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Ursprung und Entwicklung des südkoreanischen Bildungssystems

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Ursprung und Entwicklung des südkoreanischen Bildungssystems

Max Pechmann

1 Die PISA-Studie und die Suche nach Erklärungen

Als die Ergebnisse der PISA-Studie des Jahres 2003 veröffentlicht wurden, trauten viele ihren Augen nicht. Deutschland, eines der führenden Industrieländer, bekam für seine Schüler die schlechtesten Noten. Die Aufregung war groß, und man blickte neidisch, doch zugleich ratlos nach Ostasien. Was viele erwartet hatten: Japan nahm bei allen drei Kategorien (Textverständnis, Lesen, Mathematik) die vordersten Plätze ein. Jedoch nicht alleine. Auch Südkorea befand sich in der Spitzengruppe.

Im Bereich Problemlösen, der im Jahr 2003 neu in die PISA-Studie aufgenommen wurde, nahm Südkorea sogar den ersten Platz ein.

In manchem Weltalmanach wird Südkorea noch immer als ein Schwellenland aufgeführt. Was an den Herausgebern dieses Werkes vorbeiging, ist die Tatsache, dass Südkorea Platz 11 in der Rangliste der führenden Industrienationen einnimmt.

Und ein Schwellenland, in dem die Alphabetisierungsrate beinahe 100% beträgt?

Für Modernisierungsforscher ist Alphabetisierung eines der wesentlichsten Merkmale für einen Modernisierungsprozess. Daniel Lerner stellte in den 1950er- Jahren die These auf, dass Industrialisierung und Bildung Hand in Hand gehen. In der Tat, so Lerner, gebe es keinen Industrialisierungsprozess, der nicht mit einer zunehmenden Bildungsrate einhergehe.

Für lange Zeit bildete Japan das beste Beispiel dafür. Japan ist eine vollindustri- alisierte Gesellschaft mit einer extrem hohen Bildungsrate. Berichte über das japani- sche Bildungssystem erscheinen in regelmäßigen Abständen sogar in deutschen Tageszeitungen oder in Auslandsberichten im Fernsehen. Der Grund: Hierzulande wird es noch immer als erstaunlich angesehen, dass Schüler in Japan von neun Uhr früh bis vier Uhr nachmittags die Schulbank drücken, um danach bis 10 oder 12 Uhr nachts Nachhilfeunterricht zu bekommen.

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Vom südkoreanischen Schulwesen wird dagegen kaum etwas berichtet. Dennoch gibt es zwischen dem japanischen und dem koreanischen Schulsystem starke Ähn- lichkeiten. Auch dort beginnt der Unterricht ungefähr um neun Uhr und endet um vier Uhr nachmittags. Danach besuchen beinahe 70% aller Schüler Nachhilfeschu- len. Noch spät in der Nacht fahren Schulbusse die Mädchen und Jungen nach Hause.

Viele Koreaner sind davon überzeugt, dass eine gute Bildung die Grundvoraus- setzung für wirtschaftliches Wachstum ist. Fast alle sind der Meinung, dass man in Korea nur durch eine gute Bildung einen beruflichen und damit sozialen Aufstieg erlangen kann.

Andererseits wird das Schulsystem immer öfter als nicht mehr angepasst bezeichnet. Die asiatische Wirtschaftskrise hat deutlich gemacht, dass eine gute Schulbildung von nun an keineswegs mehr berufliche Karriere und sozialen Auf- stieg bringt. Und nicht nur das. Immer mehr Schüler sehen sich gegenüber dem Schulsystem überfordert. Mobbing, Vereinzelung, sogar Selbstmord sind die Folge.

Dennoch versuchen viele Sozialwissenschaftler, das gute Abschneiden Südko- reas bei der PISA-Studie allein durch das strenge und sehr harte Schulsystem zu erklären. Im Folgenden biete ich keine Erklärung dafür an. Vielmehr möchte ich einerseits nach den Ursachen und damit nach den Ursprüngen für dieses Schulsys- tem suchen und andererseits darstellen, wie sich dieses System im Laufe der Zeit entwickelt hat. Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft den Nachhilfeunterricht, dem in Südkorea ein sehr hoher Stellenwert zugesprochen wird. Diesem Phänomen soll ein Extrakapitel gewidmet werden. Zum Schluss soll auf die negativen Effekte des Schulsystems eingegangen werden.

2 Die Zeit der japanischen Besetzung – der Beginn des modernen Schulsystems?

Die Frage nach dem Beginn des modernen Schulsystems in Südkorea ist gleichzu- setzen mit der Frage nach dem Beginn der Modernisierung. Hinsichtlich der Moder- nisierung gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Eine Gruppe von Historikern, Ost- asien- und Modernisierungsforschern ist der Meinung, dass die Moderne während der japanischen Besetzung, also zwischen 1878-1945, Einzug gehalten habe. Eine zweite Gruppe behauptet, die Modernisierung Südkoreas habe erst nach dem Korea- krieg begonnen. In der Tat ist man bis heute auf keine konkreten Beweise gestoßen, welche eine der beiden Behauptungen untermauern würde. Es hängt natürlich stets davon ab, was man genau unter Modernisierung versteht und welche Aspekte der Modernisierung man bei einer Untersuchung berücksichtigen möchte. In diesem Artikel haben wir nur einen einzigen Aspekt zur Verfügung, und das ist derjenige der Bildung. Vor unserer Darstellung der Entwicklung des modernen Bildungssys- tems ist es zunächst wichtig, kurz zu erklären, was genau der Begriff Modernisie- rung beinhaltet. Ganz allgemein gesprochen bedeutet Modernisierung, dass eine traditionale Gesellschaft, die von traditionalen Werten und Moralvorstellungen ge- prägt ist, in welcher kein rationales, d.h. mathematisch-naturwissenschaftliches

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Weltbild vorherrscht, sondern ein Weltbild, das auf religiösen, nicht auf einer rationalen Basis ruhenden Vorstellungen basiert, sich transformiert in eine Gesell- schaft, in der eben diese rationalen Denkbilder nicht nur das Weltbild, sondern ge- nauso das Alltagsleben bestimmen. Dadurch ändern sich ebenfalls traditionale Werte und Moralvorstellungen. Dies kann so weit gehen, dass diese Werte und diese Moral gänzlich verloren gehen und durch andere ersetzt werden. Hinsichtlich Südkoreas und speziell für den Aspekt der Bildung bedeutet dies, dass ein traditionales Bil- dungssystem, das konfuzianisch geprägt ist und aus diesem Grunde nur einer be- stimmten Elite zugute kommt, sich derart verändert, dass die konfuzianischen Ele- mente wegfallen und das Bildungssystem der ganzen Bevölkerung dienlich ist, un- abhängig ebenfalls vom Geschlecht. Es ist dabei unabhängig, ob der Primal Mover für solch eine Veränderung exogen oder endogen ist. Wichtig ist lediglich, dass eine solche Veränderung überhaupt zu bemerken ist.

Bevor auf die Veränderungen im japanischen Bildungssystem während der japanischen Besetzung eingegangen wird, soll daher zunächst das traditionale Bil- dungssystem in wenigen Absätzen dargestellt werden.

2.1 Bildung im traditionalen Korea

Schulen haben in Korea eine sehr lange Geschichte. Die älteste staatliche Schule wurde im Jahre 372 n.Chr. gegründet. Der Name dieser staatlichen Einrichtung lau- tete kukhak. Etwa 1.000 Jahre später wurde diese Schule unter dem Namen Song- gyungwan neu gegründet. Hauptsächlich diente diese Institution dazu, aus den Söh- nen der politischen Elite vornehme Herren zu machen. Daher wurden in erster Linie Benimmregeln vermittelt, welche die Schüler später dazu befähigen sollten, am gesellschaftlichen Leben der Elite teilzunehmen (Joe 2000: 714).

Ein weiterer Schwerpunkt des Songgyungwan war die Ausbildung von Examenskandidaten, welche sich für die hoch angesehenen Beamtenstellen bewor- ben hatten. Neben den Benimmregeln wurden daher auch Geschichte und Literatur unterrichtet.

Beim Eintritt in diese Schule waren die jeweiligen Kandidaten etwa 20 Jahre alt.

Die Ausbildungszeit dauerte insgesamt drei Jahre, in denen sich die Schüler mit den konfuzianischen Klassikern, mit Dichtung und Essayschreiben beschäftigten. Für alle Schüler war es verpflichtend, an den Zeremonien vor dem Schrein teilzuneh- men, der sich im Hof der Schule befand (Nahm 1996: 144).

Der Unterricht am Songgyungwan war sehr schwierig, und nur wenige Schüler schafften es bis zur Abschlussprüfung, die sogar im Beisein des Königs abgehalten wurde. Wie bereits erwähnt, stand diese schulische Einrichtung nur der Elite des Landes offen. Für die übrige Bevölkerung wurden sog. Provinzschulen eingerichtet, in denen Fächer wie Jura, Medizin, Sprachwissenschaften, Astronomie, Mathematik und Geographie angeboten wurden. Hinzu kamen ebenfalls Fächer wie Kunst und Musik.

Theoretisch durften die Provinzschulen von allen Teilen der Bevölkerung be- sucht werden. Praktisch sah dies jedoch anders aus. So konnten die Bauern ihre Söh-

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ne nicht entbehren, da alle Mitglieder der Familie für die Feldarbeit benötigt wurden. Sklaven und Frauen blieb der Besuch von Schulen von vornherein ver- wehrt.

Es ist also festzuhalten, dass es im traditionalen Korea zwei verschiedene Schul- systeme gab. Das eine war für die herrschende Elite, die yangban, vorbehalten, das andere diente den übrigen Bevölkerungsschichten, wobei die nobi, also die unterste Schicht, davon ausgeschlossen waren.1 Nicht die gesamte Bevölkerung profitierte demnach von einer schulischen Ausbildung. Diese bedeutete ebenfalls nicht, dass dadurch eine Möglichkeit zur vertikalen Mobilität geschaffen wurde. Das heißt, der Sohn eines Schusters konnte nicht Beamter werden, da dieser Beruf allein den yangban vorbehalten war.

Das traditionale Schulsystem zeigt ebenfalls, dass in den Schulen nicht Lesen und Schreiben gelehrt wurden, sondern dass diese Fähigkeiten bereits vorhanden waren. Die Kinder wurden bis zu einem bestimmten Alter zu Hause unterrichtet.

Und dort erlernten sie u.a. Lesen und Schreiben.

2.2 Reformierung des traditionalen Schulsystems

„The national salvation through new learning“ lautete der Bildungsslogan am Ende des 19. Jahrhunderts, der dazu aufforderte, das traditionale Bildungssystem so schnell wie möglich ad acta zu legen und ein reformiertes System aufzubauen (Joe 2000: 771). Ursache für diesen plötzlichen Wandel waren außenpolitische Verände- rungen sowie plötzliche soziale Transformationen in der koreanischen Gesellschaft.

Die äußeren Veränderungen wurden von der schwächelnden koreanischen Re- gierung als Bedrohung angesehen. Es war das Zeitalter des westlichen Imperialis- mus. China war weitestgehend unter den europäischen Nationen aufgeteilt, an Japan biss man sich die Zähne aus; was blieb, war jene Halbinsel, welche bisher von kaum jemandem richtig wahrgenommen worden war. Frankreich, die USA und Öster- reich-Ungarn gehörten zu den ersten Mächten, die versuchten, eine Öffnung des Landes zu erzwingen.

Koreas Reformer, eine Elite, hauptsächlich bestehend aus Intellektuellen, nah- men für ihr Projekt Japan als Vorbild. Ähnlich wie in Japan wollte man in Korea einen Modernisierungsschub in Gang setzen, der seinesgleichen suchte. Bildung war dabei die Grundvoraussetzung. Erst durch die Abkehr vom traditionalen Wissen und die „Einfuhr“ von neuem, d.h. modernem Know-how, konnte das feudale System zerbrochen und sozialer Wandel freigesetzt werden. Erst durch neues Wissen war es möglich, das Wirtschaftssystem zu reformieren, ein neues politisches System aufzubauen und, letztendlich, die Gesellschaft aus ihrem traditionalen Bett heraus- zuheben. Japan hatte dies bereits geschafft. Aus diesem Grunde erhoffte man sich durch dieselben Mittel einen meiji-äquivalenten Wandel auch im eigenen Land.

1 Das traditionale koreanische Schichtsystem war abgeleitet aus der konfuzianischen Lehre und in folgende vier Schichten eingeteilt: yangban, chungin, sangmin und nobi.

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In gewisser Weise wurde bereits durch die Kabo-Reform, die von König Kojong in Gang gesetzt wurde und durch die zweite Tonghak-Bewegung, die u.a. die Beseitigung des traditionalen Schichtsystems und mehr Rechte für Frauen forderte, Vorarbeit geleistet. Die Reformer bauten auf diesen so eingeleiteten Veränderungen auf, wollten sie sogar beschleunigen.

Dies hatte zur Folge, dass im Jahr 1904 die Zahl der neu gegründeten Schulen in die Zehntausende ging. Ebenfalls kam es zu ersten Gründungen christlicher Mis- sionsschulen. Bekannte Förderer dieser Einrichtungen waren u.a. Holmer Hulbert sowie Appenzeller. Im Jahr 1910 gab es etwa 1.000 dieser Einrichtungen (Joe 2000:

715). Ihr Schwerpunkt war das Erlernen europäischer Sprachen. Daneben wurden ebenfalls naturwissenschaftliche Fächer wie Mathematik, Physik und Chemie unter- richtet. Mary F. Scranton gründete im Jahre 1895 die wohl berühmteste Erziehungs- einrichtung, die Ewha Women’s University. Am ersten Unterrichtstag erschien eine einzige Schülerin. Heute zählt diese Universität zur größten Frauenuniversität der Welt.

2.3 Schulbildung während der japanischen Besetzung

1910 wurde Korea von Japan annektiert. Bereits 1875 hatte Japan begonnen, Korea nach und nach zu kolonisieren. 35 Jahre später war die Inbesitznahme der koreani- schen Halbinsel vollendet. Hatte Japan zunächst nur auf der politischen und wirt- schaftlichen Ebene auf Korea Einfluss ausgeübt, so begann die einzige nicht-westli- che Imperialmacht von 1911 an auch den kulturellen Bereich auf ihre Weise zu verändern.

Ein wichtiges Ziel in der japanischen Kolonisierung Koreas war die Japanisie- rung der koreanischen Gesellschaft. Zum einen führte dies zur Abschaffung der traditionalen Haartracht, zum anderen zur Vergabe japanisch klingender koreani- scher Namen. Das heißt, die Namen waren zwar koreanisch, mussten aber eine japanische Endung aufweisen (Rhee 1997: 39).

Die wichtigste Einflussnahme vollzog sich jedoch im Schulwesen. Koreanisch wurde als Unterrichtssprache abgeschafft. Stattdessen lernten die Schüler Japanisch.

Zugleich wurde den Schülern ein falsches historisches Weltbild vermittelt. Die Leh- rer lehrten, dass Korea nur durch die Unterstützung Japans existieren könne. Japan trat in dieser Hinsicht als Schutzmacht auf, nicht als brutale Kolonialmacht. Junge Koreaner sollten dadurch zu Japanern erzogen werden und ihre eigene Kultur ver- gessen. Der Bildungsweg der Koreaner war vehement eingeschränkt. Höhere Bil- dungsabschlüsse waren ihnen verwehrt. Wollten Koreaner studieren, so mussten sie nach Japan oder in die USA gehen. So gesehen war nur Kindern sehr reicher Eltern, d.h. vor allem aus der yangban-Schicht, die Möglichkeit gegeben, einen höheren Schulabschluss zu erreichen, um danach ein Studium zu beginnen (Rhee 1997: 40).

Allerdings änderte sich dies durch die Manse-Bewegung im Jahre 1919. Dieser friedliche Aufstand, der von der japanischen Regierung blutig niedergeschlagen wurde, forderte mehr Freiheiten, mehr Rechte sowie die Auslebung der eigenen

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Kultur.2 Obwohl der Aufstand niedergeschlagen wurde, gaben die japanischen Behörden schließlich nach, was dazu führte, dass in den Schulen wieder auf Korea- nisch unterrichtet werden durfte.

Während der japanischen Besetzung sind daher so gut wie keine Modernisie- rungsbestrebungen in Sachen Bildungssystem zu erkennen. Kurz vor der japani- schen Kolonisierung wurden wichtige Reformen durchgeführt, die sicherlich zu einer Modernisierung geführt hätten, doch wurden diese Bestrebungen durch die japanische Imperialmacht radikal unterbrochen.

3 Die Entwicklung des modernen Schulsystems

3.1 Ein erster Anfang: Die Phase 1945-1952

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges endete zugleich die japanische Besetzung Koreas. US-amerikanische Truppen wurden in Korea stationiert. Unter der Feder- führung der USA wurden Reformen durchgesetzt, die Korea so schnell wie möglich auf den Weg in die Moderne bringen sollten.

Die Basis für einen Modernisierungsprozess lieferte die Erneuerung des koreani- schen Schulsystems. Als erstes sollte die Analphabetisierungsrate gesenkt werden.

1945 lag diese in Korea bei 77,8% (Kimura 1990: 343). Durch die Anstrengungen, welche die Regierung nicht nur im Schulunterricht, sondern ebenso in der Erwach- senenbildung unternahm, sank die Rate der Menschen, die nicht lesen und schreiben konnten, bis 1948 auf 41,3%. Nach dem Koreakrieg, im Jahre 1953, lag die Anal- phabetisierungsrate bei 26%. Nur zwei Jahre später erreichte die Rate einen Stand von 12% (Kimura 1990: 343). Innerhalb von zehn Jahren sank also die Analphabeti- sierungsrate um insgesamt 65,8%. Die koreanische Regierung übernahm ein 6-3-3- System nach US-amerikanischem Vorbild (Kim und Lee 2003: 188). Dies bedeutete, dass sechs Jahre für die Grundschule vorgesehen waren, drei Jahre für die Mittel- schule und drei Jahre für die Oberschule. Bereits 1945 stieg die Anzahl der Ein- schreibungen für die Grundschule auf knapp 1,4 Millionen (Snodgrass et al. 1980:

5). Die Einschreibungen in den Hochschulen stiegen auf 83.514. Für die Mittel- schulen stehen keine Daten zur Verfügung.

1946 wurden verschiedenen Ziele für die Grund-, Mittel- und Oberschule defi- niert. Für die Grundschule stand das Erlernen der Muttersprache an erster Stelle.

Zweitens sollten den Schülern ein historisches Bewusstsein und Grundkenntnisse über das Funktionieren und den Aufbau des Staates sowie der jeweiligen Gemeinden übermittelt werden. Es sollten ebenfalls Grundkenntnisse in Mathematik und ande- ren Naturwissenschaften geschaffen werden. Den Kindern sollten gewissenhaftes Arbeiten sowie guter Geschmack bei der Auswahl ihrer Kleidung, der Wohnungseinrichtung sowie Benimmregeln beigebracht werden. Sie sollten Kennt- nisse in Musik und Literatur erwerben und, als letzter Punkt, auf wichtige Aspekte

2 Heute erinnern noch immer eine Reihe Denkmäler im Pagoda-Park von Seoul an dieses Ereignis.

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von Hygiene und Gesundheit aufmerksam gemacht werden (Snodgrass et al. 1980:

31-32). In der Mittelstufe sollten als erstes die gewonnenen Erkenntnisse aus der Grundschule erweitert und vertieft werden. Zweitens sollten die Schüler dazu gebracht werden, ihre eigenen Begabungen zu finden und zu fördern. Als dritter Punkt wurde die Gewinnung von Selbstdisziplin und der Fähigkeit zur kritischen Betrachtungsweise empfohlen.3 Der Lehrplan der Oberschule schließlich baute auf den Ergebnissen der Mittelschule auf. Zusätzlich sollten die Schüler lernen, ihr zu- künftiges Leben zu planen.

Seit 1949 wurden diese grundlegenden Erziehungsregeln, welche für das ganze Land galten, insgesamt 15-mal geändert. Die allgemeinen Lernziele der einzelnen Schularten blieben allerdings unangetastet (Snodgrass et al. 1980: 32-33).

Die ersten Maßnahmen, die hinsichtlich der Reformierung des Unterrichts unter- nommen wurden, waren die Ausmerzung japanischer Unterrichtsmethoden und japanischen Lehrstoffes. Beides sollte durch ein demokratisch verankertes Unter- richtssystem ersetzt werden. Infolgedessen wurden neue Schulen errichtet und Lehrer auf ihre neuen Aufgaben hin ausgebildet. Im Jahr 1945 wurden 2.834 neue Grundschulen eingerichtet, im Jahr 1948 stieg diese Zahl auf 3.443 (Kimura 1990:

345). Die Anzahl neuer Lehrer betrug 1945 knapp 19.800, drei Jahre später hatte sie sich auf rund 41.600 erhöht.

Auf ähnliche Weise wurden Anstrengungen in der Erwachsenenbildung unter- nommen, um durch zusätzlichen Unterricht allen Menschen, die älter als 15 waren, Lesen und Schreiben beizubringen. Lesen und Schreiben seien die Mindestvoraus- setzungen für ein Wirtschaftswachstum, lautete die Devise. Die Regierung rief Un- ternehmen, religiöse Vereinigungen, Stadtbehörden und auch Einzelpersonen dazu auf, sog. Volksschulen (kongmin hakkyo) ins Leben zu rufen. Im Jahr 1947 wurden aus diesem Grunde über 15.500 Lese- und Schreibkurse angeboten. Ein Jahr darauf stieg die Anzahl dieser Kurse auf rund 30.500 (Kimura 1990: 345). Die Zahl der Kursleiter (es handelte sich dabei nicht nur um Lehrer) stieg von gut 770.000 im Jahre 1947 auf über 1,6 Millionen im Jahre 1948. Die Teilnehmerzahl an diesen Kursen war dagegen eher gering. Im Jahr 1947 nahmen knapp 778.000 Erwachsene an dieser Unterrichtsform teil, im Jahr 1948 waren es 849.000.

Während des Koreakrieges wurde das Projekt der kongmin hakkyo nicht weiter- verfolgt. Erst ab etwa 1954 wurde der Erwachsenenunterricht wieder aufgenommen.

Dabei wurde der Unterricht auf die Belange der Bauern, die nicht lesen und schrei- ben konnten, ausgebaut.

3.2 Die zweite Phase: 1960 bis heute

1960 stellt den Beginn des koreanischen Wirtschaftswunders dar. Innerhalb von 20 Jahren katapultierte sich Südkorea von einem Land, das nach zwei Kriegen völlig

3 Die Befähigung zur kritischen Überlegung dürfte dabei jedoch so gut wie gar nicht vermittelt worden sein, bestand und besteht der Schulunterricht noch immer hauptsächlich im Auswendiglernen, um dadurch die Abschlussprüfungen bestehen zu können.

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am Boden lag, zu einer der führenden Industrienationen. Ein wesentlicher Faktor für diesen extrem schnellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel war die ebenfalls rasant ablaufende Bildungsexpansion. Dies machte sich zum einen durch eine enorme Zunahme der Errichtung neuer Schulgebäude bemerkbar. Zum anderen erhöhte sich die Schülerzahl um ein Vielfaches. Den dritten Faktor bildet die deutli- che Zunahme der Lehrerzahl. Das Schulsystem, das 1948 ins Leben gerufen worden war und das sechs Jahre Grundschule, drei Jahre Mittelschule, drei Jahre Oberschule und vier Jahre Hochschule vorsah, wurde unverändert weitergeführt (Lee 1981: 68).

Im Jahr 1965 gab es insgesamt 8.221 Schulen. Diese Schulen wurden insgesamt von rund 6,4 Millionen Schülern besucht. Die Gesamtzahl der Lehrer, die zur Verfügung stand, betrug rund 124.000. Auf jeden Lehrer kamen somit 51 Schüler. Noch drasti- scher ist die Differenz, wenn man sich die einzelnen Schultypen ansieht. Im Jahr 1965 gingen gut 4,9 Millionen Schüler in die Grundschule. Ihnen gegenüber standen knapp 79.200 Lehrer. Bei diesem Schultyp kamen auf jeden Lehrer etwa 62 Schüler.

Das Verhältnis Lehrer zu Schülern war demnach alles andere als ausgewogen. Die Mittelschule wurde von insgesamt über 751.000 Schülern besucht. Ihnen standen rund 19.000 Lehrer gegenüber. Das bedeutet, dass auf jeden Lehrer etwa 39 Schüler kamen. Die Oberschulen besuchten insgesamt 426.500 Schüler. Dort unterrichteten insgesamt 14.100 Lehrer; auf jeden Lehrer kamen daher ca. 30 Schüler (Ministry of Education – MOE). Die Folge dieser rasanten Bildungsexpansion waren vollkom- men überfüllte Klassenzimmer, übergroße Schulgebäude und eine geringe Menge qualifizierter Lehrer. Es wurden daher verschiedene Reformen in Angriff genom- men, um das schulische Chaos in geordnete Bahnen zu lenken und damit die Effi- zienz der Schulen zu erhöhen. Eine der wichtigsten Erneuerungen dabei war der Eingangstest für die Mittelschule. Dadurch ergab sich jedoch ein weiteres Problem.

Die für die Grundschule vorgesehenen Ziele gerieten immer mehr in den Hinter- grund. Statt dessen diente der Unterricht in der Grundschule vor allem der Vorbe- reitung auf die Aufnahmeprüfung für die Mittelschule. Die Gesundheit vieler Schü- ler verschlechterte sich, da sie hauptsächlich nur noch lernten, kaum Sport trieben und zu wenig schliefen. In diesem Zeitraum nahm auch das Phänomen des Nachhil- feunterrichts seinen Anfang, das im folgenden Kapitel dargestellt werden soll. Da sich dadurch die Atmosphäre in den Grundschulen drastisch verschlechterte, wurde bereits 1969 in Seoul ein neuer Versuch gestartet. Die Aufnahmeprüfung wurde abgeschafft. Als Ersatz wurde ein Losverfahren eingeführt, durch das die Schüler auf Oberschulen in ihrem jeweiligen Wohnbezirk verteilt werden sollten. 1971 wurde dieses Verfahren auf ganz Korea übertragen (Lee 1981: 72-73). Die Aufnah- meprüfungen für die Oberschule und für die Universitäten wurden allerdings beibehalten und damit wurde das eigentliche Problem nur verschoben. Denn nun diente der Unterricht in der Mittel- und Oberschule allein dazu, die jeweiligen Aufnahmeprüfungen zu bestehen.

Die Anzahl der Lehrer an Grund-, Mittel- und Oberschulen war seit 1975 gestie- gen. Die Regierung konnte also auf eine höhere Zahl qualifizierter Lehrer zurück- greifen und somit ein Chaos wie zu Beginn der 1960er-Jahre weitgehend verhindern.

An den Grundschulen unterrichteten 1990 136.800, an den Mittelschulen rund

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89.700 und an den Oberschulen knapp 92.700 Lehrer. Zur Jahrtausendwende hatte sich die Anzahl der Schulen um etwa 300 auf 19.031 verringert. Deutlich weniger Kinder wurden geboren, was sich u.a. in der Anzahl der Schüler bemerkbar macht.

In den Grundschulen lag die Zahl der Schüler nun bei rund 4 Millionen, was einen Rückgang um ca. 300.000 bedeutet. Die Mittelschulen wurden von 1,7 Millionen Schülern besucht, ein Rückgang also von knapp einer Million. In die Oberschulen gingen knapp 2,1 Millionen Schüler. Der Rückgang belief sich dabei auf ca.

200.000. Ihnen standen in den Grundschulen 140.000, in den Mittelschulen 92.600 und in den Oberschulen über 104.300 Lehrer gegenüber. Trotz des Rückgangs der Schülerzahlen hatte sich die Lehrerzahl noch einmal erhöht, was zu besseren - Unterrichtsverhältnissen führte. Im Jahr 2003 stieg trotz anhaltender Wirtschafts- krise die Anzahl der Schulen gegenüber dem Jahr 2000 um ca. 200 auf insgesamt 19.258. Die Grundschulen wurden von knapp 4,2 Millionen Schülern besucht. In die Mittelschulen gingen knapp 1,9 Millionen und in die Oberschule knapp 1,8 Millio- nen Schüler. An den Grundschulen unterrichteten 154.000, an den Mittelschulen 99.700 und an den Oberschulen fast 116.000 Lehrer. Während die Anzahl der Grundschüler wieder gestiegen war, sank die Zahl der Mittel- und Oberschüler leicht, was, durch die gleichzeitige Erhöhung der Lehrer, zu angenehmeren Verhält- nissen in den Klassen führte. Lag die Klassengröße in den 1980er-Jahren noch bei etwa 60 Schülern, so sank diese 2003 auf etwa 30 Schüler (MOE).

So gut wie alle Schüler besuchen nach der Grundschule die Mittelschule. Die Rate hierbei lag im Jahr 2002 bei 99,9%. Allerdings war dies nicht immer so. Zu Beginn der Schulreform im Jahre 1965 besuchten nur 54,3% der Grundschüler die Mittelschule. Erst von Mitte der 1980er-Jahre an ist ein Trend von nahezu 100% zu beobachten (Educational Statistics System – ESS). Dass alle Mittelschüler auch eine Oberschule besuchen, machte sich erst seit dem Jahr 2000 bemerkbar. Mitte der 1980er-Jahre lag der Trend noch bei 90%. Im Jahr 1965 besuchten 69% der Mittel- schüler nach ihrem Abschluss auch eine Oberschule (ESS). Im Jahr 2002 besuchten 74% der Oberschulabgänger eine Universität. Noch Mitte der 1990er-Jahre gingen nur die Hälfte der Oberschüler nach ihrem Abschluss auf eine Universität, im Jahr 1965 lag diese Zahl bei 32% (ESS).

Schüler, die nach der Oberschule nicht studieren, sondern gleich ins Berufsleben einsteigen wollen, haben die besten Chancen auf einen Arbeitsplatz, wenn sie ihren Abschluss an einer berufsorientierten Oberschule gemacht haben. Im Jahr 2002 fanden 90% der Abgänger dieser Schulart einen Arbeitsplatz. Damit haben sie bes- sere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als Akademiker. Nur 60% der Universitätsab- gänger bekamen 2002 nach ihrem Studium auch einen Arbeitsplatz. Damit stehen Akademiker sogar schlechter da als die Absolventen von Junior Colleges. Immerhin 80% von diesen fanden nach ihrem Abschluss auch Arbeit. Am schlechtesten schneiden die Schüler einer allgemeinen Oberschule ab. Dort fanden im Jahr 2002 nur 18% nach ihrem Abschluss auch einen Arbeitsplatz (ESS).

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4 Nachhilfeunterricht als soziales Phänomen

In Korea geben die Eltern für die Schulbildung ihrer Kinder sehr viel Geld aus. Dies führt dazu, dass Frauen sich ebenfalls eine Arbeit suchen, um mit ihrem gesamten Einkommen die Schulerziehung ihrer Kinder zu finanzieren. Manche Ehepaare nehmen hohe Kredite auf, um ihren Kindern eine gute Schulbildung gewährleisten zu können. Doch aus welchem Grund investieren koreanische Eltern soviel Geld in die Ausbildung ihrer Kinder?

Von der sechsten Klasse an müssen Eltern in koreanischen Städten für ihre Kin- der die Schule bezahlen. Davor ist der Gang zum Unterricht gratis. In ländlichen Gebieten wird die Schule erst ab der neunten Klasse kostenpflichtig. Eltern wollen für ihre Kinder die bestmögliche Ausbildung. Aus diesem Grunde sind ihnen keine Kosten zu hoch. Wie bereits am Anfang erwähnt, sind koreanische Eltern davon überzeugt, dass nur durch eine gute Schulbildung und einem guten Universitätsab- schluss hohe Positionen in der Arbeitswelt zu erreichen sind.4 Wie in den USA, so teilt sich auch in Korea das Schulsystem in Privatschulen und staatliche Schulen auf.

Eltern setzen alles daran, ihre Kinder auf eine Privatschule zu bringen, da diese in der Gesellschaft einen weit besseren Ruf haben als das staatliche Äquivalent. Auch ist es einfacher, auf eine gute Universität zu kommen, wenn man den Schulabschluss auf einer Privatschule gemacht hat.

Doch ist es unabhängig davon, ob Schüler eine private oder eine staatliche Schule besuchen. Für beide Schularten gelten dieselben Regeln. Das bedeutet, dass in jedem Fall für die Oberschulen Aufnahmeprüfungen absolviert werden müssen.

Das gleiche gilt für den Wechsel von der Oberschule auf eine Universität. Auch da müssen stets Aufnahmeprüfungen geschrieben werden.

Das Wissen, das in diesen Prüfungen abgefragt wird, ist außerordentlich umfang- reich. Ein zusätzliches Problem ergibt sich daraus, dass im normalen Schulunterricht nicht das ganze Wissen vermittelt wird, das dann später in den Prüfungen abgefragt wird. Und genau hier kommen die Nachhilfeschulen ins Spiel. Einerseits dient der Nachhilfeunterricht, wie auch in Deutschland, dazu, lernschwache Kinder zu unter- stützen. Andererseits liefert er aber auch das im regulären Unterricht nicht vermit- telte Wissen nach.

Galten die Nachhilfeschulen in den 1970er-Jahren noch als ein Aspekt elitärer Schulbildung, so ist heutzutage dieser Aspekt zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen geworden. Zwischen 1973 und 1975 wurden Nachhilfeschulen sowie der Nachhilfeunterricht generell von der Regierung verboten. Man sah in diesen neu entstandenen Institutionen eine starke Konkurrenz zum herkömmlichen Bildungs- system. Erst zu Beginn der 1980er-Jahre wurde nach und nach das Verbot gegen- über dem Nachhilfeunterricht aufgehoben.

Der starke Konkurrenzdruck, der schon in der Schule beginnt, zwingt Eltern dazu, ihre Kinder in den Nachhilfeunterricht zu schicken. Dabei sinkt das Alter, in

4 Wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, haben aber derzeit Akademiker Probleme, nach dem Studium einen Arbeitsplatz zu finden.

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dem Kinder Nachhilfeunterricht bekommen, drastisch. Im Normalfall besuchen Schüler ab der Mittelschule Nachhilfeschulen oder bekommen von Privatlehrern zu Hause Nachhilfeunterricht. Doch immer mehr Eltern schicken ihre Kinder bereits zur Nachhilfe, wenn diese gerade auf die Grundschule gekommen sind. Dadurch erhoffen sich Eltern einen Vorteil ihrer Kinder gegenüber den Klassenkameraden. In den meisten Fällen beschränkt sich die Nachhilfe auf das Erlernen einer Sprache (meistens Englisch). Dieser frühe Einstieg der Kinder in den Nachhilfeunterricht war bis vor kurzem noch verboten. Da sich die Eltern jedoch immer weniger um dieses Verbot kümmerten, wurde es mehr oder weniger gelockert.5 Auch kommt es immer häufiger vor, dass Eltern ihre Kinder bereits ab dem Kindergartenalter Nach- hilfeunterricht geben lassen. Auch dabei handelt es sich in der Hauptsache um das Erlernen einer Fremdsprache. Die Eltern erhoffen sich dadurch bereits in den ersten Jahren der sekundären Sozialisation, d.h. durch außerfamiliäre Institutionen, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitstreitern.

Man kann somit durchaus von einem Bildungsdruck sprechen, wenn man dieses Phänomen mit einem Wort beschreiben möchte. Dieser Bildungsdruck ist gesell- schaftlich geprägt. Das bedeutet, die harte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sowie das gesellschaftliche Ansehen zwingt Eltern dazu, für die Bildung ihrer Kinder Unmengen von Geld auszugeben. Dies führt dazu, dass sie bei anderen notwendigen Dingen sparen und das dadurch gesparte Geld in den Nachhilfeunterricht ihrer Kinder investieren. Dadurch kommt es unter anderem vor, dass Familien beinahe die Hälfte ihres zur Verfügung stehenden Einkommens für den Nachhilfeunterricht ihrer Kinder verwenden (Chung und Choe 2001: 194). Im Jahr 2001 gaben in der Regel koreanische Haushalte etwa 10% ihres Einkommens für den Nachhilfeunterricht aus (Chung und Choe 2001: 196).

Bei der Art des zusätzlichen Unterrichts gab es in den letzten Jahren einen leich- ten Wandel. War früher der Unterricht im Wesentlichen auf die Schulfächer, wie Mathematik, Englisch, Koreanisch usw., beschränkt, so hat er sich im Laufe der Zeit auf nichtschulische Aktivitäten ausgeweitet. Zum Beispiel erlernen viele Schülerin- nen und Schüler ein Musikinstrument. Meistens geht dabei die Initiative wiederum, d.h. wie beim herkömmlichen Nachhilfeunterricht, von den Eltern aus. Durch andere Angebote können die Schüler ihre Hobbys oder eigenen Interessen weiterverfolgen.

Die „Schule nach der Schule“ besteht also nicht hauptsächlich aus dem Erlernen zusätzlichen Lernstoffs.

5 Die interessanteste Frage zum Schluss: Wieso?

Die Frage, die man sich zum Schluss jedoch stellen muss, lautet schlicht und ein- fach: Wieso halten die Schülerinnen und Schüler diesem Druck überhaupt stand?

Aus welchem Grund kämpfen sich junge Menschen durch einen solchen (aus westli- cher Perspektive) unmenschlichen Schulalltag und haben dabei kaum Zeit, ihre

5 Vgl. hierfür die Angaben auf der Homepage www.lifekorea.com/Information/education.

cfm.

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Kindheit auszuleben? Aus welchem Grund unterstützen die Eltern überhaupt dieses System? Und, die letzte Frage, welche Folgen hat ein solches System?

Ein Großteil der Fragen wurde bereits zuvor beantwortet. Es ist die Gesellschaft selbst, welche die Eltern dazu zwingt, ihre Kinder den ganzen Tag über in die Schule zu schicken. Es herrscht ein Wettbewerb, den nur derjenige gewinnen kann, der das meiste Wissen in sich trägt. Dadurch sind Kinder und Jugendliche gezwun- gen, von früh bis spät zu lernen. Doch um die eigentliche Ursache zu ergründen, muss man noch einen weiteren Schritt zurückgehen. Denn die Frage lautet, wie sich solch ein System überhaupt entwickeln und überleben konnte. Mit der historischen Entwicklung des Bildungssystems hat sich die erste Hälfte dieses Beitrags befasst.

Doch welche philosophischen Ansichten stecken dahinter?

Eine Antwort finden wir im konfuzianischen Weltbild. Südkorea, ein moderner Staat, hat sich nie ganz von seinen konfuzianischen Wurzeln trennen können. Noch immer ist dieses traditionale Element ein nicht unwesentlicher Bestandteil der kore- anischen Gesellschaft. Besonders macht sich dies bemerkbar in der koreanischen Sprache, in der die Höflichkeitsformen noch immer ein Ausdruck der konfuzianisch geprägten gesellschaftlichen Ordnung sind. Ein weiterer für das Bildungssystem wichtiger Aspekt ist das Element der unaufhörlichen Verbesserung. Es darf zu kei- nem Stillstand kommen. Nur durch das sich ständige Verbessern kommt das Indivi- duum dem konfuzianischen Ziel vollkommener Harmonie näher (Lee-Linke 1996:

65). Dieser Drang des sich Verbesserns wird besonders bei der Bildung bemerkbar, die zum zweitwichtigsten Gebot des Konfuzianismus gehört. Mit dem Streben nach Bildung war früher das Studieren und die damit einhergehende Zunahme des Ver- ständnisses konfuzianischer Texte gemeint. Im modernen Korea wurde dieser As- pekt aus seinem traditionalen Bereich herausgehoben und in das Streben nach Wis- sen transformiert. Dieses Streben wird auch heute noch als eines der wichtigsten Aspekte des Lebens empfunden. Lehrer und Professoren haben in Korea ein sehr hohes Ansehen. Die modernisierte Variante des konfuzianischen Verständnisses von Bildung hat sich tief in die Gesellschaft eingebrannt. Sie ist zum Bestandteil des Alltags und damit der koreanischen Lebenswelt geworden. Aus diesem Grunde sind Eltern bereit, große Opfer für die Schulbildung ihrer Kinder zu bringen. Die Kinder wachsen in dieser Lebenswelt auf und finden diese (mehr oder weniger) normal. Das Problem dieses Systems jedoch ist, dass es für Individuen, die dabei auf der Strecke bleiben, kaum noch Chancen gibt. Angst und Verzweiflung sind dabei die Folge, die im schlimmsten Fall bei den Jugendlichen zum Selbstmord führen können.

Möglicherweise bietet diese sonderbare Transformation der konfuzianischen Philosophie in die moderne Lebenswelt der koreanischen Gesellschaft eine Erklä- rung dafür, weswegen Südkorea bei der PISA-Studie die vordersten Ränge einge- nommen hat. Mit Sicherheit wäre dies ein kulturspezifischer Ansatz. Dies erklärt nicht, weswegen z.B. Finnland bei den PISA-Studien auf Platz eins gelandet ist.

Möglicherweise gibt es auch keine kulturübergreifenden Erklärungen dafür, aus welchem Grund ein Land besser abschneidet als ein anderes. Für Südkorea erscheint jedoch der Übergang der konfuzianisch-abstrakten Werte in tatsächliche lebens- weltliche Werte als wesentliches Erklärungsmerkmal. Diese Werte sind in der ge-

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samten Gesellschaft präsent, sodass Menschen aus allen sozialen Schichten diese als Lebensgrundlage annehmen. Deshalb strengen sich ärmere Eltern mehr an, um ihren Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Der Faktor der sozialen Un- gleichheit, wie er in Deutschland als wesentlicher Punkt für das schlechte Abschnei- den der Schüler angesehen wird, wirkt sich daher in Südkorea kaum auf die Leistun- gen der Schüler aus. Auch die eher ungünstige Lernsituation, die durch noch immer zu große Klassen gekennzeichnet ist, hat so gut wie keine Auswirkung auf das kon- fuzianische Leitbild. Es ist daher zu erwarten, dass Südkorea auch bei der nächsten PISA-Studie die vordersten Plätze einnehmen wird.

Literatur

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Patrick Köllner, Hrsg.

KOREA 2005

POLITIK WIRTSCHAFT GESELLSCHAFT

mit Beiträgen

von Claus Auer Sunjong Choi Doris Hertrampf Thomas Kalinowski

Thomas Kern Pia Kleis Patrick Köllner

Elmar Lange Jong Hee Lee Yeong Heui Lee

Hans Maretzki Sang-hui Nam Max Pechmann

John Polak Jürgen Wöhler

INSTITUT FÜR ASIENKUNDE HAMBURG

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Copyright Institut für Asienkunde Hamburg 2005

Manuskriptbearbeitung: Vera Rathje Redaktionsassistenz: Siegrid Woelk

Gesamtherstellung: einfach-digital print edp GmbH, Hamburg

Korea 2005. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft / hrsg. von Patrick Köllner. – Hamburg : IFA, 2005. – 317 S.

ISSN 1432-0142 ISBN 3-88910-318-9

VERBUND STIFTUNG DEUTSCHES ÜBERSEE-INSTITUT

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