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Zur Geschichte der Einwohnerwehren in Preußen 1918—1921

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Peter Budier

Zur Geschichte der Einwohnerwehren in Preußen 1918—1921

Vorbemerkung

Freiwillige Zusammenschlüsse, die den Zweck hatten, Leben und Gut des einzel- nen mit Waffen zu verteidigen, hat es im 19. Jahrhundert besonders in Zeiten des Umsturzes und der Not gegeben, wenn die Regierungen nicht in der Lage waren, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Es waren vorwiegend Angehörige des Bürgertums, die sich, ehrenamtlich und ohne die berufliche Tätigkeit aufzu- geben, in lokalen Selbstschutzverbänden vereinigten, und so trugen denn die Formationen, die sich mehr oder minder eng an die Militärbehörden anlehnten, ohne daß diese sie je ganz integrierten, meist den Namen »Bürgerwehren« oder

»Bürgergarden«. Ein weiteres Kennzeichen dieser Wehren ist, daß stets politi- sche Kräfte versuchten, sie für ihre eigenen Ziele einzusetzen. Wir können dem- nach die Bürgerwehren als Verbände charakterisieren, die auf Grund freiwil- liger, ehrenamtlidier und nebenberuflicher Mitgliedschaft in lokalem Wir- kungsbereich Aufgaben des Selbstschutzes wahrnahmen; daß die Wirksamkeit dieser Verbände durch Einflüsse politischer Mächte wesentlich erweitert werden konnte, zeigen die Einrichtungen, die als Folge der Revolutionen von 1830 und 1848 entstanden sind 1.

Auch in den Revolutionswirren von 1918 und der folgenden Zeit hatten sich sol- che Wehren gebildet, die anfänglich, wie früher, »Bürgerwehren« hießen, später im allgemeinen »Einwohnerwehren« genannt wurden, und unter dieser Bezeich- nung sind sie in die Literatur eingegangen. Gewiß haben sie im Ablauf der historischen Ereignisse eine entscheidende Rolle nicht zu spielen vermocht, abge- sehen von den bayerischen Wehren, die jedoch weniger durch ihr tatsächliches Wirken .als durch ihre Weigerung, sich aufzulösen, das Augenmerk der For- schung auf sich gelenkt haben. Deshalb wurden gerade die bayerischen Forma- tionen schon früh in der Literatur behandelt, und das Interesse an ihnen hat eigentlich bis heute nicht nachgelassen2, während die übrigen, im gesamten

1 Vgl. V. Valentin: Geschichte der deutschen Revolution 1848/49, Bd II, Berlin 1931, S. 68 ff.;

R. Höhn: Verfassungskampf und Heereseid. Der Kampf des Bürgertums um das Heer (1815—

1850), Leipzig 1938, S. 58 ff.; G. A. Craig: The Politics of the Prussian Army 1640—1945, Oxford 1955, S. I l l ff., dt. unter dem Titel: Die preußisdi-deutsdie Armee 1640—1945.

Staat im Staate, Düsseldorf I960, S. 127ff.; E.Obermann: Soldaten, Bürger, Militaristen.

Militär und Demokratie in Deutschland, Hamburg 1958, S. 168 ff.; P. Losch: Geschichte des Kurfürstentums Hessen, Marburg 1922, S. 153 ff.; E. Kaeber: Berlin 1848. Zur Jahrhundert- feier der Märzrevolution im Auftrag des Senats von Groß-Berlin, Berlin 1948, S. 115 ff.

2 Vor allem R. Kanzler: Bayerns Kampf gegen den Bolschewismus. Geschichte der bayerischen Einwohnerwehren, München 1931 (zit. Kanzler); G. Axhausen: Organisation Esdierisdi. Die Bewegung der nationalen Einheitsfront, Leipzig, Berlin 1921, S. 12 f.; E. Rosen: Orgesdi, Berlin 1921, S. 13 ff.; H. H. Hofmann: Der Hitlerputsch. Krisenjahre deutscher Geschichte 1920—1924, München 1961, S. 39 ff. (zit. Hofmann); W. G. Zimmermann: Bayern und das Reich 1918—1923. Der bayerisdie Föderalismus zwischen Reaktion und Revolution, München 1953, S. 101 ff.; K. Schwend: Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, München 1954, S. 159 ff. (zit. Sdiwend); H. Speckner: Die Ordnungszelle Bayerns, Phil. Diss. Erlangen 1955;

15 M G M 1 / 7 1 G. Franz-Willing: Die Hitler-Bewegung, Bd I: Der Ursprung 1919—1922, Hamburg, Berlin

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Deutschen Reich gegründeten Einwohnerwehren erst in neuester Zeit in die Un- tersuchungen einbezogen wurden. Dabei ist die Forschung bisher über Ansätze allerdings nicht hinausgekommen. Das liegt einmal daran, daß die Bearbeiter das vorhandene Quellenmaterial unzureichend erschlossen und einseitig ausge- wertet haben. So beschränkte sich Gerhard Schulz 3 auf die in diesem Fall nicht sehr ergiebigen Akten der Reichskanzlei, die sich im Bundesarchiv Koblenz be- finden, und Michael Salewski4 griff nur auf die im Politischen Archiv des Aus- wärtigen Amtes in Bonn liegenden Akten der Interalliierten Militär-Kontroll- Kommission (IMKK) zurück. Eberhard Kolb * betrachtete die Einwohnerwehren von ihrem Verhältnis zu den örtlichen Arbeiterräten aus und begnügte sich vor- nehmlich damit, die Akten des Zentralrates der Sozialistischen Republik, die im Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam verwahrt werden, heranzuziehen.

Nun ist — das ist der zweite Grund für die bislang unbefriedigenden Ergebnisse

— die Untersuchung von Institutionen, die im Zusammenhang mit Militärbehör- den standen, durch die Vernichtung des Heeresarchivs in Potsdam im Jahre 1945 sehr erschwert. Aber ganz unmöglich ist sie nicht, denn die Tätigkeit der Militärs, soweit sie Zivilstellen berührte, läßt sich durchaus anhand der Akten der Innenministerien und der nachgeordneten Instanzen rekonstruieren — ein methodischer Ansatz, der in der zeitgeschichtlichen Forschung arg vernachläs- sigt wird. Befehle der oberen an die unteren militärischen Kommandostellen wurden häufig den zivilen Behörden mitgeteilt und haben dort in der Überliefe- rung der untergeordneten Instanzen ihren Niederschlag gefunden, sei es in Ab- schriften oder in Auszügen, die in die Akten der Oberpräsidien, der Regierungs- präsidien, der Landratsämter und der Magistrate gelangt sind, was nicht zuletzt durch die technische Erleichterung der Vervielfältigung begünstigt wurde. War die Weitergabe von Erlassen, Verfügungen und Rundschreiben vor der Erfin- dung der modernen Vervielfältigungsgeräte mit erheblichen zeitlichen und finanziellen Kosten verbunden, so änderte sich dies mit der fortschreitenden Verbesserung der technischen Einrichtungen in immer stärkerem Maße und blieb demzufolge nicht ohne Einfluß auf den Geschäftsumfang und damit auf die Aktenbildung in den Behörden e. Hier liegt eine Fundgrube für den Histori- ker, die auszuschöpfen sich wahrlich lohnt. Erwin Könnemann hat das in seiner Dissertation versucht7, die aber, bedingt durch die gesellschaftspolitische Frage- stellung des Themas, der historischen Entwicklung der Einwohnerwehren nicht gerecht wird.

1962, S. 44 ff. (zit. Franz-Willing); A. Mitchell: Revolution in Bavaria 1918—1919. The Eis- ner Regime and the Soviet Republic, Princeton, New Jersey 1965, S. 199 ff., dt. unter dem Titel: Revolution in Bayern 1918/1919. Die Eisner-Regierung und die Räterepublik, Mündien 1967, S. 172 ff.

' G. Sdiulz: Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reidisreform in der Weimarer Republik, Bd I: Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarck- sdien Reidisaufbaus 1919—1930, Berlin 1963, S. 333 ff. (zit. Sdiulz).

4 M. Salewski: Entwaffnung und Militärkontrolle in Deutschland 1919—1927, München 1966, S. 77 ff. ( = Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Poli- tik e. V. Bd 24) (zit. Salewski).

5 E. Kolb: Die Arbeiterräte in der deutsdien Innenpolitik 1918—1919, Düsseldorf 1962, S. 385 ff.

( = Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bd 23) (zit.

Kolb).

" Vgl. R. Schatz: Behördenschriftgut. Aktenbildung, Aktenverwaltung, Archivierung, Boppard 1961, S. 2 (— Schriften des Bundesardiivs Bd 8).

7 E. Könnemann: Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände. Ihre Funktion beim Aufbau eines neuen imperialistisdien Militärsystems (November 1918 bis 1920), Berlin 1971 (zit.:

Könnemann).

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Allerdings gibt der Weg der Quellenrekonstruktion über die Akten der nachge- ordneten Instanzen nur selten Aufschlüsse über Verhandlungen, Besprechungen oder Fühlungnahmen in der zentralen Sphäre, beispielsweise zwischen den Reichsministerien. Einen gewissen Ersatz vermögen, neben den gedruckten und veröffentlichten Memoiren, die privaten Papiere der beteiligten Politiker zu bie- ten, soweit sie, meist in Form von Nachlässen, erhalten geblieben sind und der Forsdiung zugänglich gemacht wurden 8.

So möchte die vorliegende Studie nicht nur einen Beitrag zur Geschichte der Einwohnerwehren in Preußen leisten, sondern gleichzeitig einen Weg aufwei- sen, wie trotz des Verlustes zahlreicher wichtiger Aktenbestände das seit Ranke von der historischen Forsdiung vertretene Prinzip zu »zeigen, wie es eigentlidi gewesen«, gewahrt bleiben kann 8.

Die Ursprünge der Einwohnerwehren

Ansätze zur Bildung von Einwohnerwehren finden wir bereits in den ersten Wochen und Monaten nach dem Kriegsausbruch von 1914. Am 7. August 1914 regte das Preußische Kriegsministerium die Stellvertretenden Generalkomman- dos an, »zur Entlastung der Truppe vom Wach- und Sicherheitsdienst sowie im Interesse der Erhaltung der örtlichen Ruhe und O r d n u n g . . . Formationen aus nicht militärdienstpflichtigen oder nicht militärtauglichen Freiwilligen aufzu- stellen«. Dabei erwog das Kriegsministerium jedoch nicht, diese Verbände als Anhängsel an die Armee aufzuziehen: »Die Aufstellung und Organisation sol- cher >Bürgerwehren< ist Sache der örtlichen Zivilbehörden. Das Kgl. General- kommando pp. wolle mit diesen umgehend in Verbindung treten und diese Organisation durch jede Unterstützung wie Namhaftmachung geeigneten Aus- bildungspersonals in Gestalt inaktiver Offiziere und ehemaliger Unteroffiziere pp. fördern.« Waffen und Munition wollte das Kriegsministerium leihweise zur Verfügung stellen: »Die leihweise Überlassung von Waffen und Munition ist bei der Infanterie-Abteilung des Kriegsministeriums zu beantragen 10.« Die Anre- gung zum Aufbau dieser Wehren ging zwar vom Kriegsministerium aus, also einer militärischen Stelle, und es waren die Stellvertretenden Generalkomman- dos, die sich mit den Ober- und Regierungspräsidien in Verbindung setzen soll- ten1 1; dennoch ist festzustellen, daß den Zivilbehörden ein maßgeblicher Ein-

8 Vgl. W. Mommsen: Die schriftlichen Nachlässe in den zentralen deutschen und preußischen Archiven, Koblenz 1955, S. VII ff. ( = Schriften des Bundesarchivs Bd 1); H. Booms u. H.

Boberach (Hrsg.) : Das Bundesardiiv und seine Bestände, Boppard, 2. Aufl. 1968, S. 167 f.

( = Sdiriften des Bundesarchivs Bd 10).

' Für ihre Unterstützung bei der Entstehung der Arbeit bin ich zu Dank verpflichtet meinen Kollegen im Bundesarchiv Koblenz (BA) und im Bundesardiiv-Militärarchiv Freiburg (BA-

MA), die mir in meinem neuen Wirkungsbereich mit Rat und Tat zur Seite standen sowie dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn, dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, den Hauptstaatsarchiven und Staatsarchiven (HStA bzw. StA) Hannover, Marburg, Oldenburg, Wiesbaden u. Wolfenbüttel u. dem Staatlichen Archivlager (StAL), Göttingen. Die Akten des Preußischen Justizministeriums sind mittlerweile vom BA an das Geheime Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem (GStA Berlin) abgegeben worden. Für Mithilfe bei der Quellenbesdiaffung und für freundliche Hin- weise danke idi Herrn Professor Dr. Eberhard Kessel, Herrn Staatsarchivassessor Dr. Helmut Müller sowie den Herren Dr. Michael Gockel u. Dr. Peter Wulf.

10 Abschr. im HStA Wiesbaden, Best. 405 Nr. 5191. Vgl. E. Könnemann: Die Bildung von Bür- gerwehren in Deutschland bei Kriegsausbruch 1914. In: Zeitschrift für Militärgeschichte 4. Jg (1965), S. 699.

" So z.B. das Stellv. Gen.Kdo. II. A.K. am 30.8.1914: Abschr. im StA Marburg, Best. 180 L.A. Fulda Nr. 1671; das Stellv. Gen.Kdo. X. A.K. am 11. 8.1914: Abschr. im StA Hanno- ver, Des. 122a XXXIV Nr. 345.

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fluß bei der Aufstellung der Formationen zugebilligt wurde. Welchen Anklang die Pläne des Kriegsministeriums bei der Bevölkerung fanden, ist schwer zu sagen. In einzelnen Orten läßt sich die Einrichtung von Wehren wohl nachwei- sen, so in Marburg, wo sich auf Veranlassung des Oberbürgermeisters Troje eine Stadtwehr bildete, die einen fest umrissenen Aufgabenkreis hatte: »Sie soll die Polizeiverwaltung . . . unterstützen, insbesondere durch Wachen und Patrouillen für die Sicherheit in der Stadt, auf den Feldern und in dem Forst sorgen, die Bahnanlagen bewachen und die Absperrung bei Gefangenen- und Verwunde- ten-Transporten übernehmen, wenn die Garnison dazu nicht mehr in der Lage ist oder den Feldtruppen zu folgen hat1 2.« Andererseits erlauben die mehrma- ligen Aufforderungen der Stellvertretenden Generalkommandos, die Organisa- tion von Bürgerwehren vorzunehmen, den Schluß, daß weite Kreise der Bevölke- rung eine Mitwirkung beim Aufbau der Wehren nicht für erforderlich erachte- ten 13.

In einem Erlaß vom 5. Februar 1915 bekräftigte das Preußische Kriegsministe- rium seine Auffassung, daß es sich bei der Bildung von Bürgerwehren um eine Angelegenheit der »örtlichen Zivilbehörden« handeln müsse: »Für Bürgerweh- ren usw., die sich zur Entlastung der Truppe vom Wacht- und Sicherheitsdienst sowie im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung zur Unterstützung der Polizeiorgane gebildet haben, sind ausschließlich die örtlichen Zivilbehörden zu- ständig14.« Am 23. Februar und 20. Mai 1915 ergänzte das Kriegsministerium den Aufgabenbereich der Wehren, indem es »auf einen ausreichenden Schutz der Getreide- und Mehlvorräte in Deutschland sowie auch auf Sicherung der Felder zur Zeit der Reife des Getreides« hinwies, und durch Erlaß vom 9. Juni 1915 bezog es auch die »privaten industriellen Anlagen und Vorratslager zur Herstellung aller Arten von Kriegsmaterial« in die Sicherheitsmaßnahmen ein i 5. Danach bricht die Entwicklung plötzlich ab, und die Akten enthalten keine Hinweise mehr, daß von irgendeiner Seite weitere Schritte in dieser Ange- legenheit unternommen wurden. Die Bemühungen des Kriegsministeriums waren offensichtlich fehlgeschlagen.

Erst unter dem Eindruck der Ereignisse in Kiel und anderen norddeutschen Städten im November 1918 kam der Gedanke, Bürgerwehren ins Leben zu rufen, wieder auf. Wir begegnen ihm in den Erwägungen der Behörden, aber auch in der privaten Sphäre, wie ein Brief Albrecht v. Thaers vom 6. November 1918 zeigt, in dem es heißt: »Müßte nicht Dein Bruder in Wegeleben sofort eine Bürgerwehr organisieren aus den zuverlässigen Elementen der Einwohnerschaft, wenigstens für die Selbsterhaltung des Ortes Wegeleben? Gegen plündernde Banden, die ja meistens feige sind? Von den Ersatzverbänden der Truppe in Halberstadt oder Quedlinburg würde Werner gewiß für diese Zwecke die nöti- gen Gewehre und Munition bekommen. Doch müßte bald etwas gesche- hen . . .i e. « In solchen Äußerungen läßt sich die Selbsthilfe der Bevölkerung fas-

n Absdir. der »Dienstanweisung für die Stadtwehr der Stadt Marburg« im StA Marburg, Best.

180 L.A. Fulda Nr. 1671.

" Vgl. z. B. die Sdir, des Stellv. Gen.Kdo. X. A.K. an das Braunsdiweig-Lüneburgisdie Staats- ministerium v. 28.9. u. 18.10.1914: StA Wolfenbüttel, 12 A Neu Fb 5 Nr. 5569.

" Absdir. im StA Marburg, Best. 180 L.A. Fulda Nr. 1671.

15 Absdir. im StA Hannover, Des. 122a XXXIV Nr. 345.

16 A. v. Thaer: Generalstabsdienst an der Front und in der OHL. Aus Briefen und Tagebuch- aufzeictnungen 1915—1919. Unter Mitarb. von Helmuth K. G. Rönnefarth, hrsg. von Sieg- fried A. Kaehler, Göttingen 1958, S. 253 ( = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil. hist. Kl. Dritte Folge Nr. 40); vgl. F. Meinedke: Erlebtes 1862—1919, 18 Stuttgart 1964, S. 255.

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sen, mit der man später allgemein das Entstehen der Einwohnerwehren begrün- det hat1 7. Dabei wird allerdings meist nicht berücksichtigt, daß zur gleichen Zeit die preußischen wie die Reichsbehörden die Aufstellung von Selbstschutzver- bänden berieten und anordneten.

Es ist heute umstritten, von wem der Vorschlag dazu ausgegangen ist. Nach den Memoiren des Prinzen Max von Baden war es der Staatssekretär des Reichsmari- neamtes, Ritter v. Mann, der auf der Sitzung des Kriegskabinetts am 6. Novem- ber 1918 anregte, »die Bildung von Bürger- und Bauernwehren beschleunigt ins Werk zu setzen«; demgegenüber weist Wolfgang Elben in seiner Dissertation mit Recht darauf hin, daß im Kabinettsprotokoll vom 6. November 1918 von einer Initiative des Staatssekretärs nichts enthalten ist1 9. Dennoch sollte man die Mitteilungen des Reichskanzlers, der ja auch sonst ein zuverlässiger Gewährs- mann ist, nicht unberücksichtigt lassen, obgleich eine sichere Klärung der Vor- gänge heute nicht mehr möglich ist; die Aussagen des Prinzen sind zu detailliert, als daß man sie auf einen Irrtum zurückführen könnte. Nach der Darstellung des Reichskanzlers sah Ritter v. Mann in den Bürgerwehren »vielleicht das einzige Mittel, um den inneren Zusammenbruch zu verhindern. Das Militär werde der sich schnell ausbreitenden Bewegung kaum Herr werden2 0

Auf der Sitzung im Reichsamt des Innern am 7. November 1918, die den Zweck hatte, die in Berlin weilenden Vertreter der Bundesregierungen über die innere Lage zu orientieren und mit ihnen über die zu ergreifenden Maßnahmen zu sprechen, wurde die Bildung von Bürgerwehren nochmals erörtert. An ihr nahmen Vertreter der preußischen Regierung, der Marine, des Heeres, des Eisenbahn- ministeriums, des Berliner Polizeipräsidiums sowie mehrerer Bundesstaaten teil. In diesem Falle ist uns das Ergebnis der Besprechung nidit nur durch den ausführ- lichen Bericht des Prinzen Max, sondern auch durch eine im Reichsamt des Innern abgefaßte »Aufzeichnung über die Sitzung betreffend die allgemeine Lage« über- liefert 21, die mit der Schilderung des Prinzen im wesentlichen übereinstimmt.

Im Verlaufe der Beratungen sprachen sich der Staatssekretär des Innern v. Trimborn und der Eisenbahnminister v. Breitenbach f ü r die Errichtung von Bürgerwehren durch behördliche Anordnung aus: »Natürlich würden derar- tige Organisationen den Meuterern und Arbeiter- und Soldatenräten dort, >wo das Unglück schon passiert sei<, nicht auf den Leib rücken können. Aber die Bür- gerwehren sollten sich die Aufgabe stellen, das Ubergreifen der Bewegung auf bisher unberührte Orte, namentlich kleinere Städte und das platte Land, zu ver-

17 So schon die Zentralstelle in ihrer Denkschrift »Die Einwohnerwehr« v. 27.1.1920. Absdir.

im StA Oldenburg, Best. 136 Nr. 2820. Vgl. G. Noske: Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang einer Demokratie, Offenbach 1947, S. 97 f. (zit. Noske: Erlebtes); Sdiulz, S. 335, Salewski, S. 77.

1,1 Max von Baden: Erinnerungen und Dokumente, Berlin, Leipzig 1928, S. 597 (zit. Max von Baden).

19 W. Elben: Das Problem der Kontinuität in der deutsdien Revolution. Die Politik der Staats- sekretäre und der militärischen Führung vom November 1918 bis Februar 1919, Düsseldorf 1965, S. 124 ( = Beiträge zur Geschidite des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bd 31).

10 Max von Baden, S. 597. Vgl. A. Niemann: Revolution von oben — Umsturz von unten. Ent- wicklung und Verlauf der Staatsumwälzung in Deutschland 1914—1918, Berlin 1927, S. 263.

s l Gedr. in: Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg.

vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. R. II: 1914—1945, Bd 2: Novem- ber 1917 — Dezember 1918, Berlin (Ost) 1957, S. 317—319, Dok. Nr. 122 (zit. Dokumente u. Materialien).

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h ü t e n D e r entsprechende Abschnitt der »Aufzeichnung« lautet: »Aufgabe der Bürgerwehr kann es nicht sein, Soldatenräte zu bekämpfen. Sie können [sie!]

aber vorbeugend gegen Entstehung von Unruhen und Bildung von Soldatenrä- ten wirken2 3.« Wie wir aus einer Bemerkung des Preußischen Kriegsministers v. Sdieüch wissen, hatte auch der Berliner Polizeipräsident, nach anfänglichen Be- denken, »gegen die Errichtung [der Bürgerwehren] nichts einzuwenden«, er lehnte es jedoch ab, die »Volkswehren mit Polizei und Militär in organische Verbindung zu bringen« 24. Dagegen sprachen sich die Gesandten von Hamburg, Mecklenburg und Braunschweig aus: »Die Wehren könnten die militärischen Machtmittel wohl ergänzen, aber nie und nimmer ersetzen, auch nicht dort, wo es sich nur darum handelte, vorzubeugen25.» Der damalige Oberbürgermeister von Berlin, Adolf Wermuth, berichtet in seinen Erinnerungen, daß sich auch der Vertreter des Preußischen Kriegsministers, Oberst v. Wrisberg, dem Aufbau einer Bürgerwehr widersetzt habe: »Mitten in der Krise eine Bürgerwehr ins Leben zu rufen, hielt er f ü r unnütz und bedenklich. Das Häuflein zusammenge- raffter Männer könne einem vorbereiteten Aufstande nicht die Spitze bieten und sei dem Militär nur hinderlich 2e.« Vorausgesetzt, daß Wermuth bei der Abfas- sung seiner Memoiren nicht einem Irrtum unterlegen ist, blieb die Ablehnung Wrisbergs ohne Belang, denn auf Beschluß des Reidiskabinetts vom 6. Novem- ber 1918 27 hatte der preußische Innenminister Drews eine telegraphische Wei- sung über den Aufbau von Bürgerwehren an die preußischen Ober- und Regie- rungspräsidenten gegeben: »Ersuche sofort zur Aufrechterhaltung der öffent- lichen Ordnung und Sicherheit in städtischen und ländlichen Bezirken die Orga- nisation von Bürgerwehren in je nach den örtlichen Verhältnissen geeigneter Weise in die Wege zu leiten 28.« Welchen speziellen Zielen diese Wehrformatio- nen dienen sollten, geht aus einer Verfügung des Innenministeriums vom fol- genden Tage, dem 8. November 1918, hervor: »Hauptsächlichste Aufgabe der Bürgerwehr muß der Schutz der Lebensmittelvorräte und die Sicherstellung der Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Lebensmitteln sein M

Offensichtlich hatte das Preußische Kriegsministerium die Stellvertretenden Ge- neralkommandos im gleichen Sinne instruiert. Das geht schon aus der Bemer- kung in der bereits erwähnten »Aufzeichnung« hervor: »Generalkommandos halten überall Schußwaffen und Munition für Bürgerwehren bereit« 30, und

" Max von Baden, S. 601; vgl. H. Oeckel: Die revolutionäre Volkswehr 1918/19. Die deutsdie Arbeiterklasse im Kampf um die revolutionäre Volkswehr (November 1918 bis Mai 1919), Berlin (Ost) 1968, S. 35 ( = Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für Ge- schichte. Abt. Militärgeschichte. Militärhistorisdie Studien Bd 11) (zit. Oeckel); G. Sdiultze- Pfaelzer: Von Spa nach Weimar. Die Gesdiidite der deutschen Zeitenwende, Leipzig, Zürich 1929, S. 114.

" Dokumente u. Materialien, S. 318 f.

14 Sdieüch auf der Sitzung des Kriegskabinetts am 7.11.1918: Quellen zur Geschichte des Parla- mentarismus und der politisdien Parteien. 1. R., Bd 2: Die Regierung des Prinzen Max von Baden, hrsg. von Erich Matthias u. Rudolf Morsey, Düsseldorf 1962, S. 581; L. Berthold u.

H. Neef (Hrsg.) : Militarismus und Opportunismus gegen die Novemberrevolution. Das Bünd- nis der rechten SPD-Führung mit der Obersten Heeresleitung November und Dezember 1918.

Eine Dokumentation, Berlin (Ost) 1958, S. 94 (zit. Berthold-Neef).

" Max von Baden, S. 601.

" A. Wermuth: Ein Beamtenleben. Erinnerungen, Berlin 1922, S. 412. Wrisberg erwähnt davon nichts.

»' Max von Baden, S. 597.

» Abschr. im StA Marburg, Best. 150 Nr. 1930.

" Abschr. im StA Marburg, Best. 180 L.A. Hünfeld Nr. 1198.

M Dokumente u. Materialien, S. 318.

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wird durch die Verfügung des Kommandierenden Generals des X I . Armeekorps vom 7. November 1918 erhärtet, die inhaltlich mit den Erlassen des Innenmini- sters übereinstimmt: »Die sehr ernsten Vorkommnisse in einigen Teilen N o r d - deutschlands zwingen dazu, alle Vorbereitungen zu treffen f ü r den Fall, daß die im Inlande befindliche bewaffnete Macht nicht überall ausreichen sollte, die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Ich ersuche daher die Staatsministerien, Ministerien und Regierungen, unverzüglich Maßnahmen zur Bildung von Bürgerwehren zu treffen. Diese Bürgerwehren sind aus unbe- dingt zuverlässigen Männern zusammenzustellen . . . « Einzelheiten sollten ge- meinsam mit den zivilen Stellen vereinbart werden: »Bewaffnung und Verwen- dung der Bürgerwehren regeln in den Standorten die Generalkommandos im Einvernehmen mit den b e t r e f f e n d e n ] bürgerlichen Behörden, außerhalb wird auf Antrag das Generalkommando das Erforderliche wegen Bewaffnung veranlas- sen S1.« Was sich bereits in den ersten Kriegstagen 1914 andeutete, wurde gegen Ende des Krieges verwirklicht: zivile und militärische Gewalten bauten gemein- sam bürgerliche Selbstschutzverbände auf, wobei jedoch die Initiative von den militärischen auf die zivilen Stellen überging. Waren im August 1914 noch das Preußische Kriegsministerium und die Stellvertretenden Generalkommandos federführend gewesen, so ging im November 1918 der Anstoß vom Preußischen Ministerium des Innern aus. Wir müssen nun untersuchen, inwieweit dieses Zu- sammenwirken nach der Umbildung der Regierungen im Reich und in Preußen und nach der Entstehung der Weimarer Republik fortgesetzt wurde.

Die Einwohnerwehren unter gemeinsamer ziviler und militärischer Verantwor- tung

Die A u f r u f e der zivilen und militärischen Behörden in Preußen wurden in allen Landesteilen befolgt. Von den lokalen Selbstschutzorganisationen, zu denen sich die Bevölkerung Zusammenschloß, hat besonders die Kölner Bürgerwehr häufige Erwähnung in der Literatur gefunden 82. Weitere Gründungen lassen sich vor allem in Berlin, in Ost- und Westpreußen, in Westfalen und im Rheinland nachweisen s s, wobei verschiedene Benennungen auftreten. So trugen die Zu- sammenschlüsse in Ostpreußen den Namen »Heimatwehren« 34. In Hessen-Nas-

81 Absdir. im StA Marburg, Best. 150 Nr. 1930.

J I Vgl. die Aufzeichnungen des preußischen DDP-Abgeordneten Bernhard Falk: BA, Nachlaß Falk (Kl.Erw. Nr. 385); dazu H. Schäfer: Tagebuchblätter eines rheinischen Sozialisten, Bonn 1919, S. 31 f.; W. Groener: Lebenserinnerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg, hrsg. von Friedrich Frhr. Hiller v. Gaertringen, Göttingen 1957, S. 452 f. ( = Deutsche Geschichtsquel- len des 19. und 20. Jahrhunderts Bd 41) (zit. Groener); Berthold-Neef, S. 35 f.; W. Nimtz:

Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland. Mit einem Dokumentenanh., Berlin (Ost) 1962, S. 68; Oecfcel, S. 56.

'* Vgl. J. Benoist-Médiin: Geschichte der deutschen Militärmacht 1918—1946. B d l : Das Kai- serreich zerbricht. 1918—1919, Oldenburg, Hamburg 1965, S. 194, Anm. 16 (zit. Benoist- Médiin); Oeckel, S. 76; F. Bey-Heard: Hauptstadt und Staatsumwälzung, Berlin 1919. Proble- matik und Scheitern der Rätebewegung in der Berliner Kommunalverwaltung, Stuttgart, Ber- lin, Köln, Mainz 1969, S. 87 ( = Schriften des Vereins für Kommunalwissenschaften e. V. Ber- lin Bd 27) (zit. Bey-Heard); E. O. Volkmann: Revolution über Deutschland, Oldenburg 1930, S. 100 f. (zit. Volkmann: Revolution); H. Luther: Zusammenbruch und Jahre nach dem ersten Weltkrieg in Essen, Essen 1958, S. 31 ( = Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen H. 73) (zit. Luther).

21 M StAL Göttingen, Rep. 12 Gumbinnen Tit. 11 a Nr. 1.

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sau begegnen uns Bürgerwehren unter anderem in Kassel35, Marburg3 6 und Wolfhagen 37, die sich meist an die feste Organisation der örtlichen Feuerweh- ren und Kriegervereine anschlossen 38. Die lokalen Arbeiter- und Soldatenräte standen den Bürgerwehren keineswegs derart ablehnend gegenüber, wie das ge- meinhin behauptet wird. Das haben schon, in Übereinstimmung mit Erich Koch- Weser 3e, die Kasseler Stadtwehrführer Eschstruth und Schellmann in ihren Er- innerungsschriften 40 für die Kasseler Stadtwehr betont4 1, die, nach Überwin- dung anfänglichen Mißtrauens4 2, auf ausdrückliche Veranlassung des Arbeiter- und Soldatenrates Kassel, ins Leben gerufen wurde — an dessen Spitze stand freilich Albert Grzesinski —, ohne daß sie sich zu einer sozialistischen Volks- wehr oder einer ähnlichen Kampftruppe entwickelte. Dementsprechend mußte sich jeder Kasseler Stadtwehrmann verpflichten, »die zur Erhaltung der Neu- ordnung und zur Vorbereitung der Nationalversammlung eingesetzte Volksre- gierung Ebert-Haase, der er unverbrüchliche Treue gelobt, nötigenfalls gegen jedermann zu schützen sowie den Anordnungen des in ihrem Auftrage handeln- den Casseler Arbeiter- und Soldatenrats jederzeit nachzukommen« 43. Auch der Marburger Arbeiter- und Soldatenrat lehnte die Bildung von Bürgerwehren und ihre Ausrüstung mit Waffen nicht prinzipiell ab: »Der Arbeiter- und Soldaten- rat hält eine Bewaffnung der Dorfwehren in der Regel nicht für notwendig, ist aber gern bereit, in außergewöhnlichen Fällen eine Unterstützung zu gewäh- ren 44.« Genaue Richtlinien für die Aufstellung von »bürgerlichen« Heimatweh- ren erließ der ostpreußische Provinzial-Arbeiter- und Soldatenrat: »Zweck der Heimatwehr ist, bei dringender Gefahr gegen Banden innerhalb des Landes Selbstschutz zu üben. Zur Heimatwehr können zugelassen werden: Vertrauens- leute der Gewerkschaften, der sozialdemokratischen Parteien sowie vertrauens- würdige Bürger und Bauern. Die Heimatwehr untersteht den Arbeiter- und Sol- datenräten in Verbindung mit den Bauern- und Landarbeiterräten; erstere haben die Wehr zu organisieren, die Soldatenräte stellen den Heimatwehren eine Anzahl Gewehre und Munition zur Verfügung, die in der Regel in Depots lagern und nur bei dringender Gefahr ausgegeben w e r d e n . . . Die Ortsbehörde ist für den Besitzstand der Gewehre und Munition verantwortlich 45

33 Tgb. des damaligen Oberbürgermeisters von Kassel und späteren Reichsinnenministers Eridi Kodi-Weser: BA, Nadilaß Koch-Weser Nr. 13; vgl. A. Grzesinski: Im Kampf um die deut- sche Republik. Lebensweg eines heute Staatenlosen, Paris 1933 (masdi.sdiriftl.) : BA, Nadilaß Grzesinski (Kl.Erw. Nr. 144).

»· StA Marburg, Best. 180 L. A. Marburg Acc. 1927/5 Nr. 219.

" StA Marburg, Best. 330 Wolfhagen A Nr. 613.

S8 Vgl. vor allem den Aufruf des Landrats von Fulda v. 8. 11. 1918: StA Marburg, Best. 180 L.A. Fulda Nr. 1671; dazu Best. 180 L.A. Marburg Acc. 1927/5 Nr. 219.

» BA, Nadilaß Kodi-Weser Nr. 13: Tgb v. 10.12.1918.

40 Esdistruths Schrift »Gesdiidite der Stadtwehr« konnte bibliographisch nicht ermittelt werden;

ich habe lediglich einen allerdings zerschnittenen Umbruch ausfindig gemacht, nach dem ich zitiere: StA Marburg, Best. 150 Nr. 1910 (zit. Esdistruth). O. Schellmann war der zweite und letzte Stadtwehrführer. Vgl. seine Erinnerungen: Die Stadtwehr in Cassel v. 1. 9. 1919—

31. 3. 1921, Kassel 1921 (zit. Sdiellmann).

41 Eschstruth, S. 1 ff.; Schellmann, S. 5 ff.

41 BA, Nadilaß Koch-Weser Nr. 13: Tgb. y. 8.11.1918; vgl. auch die Rede des Oberbürger- meisters in der Sitzung des Magistrats am 9.11.1918: Absdir. im Nadilaß Koch-Weser Nr. 72.

u Eschstruth, S. 11 f.; Schellmann, S. 11 ff.

44 Sehr, an das Landratsamt Marburg v. 24.11.1918: StA Marburg, Best. 180 L.A. Marburg Acc.

1927/5 Nr. 219.

45 Absdir. des Telegr. v. 22.1.1919 im StAL Göttingen, Rep. 12 Reg. Gumbinnen Tit. I I a Nr. 1.

Vgl. auch Könnemann, S. 351, Dok. 1.

(9)

Diese Beobachtungen dürfen jedoch nicht verallgemeinert46 und beispielsweise nicht auf die Bürgerwehren in Berlin angewandt werden.

In den ersten Januartagen des Jahres 1919 rief der Oberbefehlshaber der Regie- rungstruppen, Noske, die Bewohner der Berliner Vororte und ihrer Umgebung zum Aufbau von Wehrverbänden auf, um den in der Reichshauptstadt kämp- fenden Truppen einen Rückhalt zu geben 47. Allgemeines Aufsehen erregte vor- nehmlich die Wilmersdorfer Bürgerwehr durch die Verhaftung von Karl Lieb- knecht und Rosa Luxemburg: »Am Mittwoch, dem 15. Januar, gegen neun Uhr dreißig Minuten abends, wurde durch Mannschaften der Wilmersdorfer Bürger- wehr der in Wilmersdorf, Mannheimer Straße 43, vorläufig festgenommene Dr.

Karl Liebknecht und gegen zehn Uhr die gleichfalls dort vorläufig festgenom- mene Frau Rosa Luxemburg beim Stabe der Garde-Kavallerie(-Schützen)-Divi- sion eingeliefert4e.« Durch Erlaß vom 20. Januar 1919 bildete Noske die Forma- tionen, deren Mitglieder anfangs ständig Dienst tun mußten, zu listenmäßigen Wehren um und unterstellte sie am 30. Januar 1919 offiziell der Garde-Kaval- lerie-Schützen-Division, die die Ausrüstung und die Leitung des Einsatzes der Wehren übernommen hatte 49. Ihr wurden am 22. März 1919 auch die Erstellung von Wehren im gesamten Bereich von Groß-Berlin übertragen so. Um die Weh- ren einheitlich mit Waffen versorgen zu können, schuf die Garde-Kavallerie- Schützen-Division eine besondere zentrale Stelle, die sie in zwei Abteilungen gliederte: die eine besorgte die Bewaffnung der Einwohnerwehren in Berlin, die andere war für acht Kreise in der Umgebung Berlins zuständigM, die am 30. März 1919 der Garde-Kavallerie-Schützen-Division zugeordnet wurden 52. Hier finden wir den Ursprung der späteren Zentralstelle für Einwohnerwehren, der wir uns noch zuwenden werden.

Am 5. März 1919 gab das Generalkommando des XVIII. Armeekorps in Bad Nauheim einen vom Kommandierenden General v. Etzel und dem Soldatenrat Kremser unterzeichneten Befehl heraus, der die Bildung von weiteren Einwoh-

46 Vgl. C. Severing: Mein Lebensweg. Bd 1: Vom Schlosser zum Minister, Köln 1950, S. 293 (zit. Severing: Lebensweg).

47 Bericht der Konferenz der Einwohnerwehr-Vertreter am 20. u. 21.1.1920, S. 25: StA H a n n o - ver, Des. 122a X X X V I I N r . 84. Vgl. G. Noske: Von Kiel bis Kapp. Zur Geschichte der deut- schen Revolution, Berlin 1920, S. 74 (zit. Noske: Kiel); A. Brecht: Aus nächster Nähe. Lebens- erinnerungen 1884—1927, Stuttgart 1966, S. 233 (zit. Brecht); E. Barth: Aus der Werkstatt

der deutschen Revolution, Berlin 1919, S. 132; Bey-Heard, S. 131 f f .

48 Bericht der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, zit. nach »Vorwärts« N r . 29/30 v. 17.1.

1919; abgedr. im Auszug bei F. Runkel: Die deutsche Revolution. Ein Beitrag zur Zeit- geschichte, Leipzig 1919, S. 217. Vgl. P. N e t t i : Rosa Luxemburg, Köln, Berlin 1967, S. 733 f f . ; P. Frölich: Rosa Luxemburg. Gedanke und Tat, Frankfurt/M., 3. Aufl. 1967, S. 346 ff.; H . Müller-Franken: Die November-Revolution. Erinnerungen, Berlin 1930, S. 271; Volkmann:

Revolution, S. 190; E. Bernstein: Die deutsche Revolution, ihr Ursprung, ihr Verlauf und ihr Werk. Bd 1 : Geschichte der Entstehung und ersten Arbeitsperiode der deutschen Republik, Berlin 1921, S. 165.

4> Abgedr. in: Richtlinien f ü r die Aufstellung einer Einwohnerwehr, hrsg. von der Zentralstelle f ü r Einwohnerwehren beim Reichswehrminister unter Berücksichtigung der in Berlin gesam- melten Erfahrungen, Berlin 1919, S. 5 (zit. Richtlinien). Zur Garde-Kavallerie-Sdiützen-Divi- sion vgl. H . J. Gordon: Die Reichswehr und die Weimarer Republik 1919—1926, Frank- furt/M. 1959, S. 37 u. S. 414 (zit. Gordon). Ober die Eingliederung der Berliner Einwohner- wehren in die Garde-Kavallerie-Schützen-Division vgl. die Darstellungen aus den Nach- kriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps. Bd V I : Die Wirren in der Reichshauptstadt und im nördlichen Deutschland 1918—1920, hrsg. von der Kriegsgeschichtlichen Forsdhungs- anstalt des Heeres, Berlin 1940, S. 192.

M Abschr. im StA Marburg, Best. 180 L.A. Hünfeld N r . 1198.

51 Bericht der Konferenz der Einwohnerwehr-Vertreter am 20. u. 21.1.1920, S. 18 u. S. 25 f.:

StA Hannover, Des. 122a X X X V I I N r . 84.

M Abgedr. in: Richtlinien, S. 5 f.

(10)

nerwehren in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden im Korpsbereich an- ordnete: »Die ernste Lage gegenüber dem immer mehr mit brutaler Gewalt um sich greifenden Spartakismus macht es Behörden und Einwohnern zur gebieteri- schen Pflicht, in ihrem eigensten Interesse selbst mitzuwirken zur Aufrechterhal- tung von Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung von Plünderung, Aufruhr und Gewalttat jeder Art M.« In die Wehren sollten nur »unbescholtene, zuver- lässige, voll ausgebildete, nach Möglichkeit kriegserfahrene Leute« aufgenom- men werden, »die entweder durch Familie, Besitz oder Amt den Ortsbehörden als ruhige, mutige und entschlossene Leute bekannt sind«. Die von den Mitglie- dern gewählten Führer waren »von den städtischen oder sonstigen Verwaltungs- behörden« zu bestätigen. Das Generalkommando erklärte sich bereit, »Gewehre und Munition, Seitengewehre, gegebenenfalls auch Maschinengewehre zur Ver- fügung zu stellen, sobald seitens der anfordernden Behörden für unbedingt zu- verlässige Aufbewahrung (je nach örtlichen Verhältnissen in Gruppendepots von 10—50 Stück bei geeigneten Persönlichkeiten und nach Räumen), Bewa- chung und sachgemäße Behandlung der Waffen Gewähr geleistet werden«

könnte. Diese Anordnung sollte auch auf die schon bestehenden Wehren ange- wandt werden, wobei man auf die örtlichen Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen versprach M. Ahnlich heißt es in den »Richtlinien für die Errichtung von Hei- matwehren in den Landkreisen der Provinz Ostpreußen«, verabschiedet vom Oberpräsidenten und vom Generalkommando des I. Armeekorps, die zwar nicht datiert sind, auf Grund der Aktenbildung aber aus dem März 1919 stammen müssen: »Die Einrichtung und die Auflösung der Heimatwehren bedürfen der Genehmigung des Oberpräsidenten und des zuständigen Generalkommandos.

Anträge sind vom Landrat durch die Hand des Regierungspräsidenten mit einer Äußerung desjenigen Arbeiterrates, dem die Kontrolle des Landratsamtes obliegt, dem Oberpräsidenten einzureichen. Der Oberpräsident holt unter Kon- trolle des Provinzialrats die Entscheidung des Generalkommandos ein. Zweck der Heimatwehr ist der bewaffnete Schutz des Lebens und des Eigentums der Kreisinsassen gegen Bandeneinfälle, Raub und Plünderung, gleichviel von wel- cher Seite sie ausgehen, die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung und Ruhe sowie nötigenfalls die Durchführung der von der Reichs- und Staatsregie- rung und ihren Organen erlassenen Gesetze und Anordnungen auf Befehl der zuständigen Behörde...5 5«

Zu einer einheitlichen Leitung der Wehren durch preußische Zentralbehörden scheint es, wohl infolge der Ereignisse in Berlin und im Reich, nicht gekommen zu sein. Das sollte sich sofort ändern, als die Regierung die Ruhe und Ordnung so weit wieder hergestellt hatte, daß deren Aufrechterhaltung an die Bevölke- rung übertragen werden konnte. Am 18. März 1919 äußerte sich das Preußische Innenministerium erstmals seit dem Umsturz über die Bildung von Einwohner- wehren in einem Erlaß 5e, der vom Reichsinnenministerium übernommen und am 12. April 1919 den anderen deutschen Ländern zugeleitet wurde57. Diesem Erlaß zufolge sollten die Einwohnerwehren am Schutze des privaten Eigentums

» StA Marburg, Best. 180 L.A. Fulda Nr. 1671.

M Sehr, des Kommandeurs der 21. Feldartillerie-Brigade an den Landrat des Kreises Fulda v.

17. 3.1919: StA Marburg, Best. 180 L A . Fulda Nr. 1671.

u StAL Göttingen, Rep. 12 Reg. Gumbinnen Tit. 11 a Nr. 1.

" Absdir. im StA Marburg, Best. 150 Nr. 1930. Vgl. Kolb, S. 386 und Könnemann, S. 357, Dok. 7.

" Absdir. im StA Oldenburg, Best. 136 Nr. 2820.

(11)

mitwirken: »Die großen Gefahren, welche durch Einschleppung und Verbrei- tung bolschewistischer und spartakistischer Ideen und die damit im engsten Zu- sammenhange stehende Tätigkeit plündernder und raubender Banden insbeson- dere auf dem platten Lande erwachsen, machen es notwendig, schleunigst Ab- wehrmaßregeln zu treffen. Da hierzu die ordentliche Polizei einschließlich der Gendarmerie nicht ausreicht, ist es dringend erforderlich, Einwohnerwehren aus zuverlässigen Mitgliedern aller Schichten der Bevölkerung, sei es durch völlige Neubildung oder auch im Anschluß an bestehende Vereine zu schaffen...« Die entstehenden Unkosten mußten die zuständigen Gemeinden tragen, und darauf bestand auch das Preußische Kriegsministerium: «Es ist hier bekannt geworden, daß noch immer für sogenannte Sicherheitswehren, die nur für polizeiliche Zwecke Verwendung finden, die Gebührnisse für Rechnung der Heeresverwal- tung von den Truppen bezahlt werden. Dies ist unzulässig, da derartige Wehren von den Landesbehörden (Gemeinden, Kreisen usw.) bezahlt werden müs- sen . . .5 e«

Läßt ein Vergleich der Aufgaben, die den Einwohnerwehren einerseits von den Generalkommandos, die schließlich nicht ohne Einwilligung des Preußischen Kriegs- und des Reichswehrministeriums handelten M, andererseits vom Preußi- schen Innenministerium zugeschrieben wurden, schon Rückschlüsse auf eine Zu- sammenarbeit der militärischen mit den zivilen Stellen zu, so wird diese Vermu- tung erhärtet durch die vom »Schutzverband deutscher Landwirtschaft« heraus- gegebenen »Richtlinien zur schnellen Aufstellung eines Landschutzes«, die das Innenministerium »als geeignete Unterlage für die zu treffenden Maßnahmen«

empfahl und »die im allgemeinen auch die Billigung des Kriegsministers gefun- den« hatten60, wie nicht nur aus diesem Erlaß, sondern auch aus einem Schrei- ben des Kriegsministeriums an den Reichskanzler vom 8. Juli 1919 eindeutig hervorgeht61. Dazu kommt, daß das Oberkommando Noske (Generalkommando Abteilung Lüttwitz) einem Erlaß vom 22. März 1919 ein »Merkblatt für die Aufstellung von Einwohnerwehren« beifügte, in dem es anordnete: »Bezüglich Organisation von Wehren auf dem flachen Lande Verbindung aufnehmen mit dem Schutzverband Deutscher LandwirtschaftM.« In den »Richtlinien« des Ver- bandes heißt es über die Bewaffnung der Wehren: »Die schwierige Frage der Beschaffung der Waffen ist mit dem Kriegsministerium so vereinbart worden, daß die Gemeinden, Güter und Landstädte ihren Bedarf beim Landratsamt an- melden. Der Landrat veranlaßt dann das Weitere durch die zuständigen Gene- ralkommandos. Es ist auch dringend nötig, gerade bei dem Antrag auf Beschaf- fung von Waffen immer wieder zu betonen, daß es sich nicht etwa um die Vor- bereitung einer Gegenrevolution, sondern lediglich darum handele, die eigene Scholle, Haus und Hof, Hab und Gut und damit das gesamte Vaterland vor dem Untergang zu bewahren es.« Damit werden nicht nur die phantasiereichen und im Grunde durch nichts belegten Angaben bei Gerhard Schulz64 und Thilo

58 Telegr. des Kriegsministers 31. 3.1919 an die Oberpräsidenten: Abschr. im StA Marburg, Best. 150 Nr. 1930.

" Erlaß des Reidispräsidenten über die Regelung der Befehlsbefugnisse v. 9. 3.1919; Tgl. R.

Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reidi. B d l : 30. Januar 1933 bis 2. August 1934, Bop- pard 1969, S. 393 f. ( = Schriften des Bundesardiivs Bd 16 I) (zit. Absolon); Erlaß des Reidis- wehrministers v. 28. 4.1919; Absolon, S. 396.

StA Marburg, Best. 150, Nr. 1930.

« BA, R 43 1/2729.

« StA Marburg, Best. 180 L.A. Hünfeld Nr. 1198.

M Absdir. im StA Marburg, Best. 150 Nr. 1930.

M Sdiulz, S. 334 f.

(12)

Vogelsang 65 über die Stellung des »Schutzverbandes« gegenüber den Behörden auf ihr Maß zurückgeführt ββ; wir können auch feststellen, daß das Zusammen- wirken von militärischer und ziviler Führung bei der Bildung von Einwohner- wehren die Revolution vom 9. November 1918 und die mit ihr verbundenen Er- eignisse überdauert hat.

Gemeinsam war allen Maßnahmen, von welcher Seite sie auch getroffen wur- den, der Charakter des Provisorischen. Es ging um den Aufbau eines schnell wirksamen Schutzes von H a b und Gut des einzelnen, weniger um eine straffe Organisation, die von der Regierung zentral geleitet und zu ihren Zwecken ein- gesetzt werden könnte. Diese Verwendungsmöglichkeit deutete sich erst an, als General Maercker mit dem Freiwilligen Landesjägerkorps die mitteldeutschen Aufstände im Frühjahr 1919 niederschlug und in einzelnen Städten wie Halle, Magdeburg, Braunschweig und Leipzig Bürgerwehren ins Leben rief, die die Aufgabe hatten, »Ruhe und O r d n u n g . . . zu halten und die Durchführung der von der Nationalversammlung beschlossenen Gesetze zu sichern« ®7. Reichs- wehrminister Noske hatte den Antrag Maerckers auf Gründung einer Wehr in Halle, die sich an das gleichzeitig gebildete Wachtregiment und das Freikorps Halle6 8 anlehnte, am 13. März 1919 genehmigt: »Ich bin einverstanden mit der Bildung einer örtlichen Schutzwehr in Halle, die sich aus Angehörigen aller Stände zusammensetztee.« Dementsprechend forderte Maercker in den »Richtli- nien für die Organisation der Sdiutzwehr Halle«: »Die Teilnahme von Arbei- tern ist sehr erwünscht70.» Obwohl wir über die Aufstellung der Wehren in den anderen, nichtpreußischen Städten auf die kurzen Berichte Maerckers in seinen Erinnerungen angewiesen sind7 1, dürfen wir annehmen, daß sie in ähnlicher Weise erfolgten. Erstmals hatte eine zentrale Behörde, das Reichswehrministe- rium, bei der Bildung einer Einwohnerwehr mitgewirkt.

Am 9. April 1919 gab das Generalkommando des IX. Armeekorps in Kassel

»Richtlinien f ü r die Aufstellung von Einwohnerwehren« heraus, die zwar den bereits erwähnten »Gesichtspunkten« des Generalkommandos des X V I I I . Armee- korps vom 5. März 1919 glichen, jedoch in einer Anlage eine »Beitritts- bzw.

Verpflichtungserklärung« für den Eintritt in die Einwohnerwehren anfügte:

, s Th. Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP. Beiträge zur deutsdien Geschichte 1930—

1932, Stuttgart 1962, S. 19 ( = Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd 11) (zit.

Vogelsang).

· · Vgl. Kolb, S. 387.

67 Richtlinien für die Organisation der Sdiutzwehr Halle v. 24. 3.1919: StA Wolfenbüttel, 12 A Neu Fb 5 Nr. 5570. Vgl. audi G. Maercker: Vom Kaiserheer zur Reidiswehr. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Revolution, Leipzig 1921, S. 149 f. (zit. Maercker) ; Der Stahlhelm.

Erinnerungen und Bilder, Bd 1, Berlin 1932, S. 35; V. R. Berghahn: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918—1935, Düsseldorf 1966, S. 21 ( = Beiträge zur Gesdiidite des Parlamen- tarismus und der politischen Parteien Bd 33) (zit. Berghahn); K. Rohe: Das Reidisbanner Schwarz Rot Gold. Ein Beitrag zur Gesdiidite und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966, S. 20 ff. ( = Beiträge zur Gesdiidite des Parlamentarismus und der politisdien Parteien Bd34); J. Sdiunke: Schlacht um Halle. Die Abwehr des Kapp-Putsches in Halle und Umgebung, Berlin (Ost) 1956, S. 20.

ί β Über das Freikorps Halle vgl. Gordon, S. 415.

Inseriert in undatiertem »Aufruf zum Beitritt in die Sdiutzwehr Halle«. Abschr. im StA Wol- fenbüttel, 12 A Neu Fb 5 Nr. 5570.

"> Richtlinien über die Organisation der Sdiutzwehr Halle v. 24. 3.1919: StA Wolfenbüttel, 12 A Neu Fb 5 Nr. 5570.

71 Maercker, S. 190 (Magdeburg), S. 202 u. S. 218 (Braunsdiweig), S. 259 (Leipzig); allgemein Maercker, S. 328 ff.; vgl. audi Gordon, S. 46 u. R. G. L. Waite: Vanguard of Nazism. The Free Corps Movement in Postwar Germany 1918—1923, Cambridge, Mass. 1952, S. 68 u.

S. 197 (zit. Waite).

(13)

»Ich erkläre hiermit meinen Beitritt zur Einwohnerwehr in . . . und verpflichte mich, meine Aufgaben als Mitglied der Einwohnerwehr, die in der Aufrechter- haltung der Ruhe und Ordnung und im Schutze der gesetzmäßigen Regierung bestehen, treu und gewissenhaft zu erfüllen 72.« In dieser Verordnung wurden auch die Kompetenzen der zivilen und militärischen Stellen geregelt, wonach auf ziviler Seite drei Stufen zu unterscheiden sind: einmal die örtliche Einwoh- nerwehr, geleitet durch Magistrat oder Gemeindevorstand; dann die Bezirks- oder Kreis-Einwohnerwehr, geleitet von Bezirksdirektion oder Landrat; schließ- lich die Zusammenfassung aller Bezirks- oder Kreis-Einwohnerwehren bei dem Regierungspräsidenten oder Staatsministerium. Die örtlichen Wehren sollten mit den Garnisonkommandos, die Kreiswehren mit den Divisionen und die ver- antwortliche Stelle im Regierungspräsidium mit dem Generalkommando zusam- menarbeiten. Waffenanforderungen der lokalen Wehren mußten von den Be- zirksdirektoren oder Landräten begründet und beim Generalkommando einge- reicht werden, das sie dem Kriegsministerium zur Genehmigung vorzulegen hatte. Damit wurde nicht nur die Verantwortlichkeit für Aufbau, Organisation und Bewaffnung der Wehren genau festgelegt, sondern die Wehren erhielten auch eine zentrale politische Aufgabe: Schutz der gesetzmäßigen Regierung und des republikanisch-demokratischen Staates. Das geht auch aus der Erklärung hervor, die das Oberkommando Noske von den Bewerbern für den Eintritt in die Wehren verlangte: »Meine Aufgaben als Mitglied der Einwohnerwehr bestehen in Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und im Schutze der ge- setzmäßigen Regierung« 7S, und dementsprechend ist auch der Erlaß abgefaßt, den das Preußische Innenministerium am 15. April 1919 veröffentlichte 74.

Insbesondere die Arbeiterschaft hatte sich geweigert, Einwohnerwehren auf der Grundlage zu bilden, wie sie das Preußisdie Ministerium des Innern am 18. März 1919 vorgeschlagen hatte75, wobei vor allem die dem Erlaß beigegebenen »Richtlinien des Schutzverbandes Deutsdier Landwirtschaft«

die Gemüter erregten7®. Die Folge war, daß, wie es der preußisdie Un- terstaatssekretär Göhre auf der Sitzung des Staatsministeriums am 14. April 1919 ausdrückte, die Einwohnerwehren »in weiten Gegenden . . . unbedingt den Stempel der Organisationen der rechtsstehenden Parteien erhielten« 77. Um die- ser Auswirkung entgegenzutreten und die Arbeiterschaft zur Teilnahme zu ge- winnen, legte Innenminister Heine dem Staatsministerium am 14. April 1919 den Entwurf für einen neuen Erlaß vor, der ausdrücklich »alle Schichten der Bevölkerung zur Mitarbeit in den Einwohnerwehren« aufrief und »in ihren Rei- hen jede gegensätzliche Betätigung politischer Richtung oder wirtschaftlicher Interessen« untersagte 78. Das Staatsministerium stimmte dem Entwurf zu, des-

71 S.S. 23.

n Absdir. im StA Marburg, Best. 150 Nr. 1930, u. im StA Wolfenbüttel, 12 A Neu Fb 5 Nr.

5570. Vgl. audi die inhaldidi übereinstimmende Beitrittserklärung zu den Einwohnerwehren der Garde-Kavallerie-Schützen-Dirision: BA, R 43 1/2729, abgedr. im Auszug bei Schulz, S. 333, Anm. 21.

74 Preuß. Min.Bl. 1919, S. 199; abgedr. auch in den Riditlinien, S. 9—11 und bei Könnemann, S. 358 f., Dok. 8. Vgl. Kolb, S. 387 f. Die Grundsätze sollten auch auf bestehende Wehren an- gewandt werden. Erlaß des Preußischen Ministers des Innern v. 30. 4. 1919; Absdir. im StA Marburg, Best. 150 Nr. 1930.

75 S.S. 24.

7· Vgl. Kolb, S. 386 f.

77 Zit. nach der Übertragung des stenographisdi geführten Tgb. von A. Südekum: BA, Nachlaß Südekum Nr. 105 (zit. Südekum: Tgb.).

78 § 1 des Erlasses • . 15. 4.1919.

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sen Inhalt Göhre durch die Presse der Öffentlichkeit bekannt zu machen emp- fahl. Auf seine Anregung sollte »eine Instanz bestimmt« werden, »die darüber zu -wachen hat, daß die Wehren audi wirklidi so aufgebaut werden«, wie es der neue Erlaß vorsah 79. Mit dieser Aufgabe wurden die Oberpräsidenten betraut.

Zu einer strengen Uberparteilichkeit verpflichtete sich auch der Preußische Kriegsminister: »Waffen werden an Wehren nur ausgegeben, die sich von Par- teien freihalten und sidi nidit auf eine Partei beschränken.« Im übrigen ver- langte er: »Erlaß muß auch zum Reichswehrministerium kommen, damit sichere Übereinstimmung vorliegt.« Das Staatsministerium war einverstanden.

Allerdings galt die Überparteilichkeit der Einwohnerwehren nur für solche Par- teien, die sich zu den Grundsätzen der Weimarer Republik bekannten. Infolge- dessen heißt es im Punkt 5 des Erlasses vom 15. April 1919: »Die Mitglieder der Einwohnerwehren müssen sich bei ihrem Eintritt durch Handschlag verpflich- ten, der republikanischen Staatsform und der vom Volke gewählten Regierung ihre treuen Dienste zu widmen und die vom Volke gegebenen Gesetze und die öffentliche Ordnung nötigenfalls mit Waffengewalt zu verteidigen.«

Den Einsatz der Einwohnerwehren regelt der Erlaß des Innenministeriums nicht; darüber bestimmte der Reichswehrminister in seiner Verordnung vom 25. April 1919 80, wie sich denn überhaupt beide Verfügungen in einer Weise ergänzen, die unbedingt darauf schließen läßt, daß neben dem Preußischen Kriegsminister auch der Reichswehrminister den von Heine ausgearbeiteten Er- laß voll unterstützte, selbst wenn im einen Fall das Mindestalter der Mitglieder mit 20, im anderen mit 24 Jahren angegeben wird: »Um sachgemäßes Zusam- menarbeiten der Einwohnerwehren mit den Truppen zu gewährleisten, erfolgt Einberufung und Einsatz der Wehren bei Plünderungen, Putschversuchen usw.

an Orten mit militärischer Besatzung auf Anordnung der örtlichen militärischen Kommandobehörden im Einvernehmen mit den Zivilbehörden, im übrigen durch die Gemeindevorsteher usw. unter sofortiger nachträglicher Benachrichtigung der zuständigen militärischen Dienststellen (Reidiswehrbrigaden bezw. General- kommandos).« Die Verantwortlichkeit der zivilen Stellen bezüglich Aufbau und Organisation der Wehren blieb erhalten und wurde auch im Erlaß des Reichs- wehrministers ausdrücklich hervorgehoben: »Die Bildung von Einwohnerwehren ist Angelegenheit der örtlichen Zivilbehörden, denen die militärischen Kom- mandobehörden auf Wunsch in Fragen der Organisation Unterstützung leisten.«

Eine wesentliche Ergänzung des Erlasses vom 25. April 1919 erfolgte am 17. Mai 1919, als das Reichswehrministerium auf Antrag des Leiters der Ein- wohnerwehr Berlin-Friedenau, Fritz Maser8 1, anordnete: »In Erweiterung der Verfügung . . . vom 25. 4 . 1 9 wird hiermit auf Antrag bestätigt, daß in die gänz- lich unpolitischen Einwohnerwehren wehrfähige Männer aller Parteien und Verbände aufgenommen werden sollen; sie müssen bereit sein, als ehrliche Republikaner die vom Volke gewählte jetzige Regierung mit allen Mitteln zu schützen; sie müssen gewillt sein, den Schutz von Heimat und Herd gegen alle Angriffe von gewalttätigen Minderheiten durchzuführen. Die Einwohnerwehren

71 Südekum: Tgb. v. 14. 4. 1919. Nach diesem Tagebuch sind audi die folgenden Zitate aus der Sitzung des Preußischen Staatsministeriums wiedergegeben.

80 Abgedr. in den Riditlinien, S. 6—8 und bei Könnemann, S. 360 f., Dok. 10. Vgl. Benoist- Mádiin, Bd 2: Jahre der Zwietracht 1919—1925, Oldenburg, Hamburg 1965, S. 145 ff.

81 Maser wurde später Pressereferent der Zentralstelle für Einwohnerwehren: Einwohnerwehr.

Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern 1. Jg Nr. 8 v. 15.10.1919.

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sind verpflichtet, durch besonders gewählte Ausschüsse die Zuverlässigkeit der sich zur Mitgliedschaft Meldenden zu prüfen und die Übernahme der Bürgschaft durch mindestens zwei Mitglieder zu verlangen.« Der Erlaß endet mit der Mit- teilung: »Zur Beratung und Mithilfe bei der Organisation der Einwohnerwehren ist beim Reichs [wehr] ministerium eine Zentrale für Einwohnerwehren geschaffen worden 82.« Durch diese Einrichtung erhielten die Einwohnerwehren eine orga- nisatorische Spitze, die den Zweck verfolgte, nicht nur für Preußen, sondern für das ganze Deutsche Reich den Aufbau der Wehren zu vereinheitlichen.

Wir können heute nicht mehr genau festlegen, wann die Zentralstelle für Ein- wohnerwehren beim Reichswehrministerium eingesetzt worden ist. Ihren eigent- lichen Ursprung haben wir bereits erwähnte3. Sie selbst leitete sich aus der Ver- fügung des Reichswehrministers vom 25. April 1919 her, der sie »im Einverneh- men mit dem Preußischen Ministerium des Innern« eingeriditet und »mit der Erledigung sämtlicher, an den Stab des Reichswehrministers gerichteten Einga- ben betr. Einwohnerwehren beauftragt« habe 84. Während wir an der Überein- kunft zwischen militärischen und zivilen Stellen kaum zu zweifeln brauchen, ist in dem genannten Erlaß eine Nennung der Zentralstelle oder auch nur ein Hin- weis darauf nicht enthalten. Die früheste Erwähnung, die sich feststellen ließ, erfolgte am 17. Mai 1919. Von diesem Tage stammen zwei Schreiben, die sich mit der Zentralstelle befassen oder von ihr ausgingen; das eine ist eine Mittei- lung des Reichswehrministers an den »Schutzverband Deutscher Landwirt- schaft«: »Der Landesschutz (Einwohnerwehren auf dem flachen L a n d e ) . . . arbeitet... in engster Fühlungnahme mit der Zentralstelle für Einwohnerweh- ren beim Reidiswehrminister<.. ·85«; beim zweiten handelt es sich um das Begleit- schreiben an den Leiter der Einwohnerwehr zu Berlin-Friedenau zu der Ergän- zung des Erlasses vom 25. April 1919, das von der »Zentralstelle für Einwohner- wehren beim Reichs[wehr]ministerium« verfaßt wurde und uns in einer Abschrift vorliegt8e. Demnach muß die Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichs- wehrministerium zwischen dem 25. April und 17. Mai 1919 gebildet worden sein 87, und dafür spricht auch die Druckschrift »Richtlinien für Werberedner«, die die Zentralstelle im Mai 1919 zur Förderung des Einwohnerwehr-Gedankens versandte M. Genauer sind wir dagegen über die Aufgaben der Zentralstelle un- terrichtet:

»1. Beratung und Anregung in allen die Organisation der Einwohnerwehren betreffenden Fragen; Unterstützung mit Wort und Tat bei Neugründungen;

Vermittlung und Erleichterung der Waffenlieferungen;

2. Mithilfe an der Werbetätigkeit durch Propagandamaterial, ausgebildete Redner und Vertrauensleute;

3. Ausbildung von Rednern in einer Rednersdiule;

4. Unfall- und Todesversicherung . . . ; Listenführung (nur Stärke und Aufstel- lungsort) der vorhandenen Wehren für den Reichswehrminister...;

M Absdir. im StA Wolfenbüttel, 12 A Neu Fb 5 Nr. 5570.

M S.S.23.

94 Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichs- wehrministerium 1. Jg Nr. 1 v. 1. 7.1919.

85 Absdir. im StA Hannover, Des. 122 a XXXVII Nr. 74.

M StA Wolfenbüttel, 12 A Neu Fb 5 Nr. 5570. In der Vorlage heißt es zwar »Reichsministerium«, doch dürfte es sidi dabei um einen Fehler der Abschrift handeln.

« Vgl. auch C. Severing: 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, Bielefeld 1927, S. 103: »im Mai« (zit. Wetter).

88 StA Wolfenbüttel, 12 A Neu Fb 5 Nr. 5570.

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5. Sammlung aller Erfahrungen auf dem Gebiete der Einwohnerwehren; Her- ausgabe von Richtlinien; die Zentralstelle wird 14tägig regelmäßige Mittei- lungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren herausgeben, die alle amt- lichen Erlasse und sonstigen Erfahrungen von allgemeinem Interesse ent- halten sollten . . .8 9 «

Soweit die Verfügungen der Armeekorps nicht mit denjenigen des Reichswehr- und Preußischen Kriegsministers übereinstimmten, erließen die zuständigen Ge- neralkommandos ergänzende Verordnungen, was jedoch nur in einzelnen Fällen zur Regelung der Waffenausgabe erforderlich war eo. Am 30. Mai 1919 ermäch- tigte das Preußische Kriegsministerium die Generalkommandos, »die Abgabe von Handwaffen und Munition (pro Gewehr bis zu 30 Patronen) aus dem Korpsbereich selbständig zu verfügen« 91. Im einzelnen erklärte sich das Kriegs- ministerium bereit, den Einwohnerwehren für jedes Gewehr 98 bis zu 30 Patro- nen 88 zu liefern, die am 18. Juli 1919 auf 40 als eisernem Bestand und 10 zu Übungszwecken erhöht wurden 92 ; hinzu kamen für jedes schwere Maschinenge- wehr (MG 08) bis zu 100 S-Patronen und für jedes leichte Maschinengewehr (MG 08/10) bis zu 700 S-Patronen. Das Kriegsministerium übernahm außerdem die Verpflichtung, für die Instandsetzung der Masdiinengewehre zu sorgen 9S. Voraussetzung war allerdings, daß die Gemeinden beim Aufbau der Wehren zwar ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit vorgingen, aber Angehörige der extremen Linken aussdilössen. Diesem Gesichtspunkt hatten die zentralen Behörden sdion in allen ergangenen Verfügungen große Aufmerksamkeit gewidmet, und am 25.

Juni 1919 wandte sich der Reichswehrminister noch einmal mit einem speziellen Erlaß gegen die Aufnahme von Mitgliedern extrem linksstehender Parteien: »So- lange die USPD sich nicht auf den Boden der Verfassung stellt, sondern den Sturz der Regierung anstrebt zur Beseitigung der Demokratie und Aufriditung der Diktatur einer Minderheit, ist die Bewaffnung von Anhängern der USPD unter allen Umständen unzulässig, ganz gleidi, ob sie auf die verlangten Verpflichtun- gen eingehen. Es muß diesseitigen Eraditens daran festgehalten werden, daß, so- lange der innere Friede und das demokratische Fundament des Staates nidit gesichert sind, Mitgliedern der USPD und der KPD keine Waffen überlassen werden dürfen und diese deshalb audi nidit in die Einwohnerwehren aufgenom- men werden können M

e» S.Anm. 84.

M Ζ. B. für das VIII. A.K. am 19. 5.1919: StA Oldenburg, Best. 136 Nr. 2820; für das X. A.K.

am 22.5.1919: StA Oldenburg, Best. 136 Nr. 2825; für das XI.A.K. am 24.5.1919: StA Marburg, Best. 150 Nr. 1930.

·» Absdir. im StA Oldenburg, Best. 136 Nr. 2825.

w Absdir. eines Telegr. des Kriegsministeriums an die A.K.: StA Marburg, Best. 180 L.A. Fulda Nr. 1671. Vgl. audi den Erlaß des Gen.Kdo. XI. A.K. v. 21. 7.1919: StA Marburg, Best. 180 L.A. Hünfeld Nr. 1198.

M Absdir. eines Erlasses des Preußischen Kriegsministers v. 4.6.1919: StA Marburg, Best. 180 L.A. Fulda Nr. 1671. Ober die Waffen vgl. E. Graf v. Matusdika: Organisationsgesdiidite des Heeres 1890—1918. In: Handbudi zur deutschen Militärgeschidite 1648—1939. Teil V, Frankfurt/M. 1968, S. 160, S. 166 u. S. 232.

4 Inseriert in der Vfg. des Reichswehrgruppenkommandos I v. 7. 7.1919. Absdir. im StA Olden- burg, Best. 136 Nr. 2820. Abgedr. bei Könnemann, S. 374 f., Dok. 87 und bei Kanzler, S. 47 mit unrichtigem Datum.

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Die Einwohnerwehren unter alleiniger ziviler Verantwortung

Bis zu diesem Zeitpunkt waren die verantwortlichen Stellen in der Lage, Ein- wohnerwehren aufzubauen, ohne auf das Ausland Rücksicht nehmen zu müssen.

Da aber griff die auswärtige Politik entscheidend in die Entwicklung ein: Die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages am 28. Juni 1919 machte eine Neuregelung erforderlich, da die Entente nicht nur die Stärke des Reichsheeres auf 100 000 Mann festsetzte, sondern auch jede Organisation verbot, die sich in irgendeiner Beziehung mit militärischen Dingen befaßte 96. Zwar waren Aufbau und Zusammensetzung der Wehren, wie wir gesehen haben, unbestritten Sache der zivilen Behörden; Bewaffnung und Einsatz dagegen lagen, auf Grund des Erlasses vom 25. April 1919, in den Händen der militärischen Stellen, und die- ser Umstand konnte der Entente die Möglichkeit bieten, in den Einwohnerweh- ren dem Versailler Vertrag widersprechende Formationen zu sehen und damit deren Existenz gefährden. Um jeden Zweifel an der zivilen Zusammensetzung, Leitung und Aufgabe auszuschließen, verfügte der Reichswehrminister am 5. Juli 1919: »Der Bestand der Einwohnerwehren ist durch die Friedensbedin- gungen gefährdet. Der Aufbau der Einwohnerwehren auf militärischer Grund- lage wird unter Anwendung des Artikels 177 der Friedensbedingungen zweifel- los verboten. Um die Beibehaltung der Einwohnerwehren bei der Entente durch- setzen zu können, müssen die Wehren schon jetzt jedes militärischen Charakters entkleidet werden. Ihre Leitung muß in die Hände der Zivilbehörden überge- hen . . . Losgelöst von jeder militärischen Organisation, sind sie in Zukunft nur noch rein bürgerlicher Selbstschutz zur Verstärkung der Polizei. Ebenso wie die Feuerwehr und das Rote Kreuz zählen sie zu den Einrichtungen gemeinnützigen Wohls ee.« Das bedeutete, wenngleich es nicht ausdrücklich betont wurde, daß von nun an das Innenministerium und die nachgeordneten Instanzen auch die Ausrüstung und den Einsatz der Wehren zu besorgen hatten.

Zudem erwarteten die militärischen Stellen, daß sich die Übertragung der Ver- antwortlichkeit auch auf die Zahl der Waffen und Munition auswirken würde, die die Alliierten dem deutschen Heere zugebilligt hatten — schien es doch dadurch möglich, auf legalem Wege eine Art Verstärkung zu schaffen, die über den im Versailler Vertrag festgesetzten Höchstbestand hinausging 97. Diese Ab- sicht kommt in dem Ersuchen des Preußischen Kriegsministers vom 24. Juli 1919 an die Generalkommandos zum Ausdruck, es möge »auf eine vermehrte Zuwei- sung von Gewehren 98 mit S-Patronen an Einwohnerwehren Bedacht genom- men werden, um nach Verringerung der Reichswehr den Schutz der Einwohner gegen die Bestrebungen des Bolschewismus auch weiterhin wirksam gewährlei- sten zu können« 98, und sie wird uns vollends deutlich durch den Erlaß des Reichswehrministers vom 7. August 1919: »Nach dem Friedensvertrag sind alle Waffen bis auf diejenigen auszuliefern, die für das künftige Heer gebraucht werden. Es würden also auch alle Waffen zur Auslieferung gelangen müssen, die sich im Eigentum der Heeresverwaltung befinden, jedoch den Einwohner-

*5 Art. 177 des Friedensvertrages.

M Absdir. des Erlasses: StA Oldenburg, Best. 136 Nr. 2820. Abgedr. bei Könnemann, S. 373 f., Dok. 16 und bei Kanzler, S. 46 mit unrichtigem Datum; vgl. Noske: Erlebtes, S. 118; ders.:

Kiel, S. 173; Benoist-Midnin, Bd 2, S. 146; Waite, S. 200; Salewski, S. 82; H. Heidegger: Die deutsche Sozialdemokratie und der nationale Staat 1870—1920, Göttingen, Berlin, Frankfurt

1956, S. 300 ( = Göttinger Bausteine zur Gesdiiditswissensdiaft Bd 25).

" Art. 164 u. 165 des Friedensvertrages.

3 1 99 Absdir. des Erlasses v. 24. 7.1919 im StA Marburg, Best. 180 L.A. Fulda Nr. 1671.

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