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Archiv "Ausblick 1996: Stagnation statt Aufschwung" (08.01.1996)

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eid wachsam, Freunde, und lernt, wie ein Kettenfax funk- tioniert!“ Mit dieser Aufforde- rung endet ein Flugblatt der

„Bundesweiten Ärzteinitiative gegen den ICD“, das in den Tagen vor Weih- nachten in zahlreichen Arztpraxen landete. Damit die „Freunde“ es auch wirklich lernen, steht gleich zu Be- ginn, wie es funktioniert: „Per Ketten- fax – Telefonat – Brief sofort an 5 Kollegen weitergeben!“

In dem Flugblatt schmückt sich die „Ärzteinitiative“ ungeniert mit Erfolgen, die keineswegs auf ihre Ak- tivitäten zurückzuführen sind. Unter anderem heißt es dort, die ICD-10 sei politisch tot, es gebe ein Wahlrecht für Klartext oder ICD-10 für zwei Jahre und keinerlei Honorarsanktionen.

„Ein Sieg unserer Initiative auf der ganzen Linie!“

Könnte dies noch als mehr oder minder plumpe Aufschneiderei abge- tan werden, haben die folgenden Be- hauptungen eine andere Qualität. Die

„Ärzteinitiative“ verbreitet: „Wer jetzt codiert, verstößt gegen die Schweige- pflicht.“ Und: „Wer jetzt codiert, macht sich möglicherweise sogar strafbar!“

Derartige Aufrufe veranlaßten den Hauptgeschäftsführer der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung, Dr.

jur. Rainer Hess, zu einem klarstellen- den Brief an die Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigungen der

Länder. Hess führt darin aus, daß sich ein Arzt wegen der Codierung der Diagnose mit der ICD-10 unter kei- nen Umständen strafbar mache, da die Diagnoseverschlüsselung nach wie vor ab dem 1. Januar 1996 gesetz- lich vorgeschrieben sei. Die zwischen der KBV und den Krankenkassen ge- troffene Übergangsregelung (siehe dazu Heft 50/1995) eröffne den Ärz- ten zwar ein befristetes Wahlrecht zwischen der Klartextangabe und der Verschlüsselung. Wer sich für die ICD-10 entscheide, tue dies ohne jede Frage rechtmäßig in Anwendung des geltenden Gesetzes.

Verbesserung des Datenschutzes Die Verschlüsselung der Diagno- se sei – entgegen der Darstellung der

„Ärzteinitiative“ – vielmehr im Ver- gleich zur Klartextangabe ein Beitrag zur Verbesserung des Datenschutzes und zur Wahrung der Schweige- pflicht. Der KBV-Hauptgeschäftsfüh- rer schreibt weiter: „Gegen die Dia- gnoseverschlüsselung in dieser über- zogenen und verunsichernden Weise vorzugehen ist daher nicht nur recht- lich falsch, sondern auch politisch un- klug.“ Mit anderen Worten: Die Kas- senärztliche Bundesvereinigung be- fürchtet, daß ihre auf sachliche und

seriöse Verhandlungen ausgerichtete Politik gegenüber dem Bundesge- sundheitsminister und den Kranken- kassen durch die äußerst aggressive Strategie der „Ärzteinitiative“ kon- terkariert wird.

Allerdings hat der Bundesge- sundheitsminister vor der Vertreter- versammlung der KBV am 9. Dezem- ber 1995 in Magdeburg erklärt, „daß uns in der Koalition und gerade mich persönlich nicht irgendwelche Flug- blätter oder Aktionsbündnisse zu die- ser (verhandlungsbereiten, Anm. der Redaktion) Haltung beim ICD-10 bringen“. Man werde bei ihm nie erle- ben, so der Minister weiter, „daß ich auf Druck oder Erpressung reagiere“.

Nachdenklich hätten ihn hingegen die vielen Gespräche gemacht, die völlig außerhalb der Öffentlichkeit geführt worden seien.

Auf diese Gespräche baut die Kassenärztliche Bundesvereinigung, indem sie Seehofers Bereitschaft zu einer zweijährigen Erprobungsphase der Diagnoseverschlüsselung auf- greift. Unmittelbar nach der Magde- burger Vertreterversammlung wand- te sich der KBV-Vorsitzende, Dr.

med. Winfried Schorre, erneut an den Minister – nunmehr mit konkreten Vorschlägen für die vertragliche Aus- gestaltung der Erprobungsphase.

Schorre geht davon aus, daß die Ein- führung der Diagnoseverschlüsselung

Diagnoseverschlüsselung

KBV setzt auf Verhandlungen anstelle von Geschrei

Mit Beginn des neuen Jahres stehen für die rund 110 000 Vertragsärzte gravierende Änderungen an. Neben dem re- formierten EBM und der novellierten GOÄ sorgt vor allem die Verpflichtung, die Diagnose nach der ICD-10 auf dem Abrechnungsschein zu verschlüsseln, für erhebliche Unruhe.

Die Diagnoseverschlüsselung ist zum Reizwort geworden – nicht zuletzt durch die Aktivitäten einer bundesweit agieren- den Ärzteinitiative gegen die ICD-10. Während die Initiative

mit Kettenfax-Aktionen und fragwürdigen Behauptungen

„Stimmung“ macht, verhandelt die Kassenärztliche Bun- desvereinigung mit dem Bundesgesundheitsminister und den Spitzenverbänden der Krankenkassen über gangbare Wege bei der Diagnoseverschlüsselung. Durchaus mit Aus- sicht auf Erfolg, denn Horst Seehofer gab unmißverständ- lich zu verstehen, daß er nicht „auf Geschrei“ hören wer- de, wohl aber auf konstruktive Vorschläge eingehen wolle.

P O L I T I K LEITARTIKEL

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n den konstitutiven Elemen- ten und den Strukturmerkma- len der gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) wollen die Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP prinzipiell nichts ändern. So soll die gesetzliche Krankenversiche- rung weiter eine Solidargemeinschaft auf der Basis der paritätischen Bei- tragsfinanzierung (durch Versicherte und Arbeitgeber) bleiben. Auch die beitragsfreie Familienmitversiche- rung in der GKV wird als „Ausdruck des Solidarprinzips“ verteidigt. Dar- an dürfe im Hinblick auf den hohen Stellenwert der Familienpolitik nicht gerüttelt werden – wiewohl familien- politische Aufgaben als gesamtge- sellschaftliche Aufgabe über Steuer- mittel abzudecken wären, so die über- einstimmende Meinung von Versi- cherungsexperten und der Ärzte- schaft.

An den geltenden (dynamisier- ten) Beitrags- und Versicherungs- pflichtgrenzen in der Krankenversi- cherung soll nicht gerüttelt werden.

Damit soll zumindest bei der Abgren- zung des Personenkreises die „Frie- densgrenze“ zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung gewahrt bleiben.

Sosehr sich die FDP auch rühmt, der strukturellen Weiterentwicklung im ambulanten Sektor den Stempel aufgedrückt zu haben, bei der Forde- rung, den Leistungskatalog der GKV auf Obsoletes, Unwirtschaftliches und Überschießendes durchzufor- sten, hat sie sich indes nicht durchset- zen können. Nach dem Eckpunktepa-

pier für die dritte Stufe der Struktur- reform wird der überaus füllige Lei- stungskatalog weitgehend unverän- dert bleiben. Im Gegenteil: Neue Lei- stungen vor allem in der Präventiv- medizin und bei der Zahnprophylaxe werden neu in den Pflichtleistungska- talog einbezogen.

Auch für den ambulanten Sektor gilt die politische Vorgabe der Bei- tragssatzstabilität, allerdings mit den bereits im SGB V verankerten Mög- lichkeiten, in begründeten Fällen und bei wesentlichem medizinischem Fortschritt doch von dieser Norm ab- weichen zu dürfen. Allerdings werden deutlich höhere formale Hürden für Beitragssatzerhöhungen aufgebaut.

Kein Beitragsleitsatz Der ursprünglich von der CDU/

CSU vorgeschlagene Beitragsleitsatz (quasi als Beitragshöchstsatz) wurde fürs erste fallengelassen und, wie der gesundheitspolitische Experte der FDP-Fraktion, Dr. Dieter Thomae, interpretiert, „zurückgestellt“. Fast leerformelhaft klingt der Satz: „Die Beitragsverantwortung soll den wirt- schaftlichen Einsatz der Mittel ge- währleisten, zugleich aber den medi- zinischen Fortschritt nicht abschnei- den. Die Leistungsverantwortung ist untrennbar mit der Finanzverantwor- tung und damit der Verantwortung für die Entwicklung der Beitragssätze verbunden . . .“

Die vielen neuen Regulative im Leistungsrecht der Krankenversiche- A-16 (16) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 1–2, 8. Januar 1996

nach wie vor erklärter Wille der Poli- tik ist. Horst Seehofer hat dies in Mag- deburg übrigens bestätigt. Bis Ende 1997, heißt es daher im KBV-Vor- schlag, solle es den Vertragsärzten freigestellt werden, die Diagnosen in Klarschrift oder codiert anzugeben.

Ab April dieses Jahres soll ein ein- jähriger, wissenschaftlich begleiteter Feldversuch mit rund 1 000 Ärzten auf freiwilliger Basis beginnen. Die teilnehmenden Ärzte sollen vollstän- dig codieren und als EDV-Abrechner fünf Pfennig, als manuell abrechnen- de Ärzte zehn Pfennig pro Diagnose- verschlüsselung vergütet bekommen.

Ist die ICD-10

überhaupt geeignet?

Von dem Feldversuch erwartet Dr. Schorre Aufschlüsse darüber, „ob unter Berücksichtigung der Erwar- tungen und Ziele des Gesetzgebers die Diagnoseverschlüsselung im allge- meinen und der ICD-10-Schlüssel im besonderen für die Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung geeig- net sind“. Zugleich soll herausgefun- den werden, wie ein einheitliches und sinnvolles Verschlüsselungssystem für die ambulante und stationäre Versor- gung entwickelt werden kann.

Die Spitzenverbände der Kran- kenkassen haben unterdessen ihre Bereitschaft erklärt, auf der von Schorre vorgestellten Basis an der Er- arbeitung von sinnvollen Lösungen mitzuwirken. Dazu gehört sicherlich auch die Frage, ob diese ICD-10 mit ihren rund 14 000 (zum Teil auf deut- sche Verhältnisse kaum anwendba- ren) Diagnosen als Ganzes tatsächlich für die Diagnoseverschlüsselung her- angezogen werden muß.

KBV-Hauptgeschäftsführer Dr.

Hess hat daran seine Zweifel. In sei- nem Brief an die KV-Vorsitzenden schreibt er: „Am Ende der Diskussion um die medizinische Zweckmäßigkeit einer Diagnoseverschlüsselung nach der ICD-10 wird mit Sicherheit nicht die erneute Einführung der Diagnose- angabe im Klartext stehen, sondern eine modifizierte ICD, die einheitlich in der ambulanten und stationären Versorgung anwendbar ist und den Belangen der Praxis besser entspricht als die jetzige ICD-10.“ Josef Maus

Gesundheitsstrukturreform, Stufe III

Die Selbstverwaltung soll’s richten

Mit aller Macht will die Bonner Regierungskoalition auch den ambulanten Sektor des Ge-

sundheitswesens, die Kuren und die stationäre Rehabilitation sowie das Rettungswesen und

den Krankentransport in die Ausgaben- und Kostendisziplin zwingen. Im Verbund mit dem

bereits im parlamentarischen Verfahren befindlichen Krankenhaus-Stabilisierungsgesetz

1996 und dem Krankenhaus-Neuordnungsgesetz 1997 sollen zugleich Weichen für eine

strukturelle Erneuerung gestellt und die Versicherten und Patienten mit weiteren Zuzah-

lungsregelungen zur Kasse gebeten werden. Das Reformpaket soll am 1. Juli in Kraft treten.

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rung und bei der Vertragsgestaltung durch die Selbstverwaltungspartner werden von den Koalitionären als Bei- trag zu Entbürokratisierung und De- regulierung des Sozialversicherungs- rechtes (SGB V) „verkauft“ – unter der von Anfang an verfochtenen See- hofer-Devise „Vorfahrt für die Selbst- verwaltung“. Sogar als eine „Neu- orientierung in der Gesundheitspoli- tik“ loben die Liberalen den Koaliti- onskompromiß (Bundesge-

sundheitsminister Seehofer spricht von „Freiheitsmo- dell“), weil wesentliche Ent- scheidungen über das Lei- stungsgeschehen, die Finan- zierungskonditionen, die Vertragsbeziehungen und die Ausgestaltung der Zu- zahlungselemente auf die Ebene der Selbstverwaltung verlagert werden sollen. Ein sozial austarierter Wettbe- werb, die Kassenwahlfrei- heit der Versicherten (ab 1996) und weitere flankie- rende Maßnahmen sollen die Selbstverwaltung der Krankenkassen veranlas- sen, verantwortlich mit den Beitragsmitteln der Versi- cherten umzugehen. Auch dem Marketing-Gebaren der Krankenkassen sollen künftig engere Grenzen ge-

setzt werden. Beitragserhöhungen sind nur bei einer qualifizierten Mehr- heit von mehr als zwei Dritteln der sat- zungsmäßigen Mitglieder des Verwal- tungsrates möglich, ein Programm- punkt, der bereits im CDU/CSU-Eck- wertepapier vom Oktober vorgesehen war. Die Ausschöpfung sämtlicher Rationalisierungs- und Sparmöglich- keiten hat absolute Priorität.

Künftig soll das Vertragsrecht für den Wettbewerb aktiviert werden – alles darauf abzielend, Ausgaben und Beiträge der Kassen in „Schach und Proportion“ zu halten. Machbar sei dies alles, so Seehofer, ohne Abstri- che von der Qualität der medizini- schen Versorgung und ohne Abkop- pelung vom medizinischen Fort- schritt. Die Verträge und der Lei- stungsumfang sollen sich stärker an den Interessen der Versicherten und den ökonomischen Notwendigkeiten orientieren. Auch künftig wird es

prinzipiell bei einem bundesweiten und kassenartenübergreifenden, me- dizinisch verantwortbaren Pflichtlei- stungskatalog bleiben. Ein Splitting in Pflicht- und Zusatzleistungen mit ei- nem relativ breiten Korridor von Sat- zungsleistungen wird es nicht geben.

Gemeinsames und einheitliches Han- deln der Krankenkassen und ihrer Verbände ist bei Vereinbarungen mit den Leistungsträgern immer dann er-

forderlich, wo es unter medizinischen Aspekten unumgänglich ist, insbeson- dere

– bei der Definition der abrech- nungsfähigen ärztlichen Leistungen;

– zur Abrechnungsgrundlage von Leistungen und zur Gestaltung der Versicherten-Chipkarte;

– bei Vereinbarungen des Arz- neimittelbudgets und der Richt- größen und

– zur Sicherstellung der ärzt- lichen Versorgung.

Bei allem, was darüber hinaus- geht, seien Ideenvielfalt und Kreati- vität der Vertragspartner gefordert.

Es gebe keinen „Patentschutz“ für gute Ansätze und Modellversuche, so Seehofer. Die Selbstverwaltungen können entscheiden, ob sie Vereinba- rungen mit den Leistungserbringern und ihren Verbänden einheitlich und gemeinsam oder als Kassenart oder als Kasse schließen wollen. Die Libe-

ralisierung und flexible Gestaltung der Verträge durch die „Direkthan- delnden“ könne sich auch auf eine Ausgestaltung des EBM auf regiona- ler Ebene erstrecken oder die Festle- gung unterschiedlicher statt einheit- licher Pflegesätze. Die Kassen sollen auch die Möglichkeit erhalten, Ver- träge über neue Versorgungsformen auszuhandeln. Dabei stehen das Hausarztmodell der Ortskranken- kassen oder der Versuch vernetzter Praxen oder kombinierte Budgets der Betriebskrankenkassen zur Diskussion. Allerdings soll die Verhandlungsmacht der Krankenkassen nicht so weit ausgedehnt werden, daß sie ein HMO-System aufziehen oder das puristi- sche Einkaufsmodell prak- tizieren. Der Sicherstel- lungsauftrag der Kassen- ärztlichen Vereinigungen bleibt unangetastet. Die KVen sind Vertragspartner der Krankenkassen und ihrer Verbände, Konflikte werden durch Schiedsstel- len reguliert. Modellversu- che über neue Verfahren und Organisationsformen der Leistungserbringungen in allen Sektoren bis hin zur Pflege und Prävention sind erwünscht, müssen aber zeitlich befri- stet und wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden.

Zuzahlungen der Versicherten

Auch die Versicherten und Kran- ken sollen nicht ungeschoren bleiben.

Auch hier wird von den Krankenkas- sen eigenverantwortliches Handeln und Vielgestaltigkeit erwartet. Die FDP kreidet es sich als Erfolg an, die Kostenerstattung für alle Versicher- ten als Option und Alternative zum herkömmlichen Sachleistungsverfah- ren in das Konsenspapier geschrieben zu haben. Eine Mutation zur privaten Krankenversicherung müßte die so- ziale Krankenversicherung durchma- chen, wenn sie hohe und steuerungs- wirksame Beitragsrückerstattungsta- rife, Selbstbehaltregelungen in Kom-

P O L I T I K AKTUELL

Der durchschnittliche Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung lag Ende 1995 bei 13,2 Prozent in den alten und bei 12,9 Prozent in den neuen Bundesländern. Nach Ankündigungen der Krankenkassen werden zu Beginn des Jahres 1996 die meisten Krankenkassen ihre Beitragssätze voraussichtlich um bis zu 0,5 Prozentpunkte (im Durchschnitt) anheben. Das prognostizierte Ausgabendefizit im Jahr 1995 dürfte bei annähernd 10 Milliarden DM liegen.

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bination mit Kostenerstattungen – bei entsprechend gesenkten Beiträgen – per Satzung festlegen würde. Über früher bereits gescheiterte Versuche in dieser Richtung (Beitragsrückge- währ) wurde nicht räsoniert, auch nicht über die Frage, ob der kollektiv finanzierte Beitrag hälftig auch an die Arbeitgeber zurückerstattet werden müßte (Seehofer sieht den Arbeitge- berbeitrag als Lohnbestandteil, damit auch als den Versicherten zurechen- bar). Seehofer baute, den Wider- spruch der Krankenkassen und der Opposition einkalkulierend, bereits vor: „Es ist alles und nichts möglich.“

Satzungsänderungen seien nicht ge- gen die Interessen der Versicherten zu entscheiden, jeder Versicherte habe das Recht, die Kasse zu wechseln, wenn es ihm nicht paßt.

Unter die Rubrik „Mehr Eigen- verantwortung“ bucht die Koalition die geplanten Zuzahlungsregelun- gen: Alle festen DM-Beträge für Zu- zahlungen sollen erstmals ab Mitte 1997 im Zweijahresschritt angepaßt (dynamisiert) werden. Maßgebend für die Anpassung ist die Entwick- lung der Durchschnittsentgelte der Versicherten (Bezugsgröße) in den beiden vorangegangenen Jahren. Zur Zeit sind je Tag Krankenhausaufent- halt 12 DM (neue Bundesländer: 9 DM) fällig. „Dynamisiert“ werden die Zubußen auch bei stationären Vorsorge- und Reha-Leistungen, Fahrkosten und Arzneimitteln. Für stationäre Vorsorge- und Reha-Lei- stungen sind künftig 25 DM (neue Länder: 20 DM) täglich einzufordern (ebenfalls zu dynamisieren). Den

„Kurlaubern“ geht es künftig finanzi- ell ebenfall ans Fell. Bei stationären Kuren und Reha-Maßnahmen sollen zwei Urlaubstage je Kurwoche auf den Jahresurlaub angerechnet wer- den (allerdings bei Beachtung des Mindesturlaubs). Seehofer wies dar- auf hin, daß ohnedies 80 Prozent der Kuren von Rentnern genutzt würden, mithin kaum ein Erwerbsaktiver ernstlich davon betroffen sei.

Einen liberalen „System- schwenk“ soll es auch bei der zahnme- dizinischen Versorgung geben. Die Prophylaxe soll ausgebaut und für Kleinkinder und Erwachsene neu ein- geführt werden. Der prozentuale Zu- schuß zum Zahnersatz soll durch ei-

nen Festzuschuß ersetzt werden. Die Zuschußhöhe, die noch von einer Ar- beitsgruppe erörtert werden soll, soll auf dem derzeitigen Versorgungsni- veau für Kronen, Totalprothesen und anderem aufsetzen. Und ein weiteres

„Zuckerle“ für die Zahnärzte: Ihnen soll eingeräumt werden, prothetische Versorgungsmaßnahmen im Wege der direkten Kostenerstattung zwi-

schen Vertragszahnarzt und Versi- cherten auf der Basis der GOZ abzu- rechnen. Im übrigen sollen die Lei- stungserbringer (gegebenenfalls auch die Krankenkassen) dazu „verdon- nert“ werden, dem Versicherten schriftlich Transparenz und Einblick über den Umfang und die Kosten der Leistungsgewährung einzuräu-

men. Dr. Harald Clade

A-18 (18) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 1–2, 8. Januar 1996

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eit Mitte 1995 herrscht wirt- schaftliche Stagnation, denn im dritten Quartal 1995 hat es beim Bruttoinlandprodukt kei- nen Zuwachs mehr gegeben. Die Konjunkturprognosen für das abge- laufene Jahr haben sich durchweg als zu optimistisch erwiesen. Für 1996 sind im Spätherbst noch Wachstums- raten von 2 bis 2,5 Prozent vorausge- sagt worden. Jetzt wird man schon zu- frieden sein müssen, wenn es keine neue Rezession gibt. Dazu wird es nur dann nicht kommen, wenn die Politik konsequent konsolidiert, zugleich aber stärkere Anreize zum Investie- ren gibt. Die Bundesbank hat kurz vor Weihnachten mit der Senkung der Leitzinsen ein deutliches Signal ge- setzt. Bundesregierung und Tarifpar- teien sind im Verzug, ihren Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur zu leisten.

In der Wirtschaft wächst die Kri- tik an der Politik und auch am Kanz- ler. Die Reformdiskussionen ziehen sich hin; bewegt wird wenig. Die Re- gierung war mit dem Versprechen an- getreten, die Arbeitskosten zu sen- ken. Doch sie steigen weiter, die Sozi- albeiträge um wenigstens 1,5 Prozent- punkte auf gut 41 Prozent. Wer der Regierung jedoch einseitig die Ver- antwortung zuweist, sollte bedenken,

daß die Koalition für die Mehrzahl ih- rer Gesetzesinitiativen die Zustim- mung des Bundesrates und seiner SPD-Mehrheit braucht. Diese zu ge- winnen hat jedesmal seinen Preis.

Für die Abkühlung des konjunk- turellen Klimas gibt es eine Reihe von Gründen. Zu Beginn des vergangenen Jahres waren die Steuern noch einmal kräftig angehoben worden. Das bela- stet Unternehmen und Bürger. In die- sem Jahr gibt es eine Entlastung für die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen und für die Familien mit Kindern. Wer besser verdient, hat ent- weder so viel wie im abgelaufenen Jahr an Steuern zu zahlen oder sogar noch mehr. Beim Jahressteuergesetz 1996 gab es am Ende den großen Kon- sens, was beweist, daß solche Kom- promisse immer ihren Preis haben, und der gilt dann als sozial gerecht und politisch ausgewogen.

Zur Konjunkturabschwächung hat auch die kräftige Aufwertung der Deutschen Mark beigetragen, durch die der Export verteuert und der Im- port verbilligt wird. Die Einfuhr hat zur Stabilisierung der Preise beigetra- gen. Der Export blieb trotz der Auf- wertung die wichtigste Stütze der Konjunktur. Unter der Führung der IG Metall hat die letzte Tarifrunde da- zu beigetragen, daß die Arbeitskosten

Ausblick 1996

Stagnation statt Aufschwung

Die ökonomische und politische Perspektive hat sich in den letzten Monaten rasant

verschlechtert. Der wirtschaftliche Aufschwung hat seit dem Frühsommer ständig an Kraft

verloren. Defizite drohen in den öffentlichen Kassen und in den Sozialversicherungen.

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im Inland weiter gestiegen sind und die Zahl der Arbeitslosen auf 3,58 Millionen zugenommen hat. Das ist eine bedrückende Zahl, und es gibt kaum Aussicht, daß sie in den näch- sten Monaten wieder sinkt. Im Ge- genteil, eher ist mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu rechnen. Das kann sich nur ändern, wenn das Bruttoinlandprodukt um et- wa zwei Prozent wächst.

Die negativen Faktoren, die das Wachstum im letzten Jahr behindert haben, wirken im neuen Jahr nach.

Für die Belebung des Konsums, auf den die Konjunkturforscher diesmal setzen, bleibt wenig übrig. Helfen wird nur, wenn die Ursachen der Wachstumsschwäche beseitigt wer- den. Die Steuerlast muß sinken, und die Tarifpolitik hat zu beachten, daß die Konjunktur auf der Kippe steht.

Aktionsprogramm der Bundesregierung Die Bundesregierung hat eine Reihe schwieriger Probleme zu lösen.

So bereitet sie ein Aktionsprogramm vor, mit dem Wachstumsimpulse ge- geben und Wachstumshindernisse be- seitigt werden sollen. Das soll mit dem Jahreswirtschaftsbericht Ende Januar verabschiedet werden. Für große Aktionen fehlt das Geld und vor den Märzwahlen wohl auch der politische Mut. Am 23. Januar soll sich zum zweiten Mal die Kanzlerrun- de, an der die Spitzenvertreter der Wirtschaft und der Gewerkschaften teilnehmen, mit dem listigen Vor- schlag des IG-Metallvorsitzenden Zwickel befassen, ein „Bündnis für Arbeit“ zu schließen, an dem Wirt- schaft, Gewerkschaften und Staat be- teiligt sind. Die Wirtschaft soll 300 000 neue Arbeitsplätze garantie- ren, der Staat soll auf die Kürzung von Sozialleistungen verzichten, dann wollen die Gewerkschaften im folgen- den Jahr ihre Lohnforderungen auf den Inflationsausgleich reduzieren.

So lautet Zwickels Konzept. Aber die Wirtschaft kann keine Arbeitsplatz- garantie geben. Wenn der Staat die Sozialkürzungen zurückstellt, so wachsen die Haushaltsdefizite; sie wären nur durch eine noch höhere Neuverschuldung zu schließen. Der

Bundesetat sieht für 1996 schon jetzt eine Kreditaufnahme von rund 60 Milliarden Mark vor.

Durch die stärkere Ab- schwächung der Konjunktur werden sich ohnehin zusätzliche Defizite in den öffentlichen Kassen und in der Sozialversicherung ergeben. Die Konjunkturforscher des Berliner DIW rechnen mit einem zusätzlichen Fehlbetrag in allen öffentlichen Haus- halten von rund 25 Milliarden Mark.

Damit steht die Regierung vor der schwierigen Entscheidung, ob sie die konjunkturbedingten zusätzlichen Defizite durch Kredite decken soll oder ob die Ausgaben weiter zusam- mengestrichen werden sollen. Waigel will sparen, Lafontaine will Schulden machen, was in der SPD-Fraktion auf Widerstand stößt. Doch die Schulden von heute zwingen schon morgen zu Steuererhöhungen.

Selbst bei einer Belebung der Konjunktur wird sich die Finanzlage des Staates auch 1997 nicht verbes- sern. Der Basiseffekt der Steueraus- fälle im letzten und in diesem Jahr schlägt auf die Haushalte der folgen- den Jahre durch. Das Ende der Kon- solidierung ist nicht abzusehen. Nur bei kräftigem Wachstum wären die Staats- und Sozialhaushalte wieder ins Gleichgewicht zu bringen und Ar- beitsplätze zu schaffen.

Fast alle stimmen darin überein, daß die Abgaben zu hoch sind und dem Standort Deutschland schaden.

Steuersenkungen werden jedoch mit unterschiedlicher Intensität gefordert.

Die FDP marschiert vorneweg; sie will den Solidarzuschlag von 1997 an sen- ken. Waigel bremst. Lafontaine will Sozialausgaben auf den Staatshaus- halt verlagern, um Sozialbeiträge sen- ken zu können. Wer Steuern senken will, muß zunächst einmal Ausgaben kürzen. Das ist die einfache Logik:

Wenn die FDP glaubwürdig für Steu- ersenkungen eintreten will, so muß sie auch Anstöße zum Sparen geben.

Die Forderung, versicherungs- fremde Leistungen über die öffentli- chen Etats zu finanzieren, hat sich wei- ter verstärkt. Diese Pläne werden all- mählich konkreter; sie werden viel- fach mit der Forderung nach Ein- führung einer Energiesteuer verbun- den. Die Diskussion über eine natio- nale Energiesteuer belastet jedoch das

konjunkturelle Klima. Unternehmen investieren nicht, wenn über die steu- erlichen Bedingungen Unklarheit be- steht. Es ist damit zu rechnen, daß die SPD versuchen wird, den „Einstieg“

in eine ökologische Steuerreform noch in diesem Jahr zu erreichen.

Eher ist jedoch damit zu rechnen, daß 1997 die Gewerbekapitalsteuer abge- schafft und die Gewerbeertragssteuer

„mittelstandsfreundlich“ gesenkt wird. Davon haben die Freiberufler nichts. Allerdings hat sich die Gefahr verringert, daß die Steuerausfälle durch die Verschlechterung der Ab- schreibungsbedingungen ausgegli- chen werden. Es ist schwer vorstellbar, daß bei schwacher Konjunktur ausge- rechnet die Investitionsbedingungen verschlechtert werden.

Unsicherheit über Vermögensteuer

Der Gesetzgeber ist gehalten, in diesem Jahr Erbschaftsteuer und Ver- mögensteuer neu zu regeln. Das Ver- fassungsgericht hat knappe Fristen ge- setzt. Bund und Länder haben sich nicht auf eine gemeinsame Erklärung verständigen können, die den Bürgern Sicherheit geben sollte, daß sie 1996 nicht höher mit Erbschaftsteuer bela- stet werden. Das ist zu bedauern. Der Bund ist bei dieser Gesetzgebung in der stärkeren Position. Blockiert die SPD-Mehrheit im Bundesrat die Ge- setzgebung, so können die beiden Steuern von 1997 an nicht mehr erho- ben werden. Das ginge zu Lasten der Länder, die die Einnahmen aus diesen beiden Steuern kassieren.

In diesem Jahr dürfte hart nicht nur über die Steuern, sondern auch über Sozialreformen gestritten wer- den. Dabei geht es vor allem um fol- gende Themen: Krankenhausbud- gets, dritte Stufe der Gesundheitsre- form, Reform der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping, Neufas- sung des Arbeitsförderungsgesetzes, Kompensation der Arbeitgeberbe- lastung bei der Einführung der zwei- ten Stufe der Pflegeversicherung.

Das alles steht unter dem Zwang zu sparen; zu verteilen gibt es nichts mehr. Walter Kannengießer

P O L I T I K AKTUELL

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