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Archiv "Niederländisches Gesundheitssystem: Trotz „Seelenpauschale“ Sorgen mit den Krankheitskosten" (12.08.1976)

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Die niederländische Ärzteorganisa- tion — ein gesundheitspolitischer Machtfaktor

Die niederländische Ärztevereini- gung (Koninklijke Nederlandsche Maatschappij tot Bevordering der Geneeskunst) nimmt als einzige of- fizielle Spitzenorganisation der nie- derländischen Ärzteschaft sämtli- che Aufgaben und Funktionen wahr, die in der Bundesrepublik auf die einzelnen Landesärztekammern, die Kassenärztlichen Vereinigun- gen, die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereini- gung und die freien ärztlichen Ver- bände verteilt sind. Die Mitglied- schaft in der KNMG ist freiwillig;

17 500 Ärzte bzw. rund 85 Prozent aller berufstätigen Ärzte sind bei ihr organisiert. Die speziellen be- ruflichen und gesundheitspoliti- schen Interessen der einzelnen Arztgruppen werden von drei „Un- terorganisationen" der niederländi- schen Ärztevereinigung vertreten, die jeweils ihren eigenen Vereins- vorstand haben, dessen Beschlüs- se jedoch durch ein Vetorecht der zentralen Spitzenorganisationen blockiert werden können. Diese drei besonderen Ärzteorganisationen bestehen seit 1946 und vertreten folgende Ärztegruppen:

> die Hausärzte bzw. praktischen Ärzte durch die Landelijke Huisart- sen Vereniging (L. H. V.);

I> die Fachärzte durch die Lande- lijke Specialisten Vereniging (L. S. V.);

> die angestellten Ärzte bzw. die Ärzte in einem Dienstverband (Ge- sundheitsamt, betriebsärztlichen Dienst usw.) durch die Landelijke Vereniging van Artsen in Dienstver- band (L. A. D.).

Der Verband der Allgemeinärzte bzw. Hausärzte hat gegenwärtig ei- nen Organisationsgrad von 93 Pro- zent; bei den Fachärzten sind 75 Prozent und bei den angestellten Ärzten rund 53 Prozent der Ärzte Vereinsmitglieder. Die Dachorgani- sation der niederländischen Ärzte, gegründet 1849, verlagerte 1969 ihre Verwaltung, vor allem wegen des vergrößerten Raumbedarfs, von Amsterdam nach Utrecht.

Die zentrale Ärztevereinigung hat den Rechtsstatus eines Vereins nach bürgerlichem Recht. Die Ver- bandstöchter haben keine eigene Rechtspersönlichkeit und werden daher durch die Mutterorganisation repräsentiert. Im Gegensatz etwa

zur öffentlich-rechtlichen Verord- nungsbefugnis der Kammer der Rechtsanwälte haben die Ärztever- einigungen keine staatlich sanktio- nierten oder delegierten Ordnungs- funktionen. Dafür gibt es aber eine interne Disziplinargerichtsbarkeit auf Grund der Vereinsstatuten, da- neben existiert eine Disziplinarge- setzgebung, und zwar bereits seit 1928.

Die Ärztevereinigungen in Utrecht vertreten die gesamte Ärzteschaft offiziell gegenüber der Regierung, den Ministerien, Behörden und sind Verhandlungspartner der Krankenkassen. Die Ärzteorganisa- tion wird zu sämtlichen Gesetzes- vorlagen als sachverständige ge- sellschaftliche Gruppe gehört, macht Eingaben und Vorschläge;

darüber hinaus sind die Ärzte in staatlichen Kommissionen, im staatlichen Gesundheitsrat sowie in anderen Sachverständigenaus- schüssen ständig vertreten.

Diese Funktionen und Einflußberei- che der Spitzenorganisationen führten im Verlaufe der Jahre zu ei- ner starken Professionalisierung des Verwaltungsapparates. Die Ärztevereinigungen werden durch ehrenamtliche Vorstände der Ärzte geführt. Den Verbandsapparat in Utrecht managen zur Zeit drei Ärz- te, vier Juristen und vier National- ökonomen.

Die Ministerien in Den Haag sowie das Parlament setzen ins Kalkül, daß ohne den Rat und die Mitwir- kung der Ärzteorganisationen Re- formen im Gesundheitswesen nur schwer durchsetzbar sind. Ob- gleich starke Tendenzen zur Volks versicherung, Regionalisierung und Regulierung der Niederlassung in den Niederlanden bestehen, achtet die Ärzteorganisation stets darauf, daß bei Gesetzesvorhaben die Es- sentials der Ärzteorganisationen beachtet werden:

> Unantastbarkeit der freien ärztli- chen Berufsausübung unter Be- rücksichtigung gewisser Normie- rungen;

Niederländisches Gesundheitssystem

Trotz „Seelenpauschale"

Sorgen mit den Krankheitskosten

Eindrücke von einer Studienreise der Hans-Neuffer-Stiftung

Harald Clade, Georg Habighorst, Else Müller

Zweite Fortsetzung und Schluß

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 33 vom 12. August 1976 2129

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(K.N.M.G.)

VORSTAND Freiwillige Mitgliedschaft Organisationsquote: 85%

Staffelung d. Beiträge nach Einkommen Privatrechtliche Körperschaft

AUFGABEN AUFGABEN

■11111/

Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen, ärztlichen Verbänden

.141/

Interne Rechtsprechung

■11p, Gesprächspartner der Regierung

■111111■

Verhandlungs- partner d.

Krankenkassen

Gesprächs partner von Behörden u.

Gewerkschaften Zentrale Berufspol.

Vertretung

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Niederländisches Gesundheitssystem

> Unantastbarkeit des Arzt-Patien- ten-Verhältnisses;

1> individuelle Verantwortung je- des einzelnen Arztes für die Quali- tät seiner Arbeit, eine Verantwor- tung, die nicht durch etwaige Hier- archiesysteme beeinträchtigt wer- den darf;

> effektiver und sparsamer Ein- satz von finanziellen Mitteln und Personal;

• adäquate Mitspracherechte und Mitentscheidungsbefugnisse bei sämtlichen gesundheitspolitischen Reformen.

Trotz oder gerade wegen der rela- tiv starken Vorrangstellung der zen- tralen ärztlichen Organisationen und ihres politisch-gesellschaftli- lichen Gewichtes gibt es im politi- schen Raum ständig Bestrebungen, die Einflußzonen der Ärztevereini- gungen zu beschränken. Innerhalb der Verbände gibt es stark zentri- fugale Tendenzen, in einer stark progressiven wie auch in einer kon-

servativen-liberalen Richtung. Das Spiegelbild solcher Verbandsströ- mungen sind die Verbandsbe- schlüsse und Resolutionen: Sie sind gekennzeichnet von Kompro- missen und Gruppenzugeständnis- sen. Aktuelle Beispiele dafür sind die Stellungnahmen der Ärzte- schaft zum Abtreibungsparagra- phen und zur medizinischen Daten- verarbeitung. Dr. Harald Clade Praxisnahe Ausbildung

zum Hausarzt

Man hat sich in den Niederlanden an das angelsächsische Ausbil- dungssystem in der Medizin ange- lehnt und die dortigen Ausbil- dungsgänge übernommen. Die Ausbildung in der Medizin ist an al- len acht medizinischen Fakultäten vollkommen einheitlich. Seit 1968 hat man die Studienzeit im Zuge der Angleichung innerhalb der EG auf sechs Jahre festgesetzt, gegen- über früher sieben Jahren. In den ersten vier Jahren wird ein grund- legendes theoretisches Wissen ver-

mittelt und durch zwei Examina ge- prüft. Aber schon zu Beginn des Studiums wird den Studenten im ersten Semester in kleinen Grup- pen unter der Leitung eines Haus- arztes die Allgemeinmedizin be- kannt gemacht. Diese kleine Grup- pe bespricht mit den Hausarzttuto- ren Probleme, die ihnen in der Pra- xis und bei den Hausbesuchen auf- gefallen sind. Nur durch diesen frü- hen Kontakt mit der freien Praxis glaubt man die in den letzten Jah- ren unerwünschte Entwicklung der Superspezialisierung zu verhin- dern. Man ist auch in Holland der Meinung, daß durch diese frühe Praxisnähe den Studenten die Um- setzung des rein theoretischen Stoffes in die Nutzanwendung in der Praxis besser und schneller gelingt.

Bereits im zweiten Studienjahr werden die noch immer mit der Theorie befaßten Studenten in den Instituten für Allgemeinmedizin, die es inzwischen an jeder Universität gibt, mit Hilfe von audiovisuellen

L.A.D. (Vertretg. angest. Ärzte) Eigenständige Vereinigung innerh. der KNMG

VORSTAND

Eigene Mitgliederversammlg.

AUFGABEN

Verhandlungs- Wahrung d. Interessen partner bei d. angestellten Ärzte Gehaltsverhand-

lungen f. d. angest.

Ärzte

Zusammenarbeit durch gegen- seitige Entsendung von Vorstandsmitgliedern

L.H.V. (Vertretg. d. Hausärzte) Eigenständige Vereinigung innerh. der KNMG

VORSTAND

Eigene Mitgliederversammlg.

AUFGABEN

Wahrnehmung d. Interessen der Praktischen Ärzte, Verhandlungs- partner bei Honorarfragen

L.S.V. (Vertretg. d. Fachärzte) Eigenständige Vereinigung innerh. der KNMG

1

... VORSTAND

Eigene Mitgliederversammlg.

I M&

AUFGABEN

Wahrnehmung der Interessen der Fachärzte

Verhandlungspartner d. Kassen u. Behörden

Organisation und Aufgaben der niederländischen Ärzteorganisationen

2130 Heft 33 vom 12. August 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Systemen in die Gesprächsfüh- rung, die Führung der Patienten und soziale Beratung eingeführt.

Die Ausstattung dieser Institute mit allen modernen didaktischen Hilfs- mitteln ist neiderweckend. Diese Unterrichtsform wird von den Stu- denten sehr als Abwechslung in ih- rem Laboratoriumsteil des Stu- diums als patientennahe und pra- xisbezogene Ausbildung begrüßt und auch dementsprechend fre- quentiert.

Im weiteren Verlauf des Studiums werden die Studenten, die sich in den Niederlanden schon viel eher als bei uns zu ihrer späteren beruf- lichen Tätigkeit entschließen, an- gehalten, allgemeinmedizinische Zusammenhänge zu erkennen. Sie schließen sich hierzu unter der Lei- tung der Institute zu Arbeitsgrup- pen zusammen, um jeweils ein be- stimmtes Thema zu erarbeiten.

Im fünften und sechsten Studien- jahr, nach dem dortigen bestande- nen Physikum, erfolgt die klinische Ausbildung in Form von Bedside- Teaching oder anderen praxisrele- vanten Lernsystemen. In diesem Abschnitt ist auch die Lehre der Allgemeinmedizin mit 15 Semester- stunden fest im Lehrplan verankert.

Das Fach Allgemeinmedizin ist Prüfungsfach und stellt einen eige- nen Prüfungskatalog auf. Sämtliche medizinischen Unterrichtsveran- staltungen sind freiwillig, und es gibt keine Kontrolle der Teilnahme der Studenten.

Am Ende des sechsten Semesters, vor Ablegung des Staatsexamens hat jeder Student — und das ist Pflicht — eine dreiwöchige Famula- tur bei einem Hausarzt zu absol- vieren, um das bisher Gelernte zu verdichten und um eine intensivere Bekanntschaft mit den psychischen und sozialen Problemen zu ma- chen. (In der Bundesrepublik Deutschland dauert die Famulatur hingegen acht Wochen; sie kann in den letzten Semestern in der freien Praxis, bei den Trägern der LVA, der Bundeswehr oder dem staatli- chen Gesundheitsdienst abgelei- stet werden.)

Der rasche wissenschaftliche Aus- bau des allgemeinmedizinischen Lehrbetriebs wird auch von mini- sterieller Seite begrüßt und stark gefördert. Durch die Politik einer Verstärkung der sogenannten er- sten Linie soll die Basisversor- gung, das heißt die Grund- und Hausarztversorgung, verbreitert werden, um dadurch möglicherwei- se die ständig steigenden Kosten zu zügeln.

Nach dem Examen muß der Kandi- dat in Holland ein Jahr als Assi- stent bei einem Hausarzt oder in einem besonders autorisierten Krankenhaus tätig sein. Er wird während dieser Zeit von seinem ausbildenden Arzt mit etwa 16 000 Gulden bezahlt. Als Basisarzt nach abgeschlossener Ausbildung ver- dient man 36 000 Gulden pro Jahr.

Das Assistentenjahr entspricht dem ab 1. Oktober in der Bundesrepu- blik erstmals praktizierten „Prakti- schen Jahr" an Universitätskliniken und akademischen Lehrkranken- häusern, wofür bisher allerdings noch keine Bezahlung und tarifver- tragsrechtliche Absicherung der In- ternatsjahrstudenten vorgesehen ist.

Assistenzstudenten

kommen an die Uni zurück Die niederländischen Assistenzstu- denten kommen einmal wöchent- lich zu einem mehrstündigen, oft halbtägigen Kurs oder Kolloquium an ihre Universität zurück, um dort weiterhin auf den zukünftigen Be- ruf des Hausarztes intensiv vorbe- reitet zu werden. Diese Weiterbil- dung ist deswegen notwendig, weil man im universitären Ausbildungs- gang nicht mehr eine möglichst vollständige Ausbildung anstrebt, sondern eine solide Grundlage schafft und die spezielle berufli- che Weiterbildung in die Zeit nach dem Staatsexamen legt. Die Kur- se werden von den Instituten für Allgemeinmedizin durchgeführt.

In den Niederlanden sind jetzt in allen acht Fakultäten Professoren und Lehrbeauftragte für Allgemein- medizin tätig. In Rotterdam, Leiden

und jetzt auch in Utrecht sind zwei Lehrstühle errichtet worden. Wie in der Bundesrepublik werden auch in den Niederlanden erfahrene Praktiker als Lektoren für Allge- meinmedizin an die Universität be- rufen.

Nach Ableistung des Pflichtweiter- bildungsjahres in der freien Praxis kann sich der junge Arzt als Haus- arzt (huisarts) mit Kassenzulassung niederlassen. Die Kassenarztsitze sind in der niederländischen Ärzte- zeitung ausgeschrieben oder wer- den von den Gemeindeverwaltun- gen als dringlich zu besetzen nachgewiesen. Die Praxen sind in der Regel käuflich zu erwerben.

Grundlegende Unterschiede zwi- schen dem deutschen Ausbildungs- gang bzw. Pflichtzeiten gegenüber dem holländischen Lehrsystem scheinen hier zu bestehen:

In der Bundesrepublik wird vorerst noch vor der Niederlassung in freier Praxis als praktischer Arzt mit Kassenzulassung eine Mindest- vorbereitungszeit von 18 Monaten nach dem „praktischen Jahr" und der Approbation gefordert und vor der Niederlassung als Arzt für All- gemeinmedizin eine mindestens vierjährige Weiterbildung in den verschiedensten Disziplinen (also im ersten Fall 1,5 Jahre mehr als in Holland und im zweiten Fall vier Jahre mehr). Auf diese au- genfälligen Unterschiede ange- sprochen, antworteten Regierungs- vertreter des niederländischen Ge- sundheitsministeriums: „Wir sind schon froh darüber, daß jetzt die einjährige Ausbildung in freier Pra- xis erfolgen kann. Wir sind an wei- teren Ausbildungsgängen und Wei- terbildungszeiten für den Hausarzt sehr interessiert, aber dazu ist wie überall zur- Zeit kein Geld vorhan- den."

Dr. med. Georg Habighorst Arzt für Allgemeinmedizin

Lehrbeauftragter an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Falterswiese 3-5

5439 Rennerod

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 33 vom 12. August 1976 2131

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

Niederländisches Gesundheitssystem

Albert van Koningsbruggenhuis — Ein Modell

der integrierten Heimpflege Das holländische Gesundheitswe- sen ist im Begriff, den intermediä- ren Bereich zwischen Krankenhaus und Hausarztpraxen durch eine Kette differenzierter sozialer Ein- richtungen zu verdichten und da- durch das Umfeld von Praxis und Krankenhaus funktionell zu entla- sten. Beispiele dafür sind Rehabili- tationszentren, Altenpflegeheime, medizinische Kindergärten für verhaltensgestörte Kinder oder ärztlich geleitete Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe (diese werden meist als Dependance einer be- nachbarten psychiatrischen Kran- kenanstalt betrieben).

Gemeinsam ist diesen Einrichtun- gen dieses Merkmal: Allgemeinärz- te, Fachärzte, Sozialhelfer- Psycho- therapeuten, Psychologen und an- dere paramedizinische Berufe bil- den ein vollintegriertes sozialmedi- zinisches Team, dessen diagnosti- sche, therapeutische, rehabilitative, psychosomatische und soziale Ak- tivitäten meist unter Anleitung und Führung eines Arztes koordiniert und organisiert werden. Finanziert werden diese Sozialeinrichtungen zum Teil aus Mitteln der Kranken- versicherung, privater Stiftungen und staatlicher sowie kommunaler Träger.

Immer noch Engpässe bei den Pflegeheimen

Die Notwendigkeit, chronisch Kranke, die keiner speziellen Kran- kenhausbehandlung mehr bedür- fen, auf längere Zeit unter ärztli- cher Anleitung zu versorgen und möglichst auch zu rehabilitieren, hat auch in den Niederlanden in den letzten 20 Jahren zu einem An- stieg der Zahl der Pflegeheime ge- führt.

Während die Zahl der Kranken- hausbetten von rund 57 000 im Jahr 1960 auf 75 000 im Jahr 1975 stieg (bei einer Bevölkerungszahl von gegenwärtig 13,5 Millionen) und

das Gesundheitsministerium in Den Haag bestrebt ist, den Betten- schlüssel von sechs Betten auf 1000 Einwohner auf künftig vier Betten pro 1000 Einwohner zu sen- ken, ist die Zahl der Pflegeheime von vier im Jahr 1953 auf 224 im Jahr 1975 mit insgesamt 6000 Bet- ten gestiegen. Die relativ hohe Zahl von 37 000 psychisch Kranken übersteigt jedoch bei weitem die vorhandene Bettenkapazität in Pflegeheimen.

Das „Albert van Koningsbruggen- huis", ein Modellzentrum für Pflege und Reaktivierung in Utrecht, gilt in

Der ärztliche Direktor des „Albert van Koningsbruggenhuis" in Utrecht, Dr.

med. J. A. Stoop, erläutert der deut- schen Delegation der Hans-Neuffer-Stif- tung der Bundesärztekammer das „Ein- satzbord", auf dem die für die Patien- tenbetreuung wichtigsten Daten über- sichtlich dokumentiert sind

Holland als ein Optimum an Pla- nung und Organisation. Initiiert wurde das 1971 eröffnete Haus durch Professor R. Hornstra, Eme- ritus für Sozialmedizin an der Uni- versität Utrecht, und einer von ihm geleiteten Studienkommission; die Baupläne lieferten die Architekten H. Dam und B. S. A. Dirkse. Ärztli- cher Direktor des Zentrums ist Dr.

med. J. A. Stoop.

Das Haus verfügt gegenwärtig über 240 Betten; die Planstudie geht von einem Bettenoptimum von 200 bis 250 Betten aus. Von regierungs- amtlicher Seite wird eine Belegung von 95 Prozent der Kapazität gefor- dert, tatsächlich sind die Betten zu 80 bis 90 Prozent ausgelastet.

Es gibt separate Abteilungen für körperlich und geistig Kranke. Für die somatischen Krankheiten, die breit gefächert sind — als Beispie- le seien nur multiple Sklerose, Apoplexien, Parkinsonismus, Cox- arthrosen und Frakturfolgen, Herzleiden und Malignome genannt

—, stehen 150 Betten zur Verfü- gung. Der jüngste stationär ver- sorgte Patient ist 18, der älteste 96 Jahre alt. Das Durchschnittsalter im Utrechter Pflegeheim liegt bei 75 Jahren.

60 Betten werden von geistig Kran- ken belegt, und weitere 30 Betten erfüllen die Funktion einer „Auf- nahmeschleuse" zur Abklärung der Krankheitsbilder. Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit Univer- sitätskliniken in Utrecht und mit benachbarten Spezialkrankenhäu- sern. Um im Albert van Konings- bruggenhuis aufgenommen zu wer- den, muß der Patient durchschnitt- lich ein bis sechs Wochen warten, je nach Dringlichkeit des Falles.

Aufgenommen werden ausschließ- lich Patienten aus der Utrechter Region.

Behandlungsziel:

Reaktivierung der Patienten Das vielfältige Behandlungspro- gramm zielt auf eine körperliche und geistige Reaktivierung des Pa- tienten ab. Neben einer allgemei- nen gibt es eine spezielle Physio- therapie im Sinne einer Arbeitsthe- rapie. Man unterscheidet in Utrecht grundsätzlich drei Stufen und Pha- sen des Rehabilitationsprozesses:

die Revitalisierung (revalidatie), die Reaktivierung (reactivering) und die Resozialisierung (resocialisa- tie). Je nach der physischen und psychischen Konstitution des Pa- tienten zielen sämtliche medizini- 2132 Heft 33 vom 12. August 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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sehen, paramedizinischen und so- zialen Therapiemaßnahmen auf die Wiederherstellung der Arbeitsfä-

higkeit, der allgemeinen Leistungs- fähigkeit und der Rückkehr in die gewohnte soziale Lebensgemein- schaft (Familie, Betrieb und Beruf) ab.

Die Heimpatienten verteilen sich so: 150 Patienten werden etwa ein Vierteljahr stationär versorgt, um dann als geheilt oder als nicht mehr pflegebedürftig entlassen zu werden; 60 Patienten sind Dauer- heimbewohner; 30 Patienten pas- sieren, wie erwähnt, die "Schleu- se". Nur zwei bis fünf Prozent der Fälle verbleiben bis zu ihrem Ab- leben im Heim.

Das Utrechter Pflegeheim verzeich- nete im vergangenen Jahr 243 Neu- aufnahmen. Die Erfahrung hat ge- zeigt: 80 Prozent der Kranken wer- den vom Krankenhaus überwiesen, 20 Prozent werden direkt vom Hausarzt nach Utrecht eingewie- sen.

Der Pflegesatz liegt bei 140,25 Gul- den täglich, in anderen, weniger differenzierten Pflegeheimen bei rund 100 Gulden. Zum Vergleich:

Der Durchschnittspflegesatz im Akutkrankenhaus liegt bei 220 Gul- den (einschließlich der lnvesti- tionskosten) und bei 50 Gulden im

"normalen" Altersheim. Die Ko- stenübernahme durch die gesetzli- chen Krankenkassen ist auf ein Jahr begrenzt, wird aber in be- stimmten Fällen darüber hinaus verlängert.

Das Utrechter Haus umfaßt acht Abteilungen zu je 30 Betten, die von einem leitenden Arzt und zwei Assistenten medizinisch versorgt werden. Konsiliarisch sind einmal wöchentlich ein Psychiater, ein Neurologe, zwei Psychologen, ein Chirurg, ein plastischer Chirurg, ein Orthopäde, ein Röntgenologe, ein Kardiologe ärztlich tätig.

Das Haus legt Wert auf die Fest- stellung, daß zwei Geistliche den Stamm des Fachpersonals ergän- zen und abrunden.

Eine zahnärztliche Praxis, eine Ab- teilung für Krankengymnastik und Bewegungstherapie, eine Röntgen- einrichtung sowie eine eigene klei- ne Apotheke und ein Labor gehö- ren ebenso zu den selbstverständ- lichen Einrichtungen des Hauses.

Auffällig klein ist die Zahl der be- nötigten Medikamente.

Neben 10 Physiotherapeuten, 2 bis 3 Krankentransporteuren sind 12 bis 14 ausgebildete Arbeitsthera- peuten tätig. Dieses Personal un- tersteht einem sogenannten Admi- nistrator. Von den 120 Pflegeperso- nen sind 40 examinierte Schwe- stern, weitere 60 nicht diplomiert, die übrigen stehen in zweijähriger Ausbildung in Verbindung mit ei- nem Diakonissenhaus. Zwei Logo- päden und zwel Sozialarbeiter ge- hören ebenso zur Mannschaft der nichtärztlichen Fachkräfte.

Moderne

Pflegeorganisation

Das Utrechter Haus hat moderne Wege zur rationellen Pflegeorgani- sation und ärztlichen Betreuung und Beurteilung der Patienten be- schritten:

..,.. Das Krankheitspanorama und der Therapieeinsatzplan ergibt sich aus vier speziell erarbeiteten Anamnesefragebogen. Diese Fra- gebogen - ADL-Bogen (Activity of daily living) - geben Auskunft über die körperlichen Fähigkeiten, die im Tagesablauf von Belang sind:

Sind die Patienten ständig bettlä- gerig, können sie aufstehen, kön- nen sie im Stuhl sitzen, vom ·stuhl aufstehen, selbständig essen, trin- ken, sich waschen und ankleiden, zur Toilette gehen usw.? Außerdem werden sämtliche Grade der not- wendigen Hilfeleistung registriert.

Der leitende Arzt hat diese Daten auf einem "Einsatzbord" übersicht- lich dokumentiert.

..,.. Der Spezialbeurteilungsbogen für ältere Patienten (BOP-Bogen) gibt vor allem bei psychischen Be- sonderheiten eine AufschlüsseJung bis zu 35 Spezialmerkmalen. Diese

bilden eine Grundlage für die Be- urteilung bei der gemeinsamen psychiatrischen Besprechung und den schriftlich niederzulegenden Er- gebnissen. Dadurch wird eine weit- gehende Objektivierung angestrebt und auch erreicht; sie hat sich bei dem großen Kreis der beteiligten Spezialdisziplinen und Verantwort-

lichen als notwendig und hilfreich erwiesen.

Der für öffentliche und private Ver- kehrsmittel gleichermaßen günstig gelegene Gebäudekomplex besteht aus einem siebenstöckigen Betten- haus, einem zweistöckigen Gebäu- de mit einem großen einstöckigen Trakt mit Aufenthalt- und Behand- lungsräumen, der durch Binnenhö- fe und mit Pflanzen- und Wasser- becken aufgelockert ist.

Sämtliche Gänge sind sehr breit und geräumig; sie bieten ebenso wie die dekorative, freundlich ge- staltete Eingangshalle genügend Bewegungsfreiheit für Rollstuhlbe- nutzer und Besucher des Hauses.

Die Wege zu den individuellen Ar- beits- und Behandlungsplätzen, zur kleinen Probeküche und zum Auf- enthaltsraum sind kurz; die Räume bieten den Blick ins Grüne, wirken farbig und froh, so wie die großen Keramikmauern, die den künstle- rischen Schmuck des Hauses bil- den.

Die Zahl der festangestellten Ärzte ist erstaunlich gering, reicht aber offenbar zur ärztlichen Versorgung, Kontrolle und Koordinierung völlig aus. in Utrecht ist man stolz auf die hohe Versorgungsdichte mit Perso- nal: Eine Schwester steht für zwei Patienten zur Verfügung, eine the- rapeutische Kraft für 10 Patienten, eine wohl auch im internationalen Vergleich vorbildliche Relation zwi- schen Pflegepersonal und Patien- ten.

Sanitätsrat Dr. med. Else Müller Ärztin für Allgemeinmedizin Robert-Koch-Straße 12 6600 Saarbrücken 6

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 33 vom 12.August 1976

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