• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Sozialpsychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen: „Wir schwören auf das Modell“" (08.08.2011)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Sozialpsychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen: „Wir schwören auf das Modell“" (08.08.2011)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 1678 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 31–32

|

8. August 2011

SOZIALPSYCHIATRISCHE VERSORGUNG VON KINDERN UND JUGENDLICHEN

„Wir schwören auf das Modell“

Die Sozialpsychiatrie-Vereinbarung zur multimodalen und multiprofessionellen Behandlung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher hat sich gut bewährt.

Ein Praxisteam in Berlin gewährt Einblicke.

F

reundlich begrüßt das grüne Monster den Besucher am Eingang der Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Berliner Wit- tenbergplatz, direkt gegenüber dem KaDeWe im alten Zentrum West.

„Die Kinder sind eher neugierig“, sagt die Medizinische Fachange- stellte Tanja Izmir auf die Frage, ob kleine Kinder nicht auch manchmal Angst vor der hüfthohen Figur aus Pappmaché hätten.

Hinter dem dezenten Praxisschild verbirgt sich auf 650 qm ein multi- disziplinäres Zentrum mit 14 Be- handlungsräumen: Drei Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie arbeiten zusam- men mit Diplom-Psychologen, Heil- pädagogen, einem Sozialarbeiter, ei- ner Ergotherapeutin, einer Tanz- und Bewegungstherapeutin und Prakti- kanten in der Ausbildung zum Kin- der- und Jugendlichenpsychothera- peuten. Zusammen mit den Mitarbei-

tern am Empfang haben Prof. Dr.

med. Peter Greven und sein Team 16 Angestellte. Möglich ist das durch die Sozialpsychiatrie-Vereinbarung (SPV)* nach § 85 Abs. 2 Satz 4 und

§ 43 a SGB V, die es Kinder- und Ju- gendpsychiatern sowie Kinderärzten, Psychiatern und Nervenärzten mit mindestens zweijähriger Weiterbil- dung in der Kinder- und Jugend - psychiatrie ermöglicht, interdiszipli- när in der ambulanten vertragsärztli-

chen Versorgung zu arbeiten. In Ber- lin gibt es 35 solcher Praxen; bundes- weit sind es 578 Praxen, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen. Mehr als die Hälfte aller 774 Kinder- und Jugendpsychiater nutzen das Modell (KBV, Stand 31. Dezember 2009).

„Die Tendenz ist steigend, weil es sehr attraktiv ist, in diesem Modell zu arbeiten“, weiß Dr. med. Christa

Schaff, stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbands für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie und selbst Inha- berin einer sozialpsychiatrischen Pra- xis. Die Selbstverwaltung habe durch die SPV-Vereinbarung in den Bun- desmantelverträgen zum 1. Juli 2009 endlich eine sichere Basis geschaffen.

Bereits seit 1994 gab es regionale Sozialpsychiatrie-Verträge mit den Krankenkassen, die jedoch auch schon mal gekündigt wurden und die Praxisteams in exis- tenzielle Nöte brachten.

„Wir wollten die Exper - tise anderer Fachgruppen nicht erst mühsam von außen einholen müssen, sondern in der eigenen Praxis multimo- dal und multiprofessionell arbeiten“, sagt Greven, der die Praxis vor zehn Jahren zusammen mit Dr. med. Sil- via Treuter aufgebaut hat.

Die Arbeit im Team waren die beiden aus der Charité gewohnt. „Die mehrdimen- sionale Diagnostik ist in un- serem Fach sehr wichtig“, sagt Treuter. Sehr nützlich seien die Eindrücke anderer, die das Bild über einen Patienten abrundeten. Corin- na Adamowski-Philippe kam als dritte Fachärztin vor ein paar Monaten hinzu. Neu in Berlin, hatte sie sich vor zwei Jahren erst einmal als Einzelkämpferin nieder- gelassen. „Die vielen Kontakte zu Schulen, Kitas oder dem Jugendamt, die in der Kinderpsychiatrie notwen- dig sind – das überstieg schnell mei- ne Möglichkeiten.“ Auch sie hat den fachlichen Austausch im Team ver- misst, den sie vorher an einer Psych - iatrischen Klinik im Saarland hatte.

„Neben den objektiven diagnos- tischen Kriterien schwingen in un-

Fotos: Georg J. Lopata

Die Expertise aller Fachgruppen ist in den regel - mäßigen Fallkonfe- renzen des Praxis- teams gefragt.

*Die Sozialpsychiatrie-Vereinbarung im Internet:

www.kbv.de/rechtsquellen/2279.html

T H E M E N D E R Z E I T

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 31–32

|

8. August 2011 A 1679 serem Fach auch immer die subjek-

tiven Eindrücke mit – deshalb ist es wichtig, ein Korrektiv im Team zu haben“, erklärt Greven. Zweimal wöchentlich trifft sich das ganze Team zu Fallbesprechungen.

Eine Stunde Zeit nimmt sich jeder der drei Ärzte für die Erstvorstellung eines Kindes zusammen mit der Fa- milie. Jugendliche kommen auch manchmal allein. Mit Hilfe von Anamnese, neurologi- scher Untersuchung und psychiatrischem Befund be- ginnen sie die Diagnostik.

Oftmals folgen psychodia - gnostische Tests bei einer der fünf angestellten Psycholo- ginnen oder die vertiefte pädagogische Exploration bei einer der fünf Pädagogin- nen. Auch Ergotherapeutin Anne Osterhues versucht mit nonverbalen Methoden, be- sonders bei kleinen Kindern, ihren Teil zu einer umfassen- den Diagnostik beizutragen.

Gespräche mit Lehrern, Er- ziehern oder der Kinder- und Jugendhilfe, die die Sozialar- beiter oder Pädagogen der SPV-Praxis den Ärzten ab- nehmen, runden das Bild ab.

Danach stellt einer der Ärzte den Therapieplan auf.

Die Psychologinnen und Pädagoginnen sind überwie- gend verhaltenstherapeutisch ausgebildet, während die Ärzte alle eine tiefenpsychologi- sche Ausbildung haben. „In der täg- lichen Arbeit ist die Verhaltensthe- rapie oft überlegen, weil sie kon- krete Strukturen an die Hand geben kann“, sagt Greven. „Wir haben uns der Verhaltenstherapie immer mehr angenähert.“

Ein Vorteil des sozialpsychiatri- schen Modells ist, wesentlich mehr Patienten behandeln zu können, als es eine Einzelpraxis vermag. Etwa 1 200 bis 1 300 Heranwachsende ver- sorgt die Praxis am Wittenbergplatz im Quartal, wobei nicht alle Patien- ten die Kriterien für eine Teilnahme an der Sozialpsychiatrie-Vereinba- rung erfüllen. Eine Einzelpraxis da- gegen kommt im Schnitt auf etwa 100 bis 150 Patienten. Hilfesuchende Kinder und Jugendliche gibt es nicht

nur in Berlin genug: „Der Druck ist hoch“, sagt Silvia Treuter: „Wir könnten jeden Tag mindestens zehn Erstvorstellungen haben.“ Die War- tezeiten belaufen sich auf bis zu zwei Monate. „Notfälle nehmen wir natür- lich sofort dran“, betont die Ärztin.

Die meisten Patienten suchen sich die Praxis aufgrund der zentra- len Lage gezielt aus. Sie kommen

sowohl aus gutbürgerlichen Vierteln wie Zehlendorf als auch aus sozial- ökonomisch schlechter aufgestellten Stadtteilen wie Wedding oder Neu- kölln. Eine so maßgebliche Rolle, wie vielleicht vermutet, spiele das allerdings nicht. „Soziale oder emo- tionale Verwahrlosung ist zwar häu- figer in den Problemkiezen“, erklärt Treuter. Doch auch in Zehlendorf sorge emotionale Verwahrlosung für Verhaltensauffälligkeiten von Kin- dern. „Die Familien haben nur mehr Ressourcen, das zu verbergen.“

Die Fachärzte können nur weni- ge Patienten selbst psychotherapeu- tisch behandeln. „Unsere Aufgabe ist eher die Fallführung und -beglei- tung sowie eine stärker psychia - trisch-psychotherapeutische Arbeit“, erklärt Greven. Ist eine Richtlinien-

Psychotherapie notwendig, über- weisen die Ärzte deshalb häufig weiter. Die Überweisung an einen Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapeuten (KJP) bezeichnet er als

„Nadelöhr“. Einen Therapieplatz zu bekommen, könne lange dauern.

Deshalb weichen die Zuweiser häu- fig auf Ambulanzen von psychothe- rapeutischen Ausbildungsinstituten aus, wo KJP in Ausbildung ab dem dritten Jahr unter Supervision be- handeln dürfen. „Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht“, sagt Treuter. „Der Wissenstand ist hoch, und die angehenden KJP sind sehr motiviert.“

Zusätzlich zu den EBM-Ziffern kann im Rahmen der SPV eine Kos- tenpauschale abgerechnet werden, die die Kosten für Mitarbeiter und Räume abdecken soll. „Damit kann man gut arbeiten“, sagt Greven. Als

„Benachteiligung“ empfindet er je- doch, dass Gemeinschaftspraxen seit 2009 nur noch für einen Inhaber die volle Anzahl an SPV-Pauschalen abrechnen können, jeder weitere Inhaber ist auf 80 Prozent der Fälle begrenzt.

Eine weitere Vergütungsrege- lung bereitet der Praxis Probleme:

Regelleistungsvolumina (RLV), die sich nach dem Fachgruppendurch- schnitt richten, der wiederum nicht zwischen Einzelpraxis und sozial- psychiatrischer Praxis unterschei- det. Der Fachgruppendurchschnitt liege in Berlin bei 200 bis 300 Fäl- len. Die Ärzte des Praxisteams ha- ben im Durchschnitt jeder mehr als 400 Patienten. Leistungen, die über die RLV hinausgehen, werden nur zu einem Restwert vergütet: „Er- brachte Leistung und Vergütung stehen in keinem Verhältnis“, kriti- siert Greven.

Die Kassenärztliche Bundesver- einigung und der GKV-Spitzenver- band, die die Sozialpsychiatrie-Ver- einbarung vor zwei Jahren ausge- handelt haben, haben sich zu einer Evaluation verpflichtet. Die Vorbe- reitungen dazu laufen. Das Praxis- team am Wittenbergplatz muss vom Nutzen der SPV nicht mehr über- zeugt werden: „Wir schwören auf das Modell“, sagen die drei Ärzte

übereinstimmend. ■

Petra Bühring Oben: Ein kleines

Praxiszentrum verbirgt sich hinter dem unauffälligen Eingang.

Unten: Entwick- lungs- und Krea- tivtherapie hilft Kindern, sich aus- zudrücken.

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Um gerade den gewerblichen Unternehmen der Region die Möglichkeit zu bieten, gezielt Schulabgänger anzusprechen, wird das Büro für Wirtschaftsförderung gemeinsam mit der Messe

Für die Kirchengemeinde in Ober-Ramstadt (ca. 4.400 Gemeindeglieder, zwei Pfarrstellen) suchen wir eine Pfarrerin oder einen Pfarrer für die Pfarrstelle I Süd.. Die (Stadt

Um die wirt- schaftliche Existenz kleiner Kinder- kliniken und Abteilungen zu sichern, schlägt Nentwich vor, Kinder und Ju- gendliche ausschließlich in Kinder- krankenhäusern

R und eine Million (fünf Prozent) der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind epidemiologi- schen Studien zufolge psychisch oder psychosomatisch krank und

Ein Geschenk- buch für Kinder und ihre Eltern, Friedrich Bahn Verlag, Verlags- gesellschaft des Erziehungsver- eins, Neukirchen-Vluyn, 1999, 80 Seiten mit Illustrationen von Werner

~ Insgesamt wurde deutlich, daß die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen über Aufenthalte in Kliniken für Kinder- und Jugend- psychiatrie nicht den Vorurteilen

Airdrie Xtreme 2008-09 League and Provincial Championship.

In der Autismus-Diagnostik mit dem Autism Diagnostic Observation Schedule (ADOS) so- wie dem Elterninterview ADI-R (Diagnostisches Interview für Autismus-Revidiert) zeigten sich