisch betrachtet – eher neoliberal als ein Mittelweg zwischen links und rechts.

In der Agenda 2010 (Hegelich u.a. 2011) werden die sozialdemokrati- sche Programmatik des Aktivierenden Staates und die von der EU propa- gierten Zielvorstellungen, durch die Modernisierung des Staates und den Umbau des Sozialstaates Europa zu einem „aktiven und dynamischen Wirt- schaftsraum“ weiter zu entwickeln, zusammengefasst und konkrete Moder- nisierungsmaßnahmen formuliert. Will man die Wettbewerbsfähigkeit der Nationalstaaten in der EU forciert entwickeln, um bis 2010 – so die Zielset- zung der Lissabon-Erklärung des Europäischen Rates vom März 2000 – Eu- ropa international zum führenden „wissensbasierten Wirtschaftsraum“ zu machen, dann geht das nicht ohne sozialstaatliche Flankierung des Wettbe- werbs. Der Sozialstaat – so die EU und die Programmatik der Sozialdemo- kratie – wird weiterhin benötigt, um diesen mit Opfern verbundenen Wan- del zu flankieren. Ziel der Lissabon-Erklärung war es nicht, einen europäi- schen Sozialstaat oder europäische sozialstaatliche Standards zu schaffen, das bleibt weiterhin Aufgabe der Nationalstaaten. Gefordert wurde ledig- lich, dass die europäischen Wohlfahrtsstaaten ihre sozialen Sicherungssys- teme so restrukturieren sollen, dass „(a)lle in Europa lebenden Menschen (...) die Chance haben, sich an den gesellschaftlichen Wandel anzupassen“

(Europäische Kommission 2000, S. 3). – Diese Entwicklung hat die Wis- senschaft auch schon mal als „Hilfe im Wettbewerb“ (Streeck 1998, S. 45) bezeichnet.

Die EU hat schon 2000 vorformuliert, was nationale Sozialpolitik wer- den wird, der Umbau des statuskonservierenden Sozialstaats zu einem sozi- alinvestiven und präventiven Sozialstaat (Heinze 2003), der Bildung primär als beschäftigungsorientierte Ausbildung betrachtet, Beschäftigungsstrate- gien entwickelt und die Beschäftigungsfähigkeit (employability) der Bevöl- kerung zum Primat der Politik erhebt. Aufgabe des Sozialstaates ist es, das dazu notwendige „lebenslange Lernen“ zu organisieren, das dasjenige Ler- nen umfasst, „das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgerschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt.“ Da diese Pro-

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grammatik „in gleicher Weise formales, non-formales und informelles Ler- nen“ umfasst (Pongratz 2008, S. 162f.), werden alle Lernprozesse zu einer öffentlichen Angelegenheit erhoben und der Bürger zwangsvergesellschaf- tet, was in Zumutungen gipfelt, sich nicht nur marktfähig zu halten, sondern sich auch bürgerschaftlich zu engagieren, da ansonsten Maßnahmen zur

„Bildung des Effective Citizen“ anstehen. (Kommission Sozialpädagogik 2011). Paternalistische Betreuung, Zwangsmaßnahmen, Strafen und Aus- schluss von Leistungen bilden die andere Seite des Aktivierenden Staates bzw. des Dritten Weges in Europa.

Das von der Sozialdemokratie entwickelte Leitbild Aktivierender Staat hat auch weiterhin Bestand und ebenso die in der Agenda 2010 formulierten Ziel (Hegelich u.a. 2011), auch wenn die jetzigen Regierungsparteien den Begriff meiden. Ziele sozialstaatlicher Politik sind weiterhin:

■ die Selbstregulierungskräfte der Gesellschaft stärken;

■ Ehrenamt, Bürgerengagement und Gemeinwohlorientierung fördern;

■ die Eigenverantwortung des Einzelnen aktivieren und stärken, um ihn so an seine Pflichten zu erinnern;

■ Bürgerbeteiligungsrechte an politischen und administrativen Ent- scheidungen weiterentwickeln;

■ effizientes Verwaltungshandeln und Verwaltungsorganisation durch Wettbewerb und Leistungsvergleiche befördern;

■ ein neues Prinzip der Verantwortungsteilung etablieren, das den Staat zum Moderator und Impulsgeber der gesellschaftlichen Ent- wicklung macht, der mit staatlichen, halbstaatlichen und privaten Akteuren kooperiert, um gemeinsame Ziele zu erreichen.

Ein aktivierender Staat soll nur noch Kernaufgaben erledigen und andere, bislang als öffentlich angesehene Aufgaben, durch Dritte erledigen lassen.

Der Abbau der Leistungstiefe steht weiterhin auf dem Programm, wie der Umbau des Leistungsstaats zum Gewährleistungsstaat; d.h. der Staat will zukünftig sicherstellen, dass wichtige Aufgaben zwar wahrgenommen wer- den, nur nicht von ihm selbst auch durchgeführt und finanziert werden müs- sen. Dieser neue Typus von Sozialpolitik und Sozialstaat hat sich in Europa durchgesetzt, nicht zuletzt, weil die EU im Zuge der Europäischen Beschäf- tigungsstrategie und ihrer Flexicurity-Politik (vgl. EU 2007) Aktivierung und Sozialinvestitionen zu den zentralen Leitprinzipien sozialstaatlichen Handelns erhoben und in verschiedenen Programmen festgeschrieben hat.

Die Politik des Fordern und Fördern mit ihrer (Neu-)Betonung und Ausweitung der Eigenverantwortung und Selbstaktivierung hat sich mitt- lerweile auch im Sozialrecht niedergeschlagen und bislang vor allem die Grundsicherung von Arbeitsuchenden (SGB II) an Gegenleistungen (das Unterschreiben einer Eingliederungsvereinbarung) gekoppelt; das SGB XII

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sich bürgerschaftlich zu engagieren. Diese Pflichten können notfalls auch mit Zwang durchgesetzt werden. Die Politik des Fordern und Fördern im- pliziert ein neues Sozialmodell, das seine Wurzeln in den USA (vgl. Geb- hardt 1998) hat und über die Politik der Thatcher- wie der Blair-Regierung den Weg nach Kontinentaleuropa fand (vgl. Gamble 1988; King 1995).

Diese Entwicklung wird auch als: Workfare statt Welfare beschrieben (Peck 1999, 2000; Wilson 1987). Die „neosoziale Politik“ des Workfare-Regime geht davon aus, dass Leistungsempfänger eine Gegenleistung erbringen müssen: sie müssen nachweisen, dass sie aktiv auf Arbeitssuche sind, bereit sind, sich weiterzubilden und ihre Arbeitsbereitschaft (notfalls in Arbeitsge- legenheit) unter Beweis zu stellen; andernfalls können die Sozialleistungen gekürzt bzw. ganz eingestellt werden (Hilkert u. Leisering 2001; Lødemel u. Trickey 2001). Workfare-Politik hat eine Selektionsfunktion, da nur die- jenigen unterstützt werden, die wirklich bedürftig sind (z.B. keine Erspar- nisse haben, eine geringe Wettbewerbsfähigkeit aufweisen) und eine Inves- titionsfunktion, da durch Weiterbildung das Humankapital (Arbeitnehmer) qualifiziert werden soll und dadurch vor zukünftiger Arbeitslosigkeit ge- schützt sein soll. Vor allem aber ist damit impliziert, dass der Arbeitende sich nicht länger als Arbeitnehmer definieren soll, sondern als Unternehmer seiner selbst, als sog. „Arbeitskraftunternehmern“ (Voß u. Pongratz 1998), der das Scheitern am (Arbeits)Markt dann letztendlich selber zu verantwor- ten hat. Eine möglichst unattraktive Ausgestaltung der Sozialleistungen (kurze Bezugsdauer, Kontrollen, Leistungskürzung bei mangelnder Kopro- duktion) soll vorbeugen, dass sich Leistungsempfänger an die Sozialtrans- fers gewöhnen und in der Situation einrichten.

Ökonomische Humankapitaltheorie

Eine theoretische Legitimation und Überhöhung findet diese Ent- wicklung in der neueren Humankapitaltheorie (z.B. Theodore W.

Schulz und Gary S. Becker), nach der Investitionen in Bildung und Ausbildung als relevanter Beitrag zur Steigerung der volkswirt- schaftlichen Produktivität verstanden werden müssen. Der „Ar- beitskraftunternehmer“ – so die programmatische Zusammenfas- sung dieses sozialinvestiven Anspruchs – ist für die Erhaltung sei- ner Beschäftigungsfähigkeit und Produktivität vorrangig selbst zuständig und seine Hauptaufgabe ist es, sein (Human-)Kapital (sein Wissen, seine Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen) zu pflegen und zu mehren. Unternehmen investieren nach der Human- kapitaltheorie nur noch in Mitarbeiter/innen, wenn es um die Gene- rierung spezifischen, arbeitsplatz- und unternehmensbezogenen Wissens geht; das allgemeine Humankapital (das sind das Wissen

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und die Fähigkeiten, die unternehmensübergreifend eingesetzt wer- de können) muss selbst erworben und anderweitig finanziert wer- den (vgl. Becker 2003). Unternehmen und Humankapitalbesitzer unterscheiden sich in dieser Sichtweise nur noch graduell und nicht mehr prinzipiell. Lediglich die Angebotspolitik muss um einen neuen Adressatenkreis – die Beschäftigten – erweitert werden, de- nen bei mangelnder Wettbewerbsfähigkeit Angebote zur Steigerung ihrer Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit offeriert werden müs- sen. Nach dieser Sichtweise können sich nicht nur Unternehmen durch mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit auszeichnen und zum Ziel der Angebotspolitik werden. Wendet man diese Sichtweise ins Politische, dann kann man die Arbeitnehmer selbst für die Massenarbeitslosigkeit verantwortlich machen. „Es gibt kei- ne Wettbewerbsschwäche der deutschen Wirtschaft, es gibt eine Wettbewerbsschwäche der deutschen Arbeitnehmer“, so Hans- Werner Sinn (Chef des Ifo-Instituts) schon vor längerer Zeit in ei- nem Spiegel-Interview (50/2006). Die Arbeitnehmer sind entweder im internationalen Vergleich zu teuer, oder nicht richtig qualifiziert.

Für beides sind sie selbst verantwortlich, lautet immer die offen ausgesprochene oder latente Schlussfolgerung.

Dass Ökonomisierungstendenzen und Aktivierungspolitik nicht nur den en- geren Bereich der Verwaltung nachhaltig verändern, sondern das gesamte System sozialer Dienste und damit das professionelle Handeln in den sozia- len Berufen grundlegend verändern, ist inzwischen keine Spekulation mehr, sondern lässt sich auch empirisch belegen (vgl. Dahme, Kühnlein u. Wohl- fahrt 2005; Ludwig-Mayerhofer u.a. 2009; Behrend 2008; Götz u.a. 2010).

Fallmanagement, Diagnostik, Wirkungsorientierung und nicht zuletzt Kos- tenmanagement sind die Stichworte, die das berufliche Handeln in sozialen Diensten zunehmend prägen und die deutlich machen, dass die traditionelle Klientenorientierung längst nicht mehr dem beruflichen Selbstverständnis und den Anforderungen an soziale Berufe entspricht.

Dezentralisierung: das Lokale als sozialpolitischer Hoffnungsträger Die Ökonomisierung des öffentlichen Sektors und die Aktivierungspolitik sind Transmissionsriemen einer dritten sozialpolitischen Entwicklung, die sich als Kommunalisierung und Dezentralisierung sozialpolitischer Aufga- ben beschreiben lässt.

Die Renaissance des Lokalen (diskutiert unter Stichworten wie Bürger-

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tik u.ä; vgl. Dahme u. Wohlfahrt 2010, 2011) steht in unmittelbarem Zu- sammenhang mit den beobachtbaren Umbauarbeiten am Sozialstaat. Die Aufwertung des Lokalen durch Politikstrategien, die die örtliche Gemein- schaft stärken wollen ist als Aktivierungsstrategie zu verstehen, die sich sowohl auf Kommunen als Gebietskörperschaften wie auch auf die zivilge- sellschaftlichen Organisationen sowie auf die Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden bezieht: die Kommune wird hinsichtlich ihrer Zuständig- keit für Aufgaben, Aufgabendurchführung und Aufgabenumfang Objekt einer staatlichen Kommunalisierungs- und Dezentralisierungspolitik, die Community (als soziales Gebilde) ist aufgerufen, die Lösung ihrer Proble- me selbst in die Hand zu nehmen bzw. bürgerschaftlich aktiv an Lösungen mitzuwirken.

Dezentralisierte Politikstrategien sind Folge der Europäisierung, durch die alte Denkkategorien des Staatlichen (Souveränität, Zentralstaat, Regie- ren, Politik u.ä.) obsolet geworden sind bzw. neu formuliert werden. Schon seit den 1990er Jahren werden solche Strategien (in diesem Zusammenhang auch das Zusammenwirken von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren in sog. prozessorientierten und ergebnisoffenen Settings) propa- giert, zuerst in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, um Perspektiven für Alternativlösungen zu entwickeln und um bedürfnisgerechtere und kos- tengünstigere Problemlösungen durch die Beteiligung Betroffener (bspw.

Wirtschaftsunternehmen und Gewerkschaften) zu finden. Dezentralisie- rungspolitik gilt seit der Lissabon-Erklärung von 2000 auch als geeignetes Koordinierungsinstrument zur Modernisierung der sozialen Sicherungssys- teme, zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung wie zur Steue- rung der Gesundheitspolitik. In der Schlussakte zur Lissabon Erklärung wurde dies vereinbart und hat zu diversen Kommunalisierungs- und De- zentralisierungsansätzen in der deutschen Sozialpolitik geführt. In der Lis- sabon-Erklärung heißt es: „Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip wird nach einem völlig dezentralen Ansatz vorgegangen werden, so dass die Union, die Mitgliedstaaten, die regionalen und lokalen Ebenen sowie die Sozialpartner und die Bürgergesellschaften im Rahmen unterschiedlicher Formen von Partnerschaften aktiv mitwirken.“ Offene Koordinierung, expe- rimentelle Governance, Regieren durch „Soft Law“ (vgl. Szyszczak 2006;

Lamping 2008; Bernhard 2010), so werden dezentralisierte Politikstrategien in der diese Entwicklung begleitenden Wissenschaft umschrieben: die EU (oder ein sonstiger zentraler politischer Akteur) schafft nach diesem Poli- tikmodell, das nach der Möglichkeit bindende Entscheidungen jenseits hie- rarchischer Organisationsformen sucht, Gelegenheitsstrukturen und ermög- licht Koproduktionsprozesse für innovative Lösungen. Allerdings ist diese Form des Regierens durch Dezentralität immer damit verbunden, dass der das Netzwerk steuernde Fokalakteur Leitlinien, Ziele und einen Fahrplan zusammen mit den anderen Netzwerkakteuren erarbeitet, diese dann ver- bindlich vorgibt und auf dieser Grundlage die Umsetzung der nationalen

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(dezentralen) Aktionspläne einem (zentralen) EU-Monitoring wie einer Evaluation unterzieht, ein Sachverhalt der aus der Wirtschaft schon bekannt ist und dort Steuerung eines Zuliefernetzwerkes durch einen fokalen Akteur genannt wird.

Dezentralisierte Politikstrategien haben auch in die nationale Sozialpoli- tik Eingang gefunden und auch die Soziale Arbeit erreicht. Gestalt und Er- bringungsformen sozialer Dienste verändern sich dadurch. Da individuelle Hilfebedarfe und die Konzentration von Armutsproblemen immer klein- räumig auftreten, spielen in der Dezentralisierungspolitik Sozialräume und ihre Aktivierung eine herausragende Rolle. Sozialarbeit soll sich dement- sprechend zu einer bürgerschaftlichen Sozialarbeit weiter entwickeln, deren Aufgabe es (auch) wird, die Förderung des Bürgerschaftlichen Engage- ments im Sozialraum zu betreiben und die Zusammenarbeit mit Bür- gern/innen und zivilgesellschaftlichen Vereinigungen im sozialen Nahraum zu organisieren, um auf diesem Wege soziale Integrationsaufgaben wahr- zunehmen.

Diese Entwicklung steht keineswegs in Gegensatz zu den sog. Ökonomi- sierungstendenzen im sozialen Dienstleistungssektor (vgl. Buestrich u.a.

2008). In der sozialpolitischen Effizienzpolitik geht es um Kostenmanage- ment und die Optimierung der Leistungserbringung in den sozialen Diens- ten. Auch die Kommunalisierungs- und Dezentralisierungspolitik hat einen expliziten Effizienz- und Effektivitätsbezug: der nationale Sozialstaat verab- schiedet sich schrittweise von dem Ideal einer durch Sozialversicherungspo- litik herstellbaren Integration (in Erwerbsarbeit) sowie der grundgesetzlichen Garantie der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse (vgl. Barlösius 2006), und richtet sich darauf ein, dass sich das Armutsproblem durch den wach- senden Bevölkerungsteil ohne Erwerbsarbeit wie durch die in prekärer Lohnarbeit tätigen Bürgerinnen und Bürger verfestigen wird. Die Regulie- rung von Armut ist aufgrund der traditionellen und sozialrechtlich veranker- ten Zuständigkeit der Kommunen für Fürsorgefragen zu einem guten Teil jetzt schon deren Aufgabe, soll aber zukünftig noch stärker als bislang auf sie übergehen und dabei vor allem die Gruppen mit Hilfen zum Lebensun- terhalt versorgen, die aus dem erwerbsarbeitszentrierten System der Arbeits- losenverwaltung (SGB II) herausfallen (bspw. wegen dauerhafter Erkran- kung und Erwerbsunfähigkeit) oder ausgesteuert werden (bspw. wegen chronischer Kooperationsverweigerung und anschließender Bestrafung).

Diese Gruppen benötigen gewöhnlich auch noch sonstige Hilfen durch die örtlich vorhandenen sozialen Dienste. Diese haben zunehmend die Aufgabe, sozialraumbezogene (dezentrale) Lösungen für die sozialen Folgewirkungen des wachsenden Armutsproblems zu entwickeln. Dezentralisierte Politikstra- tegien, wie sie von der EU vertreten werden, zielen auch darauf ab, einen Best Practice-Wettbewerb zu entfachen, um modellhafte Lösungen finanziell zu fördern, die dann den anderen Kommunen aber auch zur Umsetzung an-

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ren Kommunen, die den Status nachgeordneter Instanzen haben, solche Best Practice-Modelle auch zur Implementierung vorgeschrieben werden.

Dezentralisierte Politikstrategien zur Bekämpfung des Armutsproblems betrachten das Problem weniger als Folge gesellschaftlicher Strukturen und polit-ökonomischer Verhältnisse, sondern primär als durch individuelles Fehlverhalten und familiäres Versagen sowie durch mangelnde Kooperati- on zwischen Leistungserbringern wie auch durch Abstimmungsprobleme zwischen den örtlichen Politikakteuren bei der Problembearbeitung verur- sacht. Ein wichtiger Ansatzpunkt dieser Strategien ist deshalb die Kompe- tenzförderung. Bedürftige und Betroffene müssen Eigenverantwortung übernehmen und sollen dazu durch Sozialarbeit und Sozialpädagogik, aber auch durch „Quasi-Sozialarbeit“ (Jordan u. Jordan 2000)1, in die Lage ver- setzt werden. Auch die Kompetenzen der örtlichen Leistungserbringer ste- hen auf dem Prüfstand, denn verfügten sie über genügend, wäre das Prob- lem nicht entstanden oder ihnen nicht entglitten, so die Annahme. Kompe- tenzförderung, des einzelnen wie der Familie, wird zu einer Aufgabe der Sozialen Arbeit, die sich daran messen lassen muss, ob sie zur Ausbildung einer kompetenten Lebensführung beiträgt und ob es ihr gelingt die lokale Gemeinschaft zum Engagement und zur Mitarbeit zu bewegen. Durch die Schaffung von kooperativen Gelegenheitsstrukturen für die politischen Ak- teure und Leistungserbringer vor Ort sollen diese lernen, innovative Lösun- gen zu produzieren, Konfliktmanagement zu betreiben und ihre Kommuni- kationsfähigkeiten zu erweitern. Gelegenheitsstrukturen sind Aktivierungs- instrumente für kollektive Akteure. Wenn das Armutsproblem zur geistigen Armut umdefiniert wird (Olasky 1996) oder um diese Dimension angerei- chert wird, dann liegt das in der Logik dezentralisierter Politikstrategien, soziale Problemlagen zu individualisieren oder als regionales Optimie- rungsproblem zu deuten und die Bearbeitung dieses Problems den lokalen Akteuren zu überantworten. Die Umdefinition gesellschaftlicher Probleme zu Problemen der Gemeinschaft ist konstitutiver Bestandteil aller dezentra- lisierten Politikstrategien, die maßgeblich dazu beigetragen haben, die Zi- vilgesellschaft als Problemlösungsinstanz, auch für äußerst bösartige Prob- leme, wieder zu entdecken. Dezentralisierte Politikstrategien lassen sich als politische Ausdeutungen des philosophischen Kommunitarismus deuten, der auf Moral, Familie, das Wir, Gemeinschaft und soziale Pflichten setzt, um Negativfolgen gesellschaftlicher Entwicklungen (bspw. Egoismus,

1 Quasi-Sozialarbeit (Jordan u. Jordan 2000) bzw. Quasi-Sozialpädagogik arbeiten nach programmatischen, vom Gesetzgeber oder sonstigen Institutionen gesetzten Zielen und sind mit lebenslaufkorrigierenden und lebenslaufflankierenden Interventionen be- fasst ohne dafür aber das adäquate Personal zu beschäftigen. Die Quasi-Sozialarbeit der Arbeitsagenturen wie der kommunalen Arbeitsgemeinschaften in der Grundsiche- rung (ARGE) verdeutlichen, wie man das fachliche Instrument des Case Manage-

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Lobbyismus, Einfluss privaten Geldes, Kriminalität u.ä) durch Gemein- schaft und Gemeinwohlorientierung zu lösen (vgl. Etzioni 1998). Anhand einiger dezentralisierter Politikstrategien in der Sozialpolitik, die im Kern auch eine Sozialarbeitspolitik enthalten, soll das kurz skizziert werden:

■ Immer mehr Jugendliche finden im dualen Ausbildungssystem kei- nen Ausbildungsplatz und werden deshalb in Warteschleifen geparkt und dort zum Objekt eines Übergangsmanagements, das davon gelei- tet ist, Ausbildungsplätze und berufliche Integration seien im We- sentlichen durch das optimierte Zusammenspiel lokaler Akteure zu schaffen. Die Kommunen werden dabei zum Subjekt einer lokalen Arbeitsmarktpolitik erklärt, die als Kenner der örtlichen Besonder- heiten den lokalen Arbeitsmarkt besser beurteilen könnten als zentral agierende Institutionen.

■ Dieser zuerst in der Arbeitsmarktpolitik praktizierte Paradigmen- wechsel hat zwischenzeitlich auch die anderen sozialen Dienste erreicht, die – von der Jugendhilfe bis zur Behindertenhilfe – auf de- zentralisierte Ansätze (wie bspw. die Sozialraumorientierung, Inklu- sionspolitik) umprogrammiert werden. Vor allem durch den Grund- satz „ambulant vor stationär“, der fachlich durchaus diskussions- würdig ist, dessen Durchsetzung aber angesichts der wachsenden kommunalen Sozialausgaben (bei wieder stark sinkenden Einnah- men) vor allem fiskalische Gründe hat, erhalten gemeinwesen- bzw.

sozialraumorientierte Ansätze wieder mehr Aufmerksamkeit.

■ Da soziale Dienste auch wieder zunehmend mit Kontroll- und ord- nungspolitischen Aufgaben beauftragt werden, die häufig in Präven- tionsansätzen verborgen sind, hat sozialraumorientiertes Denken und Arbeiten auch hierdurch wieder Konjunktur. Auch die neueren An- sätze zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund basie- ren auf einer dezentralen Politikstrategie: da sich die Folgen von Ex- klusion und Verarmung im Sozialraum geltend machen und dort die vielfältigsten Integrationsprobleme mit sich bringen, die wiederum zu einem aufwändigen Integrationsmanagement führen, weil in den Quartieren und benachteiligten Stadtteilen die Armuts- und damit die Ordnungsprobleme sichtbar werden und ein gänzliches Abkoppeln von der Gemeinschaft verhindert werden soll, wird auch auf diesem Feld der Sozialen Arbeit verstärkt nach sozialräumlichen Politiklö- sungen unter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Vereinigungen wie durch Förderung des bürgerschaftlichen Engagements gesucht und die Soziale Arbeit hat dabei nicht nur die Aufgabe, gemeinwohlori- entierte Netzwerk zu schaffen, zu steuern und Ehrenamtliche zur Übernahme von anspruchsvoller Integrationsarbeit zu motivieren und zu qualifizieren, sondern auch noch über Projektmanagement die

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Es ist eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe, die gegenwärtig den Kommu- nen im Rahmen dezentralisierter Politikstrategien im Rahmen der neuen dezentralen Sozialpolitik zuwächst. Dabei ist deren finanzielle und politi- sche Verfassung in den vergangenen Jahren keineswegs optimistisch stim- mend: die Kommunen sind vielerorts finanziell überlastet und stehen unter Haushaltsvorbehalt; die Kommunalverwaltungen sind Gegenstand eines ausgedehnten Modernisierungsprogramms, das, unter dem Titel New Public Management, die Verwaltungsorganisation zu dezentralisierten unterneh- mensähnlichen Gebilden transformiert, um sie zu befähigen, mit knapper werdenden Ressourcen ein effizientes Management umzusetzen; die Kom- munalpolitik hat, dem allgemeinen Privatisierungstrend folgend, das Leit- bild Konzern Stadt zum strategischen Ziel erklärt und will nur noch Kern- aufgaben wahrnehmen, die sich aber weitgehend mit den ihnen zugewiese- nen Pflichtaufgaben decken. Die Rede vom Ende der Kommunalen Selbstverwaltung (vgl. Wohlfahrt u. Zühlke 2005) ist deshalb mehr als Pro- jektion. Es stellt sich deshalb die berechtigte Frage, wie ausgerechnet ein Subjekt, die Kommune, dessen Schwächung sich gut nachvollziehen lässt und dessen Schwäche selbst von den eigenen Spitzenverbänden eingeräumt wird, zum Hoffnungsträger und zum Retter des Sozialstaats avancieren kann, denn die Aufgabe, den Sozialstaat von unten neu zu denken, von der lokalen Gemeinschaft ausgehend zu konzipieren, ist – ernst genommen – eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, die aber, wenn sie mit Einsparer- wartungen verbunden wird, scheitern muss. Best Practice-Modelle ohne ge- nügend finanzielle Ausstattung entwickeln zu müssen, dürfte ähnlich aus- sichtslos sein, wie auf einem sinkenden Schiff über die Schifffahrt der Zu- kunft nachzudenken. Ein Sozialmodell, das langfristig und im Kern den Wohlfahrtsstaat durch eine Wohlfahrtsgesellschaft ersetzen will (vgl. Evers u. Olk 1996), in dem Gleichheits- und Gerechtigkeitsgrundsätze abhängig werden von lokalen (zufälligen) Arrangements, Finanzen und privatem En- gagement, ist keine Hinwendung zu mehr Partizipation und Bürgernähe, wie es in kommunalpolitischen Verlautbarungen oftmals heißt, sondern die Rückkehr zu Formen einer traditionellen Fürsorgepolitik in neuem Gewand.

Diese Entwicklungen bilden die Grundlage der neuen Gestalt der Sozi- alverwaltung und der sozialen Dienste, die wir im Folgenden näher be- schreiben und analysieren wollen.

(25)

Kapitel 2

Soziale Dienstleistungspolitik:

der Ausbau der sozialen Dienste und die Hintergründe

Soziale Dienste bilden die zweite Säule des sozialen Sicherungssystems moder- ner Wohlfahrtsstaaten. Soziale Dienste und die von ihnen erbrachten Dienstleistun- gen werden in der Bundesrepublik vor allem von den kommunalen Sozialverwaltun- gen organisiert und finanziert. Dabei handelt es sich vorwiegend um Einrichtungen, die in unterschiedlichster Form (ambulant, teilstationär, stationär) durch soziale Be- rufe familien- und haushaltsbezogene, -ergänzende sowie familien- und haushalts- ersetzende Dienstleistungen erbringen.

2.1 Soziale Dienste als Teil des Sozialleistungssystems

Moderne Wohlfahrtsstaaten kennzeichnen sich durch ein Sozialleistungs- system, das auf zwei Säulen aufgebaut ist: Zum einen stellt der Wohlfahrts- staat Transferleistungen zur Verfügung (sog. Geldleistungen und/oder Sachleistungen, die im Sozialrecht, je nach Anspruchsvoraussetzung, als Grundsicherungsleistung oder Hilfe zum Lebensunterhalt bezeichnet wer- den). Transferleistungen werden bspw. gewährt bei Arbeitslosigkeit, feh- lenden Rentenansprüchen im Alter, Erwerbsunfähigkeit, Pflegebedürftig- keit, chronischer Erkrankung u.v.m. Die zweite Leistungsform stellen so- ziale Dienstleistungen dar, die in Form von Beratung, Betreuung, Beglei- tung, Pflege oder Therapie organisiert sind und durch soziale Dienste erbracht werden. Das Sozialleistungssystem wird gewöhnlich über Steuern wie über Sozialversicherungsbeiträge finanziert, über sog. Zwangsabgaben, denen sich die erwerbstätigen Bürger/innen nicht entziehen können. Wohl- fahrtsstaaten organisieren über die Bereitstellung von Transfer- und sozia- len Dienstleistungen den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, der pri- mär der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit derjenigen dient, die nicht in der Lage sind, von Erwerbsarbeit zu leben.

Die Ausgestaltung der monetären Sozialleistungen war bis vor kurzem noch an der Absicherung des Lebensstandards orientiert und führte zur

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nalisierung des Lebenslaufs (Kohli 1985, 2003). Die sozialen Dienste blie- ben dagegen (bis auf wenige Ausnahmen) wenig standardisiert und waren institutionell schwach integriert. Das änderte sich durch die Kodifizierung wichtiger sozialer Dienstleistungen im Sozialgesetzbuch und die seit einiger Zeit laufende Verzahnung und Integration des Transfer- und des sozialen Dienstleistungssystems durch Strategien wie die integrierte Dienstleistungs- strategie im SGB II, die politisch unter dem Schlagwort des Fördern und Fordern popularisiert wurde. In der Bundesrepublik ist die Erbringung so- zialer Dienstleistungen in öffentlich-rechtliche Organisationsformen einge- bunden, da diese Aufgaben gewöhnlich gesetzlich definiert werden und de- ren Erbringung durch öffentliche Haushalte finanziert werden. Soziale Dienste sind in der Regel wohlfahrtsstaatlich organisierte Leistungen, die deshalb öffentlich bereitgestellt werden, weil ihre Erbringung auf dem

„Markt“ hohe wirtschaftliche Risiken in sich birgt und Marktmechanismen im Bereich sozialer Dienste kaum unterstellt werden können (vgl. Evers, Heinze u. Olk 2011). Soziale Dienstleistungen sind sozialrechtlich nach § 11 SGB I neben der Geld- und Sachleistung die „dritte Leistungsart“ des bundes- republikanischen Sozialleistungsrechts und umfassen – sozialrechtlich be- trachtet – alle persönlichen und erzieherischen Hilfen, d.h. alle Formen der Beratung von Hilfeempfängern oder Hilfesuchenden, die Weitervermittlung, das Herstellen von Verbindungen zu Personen oder Einrichtungen/

Institutionen sowie allgemein die persönliche Betreuung. Aus diesem Dienst- leistungsauftrag des Sozialgesetzgebers hat sich eine Vielzahl sozialer Dienste entwickelt, wobei (vor allem) den Kommunen eine besondere Rolle bei der Organisation und Finanzierung der sozialen Dienste zukommt.

Soziale Dienste sind fester Bestandteil moderner Wohlfahrtsstaatsstaat- lichkeit, deren Finanzierung aber ganz unterschiedlich organisiert sein kann: soziale Dienste können über Steuern (bspw. Leistungen nach SGB VIII und XII) wie aus den Einnahmen der Sozialversicherungen finanziert werden, wenn sie auf den Sachverhalt der jeweiligen Sozialversicherung bezogen sind (bspw. Pflegeleistungen im Rahmen des SGB XI, Rehabilita- tionsleistungen im Rahmen des SGB V). Soziale Dienste können – je nach Wohlfahrtsstaatstyp – als öffentliche Einrichtungen oder als öffentlich fi- nanzierte Einrichtungen in privater Trägerschaft (bspw. Kirchen, Wohl- fahrtsverbände, Vereine, aber auch kommerzielle Anbieter) organisiert sein.

Welche Form von Wohlfahrtsstaat sich entwickelt (bspw. eher ein Sozial- versicherungssystem mit Transferleistungen zur Förderung der Selbsthilfe des Bürgers oder ein steuerfinanziertes soziales Dienstleistungssystem), ist abhängig von den politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnissen in einer Gesellschaft, ebenso von den kulturellen Voraussetzungen, den darauf aufbauenden Diskursen wie den sich daraus ergebenden sozial- und gesell- schaftspolitischen Leitbildern (vgl. Kaufmann 2003). Die wohlfahrtsstaatli- che Organisation sozialer Dienste unterliegt deshalb (ähnlich wie die der Transfersysteme) einem permanenten Wandel: durch neue sozialpolitische

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Leitbilder werden die Koordinaten des sozialen Dienstleistungssystems immer wieder verschoben und neu austariert, bspw. wenn privat-gewerb- liche Träger als Leistungserbringer vom Sozialstaat lizensiert und mit frei- gemeinnützigen Trägern gleichgestellt werden. Auch die EU hat für ihre Mitgliedsstaaten im letzten Jahrzehnt solche neuen Leitbilder verabschiedet (bspw. Flexicurity, Lebenslanges Lernen, Inklusion) und erwartet von den Mitgliedsstaaten, bspw. in der Arbeitsmarktpolitik, der Sozialhilfe oder der Behindertenhilfe, dass diese europäischen Leitbilder umgesetzt werden (vgl. Bernhard 2010). „Die Programmatik des Wohlfahrtsstaates postuliert, dass Inklusion nur auf politisch-staatlichem (und nicht z.B. auf rein markt- wirtschaftlichem) Wege zustande kommen kann, da es um die Gewährung subjektiver Rechte geht“ (Kaufmann 2003, S. 42). Das impliziert Eingriffe des Staates in die gesellschaftlichen Verhältnisse, die in den einzelnen Staa- ten unterschiedlich stark ausfallen können und unterschiedliche Resultate zeitigen, jedoch immer mit der Schaffung von sozialen Diensten und der Bereitstellung von Geldleistungen verbunden ist. Auf der Ebenen der EU soll die sog. „Offene Koordinierungsmethode“ – zentraler Bestandteil der europäischen Governance und des nationalen Leistungsvergleichs (Bern- hard 2010, S. 30) – dafür sorgen, dass die sozialpolitischen Inklusionsziele und die dazu gehörigen dienstleistungspolitischen Angebote in den Mit- gliedsstaaten der EU umgesetzt werden, die nationale Inklusionspolitik aber aufgrund des zum europäischen Sozialmodells gehörenden Subsidiaritäts- prinzips durchaus Varianzen aufweisen kann.

2.2 Soziale Dienste: Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen und Motor gesellschaftlicher Entwicklungen

Soziale Dienstleistungen lassen sich nicht sauber definieren (Bauer 2001).

Sowohl das Sozialrecht wie die Wissenschaft liefern keine verbindliche De- finition, was soziale Dienstleistungen eigentlich kennzeichnet. Beide defi- nieren soziale Dienstleistungen eher abgrenzend oder negativ beschreibend, indem gewöhnlich auf einen schon bekannten Sachverhalt verweisen wird.

Der Sozialgesetzgeber selbst bleibt bei der Definition sozialer Dienstleis- tungen vage und bezeichnet die von ihm organisierten persönlichen und er- zieherischen Hilfen als soziale Dienstleistungen (§ 11 SGB I). Demnach zählen die im SGB VIII und SGB XII genannten sozialen Leistungen dazu, ebenso aber auch die Pflegeleistungen nach dem SGB XI, Haushaltshilfen nach dem SGB V oder Rehabilitationsmaßnahmen für behinderte Menschen und psychisch chronisch Kranke.

Auch einen Großteil des medizinischen Leistungsspektrums müsste man

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betrachten, obwohl sie rein rechtlich gesehen als Sachleistungen bezeichnet werden. Sachleistungen im Sinne des SGB I – so der Kommentar – wären:

die Übertragung von Eigentum, die leihweise Überlassung, die Einräumung von Nutzungsrechten u.ä., aber eben auch das zur Verfügung stellen von Dienstleistungen durch Ärzte und berufsmäßiges Pflegepersonal auf der Basis des im SGB V genannten Leistungsspektrums, sowie die dort gere- gelten Behandlungen in Kur- und Rehabilitationseinrichtungen (vgl. Bauer 2001, S. 33). Eine saubere definitorische Abgrenzung von Sach- und Dienstleistung ist sozialrechtlich nicht möglich (mal sind Dienstleistungen eine Unterkategorie von Sachleistungen, mal eine selbständige dritte Leis- tungsart), wird juristisch aber auch nicht als notwendig erachtet. Die Be- schreibung der persönlichen und erzieherischen Hilfen als Dienstleistung im SGB I diene lediglich der Klarstellung, sei aber nicht wesentlich, so der Kommentar zum SGB I (vgl. Bauer 2001).

Eine Klärung, was man unter Dienstleistung zu verstehen hat, wird auch durch die Wirtschaftswissenschaft nicht geleistet, da die aus der Wirt- schaftswissenschaft stammende Kategorie der Dienstleistung dort ebenfalls vielschichtig gebraucht wird und die Funktion einer Restkategorie ein- nimmt: Dienstleistung im ökonomischen Sinne – und in dieser Form hat der Begriff auch Eingang in die Amtliche Statistik gefunden – ist eine residuale Größe, die, aus beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischer Perspektive, einen von drei Wirtschafts- und Beschäftigungssektoren beschreibt (vgl.

Fourastié 1954; Bell 1979; Häußermann u. Siebel 1995, 2011):

■ der primäre (Beschäftigungs-)Sektor ist der, der Landwirtschaft, Fi- scherei, Forstwirtschaften und Rohstoffgewinnung;

■ der sekundäre Sektor ist der, der industriellen Rohstoffverarbeitung, der Industriegüterproduktion sowie des Baugewerbes;

■ der tertiärer Sektor, der sog. Dienstleistungssektor, ist derjenige, der alle Wirtschaftstätigkeiten erfasst, die in den beiden anderen Sekto- ren keine Berücksichtigung finden und demnach Tätigkeiten wie an- spruchsvolle Dienstleistungen für die Produktion, anspruchsvolle wie einfache Dienstleistungen an und für Personen (personenbezogene und soziale Dienstleistungen) oder einfach auch Reparaturaufgaben beschreibt.

Der sozialpolitische Diskurs über die Rolle sozialer Dienste und sozialer Dienstleistungen in der Sozialpolitik begann in den 1960er Jahren (vgl.

Schäfer 1969), als erstmals registriert wurde, dass sich aufgrund gesell- schaftlicher Veränderungen (demografischer Wandel, Wandel der Mortali- tät und Morbidität, Ansteigen der Scheidungsrate, Zunahme von Pflegebe- dürftigkeit, Wandel der Haushaltsgröße und Zunahme von Zwei- und Ein- Personen-Haushalten, zunehmende berufliche Mobilität und Auflösung der traditionellen Rolle von Frau und Familie) neue soziale Problemlagen am

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Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren

© Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2009

Horizont abzeichnen. Will man verstehen, warum es seit den 1960er Jahre zu einer Expansion des Wohlfahrtsstaates durch die Neugewichtung der Dienstleistungsstrategie und die Ausweitung der staatlichen Leistungstiefe gekommen ist, muss man neben den sozialstrukturellen Veränderungen auch die sich wandelnden Konsumgewohnheiten, das gestiegene An- spruchsniveau der Bürger/innen (Badura u. Gross 1976), die sich verän- dernden Lebensstile, die Erosion von Lebensläufen und letztlich die „über- greifenden Individualisierungs- und Pluralisierungstendenzen“ (Evers u.a.

2011, S. 14) berücksichtigen. Angesichts der Wachstumsprognosen interna- tionaler Organisationen (OECD und UN), welche die Wachstumsraten der Nachkriegsjahrzehnte extrapolierten und für die 1970er Jahre noch Wachs- tumsraten von mehr als 5% prognostizierten, schien auch die Finanzierung dieser wohlfahrtsstaatlichen Expansion noch kein Problem darzustellen (vgl. Hobsbawn 1998, S. 326). Man ging davon aus (ganz im Sinne der da- mals breit diskutierten Wandels der Industrie- zur Dienstleistungsgesell- schaft), dass der Ausbau der sozialen Dienste vor allem auch eine beschäf- tigungswirksame Maßnahme sei: man glaubte, auf diesem Wege – im Sinne der keynesianischen Nachfragetheorie – für einen wachsenden Konsum wie für neue Steuereinnahmen sorgen zu können, denn durch den Ausbau der sozialen Dienstleistungen sollten jetzt auch Normalfamilien und (berufstä- tige) Alleinerziehende dabei unterstützt werden, Familie und Beruf verein- baren zu können. Der Sozialstaat forcierte die Entwicklung der sozialpoliti- schen Dienstleistungsstrategie in Ergänzung zur klassischen Einkommens-

32,5 38,3 45,1 53,8 59,9 68,7 72,4

42,9

47,9

46,5

41,1 36,6 28,9 25,5

24,6 13,7 8,4 5,1 3,5 2,4 2,1

1950 1960 1970 1980 1990 2000 2007

Prozent

Land- u. Forstwirtschaft, Fischerei (primärer Sektor) Produzierendes Gewerbe (sekundärer Sektor) Dienstleistungsbereich (tertiärer Sektor)

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