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Übersichtsblatt: Rechtfertigender Notstand, § 34

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Academic year: 2022

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Professor Dr. Jörg Eisele

Übersichtsblatt: Rechtfertigender Notstand, § 34

Im Gegensatz zur Notwehr liegt in den Fällen des Notstandes kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff einer anderen Person vor. Vielmehr handelt es sich um Notsituationen, bei denen sich das geschützte Rechtsgut, dem eine Gefahr droht, und das beeinträchtigte Rechtsgut, in das eingegriffen wird, gegenüberstehen.

Grundgedanke: Anders als bei § 32 kann der Eingriff nicht sozialrechtlich mit dem Rechtsbewährungsprinzip begründet werden. Ausschlaggebend ist die individualrechtliche Komponente des Schutzes des Erhaltungsinteresses.

I. Notstandslage:

Gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut des Täters (Notstand) oder eines Dritten (Situation der Notstandshilfe).

1. Notstandsfähig ist jedes Rechtsgut, soweit es in der konkreten Situation rechtlich schutzbedürftig und -würdig ist (streitig bei Allgemeinrechtsgütern wie der Sicherheit des Straßenverkehrs).

2. Eine Gefahr für ein Rechtsgut liegt vor, wenn aufgrund tatsächlicher Umstände der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich ist.

3. Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn die Rechtsgutsbedrohung bei natürlicher Weiterentwicklung jederzeit in einen Schaden umschlagen kann, wobei ein ex-ante (= Sicht zur Zeit der Rettungshandlung) zu bestimmendes Urteil eines sachkundigen objektiven Beobachters erforderlich ist (str.). Gegenwärtig ist die Gefahr auch:

- wenn die Situation jederzeit in einen Schaden umschlagen kann; dies auch dann, wenn der Eintritt des Schadens noch eine Zeitlang auf sich warten lässt (Dauergefahr)

- wenn sie nur durch unverzügliches Handeln wirksam abgewendet werden kann.

Hinweis: Das Merkmal der Gegenwärtigkeit wird weiter ausgelegt als bei § 32.

Fälle der Präventivnotwehr, die von § 32 nicht erfasst werden, können ggf.

unter § 34 subsumiert werden.

II. Notstandshandlung:

1. Die Gefahr darf nicht anders als durch die Eingriffshandlung des Täters abwendbar sein.

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a. Geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr

b. Mildestes Mittel: Stehen mehrere gleich wirksame Mittel zur Verfügung, so ist das relativ mildeste Mittel zu wählen.

Beachte: Anders als bei der Notwehr stellt auch das Ausweichen ein milderes Mittel dar (Grund: Das Rechtsbewährungsprinzip hat hier keine Bedeutung).

2. Das geschützte Interesse (Erhaltungsgut des Täters) muss das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegen. Die abzuwägenden Rechtsgüter können auch ein- und derselben Person zustehen (der Vater wirft das Kind bei einem Brand aus dem Fenster, um es vor dem sicheren Tod zu retten; das Kind wird verletzt; der Vater ist nach § 34 – Notstandshilfe – gerechtfertigt).

Erforderlich ist eine (normative) Abwägung zwischen dem Eingriffsinteresse und dem Erhaltungsinteresse; bei gleichwertigen Rechtsgütern kommt entschuldigender Notstand, § 35 in Betracht. Wichtige Punkte bei der Interessenabwägung sind:

a. Abstraktes Rangverhältnis des Eingriffsguts und des Erhaltungsguts:

- Personenwerte vor Sachgüterinteressen - Leben vor körperlicher Unversehrtheit

- Im Übrigen: Wert des Rechtsguts wird durch die Strafdrohung in dem jeweiligen Straftatbestand indiziert

b. Bewertung von Eingriffsgut und Erhaltungsgut in der konkreten Situation:

- Intensität und Umfang des drohenden Schadens

- Grad der drohenden Gefahr (Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts) - Eingriff gegenüber Gefahrverursacher (Defensivnotstand); hier sind

weitergehende Beeinträchtigungen zulässig als bei Eingriffen gegenüber unbeteiligten Dritten (Aggressivnotstand), da dieser weniger schutzwürdig ist (vgl.

den Grundgedanken des § 228 BGB). Das Verschulden (vgl. auch bei der Notwehr die Fälle der sonst vorwerfbar herbeigeführten Notwehrlage im Rahmen der sozialethischen Einschränkung) wird hier in die Abwägung eingestellt.

Beachte: Grundsätzlich keine Abwägung Leben gegen Leben. Grundsatz des absoluten Lebensschutzes. Eine Tötung kann daher nicht nach § 34 gerechtfertigt sein (str., vor allem bei indirekter Sterbehilfe, d.h. der Verabreichung von Medikamenten mit lebensverkürzenden Nebenwirkungen). In diesen Fällen kommt aber eine Entschuldigung unter den Voraussetzungen des § 35 in Betracht. § 34 soll nach m.E. überzeugender Ansicht jedoch bei der fahrlässigen Tötung anwendbar sein.

3. Die Tat muss ein angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr sein.

Unangemessenheit liegt vor:

a. Tat verstößt gegen Prinzipien der Rechtsordnung:

- Rechtsordnung stellt zur Bewältigung bestimmter Konflikte abschließend rechtlich geordnete Verfahren zur Verfügung (keine Selbsthilfe, wenn Anspruch im Klagewege durchgesetzt werden muss; keine Urkundenfälschung zur Abwendung einer Verurteilung im Strafprozess).

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- Behebung der Notlage ist Aufgabe der Sozialgemeinschaft. Bsp.: Die Wegnahme von Geld zur Durchführung einer wichtigen Operation ist nicht von § 34 gedeckt;

hierfür haben die Krankenkassen einzustehen; müssen diese nicht zahlen, so kann von dem Einzelnen, der vermögend ist, nicht eine weitergehende Duldungspflicht verlangt werden.

- Sog. Nötigungsnotstand (h.M.; dazu näher Übersichtsblatt zu § 35).

b. Den Täter treffen besondere Duldungspflichten:

- Hinnahme der Gefahr ist eine vom Gesetzgeber in Kauf genommene Folge einer anderen gesetzlichen Regelung. Bsp.: Der Angreifer hat die Notwehrhandlung des Angegriffenen zu dulden; eine von ihm verübte Gegenwehr ist auch nicht nach § 34 gerechtfertigt.

- Besondere Rechtsstellung kraft Berufes (z.B. Polizist) oder als Garant.

- Verschulden der Notstandslage (str.).

c. Eingriff in unantastbare Rechte des Betroffenen. Bsp.: Niemand kann bei einem Unfall gegen seinen Willen zu einer Blutspende gezwungen werden. Ausnahmen sind nur innerhalb enger persönlicher Beziehungen (Ehegatten, Elter und Kinder u.s.w.) anzuerkennen.

III.Subjektives Rechtfertigungselement: Kenntnis der Gefahrenlage und Gefahrabwendungswille

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Übersichtsblatt: Zivilrechtliche Notstandsregelungen

I. Vorbemerkung: §§ 228, 904 BGB sind nach h.M. lex specialis zu § 34.

II. Defensivnotstand, § 228 S. 1 BGB: „Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht.“

Grundgedanke: Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass die Schutzinteressen des Bedrohten höher zu gewichten sind als das Interesse des Eigentümers, dessen Sache andere gefährdet.

1. Notstandslage: § 228 BGB erfordert eine von der Sache ausgehende Gefahr.

Gerechtfertigt ist die Beschädigung oder Zerstörung einer solchen gefährlichen Sache.

a. Drohende Gefahr: Nicht erforderlich ist im Gegensatz zu § 904 BGB, § 34 die Gegenwärtigkeit der Gefahr; insoweit ist ein Drohen im Vorfeld ausreichend. Grund:

Der Eigentümer, dessen Sache andere gefährdet, muss den Eingriff eher hinnehmen.

b. Von einer fremden Sache: Auch Tiergefahren werden erfasst. Bei Angriffen von Tieren ist § 32 nicht einschlägig, da dort nur ein menschliches Verhalten einen Angriff darstellt.

Bsp.: Der Hund des O greift den Briefträger an; dieser erschlägt den Hund mit seiner Tasche. Eine Rechtfertigung kann nur über § 228 BGB erfolgen.

Die durch einen Menschen veranlasste Tiergefahr ist jedoch als menschlicher Angriff i.S.d. § 32 einzustufen.

Bsp.: O hetzt seinen Bullterrier auf den Briefträger, weil die Post zu spät kommt. Hier liegt ein menschlicher Angriff des O i.S.d. § 32 vor. Dadurch wird allerdings das Bejahen einer Sachgefahr nach § 228 BGB nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedoch nur für Tiere als Werkzeuge des Täters. Setzt der Täter daher z.B. eine Schusswaffe ein, so liegt nur ein menschlicher Angriff i.S.d. § 32, nicht aber eine Sachgefahr durch die Waffe i.S.d. § 228 BGB vor.

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2. Notstandshandlung: Diese muss sich gegen diejenige Sache richten, von der die Gefahr ausgeht.

a. Die Handlung muss „erforderlich“ sein, d.h.

aa. sie muss geeignet sein, die Gefahr zu beseitigen und

bb. es dürfen keine anderen gleich geeigneten, aber milderen Mittel zur Gefahrbeseitigung bestehen.

b. Der drohende Schaden und der Abwehrschaden dürfen nicht außer Verhältnis stehen. Nur dann, wenn letzterer unverhältnismäßig groß ist, scheidet eine Rechtfertigung nach § 228 BGB aus.

3. Subjektives Rechtfertigungselement: Kenntnis der Gefahrenlage und Gefahrabwendungswille

III. Aggressivnotstand, § 904 S. 1 BGB: „Der Eigentümer einer Sache ist nicht berechtigt, die Einwirkung eines anderen auf die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist“.

Grundgedanke: Dem Einzelnen wird in bestimmten Fällen der Not aufgrund der Solidarität der Rechtsgemeinschaft ein Opfer abgefordert.

1. Notstandslage: Gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 34; Drohen der Gefahr wie bei § 228 BGB genügt nicht. Die Gefahr geht hier nicht von der beeinträchtigten Sache selbst aus.

2. Notstandshandlung:

a. Die Handlung muss „notwendig“ sein, d.h.

aa. die Handlung muss geeignet sein, die Gefahr zu beseitigen und

bb. es dürfen keine anderen gleich geeigneten, aber milderen Mittel zur Gefahrbeseitigung bestehen.

b. Der drohende Schaden muss gegenüber dem dem Eigentümer aufgrund der Einwirkung entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß sein.

3. Subjektives Rechtfertigungselement: Kenntnis der Gefahrenlage und Gefahrabwendungswille

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