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Archiv "„Behandler“: Der Begriff gehört ad acta" (06.05.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 18

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6. Mai 2011 A 989 legen, die den Ärzten mehr Frei-

raum eröffne. Nach de Ridder kann ärztlich assistierte Sterbehilfe als äußerste palliativmedizinische Maß- nahme geboten sein. Die moderne Medizin habe neben ihren großen Leistungen auch grausame Exis- tenzweisen hervorgebracht. Nie- mand als der Patient habe das Recht zu entscheiden, wie das gute Ster- ben auszusehen habe.

Folgt man Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik (von der Klinik für An- ästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Unfallkran- kenhaus Berlin), dann therapieren Ärzte aus Angst vor Rechtsfolgen oft über Gebühr. Der Arzt sei auf sich gestellt, beschrieb Schaffartzik praxisnah, „wenn er nachts um drei Uhr auf der Intensivstation allein eine Entscheidung treffen muss, die hinterher die Ärztekammer und die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft“. Schaffartziks Problem, ex an- te entscheiden zu müssen, während die Ermittlungsbehörden ex post beurteilen, konnte auch keiner der Juristen auf der Böll-Tagung lö- sen. Scharfsinnige Überlegungen von Rechtswissenschaftler Merkel könnten Intensivmedizinern und Schmerztherapeuten sogar noch weitere Kopfschmerzen bescheren.

Merkel hält nämlich zur Schmerz- bekämpfung auch aktive Sterbehil- fe für erlaubt, wenn sie das einzig mögliche Mittel der Hilfe ist. Doch nicht immer gehe es um Schmer- zen, fuhr Merkel fort; ein Mensch könne subjektiv auch seine Würde als derart beeinträchtigt ansehen, dass er nur im Sterben einen Aus- weg sehe. Ein Fall für den assistier- ten Suizid?

Der Strafrechtler Prof. Dr. jur.

Torsten Verrel hält die von Schaf- fartzik benannte Furcht vor straf- rechtlicher Verfolgung für irratio- nal, gleichwohl sei „die Angst, sich strafbar zu machen, unabhängig von ihrer Berechtigung, ein psycho- logisches Faktum, das Entscheidun- gen beeinflusst“. So Verrel 2007 bei einer ähnlichen Tagung der Hein- rich-Böll-Stiftung, die sich in Sa- chen Sterbehilfe sehr engagiert zeigt und doch Poltermann zufolge keine eigene Position vertritt. ■

Norbert Jachertz

Immer noch und immer wieder ver- wenden Krankenkassen, gesetzliche wie private, in ihrer Korrespondenz und in Formularen das Wort „Behand- ler“. Sie bezeichnen damit Ärzte, ins- besondere Vertragsärzte in der gesetz- lichen Krankenversicherung. Der Be- griff wurde ursprünglich um 1900 in die deutsche Sozialgesetzgebung ein- geführt zur Bezeichnung gerade nicht ärztlich approbierter Therapeuten, wie zum Beispiel Heilpraktiker oder auch Kurpfuscher. Er findet sich dann in der

IV. Verordnung zum Reichsbürgerge- setz von 1935 wieder.

Mit der IV. Verordnung vom 25. Juli 1938 wurde den jüdischen Ärzten zum

„Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ die ärztliche Approba- tion zum 30. September 1938 entzo- gen. Von den damals im Altreich tätigen 3 152 jüdischen Ärzten durften 709 weiter tätig sein, aber nur mit einer wi- derruflichen Genehmigung zur Behand- lung eigener Familienangehöriger und Juden. Diese jüdischen Ärzte ohne Ap- probation durften sich nicht mehr Arzt nennen, sondern mussten die Bezeich- nung „Krankenbehandler“ führen.

Nach 1945 wurde der Begriff zu- nächst benutzt, um Psychologische Psychotherapeuten, dann aber auch Vertreter alternativer Heilmethoden in Abgrenzung zu Ärzten zu bezeichnen – „ständige Zunahme der berufsmäßi- gen Behandler“ („Die Zeit“ vom 1. Sep- tember 1949), „Laien-Behandler“

(„Die Zeit“ vom 14. Juli 1961), „Psy- cho-Behandler“, „Seelenbehandler“

(„Der Spiegel“ vom 15. Februar 1982). Der diffamierende Charakter bei der Verwendung des Begriffs ist offensichtlich. Seit den 1980er Jahren wird der Begriff „Behandler“ wieder

zur Bezeichnung von Ärztinnen und Ärzten benutzt. Der Begriff steht nicht im Duden und in keinem Lexikon.

Die scheinbar harmlose Endung

„ler“ wird nicht nur bei „Behandler“, sondern auch bei anderen Begriffen in vollem Bewusstsein der damit verbun- denen Herabwürdigung angehängt (zum Beispiel Protestler, Widerständ- ler, Abweichler). Das kann bei Bastian Sick nachgelesen werden. Die Be- zeichnung „Heilberufler“ ist hoffentlich nur Ausdruck einer sprachschöpferi-

schen Naivität, wer weiß? Und zur Be- deutung von Begriffen in der Ge- schichte hat sich der vielleicht wich- tigste deutsche Philosoph der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Hans Blumenberg, geäußert. Dem „Kranken - behandler“ widmete er in seiner Serie in der „Frankfurter Allgemeinen Zei- tung“ ein eigenes Kapitel und wies dort auf die infame Übertragung von

„Manipulieren“ in die deutsche Spra- che hin („manipulieren“ = „behan- deln“). Dem Behandler, also demjeni- gen, der manipuliert, sei schon dank dieser Bezeichnung alles zuzutrauen.

Vor ihm sollte 1938 der deutsche Bür- ger durch die nationalsozialistische Gesetzgebung geschützt werden. We- der eine solche Schutzimplikation noch die gezielte sprachliche Diskrimi- nierung können von denjenigen, die den Begriff heute benutzen, gemeint oder beabsichtigt sein. Vermutlich ist den Krankenkassen und Beihilfestellen ihr Sprachgebrauch nicht bewusst. Aber trotz bereits erfolgter Hinweise auf Ge- schichte und Hintergrund dieser Wort- wahl will man auf den Begriff anschei- nend nicht verzichten. Dabei ist es so einfach, einfach von Ärzten sprechen, wenn Ärzte gemeint sind.

KOMMENTAR

Dr. med. Johannes Vesper, Facharzt für Innere Medizin

„BEHANDLER“

Der Begriff gehört ad acta

P O L I T I K

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