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FS I 92-2 Kurzarbeit und Qualifizierung in den neuen Ländern: Von der internen zur externen Anpassung.

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discussion papers

FS I 92-2

Kurzarbeit und Qualifizierung in den neuen Ländern:

Von der internen zur externen Anpassung.

Erfahrungen aus Fallstudien und der Qualifizienmgsberatung.

P eter A uer* **

Heinz Groß, Reiner Kotulla Gabriele Rachel

* * Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

* * * Verein Arbeit und Bildung in Berlin e.V.

Sozialökonomische Strukturanalysen e.V. - SÖSTRA

Mai 1992

Forschungsschwerpunkt Arbeitsm arkt und

Beschäftigung (FS I) Research Unit Labour Market and Employment

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Forschungsschw erpunkt

A rbeitsm arkt und B eschäftigung (FS I) R esearch A rea

Labour M arket and Em ploym ent R eichpietschu fer 50

D-10785 Berlin

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Zusam m enf assung

Bereits im Juni 1990 trat in der ehemaligen DDR eine Sonderregelung zur Kurzarbeit in Kraft, die später in den Einigungsvertrag mit der Bundesre­

publik übernommen wurde und bis Ende 1991 in Ostdeutschland galt. A b­

weichend vom westdeutschen Recht konnte Kurzarbeitergeld in Ost­

deutschland generell auch dann gewährt werden, wenn der Arbeitsausfall nicht nur vorübergehender Natur war, sondern die Arbeitsplätze voraus­

sichtlich dauerhaft Wegfällen würden. Außerdem übernahm die A rbeitslo­

senversicherung in Ostdeutschland die gesamten Sozialversicherungsbei- träge für die ausgefallenen Arbeitszeit. Vor allem aber konnten Kurzar­

beiter auch an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung teilnehmen.

Diese Kombination von Kurzarbeit und W eiterbildung sollte unter anderem eine "aktive" Nutzung von Kurzarbeit zur Restrukturierung in den neuen Bundesländern erlauben. Die drei in dieser Publikation zu- sammengefaßten Texte zeigen, daß diese "aktive Nutzung" kaum zum T ra­

gen kam, da die Unsicherheiten der Betriebe bezüglich ihrer zukünftigen Beschäftigungs-und Organisationsstrukturen und Märkte groß waren und die Privatisierungsstrategie der Treuhand diese Unsicherheiten nicht verminderte. Insofern hat die Kurzarbeitsregelung zwar ihre soziale Funk­

tion erfüllt und ein rasches Ansteigen der Arbeitslosigkeit im Zusammen­

hang mit der Währungsunion und Wiedervereinigung verhindert, als

"aktive" Strukturanpassungshilfe wurde sie aber nur marginal genutzt.

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Summary

Even before the reunification of the both Germanies on October 3rd, 1990 a special short-time working compensation scheme was introduced by law in what was still the now defunct Germ an Democratic Republic. The short time working scheme - a perm anent and important instrument of the Westgerman law on the promotion of employment mainly used to weather out economic troughs- was initially introduced for a year but was finally prolonged till the end of the year 1991.

The special regulation introduced some changes compared to its Westgerman counterpart: it could be used even if the jobs would be lost permanently, workers could be set at 0-hours working time and employers were exempted to pay social security contributions for their workers on short-time. Most importantly, it was possible for workers on short time to start retraining financed by the labour market authorities.

This combination of short-time work and training was thought to allow for a smooth adjustment to a m arket economy of both workers and firms.

Firms could at almost no costs have workers retrained and workers could avoid the consequences of large scale redundancies and "open"

unemployment. However, the three articles combined in this volume show, that hopes in this kind of active adjustment did not materialise mainly because of the uncertainties of firms in regard of their future employment and company structures and markets. These uncertainties were not lowered by the strategy of privatisation followed by the "Treuhand" and the lack of a clear cut restructuring policy.

Therefore, the measure of the "first hour", the short time work compensation scheme, has fulfilled its role in helping to avoid (or better spread over time) mass lay-offs and the rise in unemployment but has only very marginally been an efficient tool of "active" adjustment to structural

change.

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Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorwort 1

Peter Auer:

Interner oder externer Arbeitsm arkt:

Kurzarbeit und Qualifizierung in den neuen Bundesländern 3 G abriele Rachel:

Kurzarbeit und Qualifizierung in den neuen Bundesländern:

Betriebsfallstudien aus Ostberlin

und Brandenburg 13

H einz Groß, Reiner Kotulla:

Chancen und Grenzen der Qualifizierungsberatung für Erwachsene

- ein Erfahrungsbericht aus Ostberlin 39

Bibliographie 74

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V orw ort

Die vorliegenden Texte sind Teil eines größeren Forschungsvorhabens, das unter der Leitung von Peter Auer vom Wissenschaftszentrum Berlin durchgeführt wird und teilweise durch die G eneraldirektion V der Kommission der Europäischen Gemeinschaften finanziert wurde. Aufgabe des Forschungsvorhabens ist es, W eiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte in ausgewählten Ländern Westeuropas zu erfassen, das System der Weiterbildung zu beschreiben und zu fragen, ob dieses System den Qualifizierungsbedürfnissen der W irtschaft und ihren Beschäftigten angepaßt ist und ob und wie die öffentliche Hand zu dieser Anpassung beiträgt. U nter den ausgewählten Ländern befand sich neben Frankreich, G roßbritannien, Dänemark und Italien auch die Bundesrepublik Deutschland.^ Seit der Wiedervereinigung, die am 3.Oktober 1990 offiziell vollzogen wurde, zeichnet sich die Bundesrepublik durch zwei inhomogene Landesteile aus: den bei aller Disparität (etwa zwischen Norden und Süden) wirtschaftlich hoch entwickelten alten Bundesländern und den sich in einer tiefen Strukturkrise und in einer umfassenden Transformation befindlichen fünf neuen Bundesländern (einschließlich Ostberlins) auf dem früheren Staatsgebiet der DDR.

Internationale Vergleiche mit der Bundesrepublik werden über einen längeren Zeitraum hinweg dieser faktischen Zweiteilung Rechnung tragen müssen. Dies ist auch der Grund, warum für das Projekt eine eigene Studie über das Gebiet der ehemaligen DDR erstellt wurde.

Allerdings ist es nicht nur die Verschiedenheit der beiden Landesteile, die eine Analyse der W eiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte in den neuen Bundesländern empfahl. Für eine Untersuchung der Wirkung öffentlicher Maßnahmen zur W eiterbildung bereits Beschäftigter ist auch die in den neuen Bundesländern angewandte Maßnahme der Qualifizierung in Verbindung mit Kurzarbeit von erheblichem Interesse.

1 Der Gesamtbericht erscheint in Kürze: Further Training for the Employed (FETE): A description of country models and an analysis of European Labour Force Survey Data, Discussion Paper WZB, Berlin

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Die in dieser Publikation zusammengefaßten Texte haben ein gemeinsames Thema, das sie jedoch aus unterschiedlicher Sichtweise analysieren. Handelt es sich bei dem Text von Gabriele Rachel um die Analyse der Anwendung von Kurzarbeit (und Qualifizierung) aus der Sicht der Betriebe, wird im Text von Reiner Kotulla und Heinz Groß die Beratung über Weiterbildungsmaßnahmem für die Beschäftigten (meist Kurzarbeiter) aus zumindest teilweise denselben Betrieben analysiert.

Der einleitende Text widmet sich den generellen Fragestellungen zur Anwendung und zur Effektivität des Instruments Kurzarbeit und Qualifizierung in einer Situation des wirtschaftlichen Umbruchs.

Obwohl sich die hier vorgestellten Ergebnisse überwiegend auf (Ost)Berlin und Brandenburg beziehen und trotz einiger Besonderheiten der O stberliner Situation (etwa die geringere Anzahl von Kurzarbeitenden) gibt es Gemeinsamkeiten mit der generellen Umbruchsituation in den neuen Ländern, so daß einige der Ergebnisse durchaus verallgem einerbar sind.

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P e te r A uer

Interner oder externer Arbeitsmarkt: Kurzarbeit und Qualifizierung in den neuen Bundesländern

Im Rahmen aller in den neuen Ländern zum Einsatz kommenden arbeits­

marktpolitischen Instrum ente spielt die Kurzarbeitsregelung eine wich­

tige, anfänglich auch dominierende Rolle: bis zu 2 Millionen Beschäftigte befanden sich am Höhepunkt der Förderung in den neuen Ländern und Ostberlin in Kurzarbeit.

Die Kurzarbeitsregelung, die in den alten Bundesländern durch das AFG von 1969 geregelt ist, dient dort vor allem der Sicherung der Stamm­

belegschaften während der durch vorübergehende Konjunkturkrisen ver­

ursachten Produktionsausfällen. Laut § 63 A bs.l wird Kurzarbeitergeld bei "vorübergehenden A rbeitsanfall" dann gewährt, wenn "...zu erwarten ist, daß durch die Gewährung ... den Arbeitnehm ern die Arbeitsplätze und dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitnehm er erhalten werden". Im R e­

gelfall wird Kurzarbeitergeld (in Höhe der Lohnersatzleistungen für A r­

beitslose für kurzgearbeitete Arbeitsstunden) für 6 Monate gewährt. Al­

lerdings wurde das Kurzarbeitergeld auch in den alten Bundesländern bei strukturellen Verschlechterungen der Lage eines Wirtschaftszweiges ge­

währt und die Förderungszeit ist bereits mehrmals durch Verordnung des Arbeitsministeriums vorübergehend verlängert worden, so in der Stahlin­

dustrie. In den neuen Bundesländern wurde noch vor der offiziellen V er­

einigung eine Regelung getroffen (DDR-AFG vom Juni 1990 und Eini­

gungsvertrag), die Kurzarbeitergeld auch bei"betrieblichen Strukturver­

änderungen oder betriebsorganisatorischen Maßnahmen im Zusammen­

hang mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion" vorsah. Die Dauer der Maßnahme wurde vorerst auf ein Jahr (bis Ende Juni 1991) begrenzt, vor Auslaufen jedoch um weitere sechs Monate verlängert. Diese beschäf­

tigungspolitische Maßnahme der "ersten Stunde", die ausdrücklich auch dann angewandt werden konnte, wenn die Arbeitsplätze in den Firmen nicht erhalten werden konnten, gab Kurzarbeitenden auch die Möglich­

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keit, eine berufliche W eiterbildungsmaßnahme zu beginnen. Kurzarbei­

tergeld (bzw. Unterhaltsgeld) wird dabei bis zur Beendigung der Maß­

nahme gewährt, auch wenn die Voraussetzungen für seine Gewährung (etwa Auflösung des Unternehm ens) inzwischen weggefallen sind (vgl.

auch Rachel in diesem Bericht).

Einen zusätzlichen Anreiz boten auch einige Tarifverträge. So etwa in der M etallindustrie (aber auch bei Handel, Banken und Versicherungen) wo vereinbart wurde, daß das Kurzarbeitergeld bis Ende Juni 1991 (Auslaufen des Tarifvertrags und zum Zeitpunkt seines Abschlusses auch der Kurzarbeiterregelung) um 22% aufgestockt werden sollte. Damit konnten bis zu 90% des vorherigen Lohnes erreicht werden. Dies galt zwar für alle Beschäftigten unabhängig von der Aufnahme einer Weiterbildung:

für Teilnehm er an beruflicher Weiterbildung zahlte der Betrieb den Auf­

stockungsbetrag jedoch bis zum Ende der Maßnahme, höchstens jedoch bis zum 31.3.92 weiter, ohne daß er auf das Kurzarbeitergeld angerechnet wurde. Von dieser Regelung gab es jedoch Ausnahmen, da eine Doppel­

belastung der Betriebe (etwa Abfindungszahlungen und Aufstockung) vermieden werden sollte.

Die Logik der Regelung war der damaligen Sichtweise der Problema­

tik durchaus angebracht: es war klar, daß die ehemalige DDR vor enormen Anpassungsproblemen stand, denn es ging darum, eine als ineffizient an­

gesehene Planwirtschaft in eine am W eltmarkt wettbewerbsfähige M arkt­

wirtschaft zu transformieren. Bevor riskiert wurde, Millionen von Be­

schäftigten einfach freizusetzen und das Risiko der (Wieder)Beschäftigung zu individualisieren, wurde eine Lösung ange­

strebt, bei der die Betriebe ihren Beschäftigtenstand befristet aufrecht erhalten konnten, ohne die Lohnfortzahlung tragen zu müssen, und bei der sich die Beschäftigten gleichzeitig durch Weiterbildung an die verän­

derten Bedarfe der Betriebe an beruflicher Bildung anpassen konnten.

Für die Befürworter der Regelung konnten Betriebe und Beschäftigte bei einer solchen Regelung nur gewinnen. Idealerweise würden die Betriebe nach einiger Unsicherheit in der Anpassungsphase an deren Ende mit ihren nun weitergebildeten A rbeitskräften am Markt bestehen können.

Damit wurde ein von Arbeitsm arktexperten seit längerem auch für die alten Bundesländer geforderter "aktiver" Einsatz von Kurzarbeit

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ermöglicht.

Der Plan, mit Hilfe einer Kombination von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zwei Fliegen mit einer Klappe zu erlegen, setzte sich in der Praxis allerdings kaum durch: Am bisher höchsten Stand (April 1991) bil­

deten sich von über 2 Mio. Kurzarbeitern ca. 87 000 weiter, das sind rund 4

% aller K urzarbeiter/innen. Im Dezember 1991 sank die Anzahl wieder auf ca. 75 000, der relative Anteil stieg allein aufgrund des Rückganges der Zahl von Kurzarbeitern. In den Branchen, in denen der Aufstockungs­

betrag von 22% bezahlt wurde, ist die Bildungsbeteiligung offensichtlich überdurchschnittlich gestiegen, so etwa zwischen März und Juni 1991 um 94 % im Maschinenbau und um 124 % im Straßenfahrzeugbau. Somit ist es zumindest vor Auslaufen des Tarifvertrages zu einer stärkeren Teilnahme gekommen, da dadurch eine Lohnersatzleistung von max. 90% über einen längeren Zeitraum (bis März 92) gesichert worden ist. Neben unter­

schiedlicher Beteiligung nach Branchen (die allerdings auch auf unter­

schiedlichen Umstrukturierungsbedarf zurückgehen) gibt es auch regio­

nale Unterschiede: beispielsweise sind die Anteile von Kurzarbei­

tern/innen in Qualifizierungsmaßnahmen in Berlin höher als in den neuen Ländern insgesamt. Allerdings zeigt sich, daß die von den Kurzarbeitern begonnenen Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen in aller Regel (dies belegen auch unsere Fallstudien deutlich) zur Vermittlung auf dem externen Arbeitsm arkt dienen und nicht in die (W ieder-)besetzung von Arbeitsplätzen im Ursprungsunternehmen einmünden.

Während also die Kurzarbeitsregelung stark in Anspruch genommen wurde, sind die Effekte der damit verbundenen Weiterbildungsregelung gering. Wir werden im folgenden einige der Gründe diskutieren, warum die Bildungsbeteiligung der Kurzarbeiter nicht größer war und sich bei Aufnahme einer W eiterbildung am externen Arbeitsm arkt orientierten, verweisen für eine eingehende Erörterung der Problematik aber auch auf die beiden anderen in dieser Publikation zusammengefaßten Texte.

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Humankapital und Entscheidungen unter Unsicherheit

Die H um ankapitaltheorie^ sieht einen linearen Zusammenhang zwischen Aus-und Weiterbildung und höheren Einkommen und Berufschancen. A r­

beitnehm er können durch Bildungsinvestititonen zukünftig höhere Rendi­

ten (Löhne) erwarten, A rbeitgeber antizipieren eine bessere A rbeitspro­

duktivität von besser Ausgebildeten und ziehen deshalb besser qualifi­

zierte Arbeitskräfte unqualifizierteren vor. Setzt man eine rational ent­

scheidende, umfassend inform ierte Person voraus, so ist nicht einsichtig, warum sie sich -noch dazu, wenn die öffentliche Hand und die Arbeitgeber in den von den Tarifverträgen mit Aufstockung betroffenen Branchen den G roßteil finanzieren- nicht für eine Weiterbildung entscheidet. Dies umso weniger, als im öffentlichen Diskurs Weiterbildung als produktivitäts- und wettbewerbsfördernde Investition sehr hoch gehandelt wird. Wenn auch Arbeitgeber einen größeren Teil der Weiterbildung öffentlich finanzieren können und noch dazu (in den vom Tarifvertrag betroffenen Branchen zumindest bis zu seinem Auslaufen) 22% Lohnzuschlag zahlen müssen, auch wenn in der freien Zeit keine Ausbildung erfolgt, so müßten sie, ihr ökonomisch rationales Handeln vorausgesetzt, nur umso mehr an einer W eiterbildung ihrer K urzarbeiter interessiert sein.

Allerdings setzt Denken und Handeln in den Kategorien der Hum ankapitaltheorie eine G rundstabilität des Wirtschaftssystems voraus.

Es setzt das Funktionieren sowohl externer als auch interner Arbeits- märkte voraus (sowohl Wechsel zwischen Jobs müssen möglich sein, in­

terne Aufstiegsleitern und Positionen, die bestimmte Qualifikationen er­

fordern, müssen vorhanden sein, etc.). Voraussetzung ist auch eine ge­

wisse Stabilität von Märkten, Sektorenverteilung, Institutionen wie Eigen­

tumsverhältnissen u.ä., die den Rahmen bilden, innerhalb dessen die Indi- vidien rational handeln. Ohne diesen Rahmen fehlt ein wesentlicher Be­

standteil der Entscheidung, nämlich die (wie immer beschränkten) Infor­

mationen, die erst eine Entscheidung zwischen Alternativen ermöglichen.

Bei radikalen Veränderungen zerbricht im allgemeinen auch dieser Rahmen, ein wesentlicher Referenzpunkt für Entscheidungen. Mit dem

2 Als deren Gründungsvater Gary S. Becker betrachtet wird. (Becker, 1964)

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Ende der Planwirtschaft und der darin erfolgten Steuerung der Produkt- und Arbeitsm ärkte z.B. über fast gänzliche Beschäftigungssicherheit, staatliche Steuerung der Aus-und Weiterbildung, der Aufstiegswege und der externen Mobilität ergab sich so ein Zusammenbruch des institutio­

nellen Rahmens einer Gesellschaft. Zwar wurde hier -im Gegensatz zu den anderen osteuropäischen Ländern- schnell Ersatz durch die Ü ber­

nahme der institutionellen Regeln der alten Bundesrepublik (mit Anpas­

sungsregelungen) geschaffen. In der Umbruchphase selbst aber kann sich neues Denken und Handeln -das sich hier an hastig übernommenen G e­

setzen ohne die dazugehörigen etablierten Spielregeln orientieren mußte- nicht von Heute auf Morgen durchsetzen und bleibt den alten Strukturen verhaftet. Dies umso mehr als die Unsicherheiten in allen Bereichen des Lebens sich ausbreiteten. Für rationale, ökonomisch richtige Entschei­

dungen nach marktwirtschaftlicher Theorien fehlen da die Rahm enbedin­

gungen.

Widersprüchliche Signale?

Doch setzt auch ein Instrument wie Kurzarbeit Signale, die in der Situa­

tion der exDDR im Widerspruch zu denen der Weiterbildung stehen. Dies hängt teilweise mit institutioneilen Spielregeln der alten Bundesrepublik zusammen, da bei staatlich finanzierter Weiterbildung gemäß des Prinzips der freien Berufswahl die Förderung von Individuen und nicht von Firmen im M ittelpunkt steht. Darauf wird auch im § 43, Abs.2 AFG hingewiesen

"Liegt die Teilnahme eines Antragstellers an einer Maßnahme überwie­

gend im Interesse des Betriebes, dem er angehört, so wird die Teilnahme nicht gefördert....". Zwar wird bei "besonderem arbeitsmarktpolitischen Interesse", das in den neuen Ländern sicherlich vorliegt, "die Teilnahme gefördert", doch ist eine auf die Bedürfnisse der Betriebe eng zugeschnit­

tene Förderung nicht die Regel.

Kurzarbeit bedeutet, daß der A rbeitsvertrag aufrecht erhalten bleibt, trotz teilweiser oder gänzlicher Nichtarbeit. Das Signal einer möglichen Rückkehr in den Betrieb ist damit gesetzt, auch wenn es für die Personal­

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leitungen relativ rasch klar wurde, daß Kurzarbeit (vor allem mit O-Stun- den) eher bevorstehende Entlassung signalisierte als mögliche W iederbe­

schäftigung, wie aus unserer Befragung hervorgeht. Die "individuelle F ör­

derung" der Weiterbildung, wie sie richtig bezeichnet wird, setzt generell stärker auf die Freiheit der Berufs-und Bildungswahl und ist in der Praxis damit eher ein Instrument zur Förderung beruflicher externer Mobilität, und setzt im spezifischen Kontext der neuen Länder das Signal "wer sich weiterbildet, macht dies für einen anderen Arbeitsplatz, verläßt also den Betrieb". In der Psychologie würde man hier von einer doppelten Bot­

schaft ("double bind message") sprechen, die Entscheidungen über Bil­

dungsbeteiligung nicht gerade erleichtert.

In keinem der in der ersten Studie dieser Veröffentlichung befragten Betriebe wurde das Instrument Kurzarbeit und Qualifizierung für die Deckung des betrieblichen W eiterbildungsbedarfes eingesetzt. Dies un­

terstreicht nochmals, daß eine W eiterbildungsteilnahme nach AFG in der spezifischen Situation der Umstrukturierung für die Beschäftigten ein re ­ lativ klares Signal sein mußte, dem Betrieb endgültig den Rücken zu keh­

ren. Dies wird in der Studie von Heinz Groß und Reiner Kotulla bestätigt:

nach einer anfänglichen Phase der Beratung von W eiterbildung in den Be­

triebenw urde diese mehr und mehr extern, ohne Beteiligung betrieblicher Instanzen, durchgeführt. Die Betriebe zeigten wenig Interesse an einer Qualifizierung ihrer überzähligen M itarbeiter und getreu dem Prinzip der

"individuellen Förderung" wurden die W eiterbildungsbemühungen der Beschäftigten individualisiert. Erschwert wurde eine Qualifizierungsbe­

teiligung von K urzarbeitern jedoch auch durch die "Abwicklung" des um­

fangreichen Netzes betrieblicher Bildungsträger, die mit zu den ersten

"Opfern" der Umstrukturierung zählten.

Allerdings gibt es auch andere Gründe nicht an Weiterbildung teilzu­

nehmen, als die eben aufgezeigten. Sie werden in der zweiten Studie die­

ses Berichtes aus der Sicht von W eiterbildungsberatern vor Ort näher be­

leuchtet. Fortgeschrittenes Alter, gesundheitliche Einschränkungen oder familiäre Gründe und ein geringes Bildungsniveau sind Barrieren, die eine Aufnahme einer Weiterbildung erschweren. Aber auch finanzielle Gründe verhindern oder erschweren eine Teilnahme, da Mehrleistungen während der Bildungsphase nicht unm ittelbar belohnt wurden - so wurde

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die fehlende Anreizfunktion des gegenüber dem "passiven" K urzarbeiter­

geld nur geringfügig höheren Unterhaltsgeldes hervorgehoben^ - oftmals sogar Lohnanteile kosten und sich erst in der Zukunft rechnen.

Wesentlich bleiben jedoch Faktoren auf der Nachfrageseite, vor allem die Unsicherheit der ökonomischen Entwicklung (die durch ungelöste Ei­

gentumsfragen noch verstärkt wurde) während einer tiefen Strukturkrise

"ohne Vorbild". Die Hoffnung auf Wiederbeschäftigung, das "Klammern"

an die alte Beschäftigungssicherheit (d.h. an die alten Betriebe solange man sogar noch vetraglich an sie gebunden ist) und auch an die erworbe- nene Qualifikationen (die in der exDDR nicht gering waren) sind dabei Verhaltensweisen, die bei einer tiefgreifenden Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft (welche Qualifikation für welchen job in welchem Betrieb?) durchaus rational erscheinen. "Weiterbildung auf Halde" ohne reale Be­

schäftigungsaussichten am Ende, d.h. eine rein angebotsorientierte Stra­

tegie ohne Nachfrage (nach J.B. Say: jedes Angebot schafft auch seine Nachfrage), hat sich gerade bei den Kurzarbeitenden nicht durchgesetzt.

In der Tatsache, daß W eiterbildung in der ehemaligen DDR (deren Infra­

struktur gut ausgebaut war und über ein Netz von ca. 1300 betrieblichen Trägern verfügte) grundsätzlich an ein Beschäftigungsverhältnis gebun­

den war, sieht Dietrich^ einen Faktor für die Reserviertheit der Beschäf­

tigten aus den neuen Ländern an der Teilnahme an W eiterbildungen ohne unm ittelbare Beschäftigungswirksamkeit. Der Versuch einer Politik, der die Nachfrage der Betriebe nach beruflicher Bildung mit dem Angebot der (weitergebildeten) Beschäftigten zu einer Wachstumsstrategie verbindet, ist in der realen aber im portierten Marktwirtschaft unter den gegebenen Voraussetzungen eher Traum als R ealität geblieben, da Kurzarbeit von den Beschäftigten (richtig in Bezug auf die Logik der Regelung, falsch in Bezug auf die tatsächliche Situation) als Signal der Hoffnung des Arbeits- platzerhaltes, W eiterbildung aber bei völliger Unsicherheit der Betriebe hinsichtlich ihrer zukünftigen Produkt- und Arbeitsm ärkte als Signal zur Abkehr vom Betrieb und als Individualisierung des Beschäftigungsrisikos verstanden werden konnte. Um diese Strategie wirksam zu machen, hätte

3 Vgl. "Newsletter" Nr. 1 über Ostdeutschland im Rahmen des Beschäftigungsobservatoriums der EG.

4 Dietrich (1991, S 432 ff.)

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es anderer Signale bedurft: Interesse der Betriebe am Erhalt der Beschäf­

tigung und dazu dann betriebliche Bildungsbedarfsanalyse, maßgeschnei­

derte Weiterbildung, Rückkehr in den Betrieb mit Anrecht auf Einsatz des G elernten. Die wiederum wäre - wenn überhaupt - nur unter anderen strukturpolitischen Voraussetzungen möglich gewesen, etwa einer ent­

schiedenen Sanierungsstrategie durch die Treuhand. Unter dem Vorzei­

chen der "Privatisierung" stand aber der Arbeitskräfteabbau und die ex­

terne "Rekonversion" der "individualisierten" Kurzarbeiter (und nicht der Aufbau qualifizierter Belegschaften) im Mittelpunkt.

Bei kurzfristigeren Krisen (einen erhöhten W eiterbildungsbedarf der Firmen vorausgesetzt) ist eine solche gegenseitige Anpassung ein durch­

aus gangbarer Weg, der allerdings eine G rundstabilität des Wirtschaftssy­

stems und seiner Institutionen voraussetzt.

Bei Strukturkrisen wie in den neuen Ländern sind diese Vorausset­

zungen selten gegeben und verhindern damit die Wirkung des kombinier­

ten Einsatzes von Kurzarbeit und Weiterbildung.

Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Struk­

turentwicklung statt Kurzarbeitsregelung: Rückkehr zur eigent­

lichen Funktion von Kurzarbeit?

Es bleibt die Frage, ob die Nutzung von Kurzarbeit in Kombination mit W eiterbildung in Strukturkrisen erheblichen Ausmaßes und Dauer ein Weg ist, der ökonomisch effizient ist und gleichzeitig sozialen Gesichts­

punkten Rechnung trägt. Ohne Zweifel besteht bei Beginn ökonomischer Krisen im allgemeinen eine Unsicherheit darüber, ob sie nur konjunktu­

reller und vorübergehender Natur sind, oder aber struktureller Art mit erheblichen langfristigen Anpassungserfordernissen für Niveau und Struktur der Beschäftigung^. Kurzarbeit, ursprünglich für kurzfristige Konjunkturkrisen geschaffen, ist als erste Stufe der Anpassung mit Hilfe öffentlicher M ittel (nach internen Maßnahmen, wie dem Abbau von

5 Schmid, 1980

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Überstunden) einer Entlassung mit darauffolgender Arbeitslosigkeit vorzuziehen, da es den "Arbeitnehmern die Arbeitsplätze und dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitskräfte" (AFG § 63/1) erhält und dabei sowohl soziale als auch ökonomische Ziele unterstützt. Auch eine Periode der beruflichen Weiterbildung während der arbeitsfreien Zeit kann die Anpassung unterstützen. Hier bleibt allerdings die Frage offen, ob dafür Kurzarbeit notwendig ist, oder alternativ nicht betriebliche Weiterbildung öffentlich bezuschußt werden sollte, ohne den "Umweg" über Kurzarbeit einzuschlagen^.

Ist die Krise tief und dauerhaft und steht Beschäftigungsabbau fest, dann sind institutioneile Strukturen, die eine effektive Vermittlung der überzähligen Beschäftigten in eine Stelle am externen Arbeitsm arkt er­

möglichen, einer lang andauernden Kurzarbeit vorzuziehen. In diesen Si­

tuationen kann Kurzarbeit die nötigen Anpassungen verzögern und eine rechtzeitige Orientierung auf den externen Arbeitsm arkt verhindern. Die Alternative besteht jedoch nicht in der Entlassung in die Arbeitslosigkeit und in der Individualisierung des Arbeitslosenrisikos, sondern in der Schaffung interm ediärer Organisationen, deren Ziel in solch einer exter­

nen Vermittlung besteht, falls die Betriebe nicht selbst (es gibt Beispiele) ein "out-placement" ihrer überzähligen Beschäftigten betreiben. Durch die Schaffung der lange um strittenen Gesellschaften zur A rbeitsförde­

rung, Beschäftigung und Sfrukturentwicklung (ABS) sind solche Struktu­

ren geschaffen worden, deren Signalwirkung nicht wie bei Kurzarbeit auf eine meist illusionäre Rückkehr an den angestammten Arbeitsplatz und/oder Betrieb zielt, sondern auf den externen A rbeitsm arktü

Vor allem auch im Übergang von einem kollektiven zu einem indivi­

dualisierten Arbeitsm arkt ist eine derartige Zwischenstufe mit kollektiven Elementen besser als die Art der Individualisierung, die sich durch das In­

strument K urzarbeit/W eiterbildung rasch durchgesetzt hat.

6 So gab es etwa in Schweden solche antizyklisch eingesetzten Weiterbildungszuschüsse mit denen am Höhepunkt 1977 rund 4 % der schwedischen Erwerbstätigen (177 000) gefödert wurden. Allerdings wurden die Mitnahmeeffekte als hoch eingeschätzt (vgl. Schmid, op.cit S. 205).

7 Beispiele für ähnliche "Rekonversionsstrukturen" existieren auch in der "alten"

Bundesrepublik und in Frankreich, vgl. Bosch, 1989.

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Damit ist nicht gesagt, daß eine gescheiterte Politik gleichzeitig eine von vorneherein falsche Politik war. Im Nachhinein sind zwar alle klüger aber unter den Bedingungen, die im Juni 1990 herrschten (tiefgreifende Unsicherheit über die Entwicklung von Produkt-und Arbeitsm ärkten) schien die gefundene Lösung als "Instrument der ersten Stunde" durchaus angebracht und hat vor allem ihre soziale Funktion (Verlängerung von Kündigungszeiten, Vermeidung "offener" Arbeitslosigkeit) erfüllt. Nun sollte Kurzarbeit (durchaus in Verbindung mit Weiterbildung) wieder stärker seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt werden und bei kurzfri­

stigeren ökonomischen Krisenerscheinungen eingesetzt werden. Es macht Sinn, am Ende eines vorübergehenden Nachfrageeinbruchs beim Auf­

schwung über qualifizierte Arbeitskräfte zu verfügen. Weniger Sinn macht es, dieses Instrument als langfristige Hinausschiebung der Kündigung wei­

ter zu führen, da es für die Betroffenen als falsches Signal aufgefaßt wer­

den kann, das eine der Situation angebrachte Reorientierung auf dem ex­

ternen Arbeitsmarkt erschwert und die Wiederbeschäftigung beeinträch­

tigt. Für die Fortbildung und Vermittlung von Entlassenen auf dem exter­

nen Arbeitsmarkt (die eine W iederkehr auf ürsprüngliche Arbeitsplätze aber auch nicht verhindern, wie Beispiele aus der Stahlindustrie etwa im Saarland zeigen) gibt es inzwischen bessere Instrumente, die nun erhebli­

cher privater wie öffentlicher Unterstützung bedürfen.

Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die Kurzarbeitsson­

derregelung in den neuen Bundesländern, die zum 31.12.1991 ausgelaufen ist, trotz der angestrebten "aktiven” Nutzung als Strukturanpassungsin­

strument vor allem als sozialpolitisches Instrum ent zur Vermeidung

"offener" Arbeitslosigkeit genutzt wurde. Dies hängt einerseits mit den Problemen der Wirtschaft, der Privatisierungsstrategie der Treuhand und den sich daraus zumindest mittelfristig verstärkenden Unsicherheiten zu­

sammen. Andererseits stellt sich jedoch die Frage, ob nicht auch institu­

tionelle Voraussetzungen (wie etwa die stärker auf die Individuen als auf die Betriebe ausgerichtete Förderung der Weiterbildung) wenig geeignet sind, eine gleichzeitige Anpassung von betrieblichen Qualifizierungsbe­

dürfnissen und Qualifikationswünschen der Beschäftigten herbeizuführen.

Diese würde aber wiederum nur sinnvoll sein, wenn sie in eine umfassende Sanierungsstrategie eingebaut wäre.

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G abriele R achel

Kurzarbeit und Qualifizierung in den neuen Bundesländern

- Fallstudien -

1. Hoher arbeitsm arktpolitischer Handlungsbedarf

Mit der Währungsunion im Juli 1990 und dem Anschluß an das westdeutsche W irtschaftsgebiet ist die ostdeutsche Wirtschaft schlagartig in eine tiefe Struktur- und Anpassungskrise geraten. Die Konfrontation mit dem Weltmarkt und der Wegfall der Ostmärkte hat zu einem Produktionseinbruch in der überkommenen, ineffizienten Wirtschaft geführt, der in der Geschichte nicht seinesgleichen hat. Nach bisher vorliegenden und nur geschätzten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für Ostdeutschland wird das Bruttoinlandprodukt (BIP) in dieser Region im Jahre 1991 um mehr als 20 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen. Im Produzierenden Gewerbe wird sogar ein Rückgang von rd. 43 Prozent veranschlagt.^ Berücksichtigt man dabei, daß bereits im dritten Quartal 1990 das Produktionsvolumen im Bereich des Produzierenden Gewerbes auf die Hälfte gegenüber 1989 - dem Höchststand vor der Krise - gefallen ist, so erzeugt dieser zentrale W irtschaftsbereich nur noch ein D rittel seines ursprünglichen Volumens.

Mit dem Einbruch in der Wirtschaft und dem begonnenen Strukturwandel hat sich zugleich ein tiefer Einschnitt in der Arbeitsmarkt-

8 Siehe: Ostdeutschland: Der mühsame Aufstieg. Gutachten zur Lage und den Aussichten der Wirtschaft in den neuen Bundesländern. Hrsg. Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V., Berlin, S. 20 ff.

9 Die Tiefe des Produktionsrückgangs macht folgender Vergleich des ifo- Instituts deutlich: "Nach dem ersten Weltkrieg, im Jahre 1919, betrug die Industrieproduktion Deutschlands immerhin noch 57 Prozent der des Jahres 1913, und im Jahre 1932 - am Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise - wurden 59 Prozent des Niveaus der Indu­

strieproduktion des Jahres 1928 erreicht.", Ifo- Schnelldienst, München, 16-17/1991, 10.6.1991, S. 39

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und Beschäftigungssituation in den neuen Bundesländern vollzogen, der eine völlig neue Herausforderung an die Arbeitsm arktpolitik darstellt.

Nach Angaben des Arbeitsm arkt Monitors des IAB sank die Beschäftigung bis Juli 1991 um 2,2 Millionen auf rund 7 Mio. Das heißt, über 25 Prozent der bisherigen A rbeitsplätze sind bereits verlorengegangen.

Um diesen - noch keineswegs abgeschlossenen - Prozeß sozial abzufedern und die Herausbildung funktioneller interner und externer Arbeitsm ärkte mit bedarfsgerecht qualifizierten A rbeitskräften zu befördern, wurde erstmals im ostdeutschen Wirtschaftsraum das in den alten Bundesländern angewandte Instrum entarium der Arbeitsförderung zum Einsatz gebracht. Das trifft vor allem auf die Kurzarbeitergeldregelung (KUG), die Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen (FuU) und die Förderung der Berufsausbildung sowie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) als den wichtigsten Instrum enten aktiver Arbeitsm arktpolitik zu. Erweitert durch Sonderregelungen für die neuen Bundesländer wurden sie in einer völlig neuen Dimension angewandt, wie nachstehende Zahlen zeigen. So bewegte sich vom August 1990 bis September 1991 die monatliche Zahl der K urzarbeiter zwischen 1,3 und 2 Millionen. Im gleichen Zeitraum erhöhten sich die E intritte in Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen von 11 347 auf 350 000. Die Zahl der in ABM beschäftigten Personen stieg vom September 1990 bis zum September 1991 von 4 268 auf rund 313 000.

Darüber hinaus nahm von August 1990 bis September 1991 die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen von 361 286 auf 1 028 751 zu, was einer Arbeitslosenquote im September 1991 von 11,7 Prozent entspricht.

Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen wurden im Juli 1991 bereits als Dauerarbeitslose (+ 6 Monate) und etwa 10 Prozent als Langzeitarbeitslose ( + 1 Jahr) a u s g e w ie s e n Z u d e m wurden - um das Bild zu vervollständigen - bis zum September 1991 rund 600 000 Erwerbstätige in den Altersübergang bzw. Vorruhestand entlassen und so dauerhaft aus dem Arbeitsm arkt ausgegliedert. Der Anspruch auf

10 Siehe: Aktuelle Daten vom Arbeitsmarkt, Stand Oktober 1991, IAB werkstattbericht, Nr. 4.2/ 15.10.1991; Kurzinformationen über die neuen Bundesländer und Berlin (Ost), Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, im August 1991; Infratest. Sozialforschung, Arbeitsmarkt Monitor für die neuen Bundesländer, Schnellbericht: Daten für Juli 1991.

(20)

Altersübergangsgeld, der in den alten Bundesländern in erster Linie an - zwischen Arbeitnehm ern und Arbeitgebern ausgehandelte - Sozialpläne gebunden ist und somit vor allem eine soziale Komponente hat, wurde für die ostdeutschen Länder mit dem Einigungsvertrag in das Arbeitsförderungsgesetz übernommen. Als arbeitsmarktpolitisches Instrum ent entlastet das Altersübergangsgeld in einem nicht unbedeutenden Maße den Arbeitsm arkt und bewahrt Hunderttausende vor Arbeitslosigkeit. Zugleich ist jedoch nicht zu übersehen, daß Beschäftigte mit reichen beruflichen Erfahrungen dem Arbeitsmarkt verloren gehen und für viele Empfänger von Altersübergangsgeld der Verlust der Arbeitsmöglichkeit, der sozialen Bindungen im Betrieb und nicht zuletzt die erheblichen finanziellen Einbußen (durch niedrige Löhne als Bemessungsgrundlage) ein soziales Problem darstellen.

Die von der Bundesanstalt für Arbeit verausgabten Kosten für die aktive und passive Arbeitsm arktpolitik in den neuen Bundesländern betragen allein für 1991 etwa 30 Mrd.DM. Das sind rd. 13 Prozent des für 1991 vorausgeschätzten Bruttosozialprodukts für O stdeutschland.^ Für das Jahr 1992 sind für alle arbeitsm arktpolitischen Maßnahmen in den ostdeutschen Ländern rd. 45 Mrd.DM vorgesehen.

Einen Einblick in die Dimension der oben genannten Arbeitsförderungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern gibt auch ein Vergleich ihrer für das Jahr 1991 prognostizierten Zielgrößen mit denen der alten Bundesländer, die eine dreifach höhere Erwerbsbevölkerung verzeichnen:

11 Nach Schätzung der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Institute e.V., München beträgt das Bruttosozialprodukt 1991 in Ostdeutschland 226,5 Mrd. DM. Siehe: Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Herbst 1991. München am 17. Oktober 1991, Tabelle III

(21)

Maßnahmen Zahl der jahresdurchschnitt­

lich geförderten Personen

West Ost

Fortbildung und Umschulung ABM

Kurzarbeitergeldempfänger

335 500 101500 65 000

330 000 285 000 1370 00012 W eitere Einschnitte in die Beschäftigungssituation in den neuen Bundesländern sind im Zuge der noch bevorstehenden Privatisierung und Modernisierung der Betriebe zu erwarten. Allein bis Ende 1991 wird mit einem Abgang von Beschäftigten aus den noch von der Treuhand-Anstalt verwalteten Betrieben in einer Höhe von mehr als 500 000 gerechnet.

Mit einem W iederanstieg der Beschäftigung bei einer positiven Veränderung der wirtschaftlichen Lage ist zudem nicht nur mit einer zeitlichen Verzögerung von zwei bis zu drei Jahren - gemessen unter anderem an der arbeitsm arktpolitischen Wirkung von Investitionen - zu rechnen. Ein Großteil der von Arbeitslosigkeit zur Zeit betroffenen oder bedrohten Erwerbspersonen wird auch - wenn nicht ohnehin durch Frühverrentung aus dem Arbeitsprozeß ausgegliedert - in der bisherigen Qualifikation oder bisherigen Tätigkeit keine Beschäftigung mehr finden können. Damit wird auch künftig, insbesondere im Interesse der Arbeitskräfteanpassung, ein großer Bedarf hinsichtlich des Einsatzes von

arbeitsm arktpolitischen Instrum enten bestehen.

Ungeachtet des hohen Bedarfs an einer aktiven Arbeitsm arktpolitik sind die im Vergleich zu den alten Bundesländern völlig neue Dimension des Einsatzes arbeitsm arktpolitischer Instrumente und die dadurch verursachten Kosten ein um strittenes Thema. Das trifft besonders auf die betrieblichen und öffentlichen ABM sowie die Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung (ABS), aber auch auf die Kurzarbeitergeldregelung zu, die bisher am extensivsten in den neuen Bundesländern zur Anwendung gekommen ist.

12 Klauder/Kühlewind, 1991, S.9,

(22)

2. Kurzarbeit und Qualifizierung im Osten Deutschlands

Mehr als ein Jahr nach ihrer Einführung und an der Schwelle des Auslau­

fens der Sonderregelungen für die neuen Bundesländer kann man deshalb die Frage nach der Effektivität und Wirksamkeit der K urzarbeitergeldre­

gelung im Prozeß der Transformation und der strukturellen Anpassung der ostdeutschen Wirtschaft stellen. Es ist vor allem zu fragen, ob die Kurzarbeitergeldregelung die betrieblichen Umstrukturierungsprozesse gefördert hat und ihrer aktiven arbeitsm arktpolitischen Funktion, insbe­

sondere unter dem Aspekt einer Verbindung von Kurzarbeit und Qualifi­

zierung, gerecht geworden ist oder ob sie lediglich als Instrument sozialer Abfederung diente.

Die vorliegende Studie versucht Antworten auf diese Fragen aus zwei Quellen vorzulegen: So wird zum einen anhand der vorhandenen am tli­

chen Zahlen der Verlauf der Anwendung der Kurzarbeitergeldregelung für das gesamte Gebiet der ehemaligen DDR dargestellt. Zum anderen stellen wir hier die Ergebnisse von Fallstudien in sechs großen bzw. m it­

telgroßen Betrieben aus (Ost)Berlin und dem Land Brandenburg vor.

Um die Ergebnisse der betrieblichen Befragungen in die hinsichtlich der Kurzarbeit vorliegenden Rahmenbedingungen in den ostdeutschen Ländern einzuordnen, sollen zunächst diese grob Umrissen werden.

2.1. Kurzarbeit in Zahlen

Das von Beginn an des wirtschaftlichen Transformationsprozesses am ex­

tensivsten angewandte arbeitsmarktpolitische Instrum ent ist die Kurzar­

beitergeldregelung, die in den alten Bundesländern bisher vor allem der Sicherung von Stammbelegschaften und A rbeitsplätzen bei konjunkturell bedingten Produktionsausfall oder strukturellen Anpassungsprozessen in Betrieben oder Branchen diente. Durch Sonderregelungen für die neuen Bundesländer ( DDR-AFG und Einigungsvertrag) wurde die Einführung von Kurzarbeitergeld bei Arbeitsausfall ermöglicht, der auf "betrieblichen Strukturveränderungen oder betriebsorganisatorischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion"

(23)

beruht. 13 Zunächst befristet bis Juni 1991 wurde die K urzarbeitergeldre­

gelung aufgrund des Ausbleibens des wirtschaftlichen Aufschwunges und Gewerkschaftsforderungen im gleichen Monat bis zum 31.12.1991 verlän­

gert. Zugleich wurde u.a. verfügt, daß Kurzarbeiter, die an einer W eiter­

bildung teilnehmen, bis zu deren Ende Kurzarbeitergeld erhalten, auch wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld in­

zwischen weggefallen sind. Mit dieser Maßnahme sollte der bis dahin nur wenig genutzten Möglichkeit, Kurzarbeit mit betrieblicher Qualifizierung oder einer Umschulung zu verbinden, größere Geltung verschafft werden.

Seit Einführung der Kurzarbeitergeldregelung bewegt sich die Kurz­

arbeit sowohl mit flexibler als auch Null- Stunden- A rbeitszeit in allen neuen Bundesländern einschließlich Ost-Berlin auf einem hohen Niveau, wie die folgende Tabelle zeigt '^:

Tabelle 1

Anzahl der Kurzarbeitenden Januar

1990 1991

1 840 639

1992 519734

Februar - 1 947 058

März - 1 989 815

April - 2 018 907

Mai - 1 968 477

Juni - 1 898 937

Juli 656 000 * 1 615 893

August 1 499 872 1 448 847

September 1 728 749 1 332 504

Oktober 1 703 782 1 199 875

November 1 709 899 1 103 449

Dezember 1 794 032 1 034 543

* Inkrafttreten der Sonderregelung Ende Juni 1990

** Höchststand erreicht nach Verlängerung der Sonderregelung

* * * nach Auslaufen der Sonderregelung zum 31.12.1991

13 Siehe: Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag Bulletin, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn, Nr. 104 vom 6.9.1990, S.981 und 1103; Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 22. Juni 1990, GBL. I Nr. 36.

14 Siehe: Kurzinformationen über die neuen Bundesländer und Berlin (Ost), a.a.O.;

Aktuelle Daten vom Arbeitsmarkt, Stand Oktober 1991, a.a.O

(24)

Der Anteil der Kurzarbeiter im September 1991 an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (Stand Sept. 1989) betrug 12,2 Prozent.

Tabelle 2

K urzarbeiter in Ostdeutschland

Personen

in Kurzarbeit Juli 90 Sept 90 Dez 90

1 794 032 42,9

Jan 91

1 840 639

Apr 91

2 018 907 43,5

Sep 91

1 333 362

Dez 91 Jan 92

1 034 543 519 000 48,7

Gesamt (in Tsd) 656000

Frauen (in %)

1 728 749

Arbeitsausfall (in %)

10-50 % 67,7 58,7 51,5 43,4 41,3 39,9

50-100 % 32,3 41,3 48,5 56,6 58,7 60,1

Durchschnitt in % 43,5 48,3 52,0 55,4 56,9 57,4

Qualifizierung^ (in Tsd) - 23 688 36 842 42 913 70 298 80 856 75 007

in % 1,43 2,0 2,3 3,5 6,1 7,3

1 ein Höhepunkt mit 86 674 Kurzarbeiterinnen in Qualifizierung (4,5 %) wurde im Juni 1991 erreicht Quelle: Statistik BA, ST 42 D

Wie die Tabelle zeigt, arbeiteten die Kurzarbeiter von Beginn der R e­

gelung bis Ende 1990 mehrheitlich noch über 50 Prozent der V ollarbeits­

zeit. Im Jahre 1991 hat sich das Verhältnis jedoch umgekehrt.

Von allen Kurzarbeitern arbeiteten im Juli 1991 bereits 80 Prozent mehr als 6 Monate verkürzt. Mitte September 1991 waren 58 Prozent aller K urzarbeiter aus Betrieben bereits über ein Jahr davon b e tro ffe n .^

Die Kurzarbeiter verteilen sich zum einen auf alle W irtschaftsberei­

che und Regionen der ehemaligen DDR. Zum anderen ist eine zahlenmä­

ßige Konzentration vor allem in jenen Bereichen zu verzeichnen, die bis­

her die Schwerpunkte der wirtschaftlichen Entwicklung regional und lan­

desweit bildeten. Nach Angaben des Sachverständigenrates zur Begutach­

tung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Jahresgutachten 1991/92) entfallen 60 Prozent der K urzarbeiter auf das verarbeitende Gewerbe.

Überproportional ist mit 14 Prozent Kurzarbeitern der Anteil, der auf den

15 Siehe: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1991/92, November 1991, S.115f.

(25)

Bereich Land- und Forstwirtschaft entfällt.

Eine Analyse von Dezember 1991 zeigt, daß die Kurzarbeiterquote u.a. in der M etallbranche, der Elektrotechnik, dem Bergbau, Maschinen­

bau und der Chemiebranche besonders hoch ist. Branchen mit geringer Quote sind dagegen die Mineralölbranche, der Ausbau und das Bauhilfs­

gewerbe sowie die Wirtschaftsgruppen Wasser, Energie und Druck.

Die Zahlen für diesen Monat geben auch Aufschluß über die regionale Verteilung und die Verteilung nach Geschlecht. Die Streuung der Kurzar­

beiterquote nach den fünf neuen Ländern ist gering (von 21,2 % in Meck­

lenburg-Vorpommern bis 24,8 % in Thüringen), nur Ostberlin weicht mit einer Quote von nur 11,7 % deutlich ab.

Frauen hatten im Jahresdurchschnitt eine etwas niedrigere Kurzarbei­

terquote als Männer. Der relative Anteil der Frauen an allen Kurzarbei­

tern in den neuen Ländern stieg - bei einem absoluten Rückgang der An­

zahl - von 42,9 % im Dezember 1990 auf 48,7 % im Dezember 1991. Dies dürfte allerdings nicht mit einem stärkeren Abgang von Männern in Be­

schäftigung Zusammenhängen, sondern mit einer vermehrten Kündigung kurzarbeitender Männer und ihren Übergang von Kurzarbeit in A rbeitslo­

sigkeit.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß sich im Oktober 1991 rund 700 000 Kurzarbeitende, das sind 50 % des damaligen Bestandes, in F ir­

men befanden, die in Treuhandleitung waren, wovon rund 60 % einen fast vollständigen Arbeitsausfall hatten.

Nur ein geringer Prozentsatz der K urzarbeiter hat die Chance ergrif­

fen, sich während der arbeitsfreien Zeit weiter zu qualifizieren. Eine Höchstzahl an K urzarbeiterinnen in FuU Maßnahmen wurde im Juni 1991 erreicht, danach sank die Zahl wieder ab. Der Anstieg bis Juni 1991 dürfte auch damit Zusammenhängen, daß der tarifliche Zuschlag von 22 % zum Kurzarbeitergeld in einigen Branchen, der im Prinzip unabhängig von der Bildungsbeteiligung gewährt wurde, bei Kurzarbeitenden in FuU über das Datum des Auslaufens der tariflichen Regelung im Juni 1991 hinaus bis März 1992 bezahlt werden mußte. Im September 1991 hat sich der Prozentsatz wieder verringert. Von der Gesamtzahl der K urzarbeiter in diesem Monat waren 80 856 in einer Umschulung oder Fortbildung, was

(26)

einer Rate von rd. 6 Prozent entspricht (vgl. Tabelle). Der Anteil der sich weiterbildenden K urzarbeiter am Bestand der Teilnehmer an Fortbil- dungs- und Umschulungsmaßnahmen insgesamt betrug im gleichen Monat etwa 23 Prozent.

Die Gliederung nach Wirtschaftsgruppen weist eine überproportio­

nale Teilnahme von K urzarbeitern an Fortbildung und Umschulung im Maschinenbau und der Elektroindustrie sowie in abgeschwächter Form im Bauhauptgewerbe aus, die eigentlich als Wachstumsbranchen gelten, aber von den Krisenprozessen tief betroffen sind. Eine relative Konzentration zeigt sich zudem in all jenen Bereichen, die einem dauerhaften Schrump­

fungsprozeß unterliegen, und wo eine größere Entwertung der bisherigen Oualifikation zu erwarten ist, wie z.B. in der Landwirtschaft, dem Berg­

bau, der Chemie- und Textilindustrie. Gleichwohl steht die Beteiligung von Kurzarbeitern an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen insgesamt gesehen nur bedingt im Verhältnis zu den sich aus den U m strukturie­

rungsprozessen ergebenden Erfordernissen einer beruflichen Neuorien­

tierung.

2.2. Fallstudien zur Kurzarbeit

Die ursprüngliche Auswahl der Fallstudien erfolgte nach Branchenge­

sichtspunkten und dem Vorhandensein von K urzarbeitern im Betrieb. So wurden zunächst ein Betrieb der Telekommunikationsbranche, ein me­

tallverarbeitendes Unternehm en und ein Dienstleistungsunternehmen ausgesucht, zu denen im Rahmen einer Erweiterung des Projekts noch ein Betrieb aus der Branche Elektrotechnik/Elektronik, ein chemischer Be­

trieb und ein Unternehm en aus der Fahrzeugbranche kamen. Die Sanie­

rungskonzepte der ausgesuchten Betriebe variierten in einer großen Bandbreite: so erfolgte entweder eine Übernahme durch große westdeut­

sche Konzerne (2 B etriebe) oder durch einen ausländischen m ultinatio­

nalen Konzern mit einer westdeutschen Tochtergesellschaft (1 Betrieb) oder durch ein westdeutsches Kleinunternehmen nach anfänglichen Ver­

suchen einer eigenständigen Sanierung (1 Betrieb). U nter unseren Bei­

spielen gibt es auch eine Ausgliederung aus einem Kombinat durch

(27)

"management-buy-out" sowie den Verkauf eines Kombinatsteiles an einen Unternehm er und Immobilienhändler ohne klares Sanierungskonzept (1 Betrieb).

Obwohl die Fallstudien im statistischen Sinne nicht repräsentativ sind, lassen sie doch Aussagen über die mögliche Bandbreite der Anwendung der Kurzarbeitergeldregelung zu.

Generell kann angemerkt werden, daß in keinem der befragten Be­

triebe Kurzarbeit "aktiv" zur Bewältigung des Strukturwandels im Betrieb eingesetzt wurde, etwa in der möglichen Verbindung zwischen Kurzarbeit und Qualifizierung. Kurzarbeit bedeutete für die Betriebe vor allem einen ersten Schrift hin zur Kündigung. Das Ausmaß der Kurzarbeit hing aber auch mit dem vor der Privatisierung bereits (meist von der Treuhand) ge­

tätigten Personalabbau zusammen. Während einige Firmen von der Treu­

hand Auflagen über das Ausmaß des zu tätigenden Personalabbaus be­

kamen und Kurzarbeit als sozialen "Fallschirm" einsetzten, konnten an­

dere (so die im folgenden beschriebenen Ausgründungen) ihre A rbeits­

kräfte neu einstellen, während die K urzarbeiter in Kombinatsteilen blie­

ben, die nach wie vor zur Treuhand gehörten. Dies könnte mit erklären, warum Treuhandfirmen im September 1991 zwar nur ein Viertel aller A r­

beitnehm er in den neuen Ländern beschäftigen, aber 50 % der Kurzarbei­

ter "verwalteten".

In zwei der befragten G roßbetriebe spielte die K urzarbeitergeldre­

gelung eine marginale Rolle. Beide Unternehm en wurden von renom m ier­

ten westdeutschen Konzernen aufgekauft, die mit ihren Produkten füh­

rende Positionen auf dem W eltmarkt einnehmen. Obgleich die Sanierung der übernommenen Betriebe noch nicht abgeschlossen ist, existieren von seiten der Unternehm ensleitungen klare Absichten über die Entwicklung der zu einem Teil weitergeführten bzw. neu in Gang gesetzten Produktion sowie über weitere Investitionen. Das für die laufende Produktion not­

wendige Personal wurde im Prinzip aus den aufgekauften Betrieben über­

nommen.

Das erste Unternehm en gehört zur Chemiebranche. Es war bis zur Auflösung der Kombinatsstruktur im Juni 1990 das Stammwerk eines der großen Chemie-Kombinate der DDR, das spezialisiert auf einen chemi-

(28)

sehen Grundstoff insbesondere für den Binnenmarkt und den RGW-Markt produzierte. Im Herbst 1990 wurde das Stammwerk von einem großen, in­

ternational operierenden Chemieunternehmen aufgekauft, das seinen Sitz (M uttergesellschaft) in Westdeutschland hat.

Mit der Übernahme des ostdeutschen Betriebes wurde ein neuer Standort errichtet, dessen Kern - nach Sanierung und Modernisierung so­

wie Ausbau - die bisherige Hauptproduktion einschließlich der entspre­

chenden Forschung und Entwicklung bilden soll. Zugleich ist durch die Verlagerung von Produktionen aus den alten Bundesländern an den neuen Standort eine Neugestaltung der Tochtergesellschaft In den neuen Bun­

desländern eingeleitet bzw. vorgesehen. Veranschlagt für die M odernisie­

rung und den Ausbau des Standortes sind Investitionen in Höhe von 1 Mrd. DM in den nächsten Jahren.

Mit dem Kauf des Unternehmens wurde zunächst die Anzahl der im Werk noch vorhandenen Beschäftigten übernommen und diese auf der Ba­

sis von Sozialplanregelungen minimiert. Hauptweg der Personalreduzie­

rung waren Ausgründungen von Betriebsteilen (z.B. Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe), die Förderung von anderen Existenzgründungen sowie Abgänge in das Altersübergangsgeld bzw. den Vorruhestand. E nt­

lassen wurden vom Oktober 1990, dem Zeitpunkt des Kaufs des Werkes, bis Herbst 1991 rund 12,4 Prozent der Beschäftigten, denen über das Werk Umschulungsmöglichkeiten und ein Einsatz in der vom Betrieb m itgetra­

genen Beschäftigungsgesellschaft angeboten wurden. Die Zahl der Kurz­

arbeiter bewegte sich im Verhältnis zum Gesamtabbau der Beschäftigten auf einem geringen Niveau. Sie betrug zum l.August 1991 rd. 9 Prozent der Beschäftigten. Rund 75 Prozent davon waren in Kurzarbeit mit 0 Stunden. Da der Personalabbau noch nicht abgeschlossen ist, ist anzu­

nehmen, daß K urzarbeiter mit 0 Stunden eine Vorstufe der Entlassung darstellt. Die relativ geringe Zahl von Kurzarbeitern entspricht hier der Auffassung, daß die Kurzarbeiterregelung letztlich die Arbeitslosigkeit

"vertusche" und die M obilität und Eigeninitiative der Betroffenen bremse.

Bei dem zweiten befragten Unternehm en handelt es sich ebenfalls um ein ehemaliges Stammwerk eines großen Kombinates der DDR. Es hatte eine Monopolstellung (im Bereich der Investitionsgüterindustrie) und

(29)

setzte seine Produkte vor allem auf dem Binnenmarkt, in östlichen Ländern sowie den Entwicklungsländern ab. Nach dem Scheitern eines zunächst vorgesehen Joint-Venture mit einem führenden westdeutschen Konzern zwecks W eiterführung der bisherigen, allerdings stark moderni­

sierten Produktion im Gefolge der Währungsunion, wurde ein Teil des Stammwerkes schließlich von der Konzerngruppe übernommen.

Zwischen der Konzerngruppe und der Treuhandanstalt wurden am Standort des zum 1.7.1990 zu einer GmbH umgewandelten Stammwerkes zwei Firmen gebildet. Während die eine Firma eine Entwicklungsgesell­

schaft ist, dient die andere der Produktion. Im Lohnauftrag werden Pro­

dukte eines Typs m ontiert, die parallel auch in einem zum Konzern gehö­

renden Werk in den alten Bundesländern gefertigt werden. Die nötigen Ausrüstungen für diese Fertigung wurden von der Treuhand finanziert.

Der Anlauf einer weiteren Produktreihe ist geplant, wobei es sich um eine Verlagerung der Produktion von einem westdeutschen zu dem ostdeut­

schen Standort handeln soll. Darüber hinaus ist vorgesehen, in der unm it­

telbaren Nähe des jetzigen Unternehmens ein weiteres Werk neu zu er­

richten. Insgesamt ist ein Investitionsvolumen von über 1 M rd.DM für den Ausbau des neuen Standortes veranschlagt.

Von den von uns befragten Produktionsunternehm en wurden von den ehemalig rd,8 500 A rbeitskräften des Stammwerkes (Stand 1.7.1990) rd. 1 700 Arbeitskräfte übernommen. In der Entwicklungsgesellschaft sind 150 Arbeitskräfte beschäftigt. In beiden Gesellschaften sind zudem zusammen 450 Auszubildende untergekommen. Da die Firmen als eine Neugründung gelten, wurde das gesamte erforderliche Personal neu eingestellt, so daß arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in dem oben genannten Sinne nicht zum Einsatz kommen. Das Werk verfügt deshalb auch über keine Kurzar­

beiter. Wie bei anderen privatisierten Betrieben auch, dürfte ein Großteil der alten Belegschaft bei Treuhandbetrieben geblieben sein und dort kurzarbeiten bzw. gekündigt worden sein, einige wurden durch Ausgrün­

dungen (wieder-)beschäftigt, andere suchten sich selbst eine Stelle.

Ein weiteres Unternehm en, das von der deutschen Tochter eines in­

ternationalen Telekommunikationskonzerns übernommen wird (zum Zeitpunkt der Befragung war es noch zu 50% im Besitz der THA) wurde

(30)

bereits im Frühjahr 1991 befragt. Bei dem befragten Unternehm en handelt es sich um die Sparte Anlagenbau mit 4 Betrieben eines ehem ali­

gen Großkombinats der DDR, die aus diesem ausgegliedert wurde und in eine eigene Gesellschaft übertragen wurde.

Wie in den anderen Betrieben war das Hauptproblem im Frühjahr 1991 der durchzuführende dramatische Arbeitskräfteabbau: in den aus vier Betrieben bestehenden neuen Unternehm en waren vorher ca. 3000 Personen beschäftigt, nun gilt ein Personalstand von maximal 800 als Zielgröße. Im befragten Betrieb selbst, der Forschung und Entwicklung sowie Anlagenbau des früheren Kombinats umfaßt, soll von 1500 auf unter 600 abgebaut werden. Dabei muß unterschieden werden zwischen dem Anlagenbau und der Verwaltung, Forschung und Entwicklung. Während vor allem im letzteren, als "Wasserkopf" bezeichneten Bereich, starker A bbaubedarf besteht, werden die hochqualifizierten, bereits zu DDR Z ei­

ten im sogenannten N8W-Ausland (Nicht sozialistisches Weltsystem) tä ti­

gen Anlagenbauer (ca. 400) alle übernommen. Sie werden dabei in die weitergehenden Strategien des Konzerns eingebaut: so ist zum Zeitpunkt der Befragung geplant, sie in ein bereits bestehendes Zweigwerk des Kon­

zerns in Westberlin, das nicht im Anlagenbau tätig ist und selbst Beschäf­

tigte abbaut, zu transferieren. Diskussionspunkt zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat ist die Frage der Bezahlung: niedrige Ostlöhne oder hö­

here Westlöhne? Diese Frage ist auch insofern von Bedeutung, da qualifi­

zierte Facharbeiter (die nach einer kurzfristigen Anpassung, die im Stammbetrieb der deutschen Tochter des Konzerns durchgeführt wird,

"Westniveau" haben) oft von W estbetrieben abgeworben werden. Wichti­

ger Grund für eine Übernahme des Kombinatsteils durch den Konzern ist der damit erreichte Zugang zu dem als zukunftsträchtig und profitablen betrachteten Markt für den Aufbau einer Telekommunikationsinfrastruk­

tur in den neuen Bundesländern und in späterer Folge auch anderen ost­

europäischen Staaten. Zur Zeit der Befragung war auch geplant, das ost­

berliner Betriebsgelände mit Hilfe von ABM-Beschäftigten zu sanieren und abzustoßen.

Zur Zeit der Befragung waren ca. 300 Personen (aus dem Angestell­

tenbereich) in Kurzarbeit, davon 95 % auf 0 Stunden. Kurzarbeit wird hier, wie in den meisten Betrieben mit hohem Personalabbau, als Vorstufe

(31)

zur Kündigung aufgefaßt.

In einem weiterem Betrieb, der Mitte 1991 über Management-buy-out entstanden ist und geführt wird, spielte die Frage der Kurzarbeit dagegen so gut wie keine Rolle. Es arbeiteten lediglich einmal drei Beschäftigte zwei Monate kurz.

Das Unternehm en ist eine Ausgründung aus einem gleichfalls großen Kombinat, das zur Branche der Elektroindustrie gehörte. Dabei handelt es sich um jenen Betriebsteil, in dem die Forschung und Entwicklung kon­

zentriert war. Das verselbständigte U nternehm en fungiert als GmbH, de­

ren Hauptgesellschafter und zugleich Geschäftsführer 5 M itarbeiter sind.

Beteiligt an der GmbH sind dreißig weitere M itarbeiter.

Anknüpfend an das bisherige Profil des Betriebsteils unterhält das Unternehm en u.a. eine kleine Produktionsstätte, in der in Lohnarbeit vor allem Aufträge aus anderen Firmen, insbesondere aus den alten Bundes­

ländern realisiert werden und eine Abteilung für Automatisierungstechni­

ken. Einem Bereich obliegt - in Kooperation mit einepi renommierten westdeutschen Unternehm en - der V ertrieb von Computertechnik. Zudem verfügt das Unternehm en über einen eigenständigen Bildungsträger, der W eiterbildungsveranstaltungen - meist in Kooperation mit einem größe­

ren westdeutschen Unternehm en - sowohl für eigene Beschäftigte als auch für externe Teilnehmer betreibt.

Die Verwaltung des Unternehmens wurde stark reduziert. Ziel des Unternehm ens ist, daß künftig alle Bereiche ihre M ittel selbst erwirtschaf­

ten (profit-centers).

Mit der Ausgründung des Betriebsteils und seiner Privatisierung wurde aus dem bisherigen Bestand von etwa 900 Beschäftigten eine neue Belegschaft zusammengestellt. Es wurden rund 200 der ehemaligen Be­

schäftigten ausgewählt, wobei die vorhandene Qualifikation als eines der H auptkriterien angegeben wurde. Der verbleibende Teil der Beschäftig­

ten wurde in dem von der Treuhand verwalteten Kombinat belassen, wobei sie dort überwiegend O-Stunden kurzarbeiteten.

Auf Grund der noch schlechten Auftragslage des MBO -U nterneh­

mens befinden sich von der gegenwärtigen Belegschaft allerdings 28 Pro­

(32)

zent in einer ABM. Dabei handelt es sich m ehrheitlich um hochqualifi­

zierte Arbeitskräfte (zum großen Teil Spezialisten) und einige Facharbeiter, die auf diese Weise für das Unternehm en erhalten bleiben sollen. Die ABM-Kräfte arbeiten an Aufträgen, die mit dem örtlichen A r­

beitsam t abgesprochen sind und die u.a. der Stadtverwaltung sowie Schu­

len zugute kommen.

Die volle Bezahlung durch das Arbeitsam t und der 30 prozentige Sachkostenmittelzuschuß waren der ausschlaggebende Grund, daß mit ei­

ner ABM gearbeitet wird. Die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld wird von Seiten der Betriebsleitung abgelehnt, da vor allem die geringe Bezahlung eine Gefahr der Abwanderung in sich berge.

In einem weiteren Unternehmen, einer GmbH, die vor der Ausgrün­

dung und dem im Sommer 1991 erfolgten Verkauf an eine westdeutsche Unternehmensgruppe zu einem großen Kombinat gehörte, wurde von Be­

ginn der Umwandlung an extensiv die Kurzarbeitergeldregelung genutzt.

Der Betrieb, der zur Branche Elektrotechnik/ Elektronik gehört, wurde entgegen dem ursprünglichen Sanierungskonzept der Geschäfts­

führung, das eine Aufteilung des Werkes und die Übernahme von Teilen durch westdeutsche und einheimische M ittelständler mit einer Beschäfti- gungs-und Produktionsgarantie vorsah, durch die Treuhandanstalt an einen westdeutschen Unternehm er und Immobilienhändler verkauft. Ob das Werk als Produktionsstätte eine Überlebenschance hat, war zum Zeitpunkt der Befragung offen. Investitionszusagen der in den Betrieb eingestiegenen Konzern-Gruppe beliefen sich auf 120 Mio DM und Be­

schäftigungszusagen wurden für 2700 Arbeitnehm er gegeben.

Das aufgekaufte Unternehm en gehörte zum Stammwerk des ehemali­

gen Kombinats, in dem 1989 rund 7000 Beschäftigte tätig waren. Bereits 1990 wurde eine drastische Personalreduzierung von seiten der Treuhand beschlossen. Die ersten Kündigungen wurden zum 30. Juni 1990 ausge­

sprochen. Die 2. Welle erfolgte zum 30.9.90 und die dritte zum 30.6.1991 (entsprechend den tariflichen Vereinbarungen). W eitere Kündigungen wurden innerhalb des Betriebes zum Jahresende 1991 (etwa 200) aus­

gesprochen. Über 500 Beschäftigte haben 1991 selbst gekündigt und in den alten Bundesländern und Westberlin eine neue A rbeit gefunden.

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