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Archiv "Psychoreaktive Störungen und soziale Aspekte beim juvenilen Diabetes: Eine medizinsoziologische Problemübersicht" (01.11.1979)

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Anschrift des Verfassers:

Regierungsdirektor

Dr. rer. pol. Henning Hillmann Bundeswirtschaftsministerium Villemombler Straße 76 5300 Bonn-Duisdorf

ZITAT

Nach dreißig Jahren

„Die Gemeinsamkeiten zwi- schen Arbeiterklasse und medizinischer Intelligenz sind das Bestimmende in ih- ren Beziehungen. Indem sie immer weiter vertieft wer- den, können die im Sozia- lismus noch bestehenden wesentlichen Unterschiede zielstrebig überwunden wer- den. Die dreißigjährige Ge- schichte der DDR legt ein beredtes Zeugnis über die Herausbildung einer soziali- stischen medizinischen In- telligenz ab, die bei der wei- teren Gestaltung der entwik- kelten sozialistischen Ge- sellschaft ihren sozialisti- schen Charakter weiter aus- prägt und ihren Beitrag im sozialen Annäherungspro- zeß leistet."

Professor Dr. sc. phil. G. Ku- bik, Institut für Marxismus- Leninismus der Medizini- schen Akademie Erfurt, in der Zeitschrift „Das deut- sche Gesundheitswesen"

(Ostberlin)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

THEMEN DER ZEIT

„Lage der Freien Berufe"

quenz aus der Lageanalyse „Grund- sätze einer Politik für Freie Berufe"

dargelegt. Mit dieser Vorbemerkung und den Grundsätzen will die Bun- desregierung die besondere Bedeu- tung der Freien Berufe hervorheben und im allgemeinen öffentlichen Be- wußtsein stärker verankern, wie wichtig und notwendig der Beitrag dieser Gruppe für das Funktionieren der demokratischen Ordnung in un- serem Staate ist. Denn in der moder- nen Gesellschaft ist der Bürger auf die Mittlerdienste der Freien Berufe angewiesen.

Psychoreaktive Störungen und soziale Aspekte

beim juvenilen Diabetes

Eine medizinsoziologische Problemübersicht

Wolfgang Dickhaut

Für ein Kind bzw. einen Jugendli- chen bedeutet die Diagnose „Diabe- tes mellitus" einen unvermittelten, plötzlichen Einschnitt in seine Le- bensgestaltung. Der Patient und sei- ne Familie ist in seiner bzw. ihrer Integrität durch die plötzlich eintre- tende Erfordernis einer ständigen Abstimmung von Kohlehydratzu- fuhr, Insulindosis und muskuläre Ökonomie und deren Auswirkungen auf die Gestaltung der sozialen Be- ziehungen gefährdet.

Die gesamte physische, psychische und geistige Entwicklung eines sol- chen Kindes hängt weitgehend von einer sachlichen, vorausschauen- den Einstellung seiner Mitwelt ab.

Entsprechende Forschungsergeb- nisse weisen darauf hin, daß eine sich selbst überlassene Entwicklung des sozialen Umfeldes diabetischer Kinder und Jugendlicher dahin ten- diert, die Schäden auf psychologi- schen, sozialen und sozio-ökonomi- schen Gebieten zu vergrößern, wo- mit dann wieder die Krankheitsent- wicklung selbst destabilisiert wird.

Epidemiologische Bedeutung des juvenilen Diabetes mellitus Verläßliche Zahlen über die Verbrei- tung des Jugend- und Kinderdiabe- tes in der Bundesrepublik stehen nicht zur Verfügung; Schätzungen schwanken zwischen 4000 (11) und 8000 (24) unter 15jährigen Diabeti- kern, die sich im manifesten Krank- heitsstadium befinden. Man kann dann noch mit derselben Anzahl von 15- bis 20jährigen Diabetikern rech-

nen (24), so daß mit einer Morbidi- tätsrate von etwa 50/100 000 zu rechnen ist.

Nach den vorliegenden statistischen Daten steigt die Rate der Neuerkran- kungen ständig. Sie hat sich z. B. in Michigan/USA in den Jahren 1959 bis 1972 schätzungsweise verdop- pelt; in Erie County/New York/USA lag die Erkrankungsrate der unter 16jährigen in den Jahren 1947 bis 1949 bei 7/100 000, in den Jahren 1959 bis 1961 bei 11,5/100 000. In Norwegen wurde ein ansteigender Trend seit 50 bis 70 Jahren festge- stellt (19).

Die Erkrankungsraten sind alters- spezifisch. In Michigan/USA liegt die Erkrankungsrate der 4 bis 17jäh- rigen bei etwa 20/100 000, und wenn die Neuerkrankungen konstant blei- ben, ist die Verbreitung des juveni- len Diabetes mellitus bis auf 325/

100 000 (19) zu erwarten.

Die Morbidität des juvenilen Diabe- tes mellitus zeigt außerdem nationa- le Besonderheiten, die auf kulturelle Einflüsse hinweisen könnten. So be- trägt in Hiroshima/Japan der Anteil der juvenilen Diabetiker an der ge- samten Diabetesmorbidität lediglich 1 Prozent, in den USA 5 bis 10 Pro- zent (5). Die Erkrankungsraten bei adultem Diabetes dagegen entspre- chen sich in Japan und den USA.

Als ein Zeichen des medizinischen Fortschritts ist es zu werten, daß die Mortalität zumindest bei den unter 15jährigen Diabetikern in den letz- ten 25 Jahren leicht zurückgegan- gen ist. (Angaben aus einer Kinder-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Juveniler Diabetes

klinik in Liverpool/England) (27). Al- lerdings sterben noch 50 Prozent der an juvenilem Diabetes mellitus erkrankten Patienten an einem Nie- renversagen, rund 20 Prozent er- blinden.

Ätiologie

und Pathogenese noch ungeklärt

Die Ätiologie des juvenilen Diabetes mellitus ist noch völlig ungeklärt. Als Faktoren werden diskutiert: heredi- täre Stoffwechselbesonderheiten, Infektionen, immunologische Fakto- ren und psychosozialer Streß. Im Gegensatz etwa zur Hämophilie stellt sich der Erbgang des Diabetes als äußerst kompliziert und un- durchsichtig dar. Die Hypothese der Heredität konnte bis heute auch noch nicht eindeutig bestätigt wer- den; ihre Bedeutung wird neuer- dings wieder abgeschwächt. Grün- de: Die niedrigen Konkordanzzahlen bei eineiigen Zwillingen (50 Prozent) und eine unerwartet geringe Diabe- tesmorbidität bei Kindern zweier diabetischer Eltern (2).

Für die Hypothese des erblichen Diabetes wurde u. a. auch die Tatsa- che relativ enger Blutsverwandt- schaft zwischen Eltern früherkrank- ter Diabetiker herangezogen (15).

Dagegen spricht jedoch, daß in Ja- pan neuerlich hohe Heiratsziffern zwischen engen Blutsverwandten zu beobachten sind, die Morbiditätsra- te des juvenilen Diabetes mellitus je- doch, wie oben schon erwähnt, äu- ßerst gering ist (5).

Für die Bedeutung immunologi- scher Faktoren (häufiges Vorkom- men der Antigene B 8 und BW 15), die sich womöglich in bestimmter Weise vererben, spricht, daß man ei- ne jahreszeitliche Häufung der Neu- manifestation im November bis Fe- bruar mit einem weiteren kleinen Gipfel im Juli und August feststellen kann. Dieses Faktum kann man hy- pothetisch dahingehend ausdeuten, daß der Manifestation des juvenilen Diabetes mellitus Virusinfektionen vorausgehen, die das Pankreas be- fallen können (2).

Psychischer bzw. soziopsychischer Streß geht der Manifestation des Diabetes mellitus häufig voraus (25).

Als soziopsychische stressorische Situationen, denen eine ätiologische Funktion bei der Manifestation des Diabetes mellitus zugesprochen wird, werden in der Literatur Ände- rung des sozialen Milieus (14) und Verlust emotionaler Wärme, Unsi- cherheit, Enttäuschung und Depres- sion (7) angeführt. Ihr ätiologisches Gewicht erhalten diese stressori- schen Faktoren womöglich erst durch ihre spezifische Verarbeitung durch die sogenannte „Diabetiker- Persönlichkeit", als deren besonde- re Merkmale eine infantile abhängi- ge und fordernde Einstellung (1) bzw. Ambivalenz, Abhängigkeit, In- differenz und sexuelle Unreife (13) angeführt werden. Auch ein psycho- gener Diabetes wurde schon ange- nommen (18).

Untermauert werden können die Hy- pothesen über eine Beteiligung emotionaler Faktoren bei der Mani- festation des Diabetes mellitus durch psycho-physiologische Zu- sammenhänge zwischen Zucker- haushalt und endokrinen Vorgän- gen bei Streß. Adrenalin hemmt die Insulinsekretion; und Cortisol ant- agoniert die Insulinwirkung über seinen Einfluß auf die Glukoneoge- nese. Furcht und Angst lösen eine Notfallfunktion des Organismus aus und erhöhen damit den Blutzucker.

Die kausale Bedeutung von emotio- nalem Streß für die Manifestation des Diabetes mellitus könnte sein, daß Streß zum Zusammenbruch der

Kohlehydrat-Stoffwechsel reg u I a- tionsmechanismen oder zur Aktivie- rung eines ungeeigneten Stoffwech- seladaptationsmechanismus führt ( 7).

Psychoreaktive Folgen

In der deutschsprachigen Literatur ist das Forschungsinteresse bezüg- lich psycho-reaktiver Störungen dia- betischer Kinder erst in jüngster Zeit erwacht (16); davon ausgenommen sind Besonderheiten in Leistungsfä- higkeit und Begabungsniveau. Über diese Begleiterscheinungen der

Stoffwechselschwankungen besteht seit 40 Jahren ein kontinuierliches Interesse. Die intellektuellen Fähig- keiten und die Leistungsmotivation zeigen keine verallgemeinerbaren Abweichungen vom Durchschnitt gesunder Kinder auf, womit natür- lich Einzelfälle nicht ausgeschlos- sen sind (16).

Die Erfordernisse einer permanen- ten medizinischen Diät lassen nur dann keine besorgniserregenden negativen Folgen erwarten, wenn diese gut berechnet und ausgegli- chen ist (26). Die hauptsächlichen Probleme für den jugendlichen Dia- betiker entstehen im vorpubertären und pubertären Alter, also in einer Phase, in der sich das Individuum zu seiner vollen individuellen Reife ent- wickelt. In dieser Entwicklungspha- se können sich für den jugendlichen Diabetiker insbesondere erzieheri- sche Fehlhaltungen der Eltern (Überprotektionismus) negativ aus- wirken.

Die signifikantesten psychoreakti- ven Probleme zeigen einen ge- schlechtsspezifischen Unterschied und entsprechen verschiedenen Frustrationsniveaus. Bei der Ent- wicklung dieser Störungen sind ge- sellschaftliche Faktoren, z. B. eine Erziehung zur geschlechtsspezifi- schen Rollenverteilung, von Bedeu- tung. Daher ist die Geschlechtsspe- zifik der sekundär psychischen Pro- bleme z. B. in Italien mit seinem tra- ditionalen Familienleben und der ausgeprägteren Rollenverteilung in- nerhalb der Familie deutlicher ent- wickelt als in anderen Ländern (3).

Körperliches Selbstbild bei Jungen geschädigt

Nach einer italienischen Studie (3) ist bei Jungen das körperliche Selbstbild stärker geschädigt als bei Mädchen. Beim Mädchen hängt sei- ne Entwicklung von ästhetischen Aspekten (Aussehen) ab und wird daher durch den Diabetes nicht tan- giert. Bei Jungen dagegen ist es von Kriterien der körperlichen Entwick- lung und Leistungsfähigkeit abhän- gig; hier erzeugt der Diabetes oft Gefühle von Ungleichheit und Min-

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen Juveniler Diabetes

derwertigkeit. Mädchen dagegen empfinden die Frustration durch die Einschränkung der Diät stärker als Jungen.

Größere sexuelle Repression bei Mädchen

Die tiefenpsychologische Erklärung dieses Faktums geht dahin, daß bei Mädchen die sexuelle Repression größer ist; daher erfolgt eine Subli- mierung der Sexualität auf die am wenigsten unterdrückten Sinne: Ge- schmack und Geruch. Der so gestei- gerte Geruchssinn wird durch Par- füms befriedigt, der Geschmacks- sinn durch Süßigkeiten und gewürz- tes Essen, wobei jedoch die diäti- schen Erfordernisse Schranken set- zen. Die dadurch aufgestauten Fru- strationen können in Selbstaggres- sionen umschlagen oder Aggressio- nen gegen die Mutter erzeugen und derartige typische Konfliktsituatio- nen von Jugendlichen während ihrer Adoleszenzphase in der Familie ver- stärken. Dabei kann, in extremen Fällen, die Selbstaggression bis zur Verweigerung der diätischen Regeln und der Insulintherapie mit Suizid- gefahr führen (28).

Der Jugend-Diabetes determiniert keine spezifischen psycho-patholo- gischen Reaktionen (16), (21); wie andere chronische Krankheiten in der Kindheit modifiziert er aber den ldentifikationsprozeß und erzeugt dadurch verschiedene psychische Probleme. Häufig festzustellende Verhaltensinstabilitäten sind: Angst- tendenzen, vermindertes Selbst- wertgefühl, gesteigerter Egozentris- mus, eine Reduktion des „ICH", Ver- minderung psychischer Energien, verminderte Wettbewerbsfähigkeit, soziale Isolation (21).

Soziale Aspekte

Wie schon festgestellt, kann nach dem derzeitigen Erkenntnisstand keine spezifische, psychische Reak- tionsweise des Patienten auf seine Diabetes-Erkrankung angenommen werden. Falls die Reaktionsweise je- doch als pathologisch zu betrachten ist und es mit ihr zu entsprechenden

Entwicklungsstörungen kommt, so muß bei der Betrachtung dieser Stö- rungen und insbesondere ihrer Ge- nese sowie ihrer Rückwirkungen auf das somatische Krankheitsgesche- hen das soziale Umfeld des Patien- ten mit einbezogen werden.

Störungen in der Familie

Unter psychodynamischen Aspekten wird deutlich, daß der „Patient" ei- ner eventuellen psychologischen In- tervention nicht der einzelne Diabe- tiker, sondern seine Familie sein muß (20). Die Entwicklung innerfa- miliärer Störungen als Folge der chronischen Erkrankung eines Kin- des vollzieht sich häufig nach fol- gendem Schema: ein Elternteil, meist die Mutter, macht sich die Ver- antwortlichkeit für die Pflege des chronisch-kranken Kindes in stärke- rem Maße zu eigen, während der an- dere Elternteil, meist der Vater, sich weniger um die entstehenden Pro- bleme kümmert. Dadurch erhält die Mutter für das Kind eine vermehrte instrumentelle Funktion, sie wird Objekt exklusiver Zuwendung. Der Vater reagiert auf diese einseitige Beziehung unbewußt feindselig, woraus sich wiederum eheliche Pro- bleme ergeben. Diese haben not- wendig Folgewirkungen auf das Kind.

Krisenhafte Entwicklungen vermeidbar

Aus dieser Situation kann sich ein Circulus vitiosus entwickeln, wenn die Krankheitsprobleme als Schutz- schirm vor dem Angehen der wirkli- chen Probleme benützt werden. Der Arzt kann Wesentliches dazu beitra- gen, daß eine solche Entwicklung von vornherein verhindert wird, in- dem er durch Information die Selb- ständigkeit und das Selbstvertrauen sowie das Selbstverantwortungsge- fühl des Patienten stärkt und seine Information grundsätzlich an beide Elternteile weitergibt. Damit wird die Koalition zwischen Mutter und Kind abgebaut und der Patient kann mit mehr Zutrauen durch die Erwachse- nen rechnen.

Eine ähnliche Funktion können Dia- betikerschulungen z. B. im Rahmen von Ferienaufenthalten erfüllen. Ei- ne optimale Bewältigung der psy- chologischen Situation, und davon abhängig der Stoffwechselsituation, ist also nur dann gewährleistet, wenn das Problem des juvenilen Diabetes in seiner medizinischen, psychologischen und sozialen Ge- samtheit angegangen wird. Dabei sollte die psychologische Betreuung schon im Augenblick der Diagnose- stellung einsetzen, da sonst krisen- hafte Entwicklungen nicht vermeid- bar sind.

Solche Krisen entstehen z. B. durch die notwendige Anpassung des fa- miliären Lebens an den Rhythmus des kranken Kindes, wobei insbe- sondere Probleme bei Arbeitstätig- keit beider Eltern entstehen. Es muß frühzeitig dem unbewußten Wunsch der Eltern nach Frustrationsent- schädigung für das diabetische Kind vorgebeugt werden, da daraus an- haltende erzieherische Fehlhaltun- gen wie Überprotektionismus und Überpermissiveness entstehen kön- nen. Falsche elterliche Erstreaktio- nen auf die Diagnosestellung und die folgende Veränderung ihres Ver- haltens gegenüber dem Kind kön- nen für dieses ein traumatisches Er- lebnis werden, das zu Verhaltens- störungen und Depressionen führen kann (8).

Erfahrungsaustausch:

„famiglia guida"

Selbstverständlich ist der einzelne Arzt, selbst wenn er ein erfahrener Diabetologe ist, bei weitem überfor- dert, wenn er neben der detaillierten Information der Eltern, Lehrer usw.

auch noch auf Faktoren der Lernfä- higkeit des Kindes (Reifegrad, so- zioökonomische Lage, Art der be- suchten Schulen usw.) eingehen soll, die im einzelnen schwer einzu- schätzen sind und einen tiefgehen- den Kontakt erfordern. Um dieses Problem zu meistern, sind verschie- dene Modelle denkbar. In Mailand z. B. hat sich das Modell der „fami- glia guida" bewährt. Es handelt sich dabei um eine Familie. die bereits

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über einschlägige Erfahrungen in der Meisterung der Probleme des ju- venilen Diabetikers verfügt und auf der Ebene der Laienberatung tätig wird. Dieser Erfahrungsaustausch kann das ganze Spektrum psycholo- gischer und sozialer Probleme des Alltags erfassen.

Körperliche Aktivitäten in Freizeit und Schule

Eine weitgehende Autonomie des diabetischen Kindes und Jugendli- chen sowie seiner Eitern bezüglich der Beherrschung der Stoffwechsel- situation ist eine wichtige Voraus- setzung für die Teilnahme des Pa- tienten an Schulsport, Vereinssport und Leistungssport.

Nachgewiesenermaßen hat Sport für den jugendlichen Diabetespatienten in physiologischer und psychologi- scher Hinsicht günstige Effekte (27).

Problematisch dabei ist der Aus- gleich des Glukoseabbaus durch Muskelarbeit, also die Vermeidung von Hypoglykämien durch Reduk- tion von Insulindosis und/oder zu- sätzliche Einnahme von Kohlehydra- ten. Man empfiehlt dabei die Anlage eines Protokolls zur Ermittlung der optimalen Maßnahmen.

Weiterhin muß eine Sportart be- stimmte Kriterien erfüllen, damit sie für den Diabetespatienten geeignet ist. Diese sind (28):

..,... Überschaubarkeit der Muskelar- beit

..,... bevorzugt Dauerleistung statt Höchstleistung

..,... Disziplinen, bei denen eine Hy- poglykämie nicht zu einer erhebli- chen Selbst- oder Umweltgefähr- dung führen könnte

..,... Unabhängigkeit der Sportart von Jahreszeiten bzw. entsprechende Kombinationen (Ski/Rudern) ..,... bevorzugt Sportarten, die auch allein und ohne großen materiellen Aufwand durchgeführt werden können.

Berufswahl und Berufstätigkeit Ein wichtiger Punkt für den jugend- lichen Diabetiker stellt die Berufs- wahl dar. Die "bedingte Gesund- heit" des Diabetikers stellt an seinen Beruf bestimmte Anforderungen. Der Sozialmedizinische Ausschuß der Deutschen Diabetesgesellschaft hat zu diesem Problemkreis Richtli- nien ausgearbeitet (10). Dabei wer- den vier Gruppen unterschieden: ..,... Berufe, die von Diabetikern aus Gründen der allgemeinen Sicherheit nicht ergriffen werden dürfen (Lokomotivführer, Flugzeugführer, Omnibusfahrer usw.)

..,... Berufe, von denen man dem Dia- betiker um seiner eigenen Sicher- heit willen abraten wird

(Dachdecker, Schornsteinfeger, Maurer usw.)

..,... Berufe, die für Diabetiker nicht erwünscht sind, da die Verlockun- gen zur "Diätsünde" zu groß sind (Koch, Gastwirt, Konditor)

..,... Berufe, die wegen der damit ver- bundenen unregelmäßigen Lebens- weise für den Diabetiker ungün- stig sind (Vertreter, Schauspieler, Schichtarbeiter)

Für den Eintritt in die Angestellten- und Beamtenlaufbahn gilt als Vor- aussetzung, daß der Diabetiker durch ein ärztliches Zeugnis nach- weisen kann, daß er gut einstellbar ist, daß er regelmäßig seinen Stoff- wechsel kontrollieren läßt, daß er sich an die ärztlichen Anweisungen hält und daß er frei ist von wesentli- chen diabetischen Spätkomplika- tionen.

Die berufliche Leistungsfähigkeit der Diabetiker scheint relativ wenig beeinträchtigt zu sein. Bei einer Um- frage (USA) bei über 100 Firmen ver- schiedener Größe hielten 94 Prozent der befragten Arbeitgeber die Lei- stungen ihrer diabetischen Ange- stellten für überdurchschnittlich . Nach einer anderen Umfrage (eben- falls USA) fehlten 85 Prozent der dia- betischen Angestellten keinen einzi-

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Juveniler Diabetes

gen Tag des vergangenen Jahres an ihrem Arbeitsplatz.

Von Relevanz für die berufliche Si- tuation des Diabetikers, was den Ar- beitsschutz und Arbeitsvermittlung anbelangt, ist, daß rechtlich die Dia- betiker den Schwerbeschädigten (i. S. § 1 bzw. § 2, Abs. 1 b SBG) gleichgestellt sind (12).

Ökonomische Probleme

Ein weiterer Komplex sozialer Pro- bleme stellt die ökonomische Bela- stung dar, der die Familie eines Dia- betikers ausgesetzt ist. Die Kosten der Diabetesdiät sind erheblich. Ge- genüber dem Ernährungsbudget von Stoffwechselgesunden betra- gen die Ernährungskosten eines Diabetikers in Frankreich (1961) et- wa 120 Prozent, in der Schweiz etwa 200 Prozent und in der Bundesrepu- blik Deutschland ebenfalls soviel (22).

Diese Angaben fußen zum Teil auf überschlägigen Rechnungen; für ei- ne genaue Ermittlung der Kosten der Diätführung wäre eine Ermitt- lung bei etwa 200 Haushalten not- wendig. Gegenwärtig werden die Mehrkosten durch Diät mit 75 DM monatlich steuerlich nur ungenü- gend berücksichtigt. Bestätigt de~

Amtsarzt eine 70prozentige Behin- derung des diabetischen Kindes, so können die Eltern 1200 DM jährlich unabhängig von der Höhe des Einkommens steuerlich absetzen. Nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 1. Januar 1972 fällt der kindliche und jugendliche Diabeti- ker bezüglich einer Eingliederungs- hilfe lediglich unter eine "Kann-Be- stimmung" (§ 39, Abs. 2).

Wie dieser Überblick über den ge- genwärtigen Stand der Forschung zeigt, besteht in der Bundesrepublik Deutschland in einigen Aspekten der Lebenssituation von juvenilen Diabetes-mellitus-Patienten noch ein Defizit an empirisch fundiertem Wissen. Bei einigen wichtigen Fra- gen (z. B. Epidemiologie, Altersspe- zifik der Erkrankung, psychosoziale Folgen, sozio-ökonomische Situa-

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Juveniler Diabetes

tion) kann wenig auf deutsche Origi- nalliteratur zurückgegriffen werden.

Die Schließung dieser Wissenslük- ken wäre wünschenswert, damit der behandelnde Arzt über die entspre- chenden Informationen verfügen kann, die ihm eine optimale Gestal- tung der (sozialen) Arzt-Patienten- Beziehung erlauben.

Literatur beim Sonderdruck Anschrift des Verfassers:

Wolfgang Dickhaut Prinzregentenufer 5 8500 Nürnberg

ECHO

Zu: „Raucher-Report '79" von Hans Mohl in Heft 37/1979, Seite 2348 ff.

Raucher geben nicht auf

Die Nichtraucher in der Bun- desrepublik sind in der Über- zahl. Und 78 Prozent von ih- nen fühlen sich durch die qualmende Minderheit belä- stigt, obwohl ein Fünftel von ihnen früher selbst geraucht hat. Dies hat eine Meinungs- umfrage des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES ergeben.

Danach greift jeder dritte Er- wachsene — fast jeder zweite Mann und jede vierte Frau — zum Tabak. 84,3 Prozent von ihnen wissen, daß Rauchen gesundheitsschädlich ist.

Aber nur knapp ein Fünftel von ihnen will deshalb versu- chen, das Rauchen aufzuge- ben. Und nur 4,4 Prozent sind wild entschlossen, sich auf die Seite der etwa 30 Mil- lionen Nichtraucher zu schlagen. Auf keinen Fall wollen 51,6 Prozent der Rau- cher dem Nikotin entsagen.

Unter ihnen sind 12,3 Pro- zent, denen der blaue Dunst zur Leidenschaft geworden ist; für 6,8 Prozent ist es Ge- wohnheit, die meisten rau- chen, weil es andere auch tun." (Welt am Sonntag) Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

AUS DEN BUNDESLÄNDERN

BERLIN

407 Millionen DM für Krankenhausbau

Der Senator für Gesundheit und Umweltschutz hat dem Senat das Jahreskrankenhausbauprogramm für 1980 vorgelegt. Für insgesamt 143 Bauvorhaben in Krankenhäu- sern des Landes Berlin und in Gemeinnützigen Krankenhäusern sind für Neu-, Um- und Erweite- rungsbauten 256,2 Millionen DM vorgesehen. Hinzu kommen 47,5 Millionen DM für Investitionen in den Universitätskliniken. Für die Wiederbeschaffung von lang-, mit- tel- und kurzfristigen Anlagegü- tern wird ein Betrag von 103,4 Mil- lionen DM ausgewiesen.

In der langfristigen Planung ist vorgesehen, daß die Mittel für Neu-, Um- und Erweiterungsbau- ten in jedem der folgenden Jah- re erhöht werden; 1984 werden sie fast 400 Millionen DM errei- chen. LPD

SCHLESWIG-HOLSTEIN

Kostentreiber Staat

Bei der unvermindert intensiven Diskussion über die Kostensteige- rung im Gesundheitswesen werde häufig übersehen, daß es auch der Staat sei, der für Mehrbelastungen sorge und damit selbst die Prei- se in die Höhe treibe. Darauf hat die Gesundheitspolitische Gesell- schaft in Kiel hingewiesen. Dies gelte es um so mehr zu betonen, als in der politischen Diskussion häufig nur die Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Krankenhäuser und Krankenkassen stehen.

Jüngstes Beispiel sei die Mehr- wertsteuererhöhung von 12 auf 13 Prozent und die Heraufsetzung des ermäßigten Mehrwertsteuer- satzes von 6 auf 6,5 Prozent. Diese Erhöhung bedeute auch eine Ko- stenbelastung des Gesundheits- wesens. Aber sie sei nicht im Ge- sundheitswesen entstanden und

damit auch nicht von ihm zu ver- treten. Es gibt inzwischen ernstzu- nehmende Berechnungen, heißt es, wonach die zusätzliche Bela- stung aller Krankenkassen durch diese Maßnahme auf jährlich 234 Millionen DM geschätzt wird. Ver- gleicht man die Größenordnung von 234 Millionen DM mit den Ge- samtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von 71,2 Milliarden DM im vergangenen Jahr, so bedeutet die Mehrwert- steuererhöhung eine zusätzliche Kostenbelastung um nahezu 0,4 Prozent. yn

HAMBURG

Fortbildungsprogramm veröffentlicht

In einer handlichen Broschüre hat die Ärztekammer Hamburg wieder ein Veranstaltungsprogramm für die ärztliche Fortbildung in Ham- burg für die Zeit vom Oktober 1979 bis zum Juni 1980 vorgelegt. Das Heft enthält zunächst ein Kalen- darium mit den Fortbildungsver- anstaltungen der Kammer und dann ein fortlaufendes Verzeich- nis der zwölf Wissenschaftlichen Abende des Ärztlichen Vereins Hamburg, sechs Sitzungen seiner

Biologisch-naturwissenschaftli- chen Sektion, drei Arbeitsmedizi- nischen Kolloquien, vier Betriebs- besichtigungen, vier Filmabende, elf Vortragsveranstaltungen der Ärztekammer in Zusammenarbeit mit Unternehmen der pharmazeu- tischen Industrie, Kurse der Fach- gesellschaften und Krankenhäu- ser sowie neuerdings auch der Fortbildungsveranstaltungen von ärztlichen Berufsverbänden.

Auch die Fortbildungsnachmitta- ge für arbeitsmedizinisches Fach- personal und für Arzthelferinnen sind in dem Heft verzeichnet. Es enthält außerdem die Fortbil- dungskarte, auf der sich die Ham- burger Ärzte während dieser Mo- nate die Teilnahme an Fortbil- dungsveranstaltungen (maximal 48) testieren lassen können. gb

2912 Heft 44 vom 1. November 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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