• Keine Ergebnisse gefunden

Nur eine globale Bank kann

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Nur eine globale Bank kann"

Copied!
24
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Nur eine globale Bank kann

Menschen und Märkte verbinden.

Als globale Bank sind wir in der Lage, unseren Kunden weltweit ein starker Partner zu sein. Unsere Präsenz in über 70 Ländern ermöglicht ihnen wertvolle Einblicke in die Risiken und Chancen der Märkte. Diese globale Aufstellung und unser ausgewogenes Geschäftsmodell geben unseren Kunden die nötige Kraft und Stabilität, ihre Ziele zu erreichen.

Eine Konferenz der

Alfred Herrhausen Gesellschaft und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

2013

(2)

VON THOMAS MATUSSEK

Wo sind die zufriedenen Deutschen? Wenn man den internationalen Medien folgt, ist das Land auf dem richtigen Weg: Die Ar- beitslosigkeit sinkt, die Konsumfreude wirkt ungebrochen, und selbst das Gewittergrollen der Euro-Krise scheint sich zu entfernen. Und doch: Die Bürgerinnen und Bürger schei- nen nicht zufrieden, eher resigniert.

Grund dafür ist ein Verlust an Vertrauen in unserer Gesellschaft: in eine Politik, die kurz- atmig wirkt; in ein System, dem man die Be- wältigung großer Herausforderungen nicht zutraut. Die Bürgerinnen und Bürger wollen einfache Antworten auf komplexe Probleme. Dies können Politiker nicht leisten, wie auch der Wahlkampf zeigt.

Also fühlen sich die Menschen von der Poli- tik und dem System alleingelassen und verlie- ren an Interesse. Dass vor allem die Stimmen der jungen Generation weitgehend verloren- gehen, ist eine gefährliche Entwicklung, denn der Vertrauensverlust von heute wird so zum Dauerzustand von morgen.

Für die Politik gilt es, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Und die Bürger? Sollten sie – nach dem Motto „Es wird schon werden“

– mit den gleichen Ritualen weitermachen wie bisher? Sich abwenden vom System?

Um die Demokratie lebendig zu halten, brauchen wir die Mitwirkung der Bürger. Die- se geschieht in unserem System am besten durch Wahlen. Demokratie verlangt Verant- wortung des Einzelnen, Wahlverweigerung wird dieser Verantwortung nicht gerecht.

Als deutscher Botschafter habe ich in In- dien, den Vereinigten Staaten und Großbri- tannien gearbeitet und lebe nun in Deutsch- land. Ich habe also unterschiedliche

Demokratieformen und Wahlsysteme kennen- gelernt. Denke ich an Deutschland, dann den- ke ich an die vielen Möglichkeiten der Mitwir- kung und an die bewegte und bewegende Ge- schichte der deutschen Demokratie.

Sie denken an Deutschland und sind nicht zufrieden? Mit Ihrer Stimmabgabe können Sie daran etwas ändern! Ihre Einflussmöglich- keiten sind groß.

DIE KONFERENZ ZUM MAGAZIN

Wie kann es sein, dass die Wahl – der Erneuerungsmechanismus politischer Herrschaft – ähnli- che Gefühle hervorruft wie eine unliebsame Familienfeier? Es gehört zum guten Ton, dass man erscheint, aber wenn man mal nicht hingeht, hat das keine Konsequenzen. Werden Wahlen tatsächlich zum Relikt der Demokratie?

Am 6. September 2013 wollen wir auf der fünften „Denk ich an Deutschland“-Konferenz in Berlin nicht nur die Heraus- forderungen thematisieren, mit denen sich unser politisches System konfrontiert sieht; wir wollen auch versuchen, Ant- worten aufzuzeigen.

Anregen werden diese Diskussion Hamel Abdel- Samad, Ali Aslan, Holm Friebe, Francis Fukuyama, Gerd Gige- renzer, Wolfgang Gründinger, Anshu Jain, Renate Köcher, Bert- hold Kohler, Andreas Korn, Karl-Rudolf Korte, Herfried Münkler, Günther Nonnen- macher, Julia Schramm, Thomas Matussek, Sebastian Turner, Franz Walter und viele andere.

Foto Jens Gyarmaty

Die Konferenz ist bereits ausgebucht. Wir bitten um Verständnis dafür, dass wir keine weiteren Anmeldungen berücksichtigen können.

Informationen finden Sie unter www.denkichandeutschland.net;

dort werden im Anschluss Texte und Dokumente veröffentlicht.

VON BERTHOLD KOHLER

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Das alte deut- sche Sprichwort scheint von Wahl zu Wahl ak- tueller zu werden. Selbst überzeugte Demo- kraten wie die Deutschen tun sich offenbar immer schwerer damit, ihre Wahlentschei- dung zu treffen. Die Zahl derer, die auch kurz vor der Wahl noch nicht wissen, wen sie wäh- len sollen, wächst, die Wahlbeteiligung sinkt. Viele Bürger fahren am Wahlsonntag lieber ins Grüne als ins Wahllokal.

Alles nur Zeichen einer um sich greifenden Politik- und Parteienverdrossenheit? Oder könnte es da auch ein Element der uneinge- standenen Zufriedenheit geben? Der Zorn der

„Wutbürger“ auf das politische System und sei- ne Repräsentanten ist offenkundig nicht so groß, dass Wahlen dazu genutzt würden, die bestehenden Verhältnisse auf den Kopf zu stel- len. Die „Piraten“, die wie vor ihnen die Grü- nen alles anders machen wollten als die ande- ren, stünden dafür zur Verfügung. Doch stel- len sie wie auch die „Alternative für Deutsch- land“ ausweislich der Umfragen nur für eine überschaubare Zahl der Deutschen eine tat- sächliche „Alternative“ dar. Der deutsche Wähler meckert, aber er meutert nicht.

Verglichen mit anderen Weltgegenden hat er dazu auch keinen Grund. Die Völker, die sich erst kürzlich von ihren autoritären Re-

gimen befreien konnten, müssen auf dem Weg zu Freiheit und Rechtsstaat ganz andere Qualen ertragen. Die Demokratie fällt nicht vom Himmel. In den Ländern des „Arabi- schen Frühlings“ werden die ersten Wahl- kämpfe nicht selten noch mit dem Gewehr ausgetragen. Und auch dort können, wie in Ägypten oder im Gazastreifen geschehen, aus demokratischen Wahlen Sieger hervorgehen, die alles andere als demokratisch gesinnt sind, jedenfalls nach westlichem Verständnis.

Und doch gibt es unter dem Banner der Volksherrschaft keine Alternative zu Wahl und Abstimmung, weder in saturierten Wohl- standsgesellschaften noch in blutjungen De- mokratien, die sich und anderen erst bewei- sen müssen, dass sie solche sind. Der Akt der Machtübertragung und auch des Machtent- zugs steht im Zentrum der repräsentativen Demokratie. In Zeiten des Umbruchs in Afrika und Arabien sowie kurz vor einer Bun- destagswahl gibt es Grund genug, über ihn auf einer Konferenz und in dieser Beilage nachzudenken.

IMPRESSUM

Zur Konferenz der Alfred Herrhausen Gesellschaft und der Frankfurter Allge- meinen Zeitung erscheint die Beilage Denk ich an Deutschland 2013.

Die Beilage ist eine Produktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Verantwortlicher Redakteur:

Klaus-Dieter Frankenberger.

Zuständiger Redakteur:Bertram Eisenhauer.Art Director:Peter Breul.

Bildredakteur:Christian Pohlert.

Gestaltung:Tobias Stier, Boris Wilde.

Repro/Produktion:Michael Lukas, Annette Tillmann.

Verantwortlich für Anzeigen:

Andreas Formen (Verlagsgeschäfts- führer); für Anzeigenproduktion:

Stephan Puls.

Druck:Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH, Mörfelden-Walldorf.

© Copyright Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt am Main.

Redaktion und Verlag, Postanschrift:

Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Hellerhofstraße 2–4, 60267 Frankfurt am Main.

Diese Sonderbeilage und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlags strafbar.

Zum Titelbild:17. Juni 1953.

Zu den Forderungen der De- monstranten in Ost-Berlin wie in vielen anderen ostdeutschen Städten gehörte die nach freien und geheimen Wahlen. Das SED-Regime empfand die Forderung als Bedrohung seiner Herrschaft, der Volksaufstand wurde brutal niedergeschlagen.

Doch die Erhebung von Arbeitern und Angestellten vor sechzig Jahren symbolisiert bis heute den Anspruch auf politische Teilhabe durch Wahlen in Freiheit.

Foto AKG

ES WIRD SCHON WERDEN!?

Thomas Matussek ist Geschäftsführer der Alfred Herrhausen Gesellschaft.

GANZ ANDERE QUALEN

Berthold Kohler

ist Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

(3)

VON THOMAS MATUSSEK

Wo sind die zufriedenen Deutschen? Wenn man den internationalen Medien folgt, ist das Land auf dem richtigen Weg: Die Ar- beitslosigkeit sinkt, die Konsumfreude wirkt ungebrochen, und selbst das Gewittergrollen der Euro-Krise scheint sich zu entfernen.

Und doch: Die Bürgerinnen und Bürger schei- nen nicht zufrieden, eher resigniert.

Grund dafür ist ein Verlust an Vertrauen in unserer Gesellschaft: in eine Politik, die kurz- atmig wirkt; in ein System, dem man die Be- wältigung großer Herausforderungen nicht zutraut. Die Bürgerinnen und Bürger wollen einfache Antworten auf komplexe Probleme.

Dies können Politiker nicht leisten, wie auch der Wahlkampf zeigt.

Also fühlen sich die Menschen von der Poli- tik und dem System alleingelassen und verlie- ren an Interesse. Dass vor allem die Stimmen der jungen Generation weitgehend verloren- gehen, ist eine gefährliche Entwicklung, denn der Vertrauensverlust von heute wird so zum Dauerzustand von morgen.

Für die Politik gilt es, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Und die Bürger? Sollten sie – nach dem Motto „Es wird schon werden“

– mit den gleichen Ritualen weitermachen wie bisher? Sich abwenden vom System?

Um die Demokratie lebendig zu halten, brauchen wir die Mitwirkung der Bürger. Die- se geschieht in unserem System am besten durch Wahlen. Demokratie verlangt Verant- wortung des Einzelnen, Wahlverweigerung wird dieser Verantwortung nicht gerecht.

Als deutscher Botschafter habe ich in In- dien, den Vereinigten Staaten und Großbri- tannien gearbeitet und lebe nun in Deutsch- land. Ich habe also unterschiedliche

Demokratieformen und Wahlsysteme kennen- gelernt. Denke ich an Deutschland, dann den- ke ich an die vielen Möglichkeiten der Mitwir- kung und an die bewegte und bewegende Ge- schichte der deutschen Demokratie.

Sie denken an Deutschland und sind nicht zufrieden? Mit Ihrer Stimmabgabe können Sie daran etwas ändern! Ihre Einflussmöglich- keiten sind groß.

DIE KONFERENZ ZUM MAGAZIN

Wie kann es sein, dass die Wahl – der Erneuerungsmechanismus politischer Herrschaft – ähnli- che Gefühle hervorruft wie eine unliebsame Familienfeier? Es gehört zum guten Ton, dass man erscheint, aber wenn man mal nicht hingeht, hat das keine Konsequenzen. Werden Wahlen tatsächlich zum Relikt der Demokratie?

Am 6. September 2013 wollen wir auf der fünften „Denk ich an Deutschland“-Konferenz in Berlin nicht nur die Heraus- forderungen thematisieren, mit denen sich unser politisches System konfrontiert sieht; wir wollen auch versuchen, Ant- worten aufzuzeigen.

Anregen werden diese Diskussion Hamel Abdel- Samad, Ali Aslan, Holm Friebe, Francis Fukuyama, Gerd Gige- renzer, Wolfgang Gründinger, Anshu Jain, Renate Köcher, Bert- hold Kohler, Andreas Korn, Karl-Rudolf Korte, Herfried Münkler, Günther Nonnen- macher, Julia Schramm, Thomas Matussek, Sebastian Turner, Franz Walter und viele andere.

Foto Jens Gyarmaty

Die Konferenz ist bereits ausgebucht. Wir bitten um Verständnis dafür, dass wir keine weiteren Anmeldungen berücksichtigen können.

Informationen finden Sie unter www.denkichandeutschland.net;

dort werden im Anschluss Texte und Dokumente veröffentlicht.

VON BERTHOLD KOHLER

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Das alte deut- sche Sprichwort scheint von Wahl zu Wahl ak- tueller zu werden. Selbst überzeugte Demo- kraten wie die Deutschen tun sich offenbar immer schwerer damit, ihre Wahlentschei- dung zu treffen. Die Zahl derer, die auch kurz vor der Wahl noch nicht wissen, wen sie wäh- len sollen, wächst, die Wahlbeteiligung sinkt.

Viele Bürger fahren am Wahlsonntag lieber ins Grüne als ins Wahllokal.

Alles nur Zeichen einer um sich greifenden Politik- und Parteienverdrossenheit? Oder könnte es da auch ein Element der uneinge- standenen Zufriedenheit geben? Der Zorn der

„Wutbürger“ auf das politische System und sei- ne Repräsentanten ist offenkundig nicht so groß, dass Wahlen dazu genutzt würden, die bestehenden Verhältnisse auf den Kopf zu stel- len. Die „Piraten“, die wie vor ihnen die Grü- nen alles anders machen wollten als die ande- ren, stünden dafür zur Verfügung. Doch stel- len sie wie auch die „Alternative für Deutsch- land“ ausweislich der Umfragen nur für eine überschaubare Zahl der Deutschen eine tat- sächliche „Alternative“ dar. Der deutsche Wähler meckert, aber er meutert nicht.

Verglichen mit anderen Weltgegenden hat er dazu auch keinen Grund. Die Völker, die sich erst kürzlich von ihren autoritären Re-

gimen befreien konnten, müssen auf dem Weg zu Freiheit und Rechtsstaat ganz andere Qualen ertragen. Die Demokratie fällt nicht vom Himmel. In den Ländern des „Arabi- schen Frühlings“ werden die ersten Wahl- kämpfe nicht selten noch mit dem Gewehr ausgetragen. Und auch dort können, wie in Ägypten oder im Gazastreifen geschehen, aus demokratischen Wahlen Sieger hervorgehen, die alles andere als demokratisch gesinnt sind, jedenfalls nach westlichem Verständnis.

Und doch gibt es unter dem Banner der Volksherrschaft keine Alternative zu Wahl und Abstimmung, weder in saturierten Wohl- standsgesellschaften noch in blutjungen De- mokratien, die sich und anderen erst bewei- sen müssen, dass sie solche sind. Der Akt der Machtübertragung und auch des Machtent- zugs steht im Zentrum der repräsentativen Demokratie. In Zeiten des Umbruchs in Afrika und Arabien sowie kurz vor einer Bun- destagswahl gibt es Grund genug, über ihn auf einer Konferenz und in dieser Beilage nachzudenken.

IMPRESSUM

Zur Konferenz der Alfred Herrhausen Gesellschaft und der Frankfurter Allge- meinen Zeitung erscheint die Beilage Denk ich an Deutschland 2013.

Die Beilage ist eine Produktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Verantwortlicher Redakteur:

Klaus-Dieter Frankenberger.

Zuständiger Redakteur:Bertram Eisenhauer.Art Director:Peter Breul.

Bildredakteur:Christian Pohlert.

Gestaltung:Tobias Stier, Boris Wilde.

Repro/Produktion:Michael Lukas, Annette Tillmann.

Verantwortlich für Anzeigen:

Andreas Formen (Verlagsgeschäfts- führer); für Anzeigenproduktion:

Stephan Puls.

Druck:Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH, Mörfelden-Walldorf.

© Copyright Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt am Main.

Redaktion und Verlag, Postanschrift:

Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Hellerhofstraße 2–4, 60267 Frankfurt am Main.

Diese Sonderbeilage und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlags strafbar.

Zum Titelbild:17. Juni 1953.

Zu den Forderungen der De- monstranten in Ost-Berlin wie in vielen anderen ostdeutschen Städten gehörte die nach freien und geheimen Wahlen. Das SED-Regime empfand die Forderung als Bedrohung seiner Herrschaft, der Volksaufstand wurde brutal niedergeschlagen.

Doch die Erhebung von Arbeitern und Angestellten vor sechzig Jahren symbolisiert bis heute den Anspruch auf politische Teilhabe durch Wahlen in Freiheit.

Foto AKG

ES WIRD SCHON WERDEN!?

Thomas Matussek ist Geschäftsführer der Alfred Herrhausen Gesellschaft.

GANZ ANDERE QUALEN

Berthold Kohler

ist Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

(4)

Als die SPD noch für die Kernkraft war und die CDU auf Helmut Schmidt setzte:

Zeitgeschichte entlang der Werbeplakate.

1969

EIN KLEINES

BILDERBUCH DER DEUTSCHEN WAHL

1953 1953

2005 1949

1953 1932

1979

1994

1990 1957

FotoArchiv(3),ArchivdesLiberalismus/Friedrich-Naumann-StiftungfürdieFreiheit(3),ArchivdersozialenDemokratie/Friedrich-Ebert-Stiftung(3),ArchivfürChristlich-DemokratischePolitik/Konrad-Adenauer-Stiftung/Plakatsammlung(10), ArchivGrünesGedächtnisderHeinrich-Böll-Stiftung(2),Bundesarchiv(2),Bridgeman,dpaPicture-Alliance,Interfoto(2),SZFoto,WerbeagenturButter,WerbeagenturZumgoldenenHirschen.

1957

1990

1957 1957

2002 1957

1972 1987

1990 2002

1946

1994 1994 2005

1976

1953

1949 1949

1957

(5)

Als die SPD noch für die Kernkraft war und die CDU auf Helmut Schmidt setzte:

Zeitgeschichte entlang der Werbeplakate.

1969

EIN KLEINES

BILDERBUCH DER DEUTSCHEN WAHL

1953 1953

2005 1949

1953 1932

1979

1994

1990 1957

FotoArchiv(3),ArchivdesLiberalismus/Friedrich-Naumann-StiftungfürdieFreiheit(3),ArchivdersozialenDemokratie/Friedrich-Ebert-Stiftung(3),ArchivfürChristlich-DemokratischePolitik/Konrad-Adenauer-Stiftung/Plakatsammlung(10), ArchivGrünesGedächtnisderHeinrich-Böll-Stiftung(2),Bundesarchiv(2),Bridgeman,dpaPicture-Alliance,Interfoto(2),SZFoto,WerbeagenturButter,WerbeagenturZumgoldenenHirschen.

1957

1990

1957 1957

2002 1957

1972 1987

1990 2002

1946

1994 1994 2005

1976

1953

1949 1949

1957

(6)

„WER EINE REGIERUNG WÄHLT,

MUSS DAMIT RECHNEN, DASS SIE AUCH

REGIERT“

In Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmun- gen und durch besondere Organe der Gesetz- gebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Wahlen stehen an erster Stelle. Ist die Wahl der harte Kern der Demokratie?

Das Grundgesetz geht vom Prinzip der repräsentativen Demokratie aus. Das Han- deln der Regierenden bedarf der Legitima- tion durch das Votum der Wählerinnen und Wähler. Die Abstimmung wird demgegen- über im Grundgesetz nachrangig behandelt und bleibt auf die Fälle der Länderneu- gliederung und der Verfassungsablösung beschränkt. Deshalb kann man sicherlich sagen: Die Wahl ist der zentrale demokra- tische Akt im System des Grundgesetzes.

Angesichts sinkender Wahlbeteiligung stellt sich doch die Frage: Wie kommt es, dass im- mer weniger Bürger von ihrem urdemokrati- schen Grundrecht des Wählens Gebrauch machen?

Ich glaube, dass es dafür nicht nur eine Ursache, sondern eine Vielzahl von Ursachen gibt. Das oft bemühte Phänomen der Poli- tiker- und Parteienverdrossenheit vermag nur zum Teil zu erklären, warum die Wahl- beteiligung gesunken ist. Für eine weitere Ursache halte ich, dass die Individualisierung und Segmentierung der Gesellschaft zuge- nommen hat. Die Verantwortlichkeit für das Staatswesen in seiner Gesamtheit und das Gemeinwohl wird vielleicht nicht mehr so stark empfunden wie früher. Die Menschen sehen das Wahlrecht nicht mehr als große Errungenschaft, sondern als Selbstverständ- lichkeit an. Zudem sind die großen Ausein- andersetzungen über politische Grundsatz- fragen deutlich weniger geworden: der Streit über repräsentative Demokratie oder „Volks- demokratie“, zentral gelenkte Wirtschaft oder Marktwirtschaft, der Ost-West-Konflikt – all dies spielt heute keine besonders große Rolle mehr. Die Probleme der Gegenwart, etwa die Krise im Euroraum, eignen sich viel weniger zur politischen Polarisierung. Mit an- deren Worten: Die Demokratie ist komplexer geworden und die Alternativen schwerer nachvollziehbar. Auch das mag dazu bei- tragen, dass der eine oder andere zurück- haltend ist bei der Entscheidung darüber, ob und wem er seine Stimme gibt.

Ihr ehemaliger Kollege als Ministerpräsi- dent, Bernhard Vogel, hat gesagt: Wer nicht zur Wahl geht, hat sein Mitbestimmungs- recht verwirkt und muss sich nicht beschwe- ren, wenn anschließend etwas anderes heraus- kommt, als er gewollt hat. Sehen Sie das ge- nauso?

Ich habe als Ministerpräsident immer gesagt:

Wer nicht wählt, darf auch nicht meckern.

Das ist zugespitzt, aber der Satz enthält im Kern etwas Richtiges. Wer nicht dazu bei- trägt, seine Repräsentanten auszuwählen, hat ein Stück weit den Anspruch verwirkt, das Handeln der gewählten Repräsentanten kritisch zu hinterfragen.

Es wird kritisiert, dass Parteien, die laut Grundgesetz an der politischen Willens- bildung „mitwirken“, diese durch ihr Monopol bei Wahlen quasi gekapert hätten.

Braucht es da ein Korrektiv? Im Grundge- setz ist ja nicht nur von Wahlen, sondern auch von „Abstimmungen“ die Rede.

Zunächst ist es ja nicht so, dass alle Wahlen von Parteien dominiert werden. Bei Land- rats- oder Bürgermeisterwahlen erleben wir immer wieder, dass auch Kandidaten erfolg- reich sein können, die an keine Partei ge- bunden sind oder nicht von einer Partei getragen werden. Natürlich ist auch klar, dass dies bei Landtags- oder Bundestagswahlen kaum vorstellbar ist. Insofern kommt den Parteien eine zentrale Stellung in unserem demokratischen System zu. Dass sie diese Stellung wahrnehmen, kann man ihnen aber nicht vorwerfen.

Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat die Machtversessenheit der Parteien kritisiert. Immer wieder ist er- wogen worden, andere Beteiligungsformen zu verstärken, also Abstimmungen, wie es sie auf kommunaler und auf Landesebene gibt. Haben die sich bewährt?

Die Kritik, das Handeln von Parteien könne man auf Machtvergessenheit und Macht- versessenheit reduzieren, halte ich für über- zogen. Natürlich streben Parteien nach poli- tischer Verantwortung, natürlich wollen sie Mehrheiten gewinnen. Dafür sind sie da, das ist ihr Auftrag. Ich habe aber nicht den Ein- druck, dass die Parteien ausschließlich nach Macht um ihrer selbst willen streben, son-

dern dass auch die Verwirklichung politi- scher Konzepte ihr Handeln entschei-

dend bestimmt. Trotzdem kann man fragen, ob es nicht der Ergän-

zung der Wahlen durch ein stärkeres Gewicht der Abstimmungen bedarf. Meines Erachtens sollte differenziert werden: Auf kommunaler Ebene und auf Landesebene haben sich ple- biszitäre Elemente bewährt. Ich glaube aber, dass umso besser auf diese Instrumente zu- rückgegriffen werden kann, je überschauba- rer die Entscheidungssituation ist. Ob eine Straße gebaut werden soll oder nicht, ob künf- tig in öffentlichen Räumen oder in Kneipen geraucht werden darf – das sind überschauba- re Fragestellungen. Dagegen halte ich die Ent- scheidung, ob und in welchem Umfang es richtig ist, den Euro mit Instrumenten der Eu- ropäischen Zentralbank zu stabilisieren, kaum geeignet für eine Abstimmung. Ich kann daher die Reserviertheit des Grundge- setzes gegenüber dem Instrument der Abstim- mung auch vor dem Hintergrund des damali- gen historischen Kontextes gut verstehen.

Immerhin haben auch Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts, etwa der ehemali- ge Präsident Hans-Jürgen Papier, aber auch Ihr jetziger Kollege Peter Huber, immer wie- der Sympathie für die Idee gezeigt, mehr Ele- mente direkter Demokratie auch auf Bundes- ebene zuzulassen.

Über Abstimmungen kann in Einzelfällen sicherlich zusätzliche Legitimation geschaf- fen werden. Sie können insoweit eine sinn- volle Ergänzung des repräsentativen Systems sein. Sie werden dieses System allerdings nie ersetzen können.

In der oft als Vorbild angeführten Schweiz genießen Volksabstimmungen eine höhere Legitimität als Parlamentsentscheidungen.

Ist das nicht ein Risiko, dass eine Ver- mehrung von Elementen direkter Demo- kratie die Legitimität der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie aushöhlt?

Das glaube ich nicht. Eine solche Aushöh- lung findet weder in anderen Staaten statt noch in den deutschen Bundesländern, in de- nen Volksbegehren und Volksentscheide mög- lich sind. Repräsentative Demokratie ist Herr- schaft auf Zeit. Plebiszite eröffnen die Mög- lichkeit, Regierungshandeln punktuell zu kor- rigieren, ohne dass die Legitimation der je- weils Regierenden dadurch in Frage gestellt wird. Flapsig gesagt: Wenn das Volk sich eine Regierung wählt, muss es damit rechnen, dass diese auch regiert.

Das heißt, auch etwas tut, was dem Volk nicht unbedingt gefällt?

Ja. Manchmal wird die Qualität einer Regie- rung in der Rückschau auch gerade daran ge- messen, dass sie unpopuläre Dinge getan hat. Der Nato-Doppelbeschluss oder die Agenda 2010 waren zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehrheitsfähig. Das repräsentative Sys- tem erlaubt, dass eine Regierung nicht tut, was die Repräsentierten erwarten, sondern gegen die Stimmung und gegen demoskopi- sche Mehrheiten Verantwortung wahrnimmt. Wie kommt es eigentlich, dass in Deutsch- land, wenn man Umfragen trauen kann, zwei Institutionen, nämlich die Bundesbank und das Bundesverfassungsgericht, deren Mitglieder nur indirekt demokratisch legiti- miert sind, das höchste Ansehen genießen? Sie erwarten doch jetzt sicherlich von mir kein Eigenlob. Stattdessen möchte ich darauf hinweisen, dass die Rahmenbedingungen für politisches Handeln besonders schwierig sind: Politiker befinden sich im täglichen Meinungsstreit. Sie sind permanent intensiv- ster öffentlicher Beobachtung ausgesetzt. Das Versagen Einzelner wird bisweilen der poli- tischen Klasse insgesamt zugerechnet. Die Versuchung wechselseitiger Diskreditierung ist hoch; die mediale Begleitung nicht selten pejorativ. Und wie gesagt, Regierende müs- sen bisweilen auch unpopuläre Entscheidun- gen treffen. Auch wenn die Vertrauens- bildung dadurch nicht vereinfacht wird – all dies gehört zum Wesen moderner Demo- kratie.

Häufig heißt es, Politiker handelten nach Opportunitätskriterien, die mit dem Gemein- wohl, das Sie am Anfang erwähnt haben, nicht unbedingt übereinstimmen.

Ich weiß nicht, ob Opportunität und Gemein- wohlorientierung sich wirklich zwingend aus- schließen. Sicher ist: Politik braucht Mehrhei- ten. „Wahrheit“ ohne Mehrheit ist in einem demokratischen System ein unbefriedigender Zustand. Natürlich denken Parteien und Poli- tiker daher darüber nach, wie sie Mehrheiten erringen können. Dies beeinflusst bereits die Formulierung von Wahlprogrammen. Dass man dann nicht alles halten kann, was man versprochen und sich vielleicht selbst vorge- nommen hat, ist eigentlich kein überraschen- der Befund.

Nicht nur Abstimmungen in Form direkter Demokratie, sondern auch nach Brüssel dele- gierte Kompetenzen schränken tendenziell den Spielraum des nationalen Gesetzgebers,

bei uns des Bundestages, ein. Ist diese „Sand- wich-Position“ nicht eine Gefahr für die Le- gitimität des Bundestages?

Aus meiner Sicht handelt es sich um zwei verschiedene Phänomene. Was die Verlage- rung von Kompetenzen auf die europäische Ebene angeht: Ob zusätzliche Kompetenzen nach Europa verlagert werden, ist eine Ent- scheidung, die der Bundestag im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben selbst trifft. Die Nationalstaaten sind nach wie vor die Herren der Verträge. Das Europäische Parla- ment vermittelt noch nicht das gleiche Maß an demokratischer Legitimation wie die nationalen Parlamente. Dies wird der Gesetz- geber bei der Verlagerung von Zuständigkei- ten auf die europäische Ebene sicher berück- sichtigen. Zudem müsste man sich eigentlich, wenn man das Subsidiaritätsprinzip ernst nähme, auch die umgekehrte Frage stellen: ob es nicht auch Rückverlagerungen von Zuständigkeiten geben kann, ohne den Pro- zess der europäischen Integration negativ zu beeinflussen. Was die direkte Demokratie betrifft: Mehr plebiszitäre Elemente auf Bun- desebene würden die Politik vielleicht stärker dazu zwingen, die eigenen Entscheidungen so zu erklären, dass die Menschen sie leichter nachvollziehen können. Eine solche gesteiger- te Argumentationsnotwendigkeit sehe ich positiv. Die Politik wäre stärker gehalten, zu erklären, was sie macht und warum sie es macht, um die Korrektur durch Abstimmun- gen zu vermeiden. Ansonsten bin ich einiger- maßen gelassen. Wenn man Länder betrach- tet, die auf nationaler Ebene stärker ausge- prägte plebiszitäre Elemente haben, habe ich nicht den Eindruck, dass das dazu geführt hat, die Akzeptanz der Parlamente zu schwä- chen oder gar die Funktionsfähigkeit des re- präsentativen Systems zu beeinträchtigen.

IllustrationNinaSimon

Vom Ministerpräsidenten zum Verfassungsrichter: Peter Müller über Bürger und Abstinenzler, machtversessene Parteien und den Bundestag als „Sandwich“.

ZUR PERSON: PETER MÜLLER

Geboren 1955 in Illingen/Saar, studierte der künftige Verfassungsrichter Rechts- und Poli- tikwissenschaften in Bonn und Saarbrücken; er war Wissenschaftlicher Assistent, dann Richter, zuletzt am Landgericht Saarbrücken. Von 1990 bis 2011 war der CDU-Politiker Mit- glied des Saarländischen Landtages, seit 1999 Ministerpräsident. Seit Dezember 2011 gehört er dem Zweiten Senat des Bundesverfassungs- gerichts an. Mit ihm sprachenGünther Nonnenmacher, Herausgeber der F.A.Z., und Reinhard Müller, verantwortlicher Redakteur

„Zeitgeschehen“ und „Staat und Recht“.

(7)

„WER EINE REGIERUNG WÄHLT,

MUSS DAMIT RECHNEN, DASS SIE AUCH

REGIERT“

In Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmun- gen und durch besondere Organe der Gesetz- gebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Wahlen stehen an erster Stelle. Ist die Wahl der harte Kern der Demokratie?

Das Grundgesetz geht vom Prinzip der repräsentativen Demokratie aus. Das Han- deln der Regierenden bedarf der Legitima- tion durch das Votum der Wählerinnen und Wähler. Die Abstimmung wird demgegen- über im Grundgesetz nachrangig behandelt und bleibt auf die Fälle der Länderneu- gliederung und der Verfassungsablösung beschränkt. Deshalb kann man sicherlich sagen: Die Wahl ist der zentrale demokra- tische Akt im System des Grundgesetzes.

Angesichts sinkender Wahlbeteiligung stellt sich doch die Frage: Wie kommt es, dass im- mer weniger Bürger von ihrem urdemokrati- schen Grundrecht des Wählens Gebrauch machen?

Ich glaube, dass es dafür nicht nur eine Ursache, sondern eine Vielzahl von Ursachen gibt. Das oft bemühte Phänomen der Poli- tiker- und Parteienverdrossenheit vermag nur zum Teil zu erklären, warum die Wahl- beteiligung gesunken ist. Für eine weitere Ursache halte ich, dass die Individualisierung und Segmentierung der Gesellschaft zuge- nommen hat. Die Verantwortlichkeit für das Staatswesen in seiner Gesamtheit und das Gemeinwohl wird vielleicht nicht mehr so stark empfunden wie früher. Die Menschen sehen das Wahlrecht nicht mehr als große Errungenschaft, sondern als Selbstverständ- lichkeit an. Zudem sind die großen Ausein- andersetzungen über politische Grundsatz- fragen deutlich weniger geworden: der Streit über repräsentative Demokratie oder „Volks- demokratie“, zentral gelenkte Wirtschaft oder Marktwirtschaft, der Ost-West-Konflikt – all dies spielt heute keine besonders große Rolle mehr. Die Probleme der Gegenwart, etwa die Krise im Euroraum, eignen sich viel weniger zur politischen Polarisierung. Mit an- deren Worten: Die Demokratie ist komplexer geworden und die Alternativen schwerer nachvollziehbar. Auch das mag dazu bei- tragen, dass der eine oder andere zurück- haltend ist bei der Entscheidung darüber, ob und wem er seine Stimme gibt.

Ihr ehemaliger Kollege als Ministerpräsi- dent, Bernhard Vogel, hat gesagt: Wer nicht zur Wahl geht, hat sein Mitbestimmungs- recht verwirkt und muss sich nicht beschwe- ren, wenn anschließend etwas anderes heraus- kommt, als er gewollt hat. Sehen Sie das ge- nauso?

Ich habe als Ministerpräsident immer gesagt:

Wer nicht wählt, darf auch nicht meckern.

Das ist zugespitzt, aber der Satz enthält im Kern etwas Richtiges. Wer nicht dazu bei- trägt, seine Repräsentanten auszuwählen, hat ein Stück weit den Anspruch verwirkt, das Handeln der gewählten Repräsentanten kritisch zu hinterfragen.

Es wird kritisiert, dass Parteien, die laut Grundgesetz an der politischen Willens- bildung „mitwirken“, diese durch ihr Monopol bei Wahlen quasi gekapert hätten.

Braucht es da ein Korrektiv? Im Grundge- setz ist ja nicht nur von Wahlen, sondern auch von „Abstimmungen“ die Rede.

Zunächst ist es ja nicht so, dass alle Wahlen von Parteien dominiert werden. Bei Land- rats- oder Bürgermeisterwahlen erleben wir immer wieder, dass auch Kandidaten erfolg- reich sein können, die an keine Partei ge- bunden sind oder nicht von einer Partei getragen werden. Natürlich ist auch klar, dass dies bei Landtags- oder Bundestagswahlen kaum vorstellbar ist. Insofern kommt den Parteien eine zentrale Stellung in unserem demokratischen System zu. Dass sie diese Stellung wahrnehmen, kann man ihnen aber nicht vorwerfen.

Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat die Machtversessenheit der Parteien kritisiert. Immer wieder ist er- wogen worden, andere Beteiligungsformen zu verstärken, also Abstimmungen, wie es sie auf kommunaler und auf Landesebene gibt. Haben die sich bewährt?

Die Kritik, das Handeln von Parteien könne man auf Machtvergessenheit und Macht- versessenheit reduzieren, halte ich für über- zogen. Natürlich streben Parteien nach poli- tischer Verantwortung, natürlich wollen sie Mehrheiten gewinnen. Dafür sind sie da, das ist ihr Auftrag. Ich habe aber nicht den Ein- druck, dass die Parteien ausschließlich nach Macht um ihrer selbst willen streben, son-

dern dass auch die Verwirklichung politi- scher Konzepte ihr Handeln entschei-

dend bestimmt. Trotzdem kann man fragen, ob es nicht der Ergän-

zung der Wahlen durch ein stärkeres Gewicht der Abstimmungen bedarf. Meines Erachtens sollte differenziert werden: Auf kommunaler Ebene und auf Landesebene haben sich ple- biszitäre Elemente bewährt. Ich glaube aber, dass umso besser auf diese Instrumente zu- rückgegriffen werden kann, je überschauba- rer die Entscheidungssituation ist. Ob eine Straße gebaut werden soll oder nicht, ob künf- tig in öffentlichen Räumen oder in Kneipen geraucht werden darf – das sind überschauba- re Fragestellungen. Dagegen halte ich die Ent- scheidung, ob und in welchem Umfang es richtig ist, den Euro mit Instrumenten der Eu- ropäischen Zentralbank zu stabilisieren, kaum geeignet für eine Abstimmung. Ich kann daher die Reserviertheit des Grundge- setzes gegenüber dem Instrument der Abstim- mung auch vor dem Hintergrund des damali- gen historischen Kontextes gut verstehen.

Immerhin haben auch Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts, etwa der ehemali- ge Präsident Hans-Jürgen Papier, aber auch Ihr jetziger Kollege Peter Huber, immer wie- der Sympathie für die Idee gezeigt, mehr Ele- mente direkter Demokratie auch auf Bundes- ebene zuzulassen.

Über Abstimmungen kann in Einzelfällen sicherlich zusätzliche Legitimation geschaf- fen werden. Sie können insoweit eine sinn- volle Ergänzung des repräsentativen Systems sein. Sie werden dieses System allerdings nie ersetzen können.

In der oft als Vorbild angeführten Schweiz genießen Volksabstimmungen eine höhere Legitimität als Parlamentsentscheidungen.

Ist das nicht ein Risiko, dass eine Ver- mehrung von Elementen direkter Demo- kratie die Legitimität der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie aushöhlt?

Das glaube ich nicht. Eine solche Aushöh- lung findet weder in anderen Staaten statt noch in den deutschen Bundesländern, in de- nen Volksbegehren und Volksentscheide mög- lich sind. Repräsentative Demokratie ist Herr- schaft auf Zeit. Plebiszite eröffnen die Mög- lichkeit, Regierungshandeln punktuell zu kor- rigieren, ohne dass die Legitimation der je- weils Regierenden dadurch in Frage gestellt wird. Flapsig gesagt: Wenn das Volk sich eine Regierung wählt, muss es damit rechnen, dass diese auch regiert.

Das heißt, auch etwas tut, was dem Volk nicht unbedingt gefällt?

Ja. Manchmal wird die Qualität einer Regie- rung in der Rückschau auch gerade daran ge- messen, dass sie unpopuläre Dinge getan hat.

Der Nato-Doppelbeschluss oder die Agenda 2010 waren zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehrheitsfähig. Das repräsentative Sys- tem erlaubt, dass eine Regierung nicht tut, was die Repräsentierten erwarten, sondern gegen die Stimmung und gegen demoskopi- sche Mehrheiten Verantwortung wahrnimmt.

Wie kommt es eigentlich, dass in Deutsch- land, wenn man Umfragen trauen kann, zwei Institutionen, nämlich die Bundesbank und das Bundesverfassungsgericht, deren Mitglieder nur indirekt demokratisch legiti- miert sind, das höchste Ansehen genießen?

Sie erwarten doch jetzt sicherlich von mir kein Eigenlob. Stattdessen möchte ich darauf hinweisen, dass die Rahmenbedingungen für politisches Handeln besonders schwierig sind: Politiker befinden sich im täglichen Meinungsstreit. Sie sind permanent intensiv- ster öffentlicher Beobachtung ausgesetzt. Das Versagen Einzelner wird bisweilen der poli- tischen Klasse insgesamt zugerechnet. Die Versuchung wechselseitiger Diskreditierung ist hoch; die mediale Begleitung nicht selten pejorativ. Und wie gesagt, Regierende müs- sen bisweilen auch unpopuläre Entscheidun- gen treffen. Auch wenn die Vertrauens- bildung dadurch nicht vereinfacht wird – all dies gehört zum Wesen moderner Demo- kratie.

Häufig heißt es, Politiker handelten nach Opportunitätskriterien, die mit dem Gemein- wohl, das Sie am Anfang erwähnt haben, nicht unbedingt übereinstimmen.

Ich weiß nicht, ob Opportunität und Gemein- wohlorientierung sich wirklich zwingend aus- schließen. Sicher ist: Politik braucht Mehrhei- ten. „Wahrheit“ ohne Mehrheit ist in einem demokratischen System ein unbefriedigender Zustand. Natürlich denken Parteien und Poli- tiker daher darüber nach, wie sie Mehrheiten erringen können. Dies beeinflusst bereits die Formulierung von Wahlprogrammen. Dass man dann nicht alles halten kann, was man versprochen und sich vielleicht selbst vorge- nommen hat, ist eigentlich kein überraschen- der Befund.

Nicht nur Abstimmungen in Form direkter Demokratie, sondern auch nach Brüssel dele- gierte Kompetenzen schränken tendenziell den Spielraum des nationalen Gesetzgebers,

bei uns des Bundestages, ein. Ist diese „Sand- wich-Position“ nicht eine Gefahr für die Le- gitimität des Bundestages?

Aus meiner Sicht handelt es sich um zwei verschiedene Phänomene. Was die Verlage- rung von Kompetenzen auf die europäische Ebene angeht: Ob zusätzliche Kompetenzen nach Europa verlagert werden, ist eine Ent- scheidung, die der Bundestag im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben selbst trifft.

Die Nationalstaaten sind nach wie vor die Herren der Verträge. Das Europäische Parla- ment vermittelt noch nicht das gleiche Maß an demokratischer Legitimation wie die nationalen Parlamente. Dies wird der Gesetz- geber bei der Verlagerung von Zuständigkei- ten auf die europäische Ebene sicher berück- sichtigen. Zudem müsste man sich eigentlich, wenn man das Subsidiaritätsprinzip ernst nähme, auch die umgekehrte Frage stellen:

ob es nicht auch Rückverlagerungen von Zuständigkeiten geben kann, ohne den Pro- zess der europäischen Integration negativ zu beeinflussen. Was die direkte Demokratie betrifft: Mehr plebiszitäre Elemente auf Bun- desebene würden die Politik vielleicht stärker dazu zwingen, die eigenen Entscheidungen so zu erklären, dass die Menschen sie leichter nachvollziehen können. Eine solche gesteiger- te Argumentationsnotwendigkeit sehe ich positiv. Die Politik wäre stärker gehalten, zu erklären, was sie macht und warum sie es macht, um die Korrektur durch Abstimmun- gen zu vermeiden. Ansonsten bin ich einiger- maßen gelassen. Wenn man Länder betrach- tet, die auf nationaler Ebene stärker ausge- prägte plebiszitäre Elemente haben, habe ich nicht den Eindruck, dass das dazu geführt hat, die Akzeptanz der Parlamente zu schwä- chen oder gar die Funktionsfähigkeit des re- präsentativen Systems zu beeinträchtigen.

IllustrationNinaSimon

Vom Ministerpräsidenten zum Verfassungsrichter: Peter Müller über Bürger und Abstinenzler, machtversessene Parteien und den Bundestag als „Sandwich“.

ZUR PERSON: PETER MÜLLER

Geboren 1955 in Illingen/Saar, studierte der künftige Verfassungsrichter Rechts- und Poli- tikwissenschaften in Bonn und Saarbrücken;

er war Wissenschaftlicher Assistent, dann Richter, zuletzt am Landgericht Saarbrücken.

Von 1990 bis 2011 war der CDU-Politiker Mit- glied des Saarländischen Landtages, seit 1999 Ministerpräsident. Seit Dezember 2011 gehört er dem Zweiten Senat des Bundesverfassungs- gerichts an. Mit ihm sprachenGünther Nonnenmacher, Herausgeber der F.A.Z., und Reinhard Müller, verantwortlicher Redakteur

„Zeitgeschehen“ und „Staat und Recht“.

(8)

Die Leute spüren

Unterschiede zwischen den Parteiangeboten und den Spitzenkandidaten. Die Unterschiede haben aber viel mehr mit

Psychologie zu tun als mit den empirischen Kernforderungen in den einzelnen Politikfeldern.

WAS

PARTEIEN WÄHLERN ERZÄHLEN

ODER:

DIE STUFEN DER

WAHRHEIT

A

lles ist auf Zeit angelegt. Aber gilt das auch für Wahlversprechen?

Wahlprogramme beschreiben als Visitenkarten der Parteien zeitli- che Projekte. Sie sind als kondensierte Wahl- versprechen Momentaufnahmen mit baldi- gem Verfallsdatum. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Wahlprogramme dienen in ih- rer über Wochen in Parteigremien ausgearbei- teten Langversion immer auch der Selbstver- ständigung. Wahlversprechen sind insofern strategische Instrumente der Wählermobilisie- rung. Ohne Wahlprogramm ist eine Partei nicht mobilisierungsfähig. Auf was sich eine Partei in einer bestimmten Phase einigt, be- schreibt die aktuellen Machtgewichte zwi- schen ihren verschiedenen Strömungen und Flügeln. So fügen die Programme für ein paar Monate das diszipliniert zusammen, was an- sonsten den innerparteilichen Alltag von Par- teien als lose verkoppelte Anarchien faktisch ausmacht.

Meist dienen die ausformulierten Langfas- sungen der Programme als konkrete Vorlagen für die Koalitionsverhandlungen. Die wenigen Befunde der Wahlprogrammforschung doku- mentieren, dass angesichts der innerparteili- chen Suche nach Kompromissen die Verständ- lichkeit der Formulierungen eher in den Hin- tergrund tritt. Vielfach sind die Aussagen des- halb nicht nur vage, sondern gleichzeitig ver- klausuliert und für Außenstehende nur schwer zu verstehen. Größere Außenwirkung erfahren die Programme durch die jeweilige Kurzfassung, die eine hohe Verständlichkeit voraussetzt, medial aufbereitet ist und zudem idealerweise mit einem Gesicht als Programm- träger verbunden werden kann.

DIE NEUEN TEILHABEMODELLE

Im Bundestagswahlkampf 2013 übertreffen sich die Parteien bei der Erstellung ihrer Wahl- programme erstmals im originellen Wettbe- werb um die Beteiligung ihrer Mitglieder. Die politisch-kulturelle Grundstimmung von neu- en bunten, partizipativen Beteiligungsarchi- tekturen hat diesen Wahlkampf erfasst. Alle Parteien haben sowohl ihren Mitgliedern wie auch den Nichtmitgliedern mehr oder weniger kollaborative Mitwirkungsmöglichkeiten er- öffnet. Die Grünen organisierten als einzige Bundestagspartei sogar einen formellen Mit- gliederentscheid über das Wahlprogramm, auch wenn dieser Prozess, in dem über die

prioritären Themen abgestimmt wurde, der Entstehung des Bundestagswahlprogramms nachgelagert angelegt war.

Doch Wahlprogramme bleiben, trotz neuer Teilhabemodelle, für die allermeisten Wähler unbekannt. Wählerische Wähler kennen die

Bundestagswahlprogramme genauso wenig wie die Stammwähler. Wissen ist insofern kein Hauptmotiv für die Wahlentscheidung.

Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Wäh- ler zu wissen glaubt, welche Partei die für ihn individuell relevanten Probleme künftig am kompetentesten zu lösen vermag. Wahltage sind keine Erntedankfeste. Die Leistungsbi- lanz interessiert den Wähler nur am Rande.

Stattdessen wird die Zukunft gewählt und da- mit immer auch eine Anmutung von unter- stelltem Politikmanagement.

DER GRUPPENORIENTIERTE BÜRGER

Da Politik weitestgehend medienvermittelt ist, erfährt der Bürger über das Bundestags- wahljahr all das, was er liest, hört, sieht. Die wenigsten haben direkten Kontakt zu einem Politiker oder besuchen Wahlveranstaltungen mit dem politischen Spitzenpersonal. Man ist somit auf Informationen aus zweiter Hand an- gewiesen, um sich ein Urteil zu bilden – es sei denn, man kann live mithören oder im Fernse- hen bei einer Talkrunde sogenannte O-Töne mitnehmen. Dass die interpersonale Kommu- nikation wahlentscheidend ist, weist die Wahl- forschung nach: Was wir aus medial vermittel- ter Politik in unsere persönlichen Gespräche übernehmen, hinterlässt Spuren, die bis zum Wahltag wirken. Was wir zum individuellen Gesprächsthema machen, ist jedoch häufig medial gesteuert. So erklärt sich der indirekte Einfluss der Medien auf die Entscheidungen der Politik.

Wenn Wähler keine Wahlprogramme lesen und nur extrem selten einen unmittelbaren Kontakt zu Politikern haben, sind sie in der Be- urteilung der Politik und der Politiker auf sich selbst gestellt und auf das medienvermittelte Bild vom Wahlkampf angewiesen. Doch sie sind nicht allein. Denn Bürger sind gruppen- orientiert: Wir lieben bei den Wahlen die Fa- voriten! Wir möchten gerne zu den Siegern ge- hören! Unser Einstellungssetting richtet sich an der Meinung derer aus, die uns wichtig sind! Wahlverhalten ist immer noch soziales Gruppenverhalten, wenngleich sich traditio- nelle Milieus aufgelöst und Parteihochburgen inzwischen Seltenheitscharakter haben.

Zu alldem kommt die gewachsene Erfah- rung hinzu. Die allermeisten Bürger misstrau- en den Versprechungen im Wahlkampf. Doch der Grad des Misstrauens variiert zwischen den verschiedenen Parteien. Den größten Ver-

trauensvorsprung haben dabei die Grünen.

Das generelle Misstrauen hängt mit diffusen Kenntnissen des Regierungssystems zusam- men. Denn Alleinregierungen sind höchst sel- ten, im Bund noch nie da gewesen – von einigen Einzeltagen abgesehen. In einer poli- tisch-kulturellen Schlichtungsdemokratie wie der Bundesrepublik Deutschland ist es nicht ungewöhnlich, von Koalitionsregierun- gen im Regierungsalltag Kompromisse zu er- warten und zu akzeptieren. Keine Partei kann ihr Wahlprogramm vollständig umset- zen, sondern braucht für die Mehrheit einen Partner, der wiederum seine eigenen Interes- sen beim Regieren einbringt. Die Bürger le- sen also keine Wahlprogramme und misstrau- en den Zusagen der Parteien. Gleichwohl hat die Regierungsforschung nachgewiesen, dass konkrete Wahlversprechen mit hoher Wahr- scheinlichkeit auch tatsächlich in der Legisla- turperiode umgesetzt werden. Gegenbeispie- le waren in den vergangenen sechzig Jahren die Ausnahme.

Wähler spüren Unterschiede zwischen den Parteiangeboten und den Spitzenkandidaten.

Und das gilt sogar im aktuellen Wahlkampf, der keine polarisierenden Lager-Themen her- vorbringt. Die Unterschiede haben aber viel mehr mit Psychologie zu tun als mit den empi- rischen Kernforderungen in den Politikfel- dern. In vielen Bereichen bleiben die Wahlpro- gramme souverän unscharf, denn nur der poli- tische Dilettant formuliert glasklar. Unschärfe in der Rhetorik sichert politische Optionen, die ein Politiker immer offenhalten muss, um bei stimmungsflüchtigen Mehrheiten hand- lungsfähig zu bleiben. Da mittlerweile Exper- ten die Wahlprogramme öffentlich analysie- ren und sezieren, zahlt sich auch hierfür Vag- heit in der Programmaussage aus. Selektiv werden nicht nur Teilinhalte medial vermark- tet, sondern eben auch Teilaussagen einem Faktencheck unterzogen. Da ist mystifizieren- der Sprachnebel strategisch hilfreich.

DIE NÜTZLICHE UNSCHÄRFE

Die Aura der Intransparenz sichert Macht. Un- schärfe im Wahlprogramm ist aber auch dien- lich für die Phase nach dem Wahltag, wenn kei- ne klaren Mehrheiten erkennbar sind. Das gilt vor allem für Koalitionsaussagen. Keine Regie- rung wird durch einen offenen Bruch ihres Ko- alitionsversprechens ins Amt kommen. Wahr- haftigkeit ist hier wichtiger als Klarheit. Rheto-

risch haben sich die Parteien viele Auswege ge- lassen, so dass es am Ende Hierarchien der Wahrheit gibt, denen sie folgen werden, um eine Mehrheit zu erreichen – vielleicht erst nach vielen Monaten des Verhandelns.

Wer es als Politiker schafft, anschaulich zu begründen, warum Aussagen vor der Wahl nicht mit denen nach der Wahl übereinstim- men, verliert keineswegs gleich die Mehrheit. Das hängt zunächst mit der Vergesslichkeit von Wählern zusammen, die sich nur rudimen- tär an Wahlversprechen erinnern. Aber vor al-

lem können Politiker einen Politikwechsel or- ganisieren, wenn sich die Zeitläufe sichtbar verändert haben. Wichtig bleibt, dass immer ein positiver und vor allem systematischer Be- zug zu den politisch-kulturellen Grundströ- mungen den Politikwechsel kommunikativ und substantiell begleitet. Wer von der soge- nannten Pfadabhängigkeit bei Veränderungs- prozessen abweicht, wird abgestraft – egal, ob er es zuvor angekündigt hatte oder nicht.

DER ENTSPANNTE FATALISMUS

Die Anzahl der wählerischen Wähler nimmt zu. Nutzenorientiertes Wählen löst die bin- dungsorientierte Anhängerschaft ab. Hinzu kommt der Langzeittrend, dass mehr und mehr Wähler erst in der Woche vor dem Wahl- tag ihre Wahlentscheidung treffen. Spätent- scheider verändern das Gewicht der Wahl- kämpfe, die zu einem Marathonlauf mit Foto- Finish werden. Es gibt zudem einen steigen- den Nichtwähleranteil. Immer weniger ent- scheiden damit über immer mehr. Denn weni- ger Wähler verzerren die Wahlergebnisse. Wenn Bundestagswahlen wie im Jahr 2013 ohne erkennbares Großthema im Klima eines

„entspannten Fatalismus“ mehr ertragen als getragen werden, mobilisiert das keine zusätz- lichen Wähler. Wenn zudem noch unklar ist, was mit der Stimme am Ende passiert, weil sich gleich starke Lager gegenüberstehen, för- dert das auch nicht die Absicht zum Wählen. Eine Wahllotterie über Zufallsmehrheiten senkt jede Form von Begeisterung für den Wahltag.

Wähler brauchen Orientierungsaussagen der Parteien, um wählen zu gehen und um zu wissen, wen sie wählen sollen. Sie sind aber auch selbstkritisch. Keineswegs wollen sie nach der Wahl betrogen werden. Doch ange- sichts der eigenen inneren Widersprüche des Wählers, welche die Umfragen eindrucksvoll dokumentieren, bleiben mögliche „Betrugs- szenarien“ eingebettet in den Strom des Resi- lienzmanagements: Das Politik- und Politiker- Bild der Deutschen ist gegenüber Störungen ziemlich widerstandsfähig. Zudem wird der Politik zwar alles zugetraut, von ihr aber im- mer weniger erwartet. Auch das senkt die Kos- ten, eigene Wahlversprechen einzuhalten.

Wahlversprechen glaubt ohnehin keiner, richtig? Aber wer diese Versprechen bricht, kriegt

doch Ärger, oder? Alles nicht ganz so einfach.

Von Karl-Rudolf Korte

Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen.

(9)

Die Leute spüren

Unterschiede zwischen den Parteiangeboten und den Spitzenkandidaten.

Die Unterschiede haben aber viel mehr mit

Psychologie zu tun als mit den empirischen Kernforderungen in den einzelnen Politikfeldern.

WAS

PARTEIEN WÄHLERN ERZÄHLEN

ODER:

DIE STUFEN DER

WAHRHEIT

A

lles ist auf Zeit angelegt. Aber gilt das auch für Wahlversprechen?

Wahlprogramme beschreiben als Visitenkarten der Parteien zeitli- che Projekte. Sie sind als kondensierte Wahl- versprechen Momentaufnahmen mit baldi- gem Verfallsdatum. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Wahlprogramme dienen in ih- rer über Wochen in Parteigremien ausgearbei- teten Langversion immer auch der Selbstver- ständigung. Wahlversprechen sind insofern strategische Instrumente der Wählermobilisie- rung. Ohne Wahlprogramm ist eine Partei nicht mobilisierungsfähig. Auf was sich eine Partei in einer bestimmten Phase einigt, be- schreibt die aktuellen Machtgewichte zwi- schen ihren verschiedenen Strömungen und Flügeln. So fügen die Programme für ein paar Monate das diszipliniert zusammen, was an- sonsten den innerparteilichen Alltag von Par- teien als lose verkoppelte Anarchien faktisch ausmacht.

Meist dienen die ausformulierten Langfas- sungen der Programme als konkrete Vorlagen für die Koalitionsverhandlungen. Die wenigen Befunde der Wahlprogrammforschung doku- mentieren, dass angesichts der innerparteili- chen Suche nach Kompromissen die Verständ- lichkeit der Formulierungen eher in den Hin- tergrund tritt. Vielfach sind die Aussagen des- halb nicht nur vage, sondern gleichzeitig ver- klausuliert und für Außenstehende nur schwer zu verstehen. Größere Außenwirkung erfahren die Programme durch die jeweilige Kurzfassung, die eine hohe Verständlichkeit voraussetzt, medial aufbereitet ist und zudem idealerweise mit einem Gesicht als Programm- träger verbunden werden kann.

DIE NEUEN TEILHABEMODELLE

Im Bundestagswahlkampf 2013 übertreffen sich die Parteien bei der Erstellung ihrer Wahl- programme erstmals im originellen Wettbe- werb um die Beteiligung ihrer Mitglieder. Die politisch-kulturelle Grundstimmung von neu- en bunten, partizipativen Beteiligungsarchi- tekturen hat diesen Wahlkampf erfasst. Alle Parteien haben sowohl ihren Mitgliedern wie auch den Nichtmitgliedern mehr oder weniger kollaborative Mitwirkungsmöglichkeiten er- öffnet. Die Grünen organisierten als einzige Bundestagspartei sogar einen formellen Mit- gliederentscheid über das Wahlprogramm, auch wenn dieser Prozess, in dem über die

prioritären Themen abgestimmt wurde, der Entstehung des Bundestagswahlprogramms nachgelagert angelegt war.

Doch Wahlprogramme bleiben, trotz neuer Teilhabemodelle, für die allermeisten Wähler unbekannt. Wählerische Wähler kennen die

Bundestagswahlprogramme genauso wenig wie die Stammwähler. Wissen ist insofern kein Hauptmotiv für die Wahlentscheidung.

Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Wäh- ler zu wissen glaubt, welche Partei die für ihn individuell relevanten Probleme künftig am kompetentesten zu lösen vermag. Wahltage sind keine Erntedankfeste. Die Leistungsbi- lanz interessiert den Wähler nur am Rande.

Stattdessen wird die Zukunft gewählt und da- mit immer auch eine Anmutung von unter- stelltem Politikmanagement.

DER GRUPPENORIENTIERTE BÜRGER

Da Politik weitestgehend medienvermittelt ist, erfährt der Bürger über das Bundestags- wahljahr all das, was er liest, hört, sieht. Die wenigsten haben direkten Kontakt zu einem Politiker oder besuchen Wahlveranstaltungen mit dem politischen Spitzenpersonal. Man ist somit auf Informationen aus zweiter Hand an- gewiesen, um sich ein Urteil zu bilden – es sei denn, man kann live mithören oder im Fernse- hen bei einer Talkrunde sogenannte O-Töne mitnehmen. Dass die interpersonale Kommu- nikation wahlentscheidend ist, weist die Wahl- forschung nach: Was wir aus medial vermittel- ter Politik in unsere persönlichen Gespräche übernehmen, hinterlässt Spuren, die bis zum Wahltag wirken. Was wir zum individuellen Gesprächsthema machen, ist jedoch häufig medial gesteuert. So erklärt sich der indirekte Einfluss der Medien auf die Entscheidungen der Politik.

Wenn Wähler keine Wahlprogramme lesen und nur extrem selten einen unmittelbaren Kontakt zu Politikern haben, sind sie in der Be- urteilung der Politik und der Politiker auf sich selbst gestellt und auf das medienvermittelte Bild vom Wahlkampf angewiesen. Doch sie sind nicht allein. Denn Bürger sind gruppen- orientiert: Wir lieben bei den Wahlen die Fa- voriten! Wir möchten gerne zu den Siegern ge- hören! Unser Einstellungssetting richtet sich an der Meinung derer aus, die uns wichtig sind! Wahlverhalten ist immer noch soziales Gruppenverhalten, wenngleich sich traditio- nelle Milieus aufgelöst und Parteihochburgen inzwischen Seltenheitscharakter haben.

Zu alldem kommt die gewachsene Erfah- rung hinzu. Die allermeisten Bürger misstrau- en den Versprechungen im Wahlkampf. Doch der Grad des Misstrauens variiert zwischen den verschiedenen Parteien. Den größten Ver-

trauensvorsprung haben dabei die Grünen.

Das generelle Misstrauen hängt mit diffusen Kenntnissen des Regierungssystems zusam- men. Denn Alleinregierungen sind höchst sel- ten, im Bund noch nie da gewesen – von einigen Einzeltagen abgesehen. In einer poli- tisch-kulturellen Schlichtungsdemokratie wie der Bundesrepublik Deutschland ist es nicht ungewöhnlich, von Koalitionsregierun- gen im Regierungsalltag Kompromisse zu er- warten und zu akzeptieren. Keine Partei kann ihr Wahlprogramm vollständig umset- zen, sondern braucht für die Mehrheit einen Partner, der wiederum seine eigenen Interes- sen beim Regieren einbringt. Die Bürger le- sen also keine Wahlprogramme und misstrau- en den Zusagen der Parteien. Gleichwohl hat die Regierungsforschung nachgewiesen, dass konkrete Wahlversprechen mit hoher Wahr- scheinlichkeit auch tatsächlich in der Legisla- turperiode umgesetzt werden. Gegenbeispie- le waren in den vergangenen sechzig Jahren die Ausnahme.

Wähler spüren Unterschiede zwischen den Parteiangeboten und den Spitzenkandidaten.

Und das gilt sogar im aktuellen Wahlkampf, der keine polarisierenden Lager-Themen her- vorbringt. Die Unterschiede haben aber viel mehr mit Psychologie zu tun als mit den empi- rischen Kernforderungen in den Politikfel- dern. In vielen Bereichen bleiben die Wahlpro- gramme souverän unscharf, denn nur der poli- tische Dilettant formuliert glasklar. Unschärfe in der Rhetorik sichert politische Optionen, die ein Politiker immer offenhalten muss, um bei stimmungsflüchtigen Mehrheiten hand- lungsfähig zu bleiben. Da mittlerweile Exper- ten die Wahlprogramme öffentlich analysie- ren und sezieren, zahlt sich auch hierfür Vag- heit in der Programmaussage aus. Selektiv werden nicht nur Teilinhalte medial vermark- tet, sondern eben auch Teilaussagen einem Faktencheck unterzogen. Da ist mystifizieren- der Sprachnebel strategisch hilfreich.

DIE NÜTZLICHE UNSCHÄRFE

Die Aura der Intransparenz sichert Macht. Un- schärfe im Wahlprogramm ist aber auch dien- lich für die Phase nach dem Wahltag, wenn kei- ne klaren Mehrheiten erkennbar sind. Das gilt vor allem für Koalitionsaussagen. Keine Regie- rung wird durch einen offenen Bruch ihres Ko- alitionsversprechens ins Amt kommen. Wahr- haftigkeit ist hier wichtiger als Klarheit. Rheto-

risch haben sich die Parteien viele Auswege ge- lassen, so dass es am Ende Hierarchien der Wahrheit gibt, denen sie folgen werden, um eine Mehrheit zu erreichen – vielleicht erst nach vielen Monaten des Verhandelns.

Wer es als Politiker schafft, anschaulich zu begründen, warum Aussagen vor der Wahl nicht mit denen nach der Wahl übereinstim- men, verliert keineswegs gleich die Mehrheit.

Das hängt zunächst mit der Vergesslichkeit von Wählern zusammen, die sich nur rudimen- tär an Wahlversprechen erinnern. Aber vor al-

lem können Politiker einen Politikwechsel or- ganisieren, wenn sich die Zeitläufe sichtbar verändert haben. Wichtig bleibt, dass immer ein positiver und vor allem systematischer Be- zug zu den politisch-kulturellen Grundströ- mungen den Politikwechsel kommunikativ und substantiell begleitet. Wer von der soge- nannten Pfadabhängigkeit bei Veränderungs- prozessen abweicht, wird abgestraft – egal, ob er es zuvor angekündigt hatte oder nicht.

DER ENTSPANNTE FATALISMUS

Die Anzahl der wählerischen Wähler nimmt zu. Nutzenorientiertes Wählen löst die bin- dungsorientierte Anhängerschaft ab. Hinzu kommt der Langzeittrend, dass mehr und mehr Wähler erst in der Woche vor dem Wahl- tag ihre Wahlentscheidung treffen. Spätent- scheider verändern das Gewicht der Wahl- kämpfe, die zu einem Marathonlauf mit Foto- Finish werden. Es gibt zudem einen steigen- den Nichtwähleranteil. Immer weniger ent- scheiden damit über immer mehr. Denn weni- ger Wähler verzerren die Wahlergebnisse.

Wenn Bundestagswahlen wie im Jahr 2013 ohne erkennbares Großthema im Klima eines

„entspannten Fatalismus“ mehr ertragen als getragen werden, mobilisiert das keine zusätz- lichen Wähler. Wenn zudem noch unklar ist, was mit der Stimme am Ende passiert, weil sich gleich starke Lager gegenüberstehen, för- dert das auch nicht die Absicht zum Wählen.

Eine Wahllotterie über Zufallsmehrheiten senkt jede Form von Begeisterung für den Wahltag.

Wähler brauchen Orientierungsaussagen der Parteien, um wählen zu gehen und um zu wissen, wen sie wählen sollen. Sie sind aber auch selbstkritisch. Keineswegs wollen sie nach der Wahl betrogen werden. Doch ange- sichts der eigenen inneren Widersprüche des Wählers, welche die Umfragen eindrucksvoll dokumentieren, bleiben mögliche „Betrugs- szenarien“ eingebettet in den Strom des Resi- lienzmanagements: Das Politik- und Politiker- Bild der Deutschen ist gegenüber Störungen ziemlich widerstandsfähig. Zudem wird der Politik zwar alles zugetraut, von ihr aber im- mer weniger erwartet. Auch das senkt die Kos- ten, eigene Wahlversprechen einzuhalten.

Wahlversprechen glaubt ohnehin keiner, richtig? Aber wer diese Versprechen bricht, kriegt

doch Ärger, oder? Alles nicht ganz so einfach.

Von Karl-Rudolf Korte

Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

86 Prozent der Befragten halten es für notwendig, sich zusätzlich privat gegen das Krankheitsrisiko zu versi- chern. Kritik übten

An der Grenze zu Rundistan öffnete mir ein kugelrunder Wächter _______ große, runde Tor und begrüßte mich überaus freundlich.. _______ Wetter in diesem Land war

Man kann das Fürwort „das“ auch durch „dieses“, „dies“, „welches“ oder..

Die gewonnenen Daten werden eine Quantität und Präzision auf- weisen, wie sie bislang für helle Sterne noch nicht vorliegen - MOST erreichte nur zwei Monate Beobachtungszeit bei

Scheinbar kannte er diese Vorgän- ge von seinem geistlichen Vorsteher (Eli) gar nicht. Drei Mal muss Gott rufen, bis auch Eli es versteht. Es war eine Zeit, in der Gott

Vor einem doppeltem SS setzt man in aller Regel ein

Wir können uns vorstellen, dass die Einheiten zufällig ge- rade so passen, dass sich c=m = 1 ausgeht oder die Zeitskala passend umskalieren 3.. Um die neue Posi- tion zu

ert, der gezeigt hatte, dass die trockene Wissenschaft mit dem Leben nichts gemein hatte, und dass der Dichter eine Kunst schaffen sollte, die das Leben unmittelbar reflektierte.2