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Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld?

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Georg Hübner: „Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld?“

URN: urn:nbn:de:bsz:16-artdok-20170

URL: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2012/2017/.

Ebenfalls in der Gesamtpublikation: Henry Keazor, Hans W. Giessen, Thorsten Wübbena (Herausgeber), Zur ästhetischen Umsetzung von Musikvideos im Kontext von Handhelds

URN: urn:nbn:de:bsz:16-artdok-18676

URL: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2012/1867/

Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld?

Georg Hübner

Einleitung

Dieser Beitrag ist kein Statement oder ein Ergebnis von Umfragen oder Recherchen. Auch bietet er keine Lösungen oder bezieht Stellung für den einen oder anderen bereits andiskutier- ten Lösungsansatz in dieser aktuellen Frage. Er würde sich aber in aller Bescheidenheit freu- en, durch die geschichtliche Aufarbeitung der Thematik einen Überblick geben und dadurch das Verständnis der Materie vertiefen können. Er versteht sich solcherart als eine Grundlage für eine weiterführende Diskussion. Die Themen:

1. Schaffende – Musiker, Video-Artists, aber auch andere Content-Erzeuger – verlieren im angehenden Zeitalter der permanenten und scheinbar kostenlosen Verfügbarkeit von Mu- sik(videos) ihren Anteil der Wertschöpfungskette.

2. Eine Erörterung der Implikationen und mögliche Auswirkungen auf die aufgenommene Musik und das Medium Musikvideo.

1. Geschichte der aufgenommenen Musik

Die Geschichte der aufgenommen Musik (aM) lässt sich grob in vier Abschnitte teilen (Abb.

1):

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• Die Ära der Musikverlage

• Die Ära des Radios

• Die Ära der Tonträger-Hersteller aka. „Labels“

• Die Ära des Internets (genauer: des sog. „Web 2.0“)

Die Abschnitte sind geprägt durch drei Paradigmenwechsel in der Musik-Ökonomie, die sich an stilistischen und technologischen Innovationen und rezeptionellen Rahmenbedingungen festmachen lassen1:

• Die „Jazz-Revolution“

• Die „Rock’n’Roll-Revolution“

• Die Digitale Mediamorphose2

Der Musikökonom Peter Tschmuck führt hierzu aus, dass es drei Paradigmata und drei ent- sprechende Strukturbrüche gegeben habe:

„Paradigma3 1: Die Ära der Musikverlage, die durch deren Produktionslogik bestimmt war und sich auf den Zeitraum vom späten 19. Jahrhundert bis in die frühen 1920er Jahre eingrenzen lässt.

Strukturbruch 1: Die Jazz-Revolution in den frühen 1920er Jahren.

Paradigma 2: Die Rundfunk-Ära, die von den Handlungsroutinen der großen Rundfunknetzwerke bzw. des staatlich kontrollierten Rundfunks in Europa geprägt war und von den 1920er Jahren bis Mitte der 1950er Jahre dauerte.

Strukturbruch 2: Die Rock’n’Roll-Revolution Mitte der 1950er Jahre.

Paradigma 3: Die Ära der Tonträgerkonzerne, in der die Prozesse der Tonträgerproduktion und -distribution perfektioniert wurden und die mit dem Aufstieg des Rock’n’Roll begann und bis heu- te andauert.

Strukturbruch 3: Die digitale Revolution Ende der 1990er Jahre.“4

Die digitale Revolution meint hier die Revolution in der Kommunikation und so der Distribu- tion und der Rezeption von Musik, nicht die bereits zwanzig Jahre zuvor begonnene Revolu-

1 Vgl. Hübner, Georg: Musikindustrie und Web 2.0. Die Veränderung der Rezeption und Distribution von Musik durch das Aufkommen des „Web 2.0“. Frankfurt am Main 2009

2 Zum Begriff „Mediamorphosen“ vgl. Smudits, Alfred: Mediamorphosen des Kulturschaffens. Kunst und Kommunikationstechnologien im Wandel. Wien 2002

3 Paradigma im Sinne von Thomas Samuel Kuhn als vorherrschendes Denkmuster in einer bestimmten Zeit (vgl.

auch Tschmuck, Peter: Kreativität und Innovation in der Musikindustrie. Innsbruck 2003)

4 Tschmuck, 2003, S. 279

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tion in der Erzeugung von Musik und Tonträgern (Computer als Instrumente und Aufnahme- Werkzeug, CD als Tonträger). Diese fällt eindeutig noch in die Ära der Tonträgerhersteller und damit in das „alte“ Verwertungs-Schema.5

Abb. 1: nach Hübner, 2009

Bemerkenswert ist hier, dass die Strukturbrüche immer durch neue, branchenfremde Techno- logien hervorgerufen werden6: Die Industrielle Revolution beginnt in der Musik mit der Er- findung des Phonographen; dieser war ursprünglich als Bürowerkzeug, eine Art Diktaphon, gedacht. Der erste Paradigmenwechsel wird durch das elektrische Aufnahmeverfahren (Mik- rofon) aufnahmeseitig und das Radio distributions- und rezeptionsseitig möglich. Mikrofon und Radio wurden im ersten Weltkrieg im militärischen Bereich entwickelt und eingesetzt.

Die Rock’n’Roll-Revolution wiederum resultiert aus der (Wieder-)Entdeckung des Magnet- bandes aufnahmeseitig und der Entdeckung des Vinyls auf der Seite der Distribution.

Die Digitale Mediamorphose fällt hier insofern leicht aus dem Rahmen, als sich hier die bei- den neuen Technologien und die damit einhergehende Veränderung der Branche nicht zeit- gleich, sondern um etwa zwanzig Jahre versetzt ereignen7: Aufnahmeseitig beginnt die Digita- lisierung der Musik mit der Massentauglichkeit des Computers Anfang der 80er. Endgültig angekommen im Massenmarkt ist die Erstellung von Content (Musik und Musikvideos) nun durch die flächendeckende Verbreitung von mobilen Telefonen mit Video-Aufnahme- bzw.

Bearbeitungsmöglichkeit und Internetanbindung. Distributions- wie rezeptionsseitig wird der Umbruch erst ausgelöst durch das Kompressionsformat mp3 und diverse Video- Kompressionsformate sowie das massentaugliche Breitband-Internet und das Web 2.0. Die Speerspitze der Entwicklung bilden heute mobiles Internet und die daraus resultierende ubi- quitäre Verfügbarkeit von Content.

5 Vgl. Hübner, 2009, 45ff

6 Vgl. Hübner 2009, 111ff

7 S. a. Hübner 2009, 121ff

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Damit beginnt sich abzuzeichnen, dass die Zeit der Tonträger-Hersteller als marktbeherr- schende Kraft sich dem Ende entgegen neigt und durch eine Ära des Streamings abgelöst werden könnte: Die Umsätze der Labels gehen zurück, ebenso stagnieren die Umsatzzahlen der (legalen) Download-Portale. Streaming-Angebote hingegen verzeichnen rapide Zuwächse – Streaming wird zum Massenphänomen; urheberrechtlich geschützter Content wird in der Cloud gespeichert und jederzeit von jedem Ort aus abrufbar (Zugang vorausgesetzt).8

Eine Umfrage der Nielsen Media Research im Auftrag der Midem (Marché international de l'édition musicale) ergab für den Zeitraum von Juni bis September 2010 (26.000 Befragte in 53 Märkten):

Abb 2: auf StrategyEye Research9 / The Nielsen Company gestützte Darstellung

2. Geschichte der bebilderten Musik

Der Geschichte der bebilderten Musik (bM), die ja nicht erst mit „dem Musikvideo“, wie wir es von MTV kennen, begann, möchte ich hier nur in einem kurzen Kapitel grob umreißen.

Zum Einen ist darüber schon recht viel publiziert worden; ich erachte es als sinnfrei, hier ei- nen weiteren Beitrag hinzuzufügen. Zum Anderen sind diese Ausführungen für Fachleute aus

8 Vgl. dazu Rifkin, Jeremy: The Age Of Access. New York 2000

9 Vizard, Sarah: Streaming Music More Popular Than Downloads. URL:

http://digitalmedia.strategyeye.com/article/AlA9tRyFuUY/2011/04/12/streaming_music_more_popular_than_

downloads (1.9.2011)

Watched music videos on computer Dow nloaded a song from the internet w ithout paying for it Streamed music on my computer Watched music videos on my mobile Streamed music on my mobile from an app Dow nloaded or used music apps on my mobile Paid to dow nload a music track to my computer Paid to dow nload a w hole digital album to my computer

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%

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dem Bereich Musikvideo gedacht, welche über dieses Thema vermutlich genauso gut, wenn nicht besser Bescheid wissen, als der bescheidene Autor dieser Zeilen, dessen Schwergebiet ja im Bereich der aufgenommenen Musik und deren Verwertung liegt. Zudem ist nichts geeigne- ter, das Interesse nachhaltig zum Erlahmen zu bringen, als jemandem etwas zu erzählen, was er schon weiß. Daher in aller gebotenen Kürze:

1890: Kinetophone (45 Stück weltweit produziert) – ein Gerät, bei dem Bilder gezeigt wurden und asynchron Musik über Kopfhörer ähnlich eines Stethoskops von einer Walze kam.

1902: Biophon/Chronophon – Stummfilme, mit Tonbegleitung von einem zuvor genau synchroni- sierten Grammophon. 1-2min lange „musical shorts“ für Theater.

1907: Phonoscènes – in der Hauptsache zwei Kategorien: Opern und Lieder; letztere teilen sich auf in darstellende (Künstler singt) und narrative (textbezogene) Phonoscènes.

1924: Vitaphone – „The Jazz Singer“ als einer der ersten noch heute bekannten Musikfilme, bei denen simultan Bild und Ton aufgenommen wurden.

40er: Soundies

50er: Musikfilme (Elvis, Rat Pack...), Live-Shows im TV (Ed Sullivan Show...) 60er: Scopitones, Musik-Filme (Beatles...)

70er: erste Musik-Videos im heutigen Sinne.

80er: MTV-Ära: Boom der MVs durch ein speziell auf das Format MV ausgerichtetes Senderum- feld. Erst ab hier bzw. knapp davor wird explizit von „Musikvideos“ gesprochen.

2000er: YouTube und die Do-It-Yourself-Ästhetik

2010er: die Post-PC-Ära: Mobile Internet und Mobile Creation durch Apps am Handy/Tablet.

Es ist nun eine Definitionsfrage, ob man den Begriff „Musikvideo“ sehr weit fassen und be- reits auf Kinetophone oder Chronophon anwenden möchte oder in einem engeren Sinne erst auf die Kunstform, die ab den späten 70ern bzw. dem weltweiten Siegeszug von MTV bis auf unwesentliche Änderungen nahezu unverändert bis heute existiert.

Die meisten Publikationen zu diesem Thema verwenden den Begriff „Musikvideo“ in einem enger gefassten Sinne als Videoclip, wie er durch MTV populär wurde: Bis zum Aufkommen von MTV war die Bebilderung von Musik kein Massenphänomen (eine Ausnahme bildete mit Abstrichen der Musikfilm).

Zum Massenphänomen wurde bM erst durch MTV. In der Produktionslogik der aM kam Mu- sikfernsehen eine ähnliche Rolle zu wie das Radio: Promotion für das eigentliche Produkt, den Tonträger. Die Monopolstellung von MTV ist jedoch durch die flächendeckende Verbrei- tung von mobilem Internet und die radikale Verbilligung der Produktionsmittel nun endgültig Geschichte: Es reichen ein Handy mit Video-Aufnahmefunktion und ein mobiler Netzzugang,

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um Teil der Community zu sein. Apps für Video- und Musikschnitt ermöglichen ein schnelles Editieren von „selbst gebastelten“ Musikvideos oder Videos mit Musikuntermalung.

Durch steigende Bandbreiten und mobiles Internet erfährt das „Musikvideo“ einen neuen Entwicklungsschub, durch den man sich wieder einer möglichen Änderung der Definition gegenüber sieht (siehe auch Punkt 7.2). Es ist keine sehr waghalsige Prognose, zu behaupten, dass dieser neue Zugang zum Medium Musikvideo einen Impact auf unsere Hör- und Seh- Gewohnheiten und -Erwartungen haben wird. Hier von „User Generated Content“ zu spre- chen, ist allerdings irreführend: Ein Teil der Endproduktes mag user-generated sein – die Mu- sik ist es in den seltensten Fällen. Ich schlage vor, den Terminus „User Compiled Content“ in die Diskussion einzuführen. Das wirft dementsprechend interessante Fragen betreffend des Urheberrechts auf.

3. Geschichte des Urheberrechts (UHR)

Neue Technologien bergen neue Chancen, aber auch Gefahren – neue Technologien verlangen daher auch immer wieder nach neuen Gesetzen. Beschäftigt man sich mit der Geschichte des UHRs, so wird klar, dass das moderne UHR durch eine Art permanenter Anlassgesetzgebung entstanden ist und immer eine Reaktion auf die Veränderung der Möglichkeiten der Werknut- zung durch neue Technologien war.

Im Mittelalter gab es Regeln nur für das Eigentum an Geisteswerken: So durfte ein Buch zwar nicht gestohlen, sehr wohl aber abgeschrieben oder bearbeitet werden – was auch die Regel war. Dasselbe galt für Musik. Wollte ein Urheber keine Veränderung des Textes, so sprach er einen „Bücherfluch“ aus10 – eine Art frühen Creative Commons.

Eine erste Zäsur gab es durch die Mediamorphose des Buchdruckes (um 1440) und wenig später des Notendruckes. Dem Autor stand kein Urheberrecht zu, wohl aber den Verlagen, die

10 Pfeifer, Karl-Nikolaus: Individualität im Zivilrecht: Der Schutz persönlicher, gegenständlicher und wettbe- werblicher Indiviualität im Persönlichkeitsrecht, Immaterialgüterrecht und Recht der Unternehmen. Jus Privatum 52, Tübingen: Mohr Siebeck (2001) S. 59. Der Bücherfluch selbst ist als Zitat im Übrigen durchaus lesenswert: „Allen, die unrecht verfahren und sündigen mit diesem Buch, denen sende ich diesen Fluch und denen, die Falsches hinzu erdichten: Der Aussatz soll sie dann vernichten [...]. Wer dem Teufel ohne Ende will zugehören, der sende ihm diese Urkunde und fahre zu der Hölle Grunde.“ Bücherfluch aus dem 13. Jahrhun- dert (Quelle: Eike von Repgow, Sachsenspiegel: in hochdeutscher Übersetzung von Paul Kaller, München 2002, S. 15)

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sich so vor Nachdrucken durch Dritte zumindest auf eine bestimmte Zeit schützen konnten („Druckerprivilegien“ etwa ab 1475).

Die Renaissance war geprägt durch das spannungsgeladene Verhältnis von (corporate) „ars“

und (individuellem) „ingenium“11: es entstand das Persönlichkeitsrecht des Künstlers; geisti- ges Eigentum am Werk gab es allerdings noch nicht: geschützt war weiterhin nur das Werk als Sache.

1710 wurde das „Statute of Anne“ eingeführt. Es erkennt erstmals das ausschließliche Verviel- fältigungsrecht der Autoren an, die es an die Verleger abtraten (Copyright). Diese Statute markiert den Übergang zum immateriellen Eigentum: Das schützenswerte Gut ist nicht das gedruckte, sondern das erdachte Werk.

1791-93: „droît d'auteur“ im postrevolutionären Frankreich. Die Persönlichkeitsrechte der Autoren werden geschützt.

Wichtig: In England und USA kann das Recht am Werk „abgetreten“, d.h. konkret: verkauft werden; in Kontinentaleuropa ist dieses aber im Sinne der Naturrechtslehre ein Teil des Per- sönlichkeitsrechtes und somit unveräußerlich. Es kann lediglich das Recht an der Verwertung eines Werkes abgetreten werden. Für den anglo-amerikanischen Rechtsraum stellt also das öffentliche Interesse (bzw. das Interesse der Verleger und Verwerter) an Produktion und Verbreitung von Wissen den Ausgangspunkt des Copyrights dar, für Frankreich und in Folge Deutschland und Resteuropa das Persönlichkeitsrecht des Schöpfers.12

1733: „Engravers’ Act“ bzw. „Hogarth Act“ – die früheste urheberrechtliche Bestimmung für Bilder. Auch ist hier erstmals eine Art Schutz des Motivs verankert, allerdings nur, sofern es auch gedruckt wird.

11 s.a. Kostylo, Joanna: From Gunpowder to Print: The Common Origins of Copyright and Patent, in: Deazley, Ronan; Kretschmer, Martin; Bently, Lionel (Hrsg): Privilege and Property, Essays on the History of Copyright.

Cambridge 2010, 49

12 Dieser fundamentale Unterschied besteht bis heute, was unter Anderem zur Folge hat, dass beispielsweise im Bereich der Musikindustrie Labels die uneingeschränkten Rechte an Musik von den Komponisten erwerben können, in Europa jedoch nur die Rechte an der Verwertung derselben.

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1886 wird durch die Berner Übereinkunft das erste internationale Urheberrechtsabkommen unterzeichnet. Das bisherige territoriale Recht wird so zu einem internationalen Recht.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts setzte die elektrische Mediamorphose ein und zwang so das Urheberrecht zu weitgreifenden Veränderungen. Neue Produktionsmethoden und Vertriebskanäle entstanden durch die Möglichkeit der Musik- sowie Bild-Aufnahme (sie- he auch Kapitel 1). Neue Verwertungsmethoden und der Siegeszug des Radios durch die Er- findung der Elektrischen Aufnahme erforderten ein neues Urheberrecht.

In Deutschland beispielsweise entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts die Interessenvertre- tungen AFMA (Anstalt für musikalische Aufführungsrechte, 1903) und die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT, 1903) sowie 1915 die GEMA (Gesellschaft für musikalische Auf- führungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte). 1901 wurde Literatur und Musik, 1907 Fotografie und Bildende Kunst durch Gesetze urheberrechtlich geschützt.

Mitte des 20. Jahrhunderts erzwang eine weitere technische Innovation wiederum neue An- passungen: Das Tonbandgerät hielt Einzug in die Privathaushalte. Die Möglichkeit, Musik privat zu kopieren, wurde massentauglich. Die Interessenvertretungen der Urheber und Ver- werter erzwangen in einem Rechtsstreit gegen Grundig, den damals weltweit größten Herstel- ler von Tonbandgeräten, die „Geräteabgabe“, welche die Rechteinhaber für die entgangenen Einnahmen entschädigen sollte. Damit wurde 1965 das Recht auf Privatkopie rechtlich rele- vant.

Weitere Meilensteine markieren die Jahre 1993 und 1997, in denen Software bzw. Datenban- ken urheberrechtlich geschützt wurden.

2001 wurde in der EU-Richtlinie „zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ ein Schutz für „Technische Maßnahmen“ rechtsgültig, der unter anderem die Umgehung von Kopierschutz und DRM illegalisiert. In Deutschland wurde dies 2003 im „Ersten Korb“ umgesetzt. Weiters wird einer neuen Verwertungsart Rechnung getragen: der öffentlichen Zugänglichmachung (Publikation im Internet).

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Der „Zweite Korb“ wurde 2006 beschlossen, der auch die rechtswidrige Nutzung legal herge- stellter Kopien unter Strafe stellt. Die Höhe der Pauschalvergütung wird an die Häufigkeit von DRM-Mechanismen gekoppelt.

Was bemerkenswert scheint, ist, dass die Vervielfältigung von mechanischen Tonträgern sehr genau geregelt wird, wohingegen das Zurverfügungsstellungsrecht (bzw. deren Pendants in anderen Ländern) zwar neu geschaffen wurde, dieses Recht aber, wie auch schon das Auffüh- rungsrecht, reine Verhandlungssache zwischen den Verwertungsgesellschaften und den diver- sen Online-Plattformen sind. Im Konkreten lässt sich das am aktuellen Stand der Verhandlun- gen zwischen der GEMA und Google (YouTube) beobachten. Während Google mit beispiels- weise Italien bereits Verträge über die (pauschale) Abgeltung der Rechte geschlossen hat, ist in Deutschland der Fall zur Zeit (Stand 1.3.2012) in Hamburg vor Gericht13.

Neue Technologien bedürfen, wie bereits erwähnt, neuer Regelungen. Das internationale Ur- heberrecht ist nun nicht wie etwa das Eigentumsrecht territorial bedingt und daher schwer einer einheitlichen Rechtsordnung zuzuweisen. Hier existieren zwei gegensätzliche Lösungs- ansätze gemäß zweier Theorien: dem Territorialitätsprinzip und dem Universalitätsprinzip.

Zur Zeit werden urheberrechtliche Ansprüche dem Staat unterstellt, für dessen Gebiet der Schutz beansprucht wird. Es ist evident, dass eine Technologie, die wie das Internet eine grenzübergreifende ist, auch nach ebenso globalen Regelungen sowie Kontroll-, Informations- und Koordinations-Instanzen verlangt, wie das beispielsweise Rainer Rainer vorschlägt14. Brisant wird diese Thematik allerspätestens mit dem Cloud-Contenting, bei dem kein einziges der existierenden urheberrechtlichen Gesetze eindeutig greift. Oder alle ein bisschen.

Der Status quo lässt sich nun wie folgt skizzieren:

• Die jüngsten Gesetzesnovellen haben zwar das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung eingeführt, beschäftigen sich jedoch vorwiegend mit der Ausdifferenzierung von Einzelheiten des Kopierens von Tonträgern.

• Die Politik und die öffentliche Diskussion sind nach wie vor geprägt von Vokabeln wie

„Raubkopie“ und „Downloadplattformen“.

• Streaming-Angebote online und über Handy-Netze und Cloud-Contenting sind die reale Situa- tion heute.

13 Am 20. April 2012 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass YouTube die Videos besser gegen Urheber- rechtsverstöße schützen muss. Der Rechtsstreit zwischen der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA und der Google-Tochter geht nun allerdings in die nächste Instanz (Stand Juli 2012).

14 Rainer, Rainer: Erwerb von Online-Musikrechten in Europa. Marktanalyse und Entwicklung eines marktadä- quaten Lizenzmodells. Wiesbaden 2011, S. 115

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Ebenso wie eine Internationalisierung des UHR sinnvoll und notwendig für alle Beteiligten wäre, besteht also auch Handlungsbedarf bei der Miteinbeziehung aller gewerblichen Nutzer von urheberrechtlich geschütztem Content.

4. Geschichte der gewerblichen Nutzer von aM und bM

Betrachtet man den Wechsel der Mainplayer in der Geschichte der aM (siehe auch Kapitel 1), so fällt auf, dass sich ein Wechsel von Produktherstellern und Dienstleistern ergibt. Einherge- hend damit resultiert auch ein Wechsel der Distribution zwischen Tonträgern und Broad- casting (Abb. 3):

Abb. 3: nach Hübner, 2009

Hier stellt sich nun die Frage: Wenn Radio und die Angebote im Netz nun kostenfreie bzw.

als kostenfrei empfundene Dienstleistungen sind – was ist das Produkt? Im Falle des Radios ist die Sachlage klar: Musik ist der Einschalt-Impuls für den Hörer. Dieser soll mit nicht zu großer stilistischer Abweichung („Umschalt-Impuls“) beim Sender gehalten werden, sich im Idealfall mit ihm identifizieren („You're at home, Baby – FM4“). Verkauft wird Sendezeit an Werbekunden. Doch was ist das eigentliche Geschäftsmodell der Content- und Zugangs- Dienstleistern des Internet?

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5. Wer sind die Nutznießer von aM und bM heute?

Die Dienstleister, deren Geschäftsmodell auf der Distribution von im Netz befindlichem Con- tent beruht, lassen sich grob in zwei Gruppen teilen: Die Content-Provider (Download, Streaming) und die Zugangs-Provider (ortsgebunden, mobil).15

5.1. Die Content-Provider

Der Content lässt sich auf zwei verschiedene Arten konsumieren16: durch Download oder durch Streaming.17 Das Geschäftsmodell der legalen Download-Portale wie iTunes oder Amazon scheint relativ klar zu sein: Verkauf von Musik. Bei iTunes kommt noch dazu, dass der Verkauf von Musik in erster Linie den Verkauf von Hardware (iPods...) ankurbeln soll.

Bei illegalen und in der rechtlichen Grauzone operierenden Distributoren von Content sind es Werbung („Gratuliere, sie haben einen iPod gewonnen“), Abo-Fallen und oft auch Zugang.

MegaUpload, Rapidshare, Filesonic und ähnliche Unternehmen haben bzw. hatten meist einen kostenpflichtigen „Schnellen Download“ und einen kostenfreien „Langsamen Download“.

Das wäre kein Geschäftsmodell, wenn es nicht auch User gäbe, die dafür zu zahlen bereit wä- ren.

Interessant ist die Frage, wie „kostenfreie“ Streaming-Portale wie YouTube, myvideo oder Grooveshark ihr Geschäftsmodell profitabel gestalten werden. Die Zeichen scheinen auf un- terschiedliche Werbemodelle hinzudeuten: Google will YouTube in die Gewinnzone führen, indem es User an den geschalteten Werbungen mitverdienen lässt. Grooveshark (für Deutsch- land seit 18.01.2012 gesperrt) beispielsweise hat neben Werbung auch einen kostenpflichtigen Dienst namens Grooveshark Anywhere. Apple und Amazon wiederum setzen mit ihren Cloud-Services „iCloud“ bzw. „EC2“ auf unterschiedliche Abo-Modelle.

15 Der Begriff „Service-Provider“ wird hier bewusst vermieden, da er im eigentlichen Sinne des Wortes sowohl den Content als auch den Zugang beinhaltet und dadurch missverständlich ist. Auch wird der Begriff ISP von Journalisten, Werbefachleuten, in der Internet-Branche ebenso wie in der Wissenschaft höchst unterschiedlich definiert. Für die Gegenständliche Unterscheidung geht es aber vor Allem um die Differenzierung von Inhalt und Zugang. Es werden hier also die Provider nach ihrer Funktion unterschieden.

16 dem Thema entsprechend auf Audio- und Video-Content bezogen.

17 Wobei hier die Grenzen fließend sind: Ist es ein Download, wenn ich ein Video auf die Festplatte speichere und nach ansehen lösche? Ist es Streaming, wenn ich einen Audiomitschnitt eines gestreamten Songs anfertige oder den Cache auslese?

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5.2. Die Zugangs-Provider

Die Zugangs-Dienstleister verkaufen den Zugang zu Information und Content. Slogans wie

„Saug, soviel du kannst!“ oder „Kein Downloadlimit!“ zeigen, dass das Geschäftsmodell der Handel mit Content ist, auch wenn das Geld für „Das Paket“ laut den Verträgen nur den Zu- gang und damit die Möglichkeit, sich mit Content zu versorgen, umfasst. Die Verantwortung, was mit dem Zugang gemacht wird, liegt beim Nutzer. Umgekehrt sieht dieser den Content als gratis an, während das Produkt, für welches er zahlt, der Zugang ist. Das führt dazu, dass der Zugang zu Inhalten höher bewertet wird als der Inhalt selbst.

Diese Tendenz unter dem Gesichtspunkt des flächendeckenden Breitband-Zugangs und stei- gender Verbreitung von Mobiltelefonen mit Internetfunktion zeigt die folgende Tabelle (Abb.

4):

Abb. 4: auf StrategyEye Research18 / The Nielsen Company gestützte Darstellung

Welchen Wert hätte nun dieser Zugang, wenn der als kostenfrei wahrgenommene Content nicht vorhanden wäre? Was wäre der für den User akzeptable Preis für einen reinen Kommu- nikationskanal ohne Internetzugang? Nun gibt es Mobilfunk-Angebote, die keinen Internetzu- gang vorsehen. Die Differenz zwischen diesen ist der zusätzliche Wert, den der Content dar- stellt. Anhand der beiden größten Mobilfunk-Anbieter in Österreich liest sich das folgender- maßen:

18 Vizard, Sarah 2011

w ould not pay to dow nload a track w ould pay to dow nload a track not w illing to pay for streaming services w illing to pay for streaming services

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%

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Anbieter Ohne Internet (Freiminuten/SMS) Mit „unbegrenztem“ Internet (Freimin./SMS)

A1 € 12,90 (1.000/1.000) € 19,90 (9GB, 500 SMS, 500 MMS zusätzlich zu allen Gesprächs-Tarifen19

€ 17,- (unlimitiert, 1.000/1.000; Jugendtarif)20 Telering € 5,- (500/500)21 € 20,- (9GB, zusätzlich zu allen Gesprächs-

Tarifen

Die Differenz ist also der Preis, den Kunden (in Österreich) für den Content zu zahlen bereit sind – im Bereich Mobiles Internet.

Ähnlich verhält es sich im Bereich des ortsgebundenen Breitband-Internets. Im Consumer- Bereich differenzieren sich auch diese Angebote in erster Linie durch die Datenmenge. Ohne Multimedia-Inhalte wäre dies kein Geschäftsmodell.

So unterschiedlich nun die Geschäftsmodelle der Zugangs-Dienstleister und der Content- Anbieter sind, haben sie eines gemeinsam: Beide sind Teil der Distributionskette von Online- Inhalten; ihr Geschäftsmodell fußt auf der Distribution von Content.

Für die Musikindustrie bedeutet das: Man kann diese Unternehmen als die neuen Mainplayer nach dem durch die Digitale Mediamorphose ausgelösten Paradigmenwechsel betrachten. Sie lösen als bestimmender Faktor die Tonträgerhersteller ab und agieren, speziell im Bereich der Streaming-Anbieter und hier vor allem bei den mobilen Music-on-Demand-Services, zuse- hends broadcasting-ähnlich.

19 http://www.a1.net/handys-telefonie/pakete-optionen (1.9.2011)

20 http://www.a1.net/handys-telefonie/sprechen-sms-surfen (1.9.2011)

21 http://www.telering.at/Content.Node2/tarife/nackterbasta.php (Link war noch am 1.9.2011 aktuell; bei der Zu- sammenstellung des Bandes allerdings nicht mehr [die Herausgeber])

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6. Was wird an die Urheber gezahlt – und warum wird so oft nichts gezahlt?

Auf Seiten der Content-Anbieter scheint der Fall recht klar: wer Inhalte online anbietet – ob gegen Bezahlung oder unentgeltlich – muss die Lizenzen dafür erwerben. Das bedeutet in den meisten Fällen: wer mit den Werken Dritter Geld verdient, erwirbt sich die Rechte durch Zah- lungen an die Rechte-Inhaber.

6.1. Content-Anbieter

Im Bereich der Downloads stellt sich die Situation folgendermaßen dar: iTunes und Amazon haben ihre Verträge mit den Rechte-Inhabern; Filesharing-Netzwerke wie Napster oder Li- mewire (in den Anfängen), BitTorrent, Portale wie kino.to oder Rapidshare und ähnliche agie- ren bzw. agierten illegal oder bestenfalls in einer rechtlichen Grauzone. An den Urheber wird in diesen Fällen nichts gezahlt, Umsätze werden dennoch generiert (siehe Kapitel 5).

Im Bereich Streaming sind einige der Anbieter bereits mit den Verwertungsgesellschaften in Verhandlung bzw. haben diese zum Teil auch bereits abgeschlossen. Das jedoch gestaltet sich oft sehr mühsam für alle Seiten, da die Rechte national erworben müssen.22 Dementsprechend hat beispielsweise YouTube in Italien eine Pauschal-Zahlung vereinbart, wohingegen die Situ- ation in Deutschland zur Zeit in Hamburg vor Gericht ausverhandelt wird (s. Kapitel 3). Eine Harmonisierung der Lizenzmodelle scheiterte bislang an den unterschiedlichen Interessen der involvierten Parteien.23 Eine Empfehlung der Europäischen Kommission vom 18.10.2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten, die für legale Online- Musikdienste benötigt werden, verlief unbefriedigend für alle Beteiligten und Betroffenen24, zeigt aber, dass zumindest das Bewusstsein eines Handlungsbedarfes besteht.

22 Eine Situation, die durch die transnationale und gleichzeitige Verfügbarkeit von Online-Inhalten zwangsläufig ein großen Konfliktpotential in sich birgt.

23 Vgl. Rainer Rainer 2011, S. 22ff.

24 Vgl. Rainer Rainer 2011, S. 55ff.

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6.2. Zugangs-Dienstleister

Anders stellt sich die Situation im Bereich der Zugangs-Dienstleister dar: Hier sind keine Zahlungen an die Rechteinhaber fällig, obwohl das Geschäftsmodell zum überwiegenden Teil auf der Vermittlung von Content beruht. Der reine Zugang zum Internet ist bei den Online- Providern ein Grundangebot – die verschiedenen Angebots-Pakete im Consumer-Bereich un- terscheiden sich in erster Linie durch die Datenmengen, die monatlich transferiert (bzw. auf einem Serverplatz gespeichert) werden dürfen. Ähnlich entwickelt sich die Situation bei den Mobilfunk-Anbietern (siehe auch Kapitel 5).

Die Telekommunikationsbranche und die Zugangsprovider sind so als Teil der Distributions- kette von Online-Inhalten ebenso wie die Content-Provider die Mainplayer der Musikindust- rie von heute zu sehen. Ihr Geschäftsmodell beruht auf der Distribution von größtenteils urhe- berrechtlich geschützten Inhalten, im Gegensatz zu den Content-Providern, allerdings ohne Lizenzen erwerben zu müssen.

7. Fazit

Die Digitale Mediamorphose bringt in allen Wirtschaftsbereichen einen unumkehrbaren Para- digmenwechsel mit sich. Sehr stark betrifft das auch die Content-Erzeuger und die damit ver- bundene Verwertungsindustrie: Alles, was digitalisiert werden kann, findet sich über kurz oder lang kostenfrei im Internet – einen Zugang vorausgesetzt.

7.1. Folgen für die aufgenommene Musik

Im Musikbereich bedeutet das, dass die Tonträger-Hersteller als Mainplayer des alten Para- digmas an Bedeutung verlieren und neuen Mainplayern den Platz abtreten. Deren Geschäfts- modell besteht in der Zurverfügungstellung des Zugangs zu Inhalten, die zu einem nicht ge- ringen Teil urheberrechtlich geschützt sind; entweder direkt durch Download oder Streaming oder indirekt durch den kostenpflichtigen Zugang zum Internet und seinen Inhalten als sol- ches – ubiquitär, on demand.

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Diese Entwicklung bedroht die Content-Hersteller in ihrer wirtschaftlichen Existenz. Denn wenn Nutzung nicht bezahlt wird und der Schaffende nicht mehr Teil der Wertschöpfungsket- te ist, setzt eine Deprofessionalisierung und Amateurisierung ein, der kreative Mittelbau (Stu- dios, Techniker, Produzenten) und somit deren Erfahrung und Wissen verschwindet, Liebha- berei wird der Standard. Der Recording-Artist würde so zu einem Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden: Die Beatles in ihrer für die Popmusik so eminent wichti- gen zweiten Phase könnte es unter heutigen Voraussetzungen beispielsweise nicht geben.

Eine nachhaltige Finanzierung von professionell aufgenommener Musik kann aber nur im Interesse derer sein, die davon auch pekuniär profitieren. Eine sinnvolles Vergütungsmodell muss also diejenigen integrieren, die an der Verwertung gemäß des neuen, digitalen Paradig- mas, einnahmeseitig direkt oder indirekt involviert sind.

7.2. Folgen für das Medium Musikvideo

Durch den Bedeutungsverlust der althergebrachten Verwertungsindustrie und die mannigfalti- gen Möglichkeiten für Künstler, sich selbst via Internet zu vermarkten, stellt sich die Frage sowohl nach der Sinnhaftigkeit traditioneller Musikvideos als auch nach deren Finanzierbar- keit: Der eigentliche Sinn von Videoclips lag ja in der Vermarktung eines Songs einerseits und der Befüllung von Sendezeit der großen Musikvideo-Kanäle andererseits.

In gleichem Maße, wie den großen Musikvideo-Sendern MTV oder VIVA die Zuschauer ab- handen kamen, stieg der Publikumszuwachs bei Internet-Portalen, allen voran YouTube. Der große Unterschied war hier, dass man nicht nur Videos konsumieren, sondern eben auch selbst produktiv werden konnte, sei es als Nachwuchs-Videomacher oder einfach nur, um seine pri- vaten Videos mit – allerdings rechtlich oft geschützter – Musik zu vertonen (Stichwort user- compiled content).

Das führt nun seitens der Tonträgerindustrie dazu, dass die Budgets für „professionelle“ Mu- sikvideos und damit zum Teil auch deren Qualität sinken. In anderen Worten: Parallel zum

„Beatles-Beispiel“ in Punkt 7.1. würden epochale Videos wie Thriller von Michael Jackson heute wohl nicht mehr so gedreht werden.

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Dazu kommt noch die unsichere bzw noch nicht ausverhandelte Rechts-Situation, die, wie beispielsweise in Deutschland, dazu geführt hat, dass YouTube und andere auf Legalität be- dachte Videoportale viele der Original-Videos, aber auch user-compiled Videos sperrten. You- Tube etwa bedient sich zur Überprüfung der hochgeladenen Videos einer in User-Kreisen als fehleranfällig verrufenen Filter-Software.

Userseitig ist die schnelle Verfügbarkeit des gewünschten Song-Titels für den User wichtiger als das Original-Video; ebenso wird eine nicht-offizielle Version25, sei es ein Remix oder ein Live-Mitschnitt, oft als interessanter empfunden als das Original. Eine Abfrage bei YouTube mit den Stichworten „Thriller“, „Michael“ und „Jackson“ ergaben ungefähr 95.500 (etwa drei Stunden später bereits 97.100) Ergebnisse, davon neben dem Original auch sehr viele private Live-Mitschnitte oder den Original-Song unterlegt mit Standbildern von Bildern des Künst- lers, privaten Video-Remixes oder mitgefilmten privaten Tanzversuchen der User.26

Insgesamt lässt sich aus den oben genannten Gründen eine geänderte Erwartungshaltung des Publikums und einhergehend damit die Ausbildung neuer ästhetischer Sehgewohnheiten able- sen.

Folgerichtig greift nun auch die Tonträger-Industrie die neue Ästhetik dieser Laienkultur auf.

Das geschieht einerseits durch professionelle Imitation der „billigen Optik“, andererseits durch beispielsweise Contests oder Aufrufe an Fans zu Einsendung ihrer Ideen. Durch die Partizipation der Fans wird der Konsument gleichzeitig auch zum (Co-)Produzenten, die Di- chotomie Produzent/Konsument wird teilweise aufgelöst. Ebenso verwischt sich die Grenze zwischen „Musikvideo“ im althergebrachten Sinne und Kurzfilm, Lehrvideo, Home-Video bzw. bebilderter Musik ganz allgemein.

Kurz gesagt steht die Kulturwissenschaft vor folgender Entscheidung: Die bisherige Definiti- on von „Musikvideo“ muss hinterfragt werden, sowohl, was Form, als auch, was Funktion anbelangt. Will man nun die bisherige Definition des Video-Clips als gut dreiminütiges Wer- beformates beibehalten, muss man sich gewahr sein, dass man damit eine Kunstform benennt, die ihre Blütezeit im ausklingenden 20. Jahrhunderts hatte. Begreift man jedoch den Terminus

„Musik-Video“ als sich mit den Distributions- und Rezeptions- als auch Produktionsmöglich- keiten verändernd (siehe auch Punkt 2), dann muss eine Ausweitung des Begriffs erfolgen, die

25 bzw. der Besitz von oder das Wissen um die Existenz von oder den Link zu einer solchen alternativen Version

26 http://www.youtube.com/results?search_query=thriller+michael+jackson&nfpr=0 (09.01.2011)

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der Zunahme der Laienkultur, der Laienästhetik und der Durchdringung der professionellen und laienhaften Sphären Rechnung trägt.

Quellenangabe:

Hübner, Georg: Musikindustrie und Web 2.0. Die Veränderung der Rezeption und Distribution von Musik durch das Aufkommen des „Web 2.0“. Frankfurt am Main 2009

Kostylo, Joanna: „From Gunpowder to Print: The Common Origins of Copyright and Patent“, in: Deazley, Ronan/Kretschmer, Martin/Bently, Lionel (Hg): Privilege and Property, Essays on the History of Copyright. Cambridge 2010

Pfeifer, Karl-Nikolaus: Individualität im Zivilrecht. Der Schutz persönlicher, gegenständlicher und wettbewerblicher Indiviualität im Persönlichkeitsrecht, Immaterialgüterrecht und Recht der Unternehmen. Tübingen 2001

Rainer, Rainer: Erwerb von Online-Musikrechten in Europa. Marktanalyse und Entwicklung eines marktadäquaten Lizenzmodells. Wiesbaden 2011

Rifkin, Jeremy:The Age of Access. New York 2000

Smudits, Alfred: Mediamorphosen des Kulturschaffens. Kunst und Kommunikationstechno- logien im Wandel. Wien 2002

Tschmuck, Peter: Kreativität und Innovation in der Musikindustrie. Innsbruck 2003 Vizard, Sarah: Streaming Music More Popular Than Downloads. URL:

http://digitalmedia.strategyeye.com/article/AlA9tRyFuUY/2011/04/12/streaming_mus ic_more_popular_than_downloads (12.3.2012)

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