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Archiv "In einem anderen Land" (29.01.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

ie entliehene Überschrift trifft es: Fremd wird es um uns, un- freundlich, unvernünftig, nicht einmal berechenbar, soweit Un- vernunft überhaupt berechenbar ist.

Die Balance zwischen Marktwirt- schaft und sozialem Konsens, die einst den Aufbruch der Bürger der Bundes- republik Deutschland in eine neue Gesellschaft bestimmte, trägt nicht mehr. Die Auseinandersetzungen der Interessengruppen, insbesonde- re der mächtigen sogenannten Sozi- alpartner um Einfluß auf die Tages- politik hat sie zerstört. Dabei ist eine der stabilsten Stützen dieser Balance die solidarisch finanzierte, aber marktähnlich praktizierte „Gesund- heitswirtschaft" ins Zwielicht gera- ten. Wo die Schwarz-Weiß-Denker hingrübeln, wächst kein

Gras mehr. Kapitalismus und Sozialismus sind in vergleichbarer Weise menschenfeindlich. Es scheint so, als ob die

Mittvierziger, die zur Zeit versuchen, die Welt zu verbessern, diese Erfah- rung wieder einmal selbst machen wollen. Anders ist es kaum zu erklä- ren, daß sie nicht ertragen können, daß staatsferne Kompromisse mit verwaschenen Konturen, wie sie zum Beispiel von den unmittelbar Betei- ligten in der „Gesundheitswirt- schaft" seit mehr als 100 Jahren ge- sucht und gefunden werden, als un- befriedigend, ja sogar als gefährlich für die Allgemeinheit angesehen werden. Es ist, als ob die verantwort- lichen Politiker die Zerstörungswut der Kleinkinder gepackt hat, aus der natürlich all jene ihren Nutzen zie- hen wollen, die sich die Welt anders wünschen, als sie ist. Sie und wir werden es erleben und erleiden:

„Wenn einer, der mit Mühe kaum geklettert ist auf einen Baum, schon glaubt, daß er ein Vogel wär', so irrt sich der!" Den Rest beschreibt die Illustration von Wilhelm Busch.

Natürlich wollen die einen, die Vertreter der Wirtschaft, der Pro- duktion und des Exportes von Wa- ren, Gütern und Fertigkeiten und des Absatzes im Inland in der „Ge- sundheitswirtschaft" so wenig wie möglich Ressourcen gebunden se- hen. Kranke und alte Leute stehen bei ihnen auf der Sollseite der sim-

wirtschaftet durch Hinundherschie- ben von Beitragssätzen zwischen Kranken-, Renten- und Arbeitslo- senversicherung.

Im Gegensatz dazu hat sich die

„Gesundheitswirtschaft" im Kon- sensgefüge der vertraglichen Rege- lungen zwischen den Verbraucheror- ganisationen (den Krankenkassen) und denjenigen, die die Arbeit ver- richten (Apothekern, Ärzten, Zahn- ärzten, Physiotherapeuten, Gesund- heitshandwerkern und vielfältig ge- tragenen Einrichtungen), trotz aller Rückgriffe auf ihre finanzielle Be- weglichkeit durchbalanciert.

Offenbar sind die Kinder, die da- bei sind, in der „Gesundheitswirt- schaft" ihr Mütchen zu kühlen, nicht imstande, jenen Gemeinsinn zu er- kennen, der dort auch ohne direkte Marktmechanismen eine bemerkens- werte Effizienz mit Fortschritt und Humanität bestimmt. Selbständigkeit und Freiberuflichkeit setzen auch so- ziale Verantwortung frei. Solche Ei- genschaften sind keineswegs nur an politische Mandate oder staatliche Funktionsträger gebunden. Staatli- che Bevormundung ist geeignet, die Entfaltung von Eigeninitiative und Gemeinsinn zu verdrängen. Eine wirklich freie Grundordnung geht deshalb sparsam damit um. Auch sol-

che politischen Binsenwahrheiten sind anscheinend in Vergessenheit geraten. Daß der Eigennutz aufhört, wenn im Erwerbsleben die finanziel- len Leistungsanreize wegfallen, hat sich als Fehlschluß herausgestellt. Ei- ne Gewinnmaximierung durch Lei- stungsminimierung ist vielgeübte Pra- xis. Eine Wirtschaft mit überwiegend Selbständigen und Freiberuflern mag intransparenter sein als eine Wirt- schaft, die unselbständig Beschäftigte verwöhnt; daß sie effizienter ist, weiß jedermann.

Ob es unanständig oder selbst- verständlich ist, daß jemand, der mehr arbeitet, auch mehr verdient als derjenige, der weniger arbeitet, ist bereits Glaubenssache.

Bei all den Schwierigkeiten mit den Aufgaben, die dem Staat niemand abnehmen

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kann und deren Lösun- gen durch parteipoli- tisches Gezerre ersetzt werden (wachsende Kri- minalität, Asylantenprobleme, Ver- schmelzung des Gesellschaftssystems mit den neuen Ländern, Aufbau der Wirtschaft dort, Ansteigen der Zahl der Süchtigen), erprobt der Staat sei- ne Macht durch massive Eingriffe in einen vergleichsweise gut funktionie- renden Wirtschafts- und Gesell- schaftsbereich. Wenn er mit Hilfe von mühsam zusammengezogenen Mehrheiten den ganzen Unsinn durchgesetzt hat, dem er um dieses einen Zieles willen zugestimmt hat, dann hat er zwar seine Handlungsfä- higkeit auf diesen mutwillig gewähl- ten Nebenkriegsschauplatz bewie- sen; das war's dann aber auch.

Für alle diejenigen, die dabei mitgeholfen haben, aus den Resten des zerstörten Deutschlands ein frei- heitlich und demokratisch funktio- nierendes Staatsgebilde zu machen, tut sich eine neue Phase staatlicher Hybris auf. Für nahezu alle Defizite, die die Bürger diesem Staat vorwer- fen können, gibt es gegenwirkende Zwänge oder zumindest Erklärun- gen. Am Pinselstrich des „Gesund- heit-Strukturgesetz '93" wird sicht- bar, daß sich ein neues Herrschafts- gefühl entwickelt hat.

plen Bilanz. Jede Mark, die dort hin- fließt, geht nach ihrer Ansicht der Wirtschaft verloren. Sie behindert das Wachstum und sie fehlt am Wohlstand. Verschwendung dort ist eine Bedrohung. Verschwendung im freien Güter- und Warenaustausch ist als Belebung der Konjunktur hochwillkommen.

Die anderen wollen immer noch einmal „die Belastungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft erproben", indem sie den Anteil des Marktes, der durch soziale Umverteilung fi- nanziert wird, nach Möglichkeit er- weitern. Das ist schon einmal schief gegangen und hat dazu geführt, daß die sozialen Haushalte bei der ersten kurzen Wachstumskrise leergefegt waren. Seitdem wird mit Tricks ge-

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In einem anderen La

Prof. Dr. med. Ernst-Eberhard Weinhold, Nordholz

A1-164 (20) Dt. Ärztebl. 90, Heft 4, 29. Januar 1993

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